Pilgern nach Norden - Reinhard Wagner - E-Book

Pilgern nach Norden E-Book

Wagner, Reinhard

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Beschreibung

Seit Jahren ist Reinhard Wagner als Langstreckenwanderer unterwegs. Tausende von Kilometern hat er seit Beginn seines Ruhestands alleine zu Fuß zurückgelegt, auf Fernwanderwegen und Pilgerwegen einige Länder in Europa durchkreuzt und in Büchern über seine Erlebnisse und Erfahrungen berichtet. Im Frühjahr/Sommer 2017 ging er von seiner Haustür in einer kleinen Gemeinde im Rhein-Sieg-Kreis fast 2000 Kilometer auf Pilgerwegen bis nach Trondheim in Norwegen. Von langen und kurzen, leichten und schweren, kalten und warmen, leidvollen und beschwingten, einsamen und geselligen Tagen erzählt er in diesem Buch.

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Dieses Buch basiert auf meinem Internetblog, den ich einige Tage vor dem Start begonnen und während der langen Wanderung in den hohen Norden jeden Tag gewissenhaft fortgeführt habe.

Dieses Buch widme ich meinem kleinen Enkelsohn Lenny, der mich mit seinen drei Monaten die erste Woche begleitet hat und die Sonne auf meinem Weg war.

Inhaltsverzeichnis

Warum pilgern? Was ist Pilgern?

Mein Weg – immer Richtung Norden

Ein Weg auch für Michelle

Literatur

Links

17. Februar 2017: Noch fünf Wochen…

05. März 2017: Geheimnis: Fußballen

10. März 2017: Explosion in meinem Zimmer!!!

15. März 2017: Neue Begleiter?

20. März 2017: Hinein ins Glück!

23. März 2017: Startbereit!

26. März 2017: Unterwegs – aber nicht alleine!

27. März 2017: Drehtag

28. März 2017: Heute mal entspannter

29. März 2017: Jakobsweg erreicht!

30. März 2017: Bergisches Land – abgehakt!

31. März 2017: In der alten Heimat

01. April 2017: Ruhrpott: Check!

02. April 2017: Kleine große Spender

03. April 2017: Neugier wecken

04. April 2017: Immer wieder Überraschungen

05. April 2017: Zehn Prozent

06. April 2017: Harte Zeiten

07. April 2017: Der Pilgerpass an sich

08. April 2017: Bon Camino

09. April 2017: Jakobus – oder wer?

10. April 2017: Teppichwege

11. April 2017: Hinter Gittern

12. April 2017: Schreck in der Nacht

13. April 2017: Dicke Steine

14. April 2017: Nix los! – Nix los??

15. April 2017: Zwei nette Gesten

16. April 2017: Frohe Ostern!

17. April 2017: Ostermontag geschlossen!

18. April 2017: Noch nicht mal Fotos…!

19. April 2017: Im Bauwagen

20. April 2017: Wirklich purer Zufall!

21. April 2017: Elbe erreicht

22. April 2017: Erste Schritte in Schleswig-Holstein

23. April 2017: Am Stördeich entlang

24. April 2017: Ohne Mühen

25. April: Ochsen auf der Spur

26. April 2017: Urdörfer

27. April 2017: „Dicke Pötte?“ – Negativ!

28. April 2017: An Kropperbusch vörbi!

29. April: Wikinger und Eieruhr

30. April 2017: Ruhetag! – Ruhetag??? Pfff…

01. Mai 2017: Petersen und Co

02. Mai 2017: Erinnerungen an 1978

03. Mai 2017: Dänische Grenze – Touch down!

04. Mai 2017: Erster Tag in Dänemark

05. Mai 2017: Kiesweg „unter Schutz“

06. Mai 2017: Proviantprobleme

07. Mai 2017: Pilgerherberge im Sparmodus

08. Mai 2017: Geht doch!

09. Mai 2017: Ja, diese Wanderführer…!

10. Mai 2017: Von Harald Blauzahn zu Bluetooth

11. Mai 2017: Kein Hüttenzauber

12. Mai 2017: Gratiskost

13. Mai 2017: Heide, Sand und Dünen

14. Mai 2017: Pilger-Depot

15. Mai 2017: Von Schlachten und Bergvölkern

16. Mai 2017: Tropfnasser Pilger Jorge

17. Mai 2017: Heerweg in Zeitraffer

18. Mai 2017: Camping mit Musik

19. Mai 2017: Zweiter Ruhetag

20. Mai 2017: In verschiedenen Kostümen

21. Mai 2017: Durch Dornendschungel

22. Mai 2017: Kleine Wäsche

23. Mai 2017: Wieder auf Meereshöhe

24. Mai 2017: Kreuzfahrt-Touristen

25. Mai 2017: Schaum in den Mundwinkeln

26. Mai 2017: Rucksack angekommen!

27. Mai 2017: Dänemark: Check!!!

28. Mai 2017: Rüber nach Oslo!

29. Mai 2017: Der König kommt! Der König kommt!

30. Mai 2017: Nur ein Stück „richtiges“ Norwegen

31. Mai 2017: Heftig durchgeschüttelt

01. Juni 2017: Endlich Pilger in der Herberge

02. Juni 2017: Kirchenkonzert

03. Juni 2017: Bei Schafen und Mäusen

04. Juni 2017: Gamaschen und Poncho im Einsatz!

05. Juni 2017: Verlorener Wettlauf

06. Juni 2017: Ergreifender Gesang

07. Juni 2017: Männlein oder Weiblein

08. Juni 2017: Alter Tannenbaum

09. Juni 2017: Langsamer Abschied vom Mjøsasee

10. Juni 2017: Mit der Schwerkraft in die Quelle

11. Juni 2017: Hinein ins Gudbrandsdal

12. Juni 2017: Richtig schön abwechslungsreich!

13. Juni 2017: Wasser marsch!

14. Juni 2017: Auf Schaffellen

15. Juni 2017: Haltungsnote 10

16. Juni 2017: Talwanderung

17. Juni 2017: Achtung Probe!

18. Juni 2017: Tiefenentspannte Kühe

19. Juni 2017: Hofführung

20. Juni 2017: Hinauf aufs Dovrefjell

21. Juni 2017: Bis in den Abend

22. Juni 2017: Da steht einer!!!

23. Juni 2017: Refugium-Idylle

24. Juni 2017: Dovrefjell: Check!

25. Juni 2017: Auf der „Alten Königsstraße“

26. Juni 2017: Kurze Psycho-Krise

27. Juni 2017: Bei Tante Emma

28. Juni 2017: 61 km til Nidaros

29. Juni 2017: Im Sumpf

30. Juni 2017: Fährmann, hol über!

01. Juli 2017: Geschafft – I did it!!!

02. Juli 2017: Bin ich noch Pilger?

03. Juli 2017: Zum Ende…

Bildnachweis

Warum pilgern? Was ist Pilgern?

Warum steigen Menschen auf hohe Berge? Gefährden manchmal Leib und Leben? Da hört man die Antwort: weil sie da sind. Warum laufen Menschen auf alten historischen Pfaden? Durch menschenleere Landschaften? Bei brütender Hitze oder peitschendem Regen? Über zwanzig Kilometer am Tag. Die Antwort ist einfach: Weil es die Pfade gibt. Weil sie da sind. Als Wege, die Regionen in Europa verbinden. Und als Zeichen. Zeichen für ein Leben jenseits dessen, was vertraut und bekannt ist. Zeichen für ein Leben, von dem Mann und Frau noch etwas erwartet.

Seit Jahrhunderten brechen Menschen auf. Früher noch mehr als heute. Sie nehmen eine Auszeit. Unterbrechen ihren normalen Alltag. Und nähern sich einem bedeutenden Ort zu Fuß. Voller Hoffnung auf ein Gelingen. Schinderei und Qual denken die einen. In-Sich-Selbst-Hineinhorchen-Können die anderen. Heute noch zur Vergebung der Sünden? Als besonderes religiöses Erlebnis? Oder doch mehr als sportliche Herausforderung? Oder als Kulturtripp für diejenigen, die es sich leisten können? Ist die Antwort so wichtig? Muss das wirklich ganz geklärt sein? Kann es das überhaupt?

Jakobsweg, Heerweg, Olavsweg Eine Wanderung auf alten Pfaden. Auf den Spuren der Pilger aus längst vergangenen Zeiten. Gemeinsam Unterwegs-Sein mit anderen Pilgerinnen und Pilgern. Sich unterhalten. Freundschaften schließen. Übernachten in den Herbergen am Weg. Zusammen essen, lachen, Wäsche waschen, Route planen, Infos austauschen. Menschen unbefangen begegnen. Sich gegenseitig unterstützen. Oft über Hunderte von Kilometern dem Wind und Wetter ausgesetzt. Und auf die Gastfreundschaft der Menschen am Wege angewiesen.

Pilgern ist Leben auf dem Standstreifen. Keine Hetze. Kein Getrieben-Sein von Terminkalender und Telefon. Nicht auf der Überholspur. Nur am Abend die Unterkunft erreichen. Pilgern bedeutet, sich für Dinge um sich herum Zeit nehmen. Beobachten und Bewahren. Die Landschaften in sich aufsaugen. In fremde Gesichter schauen. Sich in einer anderen Sprache verständlich machen. Und Bauwerke voller Geschichte besuchen und studieren. Pilgern ist laufen, den Kopf leeren, zu sich kommen, zur Ruhe kommen, den Alltag loslassen, Stille aushalten.

Sagen uns nicht renommierte Geistes- und Naturwissenschaftler seit Langem, dass unsere gestresste und von Burnout-Syndromen geplagte Gesellschaft nichts dringender braucht als Entschleunigung? Es ist dieser Entschleunigungsaspekt. Die Welt zieht langsam an mir vorbei, das lässt die Gedanken ebenfalls zur Ruhe kommen. Schon nach wenigen Tagen schalte ich den daheimliegenden Alltag ab.

„Ist das nicht langweilig?“, wurde ich schon mehrmals gefragt. Pilgern ist Achtsamkeitstraining im Selbstversuch. Manchmal fällt Regen, ein Wald nimmt dich auf, dicke Wolken ziehen vorüber, dann scheint von einer Minute auf die andere die Sonne, ein anderer Pilger schließt sich an und plötzlich bist du im spannenden Gespräch, die Flechten strahlen ginstergelb, raus aus dem Wald, rauf auf den Berg, hinunter ins Tal, und dann denkst du plötzlich daran, dass diesen Pilgerweg Tausende vor dir gingen. Von Langeweile keine Spur.

Auf dem Weg kommen Pilger in Kontakt mit den Fragen, die sie unsichtbar im Gepäck haben. Es sind Fragen nach dem bisherigen Lebensweg und Fragen an die Zukunft. Wie soll ich mein Leben gestalten? Wer bin ich, wenn ich nicht mehr im Beruf bin? Bin ich noch was wert, wenn die Kinder aus dem Haus und mein Lebenspartner mich verlassen hat? Soll ich mich trennen oder haben wir zwei noch eine Chance? Gibt es Heilung für mich? Existiere ich auch jenseits der Pflichten und Rollen? Manche haben diese Fragen im seelischen Gepäck und wissen nicht darum, wenn sie starten.

Ich packe meinen Rucksack und reduziere mich für eine begrenzte Zeit auf das Wesentliche. Statt in den vier Wänden meines Autos, meiner Wohnung oder meines Büros zu sitzen, bewege ich mich ganztägig unter freiem Himmel. Nicht die Termine, E-Mails und Telefonate bestimmen meinen Rhythmus, sondern das Wetter, meine körperliche Konstitution, Stimmung und – wenn ich mit einer Gruppe unterwegs bin – meine Mitmenschen. Das Gehen entschleunigt und weitet meinen Blick für den Augenblick, die Wahrnehmung und das (Mit)gefühl für mich und meine Umwelt.

Mein Weg – immer Richtung Norden

Mein Weg von der Haustür bis nach Trondheim führte mich durch drei Länder - immer Richtung Norden: durch halb Deutschland (766 km), durch Dänemarks Halbinsel Jütland (505 km) und durch ein gutes Stück von Norwegen (675 km), insgesamt also 1.946 km.

Innerhalb Deutschlands war ich auf drei Jakobswegen unterwegs.

Auch wenn mit Sicherheit bereits im Mittelalter Jakobspilger die Sieg als Orientierungshilfe für ihren Weg nach Köln, dem deutschen Drehkreuz der Jakobswege in Richtung Santiago de Compostela, genutzt haben, so ist bis dato kein Weg markiert. Wenn ich also auf Jakobswegen in Richtung Norden gehen wollte, musste ich mir zunächst einen Jakobsweg suchen. Doch der war schnell gefunden.

Bereits am Ende des vierten Wandertages stieß ich nach der Überquerung des nordöstlichen Teils des Bergischen Landes in Breckerfeld auf eine Alternativroute des Westfälischen Jakobswegs und am Tag darauf in Hagen-Haspe sogar auf seine Hauptroute.

Von nun an brachten mich ausgewiesene Pilgerwege bis hinauf nach Norwegen.

Der Westfälische Jakobsweg beginnt am Dom von Osnabrück und verläuft von dort über den Teutoburger Wald ins Münsterland und weiter nach Lünen und Dortmund ins Ruhrgebiet. Dann kommt der Pilger über das Bergische Land nach Gevelsberg, Schwelm und schließlich nach Wuppertal-Beyenburg. Von dort geht es auf einem der Nordrheinischen Jakobswege über Altenberg nach Köln, dem Zentrum mittelalterlicher Frömmigkeit.

Durch meine Brille gesehen, der ich in Gegenrichtung unterwegs war, erwartete mich Folgendes:

Bei Hagen überquerte ich die Ruhr, folgte ein Stück der Uferpromenade des von der Ruhr gebildeten Hengsteysees und war bald darauf in Dortmund. Auf die Pilgertradition muss bei dieser Industriemetropole vielleicht noch hingewiesen werden. Doch sollte diese eigentlich nicht verwundern, liegt Dortmund doch direkt am Hellweg, der wichtigsten mittelalterlichen Rhein-Elbe-Verbindung. Dementsprechend war Dortmund auch Pilgerstation.

Weiter ging es durch das östliche Ruhrgebiet, welches sich ungeachtet nationaler wie internationaler Vorurteile längst als moderne und grüne Landschaft darstellt, die aus einer einmaligen Mischung von Urbanität und naturnahen wie renaturierten Gebieten besteht. Die Zeiten, in denen weiße Bettwäsche nach dem Trocknen grau von der Leine geholt wurde, sind seit Jahrzehnten passé. Ich querte den Datteln-Hamm-Kanal und erreichte mit Lünen den südlichen Teil des Münsterlands. Der südlichste Vorposten des Bistums Münster, Werne, war eine alte Pilgerstation mit Hospital zur Unterbringung der Pilger.

Die weitere Wegführung nach Norden richtet sich nach Vermutungen, denn der genaue Verlauf des originalen Pilgerweges ist unbekannt. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden in der Gegend zwischen Werne und Münster erste steinerne Wege angelegt, vorher muss die Strecke von katastrophaler Qualität und wohl auch von wechselndem Verlauf gewesen sein. Ein Bericht aus dem 17. Jahrhundert erzählt davon, dass die Strecke für Wagen wie Pferd fast unpassierbar gewesen sein muss. Das gilt heute natürlich nicht mehr, die teilweise bestehende Nähe zur A 1 lässt manche Pilgerin und manchen Pilger vielleicht eher wünschen, dass die Gegend ein bisschen weniger gut an die Zivilisation angebunden wäre.

Auf Feld- und Wirtschaftswegen ging es weiter nach Norden. Neben den Feldern, die sowohl der Viehwirtschaft wie dem Ackerbau dienen, sind es hauptsächlich Obstbaumpflanzungen sowie Eichen-Hainbuchenwälder, durch die der Weg aufgelockert wird. Einzelne Höfe von meist nicht unbeträchtlicher Größe liegen verstreut in der Landschaft. Noch vor Überquerung des Dortmund-Ems-Kanals kamen die Türme von Münster in den Blick.

Anschließend erreichte ich das Naturschutzgebiet Boltenmoor. Dies ist ein etwa 10 ha großes, naturbelassenes Stück Torfmoor, das einen Eindruck davon gibt, wie es hier und in der norddeutschen Tiefebene bis vor wenigen hundert Jahren an vielen Stellen ausgesehen hat. Die Entwässerung der Moore hat seit dem 17. Jahrhundert zu einem dramatischen Wechsel des Landschaftsbildes geführt, welches das agrarische Münsterland in seiner heutigen Form aber erst ermöglichte.

Ich folgte ein Stück dem Dortmund-Ems-Kanal und lernte dann auf Zickzack-Wegen die für das Münsterland typischen Wallhecken, sog. „Knicks“, kennen. Dies sind durch Knicken oder Einschlag der Triebe sehr dicht wachsende Hecken, die dem Windschutz und der Einfriedung der Marken dienen.

Teutoburger Wald und Tecklenburger Land waren weitere Stationen, bevor ich in Osnabrück, dem Start- bzw. Endpunkt des Westfälischen Jakobsweges, ankam. Das im Mittelalter zu einer wichtigen wie auch reichen Handels- und Hansestadt herangewachsene Osnabrück war für die Pilger aus dem norddeutschen und skandinavischen Raum als Wegstation von großer Bedeutung, was sich unter anderem noch heute in Straßennamen und durch Funde und Sehenswürdigkeiten in verschiedenen Kirchen belegen lässt.

Die ersten fast 300 km lagen hinter mir. In den bisher durchquerten Landschaften wurde Industriegeschichte geschrieben und der Dreißigjährige Krieg beendet. Pilger und Händler zogen hier durch und sogar römische Kriegsheere. Für den Anfang doch schon ganz schön.

Osnabrück war für mich nicht nur der Zielort auf dem Westfälischen Jakobsweg, sondern auch der Endpunkt des nördlichsten Weges der Ost-West-Verbindungen in Deutschland, der Via Baltica. Diese Pilgerroute beginnt auf der Insel Usedom an der Grenze von Polen und Deutschland zwischen Swinemünde (Swinoujscie) und Kamminke. Er stellt damit die Brücke von den baltischen Ländern nach Santiago de Compostela in Spanien dar. Von Usedom kommend verläuft die Via Baltica weiter über Greifswald, Rostock und Wismar durch Mecklenburg-Vorpommern, dann in Schleswig-Holstein nach Lübeck und durch Hamburg, Bremen und Niedersachsen bis nach Osnabrück. Dort geht es auf dem Westfälischen Jakobsweg weiter. Ich konnte diese Route nur zwischen Osnabrück und Harsefeld für ca. 280 km unter die Füße nehmen.

Schon die mittelalterlichen Jakobspilger nutzten ältere Handels und Wallfahrtswege. Einer dieser Wege verläuft von Wildeshausen bei Bremen in südlicher Richtung nach Osnabrück – der Pickerweg. Osnabrück war damals der Sammelpunkt für Handelskarawanen und Wallfahrer am Ausgang der Norddeutschen Tiefebene, der den Verkehr aus dem Osten und dem Norden für den weiteren Weg in den Süden und den Westen bündelte. Der Begriff Pickerweg stamme, so lautet die unbewiesene Vermutung einiger heutiger Historiker, wahrscheinlich vom lateinischen Wort „peccare“ ab, was „sündigen“ bedeutet. Und mit dieser Namensdeutung würde die zentrale Funktion des

Weges als Pilgerroute nach Rom bzw. Santiago de Compostela auch nochmals ganz klar deutlich. Mindestens seit 850 sind Pilger auf ihm unterwegs, ein Jahr, in welchem er erstmals urkundlich belegt wird. Er war aber ebenso Teil der alten Rheinischen Heerstraße, der der Forschung sehr gut bekannt ist. Auch die immer größer werdenden Warenströme zwischen den Hansestädten und Köln nahmen den Pickerweg und das an ihm sich ansiedelnde dichte Herbergs- und Poststationennetz dankbar an, so dass im heutigen Schatten der vielbefahrenen A1 schon damals von einer Art Autobahn ausgegangen werden kann, die bestens belegt ist.

Zusammen mit einem Teilabschnitt der Via Baltica wanderte ich nun bis Wildeshausen gleichzeitig auch auf dem Pickerweg.

Die Norddeutsche Tiefebene zwischen Osnabrück und Bremen ist ein flaches, feuchtes, landwirtschaftlich genutztes Grüngebiet, dessen Weiden und Äcker von wenigen Waldungen durchbrochen werden und in dem eine Vielzahl von Dörfern und kleinen Ansiedlungen verstreut liegt. Deutlich durchbricht dabei der rote Backstein der teils prächtigen Gehöfte das Grün und die Kirchtürme sind von weitem zu sehen.

Hinter Osnabrück überquerte ich das Wiehengebirge und den Mittellandkanal und fand mich bald darauf in der Dümmeniederung wieder, einst ein riesiges zusammenhängendes Moorgebiet, dessen Durchquerung außer im trockensten Sommer sehr gefährlich sein konnte. Das Bistum Osnabrück legte hier eigens einen Damm für die Reisenden an. Durch Abtorfung und landwirtschaftliche Nutzung ist von der Gefahr nichts geblieben, aber das Moor ist durchaus noch zu erkennen.

Hinter den Dammer Bergen, einer eiszeitlichen Moränenlandschaft, wurde es wieder feucht links und rechts des Weges, das Poggenmoor breitete sich neben mir aus. Doch hinter Vechta wurde es deutlich trockener, auf dem Geestrücken der Wildeshausener Geest verläuft der Weg weiter, dem größten zusammenhängenden Waldgebiet Nordwestdeutschlands. Die Syker Geest schloss sich an. Geest bezeichnet dabei eine Landschaftsform in Norddeutschland, den Niederlanden und Dänemark, die durch Sandablagerungen während der Eiszeiten entstanden ist. Da die Geest einen Höhenzug darstellt, ist sie das Gegenteil der Marsch und wird auch Geestrücken oder Sandrücken genannt.

Vom Geestrücken ging es nun leicht abfallend ins Urstromtal der Weser hinab, auf deren Deich ich Bremen erreichte. Zwei Tageswanderungen hinter der alten Hansestadt war für mich bei Harsefeld der Weg auf der Via Baltica beendet, die nun weiter über Hamburg und Lübeck, durch Mecklenburg-Vorpommern bis nach Usedom an die polnische Grenze führt. Ich schwenkte ein auf den nördlichsten Jakobsweg Deutschlands, die Via Jutlandica.

Die folgenden Informationen werden sich bei meinen Hinweisen zum dänischen Heerweg/Ochsenweg in Teilen wiederholen oder durch zusätzliche Anmerkungen ergänzt. Kein Wunder, macht doch solch ein Weg nicht vor politischen Grenzen halt, zumal die Grenze zwischen Deutschland und Dänemark im Lauf der Geschichte nach Norden verschoben wurde.

Der älteste Landweg, der im Norden Europas einst von Königen, Reisenden, Wikingern, Ochsentreibern, Soldaten, Handwerksburschen und auch Bettlern genutzt wurde, heißt Ochsenweg, und dieser alte Handels- und Reiseweg war einst die wichtigste Verkehrsverbindung zwischen Dänemark und Deutschland.

Der Jahrtausende alte Weg entstand am Rand der Eiszeitgletscher. Zahlreiche Steinzeitgräber weisen auf eine frühe Besiedlung in diesen Gebieten hin. Im Jahre 974 berichten Geschichtsschreiber von einem Heerweg, auf Dänisch Hærvejen, der von Norddänemark bis nach Schleswig führte. In den folgenden Jahrhunderten ist dieser Weg immer wieder eine Hauptverbindung für Eroberer und Kriegsheere gewesen. In erster Linie war er aber Handels- und Herdenweg, auf dem Kaufleute und Händler in die Städte des Südens zogen und umgekehrt. So bekam er auch den Namen Ochsenweg. Einerseits fuhren die ersten Händler mit Ochsenwagen und andererseits wurden auf diesem Weg von Jütland bis vor die Tore Hamburgs, nach Wedel, Ochsenherden getrieben. Seit dem Mittelalter sind Millionen von Tiere auf diesem Weg in die Ballungszentren des Südens gekommen. Im Jahre 1651-52 wurden 15.860 Ochsen „verzollt“!

Bereits in der Bronzezeit wurde der alte Handelsweg für das Metallhandwerk genutzt, wichtige Rohstoffe wie Kupfer und Zinn wurden über diesen Weg aus Mittel- und Süddeutschland gen Norden transportiert.

Dieser und ähnliche Wege wurden im Laufe der Zeit gut „ausgebaut“. Es gab Markierungen, so genannte Prellsteine, die die Straße begrenzten und sie gleichzeitig kennzeichneten. Moore und Niederungen wurden umgangen. In Entfernungen von einem Tagesmarsch entstanden Herbergen und Ausspannhöfe. An wichtigen Wegekreuzungen und Furten entstanden Ortschaften.

Diese Merkmale treffen auch für die Via Jutlandica zu. Der Ochsenweg war - von Dänemark kommend - schon immer auch ein Pilgerweg. Ob die heutigen Wege tatsächlich mit dem historischen identisch sind, sei dahin gestellt. Die vielen Klöster, Ur-Kirchen und Krankenhäuser deuten auf einen Pilgerweg hin, sie waren vor allem für Pilger eine sichere Bleibe und manchmal auch Rettung. Der Ochsenweg galt als Zubringer-„Straß“ auf die Via Francigena oder den Jakobsweg, um zu den großen Pilgerstätten des Abendlandes nach Rom oder Santiago de Compostela zu gelangen. Um 1150 gab es erste Wegbeschreibungen für Pilger von Island, Norwegen und Schweden, später sogar von Grönland aus. Alle diese Wege führten durch Jütland in Dänemark und dem heutigen Schleswig-Holstein.

Der Pilgerweg Via Jutlandica und der Ochsenweg verlaufen nicht immer auf gleichen Pfaden, geographisch aber im gleichen Gebiet. In jüngster Zeit sind die Wege neu markiert worden. Noch heute kann man den Ochsenweg teilweise auf Originalwegen gehen.

Bald hinter Harsefeld kam ich nach Stade. Die Wegeforschung zum mittelalterlichen Wegenetz hat ermittelt, dass Stade, die Stadt an der Schwinge, im frühen und hohen Mittelalter ein bedeutendes Verkehrszentrum im Nordwesten Deutschlands darstellte. Weitere mittelalterliche Dokumente lassen begründet annehmen, dass Stade auch ein wichtiges Pilgerzentrum für die Jakobspilger aus dem Norden war, die in Itzehoe das Schiff bestiegen, die Stör hinabfuhren, die Niederelbe überquerten und die Schwinge bis Stade hinauffuhren. Andere Pilger sind über die Trichtermündung der Elbe bis Stade mit dem Schiff gekommen. Erst mit dem Versanden der Schwinge verlor Stade sein Gewicht als Hafenstadt.

Auf dem Deich der Süderelbe kam ich hinter Drochtersen nach Wischhafen, von wo mich eine Fähre über die Elbe hinüber nach Glückstadt brachte. Der dänische König Christian IV. ließ 1615 die Stadt als Festungsstadt erbauen. Sie sollte der aufstrebenden Hafenstadt Hamburg den Rang ablaufen. Leider hatte sie schlechte Voraussetzungen dafür, die geringe Wassertiefe und eine vorgelagerte Insel machten diesem Vorhaben ein Ende.

Weiter ging es auf einem Deich in Richtung Itzehoe, aber nicht auf dem der Elbe, sondern auf dem der von Norden zufließenden Stör. Rechts und links ziehen sich die weiten Elbmarschen dahin. Bei Itzehoe überquerte ich die Stör, ließ die Marsch hinter mir und begab mich wieder in eine Geestlandschaft hinein.

Über gut ausgebaute Feld- und Wirtschaftswege ging es aus Hohenlockstedt hinaus nach Jahrstedt. Hünengräber und andere Spuren deuteten auf den nächsten Kilometern darauf hin, dass die Vorläufer der heutigen Dörfer schon vor Jahrtausenden bestanden. Schleswig-Holstein verfügt über eine Siedlungsgeschichte bis zurück in die Steinzeit. Auf diese reiche Geschichte stieß ich gleich mehrfach, denn die Strecke führte nun entlang und durch eine ganze Reihe von Orten, deren Anfänge in prähistorischer Zeit zu suchen sind, wie berufene Stellen durch mannigfache Funde bestätigen können.

Unmittelbar vor dem Stadtzentrum von Rendsburg tat sich dann die Erde vor mir auf: Europas längste Rolltreppe trug mich mehr als 20 Meter tief hinab unter den Nord-Ostsee-Kanal, die knapp hundert Kilometer lange und mehr als 110 Jahre alte, meist befahrene künstliche Wasserstraße der Welt. Mit der Eider bei Rendsburg passierte ich die ehemalige nördlichste Grenze des “Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation” mit dem Königreich Dänemark.

Die vielen Flüsschen auf dem folgenden Wegabschnitt bereiteten mir heutzutage auf meiner Wanderung wenig Probleme, stellten in alter Zeit für Händler, Viehtreiber und Pilger jedoch durchaus ernsthafte Hindernisse dar. Von den im Sommer staubigen und im Winter schlammigen, nahezu unpassierbaren Pfaden kann man sich auf einem original erhaltenen Stück des historischen Ochsenweges Richtung Kropp ein gutes Bild machen. Kropp ist wortgeschichtlich verwandt mit Kropf und bezieht sich wohl auf die Anhöhe, auf der der Ort im Mittelalter als dänische Siedlung erbaut wurde.

Bald hinter Kropp kam ich nach Haithabu, eine ehemals bedeutende Wikingersiedlung und ein wichtiger Handelsplatz. Die Wallanlagen der Siedlung sind immer noch gut erkennbar, und innerhalb dieses Walles befindet sich eine der wichtigsten Fundstätten aus der Wikingerzeit. Jenseits der Schlei sah ich nun schon Schleswig liegen, die älteste Stadt im Ostseeraum, vor mehr als tausend Jahren gegründet.

Dann die letzten drei Wandertage auf deutschem Boden. Nur noch kleine Ortschaften: Idstedt, Sieverstedt, Oeversee, an Teichen und Seen entlang, Handewitt, Harrislee, Niehuus – dann die Grenze.

Die Dänen nennen ihn normalerweise Hærvejen – als ob es nur einen Weg gäbe. Der Hærvejen bestand früher aus mehreren Wegen, die über das zentrale Jütland von Nord nach Süd führte. Wenn ein Weg aufgepflügt war, wählte man einen anderen, und so entstanden mehrere Wege, die alle als Hærvejen bezeichnet wurden. Außerdem wurden Ochsen und Vieh in der Regel über andere Wege geführt als Fuhrwerke und Wanderer. Viele dieser Spuren trafen jedoch zusammen, wo Furten und Brücken waren. In Südjütland wurde der Hærvejen Ochsenweg genannt und ging südwärts über Schleswig weiter durch Europa zu den bedeutenden Pilgerzielen Rom und Santiago de Compostela.

Die letzte Eiszeit vor 15.000 Jahren hat die Landschaft und damit auch die Lage des Ochsenwegs/Hærvejen geformt. Das Eis hatte große Mengen Lehm, Schotter und Steine vor den Gletscherrand geschoben. Als der Eispanzer am dicksten war, stand der Eisrand wie eine Mauer in Jütland. Die Eisrandlinie hinterließ hier eine markante Landschaftsgrenze längs durch die gesamte Halbinsel, die die mittel- und westjütländischen Heiden von der hügeligen ostjütländischen Moräne trennt. Diese markante Landschaftsgrenze nennt man heute den jütländischen Höhenrücken.

Das Schmelzwasser der Gletscher floss in westliche Richtung über die eisfreien Gebiete ab. Nachdem sich das Eis zurückgezogen hatte, konnten Bäche und Wasserläufe auch nach Osten abfließen. Das heißt, dass nach der Eiszeit die Wasserläufe östlich des Eisrandes nach Osten und die westlich davon nach Westen abflossen. Das Gebiet zwischen den ost- und westwärts fließenden Wasserläufen wurde zur Wasserscheide. Da es hier am einfachsten war, Jütland trockenen Fußes zu durchqueren, entstand hier auch der Ochsenweg/Hærvejen. Die vielen Wegspuren des Heerweges folgten eben der Wasserscheide, wo die Wasserläufe noch nicht so groß und wasserreich waren, dass das Überqueren mit Rinderherden und Wagen zu schwierig wurde. Das „Prinzip des trockenen Fußes“ war stets Ausgangspunkt für den Verlauf des Heerweges. Neben großen Wasserläufen galt es auch feuchte Niederungen zu vermeiden.

Der Ochsenweg/Hærvejen führt meist um Moore und Wiesen herum – er wurde ja angelegt, um trockenen Fußes voranzukommen. In Südjütland kommt er jedoch einigen Moorgebieten sehr nahe. Dort findet man Hochmoore mit Torfmoosen und Wollgräsern, doch sollte man sich möglichst davon fernhalten. In früheren Zeiten verschwanden viele Reisende, wenn sie sich verirrten und in einen Moortümpel gerieten!

Ochsenweg bzw. Hærvejen führte früher durch große, offene Heidegebiete, die seit prähistorischen Zeiten durch Holzfällen und starke Ausmergelung des Ackerbodens entstanden waren. Um 1800 war ein Viertel Jütlands von Heide bedeckt. Doch dann begann man, den sandigen Boden zu kultivieren. Außerdem versuchte man, durch die Anpflanzung von Nadelbäumen die Heide zurückzudrängen. Diese Maßnahmen führten dazu, dass heute weniger als 3% der ursprünglichen Heideflächen Jütlands übrig sind. Einige der heutigen schönsten Heidegebiete des Landes liegen am Ochsenweg/Hærvejen. 1760 begannen die sogenannten „Kartoffeldeutschen“ mit der Urbarmachung der Heide – diesen Namen erhielten sie erst später, da sie den Dänen beibrachten, Kartoffeln zu essen. Die Besiedlung und die Kultivierung war ein mühsames Unterfangen, das zum Teil scheiterte, worauf die meisten Deutschen wieder nach Hause reisten.

Schon seit Anfang der Besiedlung des Landes verkehrten Menschen auf dem Ochsenweg/Hærvejen. Daher findet man hier Monumente aus der Bronzezeit sowie einige der bedeutendsten Monumente aus der dänischen Wikingerzeit.

Jahrtausende lang war der Heerweg eine der Handelsrouten vom und zum mittleren und südlichen Europa, auf dem Ideen und Handelswaren ausgetauscht wurden. Der früheste Warenverkehr war vermutlich der Handel über kurze Entfernungen und nicht eigentlicher Fernhandel. Der vorgeschichtliche Warenaustausch hatte hauptsächlich lokalen Charakter in Form von Naturalienhandel zwischen Nachbargemeinden. Erst in der Wikingerzeit ((775-1050) bekam er seine Funktion als internationale Handelsroute. Rohstoffe wie Feuerstein und Bernstein waren schon in vorgeschichtlicher Zeit Exportartikel. Auch Felle, Horn, Honig, Fleisch und Steingut wurden mit fremden Waren wie Metallen, Glas, Waffen oder Schmuck getauscht.

Ab Mitte des 15. Jahrhunderts war der Ochsenweg/Hærvejen eine wichtige Transportroute für Fleisch – von den jütländischen Wiesen zu den europäischen Großstädten. In den norddeutschen und holländischen Städten stieg die Nachfrage nach Lebensmitteln so stark an, dass sie von der örtlichen Produktion keinesfalls gedeckt werden konnte. Die großen Weiden entlang der jütländischen Wasserläufe boten gute Möglichkeiten für die Fleischproduktion, die sich bald zum größten Exporterfolg des Mittelalters und zu einem einträglichen Geschäft für die großen Höfe des Landes entwickelten. Bevor es Kühlwagen gab, bestand die einzige Möglichkeit, Fleisch frisch zu halten, darin, dass sich die Tiere selbst transportierten. Es lag nahe, vor allem Ochsen zu exportieren, da die Kühe zur heimischen Milch- und Kälberproduktion beitrugen. Im 16. und 17. Jh. wurden 30-50.000 Ochsen jährlich über den Ochsenweg/Hærvejen getrieben, außerdem Pferde, Schweine, Ziegen, Schafe und Gänse. Nach 10-15 Tagen Trieb im Frühjahr waren alle Tiere von der anstrengenden Reise abgemagert und mussten daher auf den fruchtbaren Elbmarschen gemästet werden, bevor sie im Herbst mit Gewinn auf den wichtigsten Rindermärkten in Itzehoe, Wedel und Hamburg verkauft werden konnten. Nach dem Absatz der Tiere reisten die Viehhändler und – treiber mit gut gefüllten Geldbeuteln oder großen Warenkörben nach Dänemark zurück.

Der Viehtrieb bestand in der Regel aus 40 bis 50 Stück Vieh, die von mehreren Viehtreibern und Futterbeschaffern begleitet wurden. Die Futterbeschaffer reisten den Rinderherden voraus und sorgten für Unterkunft und Futter für die Tiere und Nachtquartier für die Viehtreiber. Am nächsten Morgen ging es in aller Frühe weiter, um am folgenden Abend den besten Platz zu ergattern. Die großen Viehtriebe umgingen die größeren Städte wegen des Lärms und des Schmutzes, den sie verursachten. Stattdessen suchten sie sich ihren Weg durch dünner besiedelte Gegenden. Dadurch entstand eine Kette von Heerwegkrügen und Wirtshäusern mit zugehörigen Viehgehegen und Tränken, wo Menschen und Tiere sich versorgen konnten und man vor Wölfen und Dieben geschützt war. Um die Ställe der historischen Gebäude zu erhalten, wurden sie nun im Zuge der Pilgerrenaissance zu Pilgerherbergen umgebaut, und dies im protestantischen Dänemark, in dem noch heute 80 % der Bevölkerung der evangelischen Staatskirche angehören.

Der Dreißigjährige Krieg und die Schwedischen Kriege erschwerten den Viehhandel im 17. Jahrhundert. Später folgte die Rinderpest im 18. Jahrhundert. Der Viehexport erreichte deshalb nie wieder den Umfang seiner Blütezeit im 16. Jahrhundert. Viehtriebe auf dem Heerweg konnte man aber bis ins 19. Jahrhundert hinein erleben und erst mit dem Bau der Eisenbahn Ende des 19. Jh. verschwand die Grundlage für den Ochsentrieb, und damit geriet auch der Ochsenweg/Hærvejen in Vergessenheit, bis er im 20. Jh. wieder entdeckt wurde.

Trotz seines dänischen Namens Heerweg war er selten Marschroute von Armeen, da es von der Antike bis ins 19. Jahrhundert nur wenige Invasionen aus Jütland beziehungsweise Schleswig nach Süden gab und nur etwa drei aus Deutschland nach Norden. Obwohl er also meist für friedliche Zwecke genutzt wurde, hatte er in Kriegszeiten auch eine militärische Bedeutung. Dies hat Spuren hinterlassen, die sich über mehrere tausend Jahre erstrecken – von der Völkerwanderung der Eisenzeit, über mittelalterliche Kämpfe um die Königsmacht bis hin zu den deutsch-dänischen Kriegen in neuerer Zeit. Der Heerweg wurde dann wiederholt von Truppen benutzt, die schnell durch Jütland hinauf oder hinunter zogen – besonders häufig von dänischen, schwedischen und deutschen Armeen während des Dreißigjährigen Krieges. Die Bevölkerung hatte schwer darunter zu leiden. Höfe und Dörfer wurden mehrmals von den durchziehenden Heeren geplündert und niedergebrannt – und oft folgten Krankheiten in ihrem Kielwasser. Im 19. Jahrhundert war der Heerweg Schauplatz des deutsch-dänischen Krieges um Schleswig und Holstein – und zuletzt benutzten deutsche Truppen nach der Kapitulation 1945 den alten Heerweg auf ihrem Rückzug nach Deutschland.

Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit war der Ochsenweg zudem eine wichtige Pilgerroute, die Menschen aus Nordeuropa insbesondere nach Italien und Nordspanien führte. Eine isländische Handschrift vom Ende des 12. Jahrhunderts enthält eine sorgfältige Aufzeichnung „des Pilgerweges von Island nach Jerusalem“, in der die Pilgerreise eines Abts Nikolaus durch Jütland und weiter durch Deutschland bis hin nach Rom und Jerusalem aufgezeichnet ist. Der erste dänische Pilger, den man mit Sicherheit kennt, war Knud der Große, der 1027 nach Rom pilgerte, um dort das Grab des Apostels Petrus zu besuchen. Obwohl seit der Reformationszeit das Pilgern im Protestantismus zum Erliegen kam, Luther den Brauch gar als „Narrenwerk“ bezeichnete, zogen Pilger auf der „Pilgrimsrute“ zu den Heiligen Stätten nach Süden.

Und ich "Narr" zog nun auf dieser "Pilgrimsrute" zu einer Heiligen Stätte in den hohen Norden.

Meine Pilgerroute auf dem Olavsweg verlief in weiten Abschnitten nahe der heutigen E6, der Verbindungsstrecke von Oslo zu den Lofoten und zum Nordkap. Sie war schon früher der Weg des Volkes, der Post, der Könige und der Pilger. Nidaros, das heutige Trondheim, war im Mittelalter ein bedeutsames Pilgerziel. Pilger aus ganz Europa pilgerten zum Wallfahrtsort, dem Dom zu Nidaros, um Buße zu tun, um Heilung zu erfahren, denn der Dom wurde auf dem Grab des heiligen Olav errichtet.

Wer war eigentlich dieser Olav, nach dem man einen Pilgerweg in Norwegen benannt hat? Nicht nur einen, sondern genau genommen den Pilgerweg in ganz Skandinavien. Wer war der Mann, dessen Namen noch heute der am häufigsten vergebene Vorname in Skandinavien ist?

Olav II. Haraldson wurde im Jahr 995 geboren und entstammte dem wikingischen Königshaus des Harald Silberhaar. Nördlich von Kristiania, dem heutigen Oslo, wuchs er auf und ging schon in jungen Jahren auf die durchaus bekannten wikingischen Eroberungsfahrten. Warum, wie und wann Olav zum Christentum konvertierte, ist heute nur schwer nachvollziehbar, und so bemüht man die Sagen und Legenden um ihn, die allesamt von seiner Taufe im Rahmen einer Eroberungsfahrt im französischen Rouen ausgehen. Schon kurz danach kehrte er zur Thronbesteigung nach Norwegen zurück und brachte erstmals in der Geschichte des Landes katholische Bischöfe mit, ein sicheres Zeichen seiner Absichten. Mit seiner Inthronisierung hatte er sich die Christianisierung Norwegens zur Aufgabe gemacht.

Aber nicht nur das macht Olavs Popularität im heutigen Norwegen aus, denn neben seinen vielen Missionsreisen durch das ganze Land gelang es ihm auch, das Land zu einen und zu vereinheitlichen, eine nationale Identität zu schaffen, den Weg von der Stammesgesellschaft zur Nation zu beschreiten. Ein steiniger Weg und nur ein Anfang, wie sich später erst zeigte, denn der Widerstand gegen seine Herrschaft wuchs unter den Stammesfürsten schneller als seine Reformen griffen. Am Ende musste Olav fliehen und ging ins Exil nach Kiew. Zu dieser Zeit wurde die Bevölkerung durch die Dänen geknechtet, weil die vielen kleinen heidnischen Stammesfürsten untereinander zu zerstritten waren, um sich gegen die übermächtigen Dänen zur Wehr zu setzen. Und das wollte König Olav ändern. 1030 kehrte Olav zurück, um seinen Machtanspruch erneut geltend zu machen, fiel aber in der sagenumwobenen Schlacht von Stikklestad am 29. Juli desselben Jahres, dem Tag, an dem heute noch in Trondheim das Olavs- oder Nidarosfest gefeiert wird. Seine Anhänger bargen den Leichnam vom Schlachtfeld und bestatten ihn am Fluss Nidelven, der Stelle, an der später der Nidarosdom errichtet wurde. Es dauerte nicht lange bis von wundersamen Dingen berichtet wurde. Eine Sonnenfinsternis, die als göttlicher Zorn gedeutet wurde, spontanes Genesen schwer Erkrankter und die Heilung eines alten Leidens einer derer, die Olav getötet hatten und mit seinem Blut in Berührung gekommen waren. Der Weg zur Heiligsprechung war geebnet. Der Papst erkannte an, dass Olav als Werkzeug Gottes galt. Die Folge war eine ungeahnte Popularität Olavs. Ein wahrer Pilgerstrom setzte seinerzeit ein, ließ erst spät nach und verebbte dann schließlich, als im Zuge der Reformation das Pilgern zwischen 1537 und 1953 unter Androhung von Strafe im protestantischen Norwegen verboten wurde.

Wird vom Olavsweg gesprochen, ist in aller Regel der Hauptweg, der sogenannte Gudbrandstalweg gemeint. Dieser ist der längste der Olavswege in Süd-Nord-Richtung oder, wenn man so möchte, als Fortsetzung der Jakobswege aus Dänemark und aus Schweden. Er führt zuerst über Oslo, später durch das romantische Gudbrandsdal und folgt dem Lauf des Flusses Lågen über Ringebu, Vinstra und Otta. Dann durchquert er die weiten Hochebenen des Dovrefjells und führt über Oppdal entlang der Orkla, um dann durch ausgedehnte Moore und Wälder in Trondheim zu enden. In Eidsvoll teilt sich der Weg auf einer Länge von ca. hundert Kilometern in die östliche und die westliche Route um den Mjøsasee herum und trifft in Lillehammer wieder aufeinander. Dieser Weg war der erste, der 1997 wieder ins Leben gerufen wurde und vielleicht nicht zuletzt auch deshalb als „der“ Olavsweg gilt.

Zuverlässig überliefert ist, dass es schon zu damaliger Zeit eine gewisse Dichte von Unterkünften am Weg gab. Normale Herbergen, Gasthäuser und vor allem die Sælehuseter, die Glückshäuser, Herbergen der einfachsten Art und ohne jede Versorgung der Reisenden.

Die Frage ist, warum sich Könige in früheren Zeiten auf dem Weg zu ihrer Krönung im Nadarosdom im heutigen Trondheim über die Berge quälen mussten, statt auf einfachem Weg durch die Flusstäler voranzukommen. Früher waren die Täler nicht so wie heute. Da fielen entweder die Berge steil ab bis an den Fluss, an dem heute Straßen frei gesprengt worden sind, oder Sümpfe versperrten den Weg. Deswegen wurde der Königs- oder Pilgerweg hier oben über die Berge angelegt. So war es 1000 Jahre zurück schwieriger, an den Flüssen entlang zu gehen als über die Berge zu steigen.

Nicht alle Teile des Olavswegs entsprechen heute mehr den Routen, die die Pilger in all den Jahrhunderten zuvor zurückgelegt haben. Genau lässt sich heute über weite Strecken einfach nicht mehr nachvollziehen, wie der damalige Pilgerweg verlief. Einiges ist im Laufe der Jahrhunderte in Vergessenheit geraten, anderes hingegen genau dokumentiert und dort, wo der Wegverlauf eindeutig bestimmbar ist und heute auch noch benutzbar, geht man auf den Pfaden wie einst die Pioniere vor nunmehr fast tausend Jahren. Überall dort, wo es ging, benutzten sie die sogenannten „Tjodveien“, die öffentlichen Wege, die heute nicht mehr in dieser Form bestehen, weil sie – entweder vergessen und nicht mehr benutzt – wieder zu Feldern oder Äckern wurden, oder aber weiter ausgebaut wurden und heute Bestandteil des modernen Straßennetzes sind.

Ein Weg auch für Michelle

Meine Pilgerwanderung war auch eine Sponsorenwanderung. Das Schicksal einer jungen Frau aus meinem Nachbardorf, gerade erwachsen geworden, hatte mich sehr berührt. Ich hatte mich daher entschlossen, im Rahmen meiner Wanderung eine Spendenaktion durchzuführen.

Als Michelle fünf Jahre alt war, mussten die Eltern durch einen Zufall erfahren, dass sie einen Gendefekt (Neurofibromatose Typ 1) hat. Nach vielen Untersuchungen stellten die Ärzte einen Tumor am Sehnerv fest, woraufhin sie dann fast zwei Jahre Chemotherapie bekam. Zusätzlich bilden sich im Körper von Michelle bis heute immer wieder neue Tumore. Sie muss alle paar Monate ins Krankenhaus, um wieder welche operativ entfernen zu lassen. Über 30 Operationen mussten bisher an ihr vorgenommen werden. Diese Krankheit ist unheilbar und das wird ihr immer bewusster, je älter sie wird. Sie leidet sehr darunter, aber nicht nur wegen der ständigen Schmerzen und Krankenhausaufenthalte, sondern auch seelisch kann sie es kaum noch aushalten.

Deshalb hatten sie und ihre Eltern die Hoffnung, dass sie durch eine Delfintherapie wieder neuen Lebensmut bekommt und es ihr das Leben, auch wenn es immer wieder Rückschläge gibt, vielleicht etwas leichter macht.

Die Durchführung der Delfintherapie war sehr teuer und das Geld für die Familie zumindest bis zum geplanten Beginn nicht ohne Hilfe aufzubringen. Unterstützt durch die regionale Presse, durch Funk und Fernsehen und durch eine großartige Spendenbereitschaft von Menschen zu Hause und unterwegs konnte ich so viel Geld zusammenbringen, dass die Therapie stattfinden konnte. Aber nicht nur das! Mein Spendenaufruf hat sogar viel mehr Geld erbracht als für die Maßnahme nötig gewesen wäre. Geld, das nun in Zukunft von Michelle und ihrer Familie für andere notwendige Zwecke genutzt werden kann.

Literatur

Im unteren Abschnitt liste ich die für jeden Teilbereich meines Weges gegenwärtig aktuellen Wegebeschreibungen auf. Darin findet man den beschriebenen Streckenverlauf, Informationen zu Land und Leute, zu Sehenswürdigkeiten, Transport, am Weg liegenden Gastronomien, Unterkünften u.a.m. sowie mehr oder weniger brauchbare Karten(skizzen).

Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Hrsg.), Jakobswege - Wege der Jakobspilger in Westfalen, Band 6, J.P. Bachem Verlag Köln, 3. aktualisierte Auflage 2011

Klaus Engel, Jakobsweg Bremen - Köln, OutdoorHandbuch Band 301, Conrad Stein Verlag1. Auflage 2013

Ute & Fred Hasselbach, Die Via Jutlandica, Teil 1: Von der dänischen Grenze nach Schleswig und Teil 2: Von Schleswig an die Elbe, Eigenverlag, 2016

Karl-Josef Schäfer, Der Jakobsweg von Flensburg nach Glückstadt/Elbe - Ein Pilgerwanderführer für die Via Jutlandica, Books on Demand, Norderstedt, 2. aktualisierte Auflage 2009

Syddansk Turisme und Viborg Turistbureau (Hrsg.), Haervejen/Der Heerweg - Führer für Wanderer und Radler, 1. Ausgabe 2010

Hanna Engler, Norwegen: Olavsweg, Outdoor Handbuch Band 369, Conrad Stein Verlag, 1. Auflage 2016

Trotz der oben aufgeführten mehr oder weniger genauen Streckenbeschreibungen erscheint es mir sehr ratsam, sich nicht ohne ausreichendes Kartenwerk auf den Weg zu machen. Im folgenden Abschnitt habe ich die notwendigen Karten mit Kartennamen und -nummern (in Klammern) listenmäßig aufgeführt. Die jeweiligen Herausgeber sind ebenfalls genannt.

Das Bergische, Wanderkarten Bergisches Land, Karte 1: Norden/Osten und Karte 3: Osten, 1:25.00

LVA NRW, Naturpark Bergisches Land, Nordteil, 1:50.000

Geo Center Touristik Medienservice GmbH, NRW.Wanderkarte 1:25.000, Nr. 17 (Hagen, Gevelsberg, Iserlohn, Witten)

Publicpress, Dortmund und Umgebung, Rad- und Wanderkarte, 1:50.000

Publicpress, Südliches Münsterland, Rad- und Wanderkarte, 1:50.000

Publicpress, Münster, Rad- und Wanderkarte, 1:50.000

Teutoburger-Wald-Verein, Südliches Tecklenburger Land, 1:25.000

Landesamt für Geoinformation und Landesentwicklung Niedersachsen (LGLN), Osnabrück (L3714), 1:50.000

LGLN, Damme (L3514), 1:50.000

LGLN, Vechta (L3314), 1:50.000

LGLN, Cloppenburg (L3114), 1:50.000

LGLN, Wildeshausen (L3116), 1:50.000

LGLN, Syke (L3118), 1:50.000

LGLN, Bremen (L2918), 1:50.000

LGLN, Sittensen (L2722), 1:50.000

LGLN, Achim (L2920), 1:50.000

LGLN, Zeven (L2720), 1:50.000

LGLN, Harsefeld (L2522), 1:50.000

Landesamt für Vermessung und Geoinformation Schleswig-Holstein, Wander- und Freizeitkarten 1:50.000, Blatt 7: Itzehoe/Pinneberg, Blatt 6: Rendsburg/Neumünster, Blatt 5: Schleswig/Eckernförde, Blatt 4: Flensburg/Kappeln

Syddansk Turisme und Viborg Turistbureau (Hrsg.), Kartenset Haervejen - Führer für Wanderer und Radfahrer (Übersichtskarte 1:480.000 sowie neun weitere Karten 1:50.000 mit eingezeichnetem Streckenverlauf und zusätzlichen Informationen

Links

Bei den unten aufgeführten Internetadressen findet man jede Menge Informationen über Landschaften und Städte, Verkehrsmittel, Unterkünfte, Veranstaltungen, Wandervorschläge, anregende Fotos, Wegbeschreibungen, Geschichte, Kultur, Hinweise zu Foren und Reiseberichten, Flora und Fauna, Geographie, Sehenswürdigkeiten, Essen und Trinken u.v.a.

www.deutsche-jakobus-gesellschaft.de

http://www.deutsche-jakobswege.de

http://pilegrimsleden.no

http://olavsweg.de

http://olavsweg.blogspot.de

www.oslo.pilegrimsleden.no

www.hamar.pilegrimsleden.no

www.gudbrandsdalen.pilegrim.no

www.dovrefjell.pilegrimsleden.no

http://pilegrimsgarden.pilegrimsleden.no/en

www.pilegrim.no

http://www.pilger-weg.de

http://haervejsherberger.dk

http://www.haervej.de

http://jakobsweg-heerweg.blogspot.de

http://www.lwl.org

www.jakobswege-norddeutschland.de

www.pilgern-im-norden.de

www.jakobswege-europa.de

www.fernwege.de

Mit Urteil vom 12. Mai 1998 - 312 O 85/98 - "Haftung für Links" hat das Landgericht (LG) Hamburg entschieden, dass man durch das Setzen eines Links, die Inhalte der gelinkten Seite ggf. mit zu verantworten hat. Dies kann - so das LG - nur dadurch verhindert werden, dass man sich ausdrücklich von diesen Inhalten distanziert. Hiermit distanziere ich mich ausdrücklich von den verlinkten Seiten.

17. Februar 2017

Noch fünf Wochen…

... und so langsam werde ich unruhig. Bald schon beginnen diese Tage wieder: Das einfache Leben erneut erleben, die klare Aufgabe des Sich-vorwärts-Bewegens, mich wie an einer Schnur gezogen fühlen, den Alltag hinter mich lassen und den Kopf wieder klar kriegen.

Ich werde wieder Unvorhergesehenem begegnen, Herausforderungen bestehen oder an ihnen scheitern, werde spüren, wie prägend Begegnungen und Einsamkeit sein können. Ich werde Schmerz und Heilung, Hunger, Durst, Müdigkeit und Gastfreundschaft erfahren. Welchen Menschen werde ich begegnen, wo schlafe ich, welchen Hindernissen und Glücksmomenten werde ich gegenüberstehen? Schaffe ich es wieder, die Langsamkeit neu zu entdecken?

Die Tage der Planungen gehören inzwischen der Vergangenheit an. Während bei anderen am Anfang einer Pilgerreise noch die sehr spirituelle Idee überwiegt, außer Flug und Rucksackinhalt gar nichts zu planen und alles andere einfach passieren zu lassen, wurde ich mal wieder schnell zum Recherche-Experten. Alles, was ich im Netz finden konnte, sei es auf diversen Pilger-Homepages, Youtube oder in all den Blogs anderer Pilger auf Jakobswegen, wird gelesen und nahezu fanatisch inhaliert. Für keine Prüfung zu Schulzeiten, während der Berufsausbildung oder für den Führerschein habe ich das so intensiv betrieben.

Aufbrechen ist alles andere als einfach. Die Zeit des Aufbruchs braucht sorgsames Vorgehen. Viele Gedanken sind geboten, wenn es um die Grundentscheidungen geht: Wie lange will ich gehen? Wo will ich gehen? Wann will ich aufbrechen? In welcher körperlichen und seelischen Verfassung befinde ich mich? Mich auf Neues einlassen, nehmen, was ich bekomme und daraus etwas machen. Wenn das so einfach wäre...

Es gibt einen ziemlichen Unterschied zwischen zwei Wochen Urlaub und mehr als drei Monaten Abenteuer mit offenem Ausgang – das wird mir gerade mal wieder bewusst.

05. März 2017

Geheimnis: Fußballen

Wie weit die Füße tragen... das werde ich in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten wieder erleben. Doch der Erfolg auf dem Weg hängt zu achtzig Prozent von mentalen Faktoren ab und nur zu zwanzig Prozent vom körperlichen Zustand. Eine Strecke von rund 2000 Kilometern musst du vor allem mit dem Kopf bewältigen – der Körper zieht dann schon nach. Hoffe ich!

Mein körperlicher Zustand ist momentan nämlich nicht recht optimal. Ich trage ein ausgeprägtes Feinkostgewölbe mit mir rum. Aber das kenne ich von meinen früheren Touren, da bin ich mit ähnlichem "Kampfgewicht" gestartet. Die Kalorien werden unterwegs schon wieder purzeln. Was die Kondition angeht, wäre mir wohl auf den ersten hundert Kilometern durchs Bergische Land ein Sauerstoffzelt im eigenen Begleitfahrzeug ganz recht, aber dafür bin ich mental ganz gut aufgestellt – bilde ich mir zumindest ein. Denn ich werde nicht nur wieder konditionelle Stärke brauchen, sondern auch mentale, um die 2000 Kilometer zu Fuß zu bewerkstelligen.

Die eigentlich vollkommen überflüssigen Pfunde rund um den Hüftgürtel sind also eigentlich nicht das Problem. Viel mehr Sorgen machen mir die besten Freunde des Pilgers: meine Füße. Genauer gesagt, mein linker Fuß. Noch präziser, mein linker Fußballen. Wiederholt hatte er sich auch schon bei meinen letzten Wanderungen überaus lästig bemerkbar gemacht, sich dann aber wieder erholt. Davon konnte allerdings in den letzten Monaten keine Rede sein. Immer wieder versuchte er, mich zu ärgern, selbst beim Gang vom Schreibtisch zur Toilette. Orthopäde, Einlegesohle, Physiotherapie - richtig erfolgreich war bisher nichts. Will mich mein Haxen vorwarnen? Will er mir bärbeißig zuflüstern: "Hör auf mit dem Blödsinn! In deinem Alter geht man vielleicht noch durch den Stadtpark, aber nicht zu Fuß bis nach Trondheim!" Drei Wochen sind es jetzt noch bis zum Start und meine "Testläufe" auf dem Kölner Grüngürtel-Rundweg in den letzten Tagen haben mich nicht unbedingt beruhigt. Einige Kilometer ging alles problemlos, doch dann meldete sich der kleine Haxenteufel und giftete mir ins Ohr: "Naaa, wie fühlt sich das an... zwiebelt es schön???"

Ich hoffe, ich kann dieses gehässige Geschöpf noch vertreiben, sonst wird es schwer - aber nicht unmöglich. Unterwegs gibt es ja Ärzte und Apotheken...

10. März 2017

Explosion in meinem Zimmer!!!

Wie in einem explodierten Outdoorgeschäft sieht es in meinem Zimmer aus. Die gesamte Ausrüstung liegt unübersichtlich auf dem Boden und wartet darauf, ihren Platz in meinem Wheelie einzunehmen. Ein Häkchen nach dem anderen wird auf der Packliste gesetzt, ein Teil nach dem anderen liegt nun bereit. Habe ich auch nichts vergessen, brauche ich das wirklich?

Ein erstes Testwiegen macht mir schnell klar, dass entweder meine Badezimmerwaage kaputt ist oder ich noch erheblich aussortieren muss. Mehr als 10 Kilo will ich einfach nicht in meinem Wheelie hinter mir herziehen. In Deutschland und Dänemark würde das wohl alles noch gehen, aber in Norwegen, wo ich meine gesamten Habseligkeiten in einen Rucksack umzupacken gedenke, befinde ich mich damit an der obersten Grenze des im wahrsten Sinne des Wortes Tragbaren.

Für den vom langen Marsch mürbe geklopften Pilger ist der Rucksack der Gefährte, das Haus, die Welt, die er mit sich führt. Die Ungeniertheit, mit der ein noch unerfahrener Wanderer ganz verschiedene und oftmals überflüssige Dinge in seinen Rucksack stopft, ohne dabei an ihre Abmessungen oder ihr Gewicht zu denken, löst bei dem versierten Pilger ein Schaudern aus, das von blankem Entsetzen nicht weit entfernt ist. Etappe für Etappe hat er nämlich gelernt, jeden einzelnen Bestandteil seines Gepäcks abzuwiegen und abzuwägen.

Wenn sich ein Pilger an eine solche Untersuchung macht, stehen ihm zwei wertvolle Hilfsmittel zur Verfügung: die Mülltonne und das Postamt. In Erstere befördert er Dinge, derer er sich unterwegs entledigen will und die von geringem Wert sind. Wenn er aber an ihnen hängt, kann er sie auch in ein Päckchen stecken und an seine eigene Adresse nach Hause schicken. Man kann aber auch vorweg überlegen, ob man sich auf der Strecke Depots anlegen will. Warum schon durch Deutschland den dicken Schlafsack transportieren, wenn man ihn erst in den Pilgerherbergen in Dänemark und Norwegen benötigt? Warum soll ich meine Wanderstöcke durch das norddeutsche Flachland schleppen, wenn ich sie sowieso erst in den Bergen Norwegens einsetzen werde?

15. März 2017

Neue Begleiter?

Schön ist es draußen. Es riecht gewaltig nach Frühling. Unter meinem Fenster lösen die Krokusse gerade die Schneeglöckchen ab, Kohlmeisen sitzen auf der Natursteinmauer und blinzeln zu mir herüber und die ersten Zitronenfalter gaukeln durch die Lüfte. Der Nachbar macht den ersten Rasenschnitt und unten auf unserer kleinen Straße marschieren immer öfter Wanderer mit ihren kleinen Tagesrucksäcken entlang.

Eigentlich könnte ich auch losgehen... Alle Vorbereitungen sind getroffen, mein Wheelie (für die Strecke durch Deutschland und Dänemark) und mein Rucksack (für Norwegen) haben den Pack-Test bestanden. Meine neue Handwaage beziffert das Pack-Gewicht vom Rucksack auf 11,2 kg, damit kann ich leben. Inzwischen ist er aber selbst in einem stabilen Karton verpackt, zusammen mit einigen anderen Utensilien, und wartet dort auf seine Verschickung in den Norden Dänemarks. Mitte Mai macht er sich dorthin auf die Reise.

Meine neuen Wanderschuhe sind eingelaufen, werden am kommenden Wochenende aber wohl beweisen müssen, dass sie einigermaßen wasserresistent sind. Mit meiner Wandergruppe bin ich dann nämlich auf dem Westerwald-Steig unterwegs - und es soll Regen geben, reichlich Regen.

Beweisen muss sich auch mein linker Fuß. Ich traue ihm einfach nicht, ich ahne, dass er mich ärgern will. Meine Weichpolstereinlagen wurden schon nachgebessert, meine Physiotherapeutin gibt ihr Bestes, seit einer Woche wird nun zusätzlich getapet. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass mein früherer treuer Gesell sich im Moment ganz fies einen grinst nach dem Motto: "Diesmal bremse ich dich aus, mein Freund!" Vielleicht werden ja jetzt Ibuprofen und Voltaren meine besten Begleiter...

20. März 2017

Hinein ins Glück!

Habe es gerade gelesen: Norwegen ist einer Studie internationaler Experten zufolge das glücklichste Land der Welt.

Das skandinavische Land eroberte erstmalig den Spitzenplatz im Weltglücksbericht und löst damit das zuvor dreimalig erstplatzierte Dänemark ab. Im vergangenen Jahr hatten die Norweger noch auf dem vierten Rang gelegen. Deutschland stagniert auf Platz 16. Der Bericht verbindet unter anderem Länderdaten mit Befragungen über die Selbstwahrnehmung ihrer Bewohner. Er berücksichtigt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, die durchschnittliche Lebenserwartung, die gefühlte Unterstützung aus dem eigenen sozialen Umfeld oder Vertrauen in Regierung und Unternehmen mit Blick auf Korruption. Es geht auch um die von den Befragten empfundene Freiheit, grundlegende Entscheidungen für das eigene Leben treffen zu können sowie die Großzügigkeit der Befragten bei Spenden.

Im ersten Teil meiner Wanderung durch Deutschland habe ich also mit weniger Glück zu rechnen. Immerhin liegt unser aller Vaterland in puncto Glück hinter Costa Rica und - den USA. Und das tut schon etwas weh, oder? Gerade in den heutigen politischen Um- bzw. Zuständen jenseits des großen Teiches. Da die Daten des Glücksberichts aber auf Werte aus den Jahren 2014 bis 2016 basieren, landen wir im nächsten jedoch sicherlich vor den USA.

Sobald ich nach Dänemark und erst recht nach Norwegen komme, wird mir das Glück nur so zufliegen und mich förmlich umwabern. Und das ist auch notwendig! Ich brauche Glück beim Wetter. Regen wie am Samstag bei der Wochenend-Wanderung mit meiner Wandergruppe auf dem Westerwaldsteig brauche ich nicht allzu oft. Ich brauche Glück bei meiner Ausrüstung. Mit meinen neuen Wanderschuhen fing das am Samstag eigentlich ganz gut an. Sie haben dem Regen und den schlammigen Wegen erfolgreich getrotzt. So kann es bitteschön weitergehen. Vor allem aber brauche ich Glück bei meinem lahmenden linken Huf. Er war auch an den vergangenen beiden Tagen der Meinung, dass in der Zukunft sein Platz doch eigentlich hochgelegt vor einem Sofa sein sollte und nicht Hunderte von Kilometern auf Straßen und Wegen. Ich bitte das Glück also herzlich, dass es mir ab kommendem Sonntag - gerade bei meinen Laufwerkzeugen - ausreichend hold ist.

23. März 2017

Startbereit!

Lieblingstochter Annika hatte mich vor ein paar Tagen aufgefordert, meinem seit Jahren treuen Wegbegleiter doch endlich mal einen Namen zu geben. Irgendwie hat sie ja Recht. Schließlich hat für mich dieser Pilgerkoffer auf zwei Rädern inzwischen auch sowas wie eine Seele entwickelt. Er meckert nicht über stundenlange Landstraßenabschnitte, stöhnt nicht auf rumpeligen Wegen, ächzt nicht bei anstrengenden Steigungen, jammert nicht hinter mir her, wenn ich ihn mal abstellen und für einen Moment alleine lassen muss - und gibt keine Widerworte. Das rechne ich ihm alles hoch an! Er hat mehr als nur den Artikelnamen des Herstellers verdient. Ich taufe ihn hiermit also... Willi! Willi, das Wheelie! Ungeheuer originell, finde ich, wie Rudolf, das Rentier.

Und da steht Willi nun... draußen vor meiner Haustür, zusammen mit seinen Freunden, zum Fototermin! Meinem Tagesrucksack, in dem alles landet, an das ich mal eben schnell dran muss: Tagesproviant, Getränkeflasche, Regenhose, Sitzkissen etc.; meiner Hüfttasche für Karten, Notizbuch, Handy, Powerbank, Pilgerpass, Selfiestick und Labello-Stift sowie der Kameratasche nebst Kamera und griffbereitem Ersatzakku und meinen neuen Kilometertretern von Meindl. Alle zusammen warten darauf - genau wie ich -, dass nun endlich bald der Startschuss fällt.

Die Wetterprognose hört sich vielversprechend an. Der Frühling hat sich durchgesetzt und legt jetzt wohl so richtig los. Vielleicht komme ich ja trockenen Fußes zumindest über das Bergische Land.

Die Spendenaktion für Michelle läuft weiterhin - und sie läuft gut! Stück für Stück nähern wir uns dem erhofften Ziel, bei dem die geplante Delfintherapie nicht mehr am Geld scheitern sollte. Ich bin begeistert von der Welle der Spendenbereitschaft so vieler Menschen und kann einfach nur "Danke" sagen! Jetzt liegt es an mir...

Am Samstag ist Abschiedstreffen. Der gesamte Clan kommt zusammen. Ich freue mich darauf, auch wenn ich weiß, dass es zum Schluss wieder für mich schwer wird. Aber so habe ich es mir ausgesucht. Am Sonntag um 9.30 Uhr beginnt mein Weg Richtung Norden.

26. März 2017

Unterwegs – aber nicht alleine!

Windeck – Wiehl: 24 km

Es ist schon fast 21 Uhr als ich mit Schreiben beginne und mir fallen jetzt schon beinahe die Augen zu. Erst um 10 Uhr heute früh kamen wir von zu Hause los, ja "WIR"! Und das kam so:

Vom großen Clantreffen anlässlich meiner Verabschiedung hatte ich bereits berichtet. "Und alle, alle kamen sie, aus Roma und aus Napoli" mit Kind und Kegel. Bei sechs Kindern mit dem jeweiligen Anhang, fünf Enkelkindern und weiteren Freunden (teilweise auch mit Kindern), wird die Lage irgendwie unübersichtlich - und in Phasen laut. Ich muss mir von kompetenter Seite noch einiges zur Handhabe von Handy und Tablet erklären lassen, zerbreche mir immer noch den Kopf, ob ich alles Notwendige eingepackt habe und denke außerdem über den nächsten Morgen nach. WDR Lokalzeit Bonn hat sich angekündigt, möchte von meinem Start und meiner Spendenaktion einen Dreh machen. Das alles wirft mich aber nicht um, dafür sorgt etwas anderes.

Wir sitzen gerade alle vor Gegrilltem und Salaten, als meine älteste Enkeltochter mich ganz mit Pokerface fragt: "Opa, wäre das nicht schön, wenn dich morgen ein paar von uns ein Stück begleiten?" Als ich erwidere, dass das ja wohl nicht gehe, weil man an einem Sonntag vielleicht auch noch was anderes vorhat und die vielen kleinen Kinder und so... und überhaupt... "Aber das werden fast alle von uns morgen machen!", erklärt sie mir verschmitzt, und als ich die grinsenden Gesichter der Kinder sehe, glaube ich es sofort. Lieblingstochter Annika legt nach: "Und ich komme die ganze Woche mit, bis wir das Ruhrgebiet hinter uns haben!" TRÄNENEINSCHUSS!!! Ich bin fassungslos, überwältigt, überglücklich, kann kaum noch was essen, ein dicker Frosch versperrt meine Speiseröhre. Mit sowas kann ich gar nicht souverän umgehen.

Als einige dann doch nach Hause fahren, die anderen sich in diverse Zimmer zum Schlafen verteilen, sitze ich noch eine Weile senkrecht in meinem Bett und finde es überhaupt nicht lohnenswert mich flach zu machen, weil ich sowieso nicht schlafen kann - glaube ich, bin dann aber sofort weg, als ich mich in die Horizontale begebe.

Eigentlich könnte ich bis 7.30 Uhr schlafen, aber eine Stunde früher treibt es mich aus dem Bett. Es ist der 26. März, der Tag meines Aufbruchs. Vorfreude und großer Respekt vor den kommenden Wochen ergeben an diesem Morgen eine verwirrende Mischung. So lange habe ich diesem Tag wieder entgegengefiebert, auf diesen Tag hingearbeitet. Jetzt heißt es wieder: Sich-auf-den-Weg-machen, Bekanntes und Vertrautes hinter mir lassen. Mit einem Ziel vor Augen. Ich will wieder in Erfahrung bringen, was dieser Weg mit mir macht.

Doch erstmal wird gefrühstückt, mit allen, die noch da sind. Zur vereinbarten Zeit kommt der Redakteur vom WDR angereist, schaut uns auf die Teller und hält überall die Kamera drauf. Der Langzeitwanderer bei seinem vorerst letzten Frühstück zu Hause, im Kreise seiner Lieben. Wenn das keine Story ist! Dann noch letzte Sachen in Rucksack und Bauchgurt packen, die Wanderkarte zusammenklappen, Anorak an. Er kommt aus seiner Haustür, schließt sie hinter sich, schnappt sich seinen Wheelie, den Willi, verabschiedet sich von seiner Familie, den Nachbarn und Michelle, alle winken zum Abschied und der Wanderer entschwindet - allein. Aber das geht ja so nicht! Da wollen doch noch Kinder und Kindeskinder ein Stück des Weges mit!

Während der Herr Redakteur mit Michelle und ihrem Vater ein kurzes Interview macht und einen zusätzlichen Termin bei ihnen zu Hause vereinbart, komme ich nochmal zurück, warte bis mein Club bereit ist zum Abmarsch und dann endlich, um 10 Uhr, setzen wir uns in Bewegung. Aber gaaaanz langsam! Die Kleinen können halt nicht schneller, auch wenn sie gefahren werden, aber einige Große können oder wollen auch nicht schneller - warum auch? Die Sonne lacht von einem blauen Himmel, die Frühlingsblumen an der Oberen Sieg sind förmlich explodiert, einige Anstiege sind dabei, ein Pferd oder ein Esel werden ausreichend begrüßt und bewundert - wir können uns nicht so recht von der Heimat lösen. Es ist bereits 12.30 Uhr, da haben wir kaum ein Drittel der heutigen Strecke geschafft. Aber das ist mir vollkommen Schnurz, ich genieße es, mit dieser kleinen Karawane unterwegs zu sein.

Ich bin wieder Pilger. Erinnerungen kommen hoch, die großen Gefühle, die zwei lange Pilgerwanderungen 2013 und 2014 begleiteten. Ich fühle in mich hinein und alles, was ich finden kann, ganz tief in mir, ist ein Lächeln, das mich von innen anstrahlt. Guten Morgen, Welt, ich komme.

Nach langer Vorbereitung eine Befreiung - gleichzeitig eine neue Last. Nicht nur das beladene Wheelie. Auch noch mein Tagesrucksack auf dem Rücken. Das alles muss mit. Was hätte zu Hause bleiben können, was lasse ich auf dem Weg, womit komme ich an? In Gramm kann ich das nicht umrechnen. Mit alledem, was die nächsten Wochen mein einzig Hab und Gut sein wird, bewege ich mich die ersten Meter, Kilometer...

Auf den Karten der Jakobswege sieht man, dass die einzelnen Routen wie kleine Wasserläufe im großen Trichter der Pyrenäen zusammenfließen, um dann nach Spanien zu strömen. Sie durchfurchen die ganze Oberfläche Europas. Ich "schwimme" gegen die Strömungsrichtung, hinauf zu einer der Quellen.

Gerade weil es zunächst nicht so schnell vorangeht, genieße ich die Landschaft des Bergischen Landes, wir kommen vom Siegtal ins Bröltal - und dort muss ich mich auch von den letzten Teilnehmern unserer kleinen Expedition verabschieden. Für die ersten war bereits nach drei Kilometern in Altwindeck am Heimatmuseum Schluss, aber immerhin! Tränchen im Augenwinkel, aber ich bleibe tapfer.

Nur Anni mit ihrem kleinen, drei Monate alten Söhnchen Lenny bleibt bei mir. Mit dem winzigen Wurm vor dem Bauch geschnallt, zieht sie mit mir die Steigungen hoch, durch lichte Wälder und kleine Dörfer, wo der erste Osterschmuck schon in den Gärten prangt. Ich merke es ihr an, wie auch sie diesen Weg genießt und unendlich stolz auf ihren kleinen Jungen ist, der sich entweder mucksmäuschenstill und mit Riesenaugen die Welt ansieht, zufrieden vor sich hinbrabbelt oder selig an seine Mama gedrückt friedlich schläft.

In Nümbrecht essen wir ein dickes Eis, während Lenny die Brust und eine neue Windel bekommt, herrlich diese zeitgleiche Kombination! Schloss Homburg bleibt hinter uns zurück, ebenso die Wiehler Tropfsteinhöhle und relativ spät schon erreichen wir um 18.30 Uhr im Schein der Abendsonne die Jugendherberge von Wiehl. Da Sonntag ist, sind keine anderen Gäste da, wir haben die Jugendherberge ganz für uns alleine.

Während Anni mit ihrem Kleinen an ihrer Seite schon schläft, lege ich die Füße hoch und lasse nach dem Schreiben den Kopf im Leerlauf treiben. Ich brauche diese Stille jetzt. Zeit zum Nachdenken, den neuen Alltag begreifen. Schweigen ist das Einzelzimmer des Pilgers.

27. März 2017

Drehtag

Wiehl – Marienheide: 26 km

Die Sonne geht gerade hinter den Bergen von Wiehl auf, als ich gut ausgeruht aus dem Bett springe. Lenny hat zwar während der Nacht mal kurz rumgeknöttert, aber dank Ohropax ist davon kaum etwas in mein Bewusstsein gelangt. Kaum entdeckt er mich, strahlt er mich an und ich weiß ganz genau, dass er mir sagen will: "Na Opa, hast du gut geschlafen? Ich hoffe ich habe dich nicht gestört, und wenn, dann kann ich jetzt da auch mal nix für. Ich hab dich viel lieber als deine anderen Enkelkinder, liebster Opi, und bitte vergiss das nicht bei der Aufteilung der Erbschaft." Ich habe verstanden.

Zum Frühstücken wird uns ein Platz im Foyer angeboten und was uns auf einem großen Servierwagen herangeschoben wird, ist geradezu fürstlich, oder sagen wir mal, auf absolutem 3***-Hotel-Niveau. Die Herbergsmutter und ihre JH-Mitarbeiterinnen wuseln hinter uns herum, schwingen noch Wischmopp und Staubtuch und bereiten sich auf die Horde von fünf Schulklassen vor, die gleich hier auf der Matte stehen wird. Wir langen beim Frühstück so kräftig zu, dass wir unsere geplante Abmarschzeit von 9 Uhr um fast zwanzig Minuten überschreiten. Aber das wird heute nicht die einzige Zeitüberschreitung bleiben.