Perry Rhodan Neo Paket 30 - Perry Rhodan - E-Book

Perry Rhodan Neo Paket 30 E-Book

Perry Rhodan

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Beschreibung

Zu Beginn des 22. Jahrhunderts: Die Situation für die Menschheit ist angespannt. Zwar sind die Kolonien frei, doch die Erde und der Mond umkreisen immer noch die ferne Sonne Akon. Nach wie vor besteht die Bedrohung durch die Überschweren, die das Arkon-Imperium erobert haben. Dort regt sich der Widerstand in der Bevölkerung. Immerhin gibt es Pläne, die Heimatwelt der Menschen an ihren angestammten Platz zurückzuholen. Dabei gibt es nicht nur technische Herausforderungen: Viele Erdbewohner würden gern bei den Akonen leben und wollen nicht in ihre eigentliche Heimat umsiedeln. In dieser Zeit kommt es zu unheilvollen Entwicklungen auf einzelnen Welten. Eine terranische Kolonie wird zur Versuchswelt – jemand versucht offenbar, die Menschheit mithilfe von Mikroorganismen zu manipulieren ...

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Seitenzahl: 2168

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Zu Beginn des 22. Jahrhunderts: Die Situation für die Menschheit ist angespannt. Zwar sind die Kolonien frei, doch die Erde und der Mond umkreisen immer noch die ferne Sonne Akon. Nach wie vor besteht die Bedrohung durch die Überschweren, die das Arkon-Imperium erobert haben. Dort regt sich der Widerstand in der Bevölkerung.

Immerhin gibt es Pläne, die Heimatwelt der Menschen an ihren angestammten Platz zurückzuholen. Dabei gibt es nicht nur technische Herausforderungen: Viele Erdbewohner würden gern bei den Akonen leben und wollen nicht in ihre eigentliche Heimat umsiedeln.

In dieser Zeit kommt es zu unheilvollen Entwicklungen auf einzelnen Welten. Eine terranische Kolonie wird zur Versuchswelt – jemand versucht offenbar, die Menschheit mithilfe von Mikroorganismen zu manipulieren ...

Cover

Vorspann

Band 290 – Der Versuchsplanet

Vorspann

1. Die Blase im Sand

2. Perry Rhodan ist zurück

3. Akonsystem

4. Das Ding

5. Die Delegation

6. Die Sternenpest

7. Der Vorfall

8. Neue Zeiten

9. Entdeckt

10. Anschläge auf Rumal

11. Der Mini-Mahlstrom

12. Algolsystem

13. Central Hospital

14. Krumar Rabkob

15. Ehrwürdige Mutter

16. Die Gier

17. Hyperstrahlung

18. Stürmt den Plexus!

19. Das fremde Schaltschiff

20. Shmuel Rodensky

21. Abwarten

22. Kampf um die Pestblase

23. Tholia Rabkob

24. Das Duplikat

25. Zurück auf der SOL

26. Meliar

27. Die Mehandor

28. Meeresblick

29. Jacky

Band 291 – Verrat am Imperium

Vorspann

1. Der Eindringling

2. Retten oder vernichten?

3. Der Unglücksbote

4. Die Patienten des Doktors

5. Verlegen oder nicht?

6. Krämerseelen

7. Undercover

8. Geheimgeschichte

9. Die Dekadenz des Sephiden

10. Die Basis

11. Der Imperator

12. Die Jagd geht weiter

13. Katz und Maus

14. Lebendige Vergangenheit

15. Der Raumhafen

16. Der Ara packt aus

17. Der Erste Hetran ist da

18. Ein Ass im Ärmel

19. Familienkrach

20. Reise

21. Gedanken und Pläne

Band 292 – Der Fall Kerlon

Vorspann

1. Kerlon

2. Perry Rhodan

3. Ihin da Achran

4. Perry Rhodan

5. Ihin da Achran

6. Perry Rhodan

7. Ihin da Achran

8. Kerlon

9. Perry Rhodan

10. Atlan

11. Atlan

12. Ihin die Jüngere

13. Ihin die Jüngere

14. Ihin die Jüngere

15. Kerlon

16. Perry Rhodan

Band 293 – Der Plan der Vollendung

Vorspann

Prolog

1. Sinclair Marout Kennon

2. Sinclair Marout Kennon

3. Laura Bull-Legacy

4. Sinclair Marout Kennon

5. Laura Bull-Legacy

6. Sinclair Marout Kennon

7. Laura Bull-Legacy

8. Laura Bull-Legacy

9. Sinclair Marout Kennon

10. Laura Bull-Legacy

11. Sinclair Marout Kennon

12. Laura Bull-Legacy

13. Sinclair Marout Kennon

14. Laura Bull-Legacy

15. Sinclair Marout Kennon

16. Laura Bull-Legacy

17. Sinclair Marout Kennon

18. Gabrielle Montoya

Band 294 – Weidenburn

Vorspann

Prolog: Eric Weidenburn

1. Adrian Kukolies

2. Eric Weidenburn

3. Eric Weidenburn

4. Adrian Kukolies

5. Eric Weidenburn

6. Eric Weidenburn

7. Eric Weidenburn

8. Eric Weidenburn

9. Eric Weidenburn

10. Adrian Kukolies

11. Eric Weidenburn

12. Eric Weidenburn

13. Eric Weidenburn

14. Eric Weidenburn

15. Eric Weidenburn

16. Eric Weidenburn

17. Eric Weidenburn

Epilog: Eric Weidenburn

Band 295 – Blut und Spiele

Vorspann

1. Der neue Häftling

2. Das Schicksal eines Freunds

3. Die Ehre

4. Blut und Spiele

5. Die Hinrichtung

6. Kerlons Strafe

7. Leticron

8. Flucht

9. Leticron

10. Ungleiche Gefährten

11. Der Widerstand

12. Gracchus

13. Die Containerreise

14. Das Lied

15. Bettgeflüster

16. Abwege

17. Der Panzer

18. Arkon III

19. Atlan und Gucky

20. Das Wiedersehen

21. Das Versprechen

22. Das Tunnelsystem

23. Eine atemberaubende Entdeckung

24. Der zweite Gigant

25. Der Lurius

26. Das Ende des Tunnels

27. Rhodan vs. Leticron

28. Die Zeit drängt

29. Gerettet?

30. Atlan vs. Leticron

31. Es kann nur einen Imperator geben!

32. Die STAC

33. Wiedersehen

34. Klärende Gespräche

35. Der verlorene Sohn

36. Die Beisetzung

Band 296 – Facetten der Revolution

Vorspann

Prolog: Vergangenheit, Arkon I

1. Gegenwart, Arkon I, Bericht Atlan da Gonozal

2. Vergangenheit, Arkon I

3. Gegenwart, Bericht Atlan da Gonozal

4. Vergangenheit

5. Gegenwart, Bericht Atlan da Gonozal

6. Vergangenheit

7. Erinnerungen

8. Gegenwart, Bericht Atlan da Gonozal

9. Vergangenheit

10. Gegenwart, Bericht Atlan da Gonozal

11. Vergangenheit

12. Vergangenheit

13. Gegenwart, Bericht Atlan da Gonozal

14. Vergangenheit

15. Gegenwart, Bericht Atlan da Gonozal

16. Vergangenheit

17. Vergangenheit

18. Gegenwart, Bericht Perry Rhodan

19. Vergangenheit

20. Vergangenheit

21. Gegenwart, Bericht Atlan da Gonozal

22. Vergangenheit

23. Gegenwart, Bericht Atlan da Gonozal

24. Vergangenheit

25. Vergangenheit

26. Vergangenheit

27. Vergangenheit

28. Gegenwart, Bericht Atlan da Gonozal

29. Gegenwart, Bericht Atlan da Gonozal

Epilog

Band 297 – Die Stunde des Protektors

Vorspann

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

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9.

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22.

23.

24.

Epilog

Band 298 – Die Totenuhr

Vorspann

1. Auris von Las-Toór

2. Auris von Las-Toór

3. Auris von Las-Toór

4. Perry Rhodan

5. Gabrielle Montoya

6. Ihin da Achran

7. Perry Rhodan

8. Gabrielle Montoya

9. Ihin da Achran

10. Halycon Faulkner

11. Perry Rhodan

12. Halycon Faulkner

13. Gabrielle Montoya

14. Perry Rhodan

15. Ihin da Achran

16. Perry Rhodan

17. Halycon Faulkner

18. Gabrielle Montoya

19. Perry Rhodan

20. Halycon Faulkner

21. Gabrielle Montoya

22. Perry Rhodan

23. Gabrielle Montoya

24. Ihin da Achran

Band 299 – Planet ohne Zeit

Vorspann

Prolog: Alaska Saedelaere

1. Perry Rhodan

2. Perry Rhodan

3. Perry Rhodan

4. Perry Rhodan

5. Perry Rhodan

6. Perry Rhodan

7. Perry Rhodan

8. Perry Rhodan

9. Perry Rhodan

10. Perry Rhodan

11. Perry Rhodan

12. Perry Rhodan

13. Perry Rhodan

14. Perry Rhodan

15. Perry Rhodan

Epilog: Alaska Saedelaere

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

Band 290

Der Versuchsplanet

Marlene von Hagen

Vor sieben Jahrzehnten ist Perry Rhodan auf Außerirdische getroffen. Die Menschheit ist danach zu den Sternen aufgebrochen und hat fremde Welten besiedelt, ist aber auch in kosmische Konflikte verwickelt worden.

Seit sechs Jahren umkreisen Erde und Mond eine fremde Sonne. Die Gewaltherrschaft des Kriegsherrn Leticron auf den von Menschen besiedelten Planeten ist immerhin beendet. Aber der Überschwere hat sich nur vorübergehend ins arkonidische Imperium zurückgezogen und hegt neue Eroberungspläne.

In dieser angespannten Lage ereignen sich im Jahr 2108 auf der terranischen Kolonialwelt Rumal sonderbare Dinge. Die Bevölkerung scheint von einem gefährlichen Parasiten befallen zu sein – es kommt zu Amokläufen und zahlreichen Todesfällen.

Perry Rhodan eilt den Bedrängten mit dem Raumschiff SOL zu Hilfe. Womöglich greift Leticron mit einer Biowaffe an – und Rumal ist hierfür DER VERSUCHSPLANET ...

»Isolation ist Sicherheit. Dies sagt Weidenburn.«

1.

Die Blase im Sand

6. Oktober 2108

»Du traust dich nie, an der Eisenwurzel zu ziehen, Jacky!«

»Feigling! Feigling! Feigling!«

»Er ist eben noch ein Baby!«

»Bin ich nicht!«, schrie Jacky zurück. Die anderen Kinder provozierten ihn unnötigerweise. Er hatte keine Angst. Er war sechs Jahre alt! Nur weil er der Jüngste der Clique war, hieß das nicht, dass er vor einer Mutprobe zurückschreckte.

»Halte dich von den Eisenwurzeln fern«, hatte seine Mutter ihn oftmals gewarnt. »Sie sind hier draußen unberechenbar.«

Aber was wollte ihm ein Stück Wurzel schon anhaben? Die Pflanzen wuchsen für gewöhnlich unter dem Sand von Rumal und streckten nur selten ihre Spitzen aus dem Boden. Eine davon zu berühren, galt seit jeher als Heldentat unter den Farmerssöhnen. Es war eine willkommene Abwechslung in ihrem langweiligen Leben in einer Wüstensiedlung.

Jackys Eltern bauten wie viele andere in der Gegend Friabäume an. Auf naturnahe Weise, nicht industriell wie in den Wabenfarmen. Was sich die Erwachsenen davon versprachen, hatte Jacky nicht begriffen. Sie behaupteten, dass die natürlich wachsenden Nüsse besser schmeckten als die industriellen. Für Jacky waren beide gleichermaßen widerlich.

Bedächtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Er hatte sich als Staubschutz einen mit Nanoisolierung beschichteten Schal mehrmals um den Mund gebunden. Das immer öfter auftretende Husten eines der älteren Jungen gemahnte ihn, wie schnell die Keuche auch Kinder befallen konnte. Jacky indes hatte keine Lust, sich an der furchtbaren Erkrankung zu Tode zu husten. Deshalb wickelte er sich jeden Morgen den Schal um Mund und Nase, um nicht die Schwebeteilchen in Rumals Atmosphäre einzuatmen.

Viele davon waren kleiner als fünf Mikrometer und unterliefen die Abwehrmechanismen des Körpers. Schädlich waren vor allem die im Staub enthaltenen Hyperschwingquarzpartikel, die das Nervensystem beeinflussten und einen anhaltenden Hustenreiz verursachten. Das wusste jedes Kind auf Rumal. Jacky und seine Spielkameraden hatten daher frühzeitig gelernt, die Sand- und Staubwolken der bläulich weiß schimmernden Wüste zu meiden.

Er verdrängte den düsteren Gedanken an die unheilbare Krankheit und ging weiter auf die Eisenwurzel zu. Wie eine versteinerte Schlange ragte sie aus dem Boden, wobei Schwanzende und Kopf im Sand versunken waren. Man hätte einen faustgroßen Ball unter dem geformten Bogen hindurchschießen können. Jacky würde den anderen Jungs seine Idee als neue Mutprobe für später vorschlagen.

Nur noch wenige Zentimeter trennten ihn von dem Gebilde. Seine Hände schwitzten, und er spürte, dass sich sein Puls beschleunigte. Er war aufgeregt. Gleich würde er die Wurzel erreicht haben. Er streckte die Rechte aus.

Vorsichtig berührte Jacky die Pflanze mit den Fingerspitzen, die aus seinem Handschuh herauslugten. Die Eisenwurzel fühlte sich wider Erwarten nur lauwarm an. Wäre sie aus Stein gewesen, hätte die Berührung wegen der darin gespeicherten Hitze wahrscheinlich auf der Haut gebrannt.

Die Jungs hinter ihm pfiffen und jubelten.

»Der Hosenscheißer hat es geschafft!«, rief der Älteste.

Jacky lächelte unter seinem Schal und drehte sich um. Er stemmte beide Fäuste in die Luft und ließ sich feiern. Plötzlich spürte er eine Bewegung hinter sich. Ein schmaler Schatten wuchs neben ihm empor. Die Kinder in der Nähe verstummten, rissen die Augen auf. Jacky drehte sich langsam um und starrte die Spitze der Eisenwurzel an. Sie hatte sich mehrere Meter in die Luft erhoben und richtete ihr freies Ende auf Jacky. Er schrie überrascht auf, als die Eisenwurzel auf ihn herabschoss.

Mit einem reflexartigen Sprung brachte er sich in Sicherheit. Er landete knapp neben der Stelle, wo sich die abwärts schnellende Wurzel in den sandigen Boden bohrte. Sein Schal verrutschte, und vor Aufregung atmete er hektisch Staubpartikel ein. Er hustete. Immer tiefer grub sich die Wurzel in den Untergrund und mutete dabei wie der nicht enden wollende Körper einer Seeschlange aus einem der terranischen Holovidspiele an, die auch auf Rumal beliebt waren. Der Sand unter Jacky geriet in Bewegung.

»Weg hier!«, hörte er ihren Anführer Joshua rufen.

Jacky versuchte, sich aufzurappeln, aber seine Füße fanden keinen Halt. Er bemerkte, dass ihn etwas nach unten zog. Er rutschte ab. Panisch krallte er die Hände in den lockeren Wüstenboden. Die Sandkörner waren brennend heiß. Jacky spürte die Hitze in den Fingerspitzen, die vorn ungeschützt aus seinen Lederhandschuhen ragten. Es waren seine Lieblingsarbeitshandschuhe, die er immer trug, wenn sein Vater ihn bei der Ernte mitarbeiten ließ. Er hatte sie angezogen, um sich der Mutprobe ohne Furcht zu stellen. Sie waren seine Talismane, seit sie ihn vor einem Unfall mit einem Erntelaser bewahrt hatten. Aber im Moment brachten sie ihm kein Glück.

»Hey, helft mir!«, rief er. Niemand antwortete.

Plötzlich schoss eine zweite Eisenwurzel neben seinem Kopf aus dem Boden und an ihm vorbei. Vor Schreck rollte sich Jacky auf den Rücken. Ein Fehler. Nun rutschte er noch tiefer in den Krater, der sich nahebei immer schneller weitete.

Am Grund der Mulde wurde eine kreisrunde, schwarze Oberfläche sichtbar. Sie war von metallisch schimmernden Quadersteinen umgeben. Jacky schlitterte bis zu einem der Quader und blieb mit seinem Fuß dort hängen. Endlich fand er wieder Halt. Die Eisenwurzeln wollten ihn offenbar nicht in ihrem Trichter verschlingen, sondern hatten nur das Ding vor ihm freigelegt.

Jacky beugte sich vor. Etwas auf der nachtdunklen Oberfläche bewegte sich. Zuerst war es nur ein winziger, bernsteinfarbener Tropfen, der sich zwei Zentimeter weit aufblies. Dann pulsierte er arrhythmisch und wurde größer. Jacky betrachtete das Phänomen eine Weile fasziniert. Er wagte nicht, es zu berühren. Dieses Mal wollte er auf die mahnenden Worte seiner Mutter hören.

2.

Perry Rhodan ist zurück

6. Oktober 2108

»Perry Rhodan ist zurück!« Das Gesicht des Reporters der Meysenhart Galactic News Corporation erschien im Nachrichtenholo. Es war Gründer und Hauptmoderator Krohn Meysenhart höchstpersönlich. An seinem blauen Hemdkragen trug er eine silberne Spange mit dem Logo der MGNC. Im Hintergrund waren kalkweiße Wände zu sehen. Die Umgebung hatte etwas Steriles. In knappen Worten lieferte er einige allgemeine Informationen zu Perry Rhodan und dessen Lebenslauf.

Tholia Rabkob hing seit einer halben Stunde im Mesh fest und saugte sich alle verfügbaren Informationen über Rhodans Rückkehr aus den Medien. Fasziniert betrachtete die Obfrau von Rumal die eindrucksvolle Standbildaufnahme des Terraners, die in einem zweiten Hologramm neben dem Kopf von Meysenhart schwebte. Sie wollte den derzeitigen Expeditionsleiter der SOL unbedingt eines Tages kennenlernen und hoffte auf eine Gelegenheit, Rhodan nach Rumal einzuladen.

Vor genau drei Tagen war Perry Rhodan aus seinem Tiefschlaf erwacht. Mehr als neun Monate lang hatte niemand gewusst, ob der ehemalige Protektor für immer ins Koma gefallen war. Die Umstände waren mysteriös gewesen. Es hatte unzählige Verschwörungstheorien gegeben. Manche selbst ernannten Experten hatten spekuliert, dass der Überschwere Leticron hinter der plötzlichen Bewusstlosigkeit des Terraners stecke. Womöglich aus Rache dafür, dass die Gon-Mekara sich nach fünfjähriger Besatzung von den terranischen Welten hatten zurückziehen müssen.

Aber Leticron hatte mit der Sache vermutlich nichts zu tun, denn inzwischen war allgemein bekannt, dass Rhodans Gehirn in einen 55 Millionen Lichtjahre entfernten Kugelsternhaufen namens Naupaum entführt worden war. Seit seiner Rückkehr kursierten viele Gehirnwitze, über die zuweilen auch Rabkob lachen musste.

Die Schaltmeisterin war derzeit ausnahmsweise nicht virtuell tief in den Grid eingetaucht, das planetenumspannende Daten- und Positroniknetzwerk von Rumal, sondern befand sich in ihrem Privatbereich im Plexus, wo sie die Nachrichten im Mesh verfolgte. Das Plexusgebäude war eine stark segmentierte Dreiviertelkugel mit vielen verspiegelten Glassitscheiben. Sie hatte die Scheiben ihres Amtsbüros verdunkelt, um sich besser auf die Informationsholos konzentrieren zu können. Drei Keramikkoalabären auf dem hoch technisierten Schreibtisch gehörten zu ihrem karg eingerichteten Arbeitszimmerinventar. In einer Vitrine zu ihrer Linken standen Atlanten von der Erde aus verschiedenen Jahrhunderten. Ansonsten hatte sie auf private Dekoration verzichtet. Nichts sollte sie von ihrer Arbeit ablenken.

Rabkob genoss die gegenwärtige Ruhe in ihrem privatsphäregeschützten Refugium und gönnte sich in ihrer Mittagspause Frianuss-Pudding mit terranischen Erdbeeren. Interessiert vergrößerte sie ein anderes Holo mit einer Liveaufnahme von Rhodan, das zeigte, wie er in einer eng anliegenden Kombination neben seiner Frau stand, der Arkonidin Thora Rhodan da Zoltral, und winkte. Obwohl er lächelte, sah er etwas blass aus.

Die Aufnahme stammte vom Habitatdeck drei der SOL, wie eine Texteinblendung verriet. Im Hintergrund schimmerte ein Gewässer, hoch aufragende, prächtig grünende Pappeln, Kastanienbäume, Rosenbüsche und andere Pflanzen schufen ein Idyll, das einem europäischen Parkareal nachempfunden war.

Meysenhart schilderte den Zuschauern währenddessen Rhodans Rolle im Zusammenhang mit der Befreiung von Leticron, dem ehemaligen Besatzer aller von Menschen besiedelten Welten der Lokalen Blase. Rhodan war kurz vor seinem Koma zu Verhandlungen in die Marsfestung des Gon-Mekara-Anführers eingeladen worden. Danach war der Erste Hetran mit seiner gesamten Flotte nach M 13 zurückgekehrt, in das dortige arkonidische Imperium.

Diese Fakten kannte Rabkob längst. Im Augenblick faszinierte sie mehr, mit welchem technischen Aufwand die SOL als lebenswertes Generationenraumfahrzeug ausgestaltet worden war. In einem separaten Datenholo las sie gezielt einige Informationen über das riesige Hantelschiff nach. Es gab auf den fünf Habitatebenen insgesamt hundert Wohntürme mit je zwanzig Etagen, die jeweils bis zur Decke reichten und mühelos Platz für mindestens zehntausend Personen boten. Dazu kamen Bildungsstätten, Geschäftsareale, Freizeitstätten, Steuerzentralen sowie andere wichtige Infrastrukturanlagen, die teils in die Hügel und sonstigen Geländeelemente der künstlichen Landschaften integriert waren. Auf jedem Habitatdeck täuschten Holoprojektionen den Eindruck vor, sich auf der endlosen Oberfläche unter dem Himmel eines Planeten zu befinden.

Rabkob hätte sich gut vorstellen können, auf Deck fünf zu leben, das dem Mars nachempfunden war. An den Anblick einer rötlichen Sand- und Felswüste hätte sie sich zwar erst gewöhnen müssen. Aber es wäre für sie weniger exotisch gewesen als die Umgebung, in der Perry Rhodan derzeit stand und auf den Beginn der Journalistenbefragung wartete.

»Verehrte Zeitzeugen«, kündigte Meysenhart soeben an. »Ich schalte nun zu Sam Breiskoll, dem Chefmediker der SOL. Was können Sie uns über das Befinden von Mister Rhodan sagen, Doktor Breiskoll?«

Das Bild eines dunkelhäutigen, sportlichen Manns in Arztkleidung erschien im Hauptholo an Meysenharts Seite. Rabkob schätzte, dass der Mediziner nicht viel älter als sie selbst war.

»Es geht ihm den Umständen entsprechend gut«, antwortete Breiskoll. »Es laufen noch ein paar Untersuchungen, aber wie es aussieht, ist Mister Rhodan wieder ganz der Alte.«

Die Holokamera in der Medostation der SOL schwenkte nach links auf eine Patientenliege. »In dieser Komaliege verbrachte Perry Rhodan die vergangenen Monate«, hörte Rabkob den Nachrichtensprecher. »Seine Frau Thora Rhodan da Zoltral soll in dieser Zeit keinen Zentimeter von ihrem Mann gewichen sein.«

»Da muss ich etwas richtigstellen«, unterbrach der Arzt den Reporter und trat erneut ins Bild. »Miss Rhodan da Zoltral war jeden Tag hier, aber sie ist als pflichtbewusste Beraterin der Schiffsführung der SOL selbstverständlich auch ihren Aufgaben gewissenhaft nachgegangen.«

Meysenhart grinste. »Mister Rhodan soll ebenfalls schon wenige Stunden nach seinem Wiedererwachen die Krankenstation verlassen haben, um sich mit den aktuellen Themen der Galaxis zu beschäftigen. Wie ist das medizinisch möglich, Doktor Breiskoll?«

»Mister Rhodan hat mir die Erlaubnis gegeben, Ihnen davon zu berichten. Wir haben seinen Körper während der zurückliegenden mehr als neun Monate mit modernster Medikation versorgt, um Muskeln und Organe vital und gesund zu halten. In seine Blutbahnen injizierte Schwärme medizinischer Nanoroboter reparierten und versorgten das Organgewebe auf zellulärer Ebene. Das komplette Zentralnervensystem wurde von einer speziellen Medopositronik überwacht, die alle wegen des fehlenden Gehirns nicht mehr vorhandenen vegetativen Steuerimpulse durch Nanostimulation ersetzt hat. Darüber hinaus wurde er jeden Tag physiotherapeutisch behandelt, damit der Bewegungsapparat funktionsfähig blieb. Morgens waren es elektrische Impulse, die sowohl die Muskulatur als auch das Nervensystem stimuliert haben. Medoroboter platzierten die Elektroden exakt an den richtigen Positionen. So wurden die Reizleiter und Muskeln aller Gliedmaßen und sonstigen Teile der Körpermotorik bestmöglich angeregt, ganz als habe Mister Rhodan die Bewegung selbst gesteuert. Am späten Vormittag erhielt er dann eine jeweils einstündige passive Mobilisation durch zwei Physiotherapeuten. Alle Gelenke wurden von Menschenhand durchbewegt. Die Berührung durch ein Lebewesen, das selbst Wärme abgibt und auf feinste Bewegungsimpulse intuitiv reagieren kann, ist ein trotz aller Medizintechnik unserer Epoche nicht zu unterschätzendes Heilmittel. Als Drittes erfolgte eine Basale Stimulation durch einen Ergotherapeuten mittels Hypervibration und tiefensensorischer Massageapparaturen.«

Breiskoll lächelte stolz. »Nach Mister Rhodans erfreulichem Erwachen aus dem Koma erfolgte im Rahmen der Hyperkinästhetik eine sofortige Pflegebehandlung. Eine Logopädin überprüfte beispielsweise seine Schluckfunktion. Auch diese war fehlerfrei aktiv. Detaillierte Gehirnscans zeigten, dass es zu keinerlei Schädigung des Zentralnervensystems gekommen ist.«

»Vielen Dank, Doktor Breiskoll. Diese Neuigkeiten erfreuen unsere Zeitzeugen sicher«, sagte der Reporter. »Schalten wir zurück zu meinen Kollegen, die direkt im primären Habitatareal der SOL bei Mister Rhodan sind.«

Die holografisch eingeblendete Medostation mitsamt dem Chefmediziner verschwand. Stattdessen rückte eine lebensgroße Aufnahme von Perry Rhodan und seiner Frau Thora Rhodan da Zoltral in den Vordergrund des Hauptholos. Zwischen den beiden entdeckte Rabkob den Mausbiber Gucky. Wahrscheinlich war der Ilt anwesend, um Rhodan bei einer Verschlechterung seines Zustands mithilfe seiner Paragabe sofort ins Krankenrevier teleportieren zu können.

Ein Nebenholo zeigte aus einem anderen Aufnahmewinkel, dass ein Pulk von Reportern und Schaulustigen bei den drei Berühmtheiten stand. Alle schienen ungeduldig darauf zu harren, dass die Befragung des Gesundeten endlich losgehen durfte. In der Liveübertragung entwickelte sich plötzlich Unruhe bei den Journalisten. Rabkob vermutete, dass sie soeben das Freigabesignal erhalten hatten, um mit ihrer Befragung zu beginnen. Sie war überrascht, wie gesittet die Journalisten darauf gewartet hatten. Sonst kannte die Schaltmeisterin Termine dieser Art eher anders. Sie hatte es leider oft mit aufdringlichen Medienbeauftragten zu tun, die sie mit zuweilen unangebrachten Fragen bedrängten. Bei dem berühmtesten Terraner der Gegenwart machten aber offenbar sogar Journalisten eine Ausnahme und zeigten gutes Benehmen.

»Mister Rhodan, wie geht es Ihnen?«, erkundigte sich eine blonde Reporterin. Sie hatte arkonidische Züge.

»Vorweg möchte ich mich bei Ihnen allen herzlich für Ihr Kommen bedanken«, antwortete Rhodan. »Es geht mir gut. Drei Tage sind allerdings keine lange Zeit, um sich umfassend zu informieren, was sich alles in neun Monaten getan hat. Daher bitte ich Sie noch um etwas Geduld, falls Sie Fragen in dieser Richtung vorbereitet haben. Ich genieße momentan jeden Augenblick an der Seite meiner Frau und meiner anderen Vertrauten. Und ich bin bemüht, die wichtigsten Geschehnisse der jüngeren Vergangenheit möglichst rasch aufzuarbeiten.«

»Was ist Ihnen widerfahren?«, fragte ein Reporter mit grau melierten Haaren. »Können Sie uns etwas über die Gründe für die Entführung Ihres Gehirns sagen?«

»Die Untersuchungen laufen noch, daher kann ich Ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt leider keine Auskunft geben. Aber seien Sie unbesorgt. Ich habe keinerlei Schaden davongetragen.«

Tholia Rabkob studierte die feinen Züge des Manns. Besonders eindrucksvoll war der Blick von Rhodans graublauen Augen. Auf natürliche Weise war er unverkennbar das, was jeder Anführer sein wollte: eine charismatische Autoritätsperson. Er erinnerte sie ein wenig an ihren Vater, Krumar Rabkob. Er war vor ihr der Schaltmeister von Rumal gewesen, bis sie ihm vor einigen Jahren in dieses Amt nachgefolgt war. Seither mühte sie sich, den hohen Anforderungen an eine Obfrau dieser terranischen Kolonialwelt jederzeit gerecht zu werden. Es war eine oftmals einsame Pflicht.

Deshalb war sie froh, einen verlässlichen Wassermeister an ihrer Seite zu wissen. Lomar Catha war eine gute Wahl gewesen. Er war etwas älter als Rabkob und ein erfahrener Mann auf seinem Gebiet. Schon lange pflegten sie ein freundschaftliches Verhältnis, das perfekt mit ihrem Arbeitsleben harmonierte. Streit hatte es zwischen ihnen nie gegeben, höchstens produktive Diskussionen über Arbeitsabläufe.

Prompt meldete ihr Kommunikationsimplantat eine Kontaktanfrage von Catha. Sie bestätigte, und während sich vor ihr ein Hologramm aufbaute, drosselte sie die Lautstärke der im Hintergrund weiterhin aktiven Nachrichtenübertragung.

»Verzeih, Schaltmeisterin, aber wir haben ein Problem«, kam der Wassermeister sofort zur Sache.

»Welcher Art?«

»Ein Mann irrt unbekleidet durch das Stadtzentrum und schmeißt herumliegende Gegenstände gegen die Glassitscheiben der Geschäfte.«

»Sollte sich nicht die Polizei darum kümmern?«

»Es ist dein Onkel, Tholia. Nihar Rabkob.«

Sie seufzte. Der Geisteszustand ihres Onkels war schon seit geraumer Zeit auffällig gewesen. Dass er sich selbst und andere gefährdete, war allerdings neu. Bislang hatte er lediglich ab und zu Gegenstände verlegt, nicht mehr wiedergefunden und dann seine Frau des Diebstahls bezichtigt. Nun aber konnte Rabkob sein Verhalten nicht länger dulden. Zudem erwartete sie in wenigen Stunden einen wichtigen Besuch. Zwischenfälle dieser Art würden ein schlechtes Licht auf die Kolonie werfen.

»Ich kümmere mich darum. Danke, Lomar.« Rabkob warf einen letzten Blick auf Rhodans Gesicht und fragte sich, wie er wohl in einem solchen Fall vorgehen würde.

3.

Akonsystem

Terra

5. September 2108

»NATHAN ist verrückt geworden«, stellte Sheela Rogard missgelaunt fest. Sie saß in ihrem Büro in der Union Hall in Terrania und sichtete die aktuellen Nachrichten. Ihr Arbeitsplatz lag in einem der mittleren Stockwerke des schneckenhausartig gebauten Gebäudes. »Er kann nicht ohne unsere Erlaubnis die Erde und den Mond ins Solsystem zurücktransferieren.«

»Das wird er aber, wenn wir nicht etwas dagegen unternehmen«, meinte ihr Berater Amaru Quispe, der vor ihrem Schreibtisch stand.

»Die lunare Hyperinpotronik behauptet doch, ein Freund der Menschen zu sein, dann muss sie uns auch zuhören«, sagte sie. »Wir brauchen einen starken Vertreter, der NATHAN die Interessen der Menschen vermittelt. Es wird Zeit, dass wir unser politisches System neu überdenken. Wir müssen es vielleicht grundlegend verändern.«

Rogard fuhr sich durch das blonde Haar. Die türkise Strähne darin war ein Zeichen für ihre politische Zugehörigkeit. Es war die Farbe der Partei, die sie 2088 mit nur neunzehn Jahren in Terrania gegründet hatte: die Kosmopoliten.

»Sie waren schon immer eine Visionärin«, meinte Quispe enthusiastisch. Seine Mimik verriet das Temperament der Ureinwohner von Peru. Deswegen hatte Rogard ihn als persönlichen Berater eingestellt. Sie liebte Menschen, die Feuer bewiesen, wenn es darauf ankam.

»Das hat auch Shalmon Kirte Dabrifa in mir gesehen, der Präsident der Solaren Union, als er mich 2097 in sein Team geholt hat.« Rogard stand auf und ging zu einem Fenster, das ihr freien Blick auf einen der hängenden Gärten des Gebäudes bot. Dahinter waren Teile des Government Garden zu sehen, des Regierungsviertels von Terrania. »Aber was helfen mir meine ganzen Abschlüsse in Politikwissenschaft, Xenopsychologie und Geschichte, wenn NATHAN ohne Rücksprache agiert? Er unterliegt nicht der terranischen Rechtsprechung.«

»Sie sollten mit Stella Michelsen reden«, schlug Quispe vor. »Als amtierende TU-Administratorin müsste sie am besten in der Lage sein, die Interessen der Menschen zu vertreten.«

»Michelsen befindet sich im Solsystem, vierunddreißigtausend Lichtjahre entfernt, und hat keine Ahnung, was die Menschen auf der Erde mittlerweile wollen. Sie ist so lange nicht mehr hier gewesen, dass sie den Bezug zu uns verloren hat. Nein. Wir brauchen jemanden, der vor Ort an der Spitze steht und für unsere Sache einsteht.«

»Woran denken Sie, Miss Rogard?«

»An einen neuen Posten.« Sie legte eine Fingerspitze an ihr Kinn. »Nennen wir ihn doch den Ersten Terraner oder die Erste Terranerin. Die Person soll als oberste Instanz für die gesamte Erde einstehen.«

»Das wird den Chinesen nicht gefallen«, gab ihr Berater zu bedenken.

»Darüber denke ich anders, Mister Quispe. Ich bin mir sicher, dass es den Chinesen genauso wenig wie uns gefällt, was NATHAN vorhat. Die Handelsbeziehungen zu den Akonen blühen. Besser als in den Zeiten der ersten Kolonien. Der Chinesische Block wäre einfältig, wenn er das aufs Spiel setzen würde.« Sie sah ihn ernst an. »Außerdem, wie will NATHAN uns in Zukunft vor fremden Einflüssen schützen? Hier im Akonsystem sind wir sicher. Der Blaue Schirm ist undurchdringlich.«

»Sie müssten Ihr Ansuchen dem Unionsrat vortragen.«

»Keine Sorge, das werde ich.«

Quispe schmunzelte. »Sie waren schon immer sehr ehrgeizig, Miss Rogard. Vielleicht sollten Sie sich für den vorgeschlagenen Posten sogar gleich selbst ins Spiel bringen.«

»Zuerst muss ich meine Idee der Vollversammlung der Terranischen Union vorschlagen. Dann wird entschieden, welcher Kandidat der geeignetste ist.«

»Weise Worte, Miss Rogard.«

Sie kehrte zu ihrem Schreibtisch zurück. »Waren Sie schon mal in Grönland, Mister Quispe?«

»In Ihrem Geburtsland? Nein, bisher nicht.«

»Meine Vorfahren, die Inuit, glaubten an den Mythos von Kaassassuk. Eventuell haben Sie schon mal von ihm gehört?« Sie sah ihn fragend an.

Quispe schüttelte den Kopf.

»Kaassassuk steht symbolisch für physische und psychische Stärke und den Willen zur Selbstbestimmung«, erläuterte sie. »Er war eine Waise, die von seinen Landsleuten verhöhnt und misshandelt wurde. Eines Tages überwand er seine Ängste und ging zu dem Geistwesen Pissaap Inua, das ihn anfangs kaum besser behandelte, dem Jungen aber am Ende übermenschliche Kräfte verlieh. Kaassassuk musste seine neu gewonnene Stärke zuerst geheim halten, später brachte sie ihm den Respekt seiner Gemeinschaft ein. Mehr noch, sie begannen ihn zu fürchten. Zu Recht. Er nahm Rache an seinem ganzen Dorf und verschonte nur die alte Frau, bei der er eine Weile gelebt hatte. Danach fuhr er mit einem Kajak die Küste entlang und forderte jeden Mann, der ihm begegnete, zu einem Wettkampf heraus. Er besiegte alle bis auf einen: den unscheinbaren Usussaarmiarsunnguaq. Nach seiner Niederlage gab sich Kaassassuk geschlagen und forderte niemanden mehr heraus, weil er einen Gegner gefunden hatte, der mächtiger war als er selbst.«

Rogard lehnte sich in ihrem mit Akonleder bezogenen Schreibtischsessel zurück. »Was ich Ihnen damit sagen will: Ich gebe erst auf, wenn ich einen Gegner treffe, der mich schlagen kann. Bis dahin werde ich meine Überzeugungen mit aller Macht verteidigen.«

Drorah

27. September 2108

»Mutter, ich will nicht auf die Erde zurück. Alle meine Freunde sind auf Drorah. Nächste Woche muss ich eine große Prüfung ablegen. Du kannst mich nicht mitten im Semester aus der Schule nehmen.« Isabella blickte ihre Mutter mit der trotzigen Miene eines vierzehnjährigen Teenagers an. Sie hatte sich die braunen Haare rot gefärbt und nach akonischer Mode zu vier langen Zöpfen geflochten und hochgesteckt.

Auf ihrer hellblauen Schuluniform prangte das Abzeichen eines akonischen Delfins. Das Tier hatte drei Rückenflossen und Schwimmhäute zwischen den fingerähnlichen Ausläufern an den Seitenflossen. Zudem waren die akonischen Delfine doppelt so groß und schwer wie ihre irdischen Pendants.

Isabella mochte beide Arten. Sie hatte unlängst sogar ein Vergleichsreferat darüber gehalten und auf die vielen Ähnlichkeiten zwischen den Delfingattungen von Drorah und Terra hingewiesen. Eines Tages wollte sie Meeresbiologin werden. Auf Drorah, nicht auf der Erde. Weshalb wollte ihre Mutter das nicht verstehen?

»Wir müssen uns aber entscheiden, ob wir zurück nach Deutschland gehen oder hierbleiben. Dein Vater und ich, wir haben uns das gründlich überlegt. Er hat keine Familie mehr auf Drorah. Aber wir haben Verwandte auf der Erde.«

»Arkyin ist nicht mein Vater«, entgegnete Isabella und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Seit ich ihn vor drei Jahren geheiratet habe, ist er es sehr wohl«, erinnerte ihre Mutter sie.

Sie kleidete sich noch immer wie eine Frau von der Erde und kochte vorwiegend Rezepte aus der deutschen Küche. Dagegen hatte Isabella prinzipiell nichts. Sie mochte das Essen auf Drorah, aber ab und zu ein Steak von der Erde war etwas, das sie nicht verschmähte. Trotzdem empfand sie Drorah als ihre Heimat, nicht die Erde. Ihre Mutter schien aus ganz anderen Gründen zu ihren Wurzeln zurückkehren zu wollen. Vielleicht verspürte sie so etwas wie Heimweh, wenn sie an Deutschland dachte.

»Außerdem ist Arkyin der Vater deines Halbbruders.« Mutter deutete auf den Jungen, der im Wohnzimmer mit einem Antigravgleiter und der Actionfigur eines Naats spielte.

Das kupferfarbene Haar verriet seine akonische Abstammung. Er drückte einen Knopf, und der Gleiter öffnete seine Bodenplatte. Eine Miniaturausgabe von Perry Rhodan in blaugrauer Kombination rutschte aus dem Spielzeug. Der Junge hob ihn hoch und machte Geräusche, als würde er mit einem Handstrahler schießen. Er war völlig in seiner Phantasiewelt versunken.

»Wegen Naarif sollten wir erst recht hierbleiben«, protestierte Isabella. »Er sieht mehr wie ein Akone aus als wie ein Mensch. Sie werden ihn ausstoßen. Menschenkinder sind anders als akonische. Mich haben die Akonen mit offenen Armen aufgenommen, obwohl ich das anfangs gar nicht wollte.« Isabella berührte zuerst ihre Brust, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, dann deutete sie auf Naarif. »Ihn werden sie wegen seiner Abstammung immer hänseln.«

»Ich dachte, die Jugend von heute sei über solche Dinge längst erhaben? NATHAN plant jedenfalls eine baldige Rückführung von Erde und Mond ins Solsystem. Deshalb müssen wir uns entscheiden, bevor es zu spät ist.« Ihre Mutter nahm sie an der Hand und setzte sich mit ihr auf die Wohnzimmercouch. »Sieh doch, Schatz. Es hat auch Vorteile für dich. Deine Cousinen sind auf der Erde. Du hast dich immer gut mit ihnen verstanden. Es waren doch nur fünf Jahre auf Drorah.«

»Aber meine ganzen Freunde sind Akonen. Ich will nicht zurück auf die Erde!« Isabella sah sie verzweifelt an. Tränen bildeten sich in ihren Augenwinkeln. »Ich will Meeresbiologin werden.«

»Das kannst du auch auf der Erde.«

»Dort gibt es aber keine akonischen Delfine. Und was, wenn ich in zehn Jahren hierher zurückwill? Dann wäre ich ganz weit von dir weg.« Isabella schluchzte. Ihre Mutter nahm sie in den Arm, und Isabella legte den Kopf auf Mutters Brust. »Es ist nicht gerecht, dass irgendjemand darüber entscheidet, was mit uns geschieht. Sieht NATHAN denn nicht, dass er damit erneut Leben zerstört?« Isabella sah hoch, wischte sich Tränen von den Wangen. »Hat er nicht aus seinem Fehler gelernt? Muss er ihn wiederholen?«

»Anscheinend ist auch eine Künstliche Intelligenz nicht davor gefeit, einen Irrtum zu begehen.« Ihre Mutter gab Isabella einen Kuss auf die Stirn.

Arkyin betrat das Wohnzimmer. In seine gütigen Augen hatte sich Isabellas Mutter einst verliebt, als sie beim Wiederaufbau des Blauen Schirms als Techniker zusammengearbeitet hatten. Isabella kannte die schwärmerische Geschichte darüber auswendig. Sie musterte ihn nachdenklich. Die bevorstehende Abreise war sicher auch für ihn schwierig. Akonen waren es gewohnt, ihr ganzes Leben geschützt unter einem Schirm zu leben, der ihr System vor Fremdeinflüssen bewahrte. Nun sollte er seine Heimat verlassen und in vielleicht nur wenigen Wochen in einem für ihn völlig fremden, weit entfernten Sonnensystem leben.

»Ich habe Angst, Mutter.« Isabella schmiegte sich erneut an ihre Brust. »Ich habe Angst, dass eure Entscheidung falsch ist und ein Rücktransfer von Erde und Mond erneut zu Problemen führt. Wer kann schon sicher sagen, dass wir am Ende an der richtigen Stelle rematerialisieren? Ich habe in der Schule davon gehört, dass zweieinhalbtausend Raumschiffe der Terranischen Flotte nie im Akonsystem angekommen sind. Sie gelten seit sechs Jahren als verschollen. Was ist, wenn wir das gleiche Schicksal erleiden?«

»Du musst NATHAN vertrauen. Er ist nicht irgendeine Positronik. Er ist NATHAN.« Ihre Mutter nahm Isabellas Gesicht in die Hände und lächelte zuversichtlich.

Isabella sah trotzdem, dass ihre Mutter die gleichen Ängste wie sie verspürte und das mit einem Lächeln überspielte. Für Isabella lag klar auf der Hand, dass es sicherer wäre, auf Drorah zu bleiben.

»Könnt ihr es euch nicht noch mal überlegen?«, bettelte sie.

4.

Das Ding

6. Oktober 2108

»Ich habe das Ding entdeckt, also habe ich auch das Sagen!« Selbstsicher stemmte Jacky die Hände in die Hüften und sah die sieben anderen Jungs an.

Bis auf Billy waren alle zurückgekommen. Sie hatten Jacky aus der trichterförmigen Mulde gezogen und wie einem Helden den Staub aus der Kleidung geklopft. Statt Tüchern trugen zwei aus der Gruppe selbst gefertigte Masken, die den feinkörnigen Sand abhalten sollten. Joshua, der bisherige Anführer ihrer kleinen Bande, war einer der beiden.

»Du bist wirklich kein Feigling«, hatte Joshua zugegeben. Der Dreizehnjährige nahm zähneknirschend hin, dass er nun auf Jacky hören musste.

»Hast du es berührt, Jacky?«, fragte ihn der achtjährige Mike. »Das wäre richtig nussig gewesen«, schwärmte er im Jugendjargon von Rumal.

»Nein, ich bin nicht dazu gekommen. Es scheint noch immer zu wachsen. Ich wollte es nicht kaputt machen.« Jacky hatte tatsächlich Sorge, dass das sonderbare Objekt bei der geringsten Berührung platzen könnte. »Wir müssen es unbedingt vor den Jungs aus der indischen Siedlung geheim halten. Ihr wisst genau, dass ihr Gebiet an unseres grenzt und sie genauso auf die Warnungen ihrer Eltern über die verbotene Zone pfeifen. Sie werden uns das Ding streitig machen, wenn sie es sehen. Aber ich habe es gefunden. Somit gehört der Fund uns!«

»Du hörst dich schon an wie unsere Vorfahren aus Amerika«, murmelte Ken vorwurfsvoll. Er sah von allen Jungs am wenigsten wie ein Rumaler aus. Wahrscheinlich weil seine Eltern erst vor ein paar Jahren von Terra hierhergezogen waren, während Jacky und die anderen Kinder Nachfahren der ersten Kolonistengeneration waren.

»Wir sollten unseren Vätern davon erzählen«, schlug Mike mit ängstlichem Blick vor.

»Besser nicht«, lehnte Jacky ab. »Die glauben uns erstens nicht, und zweitens bekommen wir nur Ärger, wenn sie erfahren, dass wir trotz ihrer Verbote in dieser Gegend gespielt haben.«

»Es stimmt«, pflichtete Ken ihm bei. »Meine Eltern warnen mich immer davor, diesen Teil der Wüste zu betreten. Wenn ich sie aber nach einem Grund frage, drucksen sie nur herum. Vielleicht wussten sie, dass etwas in der Wüste versteckt ist, und wollten bloß nicht, dass wir es finden.«

»Mein Vater hat mir erst vor Kurzem im Vertrauen erzählt, dass es in dieser Gegend einen Zeitbrunnen geben soll«, sagte Joshua. »Aber dieses Ding sieht nicht wie ein Zeitbrunnen aus.«

Jacky trat an den Kraterrand und blickte hinab. »Es ist wieder gewachsen.«

»Findest du das nicht unheimlich, Jacky?«, fragte Joshua.

»Nein. Offenbar bist du der Hosenscheißer.«

Die anderen Jungs lachten. Joshua lief unter seiner Mund-Nase-Maske rot an.

»Wir beobachten das Ding erst mal«, beschloss Jacky.

»Wie sollen wir es nennen?«, fragte Ken.

»Es sieht aus wie eine Blase auf meinem Fuß«, merkte Mike an, der neben Jacky in die Tiefe blickte.

»Dann nennen wir es eben die Blase«,

5.

Die Delegation

6. Oktober 2108

Tholia Rabkob blickte von der Panoramagalerie im oberen Bereich des Plexus durch die Glassitscheibe auf den Arklis. Er war der höchste Berg von Rumal, erhob sich aber gerade mal fünfhundert Meter aus dem bläulich weiß glitzernden Wüstenboden. Auf seinem Plateau befand sich die größte Ansammlung natürlich gewachsener Friabäume, die es auf Rumal gab. Zur Reifezeit der Nüsse mieden die meisten Rumaler den Berg. Sie suchten seine Nähe nur auf, wenn sie einem Begräbnis auf dem Friedhof am Fuß des Tafelbergs beiwohnen mussten. Denn der Gestank der Frianüsse war legendär. Ihr hoher Nährwertgehalt allerdings ebenso.

Rabkob hatte ihren verwirrten Onkel in medizinische Betreuung übergeben. Danach war sie in den Plexus zurückgekehrt, um Kraft für ihre nächste Aufgabe zu sammeln.

»Schaltmeisterin, ich störe nur ungern, aber unsere Gäste sind eingetroffen.« Wassermeister Lomar Catha stand hinter ihr am Eingang des Aussichtsareals, der diesen Teil des Plexus als Innenrundgang entlang der Glassitfassade umlief, und wartete.

»Danke, Lomar.« Rabkob ging zu ihm. »Wo befindet sich die Delegation gerade?«

»Drunten in der Eingangshalle, vor dem Denkmal von Vega bint Ahmed Mansour.«

»Sie sind früher da als erwartet. Wann sind sie gekommen?«

»Augenzeugen zufolge sind sie in den frühen Morgenstunden gelandet und waren seither bereits in der Stadt unterwegs.«

»Ohne mich davon in Kenntnis zu setzen?«, wunderte sich die Obfrau.

Catha zuckte mit den Schultern. »Es ist nicht verboten, die Stadt zu besichtigen.«

Gemeinsam verließen sie die Panoramagalerie und betraten einen Lift, der sie nach unten führte.

Die rothaarigen, hager gebauten Mehandor standen wie angekündigt vor dem steinernen Monument. Es glitzerte bläulich weiß wie die Wüste. Rabkobs Vater hatte der vor neunzehn Jahren ums Leben gekommenen Wassermeisterin an diesem Ort eine besondere Ehre erwiesen. Eine Handlangerin des Plophosers Iratio Hondro hatte die angesehene Frau brutal ermordet, um anschließend durch eine manipulierte Wahl an ihren Posten zu gelangen – als Teil von Hondros Plan, sich zum Herrscher der Menschheit aufzuschwingen. Auch ihren Vater Krumar Rabkob hätte die Mörderin fast getötet.

Tholia Rabkob erinnerte sich noch gut daran, wie Krumar ihr nach der überstandenen Krise alles erzählt hatte. An jenem Tag war ihr endgültig klar geworden, dass sie in seine Fußstapfen treten wollte. Rumal zu beschützen, empfand sie als ihre Berufung. Deshalb war sie ihrem Vater dankbar, dass er sie zur Wassermeisterin ausgebildet hatte. In diesen Jahren hatte sie viel über Rumal und den Materiegürtel gelernt. Nach seinem Eintritt in den Ruhestand war sie tatsächlich zur neuen Schaltmeisterin aufgestiegen und erfüllte ihre Pflichten seither mit Stolz und Hingabe.

»Willkommen auf Rumal, verehrte Delegation«, sagte sie laut, um auf sich aufmerksam zu machen.

Sechs Männer und eine Frau wandten sich ihr zu. Die stechend hellen Augen der Frau fielen sofort auf. Rabkob mutmaßte, dass dies die Matriarchin der Sippe sein mochte. Die meisten Mehandorsippen wurden von einer Frau angeführt.

Ob sich die galaktischen Händler über die warmherzige Begrüßung freuten, konnte Rabkob nicht erkennen. Denn da die Atmosphäre auf Rumal erheblich weniger Sauerstoff enthielt als auf anderen von Liduuri-Abkömmlingen bewohnten Planeten, waren Besucher meist auf Atemmasken angewiesen. Nur die genetisch an die Umweltbedingungen dieser Kolonialwelt angepassten Rumaler kamen ohne dieses Hilfsmittel aus. Die Nasen- und Mundpartien ihrer Gäste hingegen waren mit Beatmungsmasken bedeckt, was einen Großteil ihrer Mimik verbarg. Rabkob konzentrierte sich deshalb umso mehr darauf, die Stimmung der Mehandor von Augen- und Stirnpartie abzulesen.

Ein Mann trat vor. Er war groß, selbst für jemanden seines Volkes, und erheblich breitschultriger als die anderen. »Wir danken für Ihren Empfang, Schaltmeisterin Rabkob. Mein Name ist Dazar.«

Rabkob fragte sich, ob dies der Schatten der Sippe war oder doch womöglich das Sippenoberhaupt, so selbstbewusst, wie der Mann auftrat. Jedem Mehandorführer stand für gewöhnlich ein Berater zur Seite, der befugt war, Entscheidungen des Sippenchefs infrage zu stellen. Dieser wurde allgemein als Schatten bezeichnet. Rabkob musste ihm auf jeden Fall mit gebührendem Respekt begegnen.

»Es freut mich sehr, Sie alle auf Rumal begrüßen zu dürfen«, bekräftigte sie daher noch einmal. »Ich habe gehört, Sie haben sich schon in der Stadt umgesehen.«

»Die Männer waren hungrig und brauchten dringend Auslauf«, erläuterte Dazar. »Wir wollten Sie damit nicht beleidigen. Natürlich freuen wir uns sehr, dass Sie uns Ihre Zeit schenken und uns die wichtigsten Objekte auf Rumal zeigen.«

»Nun, es steht jedem Besucher frei, die Stadt zu betreten«, sagte Rabkob. »Bevor wir aber mit unserer Besichtigungstour beginnen, lade ich Sie ein, von unseren traditionellen Speisen zu kosten.«

Sie deutete auf ein kleines Büfett, das im hinteren Bereich der Halle angerichtet war. Vorsorglich hatte sie es schon gleich am Morgen für den Besuch aufbauen lassen. Sie führte die Delegation zu den gekühlten Imbissplatten, auf denen die rumalische Kost frisch gehalten wurde.

»Dies sind unsere berühmten Frianüsse. Sie sind sehr nahrhaft, wenngleich ihr Geschmack und Geruch etwas gewöhnungsbedürftig ist. Unsere besten Köche haben sie mit einer synthetischen Zuckerglasur überzogen, um sie schmackhafter zu machen.« Sie zeigte auf einen Berg aus mandelähnlichen Nüssen, über dem sich eine luftdichte Glasglocke wölbte. »Für weniger experimentierfreudige Genießer empfehle ich unsere Frianusskekse. Sie sind geschmacksneutral, aber ebenso nahrhaft. Ich kann Ihnen auch ein Kaffeesurrogat aus gerösteten Frianüssen anbieten.«

Dazar winkte ab. »Vielen Dank für das Angebot, aber wir würden lieber gleich mit der Besichtigung beginnen.«

»Natürlich. Das Büfett läuft uns nicht davon. Sie können es auch später noch genießen. Folgen Sie mir bitte.«

Rabkob verließ das Gebäude und führte die Gruppe zu einem Gleiter, den sie für den bevorstehenden Rundflug bestellt hatte. Es war ein größeres Modell, das bis zu zehn Personen transportieren konnte. Catha folgte ihnen bis zu dem Schwebefahrzeug.

»Uns wird ein Personenschützer begleiten«, kündigte die Schaltmeisterin an.

»Wohl eher ein Wachhund«, murmelte die Mehandorfrau und warf dem jungen Rumaler einen abschätzigen Blick zu, der in diesem Moment aus dem Gleiter stieg.

Der Sicherheitsmann reagierte nicht darauf, sondern nickte zur Begrüßung nur stumm. Rabkob war ihm dankbar dafür. Sie wollte ihre Gäste nicht verärgern.

»Bitte steigen Sie ein.« Rabkob ließ den Mehandor den Vortritt. Sie wandte sich an ihren Wassermeister. »Lomar, du bleibst wie vereinbart in der Stadt, während ich Rumalor mit unseren Gästen verlasse.«

»Viel Erfolg, Schaltmeisterin.« Der dunkelhäutige Mann afrikanischer Abstammung lächelte sie mit strahlend weißen Zähnen an. Falten bildeten sich in seinem Gesicht.

Rabkob berührte zum Abschied freundschaftlich Cathas Schulter und folgte den Mehandor an Bord des Gleiters.

»Rundumsicht aktivieren!«, befahl sie der Fahrzeugpositronik und setzte sich auf den verbliebenen freien Platz in der ersten Reihe der geräumigen Passagierkabine. Die Glassitscheiben des Gleiters wurden ab Bauchnabelhöhe transparent und gaben den Blick auf die Umgebung frei. Rabkob nannte der Positronik die Koordinaten ihres Ziels und schaltete den Autopiloten ein. Zügig verließen sie die Hauptstadt der Kolonie und schwebten in geringer Höhe über die Wüste hinweg.

»Unser erstes Ziel ist eine Wasseraufbereitungsanlage gut zwanzig Kilometer von Rumalor entfernt. Wir werden die unterplanetare Anlage besuchen, damit Sie sich ein Bild von unseren Wasserspeichern machen können. Die Wassergewinnung gehört neben der exportwirtschaftlich bedeutsamen Förderung von Rumalin und Geminga-Drusen zu unseren wichtigsten Infrastrukturindustrien. Dazu kommen die Wabenareale, wo Frianüsse künstlich gezüchtet und geerntet werden. Sie sehen, Rumal hat viel zu bieten, womit sich zu handeln lohnt.«

»Uns interessieren nur die Geminga-Drusen«, warf die Mehandorfrau ein, die schräg hinter Rabkob saß.

»Meliar, das war unhöflich«, tadelte Dazar. Er hatte ebenfalls in der vordersten Reihe Platz genommen, direkt neben der Schaltmeisterin. »Entschuldigen Sie bitte das Verhalten meiner Schwester. Im Gegensatz zu mir vergisst sie manchmal, eine Handelsreise auch zu genießen. Uns allen ist klar, weshalb wir hier sind. Aber das hindert uns nicht daran, diesen Ort besser kennenzulernen. Womöglich ergibt sich dadurch tatsächlich ein weiteres Handelsabkommen.«

Rabkob lächelte. Sie wusste noch immer nicht, ob Dazar der Anführer seiner Sippe war. Es war ungewöhnlich, dass er sich nicht korrekt bei ihr vorgestellt hatte. Die Obfrau wollte sich aber keine Blöße geben und ihn nicht offen nach seiner Funktion in der Hierarchie der Mehandor fragen. Er würde es ihr zum richtigen Zeitpunkt gewiss selbst sagen.

»Sie werden es nicht bereuen«, versprach sie. »Wenn Sie noch kurz einen Blick nach rechts werfen, sehen Sie den Arklis, den höchsten Berg von Rumal. Zugegebenermaßen ist er im Vergleich zu Bergen auf anderen Planeten winzig, aber er ist dennoch ein Symbol des Aufstiegs für uns. Die ersten Siedler haben ihre Toten am Fuß des Tafelbergs beerdigt, und dieser Tradition folgen wir bis heute. Wie Sie gut erkennen können, findet gerade ein Begräbnis auf dem Friedhof statt. Von einer Umfriedung hat man abgesehen. Die einzelnen Gräber erkennen Sie an kleinen Rechtecken aus glasiertem, weißem Sand und der dazugehörigen Eisenwurzel, auf die der Name des Bestatteten eingraviert ist.«

»Wollen Sie uns mit Ihrem Totenkult beeindrucken?«, fragte Meliar skeptisch.

»Keineswegs. Ich dachte nur, das könnte Sie interessieren.« Rabkob lächelte weiter, obwohl ihr die Mehandorfrau zunehmend unsympathisch wurde. Solange sie deren Rolle in der Gruppe aber nicht eindeutig kannte, hielt sich die Schaltmeisterin zurück. Vielleicht war Meliar die Matriarchin, vielleicht war sie aber auch Dazars Schatten.

Oder einfach nur seine eingebildete Schwester.

Eine kleine Sandböe wirbelte direkt vor dem Gleiter auf und hüllte ihn ein. Die Sicht war durch den weißen, bläulich schimmernden Staub vorübergehend versperrt, die Böe legte sich aber rasch wieder. Rabkob hatte terranischen Schnee noch nie leibhaftig gesehen, aber sie kannte Bilder davon. Und der rumalische Sand ähnelte optisch tatsächlich sehr dem Schnee in den Holovids, die auf der Erde spielten.

Kurz betrachtete sie die Myriaden von kleinen, funkelnden Lichtreflexen auf dem Boden, bevor sie in den Himmel blickte. Algol A leuchtete weiß und blendend, der kleine Begleiter Algol B war dicht daneben fast nicht zu erkennen. Etwas höher stand Algol C. Rumal umkreiste den Dreifachstern Algol, 93 Lichtjahre von der Erde entfernt, im Sternbild Perseus. Sie war stolz auf den Planeten und ihre Siedler und schwärmte gern von ihrer Heimat. Es gab keinen Ort, an dem sie lieber leben wollte.

Sie senkte den Blick wieder und deutete voraus. »Dort vorn befindet sich eine unserer Roboterfabriken, in denen rumalinhaltiges Roherz zu verwendungsfähigem reinem Rumalin veredelt wird. Wie Sie sicher wissen, bleiben diese kostbaren Hyperschwingquarze auch bei hohen Belastungen extrem frequenzstabil.«

»Was ist das?«, fragte Meliar unvermittelt und zeigte durch die Glassitscheibe auf ein schwarzes Gebilde am Boden.

Rabkob erkannte sofort, was die Mehandorfrau meinte. »Das ist die Spitze einer Eisenwurzel. Normalerweise breiten sich diese Pflanzen ausschließlich unter dem Sand aus und dringen nur selten an die Oberfläche. Sie sind wichtig für das Ökosystem dieser Welt. Rumals Fauna und Flora ist wenig artenreich. Einige Wissenschaftler vermuten, dass der Planet in ferner Vergangenheit deutlich fruchtbarer war, aber von einer kosmischen Katastrophe heimgesucht wurde. Die überlebenden Spezies zogen sich daraufhin weitgehend unter den Sand zurück. In unserem Universitätsmuseum gibt es Petrefakte von zahlreichen Insektenarten, die nicht mehr existieren. Diese Relikte sind ein starkes Indiz für diese Theorie. Wenn Sie möchten, können wir dem Museum später einen Besuch abstatten.«

»Wenn es unbedingt sein muss ...« Meliar verschränkte die Arme und sah sie missmutig an. »Und was machen diese Wurzeln?«

»Sie versorgen den Planeten mit dem für die Biosphäre lebensnotwendigen Sauerstoff. Falls dreißig Prozent davon absterben würden, wäre dies das Ende jeglichen Lebens auf Rumal.«

»Dann sollten Sie auf Ihre Wurzeln gut achtgeben«, meinte die Mehandorfrau.

»Wir leben seit Gründung dieser Kolonie in Eintracht miteinander. Schon die frühesten Siedler haben die Bedeutung der Eisenwurzeln erkannt und sie daher so gut es ging geschont.«

»Können Sie mir noch etwas über die Frianusszucht in den Wabenarealen erzählen?«, fragte Dazar dazwischen.

»Gern.« Rabkob berichtete bereitwillig alles, was sie wusste. Die Mehandor lauschten stumm ihren Worten, während sie auf eine kleine Felsformation zuflogen.

Wenig später landete der Gleiter dort vor der Wasseraufbereitungsanlage. In dem nicht mal zwanzig Meter hohen und dreißig Meter breiten Felsklotz war die Zahl Fünfzehn in großen Ziffern über einem Höhleneingang eingemeißelt.

Rabkob bat ihre Gäste, auszusteigen. »Normalerweise gibt es auf Rumal keine Gebäude, die in die Tiefe gebaut sind.«

»Warum nicht?«, fragte Meliar. Misstrauisch sah sie sich um.

»Wegen der Eisenwurzeln«, erläuterte die Schaltmeisterin. »Wir verzichten für gewöhnlich auf jegliche Unterkellerung oder subrumalische Konstruktionen, um die Eisenwurzeln nicht versehentlich bei ihrem Wachstum zu schädigen. Wir achten die Vegetation und ihre Bedürfnisse. Umgekehrt halten sich die Wurzeln von unseren Siedlungen und Außeninstallationen fern. Auf der Erde sagt man: ›Leben und leben lassen.‹ Die Schlupfe des Grid zählen zu den wenigen Bauten, die tiefer in den Boden reichen. Diese Positronikschaltstellen sind überall auf Rumal verteilt und werden vornehmlich von mir und dem Wassermeister genutzt. Interessanterweise wahren die Eisenwurzeln auch davon Abstand. Über den Grid wissen Sie Bescheid?«

»Ja«, antwortete Dazar. »Es handelt sich um ein einzigartiges positronisches Netzwerk, das die gesamte Kolonie durchzieht. Durch seine redundante, dezentrale Struktur ist es robuster und weniger störanfällig für die omnipräsente Hyperstrahlung der Schwingquarzvorkommen in der Planetenkruste. Nur so ist die Stabilität und Funktion der digitalen Kommunikations- und Dateninfrastruktur von Rumal gewährleistet.«

»Richtig, Dazar. Sie sind sehr gut informiert.«

»Die Künstliche Intelligenz NATHAN auf dem Terramond sowie die Posbis sollen an der Entwicklung des Grid maßgeblich beteiligt gewesen sein.«

»Gehen wir hinein, oder wollen wir uns lieber vom Dreifachstern Algol die Haut verbrennen lassen?«, fragte Meliar gereizt. »Sie können sich ja drinnen weiter unterhalten.«

»Ich muss Ihrer Schwester zustimmen, Dazar. Man darf die Kraft der drei Sonnen in einer Wüste nicht unterschätzen. Bitte folgen Sie mir.« Rabkob betrat den Höhleneingang.

Nach gut fünf Metern erreichten sie ein verriegeltes Schott. Die Schaltmeisterin legte ihre Hand auf eine Sensorfläche an der Felswand neben der Pforte und identifizierte sich mittels ihres Kommunikationsimplantats durch ergänzende Berechtigungscodes. Wasser war einer der wertvollsten Rohstoffe auf Rumal, und Sicherheit hatte bei allen versorgungskritischen Installationen oberste Priorität. Es war somit ein großer Vertrauensbeweis, dass Rabkob Fremden Zugang zu dem Wassergewinnungskomplex gewährte.

Die rumalischen Sicherheitsorgane hatten den Hintergrund aller Teilnehmer der Mehandordelegation zwar vorab durchleuchtet. Aber auch sie hatten nicht herausgefunden, wer der Anführer war. Vielleicht hatten die zwei Geschwister Dazar und Meliar den Kampf um die dominante Machtposition in ihrer Sippe noch nicht ausgefochten, und es gab schlicht keine eindeutige Führungsperson. Tholia Rabkob war froh, dass zumindest ein Personenschützer sie begleitete, obwohl sie damit in erster Linie den Gästen ein Sicherheitsgefühl vermitteln wollte. Trotzdem war es angenehm, einen verlässlichen Rumaler an ihrer Seite zu wissen.

Das Prüfsensorfeld leuchtete grün auf, das Schott öffnete sich.

»Und hier sehen Sie die Auffangbecken der Wasseraufbereitungsanlage.« Tholia Rabkob führte die Delegation über eine gitterartige Brücke zwischen mehreren großen Becken vorbei.

»Weshalb befindet sich diese Anlage so weit weg von der Hauptstadt?«, erkundigte sich Dazar.

»Die ersten Siedler haben den Planeten intensiv nach Wasservorkommen abgesucht. Sie fanden heraus, dass es vereinzelte Höhlensysteme wie dieses gibt, in denen sich auf natürliche Weise kleine, unterrumalische Seen bilden. Die hier tätigen Techniker fördern das Wasser der lokalen Seen aus der Tiefe nach oben und filtern es. Danach wird das endaufbereitete Wasser aus den Tanks abgesaugt und mit speziellen Großtransportern nach Rumalor gebracht. Von dort aus wird es in der ganzen Hauptstadt sowie an umliegende Siedlungen verteilt.«

»Wasserhandel wäre hier ein lukratives Geschäft«, sagte Meliar leise zu ihrem Bruder.

»Gewiss«, mischte sich Rabkob ein. »Aber wir versuchen, dabei möglichst unabhängig zu bleiben. Wasser von anderen Welten ist und bleibt ein Luxusgut auf Rumal.«

»Ernährt sich deshalb ein Großteil der Rumaler von diesen ekligen Nüssen?«, fragte Meliar.

»Sie bieten alles, was der rumalische Körper benötigt. Importierte Speisen sind teuer. Nicht jeder möchte sich das auf Dauer leisten.«

In der Nähe ratterten die Generatoren der Anlage leise, ansonsten war es fast völlig still. Das übliche virtuelle Hintergrundrauschen des Grid war in diesem Gebäude für die Obfrau kaum zu vernehmen. Normalerweise begleitete sie als Schaltmeisterin das Flüstern des Grid in jeder wachen Sekunde ebenso wie sogar im Schlaf. Rabkob war mithilfe von hochkomplexen Positronik-Implantaten ständig mental mit dem Grid vernetzt. Wenn der Grid leiser wurde, hatte sie manchmal fast das Gefühl, etwas Wichtiges verloren zu haben.

Sie nutzte die Gelegenheit, dass sie vor Ort war, und rief über eine lokale, drahtlose Schnittstelle die neuesten Betriebsprotokolle der Wasseraufbereitungsanlage auf. Sie studierte das Daten- und Diagrammkonvolut, das in einem Hologramm vor ihr sichtbar wurde. Seit ihrer letzten Inspektion vor drei Wochen waren keine besonderen Vorkommnisse verzeichnet worden. Sämtliche Verfahrensabläufe hatten wie vorgesehen funktioniert, und die technischen Parameter lagen in den regulären Normbereichen. Alles war zu ihrer Zufriedenheit.

»Wir werden nun den Wissenschaftlern im angrenzenden Laborkomplex einen Besuch abstatten«, kündigte sie nach beendeter Kontrolle an. »Natürlich wird die Qualität des Wassers ständig geprüft und optimiert. Falls Sie also Fragen an unsere Experten haben, nur zu.«

Die Mehandor folgten ihr mit interessierten Blicken. »Sind alle Wasseraufbereitungsanlagen wie diese hier aufgebaut?«, fragte Dazar.

»Ja. Die erste Siedlergeneration hat mit der Anlage Eins begonnen und sofort gute Erfolge gehabt. Die meisten anderen Förderinstallationen wurden dann nach dem gleichen Muster errichtet. In den vergangenen zwanzig Jahren gab es daran regelmäßig umfangreiche Modernisierungsarbeiten, aber nur eine einzige Anlage ist komplett neu entstanden.«

»Mich würden die anderen Förderkomplexe ebenfalls interessieren. Besteht die Möglichkeit, in den nächsten Tagen einige davon zu besichtigen?«

»Ich habe unseren Terminablauf bewusst flexibel gestaltet und ein paar Zeitfenster frei gelassen. Wir können also gern zusätzliche Programmpunkte hinzufügen.«

»Wasser ist essenziell. Es ist ein wichtiges Produkt. Reichern Sie es mit irgendwelchen Mineralien an?«, fragte der Mehandor.

»Genaue Fragen zu den Inhaltsstoffen können Sie gern gleich unseren Labormitarbeitern stellen. Ich versichere Ihnen, wir arbeiten mit der modernsten Technik zur Wasseraufbereitung. Wir sind bis zu einem gewissen Punkt natürlich auch daran interessiert, Wasser zu importieren, aber das ist ein kostspieliges Unterfangen. Terranisches Quellwasser aus den österreichischen Alpen beispielsweise soll besonders erfrischend schmecken. Vielleicht ergibt sich in dieser Richtung eine Handelsoption?«

»Natürlich kooperieren wir mit terranischen Handelspartnern und könnten Ihnen einen guten Preis aushandeln«, stellte Dazar in Aussicht. »Ich dachte nur, die irdischen Alpengletscher seien schon vor vielen Jahren weggeschmolzen und die entsprechenden Bergquellen versiegt?«

»Man hat sie durch umfangreiche Klimaregulierung wieder in einen Zustand wie vor zweihundert Jahren gebracht«, gab Rabkob Auskunft, die sich zu besonderen Anlässen gern ein Mineralwasser aus Österreich gönnte. Seit Terra und Luna vor sechs Jahren aus dem Solsystem verschwunden waren, war es allerdings fast unmöglich geworden, an eine der begehrten Flaschen zu gelangen. »Es wundert mich, dass Sie vom Abschmelzen der Alpengletscher wissen.«

»Ich hege gewissermaßen ein närrisches Interesse an Bergen und habe in meiner Jugend auch viel über die terranischen Gebirge gelesen«, gestand Dazar. »Meine Informationen scheinen aber veraltet zu sein.«

»Könnt ihr beide mal aufhören, euch über öde Steinhaufen zu unterhalten, und euch stattdessen auf das Wesentliche konzentrieren?« Meliar sah die beiden vorwurfsvoll an.

Rabkob war sprachlos. Diese Frau irritierte sie und brachte sie völlig aus dem Konzept. Normalerweise waren Geschäftspartner freundlich zueinander und begegneten einander mit Respekt. War dies eine besondere Verhandlungstaktik, die Dazar und seine Schwester benutzten, um bessere Preise herauszuschlagen? Womöglich eine psychologische Vorbereitung auf das spätere Thema Geminga-Drusen, dem das Hauptinteresse der galaktischen Händler galt?

Etwas durcheinander steuerte sie den Weg zum Laborkomplex an. Zwei Mehandor waren ein Stück zurückgefallen und inspizierten einen der offenen Wassertanks.

»Sie müssen bitte zu uns aufschließen!«, rief Rabkob ihnen durch die Halle zu. »Wir betreten gleich das Labor.«

Die Mehandor nickten. Ihre Lippen waren unter den Beatmungsgeräten versteckt. Tholia Rabkob konnte daher nicht klar erkennen, ob die beiden miteinander flüsterten. Unter dem strengen Blick von Meliar setzte die Schaltmeisterin ihre Führung fort.

6.

Die Sternenpest

7. Oktober 2108

In der Medostation der CREST II roch es nach Desinfektionsmitteln, und dem herben Parfüm des Chefarztes. Gabrielle Montoya ließ die alljährliche Routineuntersuchung bei Doktor Drogan Steflov mit geschlossenen Augen über sich ergehen. Sie spürte, wie der Arzt ihren Körper mit einem Scangerät Zentimeter für Zentimeter analysierte, und versuchte, sich zu entspannen. Zuvor hatte er ihr eine Blut- und eine Urinprobe abgenommen. Mit einem leisen Seufzer schloss er die Überprüfung ab. Montoya öffnete neugierig die Augen. Er wich ihrem Blick aus.

»Setzen Sie sich bitte, Miss Montoya.« Der Arzt deutete auf den freien Platz gegenüber von seinem Schreibtisch und steuerte seinen eigenen Stuhl an.

Gabrielle Montoya erhob sich von der Medoliege. »Ich höre, Doktor Steflov.« Sie ließ sich in den bequemen Lehnsessel nieder. »Spannen Sie mich nicht auf die Folter.«

Steflov hatte ihr gegenüber Platz genommen und hielt seinen Medoscanner in den Händen, als wolle er sich vor etwas schützen. Er rang sichtlich nach den richtigen Worten. »Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber ich habe keine guten Nachrichten für Sie.«

»Wollen Sie mir etwa erzählen, dass ich den Wunsch nach einer Modelkarriere an den Nagel hängen soll?« Sie lächelte. Ihr war klar, dass die Angelegenheit kritisch war, dennoch war die Versuchung zu groß gewesen, den Arzt einmal aus der Fassung zu bringen.

Es war ihr offenbar gelungen. Er sah sie verwirrt an.

»Die Lage ist leider ernst, Miss Montoya. Sie leiden an der Sternenpest.« Er vergrößerte ein Holo, das ihre Krankenakte zeigte. In roten Buchstaben leuchtete die Diagnose auf.

Montoya runzelte die Stirn. »Wie kommen Sie zu diesem Schluss? Ich fühle mich wunderbar für mein Alter.«

»Das höre ich gern. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass Sie schwer krank sind.«

»Gibt es ein Gegenmittel?«

»Bislang leider nicht. Die Krankheit ist selten und sucht nur Raumfahrer heim. Experten gehen davon aus, dass die Sternenpest durch ein mutiertes irdisches Bakterium der Gattung Yersinia pestis ausgelöst wird. Schon in seiner Urform ist es extrem anpassungsfähig und entwickelt viele verschiedene Varianten. Als Yersinia pestis locus hat es sich in den zurückliegenden Jahrzehnten zu einem gefährlichen Erreger entwickelt, der hauptsächlich Menschen befällt und sie binnen weniger Jahre tötet. Es tut mir leid, dass ich keine besseren Nachrichten für Sie habe.«

»Wie lange habe ich noch?«

»Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Es gibt aber gute Therapieerfolge mit Jyatalin, einem Mittel der Aras, das zwar zu einer verstärkten Austrocknung der Haut führt, aber Ihr Leben verlängert. Es reduziert außerdem das Auftreten von Schmerzen.«

»Wieso haben Sie die Sternenpest nicht früher bemerkt?«

»Sie tragen den Erreger vielleicht schon seit Jahren latent in sich, aber die Infektion ist erst jetzt ausgebrochen.«

»Kennt man die Gründe, weshalb die Krankheit nicht sofort ausbricht?«

»Ja. Es gibt gewisse Stressoren, die dazu führen. Aber die Forschungen diesbezüglich stehen erst am Anfang.«

»Wie äußern sich die Symptome? Was erwartet mich in naher Zukunft?«

»Yersinia pestis locus schadet dem Organismus auf drei Arten. Zum Ersten exotoxisch, also durch das direkte Absondern von Giftstoffen. Zum Zweiten endotoxisch, durch das Entstehen von Giftstoffen als Zerfallsprodukt der Bakterien. Und zum Dritten durch Kapselbildung. Das Bakterium bildet einen speziellen Panzer, die sogenannte Glykokalyx, die es für die Abwehr des Körpers unsichtbar macht und Arzneistoffe am Eindringen hindert. Das erschwert es uns Medizinern, ein geeignetes Gegenmittel zu finden. Ich kann Ihnen daher nur Linderung verschaffen, heilen kann ich Sie leider nicht.«

»Vielen Dank für Ihre Offenheit, Doktor Steflov.« Gabrielle Montoya stand auf und verabschiedete sich.

Der Arzt wirkte immer noch bedrückt, als er sie zum Ausgang begleitete.

Ohne äußerliche Regung verließ die amtierende Kommandantin der CREST II die Medostation. Auch innerlich spürte sie nichts. Mit mechanischen Schritten kehrte sie zu ihrem Posten in der Zentrale zurück und überprüfte die neuesten Statusberichte der Bordabteilungen.

Irgendwann fiel ihr Blick auf ein Außenbeobachtungshologramm, in dem Terra und Luna zu sehen waren. Der Planet und sein Trabant waren selbst vor sechs Jahren wie ein Parasit in ein fremdes Sonnensystem eingedrungen. Das hatte viel verändert, viel zerstört.

7.

Der Vorfall

7. Oktober 2108

Stolz präsentierte Tholia Rabkob der Mehandordelegation am nächsten Tag drei weitere Wasseraufbereitungsanlagen. Zwischen den Standorten flogen sie Strecken von dreißig bis fünfzig Kilometern Entfernung. Obwohl die Schaltmeisterin vom vielen Reden schon eine heisere Stimme hatte, blieb sie enthusiastisch. Der Vorabend war gut verlaufen. Es hatte bei einem gemeinsamen Abendessen einen Austausch von kulinarischen Spezialitäten gegeben. Rabkob war von den Erlebnissen des Tages allerdings noch so aufgeregt gewesen, dass sie kaum einen Bissen zu sich genommen hatte. Sie hoffte, dass die Mehandor ihr nicht zürnten, da sie die meisten ihrer Speisen abgelehnt hatte. Dafür war Lomar Catha über das üppige Büfett hergefallen.

»Diese Anlage war die fünfte, die wir auf Rumal erbaut haben«, erläuterte sie, während sie über die Gitterbrücke zwischen den Wassertanks voranging. »Wie auch in den anderen speist sie sich aus einem unterrumalischen See. Am Ende unserer Besichtigung können Sie gern wieder eine Kostprobe des Wassers nehmen, es soll einen minzigen Beigeschmack haben. Dafür ist ein Mineral verantwortlich, das nur in dieser Gegend vorkommt.«

»Wir bevorzugen unser eigenes Wasser«, lehnte Meliar ab. Die Mehandorfrau hatte die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete die Umgebung misstrauisch.

Rabkob hatte am Abend alles versucht, um Sympathie für sie zu entwickeln – vergebens. Sie ließ die Frau stehen und ging mit den Mehandormännern über die lang gezogene Brücke weiter in Richtung des Labors.

Unvermittelt hallte ein ohrenbetäubender Knall durch die kaum vier Meter hohe Höhle. Donnergrollen und eine massive Erschütterung brachten Rabkob fast zu Fall. Sie hörte Schreie. Gesteinsbrocken lösten sich aus der Decke und krachten neben ihr zu Boden. Ein Mehandor lag verletzt am Boden und brüllte. Sein Bein war unter einem Felsen begraben. Es war Dazar.