Perry Rhodan Neo 253: Die Amber-Protokolle - Rainer Schorm - E-Book

Perry Rhodan Neo 253: Die Amber-Protokolle E-Book

Rainer Schorm

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Beschreibung

Vor fast sieben Jahrzehnten ist der Astronaut Perry Rhodan als erster Mensch auf Außerirdische getroffen. Seither hat die Menschheit ihren Einflussbereich ausgedehnt und ferne Sonnensysteme besiedelt. Allerdings kommt es im Jahr 2102 zu einem Konflikt mit den Kolonien. Um einen Krieg zu verhindern, wird der Notfallplan Laurin eingeleitet – er geht jedoch schrecklich schief. Die Erde und der Mond stranden im Blauen System der Akonen, rund 34.000 Lichtjahre von der Heimatsonne entfernt. Rhodan will Terra und Luna nach Hause zurückbringen. Mit dem neuen Hantelraumschiff SOL macht er sich auf die Suche nach den Ursachen des Transportunfalls. Im Zentrum des Kugelsternhaufens M 3 entdecken die Menschen überraschend den Haluter Icho Tolot und die Bestie Tro Khon. Die zwei riesenhaften Außerirdischen berichten, wie es sie dorthin verschlagen hat. Dabei geben sie einen faszinierenden Einblick in DIE AMBER-PROTOKOLLE ...

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Band 253

Die Amber-Protokolle

Rainer Schorm

Cover

Vorspann

I – Präliminarien

II – Präludium: Perry Rhodan

1. Regeneration

2. Fresssucht

3. Aussichten

III – Das erste Protokoll: Tro Khon

4. Die Tiefen des Orcus

5. Traumsturz

6. Inkluse

IV – Interludium: Perry Rhodan

7. Zwischenstopp

V – Das zweite Protokoll: Icho Tolot

8. Impuls zur Abreise

9. Der Atem des Teufelssterns

10. Eine bizarre Welt

11. Kein Ausweg?

12. Metabolismus

13. In fremdem Land

14. Abstieg

15. Die Falle

VI – Coda: Perry Rhodan

16. Zurück aus der Hölle

VII – Postliminarien

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

Vor fast sieben Jahrzehnten ist der Astronaut Perry Rhodan als erster Mensch auf Außerirdische getroffen. Seither hat die Menschheit ihren Einflussbereich ausgedehnt und ferne Sonnensysteme besiedelt.

Allerdings kommt es im Jahr 2102 zu einem Konflikt mit den Kolonien. Um einen Krieg zu verhindern, wird der Notfallplan Laurin eingeleitet – er geht jedoch schrecklich schief. Die Erde und der Mond stranden im Blauen System der Akonen, rund 34.000 Lichtjahre von der Heimatsonne entfernt.

Rhodan will Terra und Luna nach Hause zurückbringen. Mit dem neuen Hantelraumschiff SOL macht er sich auf die Suche nach den Ursachen des Transportunfalls. Im Zentrum des Kugelsternhaufens M 3 entdecken die Menschen überraschend den Haluter Icho Tolot und die Bestie Tro Khon.

Die zwei riesenhaften Außerirdischen berichten, wie es sie dorthin verschlagen hat. Dabei geben sie einen faszinierenden Einblick in DIE AMBER-PROTOKOLLE ...

I

Präliminarien

Mein Name ist Icho Tolot.

Ich bin ein Haluter. Wir stammen von künstlich geschaffenen Wesen ab, wurden für einen furchtbaren Zweck gezüchtet: als Bestien, als Monster. Nachdem dieser Zweck verschwunden ist, bleibt die Frage, was ich nun bin ... was ich sein kann.

Wir Haluter haben unseren Frieden mit einer entsetzlich grausamen Vergangenheit gemacht. Dasselbe gilt für mich. Die Suche nach dem Sinn des Lebens stellt bereits die falsche Frage. Denn sie setzt voraus, dass alles nach einem Plan geschieht, dass Leben und Evolution ein Ziel haben.

Das einzige Ziel, das existiert, ist jedoch man selbst.

Die Existenz ist die Antwort.

Werde, was du sein kannst.

Dass ich dies begriffen habe, verdanke ich, gleichgültig wie groß meine Intelligenz sein mag, dem Zusammentreffen mit den Menschen.

Im Vergleich zu uns Halutern hat sie die Natur stiefmütterlich ausgestattet, und dennoch ...

Es ist nicht so, dass jeder Mensch eine Zierde für das Universum ist – ganz und gar nicht. Aber die Menschen haben unglaubliche Anlagen. Sie können bösartig und dumm sein, in einem beinahe unfassbaren Ausmaß. Gleichzeitig sind sie zu Großem fähig. Das betrifft alle Teile ihrer Existenz. Sie können so intelligent sein, dass es sogar ein Lebewesen mit Planhirn beeindruckt; sie können so großzügig und herzlich sein, dass man es kaum begreifen kann.

Sie alle tragen mörderische, zerstörerische Impulse in sich. Aber gerade diese Spannung treibt sie an, zwingt sie dazu, sich zu entwickeln. Ist es vielleicht so, dass gerade die Abgründe es sind, die zu den wunderbarsten Brücken führen?

Ein Mensch wie Perry Rhodan ist auch unter seinesgleichen etwas Besonderes. Er und die Seinen sind eine Inspiration.

Werde, was du sein kannst!

Eine Weile sind wir einen gemeinsamen Weg gegangen. Aber so etwas ist nie von Dauer.

Ich wurde gefangen und blieb das für eine lange, eine sehr lange Zeit. Wir Haluter können unseren Körper strukturverhärten. Dann gleichen wir einem Stahlbock. Aus diesem Grund habe ich die Zeit überlebt, aber irgendwann wird das, was mich gerettet hat, selbst zum Problem. Eine molekulare Strukturumwandlung dauert selten länger an. In meinem Fall waren es indes viele Jahre. Die Rückwandlung wird dann schwerer, die Zellen gewöhnen sich an den erstarrten, kristallinen Zustand und werden träge.

Ich weiß nicht, ob es dafür einen Präzedenzfall gibt. Davon gehört habe ich nie. Aber ich halte es für möglich, dass ein Haluter in diesem Zustand irgendwann bloß noch eine Statue ist, eine stählerne Skulptur. Beeindruckend, aber bestenfalls dazu gut, den Betrachter gruseln zu lassen.

Ein erstarrtes Monster aus Metall.

Vielleicht ist das ein Hinweis darauf, dass unsere grundsätzliche Natur nie völlig verschwinden wird.

Man denkt in diesem Zustand nicht; was bleibt, sind reine Intuition und ein paar rudimentäre Gefühle.

Ich hatte mich damit abgefunden.

Und wieder waren es die Menschen, die den Ausschlag gaben. Sie fanden und befreiten mich aus diesem unwürdigen Gefängnis. Die Folgen der Gefangenschaft sind erheblich, aber mein Zustand bessert sich. Ich liege in der Medostation eines überaus beeindruckenden Raumschiffs. Es nennt sich SOL: eine gewaltige Hantel von viertausend Metern Länge und einem Maximaldurchmesser von tausendneunhundert Metern. Die Menschen haben ihre ersten Lehrmeister, die Arkoniden, längst überflügelt. Ich erinnere mich nicht daran, dass diese je eine solche Konstruktion erschaffen hätten.

Ich lausche in mich hinein und versuche, mir darüber klar zu werden, wie es mir geht. Der menschliche Arzt, Doktor Breiskoll, gibt sich alle Mühe, aber er weiß kaum etwas über die Biologie von bestienähnlichen Lebewesen. Ich fühle eigenartig taube Bereiche in mir. Dort reduziert sich die Verhärtung nur langsam. Aber immerhin tut sie es.

Dass ich nach wie vor angegriffen bin, zeigt mir mein Planhirn. Es hat die Kapazität einer Positronik, aber ständige Gefühle von Déjà-vu beweisen, dass die Denkvorgänge der beiden Gehirne nicht vollständig synchronisiert sind. Das ist verwirrend ... und lästig, aber es wird sich geben. Der Tertiärknoten, der die ethischen Beurteilungen koordiniert, ist kein Problem. Immerhin.

Der Duft von Kriecheschen gemahnt mich an die Zeit der Starre. Warm und fruchtig, war er ein Eindruck, der mich in der Realität hielt. Ich liebe diesen Duft, er erinnert mich an Halut.

Es ist eine Illusion, das weiß ich. Sie steht für Heimweh, Sehnsucht in einer Situation, die aussichtslos war.

Die Menschen haben mich gerettet.

Ich hatte kaum damit gerechnet, sie wiederzusehen. Für zufällige Begegnungen ist die Galaxis zu groß. Zu viel Platz, zu viel Zeit. Raumzeit in all ihrer Grenzenlosigkeit. Man lebt sich auseinander.

Doch Zufall zeichnet sich eben genau dadurch aus: Er ist unberechenbar.

Ich bin ihnen erneut begegnet. An einem Ort, an dem das kaum zu erwarten war.

Der Augenblick, in dem ich zu mir kam und erkannte, wer mich gerettet hat, war unbeschreiblich.

Rhodanos. Uns verbindet eine Geschichte, die einzigartig ist. Entführungen, Klone, ermordete Freunde und eine Freundschaft, die Raum und Zeit überwindet – immer und immer wieder. Schicksal ist ein Denkkonzept, das mir wesensfremd ist. Aber ich muss eingestehen, dass man in unserem Fall zu einem anderen Ergebnis kommen könnte.

Dies ist die Geschichte unseres Wiedersehens.

II

Präludium: Perry Rhodan

1.

Regeneration

Es war dunkel. Es roch muffig. Nein, es stank. Nach verwesenden Pflanzen und Kadavern.

Der Geruch durchzog das Innere der DOLAN wie ein Miasma der Hölle.

Pesthauch nannte man das früher, dachte Perry Rhodan, während er durch einen Raum stolperte, der vielleicht mal ein Lager gewesen war. Material lag darin verstreut, und er erkannte in den wenigsten Fällen, um was es sich handelte. Er sah Elemente, die eindeutig technisch waren: Kabel, Module, Schnittstellenblöcke. Anderes erinnerte eher an eine Organbank.

Rhodan hielt einmal mehr den Atem an; der Fäulnisgeruch war kaum zu ertragen. Er widerstand der Versuchung, seine Montur in den Verschlusszustand zu bringen. Es mochte unvernünftig sein, aber er fühlte sich der DOLAN verbunden. Piloten vermenschlichten ihre Raumschiffe häufig. Dies war Icho Tolots Schöpfung. Der Haluter hatte sie selbst konstruiert und gebaut. Eine organische Maschine von einer Komplexität, die einzigartig war. Vom Gefühl her weigerte sich Rhodan, darin nur ein Wrack zu sehen.

Das war ein Fehler, wie er im nächsten Augenblick begriff. Der Gestank verstärkte sich plötzlich um ein Vielfaches.

Etwas stürzte auf ihn herab. Es umschloss ihn so schnell, dass nicht mal die Notfallautomatik seinen Falthelm aktivieren konnte. Rhodan ging unter dem Gewicht in die Knie.

Er hatte Schwierigkeiten, zu atmen. Was auch immer ihn gefangen hielt, drückte auf seinen Oberkörper. Wütend versuchte er, sich zu bewegen, aber es war vergeblich. Er wollte nach Taravat rufen, der Schiffsintelligenz der DOLAN, aber er brachte lediglich ein dumpfes Krächzen hervor. Etwas Feuchtes tastete über seinen Mund. Etwas ... Haariges?

Die derzeitigen Lichtverhältnisse an Bord der DOLAN waren miserabel. Sein Schulterscheinwerfer wurde von etwas verdeckt. Er fühlte sich wie in einer Schrottpresse.

Icho Tolot und Tro Khon hatten die Medostation der SOL aufgesucht. Die entsprechende Einrichtung auf dem organischen Haluterschiff war außer Betrieb. Es würde eine ganze Weile dauern, bis sich das seltsame biotechnische Konstrukt erholt haben würde. War er unter Trümmern begraben?

Breckcrown Hayes, der Technokommandant der SOL, hatte Rhodan auf einen merkwürdigen Impuls aufmerksam gemacht, den keiner verstehen oder zuordnen konnte. Es gab nicht viele Personen, die Erfahrungen mit der DOLAN hatten, an Bord der SOL erst recht nicht. Die Einschätzung des organischen Raumschiffs war für primär technisch orientierte Raumfahrer immer ein Problem gewesen. Gefährlich war der Impuls eindeutig nicht, und die Reichweite erstreckte sich nicht über den Rumpf der SOL hinaus.

In diesem Augenblick, als ihm die Masse die Luft abdrückte, begriff Rhodan.

Hunger!, dachte er. Die DOLAN muss sich regenerieren. Die Flucht von EMschen hat ihre Ressourcen endgültig aufgebraucht, und jetzt benötigt sie organische Grundstoffe. Das war nichts anderes als ein Lockimpuls. Ich bin in eine Mausefalle getappt wie ein Anfänger.

Er versuchte mit aller Kraft, den Kopf zu senken, um sehen zu können, worin er gefangen war. Als es ihm gelang, wünschte er sich sehnlichst, er hätte es nicht getan.

Um ihn wand sich ein enges, dichtes Geflecht weißer Fäden, die sich ständig bewegten und weiterwuchsen.

Wurzeln ... Pseudopodien, schoss es ihm durch den Kopf. Er spürte, wie sie über seine Gesichtshaut wanderten, das Gefühl war furchtbar: feucht, zudringlich und widerwärtig. Ein leichtes Brennen kam dazu.

Die Fäden zuckten und bebten, waren geisterhaft bleich und versuchten offenbar, ihn anzuwurzeln. Zwischen ihnen bewegte sich eine weißlich gelbe, zähe Masse, die umherkroch und nach unten tropfte. Die Konsistenz war blasig. Wenn eine davon platzte, machte sich ein betäubender Aasgeruch breit.

Rhodan hustete und rang nach Luft.

Ein saugendes Geräusch, zu Beginn kaum wahrnehmbar, wurde lauter und lauter. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte jeder begriffen, dass dies ein organischer Vorgang war, kein technischer.

Verdauung! Aber wie ist das möglich? Warum tut Taravat nichts dagegen? Die Künstliche Intelligenz kennt mich. Die DOLAN mag eine Mischung aus Technik und Biologie sein, aber ...

Die Fäden wuchsen weiter. Bald würden sie ihn komplett zugewuchert haben, in seinen Organismus vordringen. Er würde zu Nahrung werden.

Der Albtraum eines Menschen, dachte Rhodan, während er sich mit aller Kraft abmühte, die Arme zu bewegen. So ist das, wenn man nicht mehr an der Spitze der Nahrungskette steht. Das hier ist fressen ... und gefressen werden. Die Urangst schlechthin.

Das Brennen auf den bloß liegenden Hautpartien wurde intensiver. Rhodan ahnte, warum das so war. Die Fäden sonderten Verdauungssekrete ab, die jene biologischen Grundsubstanzen aufschließen sollten, welche die DOLAN zur Regeneration benötigte. Das Raumschiff bestand, neben den rein technischen Eingeweiden, aus genetisch neutraler Zellularmasse, die denen des halutischen Organismus nachgebildet war. Icho Tolot hatte sie weiter spezialisiert. Derzeit waren fraglos Protokolle aktiv, um die abgestorbenen Zellmassen zu ersetzen. Rhodan wusste aus der Vergangenheit, dass die DOLAN eigene Zellen klonen und heranzüchten konnte, aber dieser Vorgang war wohl zu zeitaufwendig. Sie nahm gegenwärtig, was sie bekommen konnte: ihn.

Der Druck auf seinen Körper nahm zu. Er konnte kaum atmen, die Luft wurde knapp und der Gestank war allgegenwärtig. Aus dem weißlichen Fadengewirr schoben sich dickere Stängel nach oben.

Vielleicht ist es auch etwas anderes, überlegte Rhodan. Eine Immunreaktion. Die Schiffsysteme könnten derart beschädigt sein, dass sie mich für einen Krankheitserreger halten. In jeden Fall, fürchte ich, wird das Ergebnis so ziemlich dasselbe sein.

An den Stängeln begannen kleine Kugelgebilde zu wachsen. Während sich die zähe Hauptmasse gelb verfärbte, wurden die Kugeln strahlend blau. Ein feiner Flaum spross darauf, bis er langen Baumwolltrichomen ähnelte. Die Fruchtkörper schwollen weiter an.

Wenn sie platzen, werde ich nicht verhindern können, dass Sporen in meinen Körper gelangen, dachte Rhodan panisch. Ich bin unsterblich, werde aber von einem Pilz verdaut. Wenn das keine Ironie ist!

Die Fäden zogen sich um seine Handgelenke zusammen, als wollten sie ihn fesseln.

Sie stellen mich ruhig, damit ich auf keinen Fall ausweichen kann.

Der Druck auf seinen Brustkorb presste ihm die restliche Luft aus den Lungen. Er würde automatisch einatmen, sobald das möglich war. Die Sporen würden tief in seine Lungen transportiert werden.

Diese Aussicht war entsetzlich. Ihm wurde schwarz vor Augen.

Ohrenbetäubendes Brüllen war mit einem Mal zu hören. Er hörte etwas poltern, dann rissen ihn Hände aus dem schmatzenden Gefängnis heraus. Perry Rhodan fühlte sich für einen Augenblick wie eine Marionette, die jemand hin und her schwenkte, um ihre Beweglichkeit zu prüfen. Ihm war schwindlig.

»Kommen Sie, Sir!«, hörte er eine raue Stimme.

Reste der fädigen Masse klebten an seinem Kopf, über Stirn und Augen. Angewidert schob Rhodan sie weg, dann erst konnte er wieder etwas sehen.

Direkt vor ihm stand ein großer, sehr breiter Mann mit kurzen, dunkelgrauen Haaren und derben Gesichtszügen.

»Mister Hayes.« Rhodan räusperte sich. Für ihn selbst klang es, als spräche er durch ein rostiges Metallrohr. »Ich danke Ihnen.«

Breckcrown Hayes trat einen Schritt zurück, als fühle er sich in zu großer Nähe von Rhodan unwohl. »Das nächste Mal hören Sie auf mich. Ich weiß nicht viel über die DOLAN, aber dass ein sich regenerierendes, biotechnisches Raumschiff unberechenbar ist, darauf komme sogar ich.«

Rhodan zog einen großen Fladen des merkwürdigen Gewebes von seinen Schultern und richtete sich auf. Ringsum sah er die organische Grundstruktur der DOLAN. Sie erinnerte ihn an das Aderngeflecht eines im Herbst vermoderten Blatts. In den Zwischenräumen hatte sich eine Membran gebildet. Das Schiff musste seine Bausubstanz auffüllen.

Hayes hat recht. Das war ausgesprochen dämlich!, dachte er.

»Wie konnten Sie mich aus dieser Masse herausziehen?«, erkundigte er sich. »Das Zeug ist verdammt zäh ... und es war stark.«

»Oh, das war nicht ich.« Hayes deutete über Rhodans Schulter hinweg.

»Rhodanos!«, sagte jemand. Die Stimme war laut, ähnelte einem Donnergrollen.

Rhodan drehte sich um. »Tolotos!«

Die riesige Gestalt des Haluters wirkte im trüben Dämmerlicht beinahe wie ein Felsblock. Dreieinhalb Meter groß, mit zwei Säulenbeinen und vier Armen, schwarzer Haut und drei roten Augen. Icho Tolot hatte sich nicht verändert.

Nein, das stimmte nicht. Der Haluter wirkte mitgenommen. Rhodan hatte den Freund bereits auf EMschen wiedergesehen, aber er war wie sein Begleiter Tro Khon in einem schlechten Zustand gewesen. Gefangen in einer Falle der Loower oder Vorläufer, hatten sie ihre Zellstruktur molekular verhärtet, für eine offenbar sehr lange Zeit. Der Körper glich in diesem Zustand eher einem kompakten Block aus Hochleistungsstahl. Nur auf diese Weise hatten sie überleben können, aber es hatte ihnen massiv geschadet.

»Wie kommst du hierher?«, fragte Rhodan. »Ich hatte angenommen, du lägest in der Medostation. Und wenn ich dich so anschaue, ist das genau der richtige Ort.«

Tolot bewegte sich nicht, aber er lachte. »Ich habe größten Respekt vor Doktor Breiskoll, aber es gibt nicht sehr viel, was er für mich tun konnte. Die Behandlung von Halutern oder Bestien übersteigt seine Erfahrung. Letztlich waren nur eine ausgiebige Mahlzeit und ein wenig Ruhe nötig. Nun ja ... mehrere Mahlzeiten. Es geht mir besser. Du weißt, wir halten einiges aus.«

»Mein alter Freund«, sagte Rhodan. »Es ist schön, dich wiederzusehen!«

Tolot griff nach ihm und hob ihn an. »Mein Kleines, ich freue mich. Ich fürchte, ich bin schuld an deinem Missgeschick.« Wie alle Haluter war Tolot eingeschlechtlich, ab und an brachen deshalb seine Mutterinstinkte durch.

»Missgeschick ist gut«, kommentierte Hayes. »Ein Missgeschick ist es, wenn man sich den Daumen in einem Jokkatransformer einklemmt oder sich in den Fuß schießt. Das tut weh, aber man wird nicht komplett zum Snack!«

Rhodan säuberte seine Montur von den Resten der Fäden. »Das werde ich für den Rest meines Lebens aufs Brot geschmiert bekommen. Gucky wird es genießen. Aber Mister Hayes hat recht, oder? Dein Schiff wollte mich in seine Biomasse übernehmen? Und wieso ist das deine Schuld, abgesehen davon, dass du die DOLAN gebaut hast?«

Hayes riss die Augen auf. »Persönlich?«, fragte er nur.

Tolot setzte Perry Rhodan ab. »Das ist richtig, Mister Hayes. Und schuld bin ich, weil ich es unterlassen habe, die Biomassenakquise abzuschalten, als ich die DOLAN verließ. Ich fürchte, ich war nicht ganz bei mir. Sie sehen, in welchem Zustand die DOLAN ist – der meine war leider ebenso prekär.«

»Sie fressen aber keine Leute auf, oder?«, fragte Breckcrown Hayes und wich ein wenig zurück.

Icho Tolot lachte laut auf. Hayes verzog das Gesicht.

»Meine Denkfähigkeit übersteigt die der DOLAN deutlich. Ihre Überlebensinstinkte können daher einige andere Routinen überlagern. Ein Lebewesen ohne Überlebenstrieb ist nicht denkbar. Wenn es eine gewisse Komplexitätsstufe überschreitet, erst recht nicht. Die DOLAN besteht aus neutraler Zellularmasse, wie Sie wissen. Die ist unserer eigenen Biostruktur nachgebildet – und recht anspruchsvoll. Taravat kann das Selbsterhaltungssystem leider nicht in allen Fällen kontrollieren. Die Künstliche Intelligenz ist momentan nicht in Bestform. Die Biomassenakquise nicht abzuschalten, ist somit unverzeihlich. Ich fürchte, es ist noch nicht vorbei.«

Ein dumpfes Gurgeln drang aus den Tiefen des Schiffs.

2.

Fresssucht

Perry Rhodan fröstelte. Offenbar war sogar Icho Tolots Zugriff auf die Systeme der DOLAN gestört. Für einen Haluter, der mit einem Ordinär- und einem Planhirn die Denkkapazität einer Hochleistungspositronik erreichte, war das ein peinliches Eingeständnis.

»Die DOLAN hat eine an die Umgebung angepasste Lockwarnung ausgestrahlt. Das hat Mister Hayes aufgefangen ... und du warst neugierig genug, nachzusehen. Du bist biologisch unsterblich, mein Kleines. Für die DOLAN wärst du ein Leckerbissen gewesen. Superfood sozusagen.«

»Ich danke!«, sagte Rhodan trocken. Dann verzog er angewidert das Gesicht und zog einen langen, weißen Faden aus der Nase. Er war anders als das Grundmaterial. Die rötlich braune Masse, aus der das Raumschiff bestand, ähnelte im trüben Dämmerlicht eher gehämmertem Kupfer. Sie fühlte sich an wie festes Gummi. Rhodan beobachtete, wie sich die Fäden, die ihn beinahe aufgefressen hätten, zu einem Strang zusammenzogen, nach oben wuchsen und sich mit der Decke verbanden. Es roch unverändert muffig, nach altem Waldboden und Pilzen. Der grobe Gestank allerdings hatte abgenommen.

Tolot setzte sich in Bewegung.

»Du kannst diese Biomassenakquise nicht einfach abschalten, vermute ich?«, fragte Rhodan.

»Leider nein. Die DOLAN kämpft um ihr Leben. Zugriff auf diese Ebene bekäme ich nur gemeinsam mit Taravat. Die KI steckt aber, wie du ja erlebt hast, selbst in Schwierigkeiten. Der Biomassennotstand trifft sie ebenso wie den Rest des Schiffs.«

Der Haluter sah sich intensiv um. Rhodan glaubte, seine Unruhe zu spüren. Seine Augen waren nicht annähernd so leistungsstark wie die von Tolot. Allerdings nahm auch Rhodan wahr, dass sich in ihrer Nähe immer wieder Ausstülpungen in den Wänden und der Decke bildeten. Aus den Fibromen drängten die bekannten weißen Fäden.

Neben Rhodan schüttelte Breckcrown Hayes den massigen Kopf. »Sie reden von diesem Raumschiff, als sei es tatsächlich am Leben. Ich dachte, es handele sich um Biotechnik.«

Tolot öffnete den Mund und zeigte das mörderische Gebiss aus Kegelzähnen. »Wo sollte man da die Grenze ziehen, Mister Hayes?«

Der Technokommandant kratzte sich am Kopf. »Tja ..., wenn ich das wüsste! Übrigens: Sie wissen, dass man sich in die Hosen machen könnte, wenn Sie grinsen?«

Tolot schloss den Rachen. »Das tut mir leid. Das ist in unserer Lage nicht angemessen.«

»In unserer Lage?«, hakte Rhodan nach. »Bedeutet das, du bist ebenfalls in Gefahr, aufgefressen zu werden? Ich hätte niemals erwartet, die DOLAN oder Taravat in einem solchen Zustand sehen zu müssen. Nach der Einschleusung auf die SOL ist das Raumschiff förmlich in sich zusammengefallen.«

»Taravat hat alles getan, um uns zu retten«, antwortete Tolot. »Die KI hat die DOLAN gedopt, damit sie durchhält. Aber wie immer, wenn man Aufputschmittel im Übermaß einsetzt, folgt irgendwann der Zusammenbruch. Die Schiffsintelligenz leidet unter den Beschädigungen der DOLAN. Was glaubst du, wie denkfähig ein Lebewesen wäre, wenn es solche Verletzungen erlitten hätte?«

»Wahrscheinlich wäre ein Mensch ohnmächtig oder läge im Koma«, meinte Rhodan.

Sie gingen durch den Korridor, der zur Außenschleuse führte. Rhodan registrierte besorgt, dass sich, sobald sie einen Bereich hinter sich gelassen hatten, organische Strukturen aus den Wänden schoben, die ihn fatal an Spinnennetze erinnerten. Darauf glänzten dicke Tropfen, und die Farbe war dieselbe wie die der Fäden, die ihn hatten verdauen wollen.

»Ich habe einem Impuls nachgegeben«, sagte Rhodan. »Neugier bringt die Katze um, wie du vielleicht schon mal gehört hast. Wenn ich unvorsichtig in eine solche Falle tappe, ist das nicht deine Schuld. Allerdings hatte ich nicht erwartet, dass die DOLAN ein solches Verhalten an den Tag legen würde. Wie hast du erfahren, dass ich in Schwierigkeiten bin?«

»Mister Hayes kontaktierte die Medostation«, antwortete Tolot. »Er sagte, er wisse im Zweifelsfall nicht, was er innerhalb der DOLAN ausrichten könne.«

Hayes musterte unverkennbar misstrauisch die Umgebung. »Wenn ich mich so umschaue, hatte ich wohl recht. Ich gelte als ziemlich guter Ingenieur, aber hier wüsste ich nicht mal, wo ich anfangen sollte. Geben Sie mir Kabel, Energiespulen, egal was. Damit kann ich arbeiten. Aber ich habe weder Thermometer noch Pflaster oder Skalpell bei mir. Bei diesem Raumschiff muss man keine Schraube festziehen, man muss ihm eine Schluckimpfung verabreichen.«

Tolot gluckste. Rhodan gab Hayes ein Zeichen, sich die Ohren zuzuhalten. Der Technokommandant reagierte gerade noch rechtzeitig, da brüllte der Haluter bereits los und ließ seiner Heiterkeit freien Lauf.

Als er sich beruhigt hatte, war Hayes bleich im Gesicht. »Besuchen Sie bloß keine der kleinen Stand-up-Comedian-Bars, die's an Bord gibt. Sie blasen das Publikum ja direkt auf die Bühne!«

Tolot hatte sich im Griff, aber in seinem Brustkorb kollerte es wieder verdächtig. Währenddessen öffnete er ein letztes Schott. Der Ausgang war nah. Tolot winkte den beiden Menschen zu, ihm zu folgen. Als sie die Außenschleuse erreichten, öffnete er eine Kommunikationsschnittstelle in der braunen Wand. Ein lappenartiger Verschluss rollte sich zur Seite. Der Haluter kontaktierte Taravat und erteilte einige Anweisungen, die weitere Unfälle verhindern sollten.

Taravats Stimme klang brüchig. Die Künstliche Intelligenz machte einen erschöpften Eindruck, der so gar nicht zu einer Positronik passen wollte. »Mister Rhodan, ich bin wirklich untröstlich über das, was Ihnen an Bord zugestoßen ist. Bitte verzeihen Sie mir meine Unzulänglichkeit. Ich hoffe, es geht Ihnen gut?«

Rhodan hob grüßend die Hand, obwohl er nicht wusste, wo die fotosensiblen Zellen zu suchen waren. »Es geht mir gut, Taravat. Danke der Nachfrage. Es gibt nichts zu entschuldigen, und ich hoffe, du hast dich einigermaßen erholt.«

»Ich habe Hunger«, gestand Taravat heiser. »Aber ich bin überglücklich, dass Sie mir meine Schwäche nicht nachtragen, Mister Rhodan.« Mit jedem Satz klang er wieder stärker nach einem englischen Butler. Langsam verbesserte sich die Qualität der Sprachwiedergabe. »Dennoch liegt die Schuld bei mir. Sie sind in Bedrängnis geraten, während ich für Ihre Sicherheit verantwortlich war. Es fällt mir schwer, das zuzugeben, aber ich war wohl ... weggetreten, wie ein Mensch das nennen würde.«

Hayes mischte sich ein. »Wir könnten überschüssige Biomasse zur Verfügung stellen, wenn das der Rekonvaleszenz dient.«

Taravat räusperte sich. »Das kann ich nach dem misslichen Vorfall auf keinen Fall erwarten. Ich fühle mich, als müsste ich eine ganze Biosphäre verzehren. Es ist demütigend. Aber es wäre eine große Hilfe, das kann ich nicht abstreiten.«

»Das dachte ich mir«, sagte Hayes zufrieden. »Ich werde die notwendigen Gespräche führen. Sir?«

Rhodan nickte. Die SOL produzierte Biomasse vielerlei Art. Hayes kontaktierte jemanden, den Rhodan nicht kannte, danach wirkte er beruhigt.

Als sie die DOLAN endlich verließen, atmete Rhodan auf. Er fragte sich, ob er dieses Raumboot jemals wieder ohne Vorbehalte würde betreten können.

Auch Hayes wirkte erleichtert. »Wir hätten eine Bioschutzzone der Stufe vier einrichten sollen«, sagte er. »Aber wer rechnet denn mit so etwas?«

»Nun, ich eindeutig nicht«, stellte Rhodan fest.

Die DOLAN wirkte von außen nun relativ normal, wahrscheinlich baute sie den Rumpf zuerst wieder auf.

»Gehen wir etwas zur Seite«, bat Hayes. Flexible Leitungen schoben sich an das Haluterschiff und koppelten an. »Das ist erledigt«, verkündete der Technokommandant.

»Wir sollten uns unterhalten«, wandte sich Rhodan an Tolot. »Wir sind alle mächtig gespannt darauf, was du uns zu berichten hast. Ist es ein Zufall, dass wir dich nach dem Scheitern von Projekt Laurin in Messier Drei treffen?«

»Tatsächlich wäre ich beinahe ... gestorben«, sagte Tolot. »Damit meine ich nicht den Nistor! Aber ich denke, das sollte ich an einem Stück erzählen. Ein Zufall ist es nicht, aber ich bin mir nicht sicher, ob euch klar ist, was in M Drei vor sich geht. Ich selbst kann das von mir nicht behaupten.«

Rhodan zog die Augenbrauen nach oben. »Sagtest du Nistor?«

»Exakt. So nannte sich die technische Intelligenz, die die Falle ausgelöst hat. Oder es handelte sich um die Falle selbst. Das zu entscheiden, ist schwer. Du kennst den Namen, Rhodanos?«

Rhodan nickte. »Das will ich meinen. Vielleicht haben auch wir dir einiges zu erzählen.«

»Das trifft gewiss zu, Rhodanos«, sagte Tolot. »Und um auf deine Frage zurückzukommen: Ich weiß nicht viel über euer Projekt Laurin, ich bin seit mehr als vier Jahren in M Drei. Ich kam auf Umwegen von Halut. Du erinnerst dich an den Datenträger, den ich damals von Layl mitgebracht habe? Er war einer der Gründe. Tro Khon ist sehr viel länger hier, aber das wird er selbst schildern wollen. Ich bin nicht sicher, ob man die Dauer seiner Reise überhaupt exakt festlegen kann. Begonnen hat sie damals, als ANDROS ins Sonnensystem kam, auf dem Transneptunischen Objekt Orcus. Was er zu sagen hat, wird einige andere Fragen ebenfalls beantworten ... über verschwundene Freunde.«

Rhodan sah ihn überrascht an. Er war neugierig geworden, aber er war sicher, dass der Haluter alles erzählen würde, was er wusste. Zumindest wenn man es ihn auf seine eigene Art tun ließ.

»Dann sollten wir einige Leute zusammenrufen«, schlug Rhodan vor. »Wie du dir vorstellen kannst, bin ich nicht der Einzige, der neugierig ist. Ist auch Tro Khon so weit, oder benötigt er noch Ruhe?«

Tolot brummte dumpf. »Selbst wenn das der Fall wäre, würde er es nicht zugeben. Als ich die Medostation verließ, justierte Doktor Breiskoll gerade die Amputationsdämpfer. Khon wird mittlerweile bereit sein. Er hat allerdings sehr viel mehr durchgemacht als ich und wird sehr schlechte Laune haben, sogar für seine Verhältnisse.«

Rhodan schickte gerade einige Textbotschaften ab, als Gucky materialisierte.

»He, Großer!«, sagte der Ilt zu Tolot. »Wenn du nicht so laut bist, nehme ich dich mit.«

Tolot winkelte einen der Handlungsarme ab, und der Mausbiber teleportierte. Auf der Schulter des Haluters rematerialisierte er und ruckelte sich zurecht.