Peter Brindeisener - Hermann Stehr - E-Book

Peter Brindeisener E-Book

Hermann Stehr

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Beschreibung

"Peter Brindeisener" gilt als Abschlusswerk einer Trilogie, die mit "Drei Nächte" und "Heiligenhof" ihren Anfang genommen hatte. Stehr selbst meinte, er habe den "Heiligenhof" nochmals umstrukturiert und neu erzählt.

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Peter Brindeisener

Hermann Stehr

Inhalt:

Hermann Stehr – Biografie und Bibliografie

Peter Brindeisener

Peter Brindeisener, Hermann Stehr

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849636630

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Hermann Stehr – Biografie und Bibliografie

Deutscher Schriftsteller, geboren am 16. Februar 1864 in Habelschwerdt, verstorben am 11. September 1940 in Oberschreiberhau im Riesengebirge. Sohn eines Sattlers. Arbeitete von 1887, nach Ablegen der zweiten Lehrerprüfung, bis 1911 als Volksschullehrer. Begann schon 1893 mit der Veröffentlichung erster Gedichte, fünf Jahre später folgte die erste Prosa. In der Frühzeit der Weimarer Republik unterstützt er Walter Rathenau als Redner. Ab 1911 arbeitete S. ausschließlich Schriftsteller, 1926 war er Gründungsmitglied der Preußischen Akademie der Künste.

Wichtige Werke:

Auf Leben und Tod. Zwei Erzählungen. Berlin, S. Fischer, 1898Der Schindelmacher. Novelle. Berlin, Fischer, 1899Leonore Griebel. Roman. Berlin, Fischer, 1900Das letzte Kind. Novelle. Berlin, Fischer 1903Meta Konegen. Drama in fünf Akten. Berlin, Fischer, 1904Der begrabene Gott. Roman. Berlin, Fischer, 1905Drei Nächte. Roman. Berlin, Fischer, 1909Geschichten aus dem Mandelhause. Berlin, Fischer, 1913Das Abendrot. Novellen. Berlin, Fischer, 1916Der Heiligenhof. 2 Bände. Berlin, Fischer, 1918Lebensbuch. Gedichte aus zwei Jahrzehnten. Berlin, Fischer, 1920Die Krähen. Novellen. Berlin, Fischer 1921Wendelin Heinelt. Ein Märchen. Trier, Friedrich Lintz Verlag 1923Der Schatten. Novelle. Chemnitz, Gesellschaft der Bücherfreunde 1924Peter Brindeisener. Roman. Trier, Friedr. Lintz Verlag, 1924Der Geigenmacher. Eine Geschichte. Berlin, Horen-Verlag 1926Nathanael Maechler. Roman. Berlin-Grunewald, Horen-Verlag 1929Das Haus zu den Wasserjungfern. Leipzig, Paul List Verlag 1929Das Märchen vom deutschen Herzen. Drei Geschichten. Leipzig, Paul List Verlag 1929Mythen und Mähren. Leipzig, Paul List Verlag 1929Meister Cajetan. Berlin, Horen-Verlag 1931Über äußeres und inneres Leben. Leipzig und Berlin, Horen-Verlag 1931An der Tür des Jenseits. Zwei Novellen. München, Albert Langen/Georg Müller 1932Die Nachkommen. Leipzig, Paul List Verlag, 1933Gudnatz. Leipzig, Insel-Bücherei, Insel-Verlag 1934Das Stundenglas. Reden/Schriften/Tagebücher. Leipzig, Paul List Verlag 1936Der Mittelgarten. Ausgewählte frühe und neue Gedichte. Leipzig, Paul List Verlag 1936Der Himmelsschlüssel. Eine Geschichte zwischen Himmel und Erde Lpz., Paul List 1939Von Mensch und Gott. Worte des Dichters. Ausgewählt von Emil Freitag, Paul List, Leipzig 1939Droben Gnade drunten Recht Das Geschlecht der Maechler. Roman einer Deutschen Familie. Leipzig, List 1944

Peter Brindeisener

I.

Er erzählte mir immer dieselbe Geschichte, und wenn ich ihn sah, wußte ich schon, wie er sie diesmal vortragen würde. Manchmal galoppierten seine Worte wie Pferde, die von der Peitsche einen steilen Berg hinaufgeprescht werden. Zuzeiten tropften ihm die Sätze zäh und monoton aus dem Munde. Dann wieder glomm in seiner Stimme ein geheimes Zittern: es war trunkenes Taumeln in seiner Geschichte. Seltsam aber war der Erfolg seiner Erzählung: ich vergaß sie immer sofort. Wenn er schwieg, war sie auch schon weggeblasen. Das Seltsamste aber bestand darin, daß der Erzähler und seine Geschichte in gar keinem Zusammenhange zu stehen schienen. Darauf kam ich erst sehr spät, eigentlich am Ende unserer Bekanntschaft. Er hatte die Sache diesmal in dem Garten eines großen Vergnügungsetablissements vor der Stadt einzufädeln gewußt, und während ich durch die lärmende Gesellschaft an überfüllten Tischen vorüberging, um die Handwerker mit ihren Familien, Bergleute und ihr Anhang, Ladendiener mit und ohne Verhältnis, Schlepper mit Fabrikmädchen zusammengekeilt saßen, fühlte ich mich von irgendwoher unangenehm fixiert und wollte schon die Stufen der riesigen Holzveranda hinuntergehen, um auf der Straße am Bahndamm entlang ein wenig in den Wald zu schlendern. Aber gerade als ich die erste Stufe unter dem Fuße hatte, bog es mir instinktiv den Kopf zurück, und ich sah ihn in der hintersten Ecke an einem ganz leeren Tisch vor seinem kalten Grog sitzen und mich lächelnd ansehen, als ob er sagen wollte: Das ist ja Unsinn, so zu tun, als wolltest du gehen. Komm doch her und setz' dich; dein Sträuben ist durchaus erfolglos. Und wirklich saß ich nach zwei Minuten mit einer Selbstverständlichkeit neben ihm, als sei es von Anfang meine feste Absicht gewesen, mich mit ihm dort zu treffen. Er war auch gar nicht sonderlich erregt, als ich bei ihm Platz genommen hatte, und bedeckte, wie es seine Art war, die rechte Hand mit der anderen, als friere ihn an den Handrücken. Weiße lange Haare standen in der porösen Haut, dicht wie ein Schimmelüberzug. Von seinem Gesicht sah ich nicht mehr wie die übermäßig hohe Stirn. Endlich sagte ich: "Herr Brindeisener, ich wollte eigentlich ein wenig im Tolkebusch schlendern gehen."

Darauf streifte er mit seinem grauen Auge über mich hin, mit einem beiläufigen, aber so schmerzvollen Blick, antwortete nichts, sondern stellte sein Gesicht wie horchend über die Köpfe der lärmenden Gesellschaft weg, dem Himmel entgegen, und sagte dann trocken und hilflos: "Die Luft ist unbarmherzig klar."

Und dann ließ er den überlangen Oberkörper wieder zusammensinken, als schiebe er eine Klappkamera ineinander.

Mich ergriff der geheimnisvolle Hilferuf des alten Mannes. Aber ich raffte mich doch nach einigen Augenblicken wieder auf und sagte mir, daß es töricht sei, mich den ganzen schönen Sonntagnachmittag diesem morschen Buchhalter aus der Zündholzfabrik zu überliefern, nur um die Geschichte zu hören, die ich immer wieder vergaß, und eilte mit großen, energischen Schlüngen dem Boden meines Bierglases zu. Ehe ich den Rest hinuntergießen konnte, stieß Brindeisener entschlossen den Stock zwischen die gespreizten Knie und begann ohne jede Einleitung seine Erzählung: "Sie müssen wissen, mein junger Freund, das Leben ist immer ein zu kurzes Pferd. Man mag sich darauf setzen, wie man will. Es nutzt nichts. Entweder fällt man vorn oder hinten herunter und gerät unter die Hufe und Reifen." Und so weiter.

Von Zeit zu Zeit donnerte ein Bahnzug vorüber. Auf den, feiernden Gruben rundum schnarchten die Auspuffer der Ventilatoren und Pumpwerke leise und verschlafen. Das Gelärm der Ausflügler wuchs.

Der alte Brindeisener achtete auf nichts, sah gerade vor sich auf den Tisch und sprach wie zu sich selber. Nein, er sprach nicht. Er rief die Sätze diesmal wie ein Auktionator, laut und hart. Und ich hörte eigentlich gar nicht auf ihn, sondern wartete auf den Augenblick, wo mit seinem Gesicht die eigentümliche Verwandlung vor sich ging. Da – jetzt begann sein Kinn einzuschrumpfen. Es war, als würde es von dem Atem hinaufgesogen, nicht bloß das Kinn, fast der ganze Unterkiefer, so daß Brindeisener aussah, als habe er nur einen halben Kopf, und sein grauer Knebelbart schien unmittelbar aus den breiten, gelben Zähnen des Oberkiefers hervorzuwachsen.

Nun ging es dem Ende zu. Ich stürzte rasch den Rest Bier hinunter, und unmittelbar nach dem letzten Worte erhob ich mich, dankte mit unsicherer Stimme für die Gesellschaft, schützte eine Verabredung im Tolkebusch vor und wand mich eilig zwischen den Tischen durch, dem Ausgange zu. Dort drehte ich mich noch einmal um und bemerkte, daß der alte Buchhalter mit breiten Ellenbogen, das Gesicht vergraben, auf dem Tisch lag. Seine Schultern ruckten. Wahrhaftig so, als weine er. Aber ich konnte diesmal nicht. Einfach. Ich wäre ihm grob gekommen.

Allein, mein Sonntag hatte doch einen unheilbaren Knacks davongetragen, und während ich unter den Bäumen umherirrte, lag eine unsichtbare raunende Wolke tiefer Trostlosigkeit um mich. Die hinderte mein Gemüt, in die Träume von meinem Vaterhause zu entfliehen und den Rechenstaub der Bankstube abzuschütteln. Ich kriegte die Dieseler Eisenwerke, das Pari, die Lombardaktien, Diskont und Provision, all diesen grauen Lärm, nicht aus der Seele, an den ich mich nur aus Liebe zu meinem Vater verkauft hatte, der durchaus einen Bankdirektor aus mir machen wollte, nachdem die Maturitätsprüfung vorbeigelungen war. Diese Bedrückungen spürte ich nicht wie sonst als eine Last im Hirn, ich empfand sie wie eine aussichtslose Schwermut, die von außen auf mich eindrang. Wie gesagt, gleich einer bebenden Wolke der Trostlosigkeit lag es um mich.

Auf einmal tönte es: der Subskriptionspreis für die Anleihe beträgt 97½ Prozent zuzüglich 4½ Prozent Stückzinsen vom 1. Mai 1911. Merkwürdig, und das sprach es nicht mit Worten. Nein, dieser Satz tauchte in meinem Gedächtnis wie ein grelles Transparent auf, ohne Beziehung auf mich, seelenlos, wie etwa in der Nacht über den Dächern die Aufforderung aufflammt: Raucht Manoli! So und zugleich schwankte der Schmerz, die Hilflosigkeit, der eintönige Gram eines verlorenen Lebens um mich, wie es aus der Geschichte Brindeiseners in immer anderer Gestalt über mich gekommen war. Das schwere, monotone Auf und Ab der Erzählung steckte darin und die Person des Buchhalters auch. Sobald ich aber mein inneres Horchen auf den Rhythmus der Geschichte einstellte, erlosch das Gesicht Brindeiseners, wie ich es heute gesehen hatte, und gelang es meiner Aufmerksamkeit, seine Physiognomie festzuhalten, verflüchtigte sich jede Empfindung für die Erzählung, die ich dazu nicht wußte. Eine Gefühlskomplexion marterte mich, die, halluzinatorisch scharf und verschwommen in einem, nur ein Jüngling von neunzehn Jahren erleiden kann. Aus dieser, doch im Innern getrennten Einheit ... nein, es ist unmöglich, das zu erklären. Kurz, ich kam durch eine abenteuerliche Kombination zu der Ansicht, zwischen Brindeisener und seiner Geschichte bestehe keinerlei innerer Zusammenhang. Es sei zwecklos, mir noch zwanzig- und mehrmal das gleiche anzuhören, und ich trüge von all der lässigen, etwas knabenhaften Neugier nichts davon als den Verlust jugendlicher Fröhlichkeit und Entschlossenheit.

Deswegen mied ich in den nächsten Wochen alle Orte, an denen ich mit Brindeisener sonst zusammengetroffen war, und unterließ jede Bemühung, etwas Näheres über die Vergangenheit des alten Buchhalters und seine Lebensweise zu erfahren.

Der erste Winter, den ich in Wirbnitz verbrachte, verging vergnüglicher, als es den Anschein gehabt hatte. Gegen das Frühjahr hin waren die Bilderrahmen mit Kotillonorden vollgespickt. In meinem Tischschube verwahrte ich manche Locke und Haarschleife. Mein Beruf erschien mir ganz angenehm, und mit Ungeduld sah ich dem Mai entgegen.

Den Buchhalter hatte ich vergessen. Vielleicht war er davongezogen oder gar gestorben. Es war mir auch gleichgültig. Ich nannte ihn einen alten Märbeutel und glaubte, er bedeute mir nicht mehr als ein zerschlissener Schirm, den man leichten Mutes in einem Winkel stehenläßt.

*

So ging es in den März hinein, recht geprügelt und geblasen, wie mein Vater von dem unbeständigen Frühlingswetter zu reden beliebte. Am Tage warf es einem zwanzigmal schimmernde, weiße Lichtnetze über, durch deren glitzernde Maschen man den süchtig-blauen Himmel in einer so unendlichen Höhe gewahrte, daß man ganz gut meinen konnte, er habe sich aufgemacht, in der Unendlichkeit für immer zu verschwinden, um die Menschen mit dem allmächtigen, jungen Licht allein zu lassen. Dann schrie und tanzte alles in der grauen, grämlichen Bergmannsstadt, und selbst die wackeligsten Invaliden gingen aufrecht und drehten ihren Stock durch die Luft. Im nächsten Augenblick aber lag der Himmel über der Erde wie die verrauchte niedrige Decke einer durchfuselten Kaschemme. Es warf mit nassem Schnee, daß es nur so klatschte, und der Wind fuhr einem ins Gesicht wie mit schartigen Sensen.

In einer Nacht kehrte ich sehr spät aus meiner Kneipe nach Hause. Sie lag am entgegengesetzten Ende der Stadt, und ich mußte durch ganz Wirbnitz. Ganz Wirbnitz. Das waren ja wohl kaum ein halbes Dutzend Straßen und Gassen. Aber es dünkte mich eine Stunde zu dauern. Alles war vollgesackt von beißend kaltem, gelbbraunem Nebel, durch den die Glühfadenlampen wie rote Triefaugen blinzten, und von den nahen Kokereien wälzte sich stinkender Kohlenrauch in die Gassen, daß es war, als gehe man durch eine riesige Latrine. Der Schall der Schritte erlosch unter den Füßen. Die Stadt war totenstill, und die Häuser schienen seit langer Zeit unbewohnt zu sein. Die Türen und Fenster gähnten als schwarze, halb verfallene Luken an den Häuserfronten, die sich ohne Dach in dem schmutzigen Nebel verloren.

Ich hatte mich mit meinen Bekannten wegen eines Mädchens gezankt und setzte auf dem einsamen Gange den Streit allein fort. So kam ich auf den Marktplatz. Da ging gerade ein Erhellen durch den Nebel. Ein schwacher Wind kehrte ihn mit leisem Seufzen in die Gassen, und die Häuser standen bis zu den Dächern hinauf in leidvoll-blassem Licht.

Hundert Schritt vor mir saß ein Mann auf einer Haustürschwelle in der Haltung eines todmüden Wanderers. Der Kopf, von einer zerlumpten Pelzmütze bedeckt, hing wie schlafend auf der eingesunkenen Brust. Aber der Fremde schlief nicht. Er kratzte mit seinem Stocke, den er zwischen den heraufgezogenen, gespreizten Knien hielt, auf den Steinfliesen des Trottoirs und murmelte monoton vor sich hin. Als er mich sah, erhob er sich mühselig und gab sich den Anschein, als gehöre er in das Haus, auf dessen Schwelle er eben gesessen, klopfte leise an die Tür, trat zurück, sah zu den Fenstern empor, klatschte gedämpft in die Hände und kroch dann geduldig in den Schatten des Hauseinganges, bis ich vorüber war. Dann ging er zum Nachbarhaus, ließ sich wieder auf der Schwelle nieder und begann sein versunkenes Gemurmel wie vorher. Als ich vor meiner Wohnung stand und eben den Schlüssel ins Schloß schieben wollte, fiel es mir ein: das war ja Brindeisener, den ich wie einen zerschlissenen Schirm in einem Winkel des Lebens hatte stehenlassen. In schnellem Lauf jagte ich auf den Marktplatz zurück. Der war inzwischen wieder in schmutziger Finsternis erloschen und zum Schneiden dicht mit Nebel erfüllt. Ich suchte alle Haustüren ab – sie waren leer.

In der Nacht war es mir fortwährend, als sitze der alte Buchhalter auf dem Stuhl neben meinem Bett und rede eintönig vor sich hin. Die Stube war mit den Lauten aussichtslosen Grames erfüllt, und mehreremal sah ich deutlich seinen langen, gekrümmten Rücken und einen Teil seines gesenkten, großen Kopfes. Mein Streit war verschwunden, alle Lustbarkeiten des Winters waren nicht gewesen. Mir kam es vor, als habe ich die Monate seit unserem letzten Zusammensein in einem lichtlosen Zimmer gesessen und in dumpfer Sehnsucht nur auf ihn gewartet.

Man weiß ja nicht eher, was ein Mensch uns bedeutet, bis man ihn verloren hat. Ich geriet seit dieser Nacht immer schon nach wenigen Gedankengängen in einen inneren Abgrund, und was ich auch angreifen mochte, endete in dies beklemmende Warten, mit dem ich nach jener Nacht aufgestanden war.

Um diesem Zustand ein Ende zu machen, begab ich mich zwei Tage nachher auf die Suche nach Brindeisener. Aus unserer ersten Zusammenkunft erinnerte ich mich dunkel, daß er bei Angabe seiner Adresse die Fehlenerstraße genannt hatte. Die Nummer war mir abhanden gekommen. In einem gelb gestrichenen Hause sollte es sein, so schwante mir, und dann mußte er auch von einem Löwen gesprochen haben, dem zwei Brezeln an einer Schnur aus dem offenen Rachen hingen. Dieses Bild, in Stein gemeißelt, sollte über der Tür in die Mauer eingelassen sein.

Nein Erinnern, das in leisem Fiebern an den Bildern meines Gedächtnisses herumgedeutet hatte, führte mich recht. Ich fand das Haus. Es war das dritte in der engen Gasse, die über einen mit allerhand Gerümpel gefüllten Hof ins Feld endete.

In der dritten Etage klingelte ich, mich dem traumhaften Führen überlassend, an einer Tür, neben deren Griff ein Schildchen angebracht war, auf dem der Name "Hermine Wengen" mit schwarzen Buchstaben auf weißem Grunde stand. Zaghaft wurde geöffnet, und es erschien eine mädchenhaft kleine, zarte Greisin auf der Schwelle, strich sich mit einer durchsichtigen Schneiderinnenhand über die Stirn und wartete eine Weile, aus gelbbraunen, wie mir schien halb erblindeten Augen ins Leere starrend. Dann fragte sie mit unwirklich dünner Stimme nach meinem Begehr.

Als sie den Namen Brindeisener hörte, suchte sie verlegen nach dem Schlüssel, drehte ihn ein paarmal im Schloß und atmete schwer. Dann bat sie mich, ihr in die Wohnung zu folgen, setzte sich mir gegenüber, verharrte wieder eine Weile regungslos in dem blicklosen Schauen ihrer halb erloschenen Augen und beantwortete meine Fragen in einer Weise, als müsse sie sich immer durch eine tote Schicht mühsam zu ihren Worten durchkämpfen.

Ja, der Buchhalter, Herr Brindeisener, hätte sechs Jahre bei ihr gewohnt. Ja, aber vor vier Monaten sei er ausgezogen.

Warum?

Er sei ein eigentümlicher Herr gewesen. Die alten unverheirateten Männer bekämen alle mit den höheren Jahren so ihre Seltsamkeiten, ja. Er war ein guter Herr, ein stiller Herr, ein lieber Herr. Ob er getrunken habe.

Nein, da sei ihr nichts bekannt. Von seinem Leben und seinen Gewohnheiten wisse sie auch nicht viel. Denn er habe sein Zimmer stets verschlossen gehalten und nie gestattet, daß es jemand betrete. Sei er zu Hause gewesen, so habe sie ihn unaufhörlich mit großen, lauten Schritten in seinem Zimmer auf und ab gehen hören, bis in die tiefen Abendschatten hinein. Dann habe er auf der Flöte geblasen. Ja, und seit der neue Zimmerherr da sei und das Flötenspiel nicht mehr in den Abend klinge, fehle ihr etwas.

"Wissen Sie, junger Herr," sagte die kleine Greisin. "ich kenne Sie ja nicht, will auch nicht wissen, wer Sie sind, Sie mögen auch darüber lachen. Das tut mir nichts."

Darauf verstummte sie und tastete verschämt auf ihrer Schürze herum.

"Hat er Ihnen nichts erzählt?" fragte ich. "Nein. Nie. Guten Morgen. Guten Abend. Wie es die Zeit war. Sommer und Winter. Immer dasselbe. Gütig und leise. Ja, das hat er mir erzählt. Aber ich weiß doch, daß er von weit her war, aus einem guten Hause. Aus Hannover oder Westfalen. Denn er sprach das ›s‹; so eigentümlich wie mein Bruder, als er vom Militär aus Quedlinburg zurückgekehrt war."

"Ja, aber Quedlinburg liegt doch in Sachsen."

"Na, da war es eben eine andere Stadt. Aber das ist auch gleich. Nein, um auf das Flötenspiel zu kommen. Er blies immer das gleiche Lied. Er blies es eigentlich nicht. Es war, als singe er mit dem Holz, und zwar so leise und weich, wie ein Mädchen singt, wenn sie Blumen auf der Schürze hat, auf der Wiese sitzt und einen Kranz flicht. Sehen Sie, solange Herr Brindeisener neben mir auf der Flöte gesungen hat, ist's mir eigentlich nicht in den Sinn gekommen, daß ich seit zwanzig Jahren Witwe bin und eine erwachsene Tochter habe. Aber seit er fort ist, spüre ich, daß das Alter über mich kommt."

"Haben Sie Herrn Brindeisener nicht halten können?" fragte ich.

Aber Frau Wengen achtete auf meine Worte nicht, saß unbeweglich und kämpfte mit ihren toten Augen gegen die tote Schicht um Worte.

"Nein, wissen Sie, und dabei war es manchmal eigentlich schrecklich mit seinem Flötenspiel", sagte sie endlich. "Nämlich von Ostersonnabend bis Ostersonntag blies er die ganze Nacht. Ohne Aufhören eigentlich. Immer leiser, immer schmerzlicher. Ich habe oft im Bett gelegen und geschluchzt wie als ganz junges Mädchen. Man konnte sich da nicht helfen. Gegen Morgen, wenn das Licht kam, hörte das Lied auf. Ach, wenn ich's nur sagen könnte, wie. So, als wenn es in der Sonne erfriere. Ja, wirklich, wie wenn es erfriere, so ein Zittern war darin. Mach dieser Osternacht aber lag Herr Brindeisener immer zwei Tage im Bett, und wenn er dann herauskam, sah er aus, als sei er von einer schweren Krankheit aufgestanden."

Die kleine Greisin hatte ihre Schürze erbarmungslos in den Händen zusammengeknüllt und strich sie jetzt, da sie wie ertappt schwieg, mit zitternden Fingern wieder glatt.

"Haben Sie denn Herrn Brindeisener nicht halten können?" wiederholte ich.

Es dauerte einige Augenblicke, ehe sich Frau Wengen wieder gesammelt hatte.

Dann begann sie mit der Antwort, indem sie wortlos den Kopf schüttelte.

"Das gehörte auch zu den Schrullen. Gott ja, man sagt Schrullen," erwiderte sie darauf mit suchenden Worten, "man weiß zuwenig."

"Was denn, Frau Wengen?"

"Nun, sehen Sie. Herr Brindeisener konnte doch junge Mädchen nicht leiden. Wissen Sie, kleine. Schulmädchen schon, wenn er auch mit keinem sprach. Auch ältere, ja. Aber solche um siebzehn 'rum, solche mit festen Fäusteln unter den Blusen, solche auf keinen Fall. Ich sag' Ihn', da wurde der alte Mann kalkweiß und kriegte förmlich das Schmeißen.

Nun, und im Herbst kam meine Tochter aus dem Dienst. Sie ist ja schon fünfundzwanzig, sieht aber noch aus wie sechzehn. Wissen Sie, sie hat von mir die Statur. Na, und kaum, daß Herr Brindeisener sie zweimal auf dem Flur gesehen hat, kündigt er und zieht aus. Es muß übrigens da noch was anderes gegeben haben. Denn den Sonntag vorher kam er um den Abend nach Hause, und ich denke, daß er wieder anfangen wird zu blasen."

"Erlauben Sie mal. An welchem Tage war das ungefähr?" Ich unterbrach sie, weil ich an unser letztes Zusammentreffen in der Holzveranda dachte.

"Ach ja", antwortete Frau Wengen. "Denken Sie, das werd' ich kaum 'rauskriegen. Warten Sie."

"War es nicht am 9. Oktober?" fragte ich.

"Nu. Es war ums Krauteinholen. Freitags gingen wir die Maschine bestellen. Sonnabend war die Berthel da, meine Schwägerin nämlich. – Nein, nein. Ganz richtig. Das stimmt schon. Die erste Oktoberwoche war's."

Die Greisin war bei dieser Datumbestimmung, wie es allen Greisen geht, in noch größere Aufregung geraten. Nun richtete sie plötzlich betroffen ihre Augen auf mich und fragte mit heimlichem Mißtrauen:

"Warum wollen Sie denn das so genau wissen?"

"Ich muß mir doch klar werden. Sie können sich das denken, Frau Wengen. Herr Brindeisener ist mir nicht gleichgültig. Ich habe Sie unterbrochen. Bitte, erzählen Sie weiter."

Frau Wengen bedeckte die Stirn mit der rechten Hand, und es hatte den Anschein, als sei sie in Zweifel, ob es besser sei, die Unterhaltung abzubrechen oder in der Erzählung fortzufahren. Doch schüttelte sie die Wolken der Besorgnis ab und fuhr fort:

"Ja, da war er also an dem Sonntag nach Hause gekommen. Ich dachte, es wär' später gewesen wie sonst. Wie gesagt, ich dacht', er würde gleich anfangen zu blasen. Denn das Abendrot war schon hinter dem Ferdinandschacht hinunter. Aber er ging erst lange in der Stube auf und ab, wie er's gewohnt war. Ich muß zu meiner Schande gestehen, ich hab' an der Wand gehorcht. Ja, wissen Sie, einer alten Frau, die schon viel hinter sich hat, ist das nicht übelzunehmen. Na ... und dann fängt er mit sich an zu reden, wird immer wilder und stampft endlich mit dem Fuße auf den Boden. ›Es muß ein Ende gemacht werden‹;, so ungefähr sagte er dabei. Dann hör' ich, wie er was zerbricht und wegschmeißt. Die paar Tage, die er dann noch da war, hat er nicht mehr geblasen, und wie er dann ausgezogen war, haben wir hinter dem Ofen die zerbrochene Flöte gefunden."

"Mit Mädchen hat er nie gesprochen?" fragte ich.

"Nie. Er hatte bloß immer junge Herren um sich, so alt wie Sie sind."

"Ist er denn noch in der Fabrik?"

"Ach Gott, ich komme nicht vor die Tür. Das weiß ich nicht. Aber gewiß wohl, denn wie ich gehört habe, war ja der Herr Methner sehr zufrieden mit ihm."

Ich erhob mich zum Abschied.

"Ja, ja, es wird Ihnen langweilig," sagte Frau Wengen und rutschte auch vom Stuhl, "wenn ich nicht gedacht hätte, Sie sind ein Freund von ihm, da hätt' ich nicht soviel erzählt. Aber es ist ja nichts Schlechtes, was ich gesagt habe. Und ehrlich gestanden, weil er nicht mehr spielte, war er mir unheimlich. Gott, und was sollen einer alten Frau auch Singen und Lieder."

Ich war schon auf dem Flur, und die zierliche, kleine Greisin stand, wie sie mich empfangen hatte, in der halb offenen Tür und sah mit ihren wie zerstörten Braunaugen ins Leere.

Im letzten Augenblicke fiel mir glücklicherweise ein, nach der neuen Wohnung Brindeisens zu fragen. Frau Wengen gab mir Bescheid und verschwand mit einem leichten Neigen des Kopfes hinter der Tür.

"Den Sonntag vorher tief im Herbst ..." hatte Frau Wengen gesagt. Da war es so eigentlich über ihn gekommen. Hm. Vielleicht hatte meine brüske Art, ihn zu verlassen, die letzte Sicherheit in Brindeiseners Leben wegreißen helfen.

Mir schien es, ich sei nach dem Verlassen des gelben Hauses mit dem Löwen über der Tür nur zwei Schritte durch die Straßen gegangen, um an die neue Wohnung Brindeisens zu gelangen, und doch war ich um die halbe Stadt herumgelaufen, als ich die schiefe Gartentür aufstieß, hinter der das vollkommen verwahrloste Haus lag. Der Putz war an vielen Stellen ganz oder teilweise abgefallen. Es gab Stellen an der Mauer, die aussahen wie verstaubte blutige Wunden. An manchen Flecken hatten sich nur einige Schalen des alten Kalkanstrichs losgeblättert, und man konnte daraus ersehen, welche Farben seit dem Bestehen das Haus getragen hatte. Es war grau, grün, rot und gelb getigert. Die Fensteröffnungen lagen nicht nach Stockwerken in Reihen geordnet, sondern waren planlos über die Front zerstreut, dabei wiesen sie verschiedene Größe auf. Das Haus schien von einem Säufer im Delirium gebaut worden zu sein. Noch heute fieberte es förmlich von Lärm. Jedes Fenster spie eine andere Skala wüster, greller Töne über das Feld, in das das Gebäude wie ein Aussätziger gelaufen war.

Als ich die Gartenpforte aufgestoßen hatte, fuhren an alle Fenster wie auf Kommando ungewaschene Kindergesichter, halbwüchsige Mädchen, blaß und frech, mit diesen gemeinen Blicken aus kalten Augen, wie sie Lust aus frühester Jugend kocht; Bergleute, noch von dem Kohlenstaub über und über verrußt, sahen mich mit weiß rollenden Äugen an. Ein altes Weib kniete vor einem Beet und rupfte unter fortwährenden Verwünschungen Unkraut aus. Sie verstellte mir den Weg zum Eingange.

"Petersiken, nehmt die Beine weg!" rief eines der Mädchen. Die alte Frau, die einen Schober grauer Haare trug, hörte nicht.

"Er fällt auf Euch, Petersiken," schrie eine Männerstimme, "das wär' so was!"

"Na, auf der hält er's nicht lange aus", rief eine Mädchenstimme.

Darauf gellte die ganze Front in tollem Lachen. Ich stand betäubt vor dem alten Weibe, das sich jetzt erhoben hatte und aus einem einzigen Auge stechend mich musterte. Das andere Auge mußte einst mit einem Stock tief in den Schädel getrieben worden sein.

"Zu wem wollen Sie denn?" fragte die Alte mit dem einnehmendsten Lächeln.

Aber kaum hatte ich den Namen Brindeisener genannt, so verwandelte sich Frau Petersik in eine Furie. Ihr Leib hüpfte wie eine Mehlfuhre, mit der die Pferde durchgehen. Das Auge wurde grün, die Lippen wanden sich förmlich unter der Flut von Schimpfwörtern, die sie ausstießen.

"Was hat Ihn' denn der Herr getan, alte Putte, daß Sie so schrei'n?" rief ein Mädchen in zornigem Mitleid mit mir aus halber Höhe.

Frau Petersik fuhr wie gestochen gegen die Störerin herum.

Diese Wendung benutzte ich und entfloh durch das Pförtchen auf die Straße.

So unangenehm es mir war; ich mußte mich überwinden und aus dem Unrat der Worte dieser Frau die Aufschlüsse über das weitere Schicksal Brindeiseners zusammenlesen. Er hatte nur kurze Zeit in diesem furchtbaren Hause gewohnt. Solange die Sonne am Himmel stand, war er wie ein Verstorbener in seiner Stube geblieben. Ohne Laut, ohne Atemzug. Jeden Abend sei er "fortgeludert", wie das Weib sich ausgedrückt hatte, und erst gegen Morgen zurückgekehrt. Einmal sei er von einem Schlepper, der von der Nachtschicht zurückkam, besinnungslos hier auf den Beeten liegend aufgefunden worden. Man habe sich seiner erbarmt und ihn in sein Zimmer getragen. Zum Dank für diese Güte sei er einige Tage später fortgelaufen und habe sich nicht mehr sehen lassen. In den Augen der Frau Petersik war Brindeisener, sie nannte ihn nur Blindschleicher, ein Trinker, ein Hurenläufer, ein Betrüger, denn er war ihr die Miete schuldig geblieben, kurz, ein Ausbund an Schlechtigkeit.

Aber sein ergebenster Freund, wenn er eine einzige herzlich geneigte Seele auf der Welt besaß, hätte mit allen guten Gründen nicht so für Brindeisener sprechen können, als es diese Frau mit dem Schimpf und der Schande fertiggebracht hatte, die sie hinter diesem alten Manne dreinwarf. Ich wußte, daß der Buchhalter nie mehr als ein buntes Schleierchen in seinem kalten Grog gesucht hatte; nein, Brindeisener war in die Grube seines Schicksals gestürzt, die, allen und auch mir verborgen, allein für seine gesenkten, schmerzvollen Augen das ganze Leben hindurch unerbittlich offen gelegen hatte. Nun war er zusammengebrochen. Vergeblich sann ich darüber nach, was sich ereignet haben mußte. Denn es war mir nicht recht wahrscheinlich, daß er den letzten Halt durch die Vernichtung seiner Flöte verloren hatte. Und traf das zu, was bedeutete dies Spiel des einzigen Liedes in seinem Leben? Er hatte ja auch nur eine einzige Geschichte erzählt. Hier klang etwas wie ein Zusammenhang in meine Seele, die sich den letzten Schritten dieses geheimnisvollen Lebens voll Reue und Selbstvorwürfen nachdrängte. Warum war ich an jenem Nachmittage auf der Veranda nicht gütig zu ihm gewesen? Mehrere Nächte hintereinander suchte ich alle Haustüren von Wirbnitz ab. Brindeisener fand ich nicht mehr.

Der kürzeste Weg zur Aufklärung führte in die Zündholzfabrik Methner. Aber nach dieser Richtung war alles verbarrikadiert. Das Mädchen, um dessentwillen ich mich mit meinem Freunde und im Verlauf des Abends mit der ganzen Gesellschaft junger Leute gezankt hatte, war eben die Tochter Methners. Mir lag nichts an diesem aschblonden, überschlanken Fräulein mit dem grauen Teint und den überheblich großen Augen. Aber ich hatte nicht geduldet, daß mein Freund sie nur deswegen zum Abladeplatz all seiner unangenehmen Einfälle machte, weil sie ihn, auf allerdings sehr vernehmliche Art, abgeblitzt hatte. Die anderen, alle geheime Verehrer ihrer frühreifen, schönen Verwelktheit, schlugen sich auf die Seite des Gemaßregelten. So drängte man mich in die Rolle des Ritters einer Dame gegenüber, von der ich nichts wissen wollte. Ja, man verdächtigte mich der ausgesprochenen Beziehungen und verübelte mir die Parteinahme in einem Falle, der mich, nach ihrer Meinung, ohne Bedenken unter die Kämpfer der gedemütigten Männerwelt hätte stellen müssen. Denn die Jünglinge lieben es, ihren egoistischen Leidenschaften den weiten Mantel hoher Prinzipien umzuhängen, und in jener Zeit liefen die ersten lärmenden Paradoxien der Frauenrechtlerinnen durch die Gehirne, die am Wege wuchsen.

Mir hatte erst seit anderthalb Jahren die Stimme umgeschlagen. Deswegen nahm ich die Sache blutig ernst und wagte mich nicht in die Nähe der Fabrik, um meinen Widersachern nicht scheinbare Beweise ihrer falschen Behauptung in die Hände zu spielen. Doch der Strom der Ereignisse fließt nur für stumpfe Blicke in dem Bette äußerer Geschehnisse, und nur für Oberflächliche besteht die Möglichkeit, sich durch Vorsicht ihm entziehen zu können. Über die Gebiete der Seele besitzen die Menschen keine Macht, wie die Erde gegen die Fügungen des Wetters keine Gewalt hat. Sie unterstehen der unsichtbaren Führung unsichtbarer Götter. Darum konnte ich es nicht verhindern, daß die Schatten der beiden Menschen, die mich am stärksten beschäftigten, in geheimnisvolle Beziehung gerieten. Neben dem Bilde des in der Nacht vor dem Haustor lauernden Brindeisener tauchte immer deutlicher das graue, schöne Gesicht Wanda Methners auf und sah mich mit von Mitleid überströmten Augen an, mit Augen, in denen zugleich im tiefsten Grunde eine Süßigkeit schimmerte, die sich nur mir zu kosten gab. Ja, und je glücklicher mich diese Hingabe des Traumbildes machte, um so schmerzhafter, dem Herzen näher, fühlte ich das unbekannte Unglück des Buchhalters. So innig vermischten sich diese entgegengesetzten Beziehungen, daß ich das Leiden um Brindeisener geradezu manchmal durch eine heiße, unterirdische Verliebtheit in die Tochter des Fabrikbesitzers empfand.

Meinem Dienst in der Bankstube bekam dieser Zustand sehr schlecht. Unser Institut hatte in jenen Tagen gerade einen äußerst starken Ultimoverkehr. Dabei wechselten wegen der politisch verworrenen Lage fortwährend die Kurse in fast fieberigen Zuckungen. Da hieß es, die Ohren steif halten, um bei dem lebhaften Verkehr in Industriepapieren nichts zu versehen. Mit Aufbietung meiner ganzen Willenskraft suchte ich mich der Unruhe des Herzens zu entziehen. Aber nach kurzen Augenblicken klarer Aufrichtung verfiel ich immer wieder in ein Nachtwandeln des Gemüts und berechnete die Aktien des Dynamittrusts, die um dreiviertel Prozent nachgelassen hatten, wie die Werte der Gesellschaft für Licht- und Kraftanlagen, die um einhalb Prozent in die Höhe gegangen waren. Als ich an einem Tage die fünfte falsche Aufstellung gemacht hatte, zerriß der Dezernent in stummer Wut den Bogen, den ich ihm hingereicht hatte, ließ die Fetzen nachdenklich in den Papierkorb tröpfeln, schob dann mit der Linken die Oberlippe an die Nase hinauf und sah mich dabei mit einem förmlichen Erschrecken an.

"Wissen Sie," sagte er dann in seiner Grabesstimme, "wissen Sie, mein Herr Jungmann, Sie sind meschugge, oder die Feiertage picken schon bei Ihnen. Aber wir wollen annehmen, daß Sie krank sind. Gehen Sie nach Hause, und legen Sie sich ins Bett. Ich werd's dem Chef melden, Sie haben Scharlach oder Masern, nicht? Jedenfalls ist das so 'ne Kinderkrankheit."

Ich wollte etwas erwidern, kam aber nicht dazu, denn der Alte strich seine unwirklich lange, graue Mähne hinter die Ohren und schnitt mir jede Entschuldigung ab, indem er mit Ironie sagte: "Ach wo? Nein, so was! Na ja, schon gut und nun: Guten Morgen! Und verzehren Sie's mit Gesundheit."

Unter anderen Umständen wäre ich dem Alten sicher in die Parade gefahren, so aber drückte ich mich möglichst unauffällig durch den langen, schmalen Raum, nur leise angekratzt von dem spöttischen Räuspern der beiden anderen Eleven. In meiner Stube angekommen, überließ ich mich fast mit Behagen einem unwirklichen Wirbel, der meine Umgebung, ja mein ganzes Leben wie einen Spuk um mich drehte.

Endlich sah ich ein, daß es unwürdig sei, sich dieser schwächlichen Auflösung ohne Gegenwehr hinzugeben. Zuerst kam mir der Gedanke, nach Hause zu fahren und dort unter den vertrauten Verhältnissen diese fremde Störung loszuwerden. Allein schon bei der bloßen Vorstellung der Reise fühlte ich, wie diese bebende Wolke, die mich einhüllte, mitging. Mein Vater hätte mir die Veränderung angemerkt und ihren Grund in meiner latenten Abneigung gegen den Beruf erblickt, in den er mich geschoben hatte. Lange Auseinandersetzungen, endlos gütig-kluge Erwägungen, die stumme Bekümmernis meiner Mutter, das vorwurfsvolle Seufzen unseres ganzen Gutshofes fielen dann über mich her. Nein, das war unmöglich. Aber hierbleiben konnte ich doch auch nicht, denn ich lief Gefahr, in diesem törichten Taumel, der mich erfaßt hatte, eine Dummheit zu begehen. An einem Nachmittage ertappte ich mich darüber, wie ich unter dem Vorwand eines Spazierganges um die Zündholzfabrik streifte und mit angehaltenem Atem in den Garten spähte, der die Villa Methners umgab. Ein hellblaues Kleid, das auf der kleinen Terrasse erschien, brachte mich zur Besinnung. Mit einem zornigen Fluch über mein heißes Erschrecken, das mich beim bloßen Anblick des Mädchenkleides überfiel, wandte ich mich ab und eilte in meine Stube. Dort sank ich, ohne den Hut abzunehmen, auf einen Stuhl am Tisch nieder und überließ mich der Bitterkeit entrüsteter Scham über die Schwäche meines Willens, der es nicht fertigbrachte, das Mitleid mit dem Schicksal eines alten Mannes von dem Bilde Wanda Methners zu trennen, das ganz von ungefähr in meine Seele gegaukelt war. Ich nannte mich ein über das andere Mal einen "lächerlichen Träumer" und "jammervollen Phantasten" und geriet trotz des Grimmes wieder tief in dieses Nachtwandeln des Gemütes. Während ich, den Kopf in die Hände gestützt, saß und mich an ein schmerzvoll süßes Grübeln verlor, fühlte ich, wie sich ein junger Mädchenleib so hingebend über mich beugte, daß der Busen weich auf meiner Achsel lag und Locken an meinen Wangen niederrieselten. "Warum sind Sie denn gar so traurig. Herr Jungmann?" fragte zugleich eine verschleiert schöne Stimme. Und ganz, als stehe ich im Banne ihrer körperlichen Nähe, in Trunkenheit, antwortete ich: "Weil Sie mir gar nicht sagen, Fräulein Wanda, wo Ihr Buchhalter Brindeisener ist. Ich muß ihn finden, sonst stirbt er in seinem Unglück." Dabei fühlte ich, wie sich meine Augen in einem würgend heißen Strom von innen her verdunkelten, und mein ganzer Leib bebte wie unter stürmischen Liebkosungen.

*

Ich bewohnte eine möblierte Stube in der Knauerstraße, einer nicht zu breiten Gasse jenes Teiles von Wirbnitz, der noch etwas von dem alten Wesen der Stadt bewahrt hatte. Obwohl nicht weit das rauchgeschwärzte Ungeheuer einer Porzellanfabrik mit riesigen Häuserklötzen sich über einen breiten Raum ausdehnte, so störte sein stillerer Betrieb das geruhige Leben der gewundenen Gasse nicht sonderlich, und die Leute saßen wie in allen Kleinstädten am Abend vor den Türen, plauderten mit halber Stimme, ließen die Kinder vor sich spielen und versanken von Zeit zu Zeit in melancholisches Horchen. Denn über die Dächer der Porzellanfabrik schwangen sich die Laute des freien Feldes, ganz weiches Fließen von den Ährenbreiten her, leises Sausen der Hecken, und die ganz Feinhörigen, jene, deren Sehnsucht so lauter war, daß sie sich durch die Hoffnung auf Erfüllung nicht mehr verunreinigte, jene ganz Stillen, erlauschten wohl auch manches, für das das Ohr eines Menschen zu grob ist, das nur mit der Seele wahrgenommen werden kann: es klang ihnen wohl der geheimnisvolle Ton, den etwa ein Baum hervorbringt, der einsam, ohne sich zu rühren, auf dem Felde steht; fern von den tausend geselligen Genossen des Waldes die grüne Wolle seiner Krone vertrauensvoll dem Himmel entgegenträgt.

Das Haus selbst war ein großer, ungeschlachter Bau mit einem gewölbten Tor in seiner Mitte, das auf einen geräumigen Hof führte. Der lag, auch zur Mittagszeit, in stetem Dämmern, denn er glich mehr einem Schacht, der von den fensterlosen Brandgiebeln zweier benachbarter Mietskasernen und einem dreistöckigen Hinterhause begrenzt war. Immer erfüllte ihn eine wirre Menge durcheinandergefahrener Wagen verschiedener Gattungen bis auf einen schmalen Gang zur Tür des Hinterhauses. Da standen Jagdwagen, Landauer, Cabs, Gesellschaftswagen und Geschäftsvehikel für allerlei Betriebe, denn der Besitzer stand einem schwunghaften Wagenbau vor. In seiner Abwesenheit strömte das mit kleinen Leuten bis unters Dach vollgestopfte Hinterhaus seine hundert Kinder aus, die sich sofort über die Wagen hermachten, um in ihnen allerhand imaginäre Reisen, Geschäftsfahrten und Familienausflüge zu unternehmen. Die Kutscher auf dem Bock trieben mit lautem Geschrei die eingebildeten Rosse an, und die Herrschaft im Wagen vollführte eine Konversation, deren einziger Wert im Lärm bestand. Tauchte der Wirt im Tore auf, so ergriff die Schar schleunigst die Flucht, der Bierkutscher ließ seine Fässerfuhre im Stich, die gräfliche Familie verschwand mitten auf der Landstraße aus dem Landauer, und die Taufgesellschaft rannte unter Zurücklassung des schreienden Säuglings davon.

Nach solchen Austreibungen lag der Hof dann doppelt schwer und düster, und sah ich zur Abendzeit auf die Verdecke der Wagen hinab, so brauchte ich nur geringe Vorbehalte, um mich in den Gutshof meines Vaters zu versetzen, wenn er zu einem Familienfest von den Wagen der Gutsnachbarn fast bis auf den letzten Platz gefüllt war.

Dies hatte mich auch bestimmt, die Wohnung in der kleinen, abgelegenen Arbeitergasse zu wählen. Den Zustand, dem ich nach dem traumhaft wirklichen Besuch Wanda Methners unterworfen war, können nur jene Menschen höheren Alters verstehen, denen es gelingt, durch die Erinnerung in die Zeit ihrer Jugend zurückzuschlüpfen. Sie wissen, daß man in den schwersten und glücklichsten Perioden jener herrlichen Jahre seine Erlebnisse tiefer und schmerzvoller empfindet und zugleich auch über sie hingetragen wird, als schwebte man auf einem Luftschiff entrückt in der Höhe, und das, was uns die Brust einpreßt, schauen wir zugleich wie eine fremde, bunte Einbildung, die uns nur durch den Rausch der Sehnsucht gehört, denn nie sind wir weiter von den Dingen entfernt als in jener Zeit, da wir den Zauber der Wirklichkeit am tiefsten und lebendigsten an uns erfahren. Und nach Momenten solch höchster Traumgenüsse überkommt uns ein willenloses, elegisches Geschehenlassen, wie Kranke, die aus einer Narkose erwachen.

In dieser Gemütsverfassung saß ich nach dem Tage der halluzinatorischen Nähe Wanda Methners bald an dem einen, bald an dem anderen Fenster meiner Wohnung und schaute mit leerer, leidender Neugier hinunter in den Hof. Wie ein Taumel war mein Schlaf gewesen, mein Wachsein bestand nur in einer anderen Form des Versinkens. Alle Ereignisse der letzten Tage lagen wie erblassende Bilder weit draußen in meiner Seele, alle Entschlüsse in mir erschöpft wie exaltierte Pläne, die in der Trunkenheit geschmiedet worden sind. Das beste wär's, sann ich, wenn man sich den Rucksack auf den Rücken würfe und ins Gebirge stiege. Aber diese Überlegung sank als undeutlicher Ton an mir vorbei. Ich blieb indessen ruhig auf meinem Stuhl am Fenster und verfolgte das Leben und Treiben im Hofe. Aus der Wagenbauwerkstatt, die das ganze Erdgeschoß des Hinterhauses einnahm, schoben vier Gesellen einen neuen halbgedeckten Wagen, der dunkelgrün gestrichen und mit schmalen hellgrünen Streifen abgesetzt war, reinigten seine Polster mit Bürsten, wischten den Staub von den Radspeichen und steckten die Deichsel in die Gabel. Dann gingen sie um ihr schönes Werk herum und betrachteten es von allen Seiten. Die Kinder, die mit gefüllten Körben und Taschen vom Einholen zurückkehrten, traten vor die lackierten Seiten und bespiegelten sich lachend darin. Darauf verschwanden sie durch den schmalen, seitlichen Aufgang im Hinterhause. Frauen mit Kuchenblechen unterm Arm rannten in Eile über den Hof. Kleine Kinder drehten sich auf dem schmalen Gange zwischen den Wagen, in einem Kreis verschlungen, und sangen mit dünner, fröhlicher Stimme ein kurzes Liedchen, bis sie vom Wirt vertrieben wurden.

"Was für ein Tag ist denn heute?" fragte ich mich dumpf, mochte mir aber weder eine Antwort geben, noch brachte ich es fertig, mich umzudrehen und nach dem Kalender zu sehen, der über der Kommode hing. Eine erschöpfte Scheu hielt mich zurück, einen Blick über meine behagliche Wohnung zu werfen. Denn ich hütete mich, an das Schicksal Brindeiseners zu denken, der zerstört, zerlumpt und hungernd draußen umherirren mußte, während ich stumpf und bequem hier saß, ich, der doch eigentlich eine Schuld an dem Hereinbrechen seines Unglücks auf mich geladen hatte.

Im zweiten Stock des Hinterhauses riß jetzt eine junge Frau leidenschaftlich das Fenster auf und begann überlaut zu einer anderen zu reden, die drunten im Hofe mit einem Einkaufskorbe am Arm neben dem neuen Wagen stand.

"Er hot mr meine Brote au verdorben, der meschante Kerl", schrie sie.

Von drunten aber antwortete es: "Na ja, mei Kuchen is an eener Seite schwarz wie Kohle und hart wie ein Brett. Das wird ein schönes Ostern werden morgen."

Das Hin- und Widerschimpfen dauerte noch eine Weile. Ich aber hörte nicht mehr darauf, sondern ging mißmutig vom Fenster weg, an dem ich seit Stunden gesessen hatte, und legte mich auf das Sofa mit dem Gesicht gegen die Lehne.

Gleich einem grauen, flordünnen Schleier stand es um meinen Kopf.

So, so, sagte ich träge zu mir, also Ostersonnabend ist heute! Was wird denn Brindeisener diese Nacht tun, wenn er nicht mehr auf der Flöte blasen kann? Da wurde es noch dunkler um mich, und aus den Schatten spürte ich etwas wie den gespannten Blick unsichtbarer Augen auf mich gerichtet. Zugleich klang das Lied, das die Kinder vorhin im Hofe gesungen hatten, in mir wieder, aber jetzt, als würde es von einer einzigen Stimme zitternd in eine weite Öde geschickt. Es wurde immer schwächer, und meine Gedanken verloren sich an seiner verschmachtenden Melancholie ins Pfadlose.

Als ich aufwachte, waren beide Flügel eines Fensters herumgeschlagen. Die Wirtin mußte sie während meines Schlafes geöffnet haben. Der Ton von verklungenem Glockengeläut summte aus der hohen Luft in den Schacht unseres Hofes, und darin klang, wie rätselhaft eingesargt, der Schatten jenes Kinderliedes, an dem ich mich in den Schlaf verloren hatte. Ich zog die Uhr und sah, daß sie die fünfte Stunde zeigte. Das Summen, das nun ganz erloschen war, rührte also von dem Geläut der Auferstehungsprozession her, die in Wirbnitz zu dieser Stunde um die Kirche geführt wurde.

Im Hofe herrschte fast vollkommene Stille. Auch das Hinterhaus lag lautlos. Von der Höhe her streiften die ersten Schimmer des Abends über seinen grauen Bewurf und hauchten einen schwachen Glanz feiertäglicher Heiterkeit um das kahle, freudlose Gebäude.

In der Tiefe des Hofes herrschte die immer gleiche mürrische Dämmerung. Die Wagen waren enger zusammengerückt und auf jeder Seite in dichtgeschlossene Doppelreihen geordnet, so daß aus dem schmalen Zugang zum Hinterhaus etwas wie ein bequemlicher Platz geworden war. Nur der neue Halbgedeckte war dieser feiertäglichen Ordnung nicht eingefügt worden. Er schien zum Abholen bereit gehalten zu werden und streckte ungeduldig seine Deichsel nach dem Tore aus. Der Meister stand davor in blütenweißen Hemdärmeln, mit einer grünen Tuchschürze umgürtet, betrachtete geruhig das saubere Gefährt, wedelte da und dort mit der Schürze ein Stäubchen fort und wurde von Zeit zu Zeit durch Ungeduld, die ihn unversehens überfiel, aus seinem wohligen Trödeln gerissen und unter die Torfahrt getrieben. Als er, ich weiß nicht nach wieviel solcher Absprünge, wieder einmal zu dem Halbgedeckten zurückkehrte, stand ein fremder Mann neben ihm. Ich hatte nicht genau achtgegeben, deswegen war es mir entgangen, von woher, ob aus der Torfahrt oder dem Hinterhause, der Fremde herzugetreten war. Es waren nach meinem Dafürhalten keinerlei Verhandlungen zwischen dem Meister und ihm vorhergegangen. Regungslos, die Hände auf der Krücke eines Stockes gefaltet, dessen Spitze er in eine Fuge zwischen zwei Steinplatten gestemmt hatte, den ganzen Körper versunken, etwas vornübergebeugt, stand er da. Er befand sich auf der linken Seite vom Meister und würdigte weder den Wagenbauer noch den Halbgedeckten eines Blickes, sondern starrte vor sich hin zu Boden. Man ist imstande, aus der Haltung eines Menschen seine Seelenverfassung zu erkennen. Dieser geheimnisvoll aufgetauchte Kunde machte den Eindruck eines Ratlosen, Vertriebenen. Eine graue Jacke war um seinen ungewöhnlich langen Oberkörper gewürgt, und die Hosen lagen in vielen Falten, als seien sie für die Beine viel zu lang, auf den großen, ausgetretenen Stiefeln.

Gott, der Meister mußte doch auf den Mann aufmerksam werden! Aber als sei er ganz allein in dem Hofe, fuhr er fort, an dem Wagen wie vorher herumzubasteln. Da er jetzt von dem Hinterrade, zu dem er sich niedergebeugt und die Kapsel geprüft hatte, zurücktrat, bewegte er sich auf den Fremden zu. In dem Augenblicke, als er hätte an ihn stoßen müssen, war der seltsame Mann verschwunden, so wie der Schatten eines vorüberfliegenden Vogels an der Wand auftaucht und erlischt. Der Meister stand genau an der Stelle, an der der andere noch eben seinen Stock zwischen die Fugen gestemmt hatte, und keine Spur einer Erregung war an ihm zu bemerken.