Scivias - Wisse die Wege: Die Visionen der Hildegard von Bingen - Hildegard von Bingen - E-Book

Scivias - Wisse die Wege: Die Visionen der Hildegard von Bingen E-Book

Hildegard Von Bingen

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Beschreibung

Scivias - Wisse die Wege: Die Visionen der Hildegard von Bingen | Neu editierte 2021er Ausgabe | Mit einem Vorwort zur Person Hildegard von Bingens | Bereits als kleines Mädchen sah und erahnte Hildegard von Bingen (1098-1179) Dinge, die anderen verborgen blieben. Es schien, als hätte sie die Gabe, gelegentlich einen Blick in eine andere Dimension zu werfen. Ihre Eltern, Hildebert von Bermersheim und seine Frau Mechthild, gaben sie im Alter von acht Jahren in das in der Nähe von Bingen gelegene Kloster Disibodenberg. Dort hatte Jutta von Sponheim, die Tochter eines befreundeten Adelsgeschlechts, soeben ein Frauenseminar zur christlichen Unterweisung junger Mädchen eingerichtet. Obwohl zart und von nicht besonders robuster Natur, leistete die junge Ordensschülerin Enormes: Nach dem Tod der Lehrmeisterin übernahm sie die Leitung der Schule, gründete später zwei weitere Klöster, schrieb fünf Bücher und unzählige Anleitungen und Handreichungen. Ihre Werke befassen sich mit Religion, Medizin, Musik, Ethik und Kosmologie. | Hildegards Werk »Scivias« (»Wisse die Wege«), das hier in ausgewählten Texten vorliegt, ist eine universelle Glaubenslehre von ganz eigenständigem Charakter. 26 Visionen sind es, die sie an ihre Leser weitergibt, 26 Möglichkeiten der Einsicht, Weisheit und Andacht; 26 Wege, Gott zu finden oder von ihm gefunden zu werden. - Die Originalhandschrift gilt seit Ende des Zweiten Weltkrieges als verschollen. In der Abtei St. Hildegard in Eibingen (heute Stadtteil von Rüdesheim am Rhein, Hessen) befindet sich eine illuminierte Kopie aus dem Jahr 1939. | Mit einem Vorwort zur Person Hildegard von Bingens

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Inhalt

Vorwort des Herausgebers

Erstes Buch

Die erste Vision: Von der geistlichen Einsicht

Die zweite Vision: Vom Fall der Engel und Menschen

Die dritte Vision: Vom Weltall

Die vierte Vision: Von Seele und Leib

Die fünfte Vision: Von der Synagoge

Die sechste Vision: Von den Engelchören

Zweites Buch

Die erste Vision: Vom Erlöser

Die zweite Vision: Von der Dreifaltigkeit

Die dritte Vision: Von der Taufe

Die vierte Vision: Von der Firmung

Die fünfte Vision: Von den drei Ständen

Die sechste Vision: Von der Eucharistie und Buße

Die siebte Vision: Vom besiegten Teufel

Drittes Buch

Die erste Vision: Vom Engelssturz

Die zweite Vision: Von der Gottesstadt

Die dritte Vision: Vom Turm der Vorbereitungszeit

Die vierte Vision: Von der Säule des Gottesworts

Die fünfte Vision: Vom Zorn Gottes

Die sechste Vision: Vom alten Bund

Die siebte Vision: Von der Dreifaltigkeit

Die achte Vision: Die Säule des Erlösers

Die neunte Vision: Der Turm der Kirche

Die zehnte Vision: Die erste von der Zukunft der Kirche

Die elfte Vision: Die zweite von der Zukunft der Kirche

Die zwölfte Vision: Vom Jüngsten Gericht

Die dreizehnte Vision: Von den Chören der Seligen

Begleitwort

Hildegard von Bingen (1098–1179) war Äbtissin des Klosters Rupertsberg bei Bingen am Rhein und eine bedeutende Universalgelehrte ihrer Zeit. Ihre Werke befassen sich neben Ethik und Religion unter anderem mit Medizin und Heilkunde, Musik und Kosmologie.

Vorwort des Herausgebers

BEREITS ALS KLEINES MÄDCHEN sah und erahnte Hildegard von Bingen Dinge, die anderen verborgen blieben. Es schien, als hätte sie die Gabe, gelegentlich einen Blick in die Zukunft oder in eine andere Dimension zu werfen.

Ihre Eltern, der Edelfreie Hildebert von Bermersheim und seine Frau Mechthild, gaben sie, das zehnte von zehn Kindern, im Alter von acht Jahren in das in der Nähe von Bingen gelegene Kloster Disibodenberg. Dort hatte Jutta von Sponheim, die Tochter eines befreundeten Adelsgeschlechts, soeben ein Frauenseminar zur christlichen Unterrichtung junger Mädchen eingerichtet.

Als sie 15 Jahre alt war, wurde Hildegard klar, dass nicht alle Menschen so seherisch veranlagt waren, wie sie selbst – sie also irgendwie ›anders‹ sein müsse. Obwohl zart und nicht von besonders robuster Natur, leistete die junge Ordensschülerin Enormes: Nach dem Tod der Lehrmeisterin übernahm sie die Leitung der Schule, später gründete sie – 1150 und 1165 – zwei weitere Klöster, schrieb fünf Bücher und unzählige Anleitungen und Handreichungen. Ihre Werke befassen sich mit Religion, Medizin, Musik, Ethik und Kosmologie.

Doch dafür, ihre Visionen niederzuschreiben, bedurfte es erst eines göttlichen Anstoßes. Im Jahr 1141, sie war 43 Jahre alt und am Zenit ihrer Schaffenskraft, hatte sie eine Erscheinung, die sie als Auftrag Gottes verstand, ihre Erfahrungen aufzuzeichnen. Im Zweifel darüber, was ihre Visionen bedeuteten, wurde Hildegard jedoch krank. Später schrieb sie über diese Zeit:

»Ich aber, obgleich ich diese Dinge hörte, weigerte mich lange Zeit, sie niederzuschreiben – aus Zweifel und Missglauben (...), nicht aus Eigensinn, sondern weil ich der Demut folgte und das so lange, bis die Geißel Gottes mich fällte und ich ins Krankenbett fiel; dann, endlich bewegt durch vielerlei Krankheit (…) gab ich meine Hand dem Schreiben anheim.

Während ich’s tat, spürte ich (…) den tiefen Sinn der Heiligen Schrift; und ich erhob mich so selbst von der Krankheit durch die Stärke, die ich empfing und brachte dies Werk zu seinem Ende – eben so – in zehn Jahren. (…) Und ich sprach und schrieb diese Dinge nicht aus Erfindung meines Herzens oder irgend einer anderen Person, sondern durch die geheimen Mysterien Gottes, wie ich sie vernahm und empfing von den himmlischen Orten. Und wieder vernahm ich eine Stimme vom Himmel, und sie sprach zu mir: Erhebe deine Stimme und schreibe also!«

So erleuchtet, begann Hildegard in Zusammenarbeit mit Propst Volmar von Disibodenberg und ihrer Vertrauten, der Nonne Richardis von Stade, ihre Visionen und theologischen wie anthropologischen Vorstellungen in Latein niederzuschreiben. Weil sie selbst die lateinische Grammatik nicht beherrschte, ließ sie alle Texte von ihrem Sekretär Wibert von Gembloux korrigieren.

Doch noch war die Zeit für eine Veröffentlichung nicht reif. Die kirchlichen Würdenträger, bei denen sich Hildegard Rat holte, standen ihrem Vorhaben skeptisch und vorsichtig gegenüber. Wieso sollte gerade sie, diese einfache Ordensfrau, göttliche Visionen haben? Schließlich war es aber Papst Eugen III. selbst, der, beeindruckt von ihrem Werk, ihr während einer Synode in Trier 1147 die Erlaubnis gab, ihre Visionen zu veröffentlichen. Die Kritiker verstummten, und Hildegards Einfluss nahm zu. Von nun an stand sie mit vielen geistlichen und weltlichen Mächtigen in Korrespondenz.

Hildegards Hauptwerk Scivias (›Wisse die Wege‹), das hier in ausgewählten Texten vorliegt, ist eine universelle Glaubenslehre von ganz eigenständigem Charakter. 26 Visionen sind es, die sie an ihre Leser weitergibt, 26 Möglichkeiten der Einsicht, Weisheit und Andacht. 26 Wege, Gott zu finden, oder von ihm gefunden zu werden. – Die Originalhandschrift gilt seit Ende des Zweiten Weltkrieges als verschollen, in der Abtei St. Hildegard in Eibingen (heute Stadtteil von Rüdesheim am Rhein, Hessen) befindet sich eine illuminierte Kopie aus dem Jahr 1939.

© Redaktion ModerneZeiten, 2021

ERSTES BUCH

Die erste Vision: Von der geistlichen Einsicht

1. ICH SAH EINEN GROßEN, eisenfarbenen Berg: auf ihm saß ein Menschenbild von solchem Glanze, dass seine Helligkeit mein Auge blendete. Von seinen beiden Seiten erhob sich ein sanfter Schatten, der sich wie ein wundersamer breiter und langer Flügel ausdehnte. Am Fuße dieses Berges stand vor dem Manne eine Gestalt, die überall voller Augen war; wegen der Menge der Augen konnte ich nicht unterscheiden, ob sie eine menschliche Gestalt war. Vor dieser stand eine andere Gestalt in knabenhaftem Alter mit mattfarbenem Gewand und weißen Schuhen. Über deren Haupt stieg von dem Manne, der auf jenem Berge saß, eine solche Helle hernieder, dass ich sein Antlitz nicht sehen konnte. Von demselben, der auf dem Berge saß, gingen viele lebendige Funken aus, welche beide Gestalten mit großer Anmut umflogen. In dem Berge selbst sah man zahlreiche Fenster, in denen bleiche und weiße Menschenköpfe erschienen. Der Mann auf dem Berge rief mit gewaltiger und durchdringender Stimme:

»O du gebrechlicher Mensch, Staub vom Erdenstaube, Asche von der Asche, rufe und verkünde vom Eintritt der makellosen Erlösung, damit jene unterwiesen werden, die das Mark der Schriften sehen, sie aber doch nicht verkündigen und predigen wollen, weil sie lau und stumpf sind im Kampf um Gottes Gerechtigkeit! Öffne ihnen das Siegel der Geheimnisse, das sie auf verborgenem Acker furchtsam und fruchtlos vergraben! Breite dich wie ein übervoller Quell aus und ströme so in mystischer Lehre aus, dass jene von deiner Ausgießung und Bewässerung erschüttert werden, welche dich wegen Evas Fall verächtlich halten wollen! Denn du nimmst die Erhabenheit dieser Lehre nicht von einem Menschen an, sondern vom höchsten und furchtgebietenden Richter aus der Höhe, wo in hellstem Lichte auch ein Licht unter den Leuchtenden stark erstrahlt. Erhebe dich also, rufe und verkünde, was dir in der allerstärksten Kraft göttlicher Hilfe geoffenbart wird! Denn der, welcher allen seinen Geschöpfen machtvoll und gütig gebietet, durchgießt die, die ihn fürchten und ihm in anmutiger Liebe im Geiste der Demut dienen, mit der Klarheit übernatürlicher Erleuchtung und führt die auf dem Wege der Gerechtigkeit Ausharrenden zu den Freuden der ewigen Schau.

2. Der große eisenfarbene Berg versinnbildlicht die Kraft und Stetigkeit des ewigen Gottesreiches, das durch keinen Ansturm der Veränderlichkeit ein Ende finden kann. Der Mann, der auf dem Berge sitzt, blendet dein Auge mit seinem Glanze und zeigt den im Reiche der Seligen, der im Glanze einer sich gleichbleibenden Heiterkeit dem ganzen Erdkreise mit seiner höchsten Gottheit gebietet und menschlichem Geiste unfassbar ist. Von seinen beiden Seiten breitet sich ein Flügel von wunderbarer Breite und Länge aus. Sie zeigen in Ermahnung und in Züchtigung milden und linden Schutz recht und fromm, die unaussprechliche Gerechtigkeit, Beharrlichkeit und Billigkeit.

3. Vor ihm steht am Fuße des Berges eine Gestalt, die allüberall voller Augen ist, weil sie vor Gott in Demut in das Gottesreich Einblick hat, und aus Furcht vor ihm mit Genauigkeit und gerechtem Eifer und Ausdauer auf die Menschen wirkt, so dass man vor Augen keine menschliche Gestalt unterscheiden kann. Sie vergisst nie die Gerechtigkeit Gottes, weil menschliches Forschen in seiner Schwäche ihre Wachsamkeit nicht erschüttert.

4. Vor dieser Gestalt zeigt sich eine andere, knabenhafte, bekleidet mit mattfarbenem Gewande und weißen Schuhen, weil unter Vorantritt der Furcht des Herrn die Armen im Geiste folgen. Die Furcht Gottes hält nämlich in hingebender Demut die Glückseligkeit der Armut im Geiste kraftvoll fest, welche weder nach Rühmen noch Selbstüberhebung gelüstet, sondern Einfalt und Nüchternheit liebt. Nicht sich, sondern Gott allein gibt sie die Ehre für ihre gerechten Werke und folgt den Spuren des Gottessohnes getreulich nach. Auf ihr Haupt steigt eine solche Klarheit von dem auf dem Berge hernieder, dass du auch ihr Angesicht nicht schauen kannst, denn die Heiterkeit der Heimsuchung dessen, welcher jedem Geschöpf preiswürdig gebietet, gießt ihr ein solches Maß von Macht und Stärke ein, dass ein schwacher Sterblicher sie nicht zu fassen vermag. Er, der allen himmlischen Reichtum in sich trägt, unterwirft sich in Demut der Armut.

5. Von dem Manne auf jenem Berge gehen viele lebendige Funken aus, welche diese Gestalten mit großer Anmut umfliegen, weil von dem allmächtigen Gotte verschiedene und unermesslich große Tugenden, in göttlichem Glänze erstrahlend, kommen und die Gott wahrhaft - Fürchtenden und die getreuen Liebhaber der geistigen Armut mit ihrer Hilfe und ihrem Schutze überall umgeben.

6. Auch sind an jenem Berge zahllose Fenster sichtbar, in denen bleiche Menschenantlitze erscheinen, weil vor der höchsten Höhe der Erkenntnis Gottes die Menschenwerke weder verheimlicht noch verborgen werden können. Bald schlafen Menschen in Schande ermüdet in ihren Herzen und Taten, bald wachen sie in Ehren wieder auf. So spricht auch Salomon in meinem Sinn: »Die faule Hand ward arm, die der Starken aber schaffte sich Reichtum.«

7. Dies lässt erkennen, dass jener sich selbst arm und schwach machte, der die gerechten Werke zu tun verschmähte, das Ungerechte nicht zerstörte, die Schuld nicht nachließ und arm an den wunderbaren Werken der Seligkeit verblieb. Wer aber mit Kraft starke Heilswerke ausführt, den Weg der Wahrheit läuft, die Quelle der Herrlichkeit ergreift, bereitet sich überaus kostbare Schätze auf Erden und im Himmel. Wer also Weisheit im hl. Geiste und Flügel im Glauben hat, der möge meine Ermahnung nicht überhören, sondern nehme sie willig mit dem Geschmacke seiner Seele auf.

Die zweite Vision: Vom Fall der Engel und Menschen

1. DANN SAH ICH EINE ZAHLLOSE MENGE lebendiger Leuchten von hellstem Feuerglanze; auch einen ausgedehnten und tiefen See, aus dem feuriger, scheußlich riechender Rauch aufstieg, der ekelhaften Nebel aushauchte. An einer helleren Stelle kam eine weiße Wolke näher, die, von schöner Menschengestalt, sehr viele Sterne enthielt und diese und jene menschliche Figur von sich abwarf. Darauf umgab lichtester Glanz diese ganze Gegend und alle Dinge der Welt, welche vorher in Ruhe verharrten, wurden unruhig und zeigten Schrecken. Wiederum hörte ich jenen, der schon vorher zu mir gesprochen, sagen: »Die getreu Gott anhangen und in lobwürdiger Liebe brennen, werden weder durch irgendeinen Ansturm der Ungerechtigkeit erschreckt, noch getrennt von der Herrlichkeit übernatürlicher Freude; es werden aber nach gerechter Prüfung verworfen alle diejenigen, welche Gott nur heuchlerisch dienen und auf dem Wege nicht hinansteigen können, ihnen wird auch noch genommen werden von dem, was sie zu besitzen vermeinen.

2. Die überaus große Menge der lebendigen Lichter bedeutet dies: Die unzählbaren Scharen der himmlischen Geister erglühen in seligem Leben und erscheinen in großer Pracht, weil sie, von Gott erschaffen, sich nicht stolz erhoben, sondern in der göttlichen Liebe standhaft verblieben. Sie empfingen feurigen Glanz und heiterste Helle. Da aber Luzifer und sein Gefolge versuchte, sich gegen den höchsten Schöpfer zu empören, umkleideten sie sich mit der Wachsamkeit der göttlichen Liebe, jene aber wurden mit blinder Unwissenheit geschlagen. Durch den Fall des Teufels wurde jenen englischen Geistern, die vor Gott in Gradheit ausharrten, höchstes Lob zuteil, da sie in Erleuchtung klar erkannten, dass Gott immer unveränderlich in seiner Macht verbleibt und von keinem siegreich bekämpft werden kann.

3. Luzifer aber ging ob seines Stolzes der himmlischen Herrlichkeit verlustig, er, der am Anfang der Schöpfung keinen Mangel an Schönheit und Kraft verspürte. Da er aber seine Schönheit erkannte und die Kraft seiner Stärke in sich betrachtete, kam der Hochmut über ihn, der ihm versprach, zu beginnen, was ihm in den Sinn kam, da er ja vollenden könnte, was er begonnen. Da schleuderte ihn der Zorn Gottes in feuriges Dunkel mit seiner ganzen Schar hinab, so dass sie dunkel statt der Helle, verwirrt statt der Heiterkeit wurden.

6. Der große und tiefe See, welchen du siehst, ist die Hölle und enthält in sich die ganze Fülle der Laster und die Abgrundtiefe der Verderbtheiten. Er gleicht einer Zisternenöffnung und schleudert feuerflammenden Rauch mit großem Gestank heraus. In diesen taucht er die Seelen unter und erfüllt sie täuschend mit großer Freude, während er sie zu den Qualen führt, dorthin, wo das Feuer mit scheußlichem Rauch qualmt und mörderischer Gestank aufwallt. Diese grausigen Qualen sind dem Teufel und seiner Gefolgschaft bereitet.

7. Bei dem Fall des Teufels ward diese äußerste Finsternis, welche jegliche Art von Strafe in sich birgt. Die boshaften Geister tauschten hier das Elend vielerlei Strafen gegen die ihnen bestimmte Herrlichkeit ein und wurden, anstatt der Klarheit, die sie besassen, in dichteste Finsternis gehüllt. Da der stolze Engel sich wie eine Schlange erhob, erhielt er ewige Gefangenschaft, weil er die göttliche Bevorzugung nicht ertragen konnte. Wie aber in einer Brust nicht zwei Herzen schlagen können, so kann es auch im Himmel nur einen Gott geben.

8. Der See strömt hässlichen Nebel aus, so weit man sehen kann. Der teuflische Betrug bringt die giftige Schlange hervor, welche das Gift trügerischer Absicht in sich trägt und den Menschen heimlich befällt. Als nämlich der Teufel den Menschen im Paradiese sah, rief er mit großer Entrüstung aus: »Der soll mir in der wahren Glückseligkeit folgen!« Er wandte sich listig an Adam und Eva, die er in kindlicher Unschuld im Wonnegarten gesehen hatte, um sie durch die Schlange zu täuschen. Weshalb? Er hielt die Schlange für ihm ähnlicher als irgendein anderes Lebewesen, und wollte er mit List im geheimen erreichen, was ihm offen nicht gelang.

9. Als er daher Adam und Eva mit Leib und Seele sich vom verbotenen Baume abwenden sah, dachte er bei sich, dass es ein göttliches Verbot für sie sei, und er sie am leichtesten vertreiben könnte, wenn sie die erste Tat begingen. Er wusste nämlich nicht, dass jener Baum verboten sei, wenn er es nicht durch seine trugvolle Frage und ihre Antwort erfahren hätte. Deshalb blies er in dieser klaren Gegend (welche aus einer schönen Menschengestalt, die sehr viele Sterne in sich barg, hervorgegangen war) eine weißschimmernde Wolke durch scheußlichen Nebel heran, weil an diesem lieblichen Ort der Teufel in Eva, die eine unschuldige Seele hatte, durch Verführung der Schlange zur Vertreibung dieser eindrang. (Eva hatte vom unschuldigen Adam die ganze Menge des menschlichen Geschlechts, die in Gottes Vorherbestimmung leuchtete, an ihrem Körper getragen.)

Weshalb? Weil er wusste, dass weibliche Weichheit leichter zu besiegen sei als männlicher Starkmut, und er auch sah, dass Adam zu Eva so sehr in Liebe brannte, dass, hätte er nur Eva besiegt, Adam das ausführen würde, was Eva ihm sagte. Deshalb vertrieb auch der Teufel jene und die Menschengestalt aus jener Gegend. Der alte Verführer verbannte durch Täuschung Eva und Adam von ihrem seligen Wohnsitz und stieß sie hinab in die Finsternis. Zuerst verführte er Eva, damit sie Adam schmeichelte, ihr beizupflichten. Sie konnte schneller als irgendein anderes Geschöpf Adam zum Ungehorsam verleiten, da sie selbst aus seiner Rippe gebildet worden war. Deshalb stößt das Weib den Mann schneller hinab, weil sie ihn nicht abschreckt, sondern er ihre Worte willig aufnimmt.

Die dritte Vision: Vom Weltall

1. DARAUF SAH ICH ein sehr großes, rundes, dunkles Gebilde, das einem Ei ähnelte, oben eingeschnürt, in der Mitte breit und nach unten zu eingeschnürt; an seiner Außenseite war ringsum ein helles Feuer, darunter eine schattige Haut. In jenem Feuer war eine rotglühende Feuerkugel von solcher Größe, dass das Ganze von ihr erhellt wurde. Darüber lagen 3 Fackeln, welche die Kugel mit ihrem Licht zusammenhielten, damit sie nicht abstürzte. Die Kugel erhob sich eine Zeitlang, und sehr viel Licht strahlte ihr entgegen, so dass sie davon ihre Flammen länger werden ließ und sich dann nach unten bog. Dann kam ihr eine große Kälte entgegen, weswegen sie ihre Flammen schnell zurückzog. Aber von jenem das Gebilde umgebenden Feuer ging ein Hauch mit Wirbeln aus. Von der unter ihm liegenden Haut wallte ein anderer Hauch mit seinen Wirbeln, der sich hier und dort ausbreitete. In der Haut war auch ein dunkles, so schreckliches Feuer, dass ich es nicht zu betrachten vermochte. Es schlug auf die Haut mit großer Kraft und Lärm, Sturm und spitzen kleineren und größeren Steinen.

Während der Lärm sich erhob, wurde das hell leuchtende Feuer, die Winde und Luft bewegt, so dass Blitze dem Lärm vorauseilten, denn das Feuer fühlte die erste Bewegung des Lärmes in sich. Unter dieser Haut befand sich reinster Äther, der keine Haut unter sich hatte, in dem ich auch eine weißleuchtende Kugel von beträchtlicher Größe sah. Über ihr waren zwei Fackeln deutlich erkennbar, die einen Kreis bildeten, damit die Kugel nicht das Maß ihres Laufes überschritte. Im Äther waren viele klare Lichtkreise überall gelagert, in welche die Kugel bisweilen sich ein wenig entleerend ihre Helligkeit entsandte, dann ihre Fülle wiederherstellte und wieder in sie entsandte. Aber von dem Äther selbst brach ein Hauch mit seinen Wirbeln hervor, welcher sich überall ausbreitete.

Unter dem Äther sah ich wasserhaltige Luft, die eine Haut unter sich hatte, und sich hier und dort verbreitend dem ganzen Gebilde Feuchtigkeit mitteilte. Bisweilen sammelte sie sich plötzlich und schickte Regen aus. Daraus ging wieder ein Hauch mit seinen Wirbeln hervor und breitete sich überall aus. In der Mitte dieser Elemente war eine Sandkugel, die sehr groß war und welche die Elemente so umgaben, dass sie weder hierhin noch dorthin entgleiten konnte. Wenn sich aber bisweilen die Elemente mit den erwähnten Hauchen rieben, so brachten sie durch ihre Kraft die Kugel ein wenig in Bewegung. Zwischen Norden und Osten sah ich einen hohen Berg, der nach Norden viel Dunkel und nach Osten viel Licht hatte, so dass weder das Licht zur Finsternis noch diese zum Licht gelangen konnte. Ich hörte wiederum eine Stimme vom Himmel sagen: »Gott, der alles in seinem Willen gegründet hat, hat es zur Kenntnis der Ehre seines Namens geschaffen und zeigt darin nicht nur, was sichtbar und zeitlich ist, sondern offenbart in ihm auch, was unsichtbar und ewig ist.«

2. Das überaus große Gebilde, rund und dunkel, einem Ei ähnelnd, oben und unten zusammengeschnürt, in der Mitte breit, bedeutet trefflich den allmächtigen Gott, der unbegreiflich ist, in seiner Majestät und unschätzbar in seinen Geheimnissen.

3. Auf der äußeren Seite ringsum ein helles Licht, das eine dunkle Haut unter sich hat. Es bezeichnet, dass Gott jene, die außerhalb des wahren Glaubens stehen, überall durch das Feuer seiner Vergeltung brennt. Die aber im katholischen Glauben bleiben, reinigt er überall mit dem Feuer seiner Tröstung.

4. In jenem Feuer ist eine große rötlich leuchtende Feuerkugel, die Sonne, auf dass das ganze Gebilde von ihr erleuchtet wird. Ihr heller Glanz bedeutet, dass in Gott Vater sein unaussprechlicher Eingeborener ist, die Sonne der Gerechtigkeit, welche den Blitz glühender Liebe in sich trägt und von solcher Herrlichkeit ist, dass jedes Geschöpf von der Klarheit seines Lichtes erleuchtet wird. Darüber sind drei Fackeln, drei Planeten, welche die Kugel zusammenhalten, damit sie nicht wankt. Das bedeutet, dass die Dreifaltigkeit in ihrer Anordnung alles zusammenhält, und der Sohn Gottes, vom Himmel zur Erde hernieder gestiegen, und die Engel, die im Himmel sind, verließ, und den Menschen himmlische Dinge offenbarte. Diese verherrlichen ihn wegen der Wohltat seiner Helligkeit, werfen allen schädlichen Irrtum von sich, da er als wahrer Sohn Gottes, der aus der wahren Jungfrau Fleisch angenommen hat, verherrlicht ist, nachdem ihn der Engel vorausgekündigt hat, und da ihn der Mensch, der aus Leib und Seele besteht, in gläubiger Freude aufgenommen hat.

5. Daher erhebt sich die Kugel zuweilen, und hellstes Feuer strahlt ihr entgegen, so dass sie davon ihre Flammen länger aussendet. Das bedeutet, dass, als jene Zeit kam, in der der Eingeborene Gottes zur Erlösung und Erhebung des menschlichen Geschlechts nach dem Willen des Vaters Mensch werden musste, der heilige Geist in der Kraft des Vaters die höchsten Geheimnisse in der seligen Jungfrau wunderbar gewirkt hat, so dass die Jungfräulichkeit herrlich wurde, da sie dem Sohne Gottes in jungfräulicher Schamhaftigkeit durch fruchtbare Jungfrauschaft wunderbaren Glanz verlieh. Denn in der edelsten Jungfrau ist die ersehnteste Menschwerdung gezeigt.

6. Sich etwas abwärts biegend, kommt ihr große Kühle entgegen, weshalb sie ihre Flammen schnell einzieht. Das bedeutet, dass der Eingeborene Gottes aus der Jungfrau geboren, sich so zur Armut des Menschen barmherzig neigte, in vielen Mühsalen, die ihm begegneten, viel körperliche Bedrängung ausstand, als er sich im Körper der Welt gezeigt hatte, über die Welt ging und zum Vater zurückkehrte, und im Beisein seiner Jünger, wie geschrieben steht: »sahen sie ihn erhoben, und eine Wolke verbarg ihn wieder ihren Augen.«

7. Das bedeutet: den Söhnen der Kirche, die mit innerer Kenntnis ihres Herzens den Sohn Gottes sehen, ist die Heiligkeit seines Körpers in der Macht seiner Gottheit emporgehoben worden.

8. Der Hauch mit seinem Winde, der aus jenem Feuer, das das ganze Gebilde umgibt, ausgeht, bedeutet, dass aus dem allmächtigen Gott, der die ganze Welt mit seiner Macht erfüllt, die wahre Aussaat gerechter Rede ausgeht, als der lebendige und wahre Gott dem Menschen in der Wahrheit gezeigt wurde.

9. Und aus der Haut, welche darunter ist, wallt ein anderer Hauch mit seinen Wirbeln auf: weil auch aus der teuflischen Wut, welche sich nicht fürchtet, Gott nicht kennen zu wollen, übelste Rede mit ruchlosestem Geschwätz ausgeht.

10. In derselben Haut ist ein dunkles, so schreckliches Feuer, dass du es nicht anschauen kannst. Das bedeutet, dass in schlechtester und niedrigster Hinterhältigkeit des alten Verräters hässlichster Mord mit solcher Glut ausbricht, dass seine Raserei der menschliche Geist nicht zu unterscheiden vermag. Er erschüttert die ganze Haut mit seiner Kraft: denn der Mord umfängt alle teuflischen Bosheiten mit seinem Schrecken. Jenes Feuer war voller Lärm, Sturm und spitzer kleinerer und größerer Steine; weil der Mord voll Geiz und Trunkenheit und wildester Missetaten ist, welche ohne Barmherzigkeit rasen, in großen Mordtaten wie in kleineren Fehltritten. Das leuchtende Feuer erhebt seinen Lärm, Winde und Luft bewegen sich. Denn, während der Mord in der Begierde, Blut zu vergießen, schreit, erhebt sich das himmlische Gericht, schnelle Donner zum Verderben des Mörders als Rache des gerechten Ratschlusses.

11. Aber unter jener Haut ist reinster Äther, der keine weitere Haut unter sich hat, da unter dem Hinterhalt des alten Verräters hellstrahlende Treue leuchtet, welche nicht aus sich selbst gegründet ward, sondern in Christus ihre Stütze hat. Darin siehst du auch eine sehr große weißglühende Kugel, den Mond, die wahrhaft bedeutet die vereinigte Kirche, die im Glauben den Glanz unschuldiger Klarheit und viel Ehre kündet. Darüber lagern sich zwei Fackeln und halten die Kugel, damit sie nicht den Lauf ihrer Bahn überschreitet. So wird dargetan, dass die Kirche, vom Himmel ausgehend, zwei Testamente, nämlich der alte und neue Bund, zu den göttlichen Geboten der himmlischen Geheimnisse hinziehen, damit sie nicht in die Verschiedenheit der Sitten sich eilends verliere.

12. Daher sind auch in diesem Äther viele helle Lichtkreise, die Sterne, überall gelagert, in welche die Kugel bisweilen sich ein wenig entleerend ihre Klarheit sendet, da ja in der Reinheit des Glaubens sehr viele und leuchtende Werke der Frömmigkeit überall erscheinen. Aber unter die genannte rotglühende Kugel zurückeilend und an ihr ihre Flammen wieder herstellend, hauchte sie wiederum jene in die Sterne: denn sie eilt in Zerknirschung unter den Schutz des Eingeborenen Gottes und empfängt von ihm die Geduld göttlichen Wandels und erklärt die Liebe der Himmelsbewohner in beseligenden Werken.

13. Daher bricht aus dem Äther ein Hauch und seine Wirbel hervor, der sich überall ausdehnt, da von der Einheit des Glaubens der stärkste Ruf mit wahren und vollkommenen Lehren zur Hilfe der Menschen ausströmt und die Enden des ganzen Kreises mit großer Schnelligkeit erreicht.

14. Unter diesem Äther sah ich wässerige Luft, eine Wolke, die eine weiße Haut unter sich hatte; diese verbreitete sich hierhin und dorthin und verlieh jedem Ding Feuchtigkeit. Denn unter dem Glauben, der sowohl bei den alten wie bei den neuen Vätern bestand, brachte die Taufe, sich überall verbreitend, durch göttliche Eingebung dem gesamten Erdkreis die Bewässerung des Himmels in den Gläubigen. Während sie sich bisweilen plötzlich sammelt, gießt sie Regen mit vieler Kälte aus; und während sie sich sanft verbreitet, gibt sie weißen Regen mit leichter Bewegung. Denn während die Taufe manchmal durch die Verkündiger der Wahrheit in der Schnelligkeit der Predigt und in der Tiefe ihres Geistes vermehrt wird, wurde sie durch die schnelle Menge der Worte in der Überschwemmung ihrer Predigt den erstaunten Menschen geoffenbart.

15. Daher geht aus ihm ein gewisser Hauch mit Wirbelwind hervor, ergießt sich über dieses Werkzeug überall hin, da von der Überschwemmung der Taufe, die den Gläubigen das Heil bringt, ein wahrhaftiger Ruf mit Worten sehr starker Predigten in alle Welt ausgeht und sie mit der Offenbarung ihrer Seligkeit durchdringt. Dies wird bereits klar dargelegt bei den Völkern, die den Unglauben verlassen und den katholischen Glauben anstreben.

16. Und mitten in diesen Elementen ist ein Ball von sehr bedeutender Größe, den die Elemente so umgeben, dass er weder hierhin noch dorthin entgleiten kann. Dieser stellt offenbar dar, dass in der Stärke der Geschöpfe Gottes der Mensch vieler Betrachtung bedarf, der aus dem Lehm der Erde mit großer Herrlichkeit erschaffen wurde und mit der Kraft der Geschöpfe so umgeben wurde, dass er von ihnen keineswegs getrennt werden kann, denn die Elemente der Welt sind zum Dienste des Menschen geschaffen und leisten ihm Dienstbarkeit; der Mensch sitzt gleichsam in ihrer Mitte und befiehlt ihnen auf göttliche Anordnung.

17. Du, o Gott, der du alles wunderbar erschaffen hast, hast den Menschen mit der goldenen und purpurnen Krone des Verstandes und dem würdigsten Kleid einer sichtbaren Art gekrönt.

18. Aber du siehst, wie bisweilen die Elemente mit jenen Hauchen sich aneinander stoßen, so tragen sie jenen Ball mit ihrer Stärke, dass er ein wenig bewegt wird. So gehen die Geschöpfe Gottes zu geeigneter Zeit auf den Ruf der Wunder ihres Schöpfers erschüttert einher, so dass das Wunder begleitet wird von dem Wunder des großen Donners der Worte, und der Mensch durch die Größe jener Wunder eine Erschütterung seines Geistes und seines Körpers verspürt und die Schwäche seiner Gebrechlichkeit fühlt.

19. Und du siehst zwischen dem Westen und dem Osten gleichsam einen großen Berg, der nach dem Westen große Finsternis und nach dem Osten großes Licht hat. Denn zwischen der teuflischen Tücke und der göttlichen Güte erscheint der große Fall des Menschen durch die verhängnisvolle Täuschung des Bösen, der bei den Verworfenen viel Elend der Verdammnis und durch das erstrebenswerte Heil bei den Auserwählten sehr viel Glut der Erlösung birgt, so jedoch, dass weder jenes Licht an die Finsternis, noch jene Finsternis an das Licht heranreichen kann, denn die Werke des Lichts mischen sich nicht mit den Werken der Finsternis, und die Werke der Finsternis steigen nicht zu den Werken des Lichts empor, obwohl der Teufel sich anstrengt, sie häufig durch schlechte Menschen zu verdunkeln.

20. Durch das Licht dieser Leuchten wird den Menschen gedient und durch ihren Umkreis die Zeit der Zeiten bestimmt. Daher werden auch in den letzten Zeiten jämmerliche und gefährliche Zeiten durch meine Zulassung in ihnen offenbart, so zwar, dass der Sonne der Strahl, dem Mond der Schein und den Sternen die Helligkeit bisweilen entzogen wird, damit die Herzen der Menschen dadurch erschüttert werden; so wurde auch durch den Stern nach meinem Willen die Menschheit meines Sohnes angezeigt. Der Mensch hat aber keinen eigenen Stern, der das Leben leitet, wie das törichte und irrende Volk zu behaupten versucht, sondern alle Sterne stehen gemeinsam im Dienst aller Völker. Aber ein Stern leuchtet heller als die übrigen Sterne, das bedeutet, dass mein Eingeborener vor den übrigen Menschen durch die jungfräuliche Geburt ohne Sünde geboren wurde. Alle Sterne und Geschöpfe fürchten mich und führen nur meine Befehle aus; sie bedeuten nichts bei irgendeinem Menschen vor.

Die vierte Vision: Von Seele und Leib

1. UND DANN SAH ICH einen unbeschreiblich heiteren Glanz, der wie in zahllosen Augen aufflammte. Gegen die vier Seiten der Welt hatte er Ecken. Er versinnbildete das Geheimnis des himmlischen Schöpfers und wurde mir geoffenbart im tiefsten Mysterium. In diesem Glänze erschien noch ein anderer, der der Morgenröte gleich die Helle eines Purpurblitzes in sich barg. Dann sah ich auf der Erde Menschen Milch in Tongefäßen tragen und zu Käse verarbeiten. Teils war die Milch dick, und aus ihr wurde starker Käse hergestellt. Ein anderer Teil war dünn, woraus magerer Käse gerann. Anderer Käse, der mit Feuchtigkeit vermischt war, gerann zu bitterem Käse. Ich sah auch eine Frau, die eine vollkommene Menschengestalt in ihrem Leibe trug. Siehe da, durch eine geheime Anordnung des himmlischen Schöpfers erhielt diese Gestalt lebensvolle Bewegung, und eine feurige Kugel, ohne die Umrisse eines menschlichen Körpers, ergriff Besitz vom Herzen dieser Gestalt und berührte ihr Gehirn und ergoss sich in alle ihre Glieder. Und dann ging die so belebte Menschengestalt aus dem Leibe der Frau heraus, so wie die Kugel sich in jenem Menschenkörper bewegte, und änderte auch ihre Farbe.

2. Und ich sah, dass viele Wirbelstürme auf die Kugel im menschlichen Körper hereinbrachen und sie bis zur Erde niederdrückten, doch sie gewann ihre Kräfte wieder und richtete sich mannhaft auf. Sie leistete kräftigen Widerstand und klagte seufzend: »Wo bin ich Fremdling? Im Schatten des Todes! Auf welchem Wege gehe ich? Den Weg des Irrtums. Und welchen Trost habe ich? Den, welche fremde Pilger haben. Ich sollte ein Wohngezelt aus Quadersteinen haben, das von der Sonne und leuchtenden Sternen geschmückt ist. Die untergehende Sonne und die Sterne sollten in ihm nicht leuchten, denn in ihm sollte Engelsglanz sein; das Fundament müsste aus Topas und das ganze Gebäude aus Edelsteinen sein. Seine Treppen sollten kristallen und seine Hallen aus Gold sein. Eigentlich müsste ich eine Genossin der Engel sein, weil ich der lebendige Hauch bin, den Gott dem trockenen Schlamme einblies. Daher müsste ich Gott erkennen und fühlen.

Aber weh! Da mein Gebäude sah, dass es mit seinen Augen auf alle Wege sehen konnte, setzte es seinen Schmuck nach Norden. Weh, weh! Wo bin ich gefangen! Ich bin meiner Augen beraubt und ohne Freude des Wissens, mein ganzes Gewand ist zerrissen, und so meines Erbteils entsetzt, bin ich an einen fremden Ort geführt, der aller Schönheit und Zier ermangelt, und wo ich schlimmster Knechtschaft unterworfen bin. Und die, welche mich gefangen nahmen und mit Backenstreichen schlugen, mich mit den Schweinen essen ließen und an einen einsamen Ort schickten, reichten mir sehr herbe, in Honig getauchte Kräuter zur Speise.

Schließlich peinigten sie mich noch mit den Qualen der Kelter, zogen mich aus und fügten mir neue Leiden zu, jagten mich umher, wo scheußliche Giftschlangen, Skorpione und Nattern mich gefangen nahmen und mich mit ihrem Gift bespieen, so dass ich entnervt und geschwächt ward. Sie verlachten und verspotteten mich deswegen! »Wo ist nun deine Ehre?« Da schauerte es mich, und ich sprach in tiefer Trauer zu mir: »Wo bin ich? Woher bin ich an diesen Ort gelangt? Welchen Tröster suche ich in dieser Gefangenschaft? Wie kann ich diese Kette zerreißen? Welches Auge kann meine Wunden schauen? Kann eine Nase diesen Gestank ertragen? Welche Hand salbt mich mit Öl? Wer lässt meinem Schmerze Barmherzigkeit widerfahren? Der Himmel möge mein Rufen erhören, die Erde ob meiner Trauer erzittern und alles Lebendige sich barmherzig meiner Gefangenschaft zuwenden. Es bedrängen mich bitterste Schmerzen, da ich ohne Trost und Hilfe eine Fremde bin. O, wer wird mich trösten, da sogar meine Mutter mich verließ, weil ich vom Heilswege abirrte. Kann mir einer helfen außer Gott?