Perry Rhodan Neo 53: Gestrandet in der Nacht - Oliver Plaschka - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan Neo 53: Gestrandet in der Nacht E-Book und Hörbuch

Oliver Plaschka

4,0

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Beschreibung

Mai 2037: Nachdem er auf dem Mond die menschenähnlichen Arkoniden getroffen hat, will Perry Rhodan das große Arkon-Imperium mit eigenen Augen sehen. Zu diesem Sternenreich zählen Tausende von Planeten, viele von ihnen im Kugelsternhaufen Thantur-Lok, der Zigtausende von Lichtjahren von der Milchstraße entfernt ist. Der Weg dorthin führt durch die sternenlose Leere: Die Raumschiffe "springen" durch den fünfdimensionalen Hyperraum und überwinden so in zahlreichen Etappen die riesige Entfernung. Dabei reisen sie im Tross, denn nur gemeinsam können ihre Besatzungen den Gefahren trotzen, die in der unendlichen Nacht lauern. An Bord eines Raumschiffes sind Perry Rhodan und seine Gefährten, darunter der geheimnisvolle Arkonide Atlan. Für viele der Reisenden kommt es in der ewigen Finsternis zu einer tödlichen Begegnung ...

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Zeit:5 Std. 40 min

Sprecher:Hanno Dinger

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Band 53

Gestrandet in der Nacht

von Oliver Plaschka

Mai 2037: Nachdem er auf dem Mond die menschenähnlichen Arkoniden getroffen hat, will Perry Rhodan das große Arkon-Imperium mit eigenen Augen sehen. Zu diesem Sternenreich zählen Tausende von Planeten, viele von ihnen im Kugelsternhaufen Thantur-Lok, der Zigtausende von Lichtjahren von der Milchstraße entfernt ist.

Der Weg dorthin führt durch die sternenlose Leere: Die Raumschiffe »springen« durch den fünfdimensionalen Hyperraum und überwinden so in zahlreichen Etappen die riesige Entfernung. Dabei reisen sie im Tross, denn nur gemeinsam können ihre Besatzungen den Gefahren trotzen, die in der unendlichen Nacht lauern.

1.

Atlan

»Wieso geht es nicht los?«, fragte Iwan Goratschin nicht zum ersten Mal. »Das dauert ja ewig!« Ishy Matsu trat hinter ihn und legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.

»Wir wissen es ebenso wenig wie du, Iwan«, erwiderte Belinkhar betont ruhig, ohne den Blick von der phantastischen Flotte zu wenden, die sich vor, über und unter uns in die Ferne erstreckte. »Wieso gehst du dir nicht ein wenig die Beine vertreten? Wir rufen dich schon, wenn's so weit ist.«

Es war enger denn je in der Zentrale der TIA'IR, denn jeder von uns verspürte den Impuls, sich irgendwie nützlich zu machen, irgendeine Anzeige zu überwachen oder wenigstens die nervöse Energie mit ein paar Schritten hierhin oder dorthin abzubauen. Doch der uns zur Verfügung stehende Platz ließ dies nicht zu, sodass wir nichts tun konnten, außer abzuwarten. Es war ein Gefühl wie in den Minuten vor einer Schlacht.

Perry Rhodan war von allen wahrscheinlich noch am gelassensten. Er saß neben Belinkhar in einem der vier Sitze und verfolgte aufmerksam jeden Handgriff der Mehandor. Ich wusste, er hatte den Ehrgeiz, die Bedienung der TIA'IR in- und auswendig zu lernen, und er war auf dem besten Weg dahin. In dieser Hinsicht war er das Musterbeispiel eines Menschen: Er sog neues Wissen in sich auf wie ein Schwamm. Diese Anpassungsgabe nötigte mir immer noch Bewunderung ab, auch nach so vielen tausend Jahren.

»Du hast recht«, murmelte Goratschin, stand auf und löste sich aus Matsus Griff. »Ich bin unten im Lagerraum.« Er strich seiner Gefährtin kurz durchs Haar und schwang sich dann in den Leiterschacht nach unten. Er hatte davon gesprochen, einen Sandsack oder vielleicht sogar einen Punchingball dort unten zu montieren. Wahrscheinlich wäre jetzt eine gute Gelegenheit dazu. Ich schätzte seine ehrliche, geradlinige Art, aber manchmal fehlte es ihm einfach an der nötigen Geduld.

»Wenn du Chabalh triffst, richte ihm aus, dass sich das Essen heute verzögert!«, rief die Japanerin ihm nach. »Oder du machst ihm was.«

»Ich richte es ihm aus«, brummte Iwan aus dem Stockwerk unter uns. Der Purrer kam nur selten in die Zentrale, weil er Schwierigkeiten mit dem Leiterschacht hatte, auch wenn er es nicht gerne zugab. Und das Einzige, womit der große Panther noch mehr auf Kriegsfuß stand als mit den Leitern, war die Essenausgabe der TIA'IR.

»Es scheint irgendein Problem mit der Startgenehmigung zu geben«, murmelte Belinkhar, sobald Goratschin außer Hörweite war.

»Keine Flotte dieser Größe ist jemals pünktlich gestartet«, behauptete Rhodan, als spräche er aus eigener Erfahrung. »In neunzig Prozent der Fälle ist es die Bürokratie, die nicht mitspielt. Oder jemand will demonstrieren, dass er es nicht eilig hat.«

Ich ließ mich in Goratschins Sitz gleiten und studierte das Meer der funkelnden Schiffe. Hela Ariela stand in unserem Rücken, sodass die metallischen Leiber wie Juwelen in der Nacht erstrahlten. Es war ein erhebender Anblick. So viele verschiedene Typen: Kugelraumer, Walzen, Disken, stromlinienförmige Kreuzer und klobige Frachter, silbern, geschwärzt, lackiert, Vergnügungsschiffe mit eleganten Fensterfronten, gepanzerte, waffenstarrende Festungen. Das da draußen war keine Flotte, es war ein fliegendes Museum aus Jahrtausenden arkonidischer Kolonialgeschichte.

Wir hatten die uns zugewiesene Position in diesem einzigartigen Konvoi eingenommen und versucht, uns so unauffällig wie möglich zu verhalten. Doch zwei Stunden war es nun schon her, dass der Befehl an alle Schiffe ergangen war, jeden unnötigen Shuttleverkehr einzustellen und sich für den ersten Sprung bereitzuhalten.

»Wo ist er?«, fragte ich und ließ den Blick über die Schiffe schweifen. »Wo hält er sich versteckt?«

Belinkhar wandte fragend den Kopf, doch Rhodan erriet meine Gedanken.

»Niemand weiß, auf welchem Schiff sich der Regent befindet. In dem öffentlich einsehbaren Verzeichnis sind mehrere Schlachtschiffe gelistet, die seinem persönlichen Befehl unterstehen. Interessanterweise scheint die VAREK'ARK nicht dazuzugehören.«

»Ein alter Trick«, sagte Belinkhar. »Wenn man nicht weiß, wo er sich aufhält, kann man ihn auch nicht angreifen.«

»Soll ja durchaus vorkommen, dass das jemand versucht«, entgegnete ich trocken. Ich war nach wie vor nicht davon überzeugt, dass der Regent noch am Leben war. Nach allem, was ich wusste, hatte ich ihn auf Artekh-17 erschossen. Rhodan und die anderen glaubten mittlerweile, dass es sich dabei um einen Doppelgänger gehandelt hatte. Ich hatte mir mein endgültiges Urteil dazu noch nicht gebildet.

Ich wusste nur, dass unser gefährlichster Feind ganz in unserer Nähe war. Man hatte uns in die Höhle des Löwen eingelassen, und nun waren wir im Begriff, tiefer in sein Reich vorzudringen.

»Du bist doch schon einmal nach Arkon gereist«, sagte Matsu zu Belinkhar. »Wie war das beim letzten Mal? Hat es da auch so lange gedauert?«

»Meine Jahre als Fremdgeherin sind ein Weilchen her«, antwortete die Mehandor. »Und ich war zwar in Thantur-Lok, aber nicht im Arkon-System. Ehrlich gesagt erinnere ich mich kaum an die Details der Reise ... Ich war damals ziemlich beschäftigt.«

»Du bist nicht zufällig mit der IMH-TEKER nach M 13 gereist, oder?«, witzelte Rhodan. Die IMH-TEKER unterstand dem Befehl von Belinkhars altem Verehrer, Talamon. Rhodan hatte Interesse an der ehemaligen Matriarchin, so viel war klar. Doch die Mehandor lächelte nur süffisant und zog es vor, keine Antwort zu geben.

»Wenn ich es richtig verstanden habe, werden wir jeden Tag Station machen?«, hakte die Japanerin nach. »Bei diesen ... Bahnhöfen?«

»Alle fünfhundert Lichtjahre«, bestätigte die Mehandor. »Dann legt der Tross eine längere Pause ein.«

Diese Pausen waren notwendig – die weiten Sprünge würden die alten Transitionstriebwerke der TIA'IR an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringen. Wir sollten sie, sobald es ging, in eine Werft bringen, überlegte ich. Nachrüsten lassen.

»Sechsunddreißig Sprünge bis nach Thantur-Lok. Und fünfunddreißig Bahnhöfe dazwischen, alle fünfhundert Lichtjahre.«

»Hamtar-35 bis Hamtar-1«, ergänzte ich.

»Das ist das arkonidische Wort für ›Insel‹, nicht wahr?«

Ich nickte.

»Diese Bahnhöfe müssen sehr alt sein«, sagte Rhodan. »Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«

»Sie kennen die Antwort«, sagte ich. »Vor gut zehntausend Jahren.« Es war offenkundig, dass sich Rhodan noch immer Sorgen über die Lücken in meiner Biografie machte. Jene Zeiträume, über die ich nicht sprach.

Von denen ich teilweise selbst nicht genau wusste, was ich getan hatte.

Er ahnte ja gar nicht, wie viele Sorgen ich mir deshalb machte. Ich grübelte mittlerweile fast ständig, und je länger uns die Hände gebunden waren, desto schlimmer wurde es. Ich hasste es zu grübeln.

»Erzählen Sie uns mehr davon«, bat Ishy Matsu.

Ich seufzte. »Damals waren die Bahnhöfe ziemlich hässliche Gebilde. Wild zusammengeschweißt aus havarierten Raumern, Wracks, aufgegebenen Schiffen. Was sich im Laufe der Jahrtausende eben ansammelt. Manchmal bestanden sie aus nur einer Handvoll Schiffen, manchmal waren es über hundert.«

»Sie sind weiter gewachsen«, sagte Belinkhar. »Hamtar-28 oder -32 bestehen heute aus über dreihundert Schiffen, wenn ich mich nicht irre.«

»Das mag gut sein. Ich nehme an, dass sie aber nach wie vor auch von Garnisonen bewacht werden?«

»Mindestens zwanzig Kriegsschiffe pro Bahnhof«, bestätigte sie.

Rhodan pfiff durch die Zähne. »Das Imperium versteht es, das Nadelöhr zu schützen, durch das man es erreicht. Ein wenig erinnert es mich an das Britische Empire.«

»Sie meinen, weil es allein auf seiner Insel sitzt und argwöhnisch auf alles achtet, was sich auf der anderen Seite des Ärmelkanals tut?« Ich dachte daran, wie ich die Küsten dieser Insel das letzte Mal gesehen hatte: die weißen Klippen von Dover und die stolzen Fregatten, die sie patrouillierten. Das Empire hatte immer sehr genau darauf geachtet, seine Vorherrschaft zur See nicht zu verlieren. Seine Könige hatten gewusst, wieso. »Ein treffender Vergleich.«

»Auch die Arkoniden haben es geschafft, die halbe bekannte Welt zu erobern und ihre Kultur überallhin zu verbreiten. Sie betrachten ihre Vormachtstellung in der Galaxis als ihr gegebenes Recht. Doch genau wie das Empire haben sie die Zeichen der Zeit zu spät gedeutet.«

Ich musste lächeln. »Sie eilen gedanklich ein wenig voraus. Das Imperium mag alt und krank sein, doch es steht noch lange nicht vor seinem Fall. Und Sie sind kein Mahatma Gandhi, Rhodan. Sie werden keinen Aufstand der Unterdrückten gegen den Regenten anführen und damit durchkommen.«

Rhodan neigte bescheiden den Kopf. »Sie haben natürlich recht.« Doch etwas an der Art, wie er es sagte, ließ mich zweifeln, ob er begriff, was ich ihm klarmachen wollte. Wenn er das Imperium unterschätzte ...

»Keine Angst«, sagte er. »Diesmal werden Sie die Menschheit nicht vor einem ihrer eigenen Helden beschützen müssen.« Sein Talent, meine Gedankengänge zu erspüren, wurde mir allmählich unheimlich. »Mir ist die Gefahr, in der meine Heimat schwebt – unsere Heimat, wenn ich das sagen darf –, mehr als bewusst. Deshalb sind wir hier.«

Ich blickte gen Thantur-Lok: Talurs Ziel in den alten arkonidischen Quellen, noch einmal viele Tausend Jahre vor meiner Zeit. Der Sternhaufen bestand aus über 100.000 Sonnen, doch aus dieser Entfernung war er nicht mehr als ein ferner Lichtklecks am Horizont. Die weißen Segel, das suchende Licht eines Leuchtturms in der Nacht. Der Sturm, der uns alle an die Klippen treiben will ... Ich schüttelte die Erinnerung ab.

Irgendwo dort draußen war Arkon, und dort war das Epetran-Archiv, das den Hinweis auf die Welt des Ewigen Lebens enthielt – und auf die Position der Erde. Wenn wir es nicht rechtzeitig erreichten und wenn nötig zerstörten, würden der Regent oder seine Hand, Sergh da Teffron, die Erde vernichten.

Die Menschen waren erst vor so lächerlich kurzer Zeit auf die galaktische Bühne getreten, dass die meisten Raumfahrer, denen wir begegneten, nicht einmal ihren Namen kannten. Und doch hatten sie es geschafft, sich in dieser kurzen Zeit schon derart mächtige Feinde zu machen. Auch das verdiente meinen Respekt.

Elah, das Tal der Terebinthen. Das Heer der Philister, das von der Mittelmeerküste ins Inland vordrang. Goliath von Gath, wie er siegessicher vor den Reihen seiner Soldaten steht, und der kleine, unscheinbare Mann, der ihm entgegentritt ...

»Ich werde mich in meine Kabine zurückziehen«, erklärte ich. Die plötzlichen Erinnerungsschübe wurden immer schlimmer. Wahrscheinlich war es die Anspannung. Besser, ich beschäftigte meinen rastlosen Geist mit irgendwas. Ich wollte nicht, dass sie meine Schwäche sahen – auch und besonders nicht Perry Rhodan.

2.

Ihin da Achran

»Können wir starten?«

»Alle Systeme sind bereit.«

Die Rudergängerin schwenkte ihren Sitz herum und ließ den Blick wohlgefällig über ihren Adjutanten und die Brückenbesatzung der VAREK'ARK schweifen, die wie betäubte Träumer vor ihren Holos saßen. Jedes Hologramm zeigte den Status der jeweiligen Station: Antrieb, Positronik, Waffen, Funk, Orter, Umweltkontrolle ...

»Hervorragend. Alle Schiffe sind an ihrem Platz?«

»Wie befohlen.«

Sie schenkte ihrem Adjutanten ein Lächeln, worauf dem älteren Arkoniden sichtlich das Herz aufging. »Gute Arbeit, mein Lieber! Ich wusste, ich kann mich auf dich verlassen.«

Ungeachtet ihres Lobs rief sie die gegenwärtige Formation der 179 Schiffe ihres Trosses auf und suchte nach Defiziten, sowohl pragmatischer als auch ästhetischer Natur. Einen Tross dieser Größe zu organisieren war ein bisschen wie eine Hochzeit auszurichten: Jeder Gast verlangte nach Aufmerksamkeit. Manche Gäste saßen aber nicht gern nebeneinander. Manche mochten sich zwar, doch beleidigten sie das Auge, wenn man sie zusammen sah. Jeder hatte eigene Bedürfnisse, was das Menü, die Getränke, die Pausen zwischen den Gängen und die Lustbarkeiten hinterher anging. Manchmal konnte man es einfach nicht allen recht machen.

Und das war auch nicht ihre Aufgabe.

Ihre Aufgabe war, dass sich der Ehrengast auf dieser Hochzeit wohlfühlte. Gerne hätte sie sich ihn als den Bräutigam vorgestellt, aber der Regent des Großen Imperiums hatte leider schon unter Beweis gestellt, dass eine Braut in seinem Bett rasch ihren Reiz für ihn verlor. So gesehen war es wohl der Tross selbst, der dem Regenten zugeführt wurde. Sie selbst wäre damit wohl so etwas wie die Brautjungfer – ein Vergleich, der sie durchaus erheiterte. »Die Hand des Regenten wäre der Trauzeuge ...«, murmelte sie.

»Wie meintest du, Ihin?«, fragte Nertan da Hindur. Sie arbeiteten schon so lange zusammen, dass sie sich am vertrauten Tonfall nicht störte, im Gegenteil. Sie wusste sehr gut, dass ihr treuer Adjutant ihr hoffnungslos verfallen war, und das war die beste Qualifikation für seine Position, die es gab.

»Haben wir schon unseren Lotsen?«

Nertan überprüfte rasch die Protokolle der letzten Tonta. »Nein, Ihin«, sagte er bedauernd. »Ich bin untröstlich. Ich hätte schwören können ...«

»Schon gut«, unterbrach sie ihn gönnerhaft. »Das passiert uns allen mal. Ruf Tinios. Und sag den Weltraumkrähen, dass sie sich sputen sollen.«

So gerne sie darauf verzichtet hätte, die imperialen Dekrete sahen vor, dass man den Flug durch den Korridor nur mit einem Vertreter des Lotsenordens an Bord antrat. Technisch gesehen waren die Lotsen Arkoniden – oder eher, sie waren es einmal gewesen, zumindest die meisten von ihnen. Ihre Kultur hatte sich jedoch fern Thantur-Loks entwickelt, im Weltraum, fast so lange schon, wie Schiffe die große Leere zwischen dem heimatlichen Sternhaufen und seiner Muttergalaxis querten. Ihre einzige Heimat, wenn der winzige Brocken Gestein diesen Namen denn verdiente, war der Planetoid Tinios, den die Lotsen irgendwann vor langer Zeit in eine Umlaufbahn um Hela Ariela gezwungen hatten – eines der beiden Sonnenleuchtfeuer, die Anfang und Ende einer jeden Reise nach Thantur-Lok markierten. Kira Ariela, das dem Sternhaufen vorgelagert war, glich Hela Ariela wie ein Geschwister. Und das galt auch für Galios, den dortigen Planetoiden.

Die Lotsen hatten diesen schmalen Korridor erschlossen und jeden Aspekt der Reise kodifiziert und institutionalisiert – deutlich mehr Macht, als irgendein Orden schwarz vermummter Sternendiener haben sollte, wenn es nach der Rudergängerin ging.

Während Nertan Kontakt zur Kontrolle auf Tinios herstellte, ließ sie den Blick über den Tross schweifen. Zahllose Botenschiffe und Drohnen, die zwischen ihren Schiffen umhereilten, ermöglichten ihr jede gewünschte Perspektive. Genau so dachte sie von diesen Schiffen – als ihren. Sie hatte jedes einzelne Schiff des Trosses handverlesen, ob es nun tatsächlich ihr oder dem Regenten gehörte, zwangsverpflichtet worden war oder für das Privileg, sie auf ihrer langen Fahrt zu begleiten, bezahlte. Die Geschichte eines jeden Schiffes war einzigartig, doch jedes war auf seine Art auch ein Schmuckstück. Ihr Schmuckstück.

Da waren die Schlachtschiffe – Dutzende davon, perfekte, schimmernde Kugeln wie Wassertropfen in der Schwerelosigkeit des Alls.

Da waren die Vergnügungsschiffe, allen voran die LINH-KHAISIL, eine schreiend bunte, überdimensionierte Mehandorwalze. Da war die schlichte, aber elegante CALTASPA, eins der modernsten Medoschiffe, die die Aras je gebaut hatten. Oder die VEOLD'OR, ein Gartenschiff und eine Einzelanfertigung. Unter ihren zerbrechlich anmutenden Kuppeln erstreckten sich hydroponische Farmen und weitläufige Parklandschaften, die jedem, der sich während des fünfwöchigen Flugs nach etwas Grün verzehrte, eine Rückzugsmöglichkeit boten. Außerdem hatte man aus ihren Kuppeln spätestens ab Mitte des Flugs einen phantastischen, unverstellten Blick auf die gesamte Galaxis.

Dazu kam ihre beständig wachsende Sammlung von exotischen Fregatten und Jachten, die Schatzjägerschiffe, die in einem gierigen Rudel dem Fantan-Museumsschiff folgten, flankiert von zwei antiken unithischen Frachtern, die die Rudergängerin vor allem aus sentimentalen Gründen für sich gewonnen hatte: Erstens wurden solche Schiffe heute nicht mehr gebaut, und zweitens handelte es sich bei ihnen um die einzigen Relikte der großen Strafexpedition, die das Imperium vor zwölfhundert Jahren gegen die aufmüpfige unithische Flotte geschickt hatte. Keiner wusste heute mehr genau, woran sich der Konflikt entzündet hatte, aber die Gründlichkeit dieser Lektion ging als vorbildlich in die Geschichtsbücher ein.

Dass all diese Unikate, all diese wunderbaren, furchtbaren, glanzvollen Schiffe ausnahmslos bereit für den ersten der sechsunddreißig Sprünge nach Thantur-Lok waren, grenzte eigentlich schon an ein Wunder. Insbesondere die Unither meldeten Maschinenschäden mit einer solchen Häufigkeit, dass die Rudergängerin System dahinter vermutete.

Doch nichts weniger als Wunder wurden von ihr erwartet.

Sie war die Zeremonienmeisterin. Wenn der Regent sich in Thantur-Lok bewegte oder zu den seltenen Gelegenheiten wie dieser, zu denen er die Kolonien bereiste, war es ihre Aufgabe, ihm ein angemessenes Geleit zu organisieren. Sie musste repräsentieren. Sie musste strahlen.

Manchmal wünschte sie, der Regent würde zur Kenntnis nehmen, wie sehr sie für ihn strahlte.

»Khestan!« Nertan riss sie aus ihren Gedanken. Dass er sie auf einmal mit ihrem Titel statt ihrem Vornamen ansprach, beunruhigte Ihin da Achran. Seine Stimme klang irgendwie angespannt.

»Was gibt es?«

»Ich spreche gerade mit dem Hohen Lotsen.«

»Oh, die Oberkrähe persönlich.« Ungewöhnlich, aber angemessen angesichts der Verspätung. Sie sollten längst auf dem Weg sein! »Und, was hat er zu seiner Entschuldigung vorzubringen?«

Nertan da Hindur rang sichtlich nach Worten. Das letzte Mal hatte er so herumgedruckst bei der Mitteilung, dass eines ihrer Lieblingskleider die Bekanntschaft mit einer ihrer besonders bösartigen Sirupkreationen nicht überlebt hatte.

»Er sagt, er kann uns keine Starterlaubnis geben. Freigabe verweigert.«

»Was?« Unwillkürlich sprang sie von ihrem Sitz auf, als gälte es, ihre Schiffe persönlich zu verteidigen.

3.

Anra'Thir'Nom

Was für ein vulgäres Schiff!, dachte Anra'Thir'Nom mit Blick auf die VAREK'ARK. Doch wie passend zugleich: ein vulgäres Schiff für eine vulgäre Person.

»Was für ein vulgäres Schiff!«, sprach er den Gedanken laut aus, ohne sich auch nur umzudrehen. Das Schweigen des anderen Lotsen, der das winzige Ultraleichtshuttle zum Flaggschiff des Trosses manövrierte, deutete er als Zustimmung.

Das Shuttle verkörperte alles, was die VAREK'ARK nicht war. Oder eher, es war nichts von dem, was das riesenhafte Schlachtschiff war. Tatsächlich bestand es aus nicht viel mehr als einem gläsernen Tropfen mit einem winzigen Antrieb, groß genug, dass zwei Leute darin schweben konnten, schnell genug, um jedes Ziel in Sichtweite in ein paar Minuten zu erreichen. Auf künstliche Schwerkraft oder Sitze war ebenso verzichtet worden wie auf irgendwelche anderen Annehmlichkeiten. Achtzig Prozent der Außenhülle waren transparent, und die einzige Lichtquelle außer dem gedämpften blauen Gleißen Hela Arielas war das gelegentliche Flackern der Holos, wenn der Lotse eine Operation durchführen musste, die er nicht mit einer simplen Geste seiner Hand oder einer Augenbewegung an die Positronik übermitteln konnte. Über ihre schwarzen Körperfilme spürten die Lotsen jede Reaktion des Schiffes in Sekundenbruchteilen.

Was mehr als einen Antrieb und eine Schutzhülle, beides nicht stärker als nötig, brauchte es, um eine solch kurze Strecke All zu durchqueren? Unerfahrene Geister fürchteten die Reise in einer solchen Sternenträne (ein Name aus den überschwänglichen Jugendjahren des Imperiums, als sich noch jeder Ingenieur für einen Künstler und jeder Kommandant für einen Poeten hielt). Anra'Thir'Nom war der Ansicht, wer diesen Vorgeschmack des Abgrunds fürchtete, sollte sich an der Querung der Endlichen Nacht gar nicht erst versuchen.

Die VAREK'ARK dagegen war der stahlgewordene Größenwahn. Tausend Meter Durchmesser, wenn man den Ringwulst mitrechnete, Hunderte Beiboote, Jäger und Kapseln, Kapazitäten für bis zu 6000 Personen Besatzung. Die Hälfte verbrachte die Reise wohl in einem Sessel und könnte die Richtung zum galaktischen Zentrum nicht weisen, wenn ihr Leben davon abhinge. Ihr Schwesterschiff, die VEAST'ARK, war als »Stolz des Imperiums« aus der Werft ausgelaufen und innerhalb kürzester Zeit in grandioser Weise gescheitert. VAREK'ARK bedeutete »Glanz des Imperiums«. Für Anra'Thir'Nom war es eher der Trotz – die reine Eitelkeit.

Der Lotse brachte sie in sicherem Abstand zu den Impulstriebwerken näher an das riesige Schlachtschiff heran, als umrundeten sie einen metallischen Mond. Der äquatoriale Wulst erhob sich wie ein ferner Gebirgskamm am Horizont, die Schleusen unter ihnen waren groß wie Meere. Man verlor rasch den Sinn für Proportionen, wenn man sich im Anblick dieser Stahllandschaft verlor, und wenn er die Augen schloss und sich in sich selbst versenkte, meinte er, den zarten Zug der Gravitation dieses Riesenschiffs spüren zu können, die ihn alle paar Sekunden um Millimeter tiefer sinken ließ.

Doch wen immer der Regent oder seine Rudergängerin mit den Proportionen der VAREK'ARK zu beeindrucken suchten, ihre Mühen waren vergebens. Hier, am Rande des Abgrunds, zählten nur die Gunst der She'Huhan, der Sternengötter – allen voran Anetis, der Gott der Leere – und das Wort der Khe'Mha'Thir, der Lotsen, zu denen sie sprachen.

Anra'Thir'Nom war zuversichtlich, dass auch Ihin da Achran das erkennen würde.

Die Träne hielt auf eine offene, nur von einem Schirm geschützte Luke zu, die für die deutlich größeren Leka-Disken ausgelegt war. Eine passgenaue Strukturlücke tat sich im Schirm für sie auf, und die Träne schwebte hinein, getragen von einem Traktorstrahl. Kaum hatten sie den Schirm passiert, zog die künstliche Schwerkraft des Flaggschiffs sie auf ihre Beine. Dann setzten sie auf dem blitzblank polierten Hallenboden auf, und der Traktorstrahl erlosch.

Die Vorderseite der Träne klappte auf, und Anra'Thir'Nom stieg mit einem stummen Abschiedsgruß aus. Der andere Lotse schloss die Träne, aktivierte die Startsequenz und schwebte wieder davon.

Der Körperfilm des Hohen Lotsen nahm Kontakt mit der Bordpositronik auf und wies ihm den Weg. Die Signale des Anzugs waren subtil und für Außenstehende nicht zu bemerken: ein leichtes Ziehen in die richtige Richtung, ein schwaches Kribbeln, wenn er die falsche einschlug, eine unmerkliche Einspielung auf seinen sonst unsichtbaren Kontaktlinsen, die jede Bewegung seiner Augäpfel registrierten und, wo möglich, in Befehle übertrugen. Es war eine alte Technologie, die vor langer Zeit für körperlich beeinträchtigte Raumfahrer entwickelt worden war und die Lotsen in ihrer spartanischen Perfektion fasziniert hatte. Also hatten sie sie an ihre Bedürfnisse angepasst und mit den Jahrhunderten verfeinert.

Anra'Thir'Nom hatte ein besonderes Geschick im Umgang mit seinem Körperfilm entwickelt, und er besaß eine natürliche Begabung dafür, die Eindrücke, die er ihm übermittelte, mental zu verarbeiten. So war er immer darüber informiert, was in den Heiligtümern der Khe'Mha'Thir vor sich ging. Für die Akolythen des Ordens stellte sich diese Art der stummen Zwiesprache mit der Zentralpositronik von Tinios oft wie Zauberei dar. Zwar hätte man ähnliche Resultate auch mit Implantaten erzielen können, doch die Schutz spendende Schwärze, die den eigenen Körper umhüllte, als breitete ein großer schwarzer Vogel seine Schwingen über ihn, entsprach eher der Symbolwelt der Khe'Mha'Thir.

Ohne auf die zahlreichen Roboter und das Personal in dieser äußeren Kugelschale des Schiffes zu achten, verließ Anra' Thir'Nom den Hangar und drang auf direktem Weg tiefer in die VAREK'ARK vor. Nach etwa hundert Metern stand er in einer kleineren Halle vor verschiedenen Liftsystemen, die durch die mittlere und größte Schale des Schiffes, welche das Transitionstriebwerk enthielt, in die innere Kugel führten, wo sich die Zentrale befand.

Was Anra'Thir'Nom zu schätzen wusste, war der traditionsverbundene, klassische Aufbau des Schiffs, bei dem die Mannschaft vom zumeist leeren Raum der mächtigen Triebwerke umhüllt war. In deren weiten, von Strukturfeldkonvertern gespickten Hallen, nadelkissengleich, wurden die gewaltigen Energien entfesselt, die nötig waren, um das Schiff und seine lebende Fracht zu entstofflichen und gleichsam durch die Leere zu reißen.

Was ihm dagegen missfiel, war, sich der selbstherrlichen Rudergängerin des Trosses wie durch die Beletage eines arkonidischen Palais nähern zu müssen, vom Treppenhaus über eine Abfolge mehr oder minder bedeutungsloser Vorzimmer bis hin zum Audienzgemach.

Wahrscheinlich hatte sie intime Kenntnis solcher Räumlichkeiten. Für wie viele ehemalige Imperatoren hatte sie in ihrer Zeit als Kurtisane die Beine gespreizt? Drei? Vier? Und für wie viele ihrer Lakaien?

Anra'Thir'Nom ignorierte die luxuriöse Röhrenbahn und betrat einen schlichten Antigravschacht, der von der komfortverwöhnten Besatzung offenbar gemieden wurde, denn er war fast allein darin. Ruhig, die Arme vor der Brust verschränkt, vertraute er sich der gerichteten Schwerkraft des Schachts an und schwebte in den Kern des Schiffs.

In der Zentrale erwartete ihn die Rudergängerin, umgeben von ihrem Hofstaat. Genauso wirkte es auf Anra'Thir'Nom: Die alternde Kurtisane war in eine weiße Galauniform der Flotte gekleidet, die über und über mit widersprüchlichen Orden und Spangen gespickt war, deren militärische Bedeutung ihr zweifellos genauso gleichgültig war wie ihm. Wahrscheinlich waren es Zuwendungen ihrer Liebhaber, nicht mehr; einen Orden für jede Nacht der Wollust. Ihr Sitz war leicht erhöht, die langen Beine hatte sie übereinandergeschlagen, und die Hände mit den zahllosen goldenen Reifen lagen gebieterisch auf den Lehnen.

Neben ihr stand ein ausgezehrt wirkender älterer Mann mit einem dümmlichen Lächeln, der auf jeden Wink ihres Fingers wie ein abgerichteter Bissat reagierte. Wahrscheinlich ihr momentaner Gespiele. Sein Haar hatte dieselbe weißgoldene Farbe wie ihres, konnte in Länge und Glanz jedoch nicht mit ihr mithalten. Hinter ihnen zog sich die Panoramaprojektion eines malerischen Wasserfalls halbkreisförmig durch die Zentrale. Es war deutlich wärmer, als es nötig gewesen wäre, und Anra'Thir'Nom glaubte sogar einen leichten Blumenduft und das Surren von Insekten wahrzunehmen.

Als er vor sie trat, musterte die Rudergängerin ihn knapp und erhob sich; sicherlich nicht als Geste der Höflichkeit, sondern weil die hochgewachsene Arkonidin ihn nun um mehr als einen Kopf überragte. Dem Hohen Lotsen war das gleich.

»Khe'Mha'Rhil«, sagte sie. »Ich erwarte eine Erklärung!«

»Und ich erwarte, dass Sie meinen Namen korrekt gebrauchen«, erwiderte Anra'Thir'Nom ungerührt.

Ihr Gesicht versteinerte nur für den Bruchteil einer Sekunde. »Wie war das?«

»Der Name, mit dem Sie mich anreden, lautet Khe'Rhil. Das ist mein Außenname, wenn ich mit Außenseitern verkehre – wie der Name schon sagt. Khe'Mha'Thir heißt ›Lotsen durch die Endliche Nacht‹. Sie müssen mich nicht mit meinem vollen Titel anreden, welcher demzufolge Khe'Mha'Thir Khe'Rhil lauten würde, und Sie müssen auch nicht so tun, als würde es Sie durcheinanderbringen. Wenn es das täte, sollten Sie diese Schiffe nicht führen.«

»Wie können Sie es wagen?«, flüsterte die Rudergängerin und trat einen Schritt auf ihn zu. Der Schmuck an ihrem Hals und ihren Gelenken klimperte. »Mhir'Ta'Khil oder wie immer Sie sich nennen!« Das Lächeln auf dem Gesicht ihres Adjutanten tröpfelte wie eines der Rinnsale am Rande des Wasserfalls aus, wenn dieser seine Kraft davon abzog. »Wie können Sie es wagen, dem Tross des Regenten die Starterlaubnis zu verweigern? Sie kommen sich wahrscheinlich sehr bedeutsam vor mit Ihren albernen Namen, in Ihrem albernen Aufzug! Aber glauben Sie ernsthaft, Sie stünden über dem Regenten? Was erlauben Sie sich, ihn warten zu lassen?«

»Es gäbe eine sehr einfache Möglichkeit, sein Warten zu verkürzen.« Der Hohe Lotse ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Und die wäre?«

»Reduzieren Sie die Zahl der Schiffe auf das korrekte Gwalontar.«

»Das was bitte?«

Da musste Anra'Thir'Nom sich dann doch arg zusammenreißen, um nicht ausfällig zu werden. Dass die Rudergängerin vorgab, dieses Wort nicht zu kennen, kam einer Beleidigung seiner Intelligenz gleich.

»Die Kelchfüllung – die Zahl von 177 Schiffen, wie Anetis, der Gott der Leere, sie uns von alters her gegeben hat! Glauben Sie etwa, Sie stünden über Anetis?«

»Wollen Sie wissen, was ich glaube? Ich glaube, Sie sind einer der Leute, die an der Füllung Ihres Kelches immer etwas auszusetzen haben«, murmelte Ihin da Achran, und ein Ausdruck des Triumphs stahl sich auf ihr Gesicht. »Für mich ist der Kelch immer halb voll.«