Perry Rhodan Neo Paket 12: Die Posbis - Oliver Fröhlich - E-Book

Perry Rhodan Neo Paket 12: Die Posbis E-Book

Oliver Fröhlich

0,0
24,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Juni 2049: Die CREST mit Perry Rhodan an Bord wird weit hinaus in den Leerraum zwischen der Milchstraße und der Galaxis Andromeda geschleudert. Dort begegnen die Menschen den Posbis, Roboter mit einer Plasmakomponente. Während in der Milchstraße die Maahks auf dem Vormarsch sind, muss sich Perry Rhodan einer womöglich noch größeren Gefahr durch die biologischen Maschinenwesen stellen. Ihre Fragmentraumer sind allem bisher Bekannten weit überlegen. Sie suchen nach dem "wahren Leben" – und vernichten alles, was diesem ihrer Meinung nach nicht entspricht ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 2181

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Juni 2049: Die CREST mit Perry Rhodan an Bord wird weit hinaus in den Leerraum zwischen der Milchstraße und der Galaxis Andromeda geschleudert. Dort begegnen die Menschen den Posbis, Roboter mit einer Plasmakomponente.

Während in der Milchstraße die Maahks auf dem Vormarsch sind, muss sich Perry Rhodan einer womöglich noch größeren Gefahr durch die biologischen Maschinenwesen stellen. Ihre Fragmentraumer sind allem bisher Bekannten weit überlegen. Sie suchen nach dem »wahren Leben« – und vernichten alles, was diesem ihrer Meinung nach nicht entspricht ...

Cover

Vorspann

Band 111 – Seid ihr wahres Leben?

Vorspann

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

Band 112 – Ozean der Dunkelheit

Vorspann

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

Band 113 – Fischer des Leerraums

Vorspann

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

Band 114 – Die Geister der CREST

Vorspann

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

Band 115 – Angriff der Posbis

Vorspann

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

Band 116 – Sprungsteine der Zeit

Vorspann

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

Epilog

Band 117 – Exodus der Liduuri

Vorspann

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

Band 118 – Roboter-Revolte

Vorspann

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

Band 119 – Die Wut der Roboter

Vorspann

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

29.

30.

31.

32.

33.

34.

35.

36.

37.

38.

39.

40.

41.

42.

43.

Band 120 – Wir sind wahres Leben

Vorspann

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

Impressum

Band 111

Seid ihr wahres Leben?

Oliver Fröhlich

Nachdem der Astronaut Perry Rhodan im Jahr 2036 auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff entdeckt hat, verändert sich die Weltgeschichte. Die Menschheit beginnt sich zu einigen, eine Zeit des Friedens bricht an. Doch im Jahr 2049 tauchen beim Jupiter fremde Raumschiffe auf; sie greifen sofort an und müssen zurückgeschlagen werden.

Rhodan setzt sich auf die Spur der Angreifer. In den Tiefen der Milchstraße trifft er auf die Maakhs, ein außerirdisches Volk, das sich zur Attacke gegen das mächtige Imperium der Arkoniden rüstet. Die Menschen erkennen die Zusammenhänge zwischen der aktuellen Bedrohung und einem uralten Konflikt.

Um weitere Hintergründe herauszufinden, macht sich Rhodan mit der CREST, seinem Raumschiff, auf die Suche nach dem Hort des Ewigen Lebens. Die Reise führt in ferne Regionen der Milchstraße – und darüber hinaus – und konfrontiert die Menschen mit einer Frage, deren Beantwortung über das Schicksal der Galaxis entscheiden könnte ...

1.

Einsame Zwillinge

Eine Explosion erschütterte die CREST, und Perry Rhodan begriff, dass etwas ganz und gar nicht nach Plan lief.

Tom!, dachte er. Ich muss Tom schützen!

Ein Wunschgedanke, fernab der Realität, auch wenn sein Sohn nur wenige Meter schräg hinter ihm saß. Mit Mühe widerstand Rhodan dem väterlichen Impuls, aus dem Kommandositz aufzuspringen und zu Tom zu laufen. Rhodan musste seine Pflicht erfüllen und herausfinden, was geschehen war, musste die Zerstörung der CREST verhindern. Damit konnte er Tom auf jeden Fall sinnvoller beistehen, als wenn er ihn in die Arme schloss – sosehr es ihn danach verlangte.

»Meldung!«, rief Rhodan. »Was passiert mit uns?«

»Ich weiß es noch nicht«, antworte der Schiffskommandant Conrad Deringhouse. »Analyse läuft.«

Die Hauptbeleuchtung in der Zentrale erlosch. Im Schein der Konsolen und flackernden Holoschirme erkannte Rhodan die Besatzungsmitglieder nur schemenhaft. Sie bellten Befehle, riefen durcheinander, versuchten, die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Für einen Augenblick stieg Übelkeit in ihm hoch, und er glaubte, aus seinem Sessel gehoben zu werden. Dann erfasste ihn die Schwerkraft erneut und presste ihn zurück ins Polster. Deringhouse ächzte auf. Offenbar war es ihm genauso ergangen.

Also kein psychisches Problem, dachte Rhodan, sondern der kurzzeitige Ausfall der Gravitationsgeneratoren.

Die nächste Explosion, irgendwo in den Tiefen des Rumpfs. Der Boden vibrierte. Rote Lichter flammten in den Holos auf, ein leiser, aber durchdringender Alarmton erklang.

Instinktiv klammerte sich Rhodan an den Lehnen des Sessels fest. Was zum Teufel spielte sich hier ab? »Werden wir angegriffen? Sind uns die P'Kong gefolgt?« Er versuchte, ruhig und sachlich zu klingen. Es fiel ihm schwer. Er schaute zum Panoramaholo und sah nichts als Schwärze.

»Ich kann keine feindlichen Schiffe entdecken, Protektor«, sagte Major Schimon Eschkol, der Funk- und Ortungschef.

Ein entferntes Grummeln ertönte, die CREST erzitterte. Der Raumer ächzte und stöhnte wie unter Schmerzen, als wolle er jeden Moment auseinanderbrechen.

»Womit haben wir es stattdessen zu tun? Ist bei dem Transmittersprung etwas schiefgegangen?« Rhodan wurde die Ironie bewusst: Da suchten sie Achantur, den Hort des Ewigen Lebens, und gerieten dabei in Todesgefahr. Großartig. Rhodans Blick fiel auf die schematische Schiffsdarstellung in einem der aktiven Holoschirme. Die roten Signale, die viel zu viele Schäden anzeigten, lenkten ihn für einen Moment vom Wesentlichen ab. »Warum ist der Schutzschirm nicht aktiviert?«

»Systemausfall«, antwortete die Waffenoffizierin Dimina Lesch in gehetztem Tonfall. »Wir arbeiten daran.«

Die Beleuchtung ging wieder an. Kein Grund zur Erleichterung, denn unmittelbar darauf erbebte die CREST unter einer Salve weiterer Explosionen. Fünf, sechs, sieben neue rote Schadenslichter tauchten in der Schemaanzeige auf.

»Ich will Echtbilder dieser Schiffssektionen im Holo sehen«, forderte Rhodan. »Sofort!«

Zwei Sekunden vergingen. Gerade wollte er den Befehl wiederholen, da schrumpfte der 3-D-Aufriss der CREST im Holo zusammen, rutschte an den Bildrand und machte Aufnahmen aus dem Schiffsinnern Platz.

In einem der Hangars brannte ein Aggregat. Drei Besatzungsmitglieder in Schutzanzügen versuchten, das Feuer zu bekämpfen, weil die Löschautomatik nicht funktionierte. In der Triebwerkssektion detonierte ein Energiespeicher. Funken sprühten. Ein Wassertank in der Nähe platzte. Augenblicklich füllte das undurchdringliche Grau von Dampf das Bild. Menschen schrien, was umso gespenstischer und eindringlicher wirkte, weil Rhodan nur die schmerzverzerrten Gesichter sah. Die Geräusche wurden nicht mit übertragen. In der Waffensektion stürzte ein Mann mit brennenden Haaren zu Boden. Sofort war ein Kamerad bei ihm, warf sich auf den Verletzten und erstickte die Flammen mit dem Körper.

Rhodans Vorstellungskraft gaukelte ihm den Gestank nach verkohltem Haar, geschmortem Kunststoff und Löschpulver vor.

Und während überall auf dem Schiff das Chaos tobte, saß er in seinem Kommandosessel, hilflos und zum Zusehen verdammt, weil er nicht wusste, was gerade mit ihnen passierte.

Widerwillig löste er den Blick von den Holobildern und wandte sich endlich der u-förmigen, gepolsterten Bank zu, die eine merkwürdige Insel in der aktuellen Hektik der Zentrale bildete. Die Mutantenlounge, in der häufig die parabegabten Besatzungsmitglieder saßen. Momentan jedoch bot sie drei Gästen Platz, die erst seit Kurzem an Bord waren. Crest, Thora – und Thomas. Schon seinetwegen musste Rhodan alles daransetzen, sich von der allgemeinen Aufregung nicht anstecken zu lassen.

Schau her, mein Junge. Dein Vater ist die Gelassenheit in Person. Siehst du? Kein Grund zur Beunruhigung.

Rhodan schenkte Tom ein kurzes – zugegebenermaßen gezwungenes – Lächeln, das dieser nicht erwiderte. Tränen schimmerten in den Augen des Kindes, und in ihnen schwamm die Angst. Thomas starrte auf das Holo, das zuvor Rhodan betrachtet hatte. Auf das Bild mit dem brennenden Mann. Seine Unterlippe bebte.

Bitte lass nicht zu, dass ihm etwas geschieht, schickte Rhodan ein Stoßgebet wohin auch immer. Er ist doch gerade erst acht Jahre alt, um Himmels willen, und hat sein ganzes Leben noch vor sich.

Tom schmiegte sich an seine Mutter. Thora hatte ihm beschützend einen Arm um die Schultern gelegt und strich ihm mit der anderen Hand über die Haare. Der Junge selbst umklammerte einen Plüschhaluter, so fest er nur konnte. Er zuckte zusammen, als die nächste Explosion erklang.

»Crest«, sagte Rhodan. »Wo sind wir hineingeraten? Ein Sicherheitssystem, das Achantur schützen soll? Ein Minenfeld vielleicht?«

»Das glaube ich nicht«, erwiderte der alte Arkonide mit so leiser Stimme, dass Rhodan ihn über den Trubel der Zentrale hinweg kaum verstand. »Es wäre widersinnig, einen solchen Ort mit tödlichen Waffen zu sichern.« Aus seinen Worten sprach eher verzweifelte Hoffnung als Überzeugung.

»Eine erste Situationsanalyse der Positronik liegt vor«, meldete Conrad Deringhouse endlich. »Keine unmittelbaren äußeren Einflüsse.«

Rhodan zuckte zum Kommandanten der CREST herum. »Was soll das heißen? Unser Schiff geht einfach so von selbst kaputt?«

Wie um die Frage zu unterstreichen, erklang die nächste Explosion, irgendwo tief unter ihnen. Die Vibration setzte sich in seinen Beinen fort und brachte sie zum Kribbeln. Plötzlich sprang eines der Schadenslichter von Rot auf Grün um und erlosch kurz darauf. Ein Zeichen der Hoffnung?

»Nicht ›einfach so‹«, entgegnete Deringhouse. »Die Kräfte, die beim Transmitterdurchflug auf die CREST einwirkten, haben ihr vermutlich zugesetzt.«

»Das kann ...« Rhodan unterbrach sich, als er sah, dass eine weitere Schadensanzeige verschwand. »Ein Transmitter, der die Schiffe zerstört, die ihn durchfliegen? Das ergibt keinen Sinn.« Ihm wurde bewusst, dass er sich genauso verzweifelt anhörte wie eben noch Crest.

Das innerliche Beben des Raumers flaute ab. Es fühlte sich an, als käme ein Patient nach einer Reihe von Krämpfen allmählich zur Ruhe. Das Hangaraggregat im Holo war gelöscht und qualmte nur noch. Der brennende Mann war aus dem Bild verschwunden. Wahrscheinlich befand er sich auf dem Weg in die Krankenstation. Die durch die Zentrale hallenden Stimmen wurden leiser, die Hektik nahm ab und verwandelte sich zusehends in konzentrierte Betriebsamkeit.

»Die Lage beruhigt sich«, stellte schließlich auch Deringhouse fest. »Ich glaube, wir haben es hinter uns. – Alle Stationen: Schadensberichte!«

Zunächst traute Rhodan der Sache nicht, doch als nach und nach Klarmeldungen eintrudelten und weitere Explosionen ausblieben, ließ er zu, dass die Anspannung ein wenig von ihm abfiel. Erneut drehte er sich zur Mutantenlounge um.

Tom suchte nicht länger Schutz in der Umarmung seiner Mutter, sondern beschäftigte sich ausgiebig mit dem Plüschhaluter. »Keine Angst«, sagte er zu dem Spielzeug. »Ich pass auf dich auf. Dir geschieht schon nichts.« Er nickte, als höre er der Figur aufmerksam zu. »Dem verbrannten Mann geht es bestimmt bald wieder gut.«

Erstaunlich, wie schnell Kinder schlimme Erlebnisse manchmal verarbeiteten. Zumindest vordergründig. Aber wer konnte sagen, ob nicht Spätfolgen zurückblieben? Thomas war entführt worden. Er hatte miterlebt, wie Menschen beim Versuch, ihn zu befreien, gestorben waren. Sid Gonzáles. Homer G. Adams, Allan D. Mercant und alle anderen Mitglieder der Old Men. Zahlreiche Angehörige der LEPARD-Crew. War sich Tom dessen bewusst? Würde er sich eines Tages Vorwürfe machen und die Schuld am Tod vieler tapferer Männer und Frauen bei sich suchen? Wie sollte ein Kind jemals mit so einer Last fertigwerden?

Thora und ich müssen ihm dabei helfen, dachte Rhodan. Mit all unserer Liebe und Fürsorge. Mit Armen, die ihn halten. Mit Schultern, an denen er sich ausweinen kann. Mit der Bereitschaft, jederzeit ein offenes Ohr für seine Sorgen zu haben.

Wenn es doch nur so einfach wäre und sie nicht in einem Schiff, das gerade fast auseinandergebrochen wäre, irgendwo im All schwebten!

»Erste Positionsbestimmung abgeschlossen«, riss ihn Schimon Eschkol aus den Gedanken.

Und wenn es nicht tausend andere Dinge gäbe, um die ich mich kümmern muss. Rhodan seufzte. »Ergebnis?«

»Wir sind ...« Der Major schluckte vernehmlich. »... wesentlich weiter gereist, als wir vermutet haben, Sir.«

Rhodan verzichtete darauf, dem Ortungschef zu sagen, dass er sich unter einer Meldung etwas Gehaltvolleres vorstellte. Denn er merkte Eschkol das Entsetzen deutlich an, sosehr dieser es zu verbergen versuchte.

»Wir befinden uns offenbar«, fuhr der Israeli mit um Festigkeit bemühter Stimme fort, »tief im intergalaktischen Leerraum. Zehntausende von Lichtjahren von zu Hause entfernt. Die genauere Positionsbestimmung läuft noch.«

Perry Rhodan betrachtete das Umgebungsholo und entdeckte weiterhin nichts als vollkommene Schwärze. Bisher hatte er das für eine Folge der Ausfälle im Schiff gehalten. Doch nun ... »Sehen wir hier ein Echtbild?«

Eschkol bestätigte.

Ein kurzer Blick auf Crests überraschtes Gesicht zeigte Rhodan, dass der Arkonide ebenfalls nicht mit so einer weiten Reise gerechnet hatte. »Ist das möglich? Achantur liegt im Leerraum?«

»Ich weiß es nicht. Wenn uns der Transmitter hier ausgespuckt hat, muss es wohl so sein.« Zweifel schwangen in Crests Worten mit. »Und falls wir nichts falsch gemacht haben.«

»Völlig leer ist es hier allerdings nicht«, meldete der Ortungschef. »Ich zoome aus dem Bild heraus.«

Eschkol nahm ein paar Einstellungen an der Holosteuerung vor. Einige Sekunden lang änderte sich nichts, doch plötzlich schoben sich von links und rechts zwei Sonnen in den Holoschirm. »Ich habe auf eine schematische Darstellung umgeschaltet. Was wir hier sehen, ist das, was die Positronik aus den Ortungsergebnissen errechnet.« Exakt in der Mitte zwischen den beiden Sternen blinkte ein Signal auf. »Das ist die CREST. Darunter liegt das Rematerialisierungsfeld des Transmitters.«

»Es ist noch aktiv?«

Major Eschkol zoomte wieder näher heran. Die Sonnen glitten seitlich aus dem Holo, stattdessen wuchs der blinkende Punkt zu einer flimmernden Fläche an. »Leider. Allerdings gibt es bislang keine Anzeichen dafür, dass die P'Kong uns gefolgt sind.«

»Na schön«, sagte Rhodan. »Wir befinden uns also weit weg von daheim. Aber sehen wir es von der guten Seite. Immerhin hat uns diesmal niemand aufgelauert und sofort das Feuer auf uns eröffnet.«

»Äh ... Sir«, meldete sich der sonst eher wortkarge Pilot Mirin Trelkot zu Wort. »Da wäre ich mir nicht so sicher. Wir bekommen Besuch.«

An Bord der Korvette EXPLORER im Hangar der CREST herrschte angespanntes Schweigen. Die Mitglieder des Suchtrupps, die erst wenige Minuten zuvor von ihrer Mission vom Planeten Sede zurückgekehrt waren, saßen angeschnallt auf den Klappsitzflächen in der Personenschleuse, starrten zu Boden oder in die Ferne und ließen die Explosionen und Erschütterungen über sich ergehen.

Amanda Heikkinen fühlte den Schweiß, der ihr auf Stirn und Oberlippe stand, aber sie widerstand der Versuchung, ihn wegzuwischen. Nur zu leicht konnte diese Geste als Zeichen der Schwäche ausgelegt werden.

Was ging dort draußen vor sich? Waren sie den P'Kong doch nicht entkommen? Oder waren die Krieger der Allianz ihnen durch den Transmitter gefolgt?

Sie schaute zur gegenüberliegenden Wand, wo Ron Daltrey saß, der ehemalige Zweite Offizier der vernichteten LEPARD. Bei jeder Explosion zuckte er zusammen. Kein Wunder. Wahrscheinlich kamen Erinnerungen an das Schicksal seines untergegangenen Schiffs in ihm auf. An all das sinnlose Sterben, dem er entkommen war.

Daltrey löste den Blick von den Schuhspitzen, sah in die Runde, schaute aber schon wieder weg, ehe er Amanda Heikkinens zaghaftes Lächeln bemerkte.

Der nächste Schlag ließ die EXPLORER erbeben.

»Wir sollten ausschleusen«, brach Thi Tuong Nhi das Schweigen. »Von hier drinnen können wir der CREST nicht helfen.«

»Nicht, solange wir nicht den Befehl dazu bekommen«, widersprach Cel Rainbow, der Missionsleiter.

»Wie soll das gehen? Darf ich Sie daran erinnern, dass die Verbindung zur CREST ausgefallen ist?«

Und das, obwohl wir uns im Bauch des Mutterschiffs aufhalten, fügte Amanda Heikkinen im Geist hinzu. Sie musterte den Lakota. Erst war er wegen Kompetenzüberschreitungen degradiert, kürzlich indes wieder zum Captain befördert worden. Seitdem bereitete ihm die Einhaltung der Kommandohierarchie offenbar weniger Schwierigkeiten. Vielleicht wollte er aber auch nur selbst beschließen, über welchen Befehl er sich hinwegsetzte.

»Dessen bin ich mir bewusst«, sagte Rainbow. »Trotzdem herzlichen Dank für die Gedankenstütze. Aber das ändert nichts an meiner Entscheidung. Ohne ausdrückliche Anweisung werden wir nicht ausschleusen.«

Thi Tuong Nhi sah ihn einen Augenblick herausfordernd an, nickte dann jedoch. Die kleine Vietnamesin war die Kommandantin der LEPARD gewesen. Eine schlecht verheilte Wunde auf der linken Wange zeugte von dem, was sie durchgemacht hatte. Ihre entschlossenen Züge zeigten, dass sie es gewohnt war, Anordnungen zu erteilen. Auf der CREST hingegen – oder auf der EXPLORER – besaß sie keinerlei Befehlsgewalt. Etwas, das ihr erkennbar nicht schmeckte. Dennoch fügte sie sich.

Amanda konnte sich nur zu gut vorstellen, wie es der ehemaligen Kommandantin ging. Das Konzept, kaum etwas zu sagen zu haben, war auch Amanda durchaus vertraut.

Es kann nicht immer nur nach deinem Kopf gehen.

Eine der Weisheiten, mit denen ihr Vater – der ach so fürsorgliche Eino Heikkinen, Gott hab ihn selig – ihr Leben bereichert hatte. Und eine maßlose Untertreibung obendrein, legte der Spruch doch nahe, dass Amanda wenigstens ab und an ihren Willen hatte durchsetzen dürfen. Dies war aber stets nur dann der Fall gewesen, wenn der Herr Papa nicht andere Pläne gehabt hatte.

Oh, und dann gab es da den Klassiker unter Eino Heikkinens Lebensweisheiten. Einen Satz, den sie noch mehr verabscheute – nicht zuletzt deshalb, weil sie ihn umso häufiger zu hören bekommen hatte.

Du kannst nicht jeden retten, mein Kind.

Der Gedanke daran versetzte ihr einen Stich, wie immer, wenn etwas sie an Minttu erinnerte. Ihre Zwillingsschwester. Ihre tote Zwillingsschwester. Egal wie viel Zeit seitdem vergangen sein mochte, es tat weiterhin weh. Und das würde sich nie ändern.

Amanda war dankbar, als die Stimme von Ron Daltrey sie ablenkte. »Es hört auf.«

Sie sah auf. Lauschte. Fühlte. Tatsächlich, die Vibrationen waren abgeebbt, die Explosionen verstummt.

»Die Verbindung zur CREST steht wieder«, ließ sich Tim Schablonski aus der EXPLORER-Zentrale über ein Akustikfeld vernehmen. Als Einziger des Teams war er dort zurückgeblieben. »Entwarnung, Leute. Der Sprung durch den Transmitter hat uns ein bisschen durchgeschüttelt und das eine oder andere Aggregat in die Luft gehen lassen, das war's aber schon. Keine allzu bedrohlichen Schäden, wenn ich das richtig sehe. Wir können aussteigen. Vielen Dank, dass Sie mit EXPLORER-Reisen geflogen sind.«

Cel Rainbow grinste. Auch This Lippen zuckten leicht, was die Andeutung eines Lächelns darstellen mochte.

Mit einem erleichterten Seufzen löste Amanda das Gurtsystem, stand auf ...

... und erstarrte, als ein gellender Alarm ertönte.

Ein wahrer Gigant erschien auf dem Panoramaholo in der Zentrale der CREST: ein Würfel mit einer Kantenlänge von zweitausend Metern. Riesig – und völlig chaotisch. Unüberschaubar viele Module unterschiedlichster Bauart und Größe, zusammengedrückt wie von einer gewaltigen Schrottpresse. Kuppeln, Zylinderstümpfe, ungleichmäßig geformte Spitzen und Grate ragten bedrohlich aus den Außenflächen des Raumschiffs wie Schilde und Speere aus einer altrömischen Phalanx.

»Rotalarm!«, befahl Rhodan.

Sofort brüllte der Alarmton durch das Schiff und machte auch dem letzten Besatzungsmitglied klar, dass sie einem neuen und vielleicht größeren Problem als den Transmittersprungschäden gegenüberstanden.

»Was ist mit dem Schutzschirm?«

»Unveränderter Systemausfall«, antwortete die Waffenoffizierin Dimina Lesch. »Die Reparaturen und Neujustierungen der Schirmprojektoren laufen, werden aber erst in ein paar Minuten abgeschlossen sein.«

»Geht es genauer?«

»Vier Minuten, höchstens fünf.«

»Wollen wir hoffen, dass das ausreicht. Major Eschkol, schicken Sie eine Grußbotschaft!«

»Die Fremden funken uns bereits an«, gab der Offizier zurück.

Gleich darauf erfüllte ein Stakkato von Zisch- und Klopflauten die Zentrale. Es hörte sich an, als würde irgendwo Gas aus einem Leck oder einem geöffneten Ventil strömen, während im Hintergrund mehrere Unbekannte mit Eisenstangen auf Metallfässer einschlugen.

Rhodan erstarrte. Er hatte eine solche Nachricht bereits einmal gehört. Vor zwei Monaten, als sie mit der MAYA und der BOOTY ein Hyperfunkrelais der Mehandor-Linie in relativer Nähe des Refeksystems erreicht und ein Trümmerfeld vorgefunden hatten: die Überreste von Mehandorschiffen, zerstört von einem unbekannten, aber augenscheinlich übermächtigen Gegner. Aus den geborgenen Aufzeichnungen und den Berichten der wenigen Überlebenden wusste er, dass der Feind eine ähnliche – wenn nicht sogar die gleiche – Nachricht geschickt hatte. Dreimal, im Abstand von exakt 31 Sekunden. Als nach der dritten Sendung die Frist verstrichen war, hatten die Fremden das Feuer eröffnet und nichts als Trümmer, Elend und Tod von den Mehandorschiffen übrig gelassen.

Knapp über anderthalb Minuten.

»Countdown einblenden«, sagte Rhodan. »Dreiundneunzig Sekunden, beginnend mit dem Eingang der Nachricht.«

Im Holo flammte eine Anzeige auf und zählte gnadenlos nach unten.

90, 89, 88 ...

»Funkspruch entschlüsseln!«

»Die Positronik arbeitet daran«, sagte Eschkol.

»Major Lesch, wir brauchen die Schutzschirme. Sie haben noch ...« Ein Blick auf das Holo. »... 82 Sekunden Zeit.«

»Das ist nicht zu schaffen, Sir.«

»Tun Sie es trotzdem. Captain Trelkot, Alarmstart vorbereiten.«

Der Pilot nickte. Im Widerspruch dazu sagte er: »Die Schäden nach dem Transmittersprung sind zu groß. Die Triebwerke werden gerade neu hochgefahren, aber einen Alarmstart würden sie im Augenblick nicht überstehen.«

So wenig, wie wir einen Angriff dieses Ungetüms überstehen würden, dachte Rhodan, sprach es jedoch nicht aus. »Tun Sie, was Sie können. Wie läuft die Übersetzung?«

»Schlecht«, antwortete Eschkol. Er klang geknickt. »Die Positronik weiß mit den Lauten nichts anzufangen.«

Nicht gut. Überhaupt nicht gut.

»Vergleichen Sie den Funkspruch mit dem, den die Mehandorschiffe empfangen haben. Hört er sich nur so ähnlich an oder ist es der gleiche?«

... 64, 63, 62 ...

Kaum sprang die Anzeige um, ertönte das Zischen und Klopfen erneut.

»Funkverbindung öffnen!«, befahl Rhodan. »Auf der Frequenz des eingehenden Spruchs.«

»Geöffnet.«

»In alle gespeicherten Sprachen übersetzen!« Er atmete kurz durch. Ihm blieb nicht viel Zeit, sich die Worte zurechtzulegen. »Hier spricht Perry Rhodan von der CREST. Wir haben Ihre Botschaft erhalten, können sie jedoch nicht entschlüsseln. Wir kommen in friedlicher Absicht. Wir sind nicht Ihre Feinde. Ich wiederhole: Wir sind nicht Ihre Feinde. Bitte antworten Sie, wenn Sie mich verstehen.«

Er wartete, betrachtete die herabzählenden Sekunden, blickte durch die Zentrale, schaute zu Thora und Tom, dann wieder zum Countdown im Holo.

... 49, 48, 47 ...

Die Fremden schwiegen.

»Ich habe etwas«, meldete Eschkol. Im Holo erschienen nebeneinander zwei wilde Muster aus sich überlagernden Wellenlinien. Offenbar die grafische Darstellung des Funkspruchs. »Der linke, der Spruch an uns, ist ein wenig länger als der an die Mehandor. Ansonsten sind beide identisch. Bis auf die Anhängsel, die wir empfangen haben. Sie unterscheiden sich.«

»Das bedeutet?«

»Ich weiß es nicht.«

»Das bedeutet ...«, erklang die Stimme von Professor Ephraim Oxley. Rhodan hatte völlig vergessen, dass sich der Hyperphysiker ebenfalls in der Zentrale aufhielt, weil er bislang alles schweigend beobachtet hatte. »Das bedeutet, dass die Fremden einen Dechiffrierungskode mitgeschickt haben. In unterschiedlichen Sprachen. Zumindest hoffe ich das.«

»Aber wie sollen wir einen Kode benutzen, den wir nicht verstehen?«, fragte Eschkol.

Der Countdown sprang auf 31, und die Nachricht ertönte erneut.

Oxley eilte an die Funkkonsole. Sofort wirbelten seine Finger durch die Bedienelemente. »Ich extrahiere das dritte Anhängsel.« Im Holo erschienen die Segmente, die der Professor für einen Dechiffrierungskode hielt. Sie flossen übereinander. Gelegentlich flammten einzelne Wellenlinien auf, andere verschwanden.

Was tat er da nur?

Rhodan schielte zum Countdown.

... 27, 26, 25 ...

»Kreuzvergleich«, sagte Oxley, was auch immer er damit meinte. »Ausscheiden identischer Teile. Extraktion der Sprachkomponenten. Vor allem der letzte Kode ist hilfreich. Offenbar haben die Fremden Ihren Funkspruch, unsere Sprache eingearbeitet.«

»Großartig. Und was heißt das jetzt? Uns bleibt nicht mehr viel Zeit!«

... 18, 17, 16 ...

»Das heißt Folgendes«, sagte Oxley.

Plötzlich hallte eine geschlechtslos klingende Stimme durch die Zentrale. »Seid ihr wahres Leben?«

... 15, 14, 13 ...

Das war der Inhalt des Funkspruchs? Was sollte das? Rhodan war klar, dass er darauf reagieren musste. Nur wie? Ihm blieben lächerliche elf Sekunden, eine Antwort zu formulieren. Nein: zehn.

»Klar sind wir das«, hörte er Toms Stimme von der Mutantenlounge. »Was denn sonst?«

Der Junge hat recht, dachte Rhodan. »Wir funken ein simples Ja«, entschied er.

... 9, 8 ...

Oxley verschlüsselte die Nachricht in ein kurzes Zischen und Klopfen.

Sieben, sechs.

»Antwort gesendet«, meldete er.

... 5, 4 ...

Rhodan starrte das Holo an. Keiner sprach mehr ein Wort. Jeder wartete.

... 3, 2 ...

Er wandte den Blick Thora und Tom zu. Wenn er sterben sollte, wollte er, dass sie das Letzte waren, das er in seinem Leben sah.

... 1, 0.

Nichts geschah. Weder wiederholte sich der Zisch-und-Klopf-Funkspruch noch antworteten die Fremden auf andere Weise. Glücklicherweise eröffneten sie ebenso wenig das Feuer.

»War's das?«, fragte Schimon Eschkol.

»Schutzschirm einsatzbereit«, meldete in diesem Augenblick Dimina Lesch.

Unwillkürlich musste Rhodan lächeln. »Hochfahren«, befahl er, obwohl er inständig hoffte, dass das nicht mehr nötig war. Sekundenlang hing der Würfelraumer im All. Regungslos, lauernd, bedrohlich, vielleicht abwartend.

»Die Tastung läuft noch?«, erkundigte er sich.

»Auf Hochtouren«, antwortete Eschkol. »Bisher ohne neue Ergebnisse. Die P'Kong sind weiterhin nicht aufgetaucht. Dennoch schlage ich vor, uns von hier zu entfernen.«

»Eigentlich bin ich Ihrer Meinung, Major, aber mir ist unwohl bei dem Gedanken, dass die Besatzung dieses Monstrums ...« Rhodan deutete auf das riesige Raumschiff im Holo. »... das als Fluchtversuch auffassen könnte. Wir haben bei den Mehandor gesehen, wozu sie fähig sind.«

»Und wenn wir noch eine Nachricht schicken? Ein bisschen ausführlicher diesmal. Oder überhaupt eine Kontaktaufnahme versuchen, die über merkwürdige Fragen und einsilbige Antworten hinausgeht.«

Rhodan dachte darüber nach. »Nein«, entschied er dann. »Wir haben keine Ahnung, worauf die Fremden abzielten oder was sie unter ›wahrem Leben‹ verstehen. Die Gefahr, dass sie das bemerken, ist zu groß. Besser, wir sagen gar nichts als etwas Falsches.«

»Das heißt, wir sollen tatenlos die Position halten und darauf warten, dass was passiert?«

»Der Gedanke behagt mir genauso wenig wie Ihnen, aber er scheint mir im Augenblick die beste ... Oh!«

Unvermittelt zerbrach der Riesenwürfel in acht unregelmäßige Fragmente von jeweils rund tausend Metern Kantenlänge. Keines von ihnen sah friedfertiger aus als das Gesamtkonstrukt. Im Gegenteil. Acht Schiffe, jedes so groß wie die CREST. Selbst mit Schutzschirm hatten die Menschen wahrscheinlich keine Chance gegen die Fremden.

»Was tun die da?«, fragte Deringhouse. »Angriffsformation?«

Die Antwort bekam er nur eine Sekunde später. Die Würfelbruchstücke beschleunigten mit Werten, die sogar jene der zerstörten BOOTY übertrafen. Sie rasten in verschiedene Richtungen davon und gingen nur Augenblicke danach fast zeitgleich in Transition.

»Das war ...«, sagte Conrad Deringhouse, unterbrach sich jedoch, als müsse er nach dem richtigen Ausdruck suchen, »... überraschend.«

Rhodan wandte sich erneut Crest zu. »Hast du schon einmal einen derartigen ... Fragmentraumer gesehen?«

»Tut mir leid«, antwortete der Arkonide. »Ich bin von dem Auftritt genauso verblüfft wie du.«

»Schade. Dann wollen wir jetzt Major Eschkols Empfehlung folgen und etwas Abstand zwischen uns und das Rematerialisierungsfeld bringen.«

»Das soeben erloschen ist«, teilte der Ortungschef mit.

»Trotzdem. Ich möchte mehr über dieses System der einsamen Zwillingssterne herausfinden. Wo genau liegt es, gibt es Planeten, ist einer davon Achantur? Und vor allem will ich wissen, warum die CREST unter dem Transmitterdurchgang so gelitten hat. Conrad, Professor Oxley, gehen wir die Aufzeichnungen durch. Vielleicht finden wir etwas. Länger als eine Stunde sollten wir dafür nicht brauchen. – Oberst Melville«, wandte er sich an den Ersten Offizier, »berufen Sie für danach eine Lagebesprechung ein.«

2.

Entfernte Bekannte

Einige Stunden zuvor

Perry Rhodan widerstrebte es, zum Tagesgeschäft zurückzukehren, als sei nichts geschehen, als hätten sie nicht gerade eine Trauerfeier für die verlorenen Freunde abgehalten, als seien sie nicht alle noch erschöpft und zutiefst getroffen von den zurückliegenden Ereignissen. Und dennoch flogen sie nun ins Trapezasystem im Sternhaufen Hamtar Rhag Nar Rhug ein, um nach Achantur zu suchen und Crests Traum von Heilung und Unsterblichkeit Wahrheit werden zu lassen.

Das Leben geht weiter. Einer der dämlichsten und überstrapaziertesten Sprüche der Menschheitsgeschichte. War derjenige, der diese schalen Worte zum ersten Mal ausgesprochen hatte, wirklich der Meinung gewesen, er könne den Hinterbliebenen damit Trost spenden? Und trotzdem steckte ein Funke Wahrheit darin. Nein, mehr als nur ein Funke. Denn das Leben ging tatsächlich weiter – zumindest für die, die nicht gestorben waren. Und wenn die Überlebenden dem Tod ihrer Freunde wenigstens einen Hauch von Bedeutung verleihen wollten, dann durften sie nicht in Trauer und Betroffenheit versinken, sondern mussten unbeirrt weitermachen, so wie Homer G. Adams, Sid Gonzáles und alle anderen es von ihnen erwartet hätten.

Nur: weitermachen womit? Es gab so viele Punkte auf ihrer Agenda, von denen jeder einzelne danach verlangte, als Erster abgearbeitet zu werden. Egal welchem sie sich vorrangig widmeten, es würde immer das Gefühl bleiben, etwas anderes vernachlässigt zu haben.

»Tun wir wirklich das Richtige?«, erklang eine Stimme neben Rhodan.

Er schaute zur Seite und lächelte. Thora ließ sich auf dem Sitz nieder, der vor einiger Zeit für den Auloren Tuire Sitareh in der Zentrale installiert worden war. Sie erwiderte das Lächeln nicht.

»Wo ist Tom?«, fragte er.

Thora deutete zur Mutantenlounge, wo Rhodan seinen Sohn zusammengekauert und mit dem Plüschhaluter im Arm entdeckte. »Er schläft. Ich wollte ihn nicht in der Kabine allein lassen. Nach allem, was er durchgemacht hat, möchte ich in seiner Nähe sein, wenn er aufwacht.«

»Ich verstehe.« Er zögerte. »Ein Schlachtschiff ist der denkbar ungeeignetste Ort für einen Jungen in seinem Alter.«

»Er ist endlich wieder bei seinen Eltern. Nur das zählt.«

»Aber zu Hause wäre ...«

»Was wäre zu Hause?«, fiel sie ihm ins Wort. »Glaubst du, ein Kindermädchen kann uns ersetzen und ihm dabei helfen, seine Erlebnisse zu verarbeiten? Denn du würdest ja sofort wieder aufbrechen.«

»Du könntest bei ihm bleiben.«

Thora richtete den Oberkörper auf. Angriffsstellung, wie Rhodan erkannte. »Agaior Thoton ist uns entkommen! Er hat Tom entführt, ist für den Tod unserer Freunde verantwortlich, hat die Arkoniden an die Allianz verraten und droht nun, zum Mörder eines ganzen Volks zu werden. Meines Volks, Perry. Dem von Crest und Atlan. Erwartest du ernsthaft, dass ich mich in so einer Situation daheim hinsetze und darauf warte, dass alles von selbst wieder gut wird? Kennst du mich wirklich so schlecht?« Sie legte eine kurze Pause ein. Mit ruhigerer Stimme fuhr sie fort: »Mir liegt Toms Wohl genauso am Herzen wie dir. Aber ihn nach Terrania zu bringen und dort zurückzulassen, ist keine Alternative. Und ich kann nicht auf der Erde bleiben. Ich kann nicht, verstehst du?«

Beschwichtigend hob Rhodan die Hände. Sie hatten die Diskussion bereits mehrfach geführt, und Thora würde sich nicht umstimmen lassen. »Selbstverständlich verstehe ich das. Ich ... Nun ja, ich mache mir einfach Sorgen um ihn.«

»Was für ein Vater wärst du, wenn du das nicht tätest?«

Er beschloss, das Thema zu wechseln. »Die Insel der versammelten Todgeweihten«, übersetzte er den arkonidischen Namen des Sternhaufens Hamtar Rhag Nar Rhug mit Blick auf das Panoramaholo. Es zeigte Sede, den einzigen erdähnlichen Planeten des Trapezasystems. »Nicht gerade die Bezeichnung eines Orts, an dem man den Hort des Ewigen Lebens suchen würde.«

»Deshalb werden wir ihn hier auch nicht finden«, erklang Crests Stimme hinter ihm. »Sondern nur das Tor, das uns hinbringen wird.«

Rhodan zuckte zusammen und drehte sich zu dem Arkoniden um. Lächelnd fragte er seinen alten Mentor: »Bist du dir sicher, dass du ihn überhaupt brauchst? Du schleichst dich immer noch an wie ein Junger.« Eine übertriebene Schmeichelei, denn Crest sah fürchterlich aus. Krank, verbraucht, dem Tode nah.

»Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken.« Crest trat um den Sessel herum. »Hast du schon eine Idee, wie uns der Spruch ans Ziel bringen kann?«

Vertrauen ist die erste Pflicht des Suchenden, gingen Rhodan die Worte durch den Kopf, die der Arkonide fortwährend zitierte, seit er an Bord war. Mut die zweite. Gewissheit ist der Lohn. Fliegt durch das Ewige Tor. Am anderen Ende erwartet euch der Hort.

»Ich habe mir bisher keine Gedanken darüber gemacht«, gab Rhodan zu. »Es wäre schön, wenn Agaior Thotons Traumbehandlung in deiner Erinnerung nicht nur den Spruch selbst als Schlüssel freigelegt hätte, sondern auch eine Gebrauchsanweisung. – Kennst du Eric Leyden?«

Crest verneinte.

»Dumme Frage«, sagte Rhodan. »Er hat erst für einigen Wirbel gesorgt, als du die Erde längst verlassen hattest. Ein genialer Kopf, dieser Leyden. Ein bisschen anstrengend, aber genial.« Er deutete auf die Holodarstellung des Planeten. »Die BOOTY hat ihn und ein paar weitere, nicht minder tüchtige Wissenschaftler auf Sede zurückgelassen, bevor sie uns ins Sapirasystem gefolgt ist.« Die genauen Umstände ließ er außen vor. Sie spielten keine Rolle. Auch den Auloren Tuire Sitareh erwähnte er nicht. Ihn würde Crest früh genug kennenlernen. »Leyden hat sich innerhalb kürzester Zeit zu einer Koryphäe entwickelt, was die Liduuri und ihre Hinterlassenschaften angeht – beispielsweise ihre gewaltigen Transmitter. Wenn er wieder an Bord ist, wird er uns weiterhelfen können, da bin ich mir sicher.«

»Protektor«, sagte wie auf Stichwort Schimon Eschkol von der Funkkonsole aus. »Wir haben ein Problem.«

»Was gibt es, Major?«

»Wir können Leyden und sein Team nicht erreichen.«

»Was soll das heißen?«

»Seit einer Viertelstunde funken wir Sede an, bekommen aber keine Antwort. Wir haben die Oberfläche rund um ihren Absetzpunkt gescannt und normaloptische Analysen laufen lassen. Nichts.«

»Nichts?«

»Nein, Sir. Es tut mir leid, aber ich fürchte, Leyden und sein Team sind verschwunden.«

Noch nie hatte Amanda Heikkinen eine Stadt gesehen, die aus lediglich einem Gebäude bestand. Mit großen Augen starrte sie den gut zweihundert Meter breiten Komplex an. Pietra, das einzige Bauwerk des Planeten Sede. Vier Stockwerke, jedes gegenüber dem darunterliegenden um ein Stück nach hinten versetzt. Dadurch ergab sich der Eindruck von Terrassen – oder einer vierstufigen Treppe für Riesen. Links und rechts davor je ein einstöckiger Flachbau, von denen wuchtige Rampen bis auf die dritte Terrassenebene führten. Und alles war aus altertümlich wirkenden Steinquadern errichtet, deren Front wie ein aufrecht stehendes H aussah.

Amanda glaubte sich vor einen gigantischen Tempel der Maya, Inka oder Azteken versetzt. Zumindest war das ihr laienhafter Eindruck. Sogar die bergige, dschungelhafte Umgebung passte, soweit sie das als heimatverwurzelte Finnin zu beurteilen vermochte. Sie konnte es nicht verhindern: Sie fühlte sich winzig und unbedeutend neben diesem Architektur gewordenen Größenwahnsinn. Eric Leyden oder Luan Perparim hätten sie wahrscheinlich wegen ihrer Ahnungslosigkeit belächelt und anschließend über die Unterschiede der einzelnen untergegangenen Kulturen belehrt.

Dazu müssten sie aber hier sein, dachte Amanda. Stattdessen haben sie es vorgezogen, einfach zu verschwinden. Und nun stehe ich hier, um auf Anweisung von Perry Rhodan nach ihnen zu suchen. Ich bin begeistert.

»Wie sollen wir sie in diesem Ungetüm nur finden?«

»Indem wir Raum für Raum durchsuchen«, sagte Cel Rainbow.

Amanda drehte sich zu ihm um. Hinter dem Lakota erhob sich die EXPLORER. Seltsam, obwohl die Korvette der CREST mit ihren sechzig Metern fast dreimal so hoch war wie das fremdartige Gebäude, bereitete ihr der Anblick keine Beklemmungen.

Andererseits, bei näherem Nachdenken, doch nicht seltsam. Im Gegensatz zu Pietra, wie Leyden die Stadt getauft hatte, kannte sie das Innere des Schiffs in- und auswendig. Und vor allem gab es in der EXPLORER keine dunklen Räume. In diesem Tempelding hingegen, das offenbar nur einen einzigen Zugang und keinerlei Fenster aufwies ...

»Da haben wir aber einiges zu tun«, sagte sie. »Und wer weiß, wie tief sich die Anlage in den Boden erstreckt?«

»Dann sollten wir nicht trödeln. Kommen Sie, die anderen warten schon. Wir teilen Suchtrupps ein.«

Amanda war froh, dass Rainbow sie nicht rügte, weil sie sich ein paar Meter von der Gruppe abgesetzt hatte, um das Gebäude in aller Ruhe auf sich wirken zu lassen. Ein Missionsleiter, wie ihr Vater gewiss einer gewesen wäre, hätte ihr dafür die Leviten gelesen. Reicht es nicht aus, dass bereits fünf Personen verschwunden sind? Willst du unbedingt, dass wir noch nach einer sechsten suchen müssen? Reiß dich zusammen, Amanda! Es kann nicht immer nur nach deinem Kopf gehen.

Cel Rainbow jedoch verstand sie, selbst wenn er keine Ahnung von den Hintergründen hatte. Er wusste nichts von der Burg Olavinlinna oder von ihrer Schwester Minttu, mit der sie vor fast dreizehn Jahren ...

Sie schob die schmerzhafte Erinnerung beiseite, bevor diese zu übermächtig werden konnte, und folgte dem Captain um einen der Flachbauten zu den Zelten, die sie gefunden hatten. Das Camp der Wissenschaftler. Das verlassene Camp. Davor hatten sich sechs Personen versammelt, unter ihnen Thi Tuong Nhi und Ron Daltrey von der zerstörten LEPARD. Die Vietnamesin hatte Rhodan gebeten, in die Suchmannschaft aufgenommen zu werden.

»Ich habe mein Schiff verloren, Protektor«, hatte sie zu ihm gesagt, ohne sich darum zu scheren, dass Amanda und drei weitere Kameraden vom Bodenlandetrupp zuhörten. »Zugleich mein Kommando und meine Aufgabe. Und die Hälfte meiner Besatzung. Ich fühle mich nutzlos auf der CREST. Deshalb bitte ich Sie: Lassen Sie mich dazu beitragen, dass nicht auch Sie Mitglieder Ihrer Besatzung verlieren.«

Obwohl sie bislang kein Wort gewechselt hatten, mochte Amanda sie. Es imponierte ihr, dass Thi Tuong Nhi trotz des Untergangs ihres Schiffs weder Haltung noch Stärke eingebüßt zu haben schien. Hoffentlich machte Thi sich selbst und ihren Mitmenschen damit nichts vor. Amanda wusste nur zu gut, wie schnell so etwas geschah.

»Also gut«, wandte sich Rainbow an sein Team. »Hier sind die Fakten: Wir haben Eric Leyden, Tuire Sitareh, Luan Perparim, Belle McGraw und Abha Prajapati vor drei Tagen hier abgesetzt. Was auch immer in der Zwischenzeit geschehen ist, es kann noch nicht lange zurückliegen. Vierundzwanzig Stunden höchstens.« Er deutete auf die aufgerissenen und geleerten Verpflegungspacks in einer Kunststoffbox neben dem Zelteingang.

»Vielleicht hat derjenige, der sie verschleppt hat, einfach nur großen Appetit gehabt und sich ein paar der Pakete gegönnt«, spekulierte Stan Westerkamp, ein Soldat des Landetrupps.

Rainbow sah ihn einige Sekunden ernst an. »Nachdem wir alle nun gebührend über Ihren Scherz gelacht haben ...«

»Entschuldigung, Sir, aber das war kein Scherz. Etwas locker formuliert vielleicht, mag sein. Aber worauf ich hinweisen wollte: Wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen.«

»Zur Kenntnis genommen. Unsere erste Suche im Umfeld der Stadt hat nichts ergeben. Das heißt, falls die Gesuchten noch hier sind, dann aller Wahrscheinlichkeit nach im Gebäude.«

Ron Daltrey hob die Hand. »Warum? Wir befinden uns auf dem Hochplateau eines Gebirgsmassivs, das sich aus einem von Urwäldern überwucherten Kontinent erhebt. Kann es nicht sein, dass sie Pietra verlassen haben und in den Dschungel vorgedrungen sind?«

»Aus zwei Gründen. Erstens habe ich Leyden erlebt, nachdem er die Stadt gefunden hat. Er war wie aufgedreht. Es gab für ihn nichts Wichtigeres, als diesen Steinkoloss zu untersuchen. Niemals wäre er ohne triftigen Anlass hier weggegangen. Und zweitens: Die CREST hat die komplette Umgebung gescannt. Weder Wärmebildaufnahmen noch die Suche nach Energiesignaturen ihrer Schutzanzüge haben etwas ergeben. Das heißt, selbst wenn sich Leyden und sein Team – warum auch immer – im Dschungel herumtreiben und aus unbekannten Gründen nicht auf Funksprüche reagieren sollten, haben wir nicht den Hauch einer Chance, das zu schaffen, was der CREST nicht gelungen ist. Deshalb müssen wir uns auf den logischsten und wahrscheinlichsten Suchort konzentrieren: die Stadt. Sonst noch Fragen?«

»Ja, Sir«, sagte Daltrey. »Eine.«

Amanda verkniff sich ein Schmunzeln. Sie hätte den jungen Mann nicht als so hartnäckig eingeschätzt. Das gefiel ihr. Sie beschloss, dass er es wert war, ihn nach dem Einsatz besser kennenzulernen.

»Sie sagten, falls Leyden und sein Team noch hier sind«, fuhr Daltrey fort. »Wo sollen sie denn sonst sein? Schließlich hatten sie kein Raumschiff.«

»Ihnen ist bekannt, dass Leyden auf dem Mars die Steuerstation der Liduuri für einen Transmitter im Großen Roten Fleck des Jupiters entdeckt hat? Wenn ich seine Aufregung richtig deute, hat er auch Pietra für eine Hinterlassenschaft dieser Kultur gehalten. Vielleicht hat er damit recht, und hier befindet sich ebenfalls ein Transmitter.«

»Auf einem Planeten, der in den Großen Roten Fleck hineinpassen würde? Und wie sollten er und sein gesamtes Team ihn durchflogen haben? Wie gesagt: Sie hatten kein Raumschiff.«

Rainbow nickte. »Es ist unsere Aufgabe, das herauszufinden. Deshalb bilden wir Suchtrupps. Tim Schab...« Er unterbrach sich mitten im Wort und sah zu Thi Tuong Nhi, die ihn mit verkniffener Miene anstarrte.

Oh, oh, dachte Amanda. Kommt es etwa jetzt schon zu Kompetenzgerangel?

»Ist etwas nicht in Ordnung, Captain Thi?«, fragte er.

»Keineswegs. Alles bestens, Captain Rainbow«, antwortete sie in einem Tonfall, der bewies, dass das Gegenteil der Fall war.

»Das freut mich zu hören.« Er zögerte. »Ich weiß, was Ihnen und der Mannschaft der LEPARD zugestoßen ist, und ich trauere mit Ihnen um die Toten.« Thi Tuong Nhi wollte etwas sagen, Rainbow ließ sie indes nicht zu Wort kommen. »Doch wenn ich Sie richtig einschätze, ist Ihnen Mitleid zuwider. Stattdessen glauben Sie, ein Unheil, das nicht Sie verschuldet haben, wiedergutmachen zu müssen.«

»Ich denke nicht ...«, unterbrach Thi ihn mühsam.

Für einen Augenblick glätteten zu Amandas Verwunderung ehrliches Mitgefühl und Verständnis Rainbows Züge. »Bei uns Lakota gibt es eine Redewendung: ›Blicke zurück, um deinen Ahnen zu gedenken, aber blicke nach vorn, um sie zu ehren.‹ Eine andere Weisheit der Alten sagt: ›Der starke Mann will stets mit dem schnellsten Pferd voranreiten, der kluge Mann jedoch weiß, wann er sich mit einem Maultier zufriedengeben muss.‹ Oder wie wäre es hiermit? ›Der Wind trägt zwei Adler nur dann, wenn sie in dieselbe Richtung fliegen.‹« Rainbow grinste. »Davon hätte ich noch viel mehr auf Lager. Aber zur sicherlich großen Erleichterung unserer Kameraden kann ich darauf verzichten, weitere Lebensweisheiten der Lakota zu zitieren. Denn schließlich ist ja alles bestens. Habe ich recht, Captain Thi?«

Die Spur eines Lächelns huschte über das Gesicht der Vietnamesin. »Absolut, Sir.«

»Ausgezeichnet. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja: Suchtrupps. Tim Schablonski bleibt aus Sicherheitsgründen an Bord der EXPLORER. Daltrey, Sie und Westerkamp nehmen sich noch einmal den Außenbereich vor. Suchen Sie nach Grabungsstellen, abgesplitterten Steinbrocken, Blutspuren, was weiß ich. Eben nach allem, was irgendwie mit dem verschwundenen Team in Zusammenhang stehen könnte. Achten Sie darauf, ob Ihnen eine Katze über den Weg läuft.«

»Eine Katze, Sir?«, fragte Daltrey.

»Hermes. Leydens ständiger Begleiter.« Rainbow teilte zwei weitere Zweiergruppen ein. Zum Abschluss sagte er: »Heikkinen, Sie kommen mit mir. Und jetzt lassen Sie uns hoffen, dass Westerkamp nicht recht behält und irgendwelche Fremden hier aufgetaucht sind, die Leyden und Co. verschleppt haben. Allerdings halte ich das für eher unwahrscheinlich.«

Wer weiß das schon so genau?, dachte Amanda. Wieder stiegen Erinnerungen an die Zeit vor dreizehn Jahren in ihr auf. An die Fantan, die auf der Suche nach Beute, nach Besun, alle nur denkbaren Gegenstände und sogar Menschen einfach mitgenommen hatten. Aber nicht Minttu. Oh nein, sie nicht, denn dann könnte sie vielleicht noch leben.

»Heikkinen, was ist los?«, fragte Rainbow. »Wir haben keine Zeit für Tagträume.«

Sie sah auf und bemerkte, dass sich die Suchmannschaft bereits auf den Weg gemacht hatte. »Natürlich nicht, Sir. Bin schon unterwegs.«

Das Innere von Pietra erwies sich als größeres und unübersichtlicheres Labyrinth, als man von außen hätte erahnen können. Außerdem hatte sich Amandas Befürchtung bestätigt: In den Gängen und Räumen war es stockdunkel. Die in die Schutzanzüge integrierten Lampen vertrieben die Finsternis zwar zum Teil, allerdings blieben in den Ecken und den entfernten Enden der Korridore immer noch genügend schwarze Schatten übrig. In regelmäßigen Abständen legten die drei Suchmannschaften Leuchtplättchen ab, kleine, grünliche Inseln in der Dunkelheit, die ihren Weg markierten. Eine Absicherung auf chemischer Basis, falls aus irgendeinem Grund die Technik ihrer Anzüge versagen sollte. Solange sie nicht wussten, was mit Leyden und seinem Team geschehen war, konnten die Suchtrupps nicht vorsichtig genug sein.

Die Raumfahrer hatten die Anzugpositroniken gekoppelt und erstellten so automatisch per Umgebungsortung ein dreidimensionales Abbild der Anlage, während sie Gänge erforschten, in Sackgassen gerieten, Räume mit bis zu fünf weiteren Ausgängen betraten, lange und kurze, schmale und breite Treppen hinauf- oder hinunterstiegen oder weitläufige Hallen durchquerten. Doch jedes Mal, wenn Amanda den Lageplan mit dem kleinen Holoprojektor aktivierte, stellte sie fest, dass es weiterhin große Lücken in der Darstellung gab. Bereiche, in die noch keiner von ihnen vorgedrungen war. Und das, obwohl sie bereits seit gut zwei Stunden unterwegs waren.

Ebene für Ebene arbeiteten sie sich in die Tiefe.

Die gute Nachricht war, dass sie bisher weder auf Fallen, Leichen noch geheimnisvolle Fremde gestoßen waren. Die schlechte war, dass sie Eric Leyden und die anderen Verschollenen noch nicht gefunden hatten. Pietra stand absolut leer. Wenn es einst Mobiliar gegeben haben sollte, hatten die Liduuri – oder wer auch immer – es weggeschafft. Nicht einmal Staub, Käfer oder Pflanzen hatte der Suchtrupp in den zahllosen Räumen entdeckt. Wie die Außenmauern bestanden die Innenwände gleichfalls zum größten Teil aus wuchtigen H-Blöcken.

Messungen hatten ergeben, dass sie alle exakt einen Meter hoch und breit und sechzig Zentimeter tief waren. Manche Wände waren glatt, andere zeigten Symbole, die auf Amanda wie ägyptische Hieroglyphen wirkten. Allerdings musste sie zugeben, dass sie davon wenig Ahnung hatte. Und so stellte die Anlage in ihren Augen einen einzigen Stilbruch dar: einerseits altertümlich in der Bauweise und wegen der Wandzeichen, andererseits klinisch rein, fast schon steril.

»Sehen Sie!«, rief Cel Rainbow. »Dort vorne.« Im nächsten Augenblick schaltete er die Lampen seines Anzugs aus.

»Was tun Sie denn da?«, fragte Amanda, doch in der gleichen Sekunde sah sie es selbst.

Gute zehn Meter vor ihnen führte eine Rampe in eine tiefer gelegene Ebene. Jenseits der rechteckigen Aussparung im Boden setzte sich der Gang jedoch noch ein Stück fort, bevor er hinter einer Biegung verschwand. Von unten erleuchtete gelblich weißes Licht die Wände. Auch Amanda schaltete ihre Lampen aus.

Rainbow zögerte nicht und schritt die Rampe hinab. Mit einem unguten Gefühl – Kann das eine Falle sein? Und wenn es keine ist, kann es zu einer werden? – folgte sie ihm.

Sie betraten einen Raum, der etwa fünf Meter im Quadrat maß. Die Wände bestanden erneut aus H-Blöcken, die jedoch keinerlei Inschriften aufwiesen. Stattdessen verliefen dazwischen breitere Fugen als im Rest der Anlage. Aus ihnen drang das Licht. Wo mochte die Energiequelle für diese fremdartige Beleuchtung untergebracht sein?

Und vor allem, dachte Amanda, wie lange wird sie noch vorhalten?

Die Fugen stellten nicht den einzigen Unterschied zu den restlichen Räumen dar, denn diese Kammer hier war nicht leer. In ihrem Zentrum erhob sich ein hüfthoher Granitblock, um dessen oberes Ende ein steinerner Rahmen verlief.

Cel Rainbow ging sofort darauf zu, während Amanda in einer Ecke zwei dunkle Brocken entdeckte, die sie sich näher anschaute. Kot. Von einer Katze? Hatten sich Leyden und Hermes in diesem Raum aufgehalten?

»Ist das nicht das Steinplättchen, mit dem Leyden immer spielt, wenn er sich unbeobachtet fühlt?«, fragte Rainbow.

Amanda drehte sich zu ihm um. Der Captain griff in den Rahmen hinein, holte etwas hervor, das sie nicht erkannte ...

... da klappte die steinerne Rampe mit lautem Knirschen und Rumpeln nach oben, und das Licht erlosch.

Urplötzlich brachen die Erinnerungen über Amanda herein wie eine Flutwelle. Ihr Herz raste, Hitzewellen schossen durch ihren Körper, ihr Mund trocknete aus. Sie sank in sich zusammen, schob sich nach hinten, bis sie die Wand im Rücken spürte, zog die Beine an und umklammerte diese. Amanda glaubte, Staub zu schmecken, das Knirschen von Steinchen zwischen den Zähnen zu spüren. Gedämpft hörte sie das Schreien von Menschen. Männer, Frauen, Kinder. Leise nur, aber voller Entsetzen. Und dann wieder ein Knirschen. Diesmal nicht in ihrem Mund, sondern in den Wänden. Steine verschoben sich gegeneinander, drohten, auf sie zu stürzen. Der Boden bebte. Ein Wimmern erklang. Wahrscheinlich hatte sie selbst es ausgestoßen. Oder war es ihre Zwillingsschwester gewesen, die in der Dunkelheit lag und vor Schmerzen stöhnte?

»Minttu«, ächzte Amanda. »Halte durch.«

»Heikkinen!«, dröhnte Rainbows Stimme durch den Raum. »Was ist los mit Ihnen?«

Licht flammte auf. Die Lampen seines Schutzanzugs verscheuchten die Dunkelheit und holten Amanda in die Gegenwart zurück.

»Reißen Sie sich zusammen!«

Sie sah zu ihm auf, doch seine Gestalt verschwamm hinter einem Schleier aus Tränen. »Minttu«, sagte sie mit so brüchiger Stimme, dass sie es selbst kaum verstand.

Amanda sah sich um. Der Raum hatte sich nicht verändert. Es gab keine eingestürzte Decke, keine geborstene Wand. Keinen Staub. Alles war sauber – wenn man von den Katzenexkrementen absah, die nur ein paar Zentimeter neben Amanda lagen. Hastig rückte sie ein Stück zur Seite.

Rainbow schaute auf das Etwas, das er zwischen den Fingern hielt, und legte es zurück in den Steinrahmen. Sofort flammte das Licht in den Fugen wieder auf, als habe er einen Schalter bedient, und die Rampe sank herab. Er eilte zu Amanda, streckte ihr die Hand entgegen und half ihr auf.

»Alles in Ordnung bei Ihnen?«, hörte sie Thi Tuong Nhi über den Helmfunk fragen.

»Alles bestens«, antwortete Rainbow. Dann öffnete er den Helm, desaktivierte das Funkgerät und sah Amanda eindringlich an. »Das ist es doch, oder? Alles bestens, meine ich. Wer ist Minttu?«

Amanda faltete den Helm ebenfalls in den Kragen des Anzugs. Die Luft war dünn, aber atembar. Sie roch schal und alt, aber nicht wie nach einem Gebäudeeinsturz. »Geht schon wieder«, sagte sie, ohne dass es über Funk an die anderen übertragen wurde. »Entschuldigen Sie den kleinen Aussetzer.«

»Würden Sie das so nennen, ja?« Rainbow musterte sie. »Verraten Sie mir, was da gerade mit Ihnen los war.«

»Das ... Das kann ich nicht.«

»Wie Sie wünschen. Dann werde ich allerdings Perry Rhodan, den Schiffskommandanten und den Kommandanten der Landetruppen davon unterrichten müssen. Und ich fürchte, das könnte das Ende Ihrer Karriere bedeuten.«

Übelkeit stieg in ihr auf. Du kannst nicht jeden retten, mein Kind, hörte sie den ach so fürsorglichen Eino Heikkinen in ihrem Kopf flüstern. »Nein, bitte tun Sie das nicht.«

»Dann reden Sie endlich! Und keine Ausflüchte, ist das klar?«

Sie sah zu Boden. »Waren Sie schon einmal in Finnland?«

Rainbow hob verwundert die Augenbrauen. »Bisher nicht. Was soll die Frage?«

»Dann sollten Sie das irgendwann nachholen und die Sehenswürdigkeiten genießen. In der Stadt Savonlinna beispielsweise liegt eine Burg namens Olavinlinna. Sie wurde im fünfzehnten Jahrhundert erbaut, um die Wasserwege zu schützen. Bis ins Jahr 2036 galt sie als die am besten erhaltene Mittelalterburg Nordeuropas.«

»Heikkinen!«, ermahnte sie Rainbow. »Überstrapazieren Sie nicht meine Geduld.«

»Als ich elf Jahre alt war, unternahm meine Schulklasse einen Ausflug dorthin. Meine Schwester Minttu und ich fanden es langweilig, uns den ganzen historischen Kram von König Gustavs Krieg gegen Russland, dem Großen Nordischen Krieg oder dem Frieden von Nystad anzuhören. Was interessiert elfjährige Mädchen das Herunterbeten trockener Fakten? Nein, Minttu und ich, wir wollten ein Abenteuer erleben. Also setzten wir uns unbemerkt von der Gruppe ab und erkundeten die Burg auf eigene Faust.«

»Und der Lehrer hat das nicht gemerkt?«

»Weiß ich nicht. Vielleicht. Doch bevor er reagieren konnte, kamen die Fantan.«

Rainbow riss die Augen auf. »Das Jahr 2036! Natürlich. Wollen Sie etwa sagen, dass die Fantan auf der Jagd nach Besun Ihre Schwester entführt haben?«

Amanda lachte auf, obwohl ihr zum Heulen zumute war. Wie lange hatte sie nicht mehr darüber gesprochen? Neun Jahre? Zehn? »Wenn es nur so gewesen wäre. Dann hätten sie Minttu nach der Fantan-Krise wieder freigelassen, und alles wäre gut ausgegangen. Nein, sie hatten kein Interesse an meiner Schwester, sondern an einem der Türme von Olavinlinna. Sie haben ihn mit Energiestrahlen einfach aus der Burg herausgesägt und mit Traktorstrahlen in ihren Spindelraumer gezogen. So wie die Golden Gate Bridge.«

»Ich erinnere mich.«

»Die Bereiche um den fehlenden Turm stürzten ein. Minttu und ich wurden verschüttet.« Amanda bemerkte, wie sie immer schneller sprach. Aber sie wollte es endlich hinter sich bringen. »Stundenlang waren wir in absoluter Dunkelheit gefangen. Mir war nichts geschehen, aber meine Zwillingsschwester lag unter dem Gestein begraben. Sie hat geweint, vor Schmerzen geschrien, nach unseren Eltern gerufen. Es war fürchterlich. Aber schlimmer war, als sie immer leise wurde und nur noch unzusammenhängendes Zeug stammelte. Plötzlich hat sie angefangen, zu singen. Das ... Das Lied, das sie als kleines Mädchen ihrer Puppe so oft vorgesungen hat. Piiri pieni pyörii. Und dann ...« Amanda räusperte sich. »... ist sie gestorben.«

Rainbow schwieg. Das rechnete sie ihm hoch an. Hätte er ihr versichert, wie leid ihm ihr Verlust tat, wäre sie wahrscheinlich in Tränen ausgebrochen.

»Danach hat mir mein Vater schwere Vorwürfe gemacht«, fuhr sie fort. »Er hat es so dargestellt, als hätte ich Minttu dazu überredet, durch die Burg zu stromern. Dabei war es ihre Idee gewesen. Aber in seinen Augen trug ich die Schuld, weil es wieder einmal nach meinem Kopf hatte gehen müssen.« Sie legte eine kurze Pause ein und sammelte sich. Mit festerer Stimme fuhr sie fort: »Wie auch immer, obwohl mein Vater der Meinung war, dass ich nicht jeden retten könne, versuchte ich genau das. Ich nahm herrenlose Tiere auf und fütterte sie durch, verteidigte Mitschüler gegen Schulrowdys und steckte dabei selbst genug Prügel ein. Mit sechzehn oder siebzehn engagierte ich mich in der Jugendfeuerwehr, in der Ersten Hilfe und in der Sterbebegleitung. Sehr zum Unwillen meines Vaters übrigens.« Sie zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich meine Art der Wiedergutmachung für etwas, an dem ich keine Schuld trug. Und immer wollte ich nur eines: dazu beitragen, dass so etwas wie mit den Fantan nicht noch einmal geschehen kann. Tja, und dann kamen die Arkoniden, was mich in meinem Wunsch aber nur bestärkte. Mein Vater war dagegen, dass ich der Terranischen Flotte beitrete, aber nach seinem Tod hat mich nichts mehr gehalten.«

Rainbow musterte sie sekundenlang. »Wissen Ihre Vorgesetzten davon?«

»Vielleicht gibt es in meiner Personalakte einen Eintrag bei den Familienverhältnissen. Mehr als ›Zwillingsschwester, 2036 verstorben‹ dürfte aber nicht drinstehen.« Sie machte eine ausholende Armbewegung. »Und damit, dass der Anblick dieses ... steinernen Gefängnisses und die plötzliche Dunkelheit alles wieder in mir hochspülen, habe ich selbst nicht gerechnet. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn das unter uns bleiben könnte. Es wird nicht noch einmal vorkommen.«

»Ihnen ist bewusst, dass Sie mit einem derartigen Ausfall Kameraden gefährden können?«

Sie sah zu Boden. »Ich weiß.«

»Also gut, ich behalte es für mich. Aber nur, wenn Sie mir versprechen, nach unserer Rückkehr auf die Erde zu einem Therapeuten zu gehen, der Ihnen dabei hilft, alles aufzuarbeiten.«

»Versprochen.«

Der Lakota lächelte. »Ich verlasse mich darauf. Glauben Sie mir, die Seele Ihrer Schwester wird Sie immer begleiten, aber nur, wenn Sie sie freilassen.«

Amanda nickte. Sie war nie ein besonders gläubiger Mensch gewesen, und so konnte sie mit Rainbows Aussage wenig anfangen. Aber sie wusste, dass er es gut mir ihr meinte.

»Damit wäre das also besprochen«, sagte er. »Dann wollen wir mal sehen, ob die anderen mehr Erfolg hatten.« Er schloss den Helm und aktivierte das Funkgerät.

Sie tat es ihm gleich.

»... gerade erst mit ihm gesprochen«, erklang This Stimme. »Dann ist die Verbindung abgebrochen.«

»Heißt das, wir haben noch einen Vermissten mehr?«

Amanda fröstelte, als sie den zweiten Sprecher erkannte. Perry Rhodan. Einen dümmeren Augenblick, die Funkgeräte zu desaktivieren, hatten sie sich wirklich nicht aussuchen können.

»Hier spricht Captain Rainbow«, sagte der Lakota. »Entschuldigen Sie, wir hatten Probleme mit dem Funk. Wahrscheinlich hat der letzte Raum, den wir durchsucht haben, das Signal blockiert. Jetzt ist aber alles wieder in Ordnung.«

»Das ist es leider nicht«, erwiderte der Protektor. »Brechen Sie die Suche ab, und kehren Sie auf die CREST zurück.«

»Aber Sir, wir haben Leyden und sein Team noch nicht gefunden. Es kommt mir vor, als hätte jemand oder etwas sie einfach aus Pietra ... entfernt. Wir können jetzt nicht aufg...«

»Captain Rainbow«, unterbrach ihn Rhodan mit besonderer Betonung des Rangs. »Wenn Sie die Leute in den vergangenen zwei Stunden nicht gefunden haben, werden Sie sie in den nächsten zwei Stunden ebenso wenig finden. Und falls Sie nicht auf Sede zurückbleiben wollen, kehren Sie auf die CREST zurück. Unverzüglich!«

»Jawohl, Sir.«

Rainbow eilte die Rampe hinauf. »Kommen Sie, Heikkinen. Sie haben den Protektor gehört. Die Suche nach Leyden ist beendet.«

Amanda lachte humorlos. »Sieht so aus, als hat mein Vater recht. Ich kann wirklich nicht jeden retten.«

Sie folgte dem Captain, ohne einen Blick in den steinernen Rahmen zu werfen.

Während der Suchtrupp auf Sede die Gänge und Räume von Pietra durchstreifte und gelegentlich an die CREST meldete, dass bisher weder Leyden noch ein anderes Mitglied seines Teams aufgetaucht war, beschloss Rhodan, nicht auf die Rückkehr des Hyperphysikers und Liduuri-Spezialisten zu warten.

Er hatte Crest und Professor Ephraim Oxley zu sich an den Kommandositz gebeten. Ein kleines Holo zeigte den Spruch, den sie für den Schlüssel zum Transmitter hielten.

Vertrauen ist die erste Pflicht des Suchenden.

Mut die zweite.

Gewissheit ist der Lohn.

Fliegt durch das Ewige Tor.

Am anderen Ende erwartet euch der Hort.

Oxley kramte einen Donut mit Schokoglasur aus seiner wie so häufig prall gefüllten Verpflegungstasche, biss ein großes Stück heraus und steckte den Gebäckrest zurück. »Je länger ich mir die Zeilen ansehe, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, dass es zum Scheitern verurteilt ist, den Transmitterschlüssel auf inhaltlicher Ebene zu suchen.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte Crest.

»Nun, sehen Sie, seit geraumer Zeit versuchen wir, in den Versen, wenn es sich denn um solche handelt, eine Anweisung für unser Handeln zu entdecken. Eine verschlüsselte Botschaft. Fliege zum Planeten A mit dem Großen Roten Fleck B, vertraue darauf, dass dies der Transmitter ist, habe den Mut, hineinzufliegen, und ernte nach dem Durchgang den Lohn der Gewissheit, dass du dich nicht geirrt hast. Das erscheint mir aber zu kurz gedacht. Erstens existiert im Trapezasystem kein Gasriese, dem wir uns entgegenstürzen könnten, zweitens dürfte wohl kein vernunftbegabtes Wesen bereit sein, auf Verdacht und eines sonderbaren Verses wegen in ein solches Naturphänomen einzufliegen, wo ihn statt der Gewissheit der Tod erwarten kann.«

»Leyden wahrscheinlich schon«, sagte Rhodan.

Oxley winkte ab. »Was meiner Behauptung ja nicht widerspricht. Anstatt uns dem Spruch also auf inhaltlicher Ebene zu nähern und nach offensichtlichen oder verborgenen Bedeutungen zu suchen, sollten wir ihn formell betrachten. Sechsundzwanzig Wörter, fünf Zeilen. Den Rahmen bilden zwei Zeilen zu je sieben Wörtern, der Innenteil hingegen besteht aus drei jeweils um ein Wort länger werdenden Zeilen.«

»Ja und?«, fragte Crest.

Der Professor sah ihn irritiert an. »Wie, ja und?«

»Was schließen Sie daraus?«

»Gar nichts. Ich wollte nur einen neuen Ansatz ins Spiel bringen. Mathematische Möglichkeiten aufzeigen. Haben Sie zum Beispiel bemerkt, dass die Anzahl der Wörter mit Ausnahme der mittleren Zeile, die eine Quadratzahl darstellt, aus Primzahlen besteht?«

Das war Rhodan nicht aufgefallen. Zumindest hatte er nicht bewusst darauf geachtet. »Sie meinen, wir sollten aus dem Spruch eine mathematische Reihe ableiten, die den eigentlichen Schlüssel bildet?«

»Ich meine gar nichts.«

»Ist das nicht ein bisschen arg kompliziert gedacht?«

Erneut kramte der Professor den angebissenen Donut hervor und stopfte sich den Rest in den Mund. »Hören Sie«, sagte er kauend und Krümel spuckend. »Ich bin Hyperphysiker und kein Kryptologe. Wenn Sie es unkomplizierter haben wollen, funken Sie den Spruch doch schlicht ins All, wie er ist. Vielleicht passiert ja etwas.«

Rhodan stutzte. Der Gedanke war in der Tat so banal, dass bisher keiner darauf gekommen war. Aber so einfach konnte es gewiss nicht sein. Oder?

»Nein«, widersprach Crest.

Einmal mehr fiel Rhodan auf, wie alt und entkräftet der Arkonide aussah. Abgemagert bis auf die Knochen, tiefe Augenringe. Ihn umgab eine stetige Aura der Müdigkeit. Trotz der Behandlungen und Aufbaupräparate, die der Chefarzt Dr. Volker Manz ihm verabreicht hatte, sah man ihm die langjährige Gefangenschaft deutlich an. Es würde noch sehr, sehr viel Zeit vergehen, bis er sich davon erholte. Falls das überhaupt jemals geschah. Umso wichtiger war es, den Hort des Ewigen Lebens zu finden. Wer konnte schon sagen, wie lange Crest andernfalls noch durchhielt?

»Nein«, wiederholte der Arkonide. »Als Thoton den Spruch mit seiner Infiniten Traummaschine aus meinem Unterbewusstsein holte, war mir klar, dass er nicht den Schlüssel zum Transmitter darstellt, sondern lediglich den Weg dorthin.«

»Was schlagen Sie also stattdessen vor?«, fragte Professor Oxley.

»Protektor!«, rief Schimon Eschkol von seiner Konsole. »Wir haben eine Ortung. Ein Schiff der P'Kong außerhalb des Trapezasystems. Nein, jetzt sind es schon zwei.«

Rhodan verkniff sich einen Fluch. Erst kürzlich hatten sie eine unangenehme Begegnung mit den Kriegern der Allianz gehabt. Es war den P'Kong sogar gelungen, die CREST zu kapern. Nur einer List und dem inzwischen zerstörten Bestienschiff BOOTY war es zu verdanken gewesen, dass die P'Kong schließlich unterlegen waren. Sannen sie nun auf Rache? »Was tun sie?«

»Im Augenblick nichts. Sie scheinen auf etwas zu warten.«

»Auf Verstärkung vielleicht? Wie haben sie uns gefunden?«

»Agaior Thoton!«, stieß Crest hervor. »Er kennt den Spruch. Und er weiß von Achantur. Womöglich hat er die gleichen Schlüsse über die Lage des Transmitters gezogen wie wir und uns die P'Kong hinterhergeschickt.«

»Letztlich spielt es keine Rolle. Es zählt nur, dass sie hier sind.« Rhodan warf einen kurzen Blick zur Mutantenlounge, wo sich Tom und Thora liebevoll um den Plüschhaluter kümmerten. Ihre Flucht vor Agaior Thoton hatte sein Sohn noch als großes, aufregendes Abenteuer angesehen. Das anschließende Gefecht jedoch, der Tod der Old Men, die Explosionen und das Chaos hatten etwas in ihm verändert, wenn nicht sogar zerstört. Er hatte begreifen müssen, dass die Toten nicht wieder aufstanden, sich den Staub aus den Anzügen klopften und lachend betonten, wie spannend das alles gerade gewesen sei. »Ich will eine Raumschlacht vermeiden. Mister Eschkol, stellen Sie eine Funkverbindung mit Sede her.«

»Verbindung steht«, teilte der Ortungschef nur eine Sekunde später mit.

»Captain Rainbow, hier spricht Perry Rhodan.«

Keine Antwort.

»Captain Rainbow!«, versuchte er es noch einmal.

»Captain Thi vom Suchtrupp hier«, ertönte die Stimme der Vietnamesin aus den Akustikfeldern. »Wir können Rainbow ebenfalls nicht erreichen. Ich habe gerade erst mit ihm gesprochen. Dann ist die Verbindung abgebrochen.«

»Heißt das, wir haben noch einen Vermissten mehr?«