Physica - Hildegard von Bingen - E-Book

Physica E-Book

Hildegard Von Bingen

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Wir haben es also in der Physica mit einem Werk von eminenter Bedeutung zu tun, dessen hoher Wert auf verschiedenen Gebieten liegt. Als materia medica bietet sie weder dem Arzte noch dem Pharmazeuten eine praktische Unterlage — es liegen fast 800 Jahre zwischen damals und jetzt —, aber sie ist, wie anfangs angedeutet, als Kompendium der Volksmedizin, als eine aus dem Volksgebrauche geschöpfte heimische Heilmittellehre, da, mit einigen Ausnahmen, sämtliche Mittel deutschen Ursprungs sind, ein wertvolles historisches Denkmal ihrer Zeit. Ferner findet der Naturforscher, in erster Reihe der Botaniker, hier die ersten rohen Anfänge vaterländischer Naturforschung und eine für jene Zeit bewunderungswürdige Erkenntnis der Natur. Inhaltsverzeichnis Vorrede Liber primus Liber secundus – De Elementis Liber tertius — De Arboribus Liber quartus (tertius) — De Lapidibus (Fehlt in der A. A.) Vorrede Liber quintus — De Piscibus Liber sextus (quintus) — De Avibus Vorrede Liber septimus — De Animalibus Vorrede Liber octavus (septimus) Vorrede Liber nonus — De Metallis Vorrede — De genere Metallorum

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Die Physica

 

 

 

Hildegard von Bingen

 

Hinweis: Dieses Buch dient nur der Erkenntnis und Forschung

 

 

 

 

Impressum

 

 

Umschlaggestaltung: Verlag Heliakon

Bild Cover: Pixabay (Devanath)

Übersetzung Julius Berendes

 

Herstellung: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

 

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über-setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Inhaltsverzeichnis

 

 

Inhaltsverzeichnis

Vorrede

Liber primus

Liber secundus – De Elementis

Liber tertius — De Arboribus

Liber quartus (tertius) — De Lapidibus (Fehlt in der A. A.)

Vorrede

Liber quintus — De Piscibus

Liber sextus (quintus) — De Avibus

Vorrede

Liber septimus — De Animalibus

Vorrede

Liber octavus (septimus)

Vorrede

Liber nonus — De Metallis

Vorrede — De genere Metallorum

Einleitung

 

 

Mit der Betrachtung der Physica der heiligen Hildegard begeben wir uns in das zwölfte Jahrhundert, eine für die deutsche Wissenschaft, wie für die Arzneikunde insbesondere recht leere und unfruchtbare Periode. Während in Italien die Unitas Hypocratica, Salerno, in Frankreich die Universität zu Paris in schönster Blüte stand, hatte Deutschland außer einigen Dom- und Klosterschulen keine eigentlichen höheren Bildungsstätten aufzuweisen. Um so höher ist daher der Wert des Werkes anzuschlagen, welches als ein ehrwürdiges Denkmal des Altertums, der Arzneimittellehre und einer für die damalige Zeit nicht gewöhnlichen Naturkenntnis, ja, in seiner eigenen Art wie eine duftende Blüte unter dem Unkraute der damaligen medizinischen Literatur hervorragt. Professor F. A. Reuss gebührt das Verdienst, dies seltene Werk zuerst gewürdigt zu haben.

Die Verfasserin, die heilige Hildegard, wurde geboren im Jahre 1099 zu Bechelheim, auf dem linken Nahufer; ihr Vater, der ritterliche Hildebert, Vasall des Grafen Meginhard und die Mutter Mechthilde oder Mathilde erkannten früh den nur auf das Höhere gerichteten Sinn der Tochter und gaben das von Natur schwächliche Kind, acht Jahre alt, in das Kloster der Benediktinerinnen auf dem Disibodenberge (mons sancti Disibodii), wo sie von der Äbtissin Jutta für den Ordensstand erzogen wurde. Der Unterricht dehnte sich jedoch nicht auf weltliche Wissenschaften aus, sondern beschränkte sich auf das Lernen der Evangelien und der heiligen Schrift, auf das Lesen und Absingen von Psalmen und geistlichen Liedern. Hier nahm sie später den Schleier und wurde 1136 nach dem Tode Juttas zur Äbtissin des Klosters gewählt. Ihre Demut und Frömmigkeit, ihr gottseliges und opferfreudiges Leben, die Strenge, welche sie trotz ihrer schwachen, oft durch schwere Krankheiten getrübten Gesundheit gegen sich selbst übte, verschafften ihr nicht allein die Hochachtung und Verehrung ihrer Mitschwestern, sondern sehr bald den Ruf besonderer Heiligkeit. Schon in früher Jugend hatte sie wunderbare Visionen, welche sie anfangs in ihrem Herzen verschloss, später aber auf höhere Anweisung niederschrieb oder niederschreiben ließ.

Im Jahre 1148 gründete sie ein neues Kloster auf dem Rupertsberge bei Bingen am Rhein, an dem ihr in einer Vision bezeichneten Orte und bezog dasselbe als Äbtissin mit noch anderen achtzehn vornehmen Jungfrauen. Hier wirkte sie im Geiste ihres Ordensstifters, gründete mehrere Tochterklöster, welche sie wiederholt besuchte. In diese Zeit fällt wohl auch die Abfassung ihrer meisten Schriften, des „Scivias“ (sci vias Domini) genannten Werkes, oder „Visiones“ des „Liber divinorum operum simpliceis hominis“ und der für uns wichtigen „Physica“. Außerdem besitzen wir von ihr einen ausgedehnten Briefwechsel mit Kaiser Friedrich und Konrad, mit dem hl. Bernhard von Clairvaux, mit den Päpsten Eugen, Anastasius, Hadrian, Alexander, mit vielen Erzbischöfen und Bischöfen, Weltgeistlichen, Mönchen und Nonnen, welche, durch den Ruf ihrer Heiligkeit bewogen, sich an sie wandten und ihren geistlichen Rath erbaten. Die Antworten sind oft in erhabenen Gleichnissen, keineswegs aber in schmeichelhaft unterwürfigem Tone abgefasst, da aber, wo sie sich im Gewissen gedrängt fühlte, mit strenger Zurechtweisung und ernster Mahnung an die Standespflichten. Ihr äußerlich so ruhig dahinfließendes, im Inneren aber desto mehr bewegtes Leben beschloss Hildegard am 17. September 1179 in ihrem Kloster auf dem Rupertsberge bei Bingen, daher sie auch oft Sancta Hildegardis de Pinguia genannt wird.

Ihre sterblichen Überreste wurden vor dem Hochaltar der Klosterkirche beigesetzt und waren bald beim Volk ein Gegenstand großer Verehrung. Der Kanonisationsprozess begann unter dem Papste Gregor IX. im Jahre 1233. (Reuss sec. Acta ex M. 8. Bödecensis coenobii Regularium Augustini dioecesis Paderborn.)

Die Schriften unserer Verfasserin sollen vorwiegend das Ergebnis ihrer Visionen sein; wie viele und welche von ihnen echt sind, darüber ist hin und wieder gestritten, uns interessiert diese Frage nur betreffs der Physica. Es ist hier allerdings nicht der Ort, ihre Werke geistlichen Inhalts zu erörtern, nur das möchte ich bemerken: beim Lesen derselben kann man sich dem Eindrucke nicht verschließen, dass dieselben ein kostbares altehrwürdiges Dokument darstellen, in der die hl. Hildegard, ausgestattet mit der Gabe der Weissagung, die Heilswahrheiten mit einer Glaubensinnigkeit und Liebe zu ihrem Heiland und seiner Kirche wenn auch unter mystischem Schleier, in oft geradezu großartigen Bildern darlegt, sodass man aus dem Staunen und der Bewunderung nicht herauskommt, um so mehr, als die Worte nur aus reinem Herzen und ungelehrtem Frauenmunde stammen.

Die Abfassung der Physica fällt in die Zeit von 1150 bis 1160; ihre Authentizität lässt sich nicht bezweifeln, denn:

1. die hl. Hildegard selbst bezeichnet sie als von ihr herrührend in ihrem Werke liber vitae meritorum (in cod. Wiesbad. ανεϰδὀτω) mit den Worten: Eadem visio subtilitates diversarum creaturarum naturarum (die andere Benennung der Physica) mihi ad explanandum explicavit.

2. Zeitgenossen der Heiligen und kurz nach ihr Lebende bezeugen, dass sie die kodizes der Physica auf dem Rupertsberge gesehen haben, so unter Anderen Bruno, Canonicus ad S. Petrum in Strassburg; der Mönch und Geschichtsschreiber des 13. Jahrhunderts Alberich (Reuss p. 11283). Matthaeus von Westmünster 1292 erwähnt gleichfalls die medizinischen Werke der hl. Hildegard: Atque librum simplicis medicinae secundum creationem, octo libros continentem etc. Der Mönch Richerius zu Sens, ein Schriftsteller des 13. Jahrhunderts, sagt in Chronico Senonensi lib IV, cap. 15: Ante hos annos fere triginta fuit in inferioribus Alemanniae partibus sanctimonialis quaedam inclusa sanctissimae conversationis et vitae, Hildegardis nomine, cui Deus etc.. .. Sceripsit etiam librum mediciualem ad diversas infirmitates, quem ego Argentinae (Strassburg) vidi.“ (Vgl. Reuss pag 74.)

3. In den Akten des im Jahre 1233 begonnenen Kanonisationsprozesses heißt es bei Aufzählung der Schriften: Librum (seripsit) simplicis m edicinae und weiter unten wird ein liber compositae medieinae erwähnt. Auch Trithemius (von 1462 bis 1519, war um 1483. Abt im Kloster zu Spanheim und schrieb die Chronik der Benediktinerabtei Hirschau in Schwarzwald) der sich eine Abschrift von dem Rupertsberger Manuskripte machen ließ, (Nos vero ceuncta seripta non solum legimus in originalibus libris, qui sunt in ejus monasterio apud Bingios repositi. sed fecimus etiam pro nobis resceribi, cum adhuc monasterio praesideremus 1. Martini in Spanheim) schreibt Hildegard ein Buch von den einfachen und eins von den zusammengesetzten Heilmitteln zu, „volumen simplicis medicinae, opus naturale multumgque mirabile, librum unum, aliud compositae medieinae librum unum.“ Diese Bezeichnungen tun der Sache keinen Abbruch, denn es war Jahrhunderte lang allgemeiner Brauch, die medizinischen Werke in diesem Zuschnitt abzufassen. Die Physica enthält ja auch eine große Zahl oft sehr komplizierter Zusammensetzungen, sie mag ja dann als liber simplicis et compositae medicinae bezeichnet sein, woraus später leicht liber simplicis medicinae et liber compositae mediceinae entstand. Dabei ist zu bedenken, dass Trithemius, wo es sich um außertheologische Sachen handelt, nicht immer sehr genau ist; übrigens drückt er sich (in Chronic., Hiersaugiens pag. 175) so aus: In libris medicis mirabilia multa et secreta naturae subtili expositione ad mysticum sensum refert ut nisi a spiritu sancto talia femina (scil. Hildegardis) scire posset. (Conft. Reuss Prolegom. et Adnotat.) Wie sich ihr Biograf und Zeitgenosse Theodoricus ausspricht, werden wir weiter unten sehen,

4. Sprache und Stil in der Physica sind dieselben, wie in den anderen Schriften; wer nur einen flüchtigen Blick in dieselben wirft, kann sich der Überzeugung nicht erwehren, dass die eine wie die andere von demselben Verfasser herrührt; besonders deutlich zeigt dies ein Vergleich mit dem liber divinorum operum hominis. So heißt es z. B. Unter Nr. 67.: „Sed cor ventrem etiam calefacit, jecurque confirmat. et pulmo (nem) humectat, ita ut ille receptionem ciborum usque ad egestionem conservet, sicut ut supra demonstratus aer viriditatem, calorem et humiditatem omnium germinantium fructuum usque ad maturitatem ipsorum perducit.“ In dem Briefe an den Erzbischof von Trier, Hellinus, sagt die Verfasserin: „Tempus hoe nec fregidum nec calidum est“, im Antwortschreiben an Adalbert, den Bischof von Verdun: „Provide ergo hortum illum, quem divinum donum plantavit, et cave ne aromata illius sint arida, sed ab eis putredinem absceinde et eam foras mitte, quae utilitatem illorum suffocat. Et sic fac ea virescere.“ Nicht allein die eigentümlichen Ausdrücke, wie viriditas, virescere, putedro, aridus, sondern auch die Redeweisen, wie ventrem calefacit, ad. maturitatem perducere, nec frigidum nec calidum est, usw., begegnen uns in den meisten Kapiteln der Physica.

5. Von denen, welche die Autorschaft der hl. Hildegard anzweifelten, war Simler der erste. (Biblioth. C. Gesneri in compend. red.) Er unterschied nämlich eine hl. Hildegard de Pinguia als Verfasserin der Physica von der Hildegard, Äbtissin des Klosters auf dem Rupertsberge; es war ihm nicht bekannt, dass das Rupertsberger-Kloster bei Bingen liegt. Der Grund des Zweifels beruht also einfach auf einem Irrtum.

6. Andere vermissen das Hinweisen auf die Physica in den anderen Schriften der Verfasserin. Dazu ist zu bemerken, dass die übrigen Werke der hl. Hildegard rein theologisch-mystischen Inhaltes sind, die Briefe aber nur Gewissensfragen behandeln, Verhaltungsregeln und geistliche Vorschriften geben, usw., die Verfasserin hatte also gar keine Gelegenheit und Veranlassung, auf das medizinische Werk sich zu berufen; übrigens lassen sich unzweideutige Beziehungen, sogenannte Parallelstellen, wie bereits hervorgehoben, nicht verkennen.

7. Auch betonen einige Gegner das Vorkommen so mancher, einer heiligen Frau nicht geziemender, angeblich obszöner Ausdrücke. Die ehrwürdige Verfasserin schrieb ein medizinisches Werk, eine Arzneimittellehre nach damaligem Zuschnitt, sie gibt die Mittel an und die Krankheiten und Zustände, gegen welche dieselben angewandt werden sollen. Wenn dabei die natürlichsten Dinge und Vorkommnisse, selbst solche, welche am liebsten die Schwelle der Kemnate nicht überschreiten, in einfacher Weise, in dezenten Worten besprochen werden, so ist das nur sachgemäß und selbstverständlich, es ist doch ein Buch, welches nicht für den Lesetisch im Salon berechnet ist. Überdies war man zu damaliger Zeit in der Wahl der Ausdrücke nicht so ängstlich wie heutzutage. Sehen wir uns aber einmal diese verpönten Ausdrücke an, so empfiehlt sie einige Pflanzen ad opprimendam libidinem, contra incontinentiam, in libidine, contra inebrietatem, ad movenda menstrua juvenculae, ad menstrua, quae injusto tempore operantur, ad sterilitatem et impotentiam (nur an einer einzigen Stelle), ad lenitatem partus — also eine Reihe von Mitteln gegen Fehler, deren Bekämpfung und Beseitigung einer Klosterfrau wohl ansteht. Betrachtet man dagegen die Unzahl von Aphrodisiaka der römischen und arabischen Schriftsteller, welche offen und versteckt das Laster begünstigen, z. B., bei Oribasius und seinen Exzerptoren: Bei Coloquinta trita: … praegnantium foetus discutiunt, bei Satyrion: si quis venerem non poterit adire. tere cum piperis granis, etc., bei Bratea (Sabina): potu vinum in utero corrumpit foetum, usw., so erscheint die heilige Hildegard solchen Autoren gegenüber geradezu wie eine Ruferin in der Wüste.

8. Endlich kann man einwerfen: Wie ist es möglich, dass die gottbegnadete, von Kaisern und Königen, Päpsten und Bischöfen so hoch verehrte und von der Kirche heilig gesprochene Verfasserin in ihren Vorschriften sich mit so viel abergläubischen Dingen abgeben konnte? Sehen wir zu, wie es um diesen sogenannten Aberglauben steht.

„Der Aberglaube“, sagt Simar, Bischof von Paderborn, in seinem vorzüglichen Werkchen: Der Aberglaube von Dr. Theophil Simar, Professor der kath. Theologie an der Universität zu Bonn, „ist seinem Wesen nach nichts Anderes, als eine vernunftwidrige Übertragung göttlicher Vollkommenheiten auf das Geschöpf oder doch ein solches Verhalten gegen dasselbe, welchem jene Übertragung ausdrücklich oder stillschweigend als Voraussetzung dient“. Dieser krasse Aberglaube ist als Ausfluss des Heidentums, des Pan- oder Polytheismus, ein direkter Feind des Christentums und jeder christlichen Denkweise. Er beruht auf den finsteren Wahnverstellungen und dem Missbrauch einer entarteten Fantasie und offenbart sich hauptsächlich in zwei Formen, der Wahrsagerei und Zauberei mit ihren nichtswürdigen Betörungen und angeblichen Wunderwirkungen. Zu diesen kommt eine dritte Form, im Grunde mehr harmloser Natur, welche auf Meinungen, Vorstellungen und Handlungen sich bezieht, die ebenso grundlos sind, als sie trotzdem zähe und gedankenlos im Volke sich eingebürgert haben, z. B. die sogenannten Vorzeichen, die Annahme von guten und schlechten Tagen für Unternehmungen (Montag und Freitag), die Abneigung gegen die Zahl 13, die Anwendung von sympathetischen Mitteln, auch der Spiritismus gehört hieher. Es hieße aber in der Tat den Teufel an die Wand malen, wollte man diese letztere Art Aberglauben auf eine Stufe stellen mit dem ersteren, mit dem durch finstere Mächte beeinflussten Treiben, welches zu den schauderhaften Hexenprozessen, dem Schandmal des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, der schmachvollen Verirrung einer christlichen Zeit, die traurige Veranlassung gegeben hat. Gerade dieser Aberglaube hat wegen seiner, der Wechselwirkung von Seele und Körper so sehr zusagenden und sich daher leicht einbürgernden Form zu allen Zeiten und bei allen Völkern, speziell in der Medizin eine große Rolle gespielt, wie ich dieses in der Pharmazie bei den alten Kulturvölkern B. I. 8. 3, 34, 117, B. II. S. 99 ff. und in „Kurze Beiträge zur Gesch. d. Pharm. des Mittelalters“ (Pharm. Post 1894) nachgewiesen habe; sie betrachteten die Krankheiten und Gebrechen zum Teil als eine Folge des Zornes ihrer Götter (ihres Gottes) und erstrebten die Heilung dadurch, dass sie den Zorn durch Gebete, Opfer und Beschwörungsformeln zu besänftigen suchten. Die Kirche konnte diesen Unfug nicht mit einem Male ausrotten und so setzte sie an die Stelle der heidnischen Opfer und Beschwörungsformeln christliche Zeichen und Gebete.

Der bischöfliche Verfasser unterscheidet nun den eigentlichen, aus dem Heidentum überkommenen in und aus dem Volke selbst erwachsenen Volksaberglauben, der selbst in der heutigen Zeit, im aufgeklärten neunzehnten Jahrhundert seine üppigen Blüthen treibt, — leider verbietet es der Raum, die vom Verfasser selbst, wie von Wuttke „der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart 1869“ und von Fehr „der Aberglaube in der katholischen Kirche“ angezogenen interessanten Beispiele hier wiederzugeben, ich verweise auf S. 40 ff. der oben genannten Schrift — und den von außen her in das Volk erst eingedrungenen Aberglauben, die aus dem Morgenland, besonders von den Arabern, den Kabbalisten und den neuplatonischen Pflegern der Mantik und Theurgie nach dem Abendlande herübergekommene und im Mittelalter sehr ausgebreitete Magie, die in ihren letzten Wurzeln nach Indien und Ägypten führt, den sogenannten Kunstaberglauben. „Dieser“, so lässt er (den Protestanten) Wuttke S. 50 weiter reden, „in Form einer geheimen Wissenschaft und einer praktischen, auf Theorie beruhenden Kunst auftretende Aberglaube ist von dem Volksaberglauben ungemein verschieden, und obwohl er in der Wirklichkeit des vorhandenen Aberglaubens vielfach mit demselben vermischt und oft untrennbar mit ihm verwachsen ist, so dürfen wir doch den wesentlichen Unterschied nicht aus den Augen verlieren. Der Kunstaberglaube der Magie, man gestatte uns diesen Ausdruck, ist das Erzeugnis des einzelnen Geistes und ruht auf bewusster Berechnung und Theorie ist das Ergebnis einer irregegangenen mystischen Wissenschaft, weiß überall Rechnung zu geben von dem, was er annimmt und was er tut, hat ein System zur Voraussetzung. Der Volksaberglaube dagegen, ist durchaus naturwüchsig, ohne Berechnung und Theorie instinktartig und unbewusst aus dem heidnisch getrübten Volksgeiste hervorgewachsen, weiß nicht woher, warum und wohin, trägt durchaus den Charakter der Naivität, spekuliert nicht und macht kein System, sondern glaubt einfach und handelt. Dort waltet die vermeintlich geniale Erfindung und Ergründung, hier die gläubig aufgenommene und festgehaltene Überlieferung von unbekanntem, ins Urgraue sich verlierendem Ursprung; dort werden Namen genannt von hochberühmten Männern, es müssen Doktoren und Magier sein, — hier gibt es nur eine Sache, den Glauben und das Zaubern selbst die schon von den Urvätern als etwas Urväterliches vorgefunden wurde, dort werden Salomo, Hippokrates, bis zu Dr. Faust‚ Albertus Magnus und Theophrast Paracelsus als die Höhepunkte menschlicher Weisheit und der berühmten Kunst vorgeführt; hier hielt man sich bescheidentlich an Schäfer, Schmiede, Hebammen und alte Mütterchen und weiß von keinem Salomo und keinen Doktoren.

Der Unterschied ist gar nicht etwa bloß ein formeller und äußerlicher, sondern schneidet durch bis auf den Grund; und es kann gar keinem Zweifel unterworfen sein, auf welcher Seite der meiste vernünftige Inhalt, der tiefere Sinn, die meiste Wahrheit enthalten ist; — der Volksaberglaube steht in allen diesem unleugbar bei Weitem höher als der andere. Wie sich der Geist ganzer Völker fast nie so weit verirrt, so tief erniedrigt, so luftig versteigt, als der einzelne Geist; wie jener im Allgemeinen mehr das gesunde Gefühl und das gesunde Urteil bewahrt, wo einzelne ausschweifende Geister bis zur Verkehrung aller Vernunft und alles verständigen Urteils fortgehen, so hat der Volksaberglaube bei Weitem mehr, obgleich unbewusst, das Sinnige und die Vernunft bewahrt, als jene Kunst, die in ihrem prunkenden Reifrock und rauschenden Flitter zwar viel anlockender auftritt, aber auch der ernsten Prüfung sogar nichts bietet, als hohle Masken, während der viel bescheidenere Volksaberglaube doch meistens die Ahnung von etwas Vernünftigem zugrunde liegen hat. Der größte Unsinn in allen Gebieten des Geistes ist nirgends vom Volk ausgegangen, sondern von den Gelehrten und denen, die sich weise schienen; und so reicht an Unsinn der Volksaberglaube auch nicht entfernt an den, der von den Gelehrten und Gebildeten ausgegangen ist; summ cuique.“

Die Kirche hat sowohl jenen krassen in seinen Konsequenzen höchst verderblichen Aberglauben als auch die Magie, den Kunstaberglauben zu allen Zeiten energisch verurteilt und bekämpft, so auf dem ersten deutschen Nationalkonzile unter dem h. Bonifazius (742), auf dem zweiten Laterankonzil (1516), auf dem Konzil zu Trient, in den Dekreten der Pariser Synode (1829), usw.

Der zahme Volksaberglaube wird nie verschwinden, er wird namentlich in der Medizin stets seine Stelle behaupten; man denke nur, in unserer Zeit, wo die Forschungen auf dem Gebiete der exakten Naturwissenschaften ihren Kulminationspunkt erreicht zu haben scheinen, an die vielen, im Volke umlaufenden sympathetischen Mittel und Kuren, an den Spuk des Spiritismus und Ähnlich. Nie wird der übernatürliche Geist seine Herrschaft über den materiellen Körper ganz aufgeben, und besonders da, wo die gewöhnlichen Mittel und die wissenschaftliche Hilfe versagt, wird der Mensch zum letzten rettenden Strohhalm greifen, zur Sympathie. Bei unserem sich überhastendem Leben, wo die nervösen Zufälle eine wirkliche Volkskrankheit geworden sind, wäre es in der Tat wohl geboten, der Psychologie in der Medizin eine größere Aufmerksamkeit zu widmen.

Und nun zurück zu unserer Verfasserin. Als treue Tochter — der Kirche verdammt sie jegliche Wahrsagerei, Zauberei und Magie (magicas artes, magica verba, Zauber, phantasmata, incantationes daemonum) und gibt an vielen Stellen Mittel und Übungen dagegen; worin aber besteht das Abergläubische in ihren Schriften? Es ist der vorhin geschilderte, reine Volksaberglaube. Sie führt vielerorts Mittel an, bei deren Anwendung ein Segensspruch gebetet werden soll, setzt dann aber meist hinzu, si Deus velit, si Deus eum (aegrotum scil.) liberare velit, nisi Deus prohibeat und Ähnliches, oder sie lässt den Kranken irgendeinen Gegenstand, dem Heilkraft beigemessen wird, — besonders schenkt sie den Edelsteinen großes Vertrauen — am Körper tragen oder diesen berühren.

Ist es noch heutzutage nicht so? Mir ist es wiederholt vorgekommen, dass bei verzweifelt lange andauernden Krankheitsfällen die Leute nach einem sorgfältig gehüteten Rezepte spezies (ad long. vit.) oder das, namentlich in einigen Gegenden gebräuchliche und geschätzte Mittel gegen Epilepsie holten und sagten, sie wollten sich die Kräuter, bezw. das Mittel erst benedizieren (segnen) lassen, ob es dann wohl helfen würde; ich konnte ihnen nur antworten: An Gottes Segen ist alles gelegen.

Vor längerer Zeit begegnete mir ein den besseren Ständen angehöriger Herr, der viel an Rheumatismus gelitten hatte; auf die Frage nach seinem Befinden, griff er in die Hosentasche und holte zwei Rosskastanien hervor und sagte: Seitdem ich diese bei mir trage, bin ich von rheumatischen Schmerzen frei. Die Gemahlin eines Professors riet mir nach überstandener Gesichtsrose allen Ernstes einen Schwefelfaden bei mir zu tragen, um vor Rückfällen geschützt zu sein! Sic!

Die Werke unserer Verfasserin sind im Latein der damaligen Zeit geschrieben, in der Physica, mit unendlich vielen zwischengestreuten deutschen Ausdrücken, teils wo ihr die lateinischen Namen zu fehlen scheinen, teils diese, und zwar oft recht überflüssig erklärend; z. B. heißt es: homo qui aut „stosze“ aut ictu inter cutem et carnem intumet, — si pedes hominis per ulcera vulnerati sunt, id est „uszgebrochen“, — qui „vergichtiget“ est, Farn accipiat et „gicht'“ cessabit — si homines benevole, id est „holtselich“ videt. — et purgat id est „reyniget“ — u.a.m.

Die Quellen, aus denen Hildegard geschöpft hat, sind teils die Eingebungen in ihren Visionen; hierbei beziehe ich mich auf ihr eigenes Zeugnis in dem unter 1 angeführten liber vitae meritorum, und auf die Bestätigung ihrer Zeitgenossen, teils, und zwar nur an einzelnen Stellen beruft sie sich auf ältere Ärzte, philosophi, so in dem Kapitel Wolfsmilch (1. 21) und Unicorni (VII. 5), teils und wohl zumeist sind es ihre eigenen Beobachtungen, indem sie die Pflanzen auf ihren Wanderungen und Reisen in Flur und Wald aufsuchte und kennenlernte. Dieses beweist auch ihre Kenntnis der vielen volkstümlichen Namen; sicher hat daher Sprengel Unrecht, wenn er in seiner Geschichte der Botanik sagt: Bona Abbatissa, quae nunquam plantas viderat, exscribit alios transscriptores.

Auch wird berichtet, dass viele Kranke zu ihr gekommen sind, denen sie Rat und Hilfe gespendet. Igitur curationum tam potens gratia, sagt Godfried in der Lebensbeschreibung enituit in virgine beata, ut nullus fere aegrotus ad eam accesserit, quin continuo sanitatem receperit — folgt eine Zahl von Fällen. — Daher ist es auch sehr wahrscheinlich, dass sie die zusammengesetzten Mittel selbst angefertigt und ihren Kranken als Arznei gegeben hat.

Eine sehr wichtige Frage betrifft die Redaktion der Werke. Die Frage, ob Hildegard ihre Werke allein selbst geschrieben habe, ist entschieden zu verneinen. Dass sie einen Teil derselben oder besser gesagt, dieselben teilweise manu propria niedergeschrieben hat, steht fest, denn sie sagt selbst: Et dixi et scripsi haec, non secundum adinventionem cordis mei aut illius hominis, sed ut ea in coelestibus vidi, audivi et percepi per secreta mysteria Dei. Et iterum audivi vocem de coelo mihi decentem: „Clama ergo et scribe sic.“

Trithemius, der ihnen gewiss volle Gerechtigkeit widerfahren lässt, glaubt an einer Stelle in Chronic. Hirsaugiens. ad annum 1147) die hl. Hildegard habe alle ihre Werke selbst geschrieben, „nullo alterius subsidio in scribendo usam fuisse“, später jedoch, nach genauerer Prüfung, schreibt er, (in Chronico Spanheimiensi ad annum 1179), da sie der lateinischen Sprache unkundig, überhaupt wenig unterrichtet war, nach ihren eigenen Worten „cum vix litterarum notitiam haberem, sicut indocta mulier me docuerat“, habe sie durch innere Erleuchtung die lateinische Sprache und ihre Redewendungen verstanden. Die Offenbarungen und Visionen habe sie teils in der Muttersprache, also deutsch, teils lateinisch, und zwar so wie sie die Worte gehört, ausgedrückt und ausgesprochen, diese seien dann von dem Mönche Godfried, ihrem Hauskaplan und Beichtvater (derselbe wohl, welcher den ersten Teil der Lebensbeschreibung der Heiligen geliefert hat) abgefasst, und zwar lateinisch, und in die Form und Reihenfolge gebracht, in der sie heute existieren. Dasselbe versichert der schon genannte Theodoricus, von dem der zweite und dritte Teil der vita herrühren (beide Mönche waren Seelsorger des Rupertsberger Klosters), sie habe das, was sie im Geiste hörte oder sah, in eben dem Sinne und mit denselben Worten aufrichtig und wahrheitsgetreu entweder gesprochen oder niedergeschrieben, wobei sie sich nur auf einen gewissenhaften, treuen Mitbruder (uno solo fideli viro symmysta) [Godfried] verließ, der nach den Regeln der Grammatik, von der sie selbst nichts verstand, die casus, tempora und genera zwar bestimmte, aber an dem Sinne und den Gedanken selbst nichts zu ändern wagte. Hildegard selbst sagt: „Et repente intellectum expositionis librorum, videlicet Psalterifi, Evangeliorum . . . sapiebam. Non autem interpretationem verborum textus eorum, nec divisionem syllabarum, nec cognationem casuum aut temporum callebam. — Quodcunquae non video, illud nescio, quia velut illiterata sum. Et de his, quae ex illo lumine scribo, non alia verba pono quam quae audio.“

Von der Physica dürfen wir demnach wohl mit Fug und Recht annehmen, dass sie ihre eigene (deutsch) geschriebene Arbeit ist; dies beweisen auch die beinahe Zeile um Zeile vorkommenden deutschen, auf der Grenze des Alt- und Mitteldeutschen stehenden Ausdrücke und in früheren Werken nicht auftretenden Pflanzennamen, welche vom Übersetzer stehen gelassen sind, teils weil er dafür vielleicht die betreffenden lateinischen nicht kannte, teils zur näheren Erklärung der letzteren. Dieses schließt aber meine Annahme nicht aus, dass hie und da ein fremder, der hl. Hildegard nicht angehörender Zusatz sich eingeschlichen hat. So kommt z. B. im Kapitel „Balsamon“ (alte Ausgabe de arbore Balsami) der Ausdruck „paulum“ vor: Et qui „vergichtiget“ est, modicum, balsami vel ad paulum (A. A. paulinum) vel ad alia bona electuaria addat; hier kann paulum oder paulinum nichts anderes bedeuten, als das bei Nicolaus Praepositus vorkommende Electuarium „Paulus“. Nicolaus, Vorsteher der Schule zu Salerno, lebte und schrieb aber im Anfange oder knapp um die Mitte des 12. Jahrhundertes, und es ist kaum anzunehmen, dass dessen Antidotarium sich so schnell verbreiten konnte, dass Hildegard sofort in Deutschland davon Kenntnis hätte haben können, — wenn man nicht ein Visionsergebniss supponiert. Ferner findet sich im Kapitel 114 „Agrimonia“ ein Recept gegen lepra venerica: Si autem homo de libidine aut incontinentia leprosus efficitur, agrimoniam, et . . . . in caldario coquat et ex his balneum faciat, et menstruum sanguinem, quantum habere potuerit, admisceat, et balneo se imponat. So etwas, meine ich, ohne dem Argument unter 7 Abbruch zu tun, widerspricht nicht allein dem keuschen Sinn der hl. Verfasserin, sondern schließt jegliches jungfräuliche Zartgefühl aus, sie kann es unmöglich geschrieben haben.

Titelbild der Strassburger Ausgabe der Physica S. Hildegardis.

(Tipus der inneren Leiden.)

 

Reuss macht an einer offenbar korrumpierten Stelle im Kap. 10 lib. II bei der Glan die Bemerkung: „Haec ex margine in textum irrepisse videntur“, schließt also auch Einschiebungen von fremder Hand nicht aus.

Die Physica hat, entgegen der neu zeitigen Bedeutung dieses Wortes, mit der Physik nichts zu tun; physica bedeutet nach damaligem, von den Salernitanern herrührendem Schreibgebrauche die Arzneikunde; — noch heute heißen in England die Ärzte physicians und bei uns die beamteten Ärzte, Kreis-, Amts- oder Stadtphysici — sie ist vielmehr eine nicht auf die alten griechischen, römischen und arabischen Ärzte sich stützende, sondern aus dem täglichen Leben und der Volksüberlieferung geschöpfte, von Mystizismus besonders in dem Buche de Lapidibus, stark durchwehte Arzneimittellehre. Die Mittel, zum größten Teile dem Pflanzenreiche entnommen, werden, ohne jede Beschreibung, einfach aufgezählt, ihre Qualitäten nach galenschen Grundsätzen angegeben und ihre Wirkungen gegen die verschiedenen Krankheiten und Übel bezeichnet.

Titelbild der Straßburger Ausgabe der Physica S. Hildegardis.

(Typus der äußeren Leiden).

 

Synonyma fehlen in der Physica vollständig, ein Umstand, welcher die Authenzität nach meiner Ansicht wesentlich stützt. Denn wollte man das Werk vielleicht einem kundigen Mönche zuschreiben, so würde man gewiss eine Zahl Synonyma und damals üblicher mystischer Pflanzenbezeichnungen finden, wie Sigillum Salomonis für Convallarian Polygonatum, Oculus Christi für Myosotis scorpioides, Sigillum s. Mariae für Polypodium vulgare, Stramentum s. Mariae für Galium Mollugo et verum, Herba s. Barbarae für Erysimum barbarea, Herba s. Margarethae für Anemone silvestris, Herba s. Cunegundis für Eupatorium cannabinum, Herba s. Clarae für Valeriana officinalis, Herba s. Pauli für Primula veris, Herba s. Quirini für Tussilago Farfara, Herba s. Gerhardi für Aegopodium Podagraria, Herba s. Antonii für Plumbago vulgaris, Herba s. Zachariae für Centaurea Cyanus usw.

Die Gewichte bei den Rezepten und mehr oder weniger komplizierten Arzneiformen sind oft recht unklar, meist nur im Verhältnis des einen Mittels zum anderen ausgedrückt, nur selten begegnen wir bestimmten Gewichtsgrößen, Nummus, Obulus.

In der Behandlung des Stoffes werden die Gegenstände als Genuss- und Heilmittel, wenn auch nicht ausdrücklich, unterschieden.

Die Physica, deren Manuskript in der Bibliothek zu Paris sich befindet, ist trotz des zweimaligen Druckes ein seltenes Werk geblieben. Der erste Druck wurde von dem Straßburger Buchhändler Joh. Schott im Jahre 1533 in Folio veranstaltet unter dem Titel: Physica S. Hildegardis. Elementorum, Fluminum aliquot Germaniae, Metallorum, Leguminum, Fructuum et Herbarum: Arborum et Arbustorum: Pisceium denique Volatilium et Animantium terrae naturas et operationes, IV libris mirabili experientia posteritati tradens. Argentorati apud Joannem Schottum, cum Caes. Majest. privilegio ad Quinquennium.

Mit zwei Titelbildern hinter dem Vorwort des Herausgebers.1 Zum zweiten Mal wurde sie im Jahre 1544 gedruckt, der codex autographus zu dieser Ausgabe ist leider verschwunden, —

In neuerer Zeit hat Reuss, gestützt auf die Arbeiten von Daremberg, mit dankenswerter Mühe eine neue, sorgfältig bearbeitete. Ausgabe sämtlicher Werke der h. Hildegard besorgt, die Physica unter dem Titel: N. Hildegardis Abbatissae Subtilitatum Diversarum Naturalium Creaturarum libri novem ex antiquo bibliothecae imperialis Parisiensis codice ms. nunc primum exscripti accuraute Dre. C. Daremberg, bibl. Maz. Praep. etc. Accedunt Prolegomena et Adnotationes Dris F. A. Reuss, Professoris Wirceburgensis. 1855.

In der alten Ausgabe (A. A.) handelt liber I. nach einer Vorrede de Elementorum, Fluminum aliquot Germaniae, Metallorumagque naturis et effectibus; lib. II de naturis et effectibus Leguminum, Fructuum et Herbarum; lib. III nach einer Vorrede de Arborum discretis in genere, de naturis et effectibus Arborum, Arbustorum et Fruticum fructuumque eorundem; lib. IV in drei Abteilungen, jede mit vorangehender discretio varia et natura, de Piscibus, Volatilibus, Animantibus terrae.

In der neueren Ausgabe von Reuss folgen sich die einzelnen Bücher in der Reihe: Liber I. De Plantis, mit einer Vorrede; liber II de Elementis; liber III de Arboribus, mit Vorrede; liber IV de Lapidibus, mit Vorrede; liber V de Piscibus: liber VI de Avibus, mit Vorrede; liber VIII de Reptilibus, mit Vorrede; liber IX de Genere Metallorum, mit Vorrede.

Jedem Buch geht eine Übersicht der Kapitel vorher.

Beide Ausgaben weichen oft voneinander ab, namentlich in der Nomenklatur und dadurch, dass in der alten nicht allein einzelne Stellen des Textes, sondern auch das ganze Buch de Lapidibus fehlt.

Beide sind dieser Arbeit zugrunde gelegt, dabei ist die Reihenfolge der reussschen Ausgabe eingehalten. Den ursprünglichen Plan, eine vollständige Übersetzung der Physica zu liefern, habe ich aufgegeben, weil wegen der vielen, weitläufigen, sich wiederholenden Auseinandersetzungen die Sache zu ermüdend wirken würde; stattdessen habe ich, die einzelnen Kapitel in möglichst vollkommenem Auszuge, streng an die lateinischen Worte mich haltend, behandelt die Vorreden dazu wörtlich übersetzt, weil in ihnen teilweise Gedanken von erhabener Schönheit niedergelegt sind. Die Verfasserin bespricht die Beziehung des Menschen zur ganzen Natur, sein Verhältnis sowohl zu den leblosen Geschöpfen wie zu den Tieren; sie sucht eine geordnete, schöne Harmonie zwischen diesen, welche dem Menschen untertan und dienstbar sind und denen die rationalitas hominis Namen und Bestimmung gegeben hat und dem obersten Geschöpfe selbst herzustellen. Hier möchte ich auf die denkwürdigen Worte hinweisen, welche sich im I. Kapitel des II. Buches „De Aere“ finden und in denen die h. Hildegard in prophetischer Ahnung das Fundamentalgesetz der Naturwissenschaft, das Gesetz von der Erhaltung der Materie, andeutet.

Wir haben es also in der Physica mit einem Werk von eminenter Bedeutung zu tun, dessen hoher Wert auf verschiedenen Gebieten liegt. Als materia medica bietet sie weder dem Arzte noch dem Pharmazeuten eine praktische Unterlage — es liegen fast 800 Jahre zwischen damals und jetzt —, aber sie ist, wie anfangs angedeutet, als Kompendium der Volksmedizin, als eine aus dem Volksgebrauche geschöpfte heimische Heilmittellehre, da, mit einigen Ausnahmen, sämtliche Mittel deutschen Ursprungs sind, ein wertvolles historisches Denkmal ihrer Zeit. Ferner findet der Naturforscher, in erster Reihe der Botaniker, hier die ersten rohen Anfänge vaterländischer Naturforschung und eine für jene Zeit bewunderungswürdige Erkenntnis der Natur. Endlich ist sie für den Sprachenforscher eine reiche Fundgrube wegen der zahlreich darin vorkommenden, auf der Grenze des Mittel- und Niederdeutschen stehenden Wörter und Redewendungen, welche nach dem Zeugnis des gründlichsten Kenners unserer Sprache, Hoffmanns von Fallersleben, dem Zeitalter der h. Hildegard angehören.

Dieser Wert bleibt dem Werke auch selbst dann, wenn Hildegard nicht als Verfasserin anerkannt wird.

1 Diese beiden Titelbilder sind weiter oben abgedruckt.

 

Vorrede