Perry Rhodan Neo 330: Die neue Macht - Olaf Brill - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan Neo 330: Die neue Macht Hörbuch

Olaf Brill

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Beschreibung

Im Jahr 2116: Nachdem die Menschen zahlreiche Schwierigkeiten überwunden haben, hoffen sie nun auf eine friedliche Zukunft. Sowohl auf der Erde als auch auf den Kolonialwelten arbeitet man vertrauensvoll an gemeinsamen Projekten, häufig mit den Partnern aus anderen Sternenreichen zusammen. Doch schon kündigt sich die nächste Bedrohung an – sie bezeichnet sich als Primat. Sie erscheint anfangs schwach, aber ihr Einfluss wächst. Primat entwickelt eine mysteriöse Gabe. Materie und Energie verwandeln sich in tödliche Waffen mit einer klaren Zielperson: Perry Rhodan. Denn der Terraner wird – so heißt es – in Kürze eine Katastrophe über die Milchstraße bringen. Perry Rhodan und seine Gefährten müssen den Kampf aufnehmen gegen DIE NEUE MACHT ...

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Band 330

Die neue Macht

Olaf Brill

Cover

Vorspann

1. Laumae

2. Perry Rhodan

3. Laumae

4. Reginald Bull / Thomas Rhodan da Zoltral

5. Laumae

6. Thomas Rhodan da Zoltral

7. Laumae

8. Perry Rhodan

9. Thomas Rhodan da Zoltral

10. Perry Rhodan

11. Gucky

12. Perry Rhodan

13. Laumae

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

Im Jahr 2116: Nachdem die Menschen zahlreiche Schwierigkeiten überwunden haben, hoffen sie nun auf eine friedliche Zukunft. Sowohl auf der Erde als auch auf den Kolonialwelten arbeitet man vertrauensvoll an gemeinsamen Projekten, häufig mit den Partnern aus anderen Sternenreichen zusammen.

Doch schon kündigt sich die nächste Bedrohung an – sie bezeichnet sich als Primat. Sie erscheint anfangs schwach, aber ihr Einfluss wächst. Primat entwickelt eine mysteriöse Gabe. Materie und Energie verwandeln sich in tödliche Waffen mit einer klaren Zielperson: Perry Rhodan.

Denn der Terraner wird – so heißt es – in Kürze eine Katastrophe über die Milchstraße bringen. Perry Rhodan und seine Gefährten müssen den Kampf aufnehmen gegen DIE NEUE MACHT ...

1.

Laumae

Es gab einen Knall. Ein schwarzer Riss zog sich über den Himmel.

Der Junge fiel aus großer Höhe, jedenfalls glaubte er das. Sein Schrei riss ab, als er hart mit den Füßen aufprallte. Er stürzte auf die Knie, schrammte sie sich auf. Er versuchte, sich mit den Händen abzustützen, knickte aber sofort um und knallte aufs Gesicht, blieb zitternd liegen, atmete schnell ein und aus.

Er war auf einen Planeten gefallen, mit anscheinend normaler Schwerkraft. Andernfalls hätte er sich bei dem Sturz alle Knochen gebrochen.

Als sein Atem ruhiger wurde, öffnete er die Augen, blinzelte einen Schleier aus Tränen und verkrustetem Schleim fort.

Zu allen Seiten erstreckte sich eine weite Landschaft, eine nur spärlich mit Gräsern und gedrungenen Sträuchern bewachsene, rötlich-braune Steppeneinöde. Eine heiße Sonne brannte herab, in der Ferne flimmerte die Luft, ein rauer Wind täuschte Abkühlung vor.

Immerhin: Die Luft war atembar, obwohl sie heiß und trocken in die Lunge stach. Welcher Planet war das?

Der Junge rappelte sich halbwegs auf, griff in den Boden. Rostrote, grobe Sandkörner rieselten durch seine Finger. Seine Hände waren schmutzig und verschrammt. Aber, wie er zu seiner Verwunderung feststellte, weich und zart. Es waren Kinderhände oder die eines Jugendlichen.

Verwirrt fasste er sich ins Gesicht. Fuhr mit den Fingern über Stirn und Wangen. Versuchte, seine Gesichtszüge zu erspüren. Welch unsinniges Verhalten! Wenigstens schien er nicht ernsthaft verletzt zu sein.

Zitternd richtete er sich ganz auf, stand unsicher auf dünnen Beinen.

Der Junge hob den Kopf, kniff die Lider zusammen. Der schwarze Riss am Himmel schien sich in kräuselnde Schlieren aufgelöst zu haben, die schnell zerfaserten und dann ganz verschwanden, als habe es sie nie gegeben. Hatte er das Ganze nur halluziniert?

Undeutliche Bilder geisterten durch seinen Kopf.

Für einen Moment glaubte er, über sich eine wirbelnde Scheibe zu sehen. Nein, es war keine Scheibe, sondern eine nachtfinstere Leere, hinter der unvorstellbare Gewalten lauerten. Ein Kranz aus Licht umkreiste das schwarze Loch wie eine Gruppe tanzender Dämonen, die sich an den Händen hielten, nur um sich fröhlich in den Abgrund zu stürzen. Ein blauer Strahl aus wirbelnden Teilchen fuhr daraus herab und erfasste den Jungen.

Er warf die Arme hoch und schloss die Augen, erwartete demütig sein Schicksal.

Doch da war – nichts. Als er die Lider zaghaft wieder öffnete, erblickte er bloß noch blauen Tageshimmel, klar und unschuldig, ohne wirbelnde Löcher im Universum und tanzende Dämonen. Linker Hand schwebte ein blasser Dreiviertelmond. Ihm war, als habe er diesen Mond schon mal gesehen.

Der Junge streckte die Hand aus, als könne er so den wirbelnden Mahlstrom neu herbeizaubern. Er wollte ihn wieder entstehen lassen und sich dessen Sog ganz hingeben. Er spürte, dass er eine Verbindung zu diesem kosmischen Phänomen hatte. Als sei er soeben aus ihm geboren, auf den Boden dieses Planeten geschleudert und dann alleingelassen worden.

Was selbstverständlich Unsinn war. Er mochte nur ein Junge sein. Aber er war beinahe erwachsen. Dennoch hatte er keine Erklärung dafür, was mit ihm geschehen war. Er spürte, dass die Antwort irgendwo dort oben lag, am Himmel.

»Hey, wo ...?«, schrie er und drehte sich einmal um sich selbst. Seine Stimme klang krächzend, dennoch hell, fast weinerlich, was ihn beschämte. Er nahm sich zusammen und rief noch mal, fester: »Wo bin ich? Kann mir jemand helfen?«

Es gab dringendere Probleme, als die Frage zu klären, wie er an diesen Ort gekommen war. Er brauchte Wasser und einen Platz im Schatten. Die Sonne brannte heiß, und in dieser Landschaft war weit und breit niemand, der ihm zu Hilfe kommen würde.

Ungelenk stapfte der Junge los, quer durch die Wüste – dorthin, wo er in der Ferne einige schützende Felsen erspähte.

Trockener Wind blies über seine zerrissenen Lippen. Seine Stirn brannte. Die Luft über der Steppe flimmerte.

Wie lange taumelte er bereits durch diese Landschaft? Stunden, Tage? Oder waren nur ein paar Minuten vergangen, seit er in den roten Sand gestürzt war? War er in Wahrheit keinen Schritt vorangekommen?

Nein, das konnte nicht sein. Vor ihm lagen schon die Gesteinsbrocken, die gerade noch meilenweit entfernt angemutet hatten, wie riesige Eier, die ein Laufvogel in die Wüste gelegt und vergessen hatte.

Die Aussicht auf kühlenden Schatten weckte neue Kräfte in dem Jungen. Seine Beine schmerzten bei jedem Schritt. Trotzdem setzte er die Füße voreinander, hölzern und steif, aber immer schneller.

Als er die Felsen erreichte, stolperte er und stürzte. Er kroch auf allen vieren weiter, zog sich mit letzter Energie zu einem ovalen, porösen Stein, der groß genug war, dass auf der sonnenabgewandten Seite eine schattige Zuflucht entstand. Eine armlange Echse huschte davon, die wohl dieselbe Idee gehabt hatte wie der Junge. Kurz blieb das Tier noch mal im Wüstensand stehen und starrte zurück, als sei es empört, aus seinem Versteck vertrieben zu werden. Dann trollte es sich.

Der Schattenplatz gehörte nun dem Jungen. Erleichtert brach er dicht beim Eierfelsen zusammen.

Als er das Bewusstsein wiedererlangte, merkte er sofort, dass etwas verkehrt war: Die Sonne war weitergewandert, der Schattenplatz lag nun in der prallen Hitze. Sein Versteck war nichts mehr wert. Er musste auf die andere Seite des Steins kriechen. Aber hatte er dazu noch die Kraft? Und selbst, wenn: Wie sollte er jemals wieder von da wegkommen oder gefunden werden? Würden die Lebewesen, die diesen Planeten bevölkerten, eines Tages sein an den Felsen gelehntes Skelett finden? Würden sie irgendwann sein Rätsel lösen, oder würde es ein ewiges Mysterium bleiben?

Und da war noch etwas anderes, das nicht stimmte: Vor ihm im Sand, nur wenige Körperlängen entfernt, kam mit mäandernden Bewegungen ein längliches Tier auf ihn zu. Es hatte rotbraune Schuppen und zwei große, dunkle Augen, die den Jungen kalt fixierten: eine Schlange. Knapp vor ihm verharrte sie für einen Moment, hob den Kopf und ließ ihre gespaltene Zunge hervorflackern. Betörend langsam öffnete sie das Maul und zeigte zwei spitze, vorgereckte Zähne. Es bestand kein Zweifel: Gleich würde sie angreifen.

Was der Junge nun erlebte, geschah im Bruchteil von Sekunden. Die Schlange schnellte nach vorn. Der Junge hob die Hand und schloss die Lider. Er war abermals bereit, sich seinem Schicksal zu ergeben. Gleichzeitig wünschte er sich, etwas würde die Schlange einfach in Luft auflösen oder verbrennen.

Der Junge riss die Augen wieder auf. Eine Feuerwand loderte zwischen ihm und der Schlange empor. Der Wind blies die Flammen in Richtung des Tiers. Die Schlange zischte und schreckte zurück. Bevor der Junge wusste, wie ihm geschah, stand plötzlich ein Mann vor ihm. In der einen Hand hielt er einen Holzstock mit einer Astgabel am vorderen Ende, in der anderen einen großen Sack.

War es der Mann gewesen, der die Feuerwand erzeugt und die Schlange zurückgetrieben hatte? Ebenso schnell, wie das Lohen gekommen war, hatte es sich in einen Hauch von schwarzem Rauch verwandelt, der rasch verwehte.

Mit einer schnellen Bewegung stieß der Fremde seinen Gabelstecken auf das Tier hinab und fixierte den Kopf der Schlange. Sie schlug mit dem Schwanz aus, aber schon packte der Mann die Giftnatter. Er ließ den Stock fallen und hielt die Schlange so im Griff, dass ihre Zähne ihn nicht erreichen konnten. Dann beförderte er sie in den mitgebrachten Sack und zog ihn mit einem Band zu.

Der Junge merkte, dass er die ganze Zeit den Atem angehalten hatte. Erleichtert stieß er alle Luft aus, die in seiner Lunge war, und wurde fast wieder ohnmächtig. Schwer atmend, blieb er liegen und blickte zu seinem Retter hoch.

Es war ein alter Mann mit dunkler Haut und einer breiten Nase. Er trug eine Jeanshose und ein kakifarbenes Hemd. Haare und Bart waren weiß und struppig, seine Augen schwarz wie tiefe Brunnen. Er beugte sich zu dem Jungen herab und reichte ihm die Hand.

Der Junge ergriff sie. Es war eine raue, kräftige Hand. Der Mann zog ihn auf die Beine, bis der Junge etwas zittrig stand. Sie waren etwa gleich groß, auch wenn der Junge schmächtiger und zerbrechlicher war als der robuste Fremde.

»Ich bin Gurumarra«, sagte der Mann und zeigte auf den Sack, in dem er die Schlange gefangen hatte. »Gefährliche Nyinngi. Das ist ein Taipan! Du wirst ihn hier häufig finden, immer dort, wo du ihn nicht erwartest. Ebenso wie die Liru, die ihr King Brown nennt. Aber das Gift des Taipans ist das gefährlichste von allen. Fünfzigmal stärker als Gift einer Kobra. Der Taipan hätte dich töten können.«

Kurz wunderte sich der Junge, warum er den Mann verstehen konnte. Nicht jeden Begriff, aber die meisten Wörter. Benutzten sie die gleiche Sprache?

»D... danke«, stotterte der Junge. »Wie haben Sie das mit dem Feuer gemacht? War das ein Energiestrahler?«

Gurumarra hob den Stock auf, mit dem er den Kopf des Taipans festgehalten hatte, und stampfte den Stab spielerisch auf den Boden. »Wir Anangu benutzen keine Energiestrahler«, sagte er geheimnisvoll. »Nicht, wenn es sich vermeiden lässt.«

Bevor der Junge nachfragen konnte, ertönten in Gurumarras Rücken zwei aufgeregte Stimmen.

»Bei allen Geistern der Wüste, geht es dem Jungen gut? War das wirklich ein Taipan?«, rief eine Frau, die schon älter sein musste, aber durchaus resolut klang.

»Marge, vergiss das Wasser nicht. Bring dem Jungen das Wasser!« Das war ein älterer Mann, der es gewohnt zu sein schien, seiner Frau Dinge hinterherzutragen.

Zweifellos waren die beiden ein Paar, und zwar seit Langem. Der Junge war sich nicht sicher, ob sie ihm gefielen.

Da erst bemerkte er, dass hinter Gurumarra ein kleiner Gleiter geparkt war, ein Viersitzer, der ursprünglich rot angemalt gewesen sein musste. Aber die Farbe blätterte überall ab und gab den Blick auf zerkratzten, wettergegerbten Metallverbundstoff frei. Das Fahrzeug wies diverse Beulen auf und mochte schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Leicht schwankend schwebte es eine Ellenlänge über dem rötlichen Wüstenboden.

Der Mann, ein rüstiger älterer Herr mit einem gewaltigen Schnurrbart, winkte mit zwei Wasserflaschen. Die Frau, die eine Latzhose und ein geblümtes Hemd trug sowie feurige rote Haare hatte, wartete ungeduldig.

Als ihr Mann heran war, riss sie ihm beide Flaschen aus der Hand. Dann kam sie eilfertig heran. »Hier, nimm! Du musst ja völlig überhitzt sein!«

Dankbar ergriff der Junge beide Gefäße und leerte das erste fast in einem Zug. Er hatte nicht gewusst, dass bloßes Wasser so herrlich schmecken konnte. Er drehte den Deckel der zweiten Flasche ab, nahm nun etwas besonnener ein paar weitere Schlucke.

Die Frau, die offenbar Marge hieß, hatte eine sonnengebräunte Haut und dicke Finger. Ihr Mann mit dem Schnurrbart war beinahe so schwarz wie Gurumarra. Erwartungsvoll sahen sie dem Jungen beim Trinken zu.

Als sie ihre Neugier wohl nicht mehr zurückhalten konnte, fragte Marge: »Und wer bist du, Junge mit den blauen Haaren?«

Verblüfft fasste er an seinen Schopf. »Blaue Haare?«

»Aber ja. Weißt du denn nicht mehr, wie du aussiehst? Die Kinder aus der Großstadt färben sich heutzutage ja alle die Haare. Kommst du aus Sydney oder Adelaide?«

»Marge!«, tadelte der Mann mit dem Schnurrbart seine Frau. »Sydney und Adelaide sind mehr als tausend Kilometer voneinander entfernt, und zweitausend Kilometer von hier. Woher willst du wissen, wo er herkommt? Und längst nicht alle Kinder färben sich die Haare. Jengo hat sich niemals die Haare gefärbt. Hör ihm doch erst mal zu.« Er wandte sich wieder an den Jungen. »Woher kommst du, mein Junge? Wie heißt du?«

»Wie ich heiße?«, fragte der Junge. Schlagartig überkam ihn die Erkenntnis, die er die ganze Zeit nicht an sich herangelassen hatte: Er wusste die Antwort nicht. »Wo ich hergekommen bin?« Unwillkürlich sah er zum Himmel hoch.

Marge folgte seinem Blick und pfiff durch die Zähne. »Von da oben kommst du? Bist du vom Himmel gefallen? Bist du etwa mit einem Gleiter abgestürzt?«

Der Junge starrte in die Leere. War er das Opfer eines Unfalls, an den er sich nicht erinnern konnte? Er begriff, dass das nicht sein konnte. Es steckte mehr hinter seiner Ankunft auf diesem Planeten. Denn er konnte sich an gar nichts erinnern. Er wusste nicht, wo er hergekommen war. Er wusste nicht, wer er war. Und er wusste nicht, wohin er unterwegs gewesen war.

Da geisterten nur undeutliche Ahnungen durch seinen Kopf wie Rauchschwaden im Wind. Er wusste oder ahnte vielmehr, dass in dem wirbelnden Mahlstrom am Himmel ein Teil seines Wissens verloren gegangen war. Vielleicht konnte er es eines Tages dort wiederfinden.

»Nun hör auf mit der Fragerei!«, rügte der Mann seine Frau. »Du siehst doch, er ist erschöpft und verwirrt.« Seine Stimme wurde ganz sanft. »Keine Sorge, dir wird das alles wieder einfallen. Du bist in eine Notlage in der Wüste geraten. Kein Wunder, dass du durcheinander bist.« In seinem Blick lag etwas wie eine tiefe Traurigkeit.

Ein schmerzlicher Gedanke durchzuckte den Jungen. Welchen Namen hatten sie vorhin erwähnt – der Junge, der sich niemals die Haare gefärbt hatte? Jengo! War Jengo etwa ihr Kind gewesen, und war Jengo gestorben?

Die kleine Gruppe stand eine Weile um den zerkratzten Gleiter herum. Während sie miteinander redeten, leerte der Junge auch die zweite Wasserflasche. Der Mann mit dem Schnurrbart holte eine dritte aus dem Schweber und reichte sie ihm.

Die beiden hatten sich die Hendersons – Margarethe Henderson, genannt Marge, und Theodore, genannt Ted. Sie kamen aus einer Großstadt namens Port Augusta im Süden bei den großen Farmen, wo auch immer das sein mochte. Der Junge hatte sich nicht zu fragen getraut, auf welchem Planeten sie waren. Früher oder später würde er es sowieso herausfinden. Dass er die Sprache problemlos verstand, fand er wunderlich genug

Er merkte zudem, dass er nicht alles aus seinem bisherigen Leben vergessen hatte. Erinnerungsfetzen kamen an die Oberfläche. Meistens waren sie undeutlich. Aber manchmal bekam er sie zu fassen.

»Ich bin ...« Er zögerte. »Ich bin Primat. Und ich bin Laumae.«

Die Hendersons starrten ihn verblüfft an. Gurumarra hielt sich im Hintergrund und prüfte irgendwas an dem alten Gleiter. Aber wie der Junge bemerkte, hörte auch Gurumarra aufmerksam zu.

»Na siehst du!«, sagte Marge schließlich und tippte sich mit dem Finger an die Stirn. »Das da oben kommt alles schon wieder zusammen. Ich würde sagen, wir nennen dich fürs Erste Laumae. Primat ist doch kein Name. Wie kommst du denn auf so was?«

Laumae zuckte mit den Achseln, und ihm wurde bewusst, dass das eine Geste war, die Marge und Ted verstanden. Ihm wurde immer klarer, dass er schon mal auf diesem Planeten gewesen war. Oder hatte er tatsächlich einfach einen Gleiterunfall gehabt und war in Wahrheit nie aus dem Dorf um die Ecke herausgekommen? War sein Verstand durcheinandergeraten, und er bildete sich alles nur ein?

»Hier kannst du jedenfalls nicht bleiben«, bestimmte Marge. »Wir nehmen dich mit nach Port Augusta. Dort kontaktieren wir die Behörden und finden heraus, ob du vermisst wirst.«

»Und wenn er ein Spion aus dem Weltraum ist?«, fragte Ted. Laumae wusste nicht recht, ob Ted das ernst meinte.

»Dann wird mein furchtloser Ehemann ihn zweifellos entlarven und der Solaren Abwehr übergeben«, antwortete Marge, ohne mit der Wimper zu zucken.

Die Hendersons gingen zum Gleiter, um den vierten Sitzplatz freizuräumen. Sie hatten dort mehrere Koffer wild übereinandergestapelt, waren wohl auf einer längeren Reise gewesen und gerade auf dem Rückflug. Laumae nahm an, dass sie mit Gurumarra als Führer einen Ausflug durch dieses Gebiet gemacht hatten, das sie die zentralaustralische Wüste oder das Northern Territory nannten.

Während die Hendersons beschäftigt waren, trat Gurumarra an Laumae heran. »In dir steckt mehr, als du denkst, Laumae. Wenn du dich erholt hast, komm irgendwann mal zu mir am Uluru. Dann erzähle ich dir von Tjukurpa, der Traumzeit. Es wird dich interessieren.«

Laumae nickte benommen. Er hatte das Gefühl, dass der Eingeborene dieses Planeten mehr über ihn wusste als er selbst. Aber Laumae war noch nicht bereit, sich von einem anderen Menschen erklären zu lassen, wer er war – sofern er überhaupt ein Mensch war.

Als der Gleiter schließlich mit seinen vier Passagieren abhob und über die rötlich-braune australische Zentralwüste flog, tauchte eine weitere Erinnerung in Laumaes Bewusstsein auf.

Der Gedanke traf ihn mit voller Wucht.

Plötzlich wusste er, warum er auf diesen Planeten gekommen war. Es gab eine Gefahr, die allem drohte. Nicht nur ihm oder dieser Welt, sondern allem. Eine so große Gefahr, dass sie alles vernichten würde, die Materie, die Gedanken, die Vergangenheit und die Zukunft, selbst die Löcher im Himmel. Auf diesem Planeten und allen anderen, in dieser Galaxis und allen anderen.

2.

Perry Rhodan

Januar 2116

Über Luna, dem Mond der Erde, ging Terra auf, der Heimatplanet der Menschheit.

Perry Rhodan blickte für einen Moment von seinem Rednerpult hoch. Er stand in einem Vortragssaal der Armstrong University am Rand von Cape Armstrong, der lunaren Hauptstadt. Durch die große Glassitkuppel des Gebäudeteils hatte er freie Sicht auf den blau-weißen Planeten am Firmament. Er erkannte den Atlantik, Europa und die Umrisse des Kontinents Afrika mit der begrünten Sahara.

Sterne indes waren im umgebenden Weltraum keine zu sehen, und zwar nicht, weil die im Widerschein der Sonne leuchtende Erde sie überstrahlt hätte. Seit zwei Jahren wurde ihr Licht im ganzen Solsystem vielmehr von einem gigantischen Energiefeld verdeckt, wurde die Schwärze des Weltalls durch ein sanftes, blaues Leuchten ersetzt. Der Blaue Schirm schützte das Heimatsystem der Menschheit vor Gefahren von außerhalb. Auch weiter draußen war alles ruhig. Es herrschte Frieden in der Lokalen Blase, dem Bereich von etwa fünfhundert Lichtjahren Durchmesser, in dem die Terraner sich ausgebreitet hatten.

Statt fernen Sonnen blitzten immer wieder kleine, helle Punkte auf, wenn sie das Licht des solaren Zentralgestirns reflektierten. Zwischen Erde und Mond bestand ein reger Raumflugverkehr. Wer wollte, konnte in kürzester Zeit in einer Passagierfähre etwa von der Sahara zur Mondmetropole gelangen, in der sich Rhodan gerade aufhielt.

Rhodan drehte den Kopf wieder zu seinen Zuhörern. Er näherte sich dem Ende des Vortrags, den er im Auftrag der Unionsregierung hielt.

»Dir hören die Menschen zu«, hatte Reginald Bull gesagt. »Du kannst sie rausreißen aus der weit verbreiteten Depression, die auch nach dem Ende der Aphilie noch immer über der Menschheit liegt wie ein nasses Tuch.«

Im bis zum letzten Platz gefüllten, ovalen Auditorium saßen die Zuschauer und hingen an den Lippen des großen Terraners, sogar die als eher ruppig bekannten Menschen von Kolonialplaneten wie Epsal und Imart oder die lunare Studentengruppe, die sich rebellisch »Buzz Aldrins zornige Schwestern« nannte. Rebellen hin oder her, wenn der legendäre Perry Rhodan redete, hörte man zu.

Seit Rhodan auf dem Erdmond als erster Mensch Kontakt zu den Arkoniden aufgenommen hatte, war er aus dem Projekt Weltrettung nicht mehr rausgekommen. Es war bitter nötig gewesen. Die Menschen hätten sich damals beinahe selbst zerfleischt und ihren Planeten gleich mit zerstört. Aus dem All hatten zahlreiche weitere Gefahren die Erde und das ganze Solsystem bedroht.

Nach der Begegnung mit den Arkoniden hatte Rhodan Terrania gegründet, mittlerweile die Hauptstadt der Terranischen Union, der TU. Er war zu den Sternen aufgebrochen und oftmals der erste irdische Raumfahrer gewesen, der fremde Planeten betreten und Kontakt mit deren Bewohnern aufgenommen hatte. Dort draußen hatte er Freunde gefunden – und leider auch Feinde. Dennoch wusste er, dass er bald wieder hinausziehen würde in den Weltraum. Es begeisterte ihn nach wie vor, unbekannte neue Welten zu entdecken und den großen Geheimnissen des Universums auf die Spur zu kommen. Aber er hoffte, dass er nie wieder in den Krieg ziehen musste.

Seine derzeitigen Zuhörer waren größtenteils Studenten, die sich der Erforschung der Mondoberfläche, des Weltraums und dem Vorantreiben der lunaren Terraforming-Projekte widmeten. In manchen Gegenden des Monds konnten sich Menschen bereits ohne Atemmasken oder persönliche Schutzfelder aufhalten. In einigen der tiefen Krater hatten Wissenschaftler des Weidenburn-Instituts Ökosysteme geschaffen, in denen sogar Landwirtschaft möglich war.

Hinter den Zuschauerreihen erkannte Rhodan die Dekanin der Universität, Sylvana Rappmann, eine kräftige, dunkelhäutige Terranerin, die mit verschränkten Armen darauf aufzupassen schien, dass ihre Studenten keine Papierflieger durch den Raum warfen. Ein Mann vom Ordnungsdienst eilte gerade zu ihr und raunte ihr etwas ins Ohr, das von äußerster Dringlichkeit zu sein schien. Aber sie wehrte ihn mit einer Handgeste ungehalten ab, und er verzog sich wieder. Worum war es da gegangen?

»Ich habe einen guten Freund«, setzte Rhodan seine Ansprache fort. »Sein Name ist Reginald Bull. Vielleicht hat der eine oder andere von Ihnen schon mal von ihm gehört.«

Aus dem Publikum ertönten vereinzelte Lacher. Bull war nicht nur relativ unsterblich und aktueller Protektor der Terranischen Union, sondern auch eine der bedeutendsten historischen Persönlichkeiten in der Lokalen Blase.

»Reg hat mal gesagt: Die Menschen meinen es ja nicht besonders böse. Aber sie sehen doch gern auf ihren Vorteil. Ich glaube, damit hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Es wird immer Menschen geben, die die ganze Welt für sich allein haben oder anderen vorschreiben wollen, wie sie leben sollen. Deshalb müssen wir uns stets darauf besinnen, wer wir eigentlich sind und was uns zusammenhält. Wir sind alle Menschen. Nein, das ist noch nicht ganz richtig ausgedrückt.«

Viele der im Saal Anwesenden gehörten tatsächlich der Spezies Mensch an oder stammten von ihr ab, egal auf welchem Planeten sie geboren worden waren. Vor sich sah er Marsianer mit bronzefarbener Haut, grünhäutige, kleinwüchsige Siganesen, gedrungene Epsaler, die genetisch für eine Schwerkraft von 2,15 Gravos optimiert waren, und Umweltangepasste von weiteren terranischen Kolonialwelten. Aber unter den Studenten waren auch Arkoniden und Akonen, Topsider und Ferronen und viele Extraterrestrier, die der Evolution ganz anderer Planeten entstammten.

»Wir sind Bewohner der Galaxis«, fuhr Rhodan fort. »Fühlende und sich ihrer selbst bewusste Lebewesen, die den gleichen Lebensraum bewohnen und alle auf ihre Weise glücklich sein wollen. Die Zeit der Gefühllosigkeit ist vorbei. Alle, die guten Willens sind und miteinander leben wollen, sollen das Recht haben, ihr persönliches Glück zu suchen, was auch immer sie darunter verstehen.«

Zum ersten Mal in diesem Vortrag machte er eine große Bewegung. Er streckte den Arm aus und zeigte auf die Erde am Mondhimmel. Die Geste verfehlte ihre Wirkung nicht. Das Publikum hielt kollektiv den Atem an.

»Sehen Sie auf diesen wunderschönen Planeten! Er und seine Bewohner haben in den vergangenen Jahrtausenden viel durchgemacht. Immer wieder haben wir Krieg gegeneinander geführt. Wir hätten uns beinahe selbst zerstört und die Erde gleich mit. Dann wären wir beinahe von anderen zerstört worden. Aber immer wieder haben wir für das Richtige gekämpft, auch wenn es große Opfer gekostet hat. Am Ende haben wir unsere Feinde besiegt, die Missgünstigen, die Böswilligen, Diktatoren und Verbrecher. Wir sind gemeinsam gegen sie aufgestanden, und das werden wir wieder tun. Heute stehen wir vor einer Phase des Friedens, und das Solsystem und die Galaxis bieten noch so viel, das wir entdecken können. Lassen Sie uns die Zukunft gemeinsam gestalten!«

Es folgte donnernder Applaus, je nach Art der Heimatplaneten der Versammelten. Die Siganesen pfiffen durch die Zähne, die Epsaler trommelten mit den Füßen, die Arkoniden legten anerkennend eine Faust auf die Brust.

Rhodan lächelte in die Runde und winkte freundlich zum Zeichen, dass sein Vortrag nun beendet war, woraufhin die Studenten noch intensiver klatschten, pfiffen, trommelten und Fäuste auf die Brust legten. Ein Ritual, an das er gewöhnt war. Rhodan sah dorthin hinüber, wo er die Dekanin zuletzt gesehen hatte, aber die war nun verschwunden.

Dafür stand eine andere Frau an einer der Zugangstüren zum großen Versammlungssaal. Sie lehnte lässig an der Wand und warf Rhodan aus goldroten Augen einen ironischen Blick zu – Thora Rhodan da Zoltral.

Es gab nicht viel auf der Welt und im Weltraum, das Perry Rhodans Herz schneller schlagen ließ. Thoras Anblick war eins dieser Dinge. Seine Frau sah wie immer hinreißend aus. Sie trug einen körperbetonten, schlichten Einteiler mit breitem Gürtel, und ihre streng geschnittenen, schulterlangen Haare, die wie bei einem Großteil der Arkoniden weiß waren, saßen perfekt.

Rhodan bahnte sich einen Weg durch die Menge, schüttelte einige Hände, gab Autogramme auf Schreibfolien, die ihm hingehalten wurden, und ließ sich mit Studenten fotografieren. Dann bedeutete er den Leuten mit einem Winken, dass er nun zum Privatmenschen zu werden gedachte. Respektvoll verteilten sich die Studenten, und bald war der Saal geleert. Rhodan stand vor Thora, die amüsiert die Augenbrauen hochzog.

»Der Herr Terraner ist immer noch sehr beliebt«, empfing sie ihn. »Hast du wieder deine Erfolgsrede gehalten? ›Sie kennen vielleicht meinen Freund Reginald Bull.‹ ›Wir sind alle Bewohner der Galaxis.‹ ›Gemeinsam können wir alles schaffen.‹«

»Die ist wirklich sehr erfolgreich«, bejahte Rhodan. »Und das, obwohl ich sie selbst geschrieben habe.«

Gemeinsam schlenderten sie aus dem Versammlungssaal in den Flur dahinter, eine transparente Röhre, die zwei Kuppelbauten des Universitätskomplexes miteinander verband.

Thora lachte – nicht ironisch, sondern herzlich. Wenn sie ihren Ehemann necken konnte, war sie in ihrem Element. Als er sie kennengelernt hatte, war ihm ihre Art als unerträglicher Standesdünkel einer überlegenen Kultur erschienen. Bei ihrer ersten Begegnung hatte die Arkonidin ihn und Reginald Bull sogar als Tiere bezeichnet. In Wahrheit, das hatte er sich damals nur nicht eingestanden, hatte er Thora vom ersten Moment an geliebt.

Rhodan hielt Thora fest und küsste sie zärtlich und lange. Sie ließ es geschehen und erwiderte den Kuss.

»Wie war dein Treffen mit dem Unionsrat?«, fragte Rhodan, während er Thora weiterhin im Arm hielt. Sie war erst vor einigen Stunden von ihrer fernen Heimatwelt Arkon auf direktem Weg nach Terra geflogen, ohne zuvor auf dem Erdmond Zwischenstation zu machen. »Eure Konsultation war offenbar immerhin so wichtig, dass du dafür den Anfang meiner großartigen Rede verpasst hast.« Rhodan legte ein schiefes Grinsen auf, um anzuzeigen, dass er es nicht ganz ernst meinte. »Darf man dich wieder Botschafterin nennen?«

»Botschafterin von Arkon?« Thora setzte eine gespielt gleichgültige Miene auf. »Glaubst du nicht, du würdest es als Erster erfahren, wenn an den Gerüchten was dran wäre?«

»Das Mesh ist voll davon!«, erwiderte Rhodan. Das Mesh war ein Informations- und Kommunikationsnetzwerk, das sämtliche Welten und Stationen der Terranischen Union jeweils lokal, global und zudem auch interstellar miteinander verband. Im Mesh fand man jede akkurate Information ebenso wie jede Falschmeldung, jeden klugen Gedanken, jede Blödheit, jede glaubwürdige Prognose und jede plumpe Spekulation.