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S. G. Felix

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Beschreibung

Zehn Jahre nach dem tragischen Tod ihres Sohnes nimmt die übersinnlich begabte Anna erstmals wieder einen Auftrag als Expertin für das Paranormale an. Angeheuert von einer mysteriösen alten Dame, soll sie eine Reihe von Geisterheimsuchungen in einem Dorf im beschaulichen Havelland aufklären.

Kaum mit den Ermittlungen begonnen, bekommt sie es mit einem ungewöhnlich böswilligen Geist zu tun. Handelt es sich hierbei um die sagenumwobene siebte Heimsuchung? Anna glaubt dies.

Gelingt es ihr nicht, die Geister aufzuhalten, dann könnte der Sage nach die siebte Heimsuchung der Vorbote eines Schreckens sein, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt.
Auf sich allein gestellt, muss Anna nicht nur den wütenden Geistern die Stirn bieten, sondern sie muss sich auch ihren eigenen Dämonen aus der Vergangenheit stellen, um das Rätsel vom Spuk im Havelland zu lösen.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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S. G. Felix

Phänomena

Spuk im Havelland

 

Inhaltsverzeichnis
Prolog
Die Sieben Heimsuchungen
Das Siebte Symbol
Ungebetener Besuch
Jenseits der Schwelle
Nach Mitternacht
Irrlicht
Das Böse
Veränderungen
Der dreiköpfige Gott
Geister der Vergangenheit
Das Geheimnis des Wassers
Näher
Ein unerwarteter Besuch
Es lauert
Lichter
Das letzte Opfer
Noch näher
Aus der Erde
Das Massaker
Die Rückkehr der Frau in Weiß
Ungebetener Besuch
Nachrichten aus einem Ort namens Hölle
Rückkehr
Schatzsuche
Es beginnt mit dem Tod
Der Sturm
Erweckung
Die Zeit läuft ab
Täuschungsmanöver
Nacht über der Havel
Phantasmagorie
Der falsche Weg
Zeitverlust
Baphomets Vermächtnis
Das Ritual
Vor der letzten Barriere
Der Abgrund
Epilog – Das Gesicht im Fenster

Prolog

 

»Natürlich weiß ich, was die Sieben Heimsuchungen sind. Ich habe mein halbes Leben mit deren Erforschung verbracht. Sagen Sie bloß, Sie hätten das nicht gewusst.« Anna schloss die Augen und rieb sich die rechte Schläfe. Ihr war, als würden ihre Migränekopfschmerzen wieder beginnen; das erste Mal seit fünf Jahren.

Die alte Frau, die ihr gegenüber saß, und die sie nach den Sieben Heimsuchungen gefragt hatte, schwieg. Aber auch ohne hinzusehen, glaubte Anna, ein breites Lächeln auf dem Gesicht der Fremden zu spüren. Und da sollte sie sich nicht irren.

»Ich gebe zu, ich habe mich natürlich vorher über Sie informiert. Über das, was Sie tun. Und über Ihre...«, die alte Frau suchte nach dem richtigen Wort, »... Gabe.«

»Sie meinen, was ich getan habe. Ich mache das schon seit über sieben Jahren nicht mehr. Ich denke, auch das wissen Sie, Frau Kronenberg«, sagte Anna.

»Ich weiß, ich weiß«, beeilte sich Frau Kronenberg zu sagen. Nach einer kurzen Pause ergänzte sie: »Und dennoch sind Sie meiner Einladung gefolgt und sind jetzt hier. Und ich denke, Sie wissen, warum. Sie ahnen, dass hier etwas vor sich geht – hier im Havelland. Etwas, von dem Sie wissen, dass nur Sie es aufklären können. Etwas, das in Ihr Spezialgebiet fällt. Sie ahnen, wovon ich längst überzeugt bin. Nämlich, dass es sich hier nicht um einen einfachen Spuk handelt oder um ein paar harmlose Gespenstersichtungen.«

Anna krampfte der Magen. Und je länger diese Frau Kronenberg sprach, desto schlimmer wurde es.

»Ich weiß, was hier geschieht«, fuhr die alte Dame fort. »Es ist die siebte Heimsuchung. Die siebte und letzte! Sie haben es selber gesagt: Ihr halbes Leben haben Sie mit der Erforschung der Sieben Heimsuchungen verbracht. Es ist Ihr Lebenswerk! Das, was hier im Havelland geschieht, könnte alle Ihre Fragen beantworten.«

Anna verzog das Gesicht und kratzte sich an der Stirn. Sie wäre am liebsten sofort wieder gegangen. Sie vermied es, ihrem Gegenüber in die Augen zu sehen. Irgendetwas war an dieser Frau, das ihr unangenehm war. Sie konnte ihre Abneigung nicht näher beschreiben. Es war nur so ein Gefühl. Sie nahm einen Schluck Kaffee, setzte die Tasse ab und schaute auf die Havel. Sie hatte den Namen des kleinen Ortes und den der Gaststätte, auf deren Terrasse mit Blick zum Fluss sie sich befanden, schon wieder vergessen. Sie wollte nur noch fort. Sie wollte wieder nach Hause. Obwohl es hier so idyllisch war.

»Nichts für ungut, Frau Kronenberg«, begann Anna schließlich und machte Anstalten, sich vom Tisch, an dem sie beide saßen, zu erheben, »aber ich werde jetzt wieder gehen. Tut mir Leid, wenn ich Ihre Zeit vergeudet habe. Ich bin einfach nicht die Richtige für diesen Job.« Anna wusste nicht einmal, worin dieser Job, den Frau Kronenberg ihr anbieten wollte, bestehen sollte. Aber das war ihr vollkommen egal. Zumindest wollte sie sich einreden, dass es ihr egal war.

Frau Kronberg blieb ruhig sitzen, blickte auf den Fluss und sagte: »Ach, diese Ruhe.«

»Wie bitte?« Anna war schon aufgestanden.

»Die Ruhe. Das ist es, was mich immer wieder am Havelland so fasziniert. Wenn man wie Sie aus der Stadt kommt, dann kann einen diese Ruhe hier regelrecht erschlagen. Als ich das erste Mal hierher kam, war es jedenfalls so. Wie ist es bei Ihnen?«

Anna wusste, was die alte Dame meinte. Sie war eigentlich noch nie aus Berlin raus gekommen, ausgenommen, um einmal im Jahr in den Urlaub zu fahren. Aber ihr letzter Urlaub war auch schon eine gefühlte Ewigkeit her. Ja, diese Ruhe war ihr unangenehm aufgefallen. Unangenehm deshalb, weil die ständigen Geräusche der Großstadt einen davon abhielten, zu viel über sich selbst nachzudenken.

Als hätte sie Annas Gedanken gelesen, sagte Frau Kronenberg: »Wenn man hier auf dem Land längere Zeit verbringt, kann das zunächst ziemlich irritierend sein. Aber wenn man sich erst daran gewöhnt hat, dann ist das fast so etwas wie ein anderes Leben. Eine zweite Chance. Wenn man die Stille zulässt und sich nicht dagegen wehrt, dann kann man auch mit seinen Dämonen aus der Vergangenheit klarkommen. Glauben Sie mir, ich habe es selbst erlebt.«

Anna setzte sich wieder. Misstrauisch beugte sie sich über den Tisch und sah Frau Kronenberg scharf an: »Dämonen aus der Vergangenheit? Wollen Sie mir damit etwas Bestimmtes sagen?«

Frau Kronenberg hielt ihrem Blick locker stand. Sie wollte etwas. Und sie war es gewohnt, zu bekommen, was sie wollte. »Ich werde nicht um den heißen Brei herumreden«, begann sie kühl, aber bedacht. »Bevor ich mit Ihnen Kontakt aufnahm, habe ich mich über Sie informiert. Ich weiß, was vor sieben Jahren geschehen ist. Ich weiß von dem tragischen und ungerechten Tod Ihres Mannes und Ihres Sohnes.«

»Es war ein Unfall. Ein verdammter Autounfall, wie er jeden Tag auf unseren Straßen passiert. Das hat nichts mit gerecht oder ungerecht zu tun«, schimpfte Anna, ebenso wütend wie verbittert und bereute es sogleich. Denn sie hatte es in der Vergangenheit stets vermieden, ihre Gefühle anderen gegenüber zu offenbaren.

»Ich kann sicherlich nicht nachvollziehen, was Sie seither durchgemacht haben, und Sie haben jedes Recht, zornig zu sein. Aber ich biete Ihnen hier die Chance, sich Ihren Lebenstraum zu erfüllen. Wenn es sich bei den vergangenen Ereignissen wirklich um die siebte Heimsuchung handelt, dann sind Sie die Einzige, die ich kenne, die es zweifelsfrei herausfinden kann.« Die alte Dame legte ihre Hand auf die von Anna, die beinahe zurückgeschreckt wäre, es dann aber doch zuließ. »Lassen Sie die Vergangenheit hinter sich, mein Kind, und tun Sie wieder das, wozu Sie geboren wurden. Es gibt viele selbsternannte Geisterjäger und Medien, die sich einbilden, Übersinnliches zu verstehen oder aufspüren zu können. Aber die brauche ich nicht. Ich brauche ein echtes Medium wie Sie. Die Eine, die es nur einmal unter einer Million gibt. Ich brauche Ihre Gabe, und ich weiß, Sie wollen sie wieder einsetzen, um anderen zu helfen. Denn das ist es, was Sie früher mit Leidenschaft und Hingabe getan haben. Tun Sie es wieder! Es soll Ihr Schaden nicht sein. Ich werde Sie für Ihre Mühen reich entlohnen«, sprach Frau Kronenberg mit verschwörerischem Blick.

Anna spürte, wie ihr innerer Widerstand zu bröckeln begann. Sie konnte sich tausend Gründe vorstellen, die Bitte von Frau Kronenberg abzulehnen. Aber da war dieses Kribbeln in ihren Fingern. Es war so intensiv, dass sie es nicht ignorieren konnte. Immer wenn sie früher paranormalen Phänomenen auf der Spur war, hatte sie dieses Kribbeln verspürt. Ja, sie wollte wieder dort weitermachen, wo sie vor sieben Jahren aufgehört hatte. Sie wollte es!

»Was soll ich denn genau tun?«, fragte sie schließlich, sehr zur Freude ihres Gegenübers.

Frau Kronenberg deutete zur Havel. »Vier Kilometer flussaufwärts gibt es ein kleines Dorf namens Nimtow. Es hat weniger als 80 Einwohner und nur eine Bushaltestelle. Seit einigen Wochen gehen dort seltsame Dinge vor sich. Leute verschwinden tagelang und tauchen dann unvermittelt wieder auf. Aber niemand erinnert sich an etwas. Und niemand bemerkt das vorübergehende Verschwinden der betroffenen Personen. Mir wurde zugetragen, dass nachts unheilvolle Stimmen aus dem Dunkeln erklingen, begleitet von mysteriösen Lichtern. Meine Nichte, die dort wohnt, wurde von Schreien geweckt, die scheinbar vom Fluss kamen. Mehrfach sei der Strom ausgefallen. Drei schwere Gewitterzellen haben sich ausschließlich über dem Dorf ausgetobt - alle nachts und alle innerhalb der letzten drei Wochen.

Etwas Großes geht vor im Havelland. Die Geister sind in Aufruhr.

Ich sage Ihnen, was Sie tun sollen: Bringen Sie mir einen unumstößlichen Beweis dafür, dass das, was sich dort im Dorf abspielt, die letzte große Heimsuchung ist, die unser aller Leben für immer verändern wird.«

 

Die Sieben Heimsuchungen

 

»Also gut, ich könnte es ja vielleicht versuchen. Ich kann Ihnen jedoch nichts versprechen«, sagte Anna.

»Ich will auch keine Versprechungen, ich will Beweise!«

»Sie wissen aber schon, dass die Theorie über die Sieben Heimsuchungen nur... eine Theorie ist? Ich meine, es gibt unter Fachleuten des Paranormalen sehr unterschiedliche Ansichten darüber. Niemand kann garantieren, dass eine siebte Heimsuchung tatsächlich die letzte ist. Es könnten auch acht oder mehr sein.«

»Nein, es sind sieben, nicht mehr und nicht weniger. Die Sieben ist magisch, das wissen Sie doch bestimmt.«

Anna runzelte die Stirn. Sie konnte es immer noch nicht glauben, dass sie zugestimmt hatte. Ja, sie fürchtete sich ein wenig vor dem, was sie erwarten könnte. Sie war sich zwar ziemlich sicher, dass sich die Ereignisse im Dorf Nimtow als harmlos herausstellen würden, aber man konnte ja nie wissen. Sie glaubte an die Sieben Heimsuchungen. Und durch ihre lange Arbeit als Medium, das mit den Toten sprach, hatte sie im Laufe der Jahre eine Ahnung entwickelt, die sie zu der Überzeugung kommen ließ, dass die siebte Heimsuchung kurz bevor stehen könnte. Anna wusste, worum es tatsächlich ging. Aber wusste das auch Kronenberg?

»Nur damit ich auch weiß, dass wir über dasselbe sprechen«, begann sie. »Was wissen Sie über die Sieben Heimsuchungen? Verstehen Sie mich nicht falsch. Aber seit die Theorie darüber vor Jahren publik wurde, kursieren im Internet zig verschiedene Versionen. Und ich kann Ihnen sagen, das meiste davon ist totaler Quatsch.«

Die alte Kronenberg lächelte verschmitzt. Sie machte deutlich, dass sie von ihrer Überzeugung, was den Ort Nimtow anbetraf, nicht abzubringen war. »All diese Theorien könnten aber auch wahr sein. Ich meine, es geht hier um Geister. Um Besucher aus dem Jenseits. Wie will man deren Existenz rational wissenschaftlich beweisen? Man kann es nicht beweisen, es ist lediglich eine Frage des Glaubens und vielleicht auch des gesunden Menschenverstandes, wie in Ihrem Falle. Sie als Medium müssen doch schon unzählige paranormale Phänomene erlebt haben.«

»Das habe ich«, bestätigte Anna ehrlich.

»Sehen Sie, aber keines davon lässt sich mit der modernen Wissenschaft zweifelsfrei belegen. Und weil das so ist, gibt es auch nicht die eine richtige Interpretation der Theorie über die Sieben Heimsuchungen. Weil diese Theorie immer nur eine Theorie geblieben ist. Für die einen ist sie Humbug. Für die anderen ist es eines der großen Mysterien unserer Zeit. Deshalb glaube ich auch nicht, dass das, was über die Sieben Heimsuchungen gemutmaßt wird, Quatsch ist, wie Sie sagen.

Aber zurück zu Ihrer Frage: Sie wollen herausfinden, was ich weiß. Ich bin vor ungefähr vierzig Jahren auf diese Theorie gestoßen. Also zu einer Zeit, als nur eine Handvoll Menschen sich damit beschäftigt hat. Zuvor habe ich mich nicht sonderlich für derlei Dinge interessiert. Aber dann hatte ich selbst ein Erlebnis, dass ich mir nicht rational erklären konnte. Daraufhin habe ich ein wenig recherchiert und bin auf die Sieben Heimsuchungen gestoßen. Geistererscheinungen und Poltergeistheimsuchungen gibt es jeden Tag auf der ganzen Welt. Aber es gibt nur sechs bekannte Phänomene, die verblüffende Gemeinsamkeiten aufweisen.«

»Genau. Und wissen Sie, welche das sind, und ob das, was in dem Ort hier im Havelland geschieht, ebenfalls Gemeinsamkeiten aufweist?«

»Allerdings. Alle diese sechs Heimsuchungen hielten etwa für vier bis sechs Wochen an. Sie fanden in verschiedenen Teilen der Erde statt. Drei davon in Nordamerika, zwei in Europa, und eine soll in Südamerika stattgefunden haben.«

Anna nickte. Das deckte sich mit ihren Informationen.

»Sechs Heimsuchungen, sechs verschiedene Orte«, fuhr Frau Kronenberg fort. »Doch alle begannen gleich und endeten gleich. Sie begannen mit dem unerklärlichen Verschwinden von Menschen, die Tage später wieder auftauchten und sich an nichts erinnern konnten, so wie es hier in Nimtow geschehen ist. Und bei allen Heimsuchungen starb immer ein Mensch. Nur einer.«

»Ist in Nimtow auch jemand gestorben – auf unnatürliche Weise meine ich?«

»Ja, Vor zwei Wochen. Ein junger Mann ist in der Havel ertrunken. Es wurde als Unfall eingestuft, was ich jedoch nicht glaube.«

»Dass Menschen im Sommer beim Baden ertrinken, ist leider normal und nichts Ungewöhnliches«, entgegnete Anna.

»Nach meinen Quellen ist der Mann nachts angeblich geschlafwandelt. Er stand mitten in der Nacht aus seinem Bett auf, verließ das Schlafzimmer, sein Haus, überquerte die Ortsstraße, ging mehr als siebenhundert Meter querfeldein und sprang in den Fluss, und das, obwohl er noch nie zuvor in seinem Leben geschlafwandelt sein soll. Er soll ein guter Schwimmer gewesen sein, und dennoch ertrank er.«

Anna sagte nichts. Sie überlegte. Das war in der Tat ungewöhnlich - wenn diese Geschichte denn stimmen sollte. Aber das würde sich vielleicht herausfinden lassen.

Die alte Kronenberg schien perfekt informiert zu sein. Anna wollte nur noch Eines wissen. »Von den sechs Heimsuchungen wurde auch berichtet, dass die Geister, die in Erscheinung traten, recht aggressiv gewesen sein sollen. Ist das hier auch der Fall?«

»Das will ich meinen, wobei wohl Auslegungssache ist, was man unter aggressiv versteht. In einem vermieteten Ferienapartment soll ein Geist eines Nachts so laut gejault und geschrien haben, dass die Feriengäste aus dem Bett gefallen sein sollen. Einer von ihnen soll Verletzungen im Gesicht davongetragen haben. Jemand hat ihm im Schlaf das Gesicht zerkratzt. Daraufhin verließen die Gäste das Apartment fluchtartig und erstatteten am nächsten Tag Anzeige gegen die Vermieter, weil sie glaubten, es handelte sich um einen üblen Scherz. Es stand auch in der Lokalzeitung.«

»Genau derartige Fälle wurden auch bei den vorigen sechs Heimsuchungen berichtet«, sagte Anna nachdenklich.

Frau Kronenberg nickte nur langsam, nahm einen Schluck Kaffee und wartete geduldig, bis Anna wieder etwas sagte.

»Lag das Ferienapartment direkt am Wasser?«, fragte sie schließlich.

»Ja. Genauso wie bei den vorigen sechs Heimsuchungen. Alle fanden in der Nähe eines Flusses statt. Das Wasser scheint irgendwie anziehend auf die Geister zu wirken.«

»Es ist nicht das Wasser selbst, sondern die Bewegung des Wassers«, sprach Anna gedankenverloren.

»So? Hmm, das wusste ich nicht. Aber genau deshalb will ich auch Sie und niemand anderen engagieren. Sie wissen solche Dinge, die anderen verborgen bleiben. Sofern Sie immer noch bereit sind, der Sache auf den Grund zu gehen, habe ich mir erlaubt, ein Apartment ganz in der Nähe für Sie zu reservieren. Auch dort sollen merkwürdige Dinge geschehen sein. Ich dachte, das wäre der beste Ort, um mit Ihrer Recherche zu beginnen.«

Diese Vorstellung machte Anna keine Angst. Unzählige Male in ihrem Leben hatte sie allein in derartigen Räumen verbracht. Allein mit Dingen, die einen gestandenen Mann vor Angst in die Flucht getrieben hätten. Alles schien darauf hinzudeuten, dass es einen engen Zusammenhang mit den vorigen sechs bekannten Heimsuchungen geben könnte.

»Sie sind gut informiert, Frau Kronenberg. Sie wissen sicherlich auch, dass die Theorie - oder sollte ich besser sagen - der Glaube daran, dass es sich um sieben gleichartige Heimsuchungen handeln muss, daher rührt, dass beim ersten Mal einem jungen Mädchen ein Geist erschien. Dieser sagte ihr, dass es insgesamt sieben Mal auf die gleiche Weise spuken würde, bis etwas Schreckliches geschieht.«

»Das weiß ich. Was, glauben Sie, wird nach der siebten und letzten Heimsuchung geschehen?«

»Darüber habe ich mir ehrlich gesagt nie wirklich Gedanken gemacht. Ich war immer nur an dem Phänomen der Sieben Heimsuchungen interessiert. Über die Konsequenzen habe ich nicht nachgedacht. Die einen sagen, nach dem letzten Geisterspuk soll das Ende der Welt eingeläutet werden. Die Geister in den Sieben Heimsuchungen warnen angeblich vor der endgültigen Auslöschung der Menschheit. Die Apokalypse stünde bevor. Manche meinen, ein Komet würde auf die Erde stürzen. Anhänger der Prä-Astronautik sagen, Aliens würden auf unseren Planeten zurückkehren, nachdem sie vor mehreren tausend Jahren schon einmal hier gewesen sind.

Es gibt dutzende Theorien darüber, was am Ende dieser außergewöhnlichen Spukserie geschehen könnte. Viele davon sind äußerst düster und haben mit dem Untergang unserer modernen Zivilisation zu tun. Und keine von diesen gefällt mir besonders gut. Es könnte aber auch genauso gut gar nichts passieren.«

»Aber das glauben Sie nicht, oder? Ich meine, dass gar nichts geschehen wird?«, hakte die alte Kronenberg nach. Sie wollte von Anna hören, dass sie begierig darauf war, das Rätsel um die Sieben Heimsuchungen zu lüften.

»Nein, das glaube ich in der Tat nicht. Dafür habe ich einfach schon zu viel erlebt. Ich habe eine Menge in meiner aktiven Zeit als Medium gesehen. Ich weiß, dass es Dinge gibt, die sich unserem Verständnis von Raum und Zeit entziehen. Ich weiß, dass der Tod nicht das Ende ist. Und ich weiß, dass es parallel zu unserer Welt noch eine Welt gibt. Eine Welt, die wir vielleicht nur dann betreten und eventuell auch verstehen werden, wenn wir selbst eines Tages sterben.«

Frau Kronenberg nickte langsam. Sie hatte Anna mit Faszination zugehört. Sie war hundertprozentig davon überzeugt, dass Anna die einzige Person war, die der Aufgabe in Nimtow gewachsen war. »Ich bin neugierig«, begann sie. »Jeder weiß, was er sich unter einem Geist vorstellen soll. Doch was sind Geister eigentlich? Mich würde Ihre persönliche Meinung dazu interessieren. Ihre Interpretation auf Basis Ihrer langjährigen Erfahrung.«

Anna überlegte lange, ehe sie antwortete. »Ich denke, Geister sind eine besondere Form von Erinnerungen, die nicht mehr wissen, wo ihr Zuhause ist.

Ja, ich denke, das trifft es ganz gut.«

Die Kronenberg lächelte. Ihr schien diese Interpretation zu gefallen. Das war der Moment, in dem sich Anna zum ersten Mal bei ihrem Treffen fragte, welches Interesse ihre Auftraggeberin eigentlich an der ganzen Sache hatte. Doch ehe sie sie danach fragen konnte, überrumpelte Kronenberg sie mit einer faustdicken Überraschung. Eine Überraschung der unangenehmen Art.

 

Das Siebte Symbol

 

»Es gibt noch eine Gemeinsamkeit zwischen den betreffenden Geisterheimsuchungen. Eine Gemeinsamkeit, von der niemand etwas weiß. Auch Sie nicht.«

Anna machte große Augen. Sie wusste alles über diese Heimsuchungen. Alles! Über diese speziellen und über tausend andere. Reflexartig empfand sie es als anmaßend, dass diese Kronenberg glaubte, mehr in Erfahrung gebracht zu haben als sie.

»Das bezweifle ich«, stieß sie hervor. Aber dann rief Anna sich ins Gedächtnis, dass sie lange Zeit ihre Profession nach dem Tod ihres Mannes und ihres Sohnes an den Nagel gehängt und sich keine Sekunde mehr mit der Thematik beschäftigt hatte. »Was soll das für eine Gemeinsamkeit sein?«

»An jedem der betroffenen Orte wurden Symbole gefunden.«

»Symbole? Wer soll die gefunden haben?«

»Ich habe die Orte, an denen der Spuk stattgefunden haben soll, alle gründlich untersuchen lassen.«

Anna war fassungslos: »Sie haben was? Was für ein Aufwand! Das muss ja ein Vermögen gekostet haben!«

Frau Kronenberg zuckte mit den Achseln. »Wie Sie sicherlich schon bemerkt haben, ist mein Interesse an diesen Vorkommnissen nun mal intensiv. Und darüber hinaus bin ich in der privilegierten Lage, mir solche 'Unternehmungen' leisten zu können. Ich stamme aus einer alten Industriellenfamilie, müssen Sie wissen.«

Das hatte sich Anna schon gedacht. Aber das interessierte sie gar nicht. Sie wollte mehr über die angeblichen Symbole erfahren. Sie sah die alte Dame auffordernd an, ihr Wissen nicht länger für sich zu behalten.

»Ich wusste natürlich vorher auch nichts über die Symbole. Ich ließ die angeblichen Spukorte intensiv untersuchen, unter der Prämisse, Gemeinsamkeiten zu finden. Gemeinsamkeiten, die ein weiterer Beleg dafür sein könnten, dass die entsprechenden Geisterheimsuchungen tatsächlich miteinander in Verbindung stehen. Und siehe da: Wir haben sechs Symbole gefunden. Ich habe aber leider bis heute nicht herausfinden können, was sie bedeuten.«

»Wenn das wahr ist«, murmelte Anna und sprach dabei mehr mit sich selbst als mit der alten Dame, »dann muss es hier im Havelland ein siebtes Symbol geben, vorausgesetzt, es handelt sich tatsächlich um die siebte und letzte Heimsuchung.«

Frau Kronenberg strahlte, als sie in Annas Augen ihre Begeisterung sah. Sie wusste, dass sie sie jetzt an der Angel hatte. »So ist es, mein Kind. Ich gebe Ihnen die Möglichkeit, das siebte und letzte Symbol zu finden - den letzten Schlüssel, der das Rätsel um die Sieben Heimsuchungen lüften wird.«

»Aber warum gerade ich? Ich weiß, Sie haben gesagt, Sie seien von meinen Fähigkeiten überzeugt. Aber Sie haben doch schon jemand anderes nach den Symbolen an den ersten sechs Orten suchen lassen; mit Erfolg. Ich weiß ja nicht einmal, wonach ich suchen muss.«

»Ich habe Sie ausgewählt, weil Sie es verdient haben. Und weil ich nur noch sehr wenigen Menschen vertrauen kann. Denn ich bin nicht die Einzige, die das Geheimnis über die Sieben Heimsuchungen lüften will. Es gibt nicht wenige Fanatiker da draußen, die buchstäblich alles dafür tun würden, sich mein Wissen darüber anzueignen. Die Symbole, die ich bereits habe, kann ich Ihnen deshalb nicht zeigen. Es wäre zu gefährlich. Ich verwahre sie an einem sicheren Ort. Sie würden Ihnen aber auch nichts nützen, denn es gibt zwischen den sechs Symbolen keinerlei Gemeinsamkeiten. Das siebte Symbol wird da keine Ausnahme machen. Ich weiß nicht, wie es aussehen wird. Ich weiß aber, dass Sie es finden werden. Ich weiß es.«

Frau Kronenberg sah Anna so eindringlich und entschlossen an, dass sie für einen Moment nicht wusste, ob sie sich geehrt fühlen sollte, oder ob sie sich vor ihr fürchten sollte. Denn, in Anbetracht dessen, was die alte Dame bislang aufgewendet hatte, um das Rätsel über die Sieben Heimsuchungen zu lösen, wirkte sie auf Anna kaum weniger fanatisch, als diejenigen, die ihr angeblich zuvorkommen wollten.

»Zögern Sie nicht länger«, setzte Frau Kronenberg nach. »Ergreifen Sie die Chance, die ich Ihnen biete!«

Alles in Anna wollte das siebte Symbol finden. Sie wollte endlich wieder etwas tun, das ihr wichtig war. Sie wollte an etwas Bedeutsamem teilhaben. Was wäre besser geeignet, als die siebte Heimsuchung zu enthüllen? Anna wusste, dass es immer noch dutzende Geisterjäger, Medien, Abenteurer und auch Forscher des Paranormalen auf der ganzen Welt gab, die alles dafür geben würden, die Siebte Heimsuchung miterleben zu dürfen. Sie war für jene Menschen so etwas wie der Heilige Gral.

Gleichwohl war sie sich der Risiken bewusst. Die Siebte Heimsuchung, so hieß es, sei die gefährlichste von allen. Aber das waren nur Gerüchte. Niemand konnte sagen, was wirklich passieren würde. Doch das war es nicht, was Anna zögern ließ. Vielmehr bereitete ihr Sorgen, dass sie schon seit einigen Jahren keine einzige Geisterbeschwörung mehr durchgeführt hatte. Ihr Kontakt mit dem Reich der Toten, jenseits des Schleiers der Lebenden, war seit dem Tod ihres Sohnes Robert und ihres Mannes Joachim komplett abgebrochen. Sie wollte nichts mehr mit den ruhelosen Seelen zu tun haben. Mit Sicherheit auch deshalb, weil sie Angst davor hatte, die Geister von Joachim oder Robert würden ihr erscheinen. Denn dies wäre etwas, das auf keinen Fall geschehen durfte. Es war für Menschen wie Anna, die als Medium für die Geisterwelt fungierten, so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz, niemals mit den Toten von nahen Verwandten in Kontakt zu treten. Mit den Geistern Fremder umzugehen, war schon schwierig genug. Aber bei Verwandten war dies ein äußerst gefährliches Unterfangen, das schnell eskalieren konnte. Denn diese Geister wussten um die Schwächen des Angehörigen. Sie ließen sich nicht so einfach abschütteln und konnten nicht selten furchtbar gemein und verletzend werden. Sie konnten einen im schlimmsten Fall sogar in den Tod treiben.

Anna schüttelte den Kopf, als sie diesen Gedanken schnell wieder loswerden wollte. Nein, ihr würde das nicht passieren. Sie war vorsichtig. Und außerdem war der Tod von Robert und Joachim schon viele Jahre her. Und seitdem war nie irgendetwas Paranormales, das mit ihrem Tod im Zusammenhang gestanden hätte, passiert.

Sie wollte es. Sie hatte immer gewusst, dass sie eines Tages mit der Vergangenheit abschließen musste, wenn das Leben für sie noch einen Sinn haben sollte. Und dieser Tag sollte heute sein. Sie würde sich endlich wieder einer Sache widmen können, die sie vielleicht nicht vergessen, die sie aber aus ihrem Teufelskreis der düsteren Gedanken und des Selbstmitleids befreien würde. Sie brauchte wieder eine Aufgabe. Ja, sie wollte es. Und wer weiß? Wenn es sich wirklich um die Siebte Heimsuchung handeln sollte, die in ihren Augen mehr war als eine bloße Legende, dann würde sie sogar an etwas teilhaben dürfen, das ihren Horizont erweitern würde. Denn Anna wusste, nein, sie war mit jeder Faser ihres Körpers davon überzeugt, dass am Ende der prophezeiten letzten Heimsuchung etwas Besonderes geschehen würde. Etwas Großes. Etwas, dass alles ändern könnte, das sie über diese und über die jenseitige Welt zu wissen glaubte.

»Na schön«, sagte sie. »Sie haben mich, Frau Kronenberg.«

»Ausgezeichnet!« Die alte Dame strahlte, und dabei wirkte ihr Gesicht für einen kurzen Augenblick so eigenartig verzerrt, dass Anna glaubte, Frau Kronenberg müsste weit über neunzig Jahre alt sein. Als sie sie das erste Mal erblickt hatte, hatte sie sie auf Anfang siebzig geschätzt.

»Also mein Kind, dann lassen Sie mich erklären, was ich für Sie vorbereitet habe.« Sie holte einen Schlüssel aus ihrer Handtasche hervor. »Dies ist der Schlüssel zu dem Apartment, das ich in Nimtow für Sie reserviert habe. Und zwar für den ganzen Sommer. Wir wissen schließlich nicht, wie lange Ihr Aufenthalt dauern wird.«

Anna holte Luft, um zu intervenieren und der alten Kronenberg klarzumachen, dass sie nicht ewig zur Verfügung stehen und sie sich schon gar nicht vorschreiben lassen wollte, wie lange sie für sie arbeiten würde. Aber dann sagte sie doch nichts, denn sie hatte ja eigentlich nichts anderes vor. Den Sommer hier im Havelland zu verbringen, einem Ort der Stille und der Ruhe mit einzigartigen Naturlandschaften, das war eine verlockende Vorstellung. Warum also sich dagegen wehren?

»Die Vermieterin des Apartments betreibt eine kleine Ferienanlage. Sie ist meine Nichte, daher brauchen Sie sich um nichts zu kümmern. Ich habe das Finanzielle bereits geregelt.«

»Apropos Finanzielles«, begann Anna.

Frau Kronenberg machte eine Geste, die deutlich machen sollte, dass sie verstanden hatte. Sie holte einen kleinen Notizblock hervor und schrieb zwei Zahlen auf das oberste Blatt. Dann riss sie den Zettel ab und gab ihn Anna.

»Der erste Betrag ist Ihr Vorschuss. Der zweite ist Ihre Entlohnung im Falle eines Erfolgs Ihrer Suche.«

Als Anna die Zahlen sah, wurden ihre Augen langsam größer und größer. Sie ertappte sich dabei, wie sie wiederholt die Stellen zu zählen begann. Und das nur bei der ersten Zahl, dem Vorschuss.

Das muss ein Irrtum sein, dachte sie. Die Frau muss verrückt sein.

Mit ihren geweiteten Augen sah sie Frau Kronenberg fragend und mit einer Spur von Entsetzen an.

»Nein, nein. Das ist kein Irrtum«, erriet die alte Frau Annas Gedanken. »Wie ich bereits sagte, ist mein Interesse an der siebten Heimsuchung erheblich.«

»Ja, aber das kann Ihnen doch unmöglich so viel wert sein«, stammelte Anna fassungslos.

»Ich kann es mir leisten. Und ich weiß, dass Sie die Beste sind. Und von der Besten erwarte ich auch eine Bestleistung. Ich hoffe, dass dies ein weiterer Ansporn für Sie sein wird, alles zu tun, um die Existenz der siebten Heimsuchung zu bestätigen und das siebte Symbol zu finden.«

Alles zu tun?, wiederholte Anna in Gedanken. Was meint sie damit?

Zunächst war ihr Frau Kronenberg nicht ganz geheuer, doch nun, nach dem wiederholten Studium des Zettels mit den beiden Geldbeträgen, machte ihr die alte Frau unweigerlich Angst. Kronenberg entging dies nicht. Also fügte sie hinzu: »Den Vorschuss habe ich bereits auf Ihr Konto überweisen lassen. Sie könnten nachsehen, wenn Sie wollen.«

Anna hielt inne und runzelte die Stirn. Sie wollte es zunächst nicht tun, doch dann nahm sie ihr Smartphone zur Hand und sah in ihrer kürzlich angelegten Banking-App nach. Und tatsächlich. Das Geld war bereits überwiesen. Dabei hatte Anna ihr gar nicht ihre IBAN gegeben.

Als sie wieder von dem kleinen Display aufblickte, grinste die Kronenberg zufrieden. Jetzt wirkte sie nicht mehr so merkwürdig angsteinflößend.

Das Geld konnte Anna verdammt gut gebrauchen. Trotzdem blieb sie misstrauisch.

»Muss ich Sie fragen, wie Sie an meine IBAN geraten sind?«

»Ich versichere Ihnen, dass ich alles, was ich über Sie in Erfahrung gebracht habe, streng vertraulich behandeln werde. Und was diesen und den zweiten Betrag angeht, werden Ihnen meine Steuerberater nach bestem Wissen und Gewissen mit Rat und Tat zur Seite stehen.«

Na klar. So jemand wie diese Frau hat nicht nur einen, sondern gleich eine ganze Armee von Steuerberatern, dachte Anna.

Sie sagte eine Weile nichts. Das war alles zu schön, um wahr zu sein.

»Wo ist der Haken?«, fragte sie dann. Und sagen Sie mir bitte nicht, es gäbe keinen.«

»O, natürlich gibt es einen Haken. Und ich denke, Sie wissen, was ich meine.«

»Nein, weiß ich nicht. Sagen Sie es mir.«

Die alte Dame machte ein ernstes Gesicht. In ihren Augen leuchtete etwas Dunkles auf, das Anna einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ.

»Die Toten sind der Haken. Diejenigen aus dem Jenseits, die kein Interesse daran haben, dass den Lebenden Wissen aus dem Reich der Toten zuteil wird. Wissen, wie die Symbole von den Spukorten, die ein Geheimnis bergen, das für keinen Lebenden bestimmt ist.«

»Woher glauben Sie, dass die Lebenden nicht davon erfahren sollen? Ich meine, irgendjemand, oder besser gesagt, irgendetwas hat die Symbole doch bewusst hinterlassen, um damit in unserer diesseitigen Welt eine Botschaft zu hinterlassen. So habe ich Sie jedenfalls verstanden, als Sie mir von den Symbolen erzählt haben.«

»Ob Sie es glauben oder nicht, mein Kind, ich beschäftige mich mit dieser Thematik schon wesentlich länger als Sie. Kein Wunder, ich bin ja auch bestimmt mehr als doppelt so alt wie Sie«, meinte Frau Kronenberg mit einem Lächeln, das warm und herzlich wirkte, so dass Anna verunsichert war, wie sie die alte Dame eigentlich einschätzen sollte.

»Ich habe in meinem langen Leben jedes Buch gelesen, jeden Philosophen, Experten und unzählige Augenzeugen über Beschwörungen von Geistern und über die Existenz des Totenreichs befragt. Und meine Schlussfolgerung bezogen auf die Sieben Heimsuchungen und die jeweils hinterlassenen Botschaften in Form der Symbole lautet: Jemand spielt falsch im Reich der Toten.«

»Was meinen Sie damit?«, fragte Anna fasziniert und erstaunt zugleich.

»Jemand will eine Nachricht aus dem Totenreich schmuggeln. Die Heimsuchungen finden nur deshalb statt, weil die Geister genau dies verhindern wollen. Doch jedes Mal ist es gelungen, dass ein Symbol in unserer Welt zurückblieb. Die Geister werden Ihnen also im Weg stehen, mein Kind, bei Ihrer Suche nach dem letzten Symbol. Und dies ist ein weiterer Grund, warum ich Sie damit beauftrage. Denn ich weiß, dass Sie mit den Jenseitigen umgehen können. Auch wenn die Geister aggressiv sein werden. Und ich bin mir sicher: Sie werden auf Widerstand aus der Geisterwelt stoßen. Seien Sie darauf gefasst.«

Anna hatte für einem Moment den Eindruck, sie würde einer nicht sonderlich guten Schauergeschichte lauschen. Sie hatte dutzende Beschwörungen durchgeführt. Bei einigen hatte sie es in der Tat mit wahrhaft teuflischen Poltergeistern zu tun gehabt, die nichts unversucht ließen, einen in die Flucht zu treiben. Aber immer war sie standhaft geblieben. Natürlich hatte sie nicht selten Angst gehabt - das war Teil ihrer Arbeit. Ein gewisses Maß an Angst war sogar notwendig, um nicht übermütig zu werden und unnötige Risiken einzugehen. Die Worte der alten Kronenberg beeindruckten sie daher wenig. Anna wusste ganz genau, worauf sie sich einließ. Sie wusste, wie man mit denjenigen aus dem Jenseits umzugehen hatte.

»Ich glaube, ich kann ganz gut auf mich aufpassen«, sagte sie schließlich.

»Das weiß ich doch. Sonst hätte ich Sie mit dieser Aufgabe nicht betraut. Seien Sie trotzdem vorsichtig.«

»Das bin ich, keine Sorge.«

»Und... Ich muss das sicherlich nicht extra erwähnen, aber es versteht sich von selbst, dass Sie mit niemandem über den wahren Grund ihres 'Urlaubs' im Havelland sprechen dürfen.«

»Das war mir schon klar. Machen Sie sich darüber keine Gedanken.

Wie kann ich Sie erreichen, wenn ich Sie über meine Fortschritte informieren möchte?«

»Gar nicht. Ich werde mich gelegentlich bei Ihnen melden. Sie haben ein Telefon in Ihrem Apartment. Und Ihre Mobilfunknummer habe ich auch.«

Anna konnte es sich nicht verkneifen, das Gesicht zu verziehen. Sie fand diese Geheimniskrämerei ihrer Auftraggeberin albern.

»Ich weiß, was Sie jetzt denken, mein Kind. Aber glauben Sie mir. Vorsicht ist absolut unerlässlich. Ich will nicht, dass irgendjemand auf unser Vorhaben aufmerksam wird. Es könnte zu gefährlich werden.«

»Gefährlich? Übertreiben Sie da nicht ein wenig?«

»Nein, das tue ich nicht. Mir sind Leute auf der Spur. Leute, die über mehr Mittel als ich verfügen und dennoch hinter mir her hinken. Ich rede von Leuten, die keine Skrupel kennen. Wer weiß, was die sich von der siebten Heimsuchung versprechen? Sie würden alles dafür tun, das Geheimnis zu lüften.«

»Also gut. Ich werde vorsichtig sein. Haben Sie einen Tipp für mich, wo ich mit meiner Untersuchung anfangen kann, in Nimtow, meine ich?«

»Allerdings. Sie sollten eine Frau Germens besuchen. Ich habe sie schon darüber informiert, dass Sie bald bei ihr vorbeischauen würden.«

»Was hat diese Frau für ein Problem?«

»Sie bekommt in letzter Zeit regelmäßig Besuch von ihrem ehemaligen Mann.«

»Besuch von ihrem Ex-Mann? Inwiefern fällt das in mein Fachgebiet?«

Frau Kronenberg lächelte wissend. »Das kann ich Ihnen sagen: Ihr Mann ist schon seit über fünf Jahren tot.«

 

Ungebetener Besuch

Nimtow war ein typisches Straßendorf, von denen es hunderte in Brandenburg gab. Wenn man hierher wollte und nicht aufpasste, konnte man mit dem Auto den Ort innerhalb von 45 Sekunden durchqueren und hatte danach den Ort schon verlassen. Die Hauptstraße verlief in einem Abstand von knapp hundert Metern parallel zur Havel und lag - genau wie der gesamte Ort - etwa zehn bis fünfzehn Meter über dem Wasserspiegel des Flusses.

Anna war so aufgeregt, dass sie tatsächlich schon das Ortsausfahrtschild in Sichtweite bekam, bevor sie ihr Ziel gefunden hatte.

---ENDE DER LESEPROBE---