Perry Rhodan Neo Paket 24 - Perry Rhodan - E-Book

Perry Rhodan Neo Paket 24 E-Book

Perry Rhodan

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Beschreibung

Unter großen Anstrengungen haben die Menschen erste Planeten in der Nähe des Sonnensystems besiedelt. Mit der Solaren Union ist ein kleines Sternenreich entstanden – nun wird es von dem mysteriösen Dunkelleben bedroht, einer unheimlichen Gefahr, über die man nur wenig weiß. Perry Rhodan muss ins Zentrum der Milchstraße reisen, hin zu Sagittarius A und zu dem riesigen Schwarzen Loch. Dort liegen die wichtigsten Welten des Compariats – in diesem geheimnisvollen Sternenreich weiß man offenbar mehr über das Dunkelleben. Mit der CREST II wagen Rhodan und seine Begleiter den entscheidenden Vorstoß. Die Raumfahrer treffen auf alte Bekannte, neue Gegner und ein paar tödliche Überraschungen ...

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Seitenzahl: 2177

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Unter großen Anstrengungen haben die Menschen erste Planeten in der Nähe des Sonnensystems besiedelt. Mit der Solaren Union ist ein kleines Sternenreich entstanden – nun wird es von dem mysteriösen Dunkelleben bedroht, einer unheimlichen Gefahr, über die man nur wenig weiß.

Perry Rhodan muss ins Zentrum der Milchstraße reisen, hin zu Sagittarius A und zu dem riesigen Schwarzen Loch. Dort liegen die wichtigsten Welten des Compariats – in diesem geheimnisvollen Sternenreich weiß man offenbar mehr über das Dunkelleben. Mit der CREST II wagen Rhodan und seine Begleiter den entscheidenden Vorstoß. Die Raumfahrer treffen auf alte Bekannte, neue Gegner und ein paar tödliche Überraschungen ...

Cover

Vorspann

Band 230 – Ruf des Dunkels

Vorspann

Prolog: Alltag

TEIL I – Die Unsterblichen

1. Willkommen

2. Ein Sessel am See

3. Kinder des Olymp

4. Männer bei der Arbeit

5. Government Garden

6. Das Meer und die Seele

7. Abschiede und Wiedersehen

TEIL II – Die Vergessenen

8. Mädchen für alles

9. Das Unmögliche

10. Das Unwahrscheinliche

11. Deck 17

12. Unter Riesen

13. Geisterstunde

14. Licht und Dunkel

15. Piratenehre

Band 231 – Angriff der Druuwen

Vorspann

1. Gekapert

2. Der Reisende

3. Gehorcht!

4. Widerstand!

5. ... zerschlagen

6. Über die Druuwen

7. Aufbruch

8. Widerstand ist nicht zwecklos

9. Vorbereitungen

10. Aufbruch

11. Das, was man Oase nennt

12. Sukar Masir

13. CREST II

14. Sukar Masir

15. Der geheimnisvolle Bingdu

16. Zurück

17. Plan B

Band 232 – Labor der Gaden

Vorspann

1. Die Kaverne

2. Die innere Stimme

3. Das Intarsium

4. Unerwarteter Besuch

5. Streitgespräch der Seele

6. Zeichen

7. Schwarzer Dunst

8. SENECA

9. Flucht zurück

10. Programmierung

11. Befehlsverweigerung

12. Nanitenflug

13. Der Notruf

14. Zum Labor

15. Verhandlungen

16. Unmöglichkeiten

17. Aschetanz

Band 233 – Der Oxtorner

Vorspann

Vorgeschichte – 3. Februar 2087: Vor dem Stapellauf

1. Die Irrfahrten des Omar Hawk: Die erste Etappe

2. Die zweite Etappe

3. Höllenfahrt

4. Die dritte Etappe

5. Omnitische Nachrichten

6. Die vierte Etappe

7. Käfighaltung

8. Die fünfte Etappe

9. Ein Sog ins Dunkel

10. Trümmerlandschaft

11. Die sechste Etappe

12. Überreste

13. Die letzte Etappe

14. Delphisches

15. Charybdis?

16. Die letzte Etappe

17. Wo der Zyklop haust ...

Band 234 – Die Himalaya-Bombe

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Band 235 – Das Mausbibergrab

Vorspann

1. Mentro Kosum

2. Omar Hawk

3. Perry Rhodan

4. Perry Rhodan

5. Danielle Pyme

6. Omar Hawk

7. Omar Hawk

8. Danielle Pyme

9. Omar Hawk

10. Omar Hawk

11. Perry Rhodan

12. Danielle Pyme

13. Perry Rhodan

14. Omar Hawk

15.

Band 236 – Das Ei der Loower

Vorspann

Künstliche Gedanken

1. Thora Rhodan da Zoltral

2. Gucky

3. Donna Stetson

4. Thora Rhodan da Zoltral

5. Perry Rhodan

6. Ein neuer Faktor

7. Perry Rhodan

8. Perry Rhodan

9. Kontaktaufnahme

10. Donna Stetson

11. Gucky

12. Donna Stetson

13. Perry Rhodan

14. Kurz zuvor: Donna Stetson

15. Diskurs

16. Perry Rhodan

17. Donna Stetson

18. Perry Rhodan

19. Gucky

20. Donna Stetson

21. Gucky

22. Perry Rhodan

23. Donna Stetson

24. Thora Rhodan da Zoltral

25. Gucky

26. Individuum

27. Thora Rhodan da Zoltral

28. Donna Stetson

29. Gucky

30. Thora Rhodan da Zoltral

31. Donna Stetson

Epilog

Band 237 – Das Omnitische Herz

Vorspann

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Band 238 – Die neun Türme

Vorspann

1. Halycon Faulkner: Karambolage

2. Perry Rhodan: Der Wächter

3. Kavvam jad Chi: Gescheiterte Flucht

4. Chronophasenlinie: Initiation

5. Perry Rhodan: Das Licht der Welt

6. Kavvam jad Chi: Gefangen

7. Perry Rhodan: Flug und Begleiter

8. Chronophasenlinie: Sukzession

9. Perry Rhodan: Glas und noch eine Kugel

10. Kavvam jad Chi: Gesprächsverlust

11. Perry Rhodan: Viele Wirbel

12. Chronophasenlinie: Prä-Klimax

13. Koggs: Aussichtslosigkeit trotz Transparenz

14. Perry Rhodan: Die Eigenheiten von Schlüsseln

15. Kavvam jad Chi: Missliebiger Besuch

16. Perry Rhodan: Zur Neunturmanlage

17. Perry Rhodan: Greifbare Ergebnisse?

18. Chronophasenlinie: Peripetie

19. Perry Rhodan: Am Ende

Band 239 – Merkosh

Vorspann

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Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

Band 230

Ruf des Dunkels

Oliver Plaschka

Gut fünfzig Jahre nachdem Perry Rhodan auf Außerirdische getroffen und die Menschheit zu den Sternen aufgebrochen ist, haben sich terranische Siedlungen auf verschiedenen Welten entwickelt. Die Solare Union bildet die Basis eines friedlich wachsenden Sternenreichs.

Aber die Sicherheit der Menschen ist immer wieder in großer Gefahr. Kaum hat Rhodan eine Invasion der Erde durch die Arkoniden abwenden können, macht sich eine weitaus unheimlichere Bedrohung wieder bemerkbar – das Dunkelleben. Der Oproner Merkosh, ein Besucher aus dem fernen Omnitischen Compariat, ist an dem tödlichen Quasivirus erkrankt.

Perry Rhodan will seinem Freund Merkosh helfen und dem rätselhaften Dunkelleben nachspüren, das seinen Ursprung im Zentrum der Milchstraße zu haben scheint. Mit der CREST II und seiner bewährten Mannschaft bricht er zu einer gefährlichen Mission in den Sagittarius-Sektor auf – er folgt dem RUF DES DUNKELS ...

Prolog: Alltag

Die Wetten liefen gut für Jeril Thamp an diesem Freitagmorgen. Nicht so gut, dass sie ihn von einem Moment zum nächsten steinreich gemacht hätten. Aber gut genug, um ihm eine weitere ereignislose Schicht in der Zentrale des Pluto Ultrasensoric Multilocating Array, kurz PUMA, am äußersten Rand des Solsystems zu versüßen.

Das – und dass May Bleap eine gute Zeit hatte.

Die Wetten waren Thamps Idee gewesen. Sie wetteten auf alles, worauf sich in einer Multiortungsanlage mitten im Nirgendwo wetten ließ: astrophysikalische Ereignisse, das Ausbleiben derselben, Messfehler, das Essen, Fehler beim Essen, den Nachtisch oder wann Curd Westhight sich seinen Kaffee holte. Das einzig Unerwartete an diesem Tag war bislang eine verstümmelte Nachricht gewesen, die sie über KE-MATLON und die höchst unzuverlässige arkonidische Hyperfunkrelaiskette erreicht hatte: Perry Rhodan und Botschafterin Thora Rhodan da Zoltral waren mit ihren Schiffen auf dem Rückweg von Arkon. Wann genau sie eintreffen würden, blieb noch unklar. Also wetteten die Männer und Frauen von PUMA auch hierauf.

Dass Thamp überhaupt auf PUMA gelandet war, dürfte wohl Bleaps Schuld gewesen sein. Sie hatte sich genau wie er und Westhight an der Raumakademie in Baikonur eingeschrieben, weil sie alle von einer zivilen Laufbahn in der Terranischen Flotte träumten: als Wissenschaftliche und Technische Assistenten, in der Verwaltung oder Logistik – die Einsatzfelder für nichtmilitärisches Personal waren mannigfaltig. Besonders gern gesehen wurde hierfür ein Praxisjahr bei einer renommierten Einrichtung wie PUMA. Also hatte sich Bleap freiwillig gemeldet. Und weil Thamp gern in ihrer Nähe war, hatte er dasselbe getan.

Was ihnen niemand gesagt hatte, war, wie unglaublich langweilig das tägliche Klein-Klein im Weltraum sein konnte – der All-Tag, ha ha –, oder dass es dazu führen konnte, dass man jemanden wie Westhight als Gruppenleiter vor die Nase gesetzt bekam.

Natürlich war Westhight nicht begeistert von den Wetten. Westhight war von gar nichts begeistert, was anderen Spaß brachte, besonders nicht, wenn es Thamps Spaß war. Seine Lebensaufgabe sah Westhight darin, tief genug in den verlängerten Rücken ihres gemeinsamen Vorgesetzten Ace Coltsmith zu kriechen, um darin eine Transmitterstraße verlegen zu können. Hierbei betrachtete er Thamp als seinen persönlichen Feind, obgleich es dazu nicht die geringste Veranlassung gab. Wenn es nach Thamp ging, durfte Westhight gern eines Tages Coltsmith beerben und sein persönliches Banner über Pluto hissen. Thamp wollte einfach nur zurück zur Erde – am besten bald, und am besten gemeinsam mit Bleap.

»Da tut sich was«, raunte Bleap von ihrem Platz zwei Meter weiter, von wo sie die weniger ereignisreichen Hyperraumfrequenzbänder verfolgte.

»Ein neuer Funkspruch?«, fragte Thamp enttäuscht, denn er hatte eins zu drei gewettet, dass man an diesem Tag nichts mehr von Rhodan und seinen Raumschiffen hören würde.

»Keine Sorge«, beruhigte ihn Bleap und strich sich die rotblonden Locken zurück. »Ich glaube, es sind die Pulsare.«

»Oh.« Thamp spitzte die Ohren. »Welche Pulsare denn?«

»Die beiden nächstgelegenen – Geminga und Vela. Muss wohl dein Glückstag sein! Hattest du nicht vor ein paar Wochen eine Wette darauf abgeschlossen, dass einer der beiden noch im ersten Quartal seine Impulsfrequenz ändert?«

Thamp tat unschuldig. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«

Ein Stöhnen ein paar Sitze weiter bewies, dass ihr Kollege Santos Hundley es noch sehr gut wusste.

Bleap durchsuchte ihre handschriftlichen Notizen. »Hier ist es, vom zweiten Februar mit einer Quote von eins zu acht. Eins zu vierzig, wenn es beide Pulsare sind.«

Thamp gestattete sich ein spitzbübisches Grinsen, während Hundleys Stöhnen immer lauter wurde. »Bitte, May, überprüfe noch mal deine Ortungsdaten«, flehte der untersetzte Mann. Schon flogen Bleaps Finger über die Bedienholos.

Geminga im Sternbild Zwillinge war der Sol nächstgelegene Pulsar der Lokalen Blase. Wahrscheinlich hatte die Supernova, die ihn vor 300.000 Jahren geboren hatte, eine maßgebliche Rolle bei der Entstehung dieses weitgehend staubfreien Raumgebiets gespielt. Der Pulsar war etwa 800 Lichtjahre von der Erde entfernt und in den vergangenen Jahrzehnten vor allem durch die nach ihm benannten Hyperkristalle bekannt geworden.

Vela, im gleichnamigen Sternbild gelegen, lag etwa hundert Lichtjahre weiter weg und war gerade mal 11.000 Jahre alt. Er war einer der hellsten und schnellstrotierenden aller bekannten Pulsare. Dass diese beiden so ungleichen Objekte, die außer ihrer relativen Erdnähe wenig gemein hatten, zeitgleich durch eine Impulsfrequenzänderung auffielen, war ausgesprochen mysteriös.

»Die Änderung ist minimal, aber messbar und innerhalb des meldepflichtigen Bereichs«, bestätigte Bleap jedoch und überprüfte noch einmal den Wettzettel. »Damit erfüllt sie auch die Bedingungen für die Wette. Tut mir leid, Santos.«

Seufzend rief Hundley den Finanzstatus seines Kontos auf. »Möchtest du es sofort, Jeril, oder reicht nächsten Monat?« Niemand von ihnen hatte Bargeld bei sich: damit hätten sie auf ihrem Außenposten gar nichts anfangen können. Sie hatten seit Wochen niemand außer den paar Dutzend Männern und Frauen auf Pluto und seinen Monden gesehen.

Thamp bearbeitete ein kleines Datenholo. »Ich habe dir einen Finanzierungsplan entworfen. Sag mir, wenn du in Verzug kommst, dann warte ich noch mit dem Kauf meiner neuen Orbitalvilla.«

Bleap lachte und Hundley rollte mit den Augen, während er die Überweisung tätigte.

»Orbitalvillen sind nur was für Dummköpfe«, schaltete sich Westhight von der anderen Seite von Thamps Arbeitsplatz ein. »Werden viel zu schnell Opfer von Weltraumschrott. Wenn du in die Zukunft investieren willst, solltest du dir einen Mond kaufen. Monde sind sicher! Aber so was versteht jemand wie du natürlich nicht.«

»Es war ein Scherz, Curd!« Thamp seufzte.

Doch der Gruppenleiter hatte sich bereits von seinem Sessel erhoben und kam zu Thamp herübergeschlendert. Bleap vertiefte sich rasch wieder in ihre Aufgaben.

»So wie alles immer nur ein Scherz ist, stimmt's, Jeril?« Westhight setzte sich breitbeinig auf Thamps Tischkante, sodass ihm die Hose hochrutschte und eine haarige Wade entblößte. Er schob sich die eckige Brille zurecht und rümpfte die Nase. »Ich glaube, hier sollte dringend wieder Disziplin einkehren. Ich werde Ace informieren, mit was für Unsinn ihr eure Zeit verplempert.«

Leiser Protest regte sich von den anderen Plätzen. Obwohl Thamp gerade einen saftigen Gewinn eingestrichen hatte, war die Stimmung keineswegs gegen ihn. Die meisten hatten weit mehr Angst vor der Langeweile der nächsten Wochen und Westhights Pedanterie als vor der Aussicht, ihr Geld zu verlieren.

Thamp zog die Stirn kraus. »Wo du gerade von Zeitverschwendung sprichst, Curd – was machen eigentlich die Partyvorbereitungen? Dir bleiben höchstens noch ein paar Stunden.« Thamp hörte, wie Bleap mühevoll ein Prusten unterdrückte.

Das war ein anderes Spiel, das Thamp schon eine ganze Weile lang betrieb: Er machte Westhight glauben, die legendäre Edwina Kerpen, die PUMA über zwanzig Jahre lang geleitet hatte, plane einen Überraschungsbesuch anlässlich ihres achtzigsten Geburtstags. In Wahrheit hatte Thamp keine Ahnung, was aus Dr. Kerpen geworden war. Ein paar der älteren Mitarbeiter – wie der exzentrische Bertrand Toce im angrenzenden Labor – hatten noch mit ihr gearbeitet und Thamps Geschichte mit Details über Kerpens Vorlieben unterfüttert. Angeblich mochte sie Johnny Cash. Ebenso angeblich ging ihr Geist auf den Plutomonden um. Toce hatte offensichtlich große Freude an Thamps Plan; der alte Kauz war eigentlich kaum zurechnungsfähig und freute sich, dass endlich jemand seine Geschichten hören wollte. Thamp dagegen ging es vor allem darum, Westhight zu verunsichern – außerdem hatte er mit allen im Team verschiedene Wetten am Laufen, ob ihm das auch gelingen würde.

»Du hältst dich wohl für besonders schlau.« Westhight zog sein Hosenbein zurecht. »Willst mich veralbern. Edwina Kerpen! Meinst du ernsthaft, ich falle darauf rein?«

Thamp stieß enttäuscht die Luft aus. »Puh, Curd, was du mir wieder unterstellst! Ich meine es doch nur gut mit dir. Als Gruppenleiter wäre es deine Aufgabe, eine Party für Doktor Kerpen zu organisieren. Wie sieht das denn aus, wenn sie eintrifft und wir völlig unvorbereitet sind? Was wird Ace dazu sagen?«

»Was werde ich wozu sagen?«, mischte sich die Stimme von Stationsleiter Ace Coltsmith ein, der eben sein Büro verließ. Er war ein sehr auf sein Äußeres bedachter Mann in seinen besten Jahren, der auf seinem Posten aber so eindeutig eine Fehlbesetzung war, dass sogar Thamp das erkannte. Wenigstens fiel es nicht schwer, ihn hinters Licht zu führen und den Unwissenden zu mimen.

»Ace ... ich meine, Mister Coltsmith!«, schnappte da Bleap. »Wir fangen gerade etwas auf!«

Thamp hörte ihrem Tonfall an, dass es ihr ernst war, und ließ das Grimasseschneiden. Auch Westhight sprang vom Tisch, und gemeinsam mit den anderen Kollegen umringten sie Bleaps Arbeitsplatz.

»Was haben wir denn?«, fragte Coltsmith.

Die junge Wissenschaftlerin rief mehrere Hologramme auf. »Gravitationswellen! Mehrere sogar ... und wirklich immens.« Sie zeigte es ihnen. Solche Wellen fielen nicht in Thamps Spezialgebiet. Aber es war offensichtlich, dass sie sich zu normalen Wellen verhielten wie ein Tsunami zu leichtem Seegang. »Sie kommen aus Richtung Sagittarius ...« Bleap blickte vom Holo auf. »Dem Zentrum der Milchstraße, Sir«, fügte sie hinzu, als sie erkannte, dass Coltsmith mehr als eine Sternbildbezeichnung zur Orientierung benötigte.

Nun hellte sein Gesicht sich auf. »Das Schwarze Loch?«, fragte Coltsmith.

Bleap studierte die Daten. »Vielleicht sogar mehrere, Sir ...« Sie vergrößerte ein Holo, bis es zwei Meter groß vor ihren Arbeitsplätzen schwebte. Es zeigte das eng mit Sternen gespickte Kerngebiet der Milchstraße. Allen Anwesenden war Sagittarius A* ein Begriff – das mächtige Schwarze Loch von über vier Millionen Solmassen, das im Zentrum der Galaxis lag. Weniger bekannt, wusste Thamp, war die Tatsache, dass es nicht das Einzige war.

»IRS 13 beispielsweise ist nur drei Lichtjahre von Sagittarius A* entfernt und immerhin über tausend Solmassen schwer«, erläuterte Bleap. »Und es gibt Tausende, wenn nicht Zehntausende weitere Schwarze Löcher im Umkreis von weniger als hundert Lichtjahren von Sagittarius A*. Manche werden von mehreren Sonnen umkreist. Es ist ein hochkomplexes Gefüge, das ...«

»Und das Ganze ist wie weit entfernt?«, unterbrach Coltsmith, der nie Hemmungen hatte, eine Wissenslücke zuzugeben.

»Etwa 26.500 Lichtjahre«, antwortete Bleap.

»Das heißt ... diese Wellen waren 26.500 Jahre unterwegs?«

Thamp musste zugeben, dass das für Coltsmiths Verhältnisse eine scharfsinnige Schlussfolgerung war.

Doch Bleap schüttelte nachdrücklich den Kopf, woraufhin sie ihre widerspenstigen Locken wieder richten musste. »Die Ligaturen melden eindeutig ein hyperphysikalisches Phänomen.«

Die sogenannten Ligaturen waren hochkomplexe Messanlagen auf den kleineren Plutomonden, welche die Laser-Interferometer-Gravitationswellen-Observatorien – kurz LIGOS – auf Pluto und Charon unterstützten.

»Das heißt, die Wellen haben uns beinahe ohne Verzögerung erreicht«, übersetzte Thamp für Coltsmith.

Coltsmith runzelte die Stirn. »Das ist ... recht ungewöhnlich, oder nicht?«

»Sehr sogar«, bestätigte Bleap. »Was auch immer diese Wellen verursacht hat – es muss etwas Gewaltiges sein.«

Thamp schnippte bedauernd mit den Fingern. Er wünschte, er hätte eine Wette auf ein solches Ereignis abgeschlossen.

»Dann war es das, worüber Sie mit mir reden wollten?«, vergewisserte sich Coltsmith zufrieden. Aus irgendeinem Grund nahm ihr Vorgesetzter immer an, dass seine Untergebenen etwas vor ihm geheim hielten.

»Das und die Pulsare«, sagte Thamp.

»Welche Pulsare denn?«

Bleap setzte ihn kurz über die zuvor registrierten Impulsfrequenzänderungen ins Bild. Man sah Coltsmith an, dass er kurz davor stand, einen Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen herzustellen.

»Das ist aber nicht alles, was wir zu melden haben«, mischte sich Westhight ein und zerstörte diesen wunderbaren Moment der Erkenntnis. »Nicht wahr, Thamp?«

Thamp pustete die Backen auf und tat, als wüsste er nicht, wovon Westhight redete.

»Was ist hier los?«, fragte Coltsmith in seiner besten Imitation eines strengen Vorgesetzten.

Ein Signal an Thamps Komgerät blinkte. Ein Kollege versuchte, ihn zu erreichen – der alte Bertrand Toce aus dem Labor. Kurz hoffte Thamp, dem Verhör dadurch noch einmal entgehen zu können, doch Westhight ließ nicht locker.

Genüsslich wie ein Hai, der Blut gewittert hatte, grinste er. »Jeril hat die Station in ein Wettbüro verwandelt«, informierte Westhight ihren Vorgesetzten, während sämtliche Mitarbeiter in Hörweite verzweifelte Mienen zogen. »Er ist ein richtiger kleiner Al Capone, nicht wahr, Jeril?«

Resignierend drückte Thamp den Anruf weg. »Ich wünschte, das wäre so, dann hätte ich wenigstens genug zu trinken«, verteidigte er sich. »Und meine Quoten waren immer fair! Ich habe niemanden zu etwas gezwungen.«

»Santos!«, rief Westhight, als ginge es um ein Kapitalverbrechen, das er aufdecken musste. »Um wie viel Geld hat er dich erleichtert?«

»Zweihundert Dollar«, gab Hundley zu. »Aber die Quote war auch hoch, und wie er schon sagte: Niemand hat mich zu etwas gezwungen.«

»Wetten um Geld?«, staunte Coltsmith, als wäre ihm das Konzept völlig neu. »Ich muss mich schon sehr wundern! Jeril, selbstverständlich werden Sie Santos sein Geld zurückgeben.«

Bleap und die Kollegen wollten protestieren. Aber Thamp sah, dass es Coltsmith ernst war, und winkte ab. Rasch rief er sein Konto auf und überwies Hundley sein Geld zurück. Der untersetzte Mann seufzte nur müde. Die ganze Aufregung schmerzte ihn sichtlich mehr, als sein finanzieller Verlust das getan hatte.

»Nichts für ungut«, entschuldigte sich Thamp. Hundley hielt ihm die Faust hin, und sie stießen die Knöchel gegeneinander.

»Nachdem das geklärt wäre ...«, hob Coltsmith an und blickte irritiert auf Thamps Arbeitsplatz. »Ihr Komgerät blinkt.«

Thamp folgte seinem Blick. Schon wieder Toce. Was wollte der Alte nur von ihm? Dieses Mal versuchte er den Ruf entgegenzunehmen, doch es war schon zu spät.

»Sir!«, meldete Bleap sich abermals. »Funkspruch von der MAGELLAN und der CREST II. Es ist Perry Rhodan!«

Coltsmith versteifte sich, als hätte er gerade auf eine Gräte gebissen. »Für mich ... persönlich?«, brachte er hervor und strich sich befangen über die Wange, auf der sich die zarte Andeutung eines Stoppelbarts zeigte.

»Offene Flottenfrequenz«, präzisierte Bleap. »Ich glaube, Sie rufen eher ... allgemein. Und das Flottenkommando antwortet bereits.« Sie schaute auf. »Jetzt sind sie auf eine verschlüsselte Frequenz gewechselt.«

Man konnte überdeutlich sehen, wie Coltsmith in sich zusammensank. Es war ein herzzerreißender Anblick – wie ein Aufblastier, in das man eine Nadel stach. Ein Gespräch mit Perry Rhodan wäre sicherlich der Höhepunkt seiner Karriere gewesen, selbst mit einer nicht ganz makellosen Rasur.

»Senden Sie unsere Standardgrußbotschaft«, befahl Coltsmith trotzig. »Nein, besser – senden Sie die Botschaft, die ich vorige Woche aufgezeichnet habe. Eine persönliche Note macht besseren Eindruck!«

Bleap tauschte einen panischen Blick mit Thamp, der hilflos die Achseln hob. Niemand wusste, was Coltsmith in seiner aktualisierten Grußbotschaft aufgezeichnet hatte. Sie – oder vielmehr Rhodan – würden es wohl herausfinden müssen.

Zufrieden rieb sich Coltsmith die Hände. »Sonst noch etwas?«

Thamp machte auffordernde Gesten und zwinkerte Westhight vielsagend zu.

»Was?«, fragte Coltsmith irritiert.

»Curd ist zu schüchtern, Sir«, behauptete Thamp. »Es sollte eine Überraschung sein.«

Coltsmith sah Westhight erfreut an. »Eine Überraschung? Was ist es denn?«

»Nichts, Sir!«, wiegelte Westhight ab. »Jeril treibt bloß ... Scherze.«

Coltsmith klopfte Westhight gutmütig auf die Schulter. »Schon gut. Ich werde es noch früh genug erfahren. Eine Überraschung, wie schön! Ich bin in meinem Büro.« Er spazierte pfeifend davon.

Thamp sah seinem Vorgesetzten nach, bis sich Westhights bohrende Blicke nicht länger ignorieren ließen. »Du hattest genug Zeit, dich vorzubereiten«, erinnerte Thamp den Gruppenleiter.

»Auf den Geist von Edwina Kerpen?«, höhnte Westhight. »Ja, klar. Aber hast du nicht vielleicht etwas vergessen?«

»Tja, also, Curd ...« Thamp schüttelte ratlos den Kopf.

»Wenn ich mich recht entsinne, hast du eins zu drei gewettet, dass Rhodan und seine Schiffe frühestens morgen eintreffen. Und wenn ich mich nicht sehr täusche – was ich nicht glaube –, habe ich dagegen gewettet.«

»Du willst Geld von mir? Soll das ein Witz sein?«

»May!«, rief Westhight im Befehlston. »Sieh bei den Wettzetteln nach! Er will mich betrügen!«

Bleap starrte Westhight mit allem Hass an, zu dem sie fähig war. Das war nicht viel, aber Thamp wärmte es das Herz. »Wer hat denn gerade Jeril angeschwärzt und den einzigen Zeitvertreib unterbunden, den wir hier haben?«, fragte sie.

Zustimmendes Gemurmel erklang von den Arbeitsplätzen ringsum.

Westhight stürmte zu Bleap, um sich ihrer Notizen zu bemächtigen. Doch sie stopfte rasch alles in ihre Schublade und zog den Schlüssel ab.

»Curd!«, rief Thamp. »Lass das! Wenn ich mein Geld nicht kriege, kriegst du deins auch nicht.«

»Genau«, pflichtete Hundley ihm brummig bei. »Und wenn du glaubst, dass ich mich nach dem, was du gerade abgezogen hast, noch einmal von meinen zweihundert Dollar trenne, hast du dich getäuscht.«

Westhight warf verbissen Blicke nach links und rechts, musste jedoch feststellen, dass er in dieser Sache keine Unterstützer hatte.

»Ace!«, rief er, wahrscheinlich, weil ihm nichts anderes mehr einfiel.

»Jeril«, sagte Bleap. »Ich sehe eben erst – da hat eine Raumfähre angelegt.«

»Eine Raumfähre? Das nächste Versorgungsschiff kommt doch erst Dienstag ...«

»Falls sie wieder die Dienstpläne geändert haben, wäre ich bereit, das mit den Wetten doch noch einmal auf Anfang zu drehen«, merkte Hundley an.

»Was ist denn nun schon wieder?«, fragte Coltsmith, der leicht verstimmt aus seinem Büro zurückkam, Rasierschaum um den Mund.

Zeitgleich öffnete sich die Verbindungstür zum Labor nebenan, und eine heisere Flüsterstimme erklang. »Leute! Psst!« Thamp sah den tattrigen Bertrand Toce im Durchgang stehen.

Da erstrahlte ein Licht über dem Schott zu dem Korridor, der die Zentrale mit den technischen Bereichen und dem Hangar verband.

»Was ist denn, Bertrand?«, fragte Jeril Thamp.

»Sie ist hier! Jeril? Worüber wir gesprochen haben? Sie ist ...«

»Ruhe!«, bellte Westhight und versuchte, die Aufmerksamkeit seines Vorgesetzten zu erregen. »Ace, Jeril hat gerade ...«

Das Schott glitt auf, die Gespräche verstummten. Herein trat eine hagere Frau mit einer langen Mähne grauen Haars, so bleich und eingefallen wie ein Geist. Doch ihr Blick, den sie durch die Zentrale schweifen ließ, war wach und neugierig.

»Oh mein Gott«, hauchte May Bleap. »Das ... Das ist ja ...«

»Ich sollte sie doch einladen«, fragte Bertrand Toce verwirrt. »Oder? Jeril?«

»Doktor Kerpen?« Ace Coltsmith fasste sich an die Wange, die voller Rasierschaum war.

Curd Westhight stieß ein jammervolles Winseln aus.

TEIL I

Die Unsterblichen

1.

Willkommen

Perry Rhodan hatte sich die Heimkehr anders vorgestellt.

Aber wenn er ehrlich war, wusste er nicht, was er erwartet hatte.

Er war dankbar, dass er diesmal nicht in einem schrottreifen Raumschiff heimkehrte. Niemand drohte, ihm den Prozess zu machen. Nach den Maßstäben der Kommission, die seinen Flug bewilligt hatte, war er erfolgreich gewesen: Er hatte Thora Rhodan da Zoltral, die Botschafterin des Großen Imperiums und seine Ehefrau, lokalisiert und samt ihrem Raumschiff nach Hause gebracht.

Gemeinsam hatten sie die Zustände im Arkon-Imperium geordnet, wenngleich nicht so wie erwartet: Mascudar war nun Imperator, nicht mehr Theta, und ein Sonderbevollmächtigter von der Erde arbeitete vor Ort an einem Beistandspakt mit dem Tai Ark'Tussan. Ausschlaggebend dafür war die Rettung von Arkon I vor dem Dunkelleben gewesen. Zusammen mit Atlan und Mirona Thetin hatte Perry Rhodan die Gefahr in letzter Sekunde abwenden können.

Aber hieß das nun, dass sie die Füße hochlegen konnten?

Nein. Zu viele Fragen blieben offen – sie hatten zu viele verstörende Einblicke in die geheimnisvollen Abläufe des Universums und die Mächte erhalten, die es steuerten. Er selbst hatte eine Vision des galaktischen Zentrums und eines fernen Ortes erfahren – auf der Lichtwelt Drem-Doreus, tief in der Wildnis dicht stehender Sonnen und ihrer titanischen Kräfte gelegen, braute sich etwas zusammen. Und ausgerechnet Rhodans lange verschollene Tochter Nathalie hatte etwas damit zu tun – Nathalie, die zugleich Anson Argyris war, der sogenannte Kaiser von Olymp. Rhodan musste unbedingt mit Nathalie reden, wollte mehr über die Rolle herausfinden, die sie in all dem spielte.

Zunächst aber mussten sie nach Hause, mit all ihren Fragen und all ihren Nöten. Und allem Erreichten zum Trotz fühlte sich die Heimkehr nicht wie ein Sieg an.

Rhodan blickte zu Gabrielle Montoya, die im Sitz des Kommandanten saß. Die Erste Offizierin der MAGELLAN hatte ihren Mann verloren. Conrad Deringhouse hatte sein Leben gegeben, um unzählige andere zu retten. Als die abgesetzte Imperatrice Theta in ihrer Verblendung versucht hatte, die CREST II zu zerstören, um ihre Widersacher zu töten, hatte er sich ihr in den Weg gestellt.

Conrads Tod hatte sie alle tief getroffen. Perry Rhodan hatte einen seiner ältesten Freunde und Weggefährten verloren. Einen der wenigen, die von Anfang an dabei gewesen waren.

Es war bewundernswert, wie gut sich Montoya im Griff hatte. Ungeachtet ihres Alters und des schlohweißen Haars wirkte sie stark wie ein alter Fels. Trotz ihrer Stärke sah man ihr allerdings an, dass eine noch ältere Brandung an ihr nagte. Sie hatte geschworen, dieses Raumschiff nach Hause zu fliegen – Rhodan fragte sich, was danach aus ihr werden würde.

»Senden Sie eine Grußbotschaft«, bat Rhodan Nykyta Lomatschenko, den Funker. Rhodan fungierte im Auftrag von Shenn als Expeditionsleiter. Wahrscheinlich würde er dem Rat der Terranischen Union Rede und Antwort stehen müssen, bis sich dieser davon überzeugt hatte, dass er seine Befugnisse nicht überschritten hatte.

»Krankenstation an Zentrale«, erklang auf einmal Suds Stimme über das Komgerät.

Montoya nahm den Ruf entgegen. »Ja, Sud, was gibt es?«

Ein kleines Holo baute sich auf. Es zeigte das Gesicht von Sue Mirafiore mit dem Intarsium an ihrer Schläfe. Innerlich war sie weder Sue noch Sid González, der mit ihr verschmolzen war, sondern beides – und mehr. Das Mentamalgam mit seinen heilenden Kräften war auf der Krankenstation unverzichtbar.

»Es geht um Merkosh. Er hatte eine Art ... Anfall. Wir versorgen ihn gerade.«

»Was genau ist passiert?«, fragte Rhodan besorgt.

Der Oproner mit seiner außergewöhnlichen Physis und seinem bizarren Gemüt war schon mehr als einmal für eine Überraschung gut gewesen. Wenn ihm unerwartet etwas widerfuhr ... Das bedeutete meist etwas. Zudem hatte sich Merkosh seit einiger Zeit auffallend rargemacht. Ob es ihm schon länger schlecht ging?

»Ich zeige es dir.«

Das Holo folgte Sud zu einem Behandlungstisch, auf dem die schlaksige, gläserne Gestalt des Oproners lag. Rhodan mochte sich täuschen, doch Merkosh wirkte noch durchsichtiger als sonst. Er erkannte deutlich die inneren Organe, gleichsam transparent wie die Strukturen innerhalb einer Qualle.

»Siehst du, wie durchscheinend er ist?«, bestätigte Sud seine Beobachtung. »Er schläft gerade, nachdem wir ihm ein Beruhigungsmittel auf Basis des Gels aus seinem Vitron gegeben haben. Zuvor war er sehr verwirrt. Besatzungsmitglieder haben ihn entdeckt, wie er durch die Gänge gelaufen ist, beide Hände voll mit Energiezellen.«

»Was für Energiezellen?«, fragte Rhodan irritiert.

Sud schüttelte ratlos den Kopf. »Alle erdenklichen. Energiezellen, Batterien, Akkupacks aus verschiedensten Weckern, Komgeräte, Waffen ... Er ist einfach wahllos in Quartiere eingedrungen und hat gesammelt. Als ich ihn gefragt habe, was er damit vorhat, hat er keine Antwort gegeben. Nur ständig wiederholt, dass es ein weiter Weg nach Hause sei.«

»Ein weiter Weg ...«, murmelte Rhodan. Merkoshs Kleptomanie war früher schon ein Problem gewesen. Aber dass der Oproner so verwirrt war, gab ihm zu denken.

»Perry«, sagte Sud. »Ich würde ihn gern nach Mimas bringen, um ihn gründlich durchzuchecken. Vielleicht ist es nichts, weswegen wir uns sorgen müssen. Aber wenn doch ...«

Sie musste den Satz nicht zu Ende führen. Das Mimas Medical Research Center, kurz MIMERC, war die beste Adresse im Solsystem, um exotische Krankheiten und medizinische Notfälle zu behandeln.

»Wir ändern den Kurs«, entschied Rhodan und gab Gabrielle Montoya ein Zeichen. »Zwischenstopp bei Mimas, dann weiter zur Erde. Mister Lomatschenko, sagen Sie der CREST II Bescheid.«

»Wir machen ein Beiboot fertig.« Montoya lächelte Sud flüchtig an. »Halte dich bereit.«

»Ich komme zu dir«, sagte Rhodan.

Sud nickte dankbar und beendete die Verbindung.

»Wir werden gerufen«, meldete Lomatschenko fast im selben Moment.

»Die Erde?«, fragte Montoya.

»Flottenkommando«, bestätigte der Funker. »Stella Michelsen.«

»Annehmen«, sagte Rhodan verwundert. Er hätte damit gerechnet, dass sich Reginald Bull als Erster meldete, oder vielleicht dessen Stellvertreter, falls man in Rhodans Abwesenheit einen neuen Systemadmiral bestellt hatte. Er hätte auch damit gerechnet, dass der Rat etwas Blumiges vorbereitet hatte. Dass jedoch Michelsen einen militärischen Kanal benutzte, war ungewöhnlich.

»Rhodan hier«, meldete er sich und warf einen kurzen Blick auf die Ortszeit von Terrania. »Guten Abend, Administratorin.«

Vor ihm erschien das Hologramm der kleinen, täuschend unscheinbaren Frau, welche die Geschicke der Terranischen Union lenkte.

»CREST II zugeschaltet«, verkündete Lomatschenko noch knapp, und Thoras Hologramm entstand neben Michelsens.

Die Arkonidin überragte die Administratorin gut und gern um einen Kopf. Ein dunkel getöntes Spiegelfeld schirmte Rhodan, Montoya und die beiden zugeschalteten Frauen ein Stück weit von der restlichen Besatzung ab, gab ihnen das Gefühl von Privatsphäre.

»Guten Abend, Perry«, grüßte Michelsen. »Botschafterin.«

Thora nickte nur knapp. Seit der Aktivierung ihres Extrasinns nahm Rhodan eine neue Strenge an seiner Frau wahr. Ihm war klar, dass sie mit dieser ungewohnten Veränderung zu kämpfen hatte, und er vermutete, dass sie sich zu einem erhöhten Maß an Konzentriertheit und Selbstbeherrschung zwang. Er wusste schließlich, wie sehr Thora es hasste, sich eine Blöße zu geben. Auf eine befremdliche Art erinnerte ihn diese besondere Form von Distanziertheit auch an Atlan – und er hoffte, dass dieses alte Mysterium der arkonidischen Wesensart keinen Keil zwischen sie beide trieb.

»Nun – was gibt es Neues im Imperium?«, fragte Michelsen mit subtilem Humor. »Wo haben Sie Mister Shenn gelassen?«

»Auf Arkon«, antwortete Rhodan wahrheitsgemäß. »Unserem Sonderbevollmächtigten geht es gut.« Es wurde wirklich Zeit, dass man die Hyperfunkrelaiskette wieder auf Vordermann brachte. Er kam sich vor wie ein Kapitän nach einer Weltumsegelung, der bei seiner Königin mündlich Bericht abliefern musste.

»Theta wurde entmachtet, aber mit Atlans Hilfe konnte das Imperium stabilisiert werden. Die Hintergründe sind sehr kompliziert. Der Erde droht aktuell keine Gefahr. Es gab Verluste ...«

Michelsen musste spüren, wie zuwider ihm die Rolle des Berichterstatters war, denn sie hob beschwichtigend die Hand. »Alles zu seiner Zeit, Perry. Ich kann mir denken, dass das, was Sie in den vergangenen Monaten erlebt haben, den Rahmen eines kurzen Funkgesprächs sprengt. Wichtig ist für mich allein, dass uns keine Gefahr droht.« Sie warf einen Blick zur Seite. »Man informiert mich gerade, dass Sie Kurs auf Mimas genommen haben.«

»Der Oproner Merkosh«, erläuterte Rhodan. »Er benötigt medizinische Versorgung. Noch wissen wir nicht ...«

Abermals die beruhigende Geste. »›Merkosh‹ reicht als Stichwort. Liefern Sie ihn ab, dann kommen Sie bitte nach Hause. Ich erwarte Ihren vollständigen Bericht in Schriftform – Ihren natürlich auch, Botschafterin.«

»Ist bereits vorbereitet«, sagte Thora.

»Ebenso«, ergänzte Rhodan. »Der Rückflug war lange genug.«

»Prima!«, freute sich Michelsen. »Dann senden Sie sie mir doch schon mal zu, damit wir alle auf demselben Stand sind. Und ich sage Ihnen dann, welche Teile Sie in der Pressekonferenz bitte auslassen.«

»Pressekonferenz?«, fragte Rhodan skeptisch. »So früh schon? Ist das wirklich nötig?«

Selbstverständlich kannte er das Spiel mit der Öffentlichkeit und den Medien, hatte es jahrzehntelang geübt. Geliebt hatte er es aber nie – und im vergangenen Jahr hatte er nach seinem Empfinden deutlich zu häufig und zu intensiv im öffentlichen Fokus gestanden: erst durch seine schwere Krankheit, dann den Diebstahl der FANTASY, den anschließenden Prozess und den Entzug seines Protektorentitels. Immer wieder war es zu Demonstrationen gekommen, manchmal sogar zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.

Wildfremde Leute hatten seine intimsten Probleme in Talkshows diskutiert, und die Berichterstattung über sein Privatleben verschwand gar nicht mehr von den Titelseiten. Inzwischen war es ihm fast egal, ob man Solidarität mit ihm bekundete oder ihn mit Häme übergoss. Er wünschte einfach nur, es würde aufhören.

»Oh ja, eine Pressekonferenz ist nötig«, sagte Michelsen nachdrücklich. »Was meinen Sie, worüber hier in jüngster Zeit spekuliert wurde? Keine Angst, die Menschen sind auf Ihrer Seite.«

»Vielleicht ist es das, was mir Angst macht«, sagte Rhodan halb im Scherz.

»Sie werden trotzdem vor die Kameras treten müssen«, verfügte Michelsen ungerührt. »Insbesondere, da Sie Torgen Shenn nicht mit zurückgebracht haben. Die Leute wollen wissen, was los ist, und am liebsten wollen Sie es von Ihnen hören. Wetten auf den Ausgang Ihrer Reise waren populärer als jede Lotterie.«

»Unter einer Bedingung«, erwiderte Rhodan.

Michelsen hob eine Braue. »Sprechen Sie«, sagte sie.

»Ich tue, was immer Sie für nötig halten, und beantworte jedem – gleich wie wenig es ihn angeht – seine drängendsten Fragen. Wenn das wirklich das Wichtigste ist, was die Welt gerade umtreibt ... bitte schön. Danach aber muss ich die Erde ein paar Tage verlassen, um eine wichtige familiäre Angelegenheit zu klären. Alles Weitere wird bis dahin warten müssen.«

»Darf ich fragen, worum es bei dieser Angelegenheit geht?«

»Um meine Tochter«, antwortete Rhodan nur.

Michelsen nickte. Das Verschwinden von Nathalie Rhodan war vor zehn Jahren ebenfalls lange ein die Medien beherrschendes Thema gewesen. »Ich verstehe. Und ich bin einverstanden. Zunächst indes ist es unabdingbar, dass Sie sich an die Öffentlichkeit wenden und die Menschen informieren. Danach bringen Sie Ihre Angelegenheiten in Ordnung, und dann treffen wir uns im größeren Kreis und besprechen die nächsten politischen Schritte.«

Die nächsten politischen Schritte, dachte Rhodan. Zum Beispiel, ob man mich doch vor ein reguläres Gericht stellt oder ob die Terranische Union mich noch für etwas braucht.

»Danke«, sagte Rhodan. »Da wir davon reden – wie geht es Protektor Bull? Ich hätte erwartet, dass er sich ebenfalls meldet.« Er hoffte, Bull hatte auf seiner neuen Position nicht zu viele Scherben aufkehren müssen. Er war seinem Freund wirklich zu Dank verpflichtet.

»Der Protektor ist zurzeit in den Kolonien unterwegs, um ein paar wichtige Termine zu absolvieren«, sagte Michelsen. »Wir erwarten ihn nicht vor nächster Woche zurück.«

Diese Nachricht schmerzte Rhodan mehr, als er erwartet hatte. Das hieß, er würde Bull wahrscheinlich versäumen. Auf einmal wurde ihm bewusst, wie sehr er ihn vermisst hatte: als Stütze, als Ratgeber, als Freund.

»Ich verstehe«, sagte er.

»Wann erreichen Sie die Erde?«

»Wir fliegen erst Mimas, dann den Mond an«, sagte Gabrielle Montoya. »In einer guten Stunde sind wir da.«

»Dann treffen wir uns in zwei Stunden im Government Garden«, sagte die Administratorin. »Michelsen Ende.«

Das Hologramm erlosch. Thora, die noch zugeschaltet blieb, tauschte einen langen Blick mit ihrem Mann. Sie wusste, wie wenig Lust er auf die kommenden Stunden hatte, konnte ihm aber nicht helfen.

»Möchtest du, dass ich bei der Pressekonferenz dabei bin?«, fragte sie nur.

»Was, damit die Medien mit ›Rhodan rettete seine Frau‹ titeln können?«

Sie verzog säuerlich das Gesicht. »Meine Anwesenheit wäre nur logisch. Schließlich wollen wir ihnen das neue Bündnis zwischen Arkon und Erde verkaufen, oder nicht? Wir wären ein Symbol.«

»Wir wären eine Zielscheibe«, widersprach Rhodan. »Menschen denken und handeln nicht logisch. Versuch die nächste Zeit vielleicht ein wenig öfter daran zu denken!«

Sie schnaubte. »Logisch betrachtet, seid ihr alle Barbaren. Daran hat sich die letzten vierundfünfzig Jahre nichts geändert.«

»So kenne ich dich.«

Thora verzog einen Mundwinkel, und selbst auf Montoyas Lippen spielte ein seltenes Lächeln. »CREST II Ende.« Das zweite Hologramm erlosch, und das abgetönte Feld hellte sich auf.

»Sir, wir empfangen weitere Rufe«, meldete Nykyta Lomatschenko. »Unter anderem von einem Botschafter der Vollversammlung, von PUMA und diversen Nachrichtenkanälen.«

Rhodan seufzte. »Von was für einem Botschafter denn?«

»Shalmon Dabrifa.«

Rhodan seufzte abermals. Der junge Israeli war, was man wohl einen Bewunderer nannte. Potenziell eine wertvolle Hilfe im politischen Ränkespiel, aber nicht in Rhodans gegenwärtiger Situation.

»Bitte sagen Sie ihm, wir reden später. Und was will PUMA von uns?«

»Es ist eine aufgezeichnete Botschaft. Absender ein gewisser Ace Coltsmith. Soll ich abspielen?«

Rhodan stimmte ungeduldig zu. Vor ihm entstand das Holo eines gepflegt wirkenden Manns, dessen Augen wie die eines Kinds im Zirkus zu strahlen schienen. Er quasselte los, als wüsste er genau, wie wenig Zeit ihm blieb.

»Ich grüße Sie, Perry Rhodan!«, sprudelte es aus ihm heraus. »Bitte lassen Sie mich Ihnen versichern, was für eine besondere Ehre es mir ist, Sie als Erster im heimischen Sonnensystem willkommen zu heißen. Sicher kommen Sie gerade von einer Mission voller Gefahren zurück. Sie ahnen es wohl nicht. Aber auch wir auf Pluto halten Tag und Nacht die Augen offen, um Bedrohungen von der Menschheit fernzuhalten und unseren bescheidenen Beitrag für das größere Wohl zu leisten, ein Leuchtfeuer für tapfere Sternenfahrer wie Sie zu sein. Somit halte ich es nicht für übertrieben, wenn ich Ihnen im Namen meiner Besatzung, von Helden zu Helden gesprochen ...«

»Ich bin auf der Krankenstation«, verkündete Perry Rhodan und ließ die verdutzte Zentralebesatzung mit dem unbeirrt weiterquasselnden Hologramm allein.

2.

Ein Sessel am See

Reginald Bull saß auf der hinteren Veranda seines Bungalows am Goshunsee und trank Whisky. Genau genommen saß er nicht nur, er schaute aufs Wasser hinaus, auf dem es immer etwas zu sehen gab, und er trank nicht irgendeinen Whisky, sondern einen zwölf Jahre alten Scotch. Solche Details waren ihm zurzeit wichtig. Vielleicht lag es daran, dass er sich tagsüber sehr viele Details merken musste und abends nicht mehr richtig abschalten konnte.

Ohnehin waren seine Abende sehr kurz geworden, überlegte er und griff nach dem Zellaktivator, der zusammen mit dem Scotch und seiner Dienstwaffe auf dem Glastisch neben ihm lag, sodass er ihn bequem erreichen konnte. Ohne dieses Ding wäre er längst zusammengeklappt. Vielleicht klammerte er sich aber auch an Einzelheiten, weil sein Leben sonst nicht mehr viel Sinn ergab.

Der Bungalow war der zweitgrößte an diesem Abschnitt des Sees. Weiter im Osten gab es größere Privatvillen. Aber die gehörten irgendwelchen Neureichen, die in den Siebzigerjahren eine Gesetzeslücke ausgenutzt hatten, und Reginald Bull kannte sie nicht. Sein Bungalow war zudem der zweitälteste in diesem Abschnitt. Er war das zweitbeliebteste Ziel für Touristen – zumindest jene Art von Touristen, die sich für die Bungalows von Prominenten interessierten –, und wurde am zweitbesten vor genau solchen Leuten bewacht.

Selbstverständlich gehörte der größere, ältere, beliebtere, besser bewachte Bungalow Perry Rhodan. Aber der war gerade nicht da, womit Reginald Bull und sein Bungalow wohl als die Nummer eins gelten durften. Uninteressant für Touristen, aber relevanter für ihn als Eigentümer war, dass er seinen Bungalow mehr mochte. Die Veranda zum Beispiel – er hatte sie vor fünfzehn Jahren erneuert. Bedachte man den Zustand der vorigen Veranda, musste man eigentlich sagen, dass er sie erbaut hatte. Eigenhändig, nur mithilfe eines alten Zimmermanns, der an einem Wochenende gemeinsam mit Bull den Unterbau stabilisiert hatte.

Bull hatte Autum etwas beweisen wollen. Das hatte er damals zwar nicht geglaubt, als sie ihn damit aufgezogen hatte, hatte was von Geld und Wucherpreisen der Handwerker erzählt; aber fünfzehn Jahre später musste er ihr recht geben. Zum Glück war das Ergebnis sehr ansehnlich geworden, und zum Schluss hatte Autum Legacy ihren Spott aufgegeben und ihm geholfen. Sie hatte die Geländerpfosten geschliffen und lackiert. Er sah noch genau die tiefe Kerbe am dritten Pfosten, wo ihr der Winkelschleifer ausgerutscht war. Sie hatten den Pfosten nicht mehr ersetzen können und versucht, die Kerbe mit einer Extraschicht Lack zu überdecken. Es hatte eine Weile gut funktioniert. Nach fünfzehn Jahren sah er sie wieder.

Es war nicht die einzige Kerbe, die sie einander geschlagen und eine Weile erfolgreich verdeckt hatten.

Draußen auf dem See fuhren zwei Idioten im Sonnenuntergang mit ihren Jetskis herum. Bull kannte sie nicht. Wahrscheinlich gehörten sie zu den Villen im Osten. Sie hielten sich an die Sperrzone, die seinen Uferabschnitt beschützte. Aber der Lärm ihrer Maschinen störte die abendliche Ruhe.

Er saß auf einem alten Rattansessel, den Autum kurz nach Fertigstellung der Veranda gekauft hatte. Wahrscheinlich war es ein sehr teurer Versand gewesen, obgleich der Sessel aussah, als hätte sie ihn auf einem Flohmarkt entdeckt. Auf ihre alten Tage hatte Autum diese seltsame Macke für Kunsthandwerk entwickelt, die viele wohlsituierte Frauen befiel. Reginald Bull beklagte sich nicht. Er mochte den Sessel und war überrascht gewesen, dass Autum ihn nicht mitgenommen hatte, als sie ausgezogen war. Genau wie der Scotch war der Sessel mit den Jahren besser geworden und hatte eine Geschichte zu erzählen.

So etwas respektierte Bull. Menschen und Gegenstände ohne Charakter machten ihn dagegen rasend – das war wahrscheinlich seine Macke.

Er betrachtete die Gegenstände auf dem Glastisch. Der Scotch war mit seinen zwölf Jahren noch nicht so charaktervoll, wie er sein könnte. Aber die Richtung stimmte in jedem Fall, und Bull mochte das bisschen mehr an Biss, das er verglichen mit seinem sechzehnjährigen, weicheren Cousin noch hatte. Die goldene Farbe der Flüssigkeit im Glas sah im Sonnenuntergang aus wie dunkler Honig.

Er griff nach dem Glas. Er trank Scotch gern aus dem Tumbler, wenngleich natürlich ohne Eis, obwohl es sehr warm war. Der Tumbler gehörte zu einem Set aus sechs Gläsern, das Conrad Deringhouse ihm vor fünfzehn oder zwanzig Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte. Conrad und er hatten sich immer etwas mit Whisky geschenkt.

Bull hielt sich den Tumbler unter die Nase. Sofort stiegen ihm die Aromen von Rauch und leichten Zitrusnoten in die Nase. Er nippte. Ein Brennen wie von Pfeffer setzte sich auf seine Zunge, dann füllte eine angenehm ölige Flut seinen Mund, die nach Feuer und Rauch und nach Früchten mit einer Spur von Vanille schmeckte. Früher hätte er wahrscheinlich gelacht, wenn man ihm die Verkostungsnotizen eines Scotchs vorgelesen hätte. Inzwischen hatte er seine Meinung darüber geändert. Man sollte nie zu alt sein, seine Meinung zu ändern. Davon abgesehen war es nicht die erste Flasche dieses Scotchs, die er trank, nicht in dieser Woche; von daher kannte er diesen Scotch inzwischen ziemlich gut.

Er stellte den Tumbler wieder zurück auf den Glastisch, neben den Zellaktivator und den Thermostrahler. Seine Hand wanderte weiter und ruhte einen Moment lang auf dem Aktivator, nahm ihn aber nicht.

Der Aktivator war in gewisser Weise das genaue Gegenteil des Scotchs. Sicher war er fürchterlich alt, bestimmt hätte er auch eine gute Geschichte oder zwei zu erzählen – von Meistern der Insel oder ihren Verbündeten und Feinden, wer auch immer ihn zuvor getragen hatte, ehe Avandrina di Cardelah oder ihre Schwester Mirona Thetin ihn in eine Kiste gepackt und Perry Rhodan zum Geschenk gemacht hatten. Aber wer immer ihn getragen hatte, war längst tot. Zu Staub zerfallen wie ein Vampir. Und nichts, rein gar nichts, war von ihm oder ihr geblieben. Der Aktivator war seelenlos. Ein glattes Stück Metall, ein schlichtes Ei, ausgeschissen von einem Posbihuhn. Er roch nicht, er schmeckte nicht, er funktionierte nicht einmal mehr richtig.

Bulls Hand wanderte weiter, streifte die Dienstwaffe, deren Existenz bislang nicht halb so mysteriös verlaufen war wie die des Aktivators, aber durchaus etwas bewegter als die des Scotchs, der von der Welt nicht viel mehr als das Fass gesehen hatte, in dem er gereift war, und kehrte dann zu dem Scotch zurück, den er trotz allem lieber mochte als die Waffe. Einer der Vorteile immerhin, wenn man den Aktivator nicht trug: Das Verhältnis zwischen Trinker und Scotch wurde ehrlicher. Jeder konnte trinken wie ein Weltmeister, wenn ein uraltes außerirdisches Artefakt ihm alle Giftstoffe – oder was es dafür hielt – aus dem Körper filterte.

Er dachte an seinen Rückflug von den Kolonien. Die letzte Strecke nach seinem Termin auf Imart, als der Aktivator plötzlich Schwierigkeiten gemacht hatte. Zuerst hatte Bull gedacht, er hätte einen Schwächeanfall. Irgendwas mit Stress und Blutdruck, was Menschen immer wieder mal hatten, es war nichts Ehrenrühriges daran. Besonders wenn man wie er gerade zehn Tage am Stück öffentliche Auftritte, Verhandlungen in Hinterzimmern und die eine oder andere handfeste Auseinandersetzung auf Welten mit erhöhter Schwerkraft hinter sich hatte. Auch an seinen Beinahe-Herzinfarkt hatte er denken müssen. Fast vierzig Jahre war das nun her – kurz bevor er Autum Legacy den Antrag gemacht hatte.

Dann war ihm eingefallen, dass er so was wie Herzinfarkte und Schwächeanfalle ganz sicher nicht hatte. Gar nicht haben konnte, solange er den Aktivator trug. Das war ja genau sein Sinn: Der Aktivator war definitionsgemäß das genaue Gegenteil von Schwäche.

Dann hatte er an Rhodan gedacht, der voriges Jahr am Seeufer zusammengebrochen und fast gestorben war. Und an Ras Tschubai, der noch immer auf Mimas im Winterschlaf lag wie das Schneewittchen im Märchen. Was den Aktivator wohl zum Apfel und Mirona zur bösen Stiefmutter machte ... ein Gedanke, der rasch nach einem weiteren Schluck Scotch verlangte. Reginald Bull kicherte verhalten.

Das Feuer des Scotchs verdrängte den Gedanken an Winter und endlosen Schlaf und an die Wahrheit darüber, was er von Männern hielt, die kichernd einsam auf ihrer Veranda saßen. Was sich nicht verdrängen ließ, war die Wahrheit über seine Situation.

Bull hatte nie Protektor werden wollen. Nicht, dass er seine Position als Systemadmiral so innig geliebt hätte – er war nie ein Freund des Militärs gewesen, und ob ihn das besonders dazu qualifizierte, es zu leiten, wie Rhodan behauptete, wusste er nicht.

Aber »Protektor«? Er war doch kein Superheld, kein verdammter Erlöser. Er war nicht einmal Rhodan, und selbst Rhodan ... Er trank einen Schluck. Die Wahrheit war, »Protektor« war ein Freischein, alles zu tun, was einem einfiel.

Fast alles.

Lange hatte Bull das mit dem Freischein für völlig normal gehalten. Wie die Kommission mit Perry Rhodan umgesprungen war, hatte ihn wütend gemacht. Auch wegen des ganzen Ärgers, den es für ihn selbst bedeutet hatte. Sich um den militärischen Schutz der Erde und ihrer Kolonien zu kümmern, war schon genug Arbeit – allein der Papierkrieg ... Mittlerweile war er auch noch für den Zusammenhalt und die gute Stimmung verantwortlich und musste diesen ganzen Medienzirkus mitmachen, der Rhodan in den vergangenen Jahren immer verhasster geworden war. Bull konnte es ihm nicht verübeln.

Aber etwas in ihm war in dem Moment zerbrochen, in dem die Terranische Union einem ihrer Gründer allen Ernstes ins Gesicht sagte: »Wir brauchen dich nicht mehr.« Und lange hatte er auch nicht ernsthaft hinterfragt, dass Rhodan wie immer irgendwie mit einem blauen Auge aus der Sache gekommen war, während er, Reginald Bull ...

Er führte den Gedanken nicht zu Ende. Neidisch war er nicht auf Rhodan. Bull hätte jedenfalls keine Lust gehabt, wieder nach Arkon zu fliegen. Immerhin hatte er das schon mal gemacht – war Rhodans Spur bis nach Arkon gefolgt und hatte ihn rausgehauen. Er konnte das und wusste, dass er's konnte. Nein, der Punkt war ... er glaubte nicht mehr, dass es ein Fehler gewesen war, Rhodan abzusetzen. Ganz ohne Groll. Das Einzige, was ihn wütend machte, war, dass er Rhodan versäumt hatte. Oder Rhodan ihn. Kaum kehrte Bull der Erde für ein paar Tage den Rücken, kam sein Freund endlich heim und hatte nichts Besseres zu tun, als gleich wieder aufzubrechen.

Er trank von seinem Scotch. Allmählich, das musste er sich eingestehen, war er sehr betrunken. Was für ein Tag war morgen? Er hoffte, er hatte keine wichtigen Termine. Kurz erwog er, sein Komarmband zu checken, doch entschied sich dagegen. Ob es nun zehn oder zwanzig verpasste Nachrichten waren, es spielte keine Rolle. Nun rief er niemanden mehr zurück.

Eine Weile starrte er auf den See hinaus, das Wasser immer in Bewegung, von Minute zu Minute etwas dämmriger, dunkler, älter, und ließ sich vom Zirpen der Zikaden und den Vogelrufen im Schilf einlullen. Er hatte keine Ahnung, was für Vögel es waren. Autum hatte sich eine Weile dafür interessiert, was für Tiere am See lebten. Aber wenn sie es herausgefunden und ihm erzählt hatte, hatte er es vergessen. Wie so vieles.

Das Aufbrüllen der Jetskis riss ihn ins Hier und Jetzt zurück.

Na so was, überlegte Bull, da wäre er doch beinahe eingeschlafen. Er tastete nach dem Glastisch, fand die Dienstwaffe, tastete weiter, fand den Tumbler, nahm ihn, suchte weiter neben dem Glastisch, fand die Flasche und goss sich nach. Das wäre vielleicht eine Schlagzeile gewesen: Protektor soff sich in den Schlaf, vergaß Aktivator, tot.

Er überlegte. Wie lange hatte er den Aktivator schon abgelegt? Er wusste es nicht mehr. Die Wahrheit war, ein bisschen Schlaf wäre ihm durchaus willkommen. Wie lange hielt er ohne Aktivator durch? Zweiundsechzig Stunden, hieß es. Bull war sich ziemlich sicher, dass er ihn noch nicht so lange abgenommen hatte. Vage erinnerte er sich daran, dass der Aktivator zuvor auf der Küchentheke gelegen hatte, neben dem Foto von Laura und Sophie, davor im Bad. Überhaupt war das Bad viel zu groß für Bull allein, und dieses dämliche Metallei neben seiner Zahnbürste und dem Rasierzeug weckte nur die Erinnerung an Autums Zoo von Kosmetikartikeln, den er nie richtig verstanden hatte. Allein die ganzen Sachen, die sie immer für ihre Haare und Strähnchen und sonst was gebraucht hatte!

Eine dunkle Erinnerung drängte sich zwischen die lebhaften Bilder: sein Zellaktivator auf dem Nachttisch, neben der Leselampe. Hatte er ihn zwischendurch getragen? Wie lange musste man ihn tragen, damit der Countdown wieder von vorn begann? Wenn er den Aktivator tatsächlich schon seit dem Vortag oder noch länger nicht mehr trug, konnte dieser Abend durchaus spannend werden.

Reginald Bull trank. Die entscheidende Frage lautete ohnehin, ob es etwas ändern würde, ihn anzulegen. Gut, er hatte bislang nur einmal einen Aussetzer gehabt. Aber auch Rhodans Aktivator hatte so angefangen, und dann hatten sich die Fehler gehäuft. Deshalb hatten sie die FANTASY für ihn geklaut: damit er nach Lashat fliegen und sich heilen lassen konnte. Wie üblich war alles ganz anders gekommen. Irgendjemand oder etwas im Innern eines Zeitbrunnens hatte dafür gesorgt, dass Rhodan mittlerweile keinen Aktivator mehr brauchte. Hatte mal wieder Glück gehabt, der Gute – und er selbst und Ras und John und Belle und alle anderen, die eines dieser Teufelsdinger trugen, Pech. Autum hatte recht gehabt, ihren Aktivator abzulehnen, denn sie hatte wenigstens ihren Stolz behalten. Genau wie Ngata, der alte Fuchs, oder Conrad ...

Nun, er wusste nicht, ob er sich wirklich mit Conrad vergleichen sollte. Gabrielle wäre wahrscheinlich anderer Meinung als er. War Deringhouses Beerdigung nicht in der kommenden Woche? Er hatte es sich aufgeschrieben.

Worauf es ankam ... der springende Punkt ...

Der springende Punkt war, wenn er den Aktivator wieder anlegte, würde er sehr bald wieder nüchtern sein, und das wollte Bull auf keinen Fall.

Er merkte, dass er das verfluchte Ding schon in der Hand hatte, und lehnte es zurück an die Dienstwaffe. Es sah aus wie eine kleine Handgranate. Oder eine große Eieruhr. Wie spät war es? Ein wenig Schlaf ... Winterschlaf ... Dem Sonnenstand nach zu urteilen, war es wahrscheinlich acht Uhr oder neun Uhr abends. Er fragte sich, was seine Töchter gerade taten.

Bull sah sie vor sich, wie er sie im Krankenhaus zum ersten Mal gesehen hatte. So irrsinnig klein und so irrsinnig hilflos. Dachte an die ersten Jahre, die seine Geduld immer wieder auf eine harte Probe gestellt hatten. Die ersten Ausflüge, die ersten Schultage. Er sah Sophie, wie sie diesen Wissenschaftspreis gewonnen hatte, bei dem er nicht mal das Thema verstanden hatte, und Laura, wie sie im Jahr darauf Klassenbeste geworden war. Sie waren beide viel zielstrebiger, viel ehrgeiziger als er selbst gewesen.

Autum Legacy hatte immer gesagt, er solle sich nicht kleinmachen, immerhin gehörte eine Menge dazu, um Astronaut zu werden. Aber Bull hatte sich nie so viele Gedanken darum gemacht. Vielleicht hatte er sich nie sonderlich darüber gefreut. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass man Menschen verlor, wenn man andere Ziele über sie stellte. So wie er seine Töchter verloren hatte: an ihre Jobs, an NATHAN, an diese vielen Dinge, die er nicht richtig verstand.

Manchmal fragte er sich ernstlich, ob er ein schlechter Vater gewesen war. Ein schlechter Ehemann. Hatte er das nicht spätestens in dem Moment bewiesen, in dem er den Aktivator angelegt hatte, obwohl Autum ihren abgelehnt hatte? Er betonte immer, er habe keine Wahl gehabt, weil er sonst gestorben wäre. Aber selbst wenn man ihm nicht gegen seinen Willen eine Zelldusche verpasst gehabt hätte, die dann abzulaufen drohte; wenn man ihn nicht mit dieser Droge Unsterblichkeit angefixt hätte – hätte er das Geschenk wirklich abgelehnt? Er hatte die Gesellschaft seiner Töchter und seiner Frau, die er über alles liebte, gegen die Gesellschaft von Leuten wie Avandrina di Cardelah und Mirona Thetin getauscht.

Bekloppte. Verzweifelte. Mörder.

Die Jetskifahrer beendeten ihren Klamauk, und endlich kehrte Ruhe über dem See ein, nur gelegentlich durchbrochen vom fernen Donner von Raumschiffen oder tief fliegenden Gleitern. Er dachte an Autum: die junge Autum Legacy von einst, als sie noch als Agentin für GHOST gearbeitet hatte; die Autum, die die Mutter seiner Kinder geworden war; die Autum, die ihn verlassen hatte. Er wusste nicht, was er denken sollte, denn er hatte all diese Gedanken schon zigmal gedacht. Aber er sah sie vor sich, in jeder Lebensphase, die ihm in seiner verhassten Unveränderlichkeit entglitten war. Er war kaum älter als damals. Nur einsamer.

Er musste wieder eingenickt sein, denn als er das nächste Mal aufschreckte, war es schon dunkel. Ihm war kühl, und ein paar Wolken verdeckten den Himmel sowie die Skyline der Stadt am anderen Ufer. Auf einmal kam ihm die stille Weite des Sees beklemmender vor, als das Weltall es auf seinen Reisen je gewesen war. Das Dunkel lag wie eine schwere Decke über ihm. Er sollte schlafen gehen. Schlafen ...

Seine Hand tastete nach dem Tisch, fand seine Waffe und steckte sie ein. Er tastete weiter nach Glas und nach Flasche, dann kämpfte er sich auf die Beine und schlurfte unsicher zurück in den Bungalow.

Den Zellaktivator ließ er draußen auf dem Tisch. Reginald Bull glaubte nicht, dass jemand ihn stehlen würde.

3.

Kinder des Olymp

Thora Rhodan da Zoltral verfolgte den Anflug auf das Castorsystem von ihrer Kabine aus. Die restliche Reise war nur ein Katzensprung verglichen mit der Wegstrecke, die gerade hinter ihr lag, aber auf ihre Art nicht minder schwer.

Meine tot geglaubte Tochter bittet mich zur Audienz, dachte sie zynisch.

Nathalie Rhodan da Zoltral hatte sich ihnen auf dem Fragment der Elysischen Welt offenbart – doch nur als Projektion. Zudem war die Begegnung von der drängenden Notwendigkeit überschattet gewesen, Arkon vor der Gefahr durch das Dunkelleben zu retten. Deshalb änderte das alles nichts, rein gar nichts an Thoras Verlangen, ihrer Tochter endlich wieder persönlich zu begegnen.

Ebenso wie Perry Rhodan war ihr völlig klar gewesen, dass sie als Allererstes nach Olymp mussten, ehe sie wieder zum Tagesgeschäft übergingen oder die nächsten Schritte planten. Selbst Stella Michelsen hatte eingesehen, dass sie diese Zeit brauchten, und ihnen eine Korvette der Flugbereitschaft zur Verfügung gestellt. Sie wollten unter sich sein auf dieser Reise, und die CREST II mit ihren zweitausend Frauen und Männern Besatzung für einen privaten Flug zu benutzen, wäre selbst für Thoras Verhältnisse, nun, unverhältnismäßig gewesen, wie ihr Logiksektor süffisant anmerkte.

An diese Stimme in ihrem Kopf, die seit Aktivierung ihres Extrasinns wie eine altkluge Zwillingsschwester jede ihrer Handlungen und Überlegungen ungefragt bewertete und kommentierte, musste sie sich erst noch gewöhnen. Ganz gleich, was arkonidische Traditionalisten behaupteten: Thora hatte sich auch ohne dieses Zweitbewusstsein nie unvollständig gefühlt. Und dessen ständige mentale Kritik trug nicht im Mindesten dazu bei, dass sich ihre Stimmung in diesen Stunden gebessert hätte.

Nur du bist schuld an deiner Stimmung, wies der Logiksektor ihren Vorwurf kühl zurück. Wenn es familiäre Harmonie ist, die dir fehlt, hättest du nicht mit deinen Söhnen streiten sollen.

»Ach, halt doch die Klappe!«, murmelte Thora leise und fragte sich, ab welcher Lautstärke sich die Kabinenpositronik wohl angesprochen fühlen mochte. Thomas und Farouq hatten mehr verdient als einen kleinen Streit. Sie hatten Thora hintergangen und die Familie entehrt. Auf Arkon hätte man sie vor gar nicht langer Zeit noch enterbt, verbannt und nach allen Regeln des Dagor verdroschen, in beliebiger Reihenfolge.

Grund ihres gegenwärtigen Konflikts war natürlich, dass ihre Söhne jahrelang von Nathalies geheimem Spiel gewusst hatten. Ihren Eltern gegenüber hatten sie getan, als trauerten sie – in Wahrheit hatten sie ihre Schwester wahrscheinlich bei jedem ihrer Geheimdiensteinsätze auf Olymp auf ein Bier eingeladen und Nathalie über die jüngsten Erkenntnisse von GHOST auf dem Laufenden gehalten.

Die Annahme, dass deine Söhne zu Geheimnisverrätern wurden, ist ebenso unbegründet wie die, dass deine Tochter nach all den Jahren plötzlich Gefallen an terranischem Bier ...

»Halt die Klappe, habe ich gesagt!«, schrie Thora.

»Bitte präzisieren Sie die Eingabe«, bat die Positronik höflich, und Thora stieß einen spitzen Schrei aus.

Eskaliert war der Streit, als Thomas seinen Eltern das großzügige Angebot unterbreitet hatte, dass sie für den Flug nach Olymp doch ihr privates Einsatzschiff – die NATHALIE – nehmen könnten ...

Thora schlug mit der Faust gegen die gläserne Wand, auf der die Projektion des majestätischen Castorsystems mit seinen drei Sonnenpaaren immer größer wurde. Ihr bebendes Spiegelbild lag wie die Silhouette einer Sternengottheit über der Schwärze.

Es war nicht so, dass Thora nicht stolz auf ihre Kinder wäre. Ihre Söhne waren die Vorläufer jener Emotionauten gewesen, die mittlerweile auf Cybora und anderswo trainierten. Sie waren fähige Agenten, und Thora war zuversichtlich, dass ihr Chef, Nike Quinto, es nicht wagen würde, je ihre Leistungen zu beschönigen, bloß weil sie prominente Eltern besaßen. Und das Raumschiff, das sie flogen und auf das sie zum Gedenken groß den Namen ihrer Lüge gemalt hatten, war ein Wunderwerk der Technik.

Und Thoras Tochter ...

Die beiden Roten Zwerge Castor Ca und Castor Cb – Letzterer mit dem Eigennamen Boscyks Stern – kamen näher. Dort draußen kreiste Olymp ... Nathalies Welt. Das wichtigste Handelszentrum der Solaren Union, neben der Erde selbst. Drei uralte Sonnentransmitter der Memeter und ein mit thetisischer Hilfe errichteter Situationstransmitter machten Olymp und seine Hauptstadt Trade City zum Knotenpunkt des kleinen Sternenreichs der Menschen, das so anders war als das Große Imperium der Arkoniden. Die Menschen eroberten nicht, sie erforschten, siedelten, handelten ... und schreckten nie davor zurück, irgendwelche nur halb verstandenen Hinterlassenschaften ihrer Vorfahren oder anderer Zivilisationen zu benutzen. Es war erstaunlich, wie selten ihnen diese Relikte um die Ohren flogen. Das Universum schien die Menschen zu mögen. Und sie entwickelten sich – entwickelten neue Fähigkeiten und Formen der Existenz: Mutanten, Emotionauten, Nathalie ...

Thora dachte an die Zeit zurück, als Nathalie noch ein kleines Mädchen gewesen war, das bloß einige Auffälligkeiten gezeigt hatte. Sie war sehr klug und geschickt gewesen und hatte ihr Essen stets wie ein halb verhungerter Lorr verschlungen – aber welche Eltern hielten ihr Kind nicht für begabt oder verfressen? Sorgen hatten sie sich erst gemacht, nachdem die Anfälle häufiger wurden und Nathalie zunehmend die Kontrolle über ihre Fähigkeiten zu verlieren schien. Sie sprach schneller, als irgendein Mensch sie verstehen konnte – und dass niemand sie verstand, frustrierte sie.

Als Nathalie acht Jahre alt war, hatten Thora und Rhodan ihre Tochter ins Lakeside Institute gebracht, wo Ras Tschubai und der Kommunikationstrainer János Molnár mit ihr arbeiteten. Doch alles, was man am Institut herausfand, war, dass Nathalie sehr musikalisch, unglaublich klug und wirklich hungrig war. Eine Mutantin, versicherte man ihnen immer wieder, sei Nathalie nicht. Aber dass sie nebenher klassische Kompositionen nach Gehör notierte? Ein Posbisignal wie ein billiges Rätselspiel knackte? Oder quasselte wie eine Aufnahme im Schnellvorlauf? Geschenkt, so waren Kinder nun einmal ...

Nathalie hatte auch Briefe geschrieben zu dieser Zeit. An eine imaginäre Freundin namens Ansa.

Thoras Blick ging ins Leere. Einen Moment lang kamen die Roten Zwerge in Deckung mit dem Spiegelbild ihrer Augen.

Ansa.

Anson.

Anson Argyris ...

Nathalie hatte die ganze Zeit ein Spiel mit ihnen allen gespielt. Seit sie acht Jahre alt gewesen war.

Thora starrte in die Reflektion ihrer roten, brennenden Augen und wischte sich die Tränen von den Wangen, spürte ihr Herz im Gefängnis seiner Knochenplatte rasen.

»Wie kann es sein?«, fragte sie ihren Mann, als Perry Rhodans Silhouette neben sie trat. »Wie ist es möglich, seine Tochter so wenig zu kennen?«

Er legte den Arm um ihre Hüfte. Sie drehte sich nicht um, betrachtete nur ihrer beider Spiegelbilder auf der Scheibe.

»Ich glaube, es ist nicht das erste Mal, dass Eltern sich diese Frage stellen.«

Keine große Erkenntnis, kommentierte Thoras Logiksektor. Aber recht hat er, dein Barbar.

Sie schüttelte verärgert den Kopf. »Ich glaube, es ist durchaus das erste Mal, dass Eltern die Feststellung machen, dass ihr vermisstes Kind sich ohne triftigen Grund eine zweite Existenz aufgebaut hat, ganz nebenbei als Obmann einer ganzen Kolonie ...!«

»Nicht alle Eltern haben unsere Nathalie.« Rhodan lächelte. »Und was die Gründe betrifft, wäre sie wahrscheinlich anderer Ansicht.«

»Diese Sache mit den beiden Bewusstseinskernen? Du weißt schon ... dass sie eine Dyade sei?«

»Ja?«, fragte Rhodan.