Planet hinter dem Nichts Band zwei - Frida Seidel - E-Book

Planet hinter dem Nichts Band zwei E-Book

Frida Seidel

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Beschreibung

Band zwei der Triologie um eine mögliche Menschheitsgeschichte in der Zukunft. "Lyra flog den FXK 7 mit einem dermaßen hohen Tempo und so engen Kurvenradien weg von Hooi, dass die Kontrollen andauernd aufleuchteten, irgendwelche Alarme losschrillten und das Metall der Wände beständig knirschte und krachte. Kathleen kam ins Cockpit gerannt. "Du weißt schon, was du da machst?" fragte sie mit einem Bild auf die Kontrollen. Mischa wischte über eine Anzeige, no maps available, erschien auf dem Display. "Was ist das?? Wo sind die Sternenkarten?" "Die haben wir über Bord geschmissen." Mischa holte tief Luft. "Und wie sollen wir weiterfliegen??" Sie verzog das Gesicht. "In den Karten aller Militärflieger des Kaiserreiches sind Peilsender fest eingebaut, ohne die die Karten nicht nutzbar sind." "Ist ja auch klar." brummte Kathleen von hinten. "Wer kann schon ohne Sternenkarten navigieren???!!" "Ich." erwiderte ...... "

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Seitenzahl: 326

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Buch zwei: Kamizi

Jenseits von Hooi

Lyra flog den FXK 7 mit einem dermaßen hohen Tempo und so engen Kurvenradien weg von Hooi, dass die Kontrollen andauernd aufleuchteten, irgendwelche Alarme losschrillten und das Metall der Wände beständig knirschte und krachte.Kathleen kam ins Cockpit gerannt. „Du weißt schon, was du da machst?“ fragte sie mit einem Bild auf die Kontrollen.Mischa wischte über eine Anzeige, no maps available, erschien auf dem Display. „Was ist das?? Wo sind die Sternenkarten?“ „Die haben wir über Bord geschmissen.“ Mischa holte tief Luft. „Und wie sollen wir weiterfliegen??“ Sie verzog das Gesicht. „In den Karten aller Militärflieger des Kaiserreiches sind Peilsender fest eingebaut, ohne die die Karten nicht nutzbar sind.“ „Ist ja auch klar.“ brummte Kathleen von hinten. „Wer kann schon ohne Sternenkarten navigieren???!!“„Ich.“ erwiderte Lyra trocken und zog die nächste Kurve.

Mischa half Tomas in den Vorraum zum Cockpit, der sich dort langsam hinsetzte. Dann verband ihm Kathleen das Bein und gab ihm ein Schmerzmittel. „Wo sind wir eigentlich?“ fragte Mischa, als er wieder in das Cockpit zurückkehrte. „Genau siebenundzwanzig Parsecs vom Krabbennebel entfernt, von Hooi aus gesehen.“, erwiderte Lyra, ohne sich umzudrehen. „Wohin wollt Ihr?“ Tomas entschied sich für den Planeten Zambai im System Huuh; die anderen waren einverstanden und wollten ebenfalls dort hin. Auf Zambai war einer der größten Weltraumhäfen des besiedelten Universums, dort konnte man Passagen in alle beliebigen Richtungen finden. Acht Stunden später waren sie in Anflugnähe des äußersten Asteroidengürtels von Huuh; in der Nähe des Mondes des nächsten Planeten ging Lyra zurück vom rRZA in den normalen Flugmodus. „Werte Passagiere, wir sind gerade im Anflug auf Zambai, unsere Endstation. Wir danken für ihren Urlaubsaufenthalt auf Hooi und hoffen, sie hatten eine schöne Zeit. Wir wünschen ihnen eine gute Weiterreise! Bitte schnallen sie sich an!“, sagte sie fröhlich über das Bordlautsprechersystem. Chrispen, der neben ihr saß, nickte ihr zu, als sie aufstand. „Alles im grünen Bereich, Shannon!“ „Danke, Morgenstern!“, flötete Lyra zurück und ging Richtung Cockpittüre.„Morgenstern? Du heißt Chris Morgenstern?“, fragte Kathleen plötzlich, die hinter ihnen stand, und wechselte Blicke mit Mischa hinter dem Rücken. „Leutenant Chrispen Morgenstern?“ „Eigentlich Kommandant, aber, ja.“ Chris drehte sich um, um sie anzusehen, dann ging alles auf einmal ganz schnell. Lyra realisierte zwar, was das Flirren der Zeiten bedeutete, und gleichwohl gab es nur eine einzige Alternative, doch diese Entscheidung traf sie in Sekundenbruchteilen. Mischa stand auf, um auf Chris loszugehen; Lyra stoppte ihn kurz vorher, stellte sich schützend vor Chris und blockte mit einer Hand den tödlichen Messerschnitt ab, der für Chris vorgesehen war. Das andere Messer sah sie nicht rechtzeitig; war es durch das Gift in ihrer Wunde oder durch ihre insgesamt geschwächte Energie überhaupt, sie reagierte um ein Weniges zu langsam.Es knackte mit einem merkwürdigen Geräusch, als Lyra Mischa mit beiden Händen das Genick brach, dann beinahe gleichzeitig Kathleen mit einem Fußtritt derart an die Wand schleuderte, dass sie sofort tot war, weil sie unglücklich an eine Kontrolle prallte. Lyra sah auf die zwei Leichen, dann blickte sie zu Chris auf, der währenddessen von seinem Sitz aufgesprungen war und nun direkt vor ihr stand, und sagte mit zerbrechender Stimme: „Es tut mir leid.“ Ihr Blick wanderte nach unten, Chris´ Augen folgten ihr, dann nahm sie ihre Hände und hielt sie vor ihren Bauch, in dem das andere Messer steckte. Ihre Augenlider flatterten, sie klappte zusammen. „NEIN!!!“ Chris fing sie gerade noch auf und hielt sie in seinem Armen. „Lyra!“, rief er verzweifelt. Er hatte schon mehr als einmal vergeblich auch sie gewartet, doch sie war immer zurückgekommen, irgendwie hatte sie es geschafft. Dazwischen war vieles geschehen, aber mit einem Messerstich in den Bauch mitten im All, Stunden vor der Landung und ohne weitreichendere medizinische Ausstattung konnte er nichts tun für sie, gab es keine Hoffnung auf ein Wunder.

Chris nahm Lyra hoch, dann trug er sie vorsichtig in den Vorraum, legte sie auf die Liege, nachdem er Tomas von dort verscheucht hatte. „Ich hole das Medipack, bin gleich wieder da!“, sagte Chris zu Lyra, doch sie hielt ihn am Arm fest. „Bleib hier.“, sagte sie leise. „Es gibt hier nichts an Bord, mit dem du mir helfen könntest, und das weißt du auch. Ich….“ Sie stockte. „Scheiße, tut das weh….“ Sie krümmte sich und atmete mühsam. „Versuch, hier auf die Blutung zu drücken!“, wies er sie an. Sie bemühte sich eine Weile darum, ihm zu liebe, als ob es einen Sinn hätte.„Chris… Es tut mir leid, ich wollte dich doch begleiten nach Vvyyrrh… du musst dich … um … Jace kümmern, versprich mir das!“ Sie schloss kurz die Augen und holte ein paar Mal mühsam Luft. „Jace? Jace wie noch?“ „Jace Shannon.“, flüsterte sie. „Dein… Sohn?“ Sie nickte. „Mir ist so kalt…“ Ein Blutfleck hatte sich auf ihrem Bauch gebildet. Ihr Griff auf die Wunde lockerte sich und sie lies los. Chris suchte im Schrank herum, zog eine Decke heraus und deckte sie vorsichtig zu, legte die Decke über auch das Messer.„Lyra… bleib bei mir! Wie soll ich denn ohne dich überhaupt nach Vvyyrrh kommen??“, fragte er verzweifelt. Sie schloss die Augen. Er hielt ihre Hand fest, streichelte ihre Wange.„Jace… er hat dann … nur dich… nimm das Amulett.“, flüsterte sie nach ein paar Atemzügen und nestelte an ihrem Hals herum, bis sie den schwarz-silbernen Anhänger aus ihrem Shirt hervorholte, wo er an einer seltsam altmodisch gearbeiteten Kette hing. Es sah aus wie eine gebogene Feder, die sich um einen schwarzen Edelstein wand, der wie ein Ei geschliffen war. Sie hatte ihm das Amulett einmal genauer gezeigt und gesagt, es heiße die Feder des Drachen.„Es ist Deine Eintrittskarte… nach Vvyyrrh… ich habe… Andromeda gerufen, vielleicht… mir ist so kalt…“ Sie verzog schmerzverzerrt das Gesicht, holte Luft und sagte heiser: „Ich liebe dich.“ Dann wurde sie bewusstlos. „Nein!“, schrie er auf. Er nahm ihre Hand und flüsterte: „Lyra, bleib bei mir, bleib wach!“ Ihm rollten die Tränen über das Gesicht, als er verzweifelt ihre Wange tätschelte, um sie wieder wach zu bekommen. Warum, dachte er verzweifelt, am Ende der Zeit, nach einundzwanzig Jahren finde ich sie wieder, sie liebt mich noch und dann… warum!Das Raumschiff bewegte sich in diesem Moment leicht, kaum merklich, und fünf Sekunden später sagte eine angenehme Stimme, die zu perfekt menschlich klang, um wirklich menschlich zu sein: „Angedockt. Bitte gehen sie an Bord!“ Tomas und Chris sahen sich an. „Was ist das?“, fragte Tomas. „Unser Taxi, wenn wir Glück haben. Komm!“ Chris hob Lyra vorsichtig auf und trug sie zur Luftschleuse. Tomas erhob sich mühsam und hinkte ihm hinterher. Die Leichen ließen sie liegen. Chrispen betrat die Luftschleuse, die sich sofort hinter ihnen schloss und vor ihnen öffnete. „Hallo James!“, sagte Chrispen. Vor ihm stand ein mittelgroßer Mann mit kurzen dunklen Haaren in einer altmodischen Butleruniform in einem hellen Gang, der vollkommen gleichmäßig war; man konnte keine Türe, Lampen oder sonst irgendein Detail erkennen.„James – wo ist die Medistation? Könnt Ihr Lyra helfen?“ James senkte den Kopf. „Hier entlang, Mr. Morgenstern.“ Er zeigte auf eine Türe, von der Chrispen schwören konnte, sie wäre vorher nicht da gewesen, sie öffnete sich und alle gingen hinein. Drinnen legte Chrispen Lyra auf eine Liege, die ihm James gewiesen hatte. Sie schien ganz aus dem gleichen Material wie der Boden, die Wände und alles andere im Raum gefertigt zu sein, war aber noch mit einem weicheren Material, ebenfalls in matt weiß, bedeckt. Als er Lyra abgelegt hatte, versank sie leicht in der Oberfläche, dann verschob sich die Liege plötzlich, ein Teil der Liegefläche bewegte sich, schien sich zu verformen, um Lyra herum zu fließen und zu wachsen. Es bildete einen Faden, der wie ein suchender Finger auf Lyra zu kroch, sie umfing. Dann sah Chrispen, dass es viele solcher Finger gab, sie alle schienen sie einzuweben wie ein Gespinst. Er wollte eben etwas sagen, als neben einem der Finger, die sich in die Bauchwunde geschoben hatten, das Messer fiel, das aus der Wunde wie von innen herausgedrückt worden war. Ein anderer war in Lyras Mund und Nase hinein gekrochen, ganz zart und dünn, aber es sah irgendwie erschreckend aus. Chrispen sah zu James, der ihn regungslos ansah, und fragte nochmals: „Könnt Ihr Lyra heilen?“ James bewegte sich nicht, dann, Sekunden später, erwiderte er: „Sie ist letal vergiftet worden und hat zudem eine Stichwunde im Bauchbereich. Die Art des Giftes ist mir nicht bekannt, eine Analyse läuft noch, aber es tut mir leid, das kann ich im Moment nicht behandeln.“ Chris starrte ihn an. „Und … was bedeutet das?“ „Sie ist stabilisiert, das bedeutet, sie wird hier nicht sterben, ich kann sie aber auch nicht heilen, Major.“ „Äh. Kommandant, aber das, das ist ja schon mal was.“ Er sah erleichtert zu Lyra hin, wie sie reglos, leichenblass durch den Blutverlust auf dem seltsamen Bett lag, eingewickelt in dünne, weiße Fäden, wie von einer überdimensionalen Spinne kokoniert, neben ihr lag das blutverschmierte Messer auf der weißen Fläche.

Er blickte zu James, obwohl er wusste, dass dieser nur eine Projektion seiner Gedanken war, seines Wunsches, mit einem humanoiden Wesen zu kommunizieren. „Und, äh, wo könnte sie vielleicht Hilfe bekommen?“ James erwiderte mit ausdrucksloser Miene: „Ich weiß es nicht, Sir. Wir könnten es am ehesten auf Vvyyrrh versuchen mit seiner komplexen Medizin und Alyreias über das normal-menschliche Maß hinausgehendem, komplizierten Stoffwechsel.“ „Und, äh, wo liegt Vvyyrrh? Ich kenne die Positionsdaten nicht…“ „Das ist kein Problem, Sir. Ich weiß, wo wir hin müssen.“ Gott sei Dank, dachte er; fast hätte er aus Erleichterung geweint.„James?“ „Ja, Sir.“ „Kümmert ihr Euch bitte auch um den anderen Mann, und, äh, ein Bett für mich wäre schön.“ „Selbstverständlich. Hier entlang, Sir.“ James wies mit einer Geste auf eine andere Tür, die eben noch nicht da war, da war sich Chrispen ganz sicher. Die Türe öffnete sich und er stand in einem hellen, vollkommen strukturlos weißen Raum mit einem großen, weichen Bett. Mit einer weißen Decke, natürlich.

Zeitensegler, dachte er, was für seltsame Wesen!

Zu Haus

Lange davor.Es war wieder ein neuer Morgen auf Kamizi, etwa vier Monate nachdem Lyra mit ihrem Waitzee-Flügler verunglückt war. Leutenant Chrispen Morgenstern saß mit seinen Leuten gerade beim Frühstück im Speisesaal in Lyras Haus. Der Saal war ein großer, mit viel Holz ausgestatteter Raum, hell und freundlich möbliert und hatte durch das Holz eine angenehme Ausstrahlung und Geruch. Er lag im Erdgeschoss neben der Küche, den Wirtschaftsräumen und dem Aufenthaltsraum. Sabjowski verteilte mit einer Tasse Kaffee in der Hand die Wochenpläne für die anstehenden Dienste und ging dann die einzelnen Aufgaben der Teams für die nächsten Tage durch. Alle sahen zu ihm, der vor einem großen Display stand, auf dem der aktuelle Plan eingeblendet war. Therese kam leise zur Nebentür herein, in der Hand einen Stapel Teller für das Mittagessen, das sie schon vorbereitete. Und alle drehten sich zu ihr um, als Therese die Teller klirrend auf den Boden fallen ließ; sie sah aus, als ob sie ein Gespenst gesehen hätte. Dann wendete Weiland zufällig seinen Blick zur großen Eingangstür des Speisesaals und ließ den Mund offen stehen. Wheela folgte seinem Blick, auch sie wollte etwas sagen und brachte doch kein Wort heraus. Chrispen, der neben Wheela saß, drehte sich ebenfalls um. Ich hänge in einer Zeitschleife fest, dachte er, vielleicht sollte ich zum Psychiater gehen. In der Tür stand Lyra, so, wie sie es jeden Morgen tat. Oder besser, wie sie es getan hatte bis zu ihrem tödlichen Unfall. Dann sah er genauer hin und entdeckte einen Riss in ihrer Hose, ein paar kleine Löcher im Shirt, und auch ihre Haare waren anders als sonst.

„Hallo.“, sagte sie mit rauer Stimme in das reglose Schweigen im Raum hinein, überflog alle mit ihrem Blick und fand Chris´, hielt ihn fest. In ihren Augen spiegelten sich die dunklen Tiefen des Weltalls, zwischen denen sich das Grünbraun ihrer Iris beinahe verlor. Chris stand so abrupt auf, dass der Stuhl hinter ihm krachend umfiel, ging mit drei großen Schritten zu ihr und nahm sie in die Arme, hob sie einfach hoch und hielt sie so fest, als wollte er sie nie wieder loslassen. Scheißegal, dachte er, sollen es doch alle wissen. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und hielt ihn ebenfalls fest, dann sah sie ihn an, ihr Gesicht ganz dicht vor seinem. „Wo kommst Du denn her?“, flüsterte er. „Wir dachten, Du bist tot!“ „Tut mir leid, der Flug hat länger gedauert als geplant.“, erwiderte sie mit so rauer Stimme, als ob sie es nicht mehr gewohnt war zu sprechen, und küsste ihn. Na endlich, dachte Carsten, als er die zwei beobachtete.Wow, dachte Wheela, da hab ich wohl was übersehen!

Als er sie endlich wieder losließ, standen die anderen Soldaten und Therese um sie herum und applaudierten. „Gib sie uns auch mal, du Egoist!“ sagte Carsten mit einem Lächeln und zog Lyra zu sich, die in seiner bärigen Umarmung schier verschwand. Er umarmte Lyra heftig und brummte: „Sie können einen wirklich ganz schön erschrecken, General Shannon!“ Chris sah ihn verwirrt an, dann erinnerte er sich vage, dass Lyra kurz vor ihrem Todesflug zum General ernannt worden war von seiner kaiserlichen Hoheit. Dann kamen die anderen herbei und bildeten einen Kreis mit Lyra in der Mitte. Sie hoben sie hoch auf ihre Schultern, bis sie irgendwann protestierte und wieder herunter durfte.Carsten, der zu Chrispen gekommen war, nachdem die Nachricht von Lyras Unfall sich verbreitet hatte, freute sich leise, aber ganz besonders über ihre Wiederkehr. Er hatte Chris in der schweren Zeit geholfen, indem er einfach nur da war und manchmal abends schweigend ein Bier mit ihm trank. Morgenstern hatte ohnehin jemand neuen benötigt, um die Besatzung der Kamizigarnison zu vervollständigen. Da war ihm Carstens Angebot, nach Kamizi zu kommen, sehr recht gewesen.

Als sie mit dem Abendessen fertig waren, fragte Chris Lyra, ob sie mit ihm spazieren ginge. Sie lächelte und nickte, dann trat sie hinaus. Als sie vor der Haustür hinaus im den hellen Sonnenschein der ersten Spätsommertage standen, fragte er: „Oder magst du lieber ausreiten?“ „Oh, das wär toll! Ich bin, glaub ich, seit ein paar Jahrhunderten nicht mehr geritten!“ Sie lachte und lief los Richtung Stall. Er sah ihr stirnrunzelnd nach und folgte ihr. Was war das für ein seltsamer Satz gewesen?Als sie ihre Pferde gesattelt hatten und aufsaßen, ritt Chrispen voran Richtung Bergwerk. „Und, wie läuft es so?“, fragte sie. „Gut. Ich zeige dir unterwegs die Neuerungen.“ Als sie am Eingangstor der Bergwerksanlage vorbei kamen, blieb Lyra stehen und stieg ab. Sie stand da, drehte sich in alle Richtungen und sah Chrispen dann fragend an. „Wo ist das Dorf?“„Ich zeige es Dir, die sind umgezogen.“ „Die Soldaten sind auch weg?“ Chrispen nickte. „Komm.“

Als sie zu dem kleinen Dorf aus neu errichteten Steinhäusern kamen, die von kleinen Gärten gesäumt waren, schien Lyra überhaupt nicht überrascht zu sein.

yyxxyy„Das ist wirklich toll geworden!“ sagte sie zu ihm und ritt ohne weitere Kommentare weiter. Chris sah ihr etwas frustriert nach, als aus dem Zentralgebäude in der Mitte des Dorfes ein Mädchen mit wehenden Haaren und langem Zopf heraustrat; sie hatte zwei kleinere Kinder an der Hand. Die Kinder zerrten an ihr und kreischten herum, so dass Lyras Pferd erschrak und hochstieg. Lyra bändigte verärgert ihr Pferd und rief laut: „Vorsicht!“, als das Mädchen hochsah: „Lyra???“ Einen Moment lang blickte Lyra sie an, als ob sie nicht wüsste, was das Mädchen überhaupt von ihr wolle, dann rief sie: „Sheeia!“ und sprang vom Pferd. Sheeia fiel ihr in die Arme: „Ich dachte, du bist tot!“ Lyra drückte sie, hielt sie dann an den ausgestreckten Armen von sich weg. „Du bist groß geworden! Du bist ja fast so groß wie ich! Wohnst du hier?“ Sheeia sah unsicher zu Chris, der stammelte: „Wir hatten noch keine Zeit zu reden… Sheeia wohnt eigentlich immer noch bei uns im Haus, sie ist aber oft hier und hilft beim Aufbau der Schule mit!“ „Prima!“ entgegnete Lyra. „Dann sehen wir uns später zum Essen!“ Damit wendete sie sich ihrem Pferd zu und stieg in den Sattel. „Kommst du?“ rief sie mit einem Blick zu Chris und ritt los. Chris, der immer noch neben Sheeia stand, sah ihr nach und verabschiedete sich entschuldigend von Sheeia. „Sie ist gerade erst angekommen, ich muss ihr noch alles erzählen.“ Weit vorne sah er Lyra Richtung Wald reiten. Er beschleunigte sein Pferd und galoppierte ihr hinterher, bog dann auf einen kleinen Waldweg ein, der sich durch das helle, lichte Wäldchen zog; er war mit Moos und kleinen Pflanzen bewachsen, die sofort den aromatischen Duft des Waldes verströmten. Sie ritten eine Weile, bis sie zu einem kleinen See kamen, an dessen Ufer Lyra anhielt und abstieg. Am Ufer lag ein abgeschnittener Baumstamm, auf den sie sich setzte. Chris kam zu ihr und setzt sich daneben, nachdem er sein Pferd an einen Ast gebunden hatte. Lyras Pferd stand frei und graste.Das Wasser glitzerte im Sonnenlicht, kleine Tiere summten über die Oberfläche. Nach einer ganzen Weile schien Lyra erst zu bemerken, dass Chrispen neben ihr saß; sie sah ihn an, lächelte, nahm seine Hand in ihre und drehte sich wieder zum See. „Es ist wunderschön hier, nicht?“ Er nickte und fragte sie: „Warst du schon mal hier?“ „Ja, schon oft. Es ändert sich hier nie etwas…“ sie räusperte sich. „Sag mal, welches Datum ist heute?“ „Der 20. des siebten Monates, Ortszeit.“ „Und - welches Jahr?“ Chris sah sie von der Seite an. „20 305 neue Zeitrechnung.“ Er schwieg, dann fragte er vorsichtig: „Warum?“ Lyra antwortete nicht, zuerst dachte er, sie hätte die Frage nicht gehört, dann nahm sie einen Stein und warf ihn ins Wasser. Nachdem die Wellen wieder verschwunden waren, fragte sie leise: „Und – wann bin ich verschwunden?“ „Am 13. des dritten Monates.“ Lyra schwieg, dann sagte sie: „Dann war ich vier Monate weg?“ Chris antwortete: „Vier Monate und sieben Tage, ja.“ Noch ein Stein flog.„Lyra?“ „Ja?“ „An was erinnerst du dich?“ „Oh, eigentlich an alles, aber ich bringe manchmal die Dimensionen ein wenig durcheinander. Aber das beruhigt sich sicher wieder, wenn ich ein bisschen länger hier bin.“ Sie lachte unbekümmert. „Bist du sicher? Du solltest dich besser durchchecken lassen, ob …“ „Nein.“ „…ich kann es auch machen, wenn dir das lieber…“ „Nein.“ „Lyra…“„NEIN. Das brauchen wir nicht diskutieren.“ Immer noch genauso stur, dachte er.Lyra griff nach einem neuen Stein, als ihr ein Glitzern ins Auge sprang. Sie stand auf, ging einen Schritt ans Wasser und hob etwas auf; dann drehte sie es in der Hand und hielt es kurz gegen die Sonne. Es sah aus wie ein kleiner Stein, war aber durchsichtig und funkelte wie ein zart hellblauer Edelstein im Sonnenlicht. „Gib mal her!“ sagte Chris und nahm ihn in die Hand. Er hielt ihn gegen die Sonne und betrachtete ihn im Licht; dabei nahm er sich vor, Lyra weiter genau zu beobachten, ob wirklich alles ok war mit ihr. „Ja, den hab ich mal gemacht, als mir langweilig war, und dann hab ich ihn hier verloren, vor zwei Jahren.“ Sie nahm den Stein wieder und steckte ihn in eine der vielen Hosentaschen ein; dann stieg sie auf ihr Pferd: „Reiten wir zurück?“ Chrispen folgte ihr schweigend. Vor zwei Jahren, dachte er, waren wir auf Hrasta, nicht hier.

Sie waren gerade kurz vor ihrem Haus angekommen, als sie Megwane Gregor und Lord Baisin vor dem Tor stehen sahen. Lyra grüßte beide und stieg ab, dann öffnete sie das Tor. „Wir freuen uns, sehr, euch zu sehen, nachdem alle dachten, ihr seid tot, Major!“ sagte Baisin und drückte Lyras Hand. Megwane lächelte sie an. „Ich habe euch etwas mitgebracht. Baridas, die esst ihr doch so gern, das hat mir Sheeia erzählt!“ „Oh, danke, das ist nett. Kommt herein!“ Währenddessen war Lyra schon Richtung Stall gelaufen; als sie ihr Pferd absatteln wollte, griff Chris nach den Zügeln und sagte: „Ich mach das schon, geh mit den Gästen rein!“ doch sie entgegnete mit einem Lächeln: „Nein, bleib bei mir.“ Sie drehte sich um und rief in den Hof hinaus: „Wheela! Machen Sie bitte die beiden Pferde fertig!“ Dann nahm sie Chris an der Hand und ging zusammen mit ihren Gästen zum Haus. Megwane sah Baisin an, dieser zuckte überrascht mit den Schultern, sagte aber nichts.

Sie tranken zusammen Kaffee, Therese brachte Gebäck herein, das sie frisch zubereitet hatte. Lyra ließ sich von Baisin die Neuigkeiten erzählen; sie hörte zu und fragte nicht viel, aber sie schien auch von nichts wirklich überrascht zu sein. Als Baisin seinen Bericht beendet hatte, sagte Megwane: „Mein Mann und ich würden euch gern am Wochenende einladen zu einem Ausflug in unser Jagdhaus; ihr könntet gemeinsam dorthin reiten, da wir gehört haben, dass ihr gern reitet. Wenn ihr wollt, könnt ihr auch auf die Jagd gehen, es gibt dort viel Wild. Ich komme auch hin.“ Plötzlich kam Sheeila herein, die die letzten Worte noch gehört hatte. „Mutter, darf ich mit, mit den Reitern?“ Mewgane sah sie an und zog die Stirn in Falten. „Von mir aus schon, aber ich muss deinen Vater fragen. Er war nicht begeistert, als er gehört hat, dass du überhaupt reitest…“ „Och bitte!!“ Megwane nickte nachdenklich. „Ich frage ihn. Kommt Ihr?“ Sie sah Lyra an. Diese wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Chris ihr schnell ins Wort fiel: „Verzeiht, aber Colonel Shannon ist gerade erst wieder heimgekehrt, sie braucht noch…“ Lyra unterbrach ihn, indem sie sanft ihre Hand auf sein Handgelenk legte und sagte: „Gerne, Mrs. Gregor, ich freue mich darauf. Und es wäre schön, wenn Sheeia mit uns reiten könnte, ich bin so lange nicht mit ihr ausgeritten!“

Auf der Jagd

Am Nachmittag besprach Lyra mit Chrispen und Sabjowski die wichtigsten Themen; was geschehen war und was aktuell anstand. Am Ende fragte Lyra: „Was ist eigentlich mit den offenen Gerichtsverfahren?“ Chris sah sie an und erwiderte: „Die sind alle erledigt… ich hoffe in ihrem Sinne, Major… äh, Colonel.“ „Chris, ich denke, du kannst du sagen, wenn wir unter uns sind.“ Sie sah Sabjowski an und dann zu Chris. „Im kleinen Kreis, meine ich. Danke, dass du das gemacht hast. Das hat mir wirklich Sorge bereitet, als ich daran gedacht habe, dass die Leute immer noch auf eine Entscheidung warten, nach all der Zeit – äh, vier, … Monate.“ Es klopfte an der Tür zu Lyras Arbeitszimmer, in dem der Besprechungstisch stand. Carsten kam herein und fragte: „Störe ich?“Lyra schüttelte mit dem Kopf: „Kommt herein, äh, Leutenant?“ Carsten trug wie meistens nur ein T-Shirt, ohne Abzeichen. Welchen Rang hat er gerade?? überlegte Lyra grübelnd. Carsten grinste sie an. „Jep, Leutenant, Colonel! Ich, ähm, ich wollte fragen, ob ich hier noch benötigt werde.“ Lyra sah ihn verständnislos an und drehte sich zu Chris um, wartete auf dessen Antwort. „Was meint ihr?“ fragte dann auch Chrispen, der offenbar ebenfalls die Frage nicht verstand. „Naja, ich bin ja als, äh, Ersatz hergekommen, und da dachte ich, jetzt, wo Colonel Shannon wieder da ist, muss ich wohl wieder weg.“ Lyra lachte laut auf. „Leutenant Carsten van den Layn, wir zwei haben schon so viel miteinander erlebt, warum zur Hölle sollte ich Sie wegschicken, wenn Sie freiwillig hier sind??!“ Ups, dachte Sabjowski, war der etwa auch beim SF5?!Lyra sah die beiden an. „Ich bin am Wochenende weg mit Sir Gregor, Morgenstern ist auch mit dabei. Sie übernehmen in der Zeit, Sabjowski. Da wir vermutlich nicht gut erreichbar sind, sollten wir einen Notfallplan erstellen, nur für den Fall der Fälle. Wobei ihr ja inzwischen darin geübt seid, gut ohne mich auszukommen.“ fügte sie etwas sarkastisch hinzu. „Weißt du, wo dieses Jagdhaus liegt, Chris?“„Nein, aber ich werde es herausfinden. Was nehmen wir mit?“ Lyra überlegte kurz. „Ich würde sagen, Basisausstattung allgemein und Modul L, inklusive Waffen und Medipack, Reitkleidung und Jagdausrüstung für Großwild, wenn ihr da auch mitgehen wollt. Die dortigen Kommunikationsmöglichkeiten müssen wir prüfen. Noch was?“„Übernachten wir dort?“ Lyra nickte. „Zwei Mal.“Super, dachte Carsten, zwei Nächte, wo wir besonders aufpassen müssen, diesem Gregor traue ich nicht wirklich.Na toll, dachte Chrispen, drei Tage, an denen ich besonders aufpassen muss, weil Lyra irgendwie noch nicht richtig wieder da ist.

Es wurden dann siebzehn lange Nächte, bis sie wieder zu Hause waren.

Ein Ausflug mit Hindernissen

Sir Gregor hatte nach einigem Zögern zugestimmt, dass seine Tochter mit reiten durfte, aber nur unter der Bedingung, dass sie einen Rock tragen würde. Mit einem Augenaufschlag hatte Sheeia nachgegeben, und natürlich unter dem Rock ihre Reitkleidung angezogen, darüber einen älteren Rock, den sie am unteren Saum einfach aufgeschnitten hatte, damit sie auf dem Pferd beweglich war. Mit einem kritischen Blick hatte ihr Vater sie wortlos gemustert, als sie auf ihr Pferd aufstieg, und war dann losgeritten, zusammen mit vieren seiner Leute, dahinter ritten Lyra, Chris und Wheela. Megwane war schon zwei Tage vorher vorausgefahren und würde in der Jagdhütte auf sie warten; sie hatte wegen des unwegsamen Geländes einen sehr großen Umweg mit einer Kutsche genommen.

„Es sind fünfundsiebzig Kilometer bis dort, schafft dein Pferd das überhaupt? Und schaffst du das?“ hatte Gregor seine Tochter vor der Abreise misstrauisch gefragt. „Vater, bis zum Bergwerk Salinas sind es fünfundfünfzig, da war ich schon in einem einzigen Tag, hin und zurück!“ hatte Lyra zurückgegeben, worauf Sir Gregor sie überrascht und etwas empört angesehen hatte: „Du warst allein in Salinas??“ „Nein, natürlich nicht!“ „Also, meinetwegen.“ hatte er gebrummelt und sich kopfschüttelnd dann wieder seiner Arbeit zugewendet und Sheeia stehen lassen.Sie ritten einige Stunden über offenes Gelände, in dem dünn mit Gras bewachsene Flächen sich mit Kies und Schotterflächen abwechselten, dann kamen sie an einen Wald, den sie in einer Reihe hintereinander über einen schmalen Pfad durchquerten. Am Ende des Waldes öffnete sich das Gelände und sie standen vor einem Abhang, der sich zu einer riesigen Schlucht öffnete. Lyra ritt neben Gregor. „Und jetzt?“ Gregor zeigte auf den oberen Teil des Tals, das in eine große Bergkette überging und fast komplett mit dichtem Nebel ausgefüllt war. „Da müssen wir hin, folgt mir!“ Er wendete sein Pferd zur Seite und bog ab in ein halbhohes Gebüsch; nach ein paar Schritten waren Reiter und Pferd plötzlich verschwunden. Lyra sah sich um, die anderen waren jetzt nah hinter ihr, also folgte sie Sir Gregor. Der Weg ging abrupt ziemlich steil hinunter, nach wenigen Metern umhüllte sieder Nebel. Feuchtigkeit zog in die Kleidung und umgab alles; die Schritte wurden gedämpfter und das Licht trübe und diffus. „Lyra?“ „Ja?“ „Ist alles ok? Scheiß Nebel!“ Sie schickte ihm das gedankliche Äquivalent eines Nickens und schwieg dann.Nach einer knappen Stunde mühsamen Abstieges waren sie an der Talsohle angelangt. Der Boden wurde ebener, das Gelände flächig grün durch grasartige Pflanzen, die nebelfeucht waren und sich unter dem Gewicht der Tautropfen bogen. Nach ein paar Minuten kamen sie zu einem Bach, der sich durch die Mitte des Tals schlängelte. Sie folgten seinem Lauf flussaufwärts etwa drei Stunden lang, bis sie zu einem See kamen. Das Wasser glitzerte, als die Wolkendecke kurz aufriss; ein grün-violetter Fisch sprang aus dem Wasser. Lyra blieb stehen, neben ihr Chris und die anderen. „Das ist atemberaubend schön! Ihr versteckt die Schönheit eurer Welt gut, Sir Gregor! Ich hätte das hier nicht erwartet.“ Gregor lächelte kurz, dann sagte er: „Reiten wir weiter. Wir haben noch ein gutes Stück vor uns. Aber seid vorsichtig, weiter oben gibt es Pijutschi-Bären. Falls euch etwas auffällt, Losung oder Spuren, sagt es mir bitte.“ Sie ritten drei weitere Stunden weiter entlang des Bachlaufes, nachdem sie am See noch die Pferde getränkt hatten; Bärenspuren fanden sie zum Glück aber keine. Vom Rand wuchs jetzt Wald in Richtung des Wassers, und langsam änderte sich auch der Wald zu einem Bergwald, als sie höher kamen. Schließlich standen sie vor einem großen Holzhaus am Rande einer Lichtung, aus dessen Kamin Rauch quoll. An der rechten Seite war ein Stall ins Hauptgebäude eingefügt, in den sie ihre Pferde führten. Sheeia sprang als letzte gerade mit Schwung vom Pferd, wobei ihr Rock hochflog, was ihr prompt einen missbilligenden Blick ihres Vaters einbrachte, als ihre Mutter aus der Haustür kam. Sie begrüßte ihre Gäste mit einem freundlichen Lächeln und brachte ihnen Becher mit frischem Wasser. Gregor wollte einem seiner Leute Lyras Pferd zum Absatteln geben, doch sie lehnte dankend ab. „Ich war so lang nicht bei meinem Pferd, ich glaube, er kennt mich gar nicht mehr. Ein paar Streicheleinheiten tun ihm gut!“ sagte sie, während sie den Striegel in die Hand nahm. „Naja, so lang war es auch wieder nicht!“ kommentierte Sabjowski halblaut, worauf Lyra ihn mit einem seltsamen Blick ansah und schwieg.

Im Haus gab es warmen Wein zur Begrüßung. Die Luft war hier schon recht kühl und herbstlich geworden; in dem großen Kamin im Aufenthaltsraum brannte knisternd ein Feuer und schuf behagliche Wärme; dann bat Sir Gregor sie alle zu Tisch. Als jeder sein Essen vor sich stehen hatte, stand er auf: „Ich freue mich, dass ihr unserer Einladung gefolgt seid, Major Shannon,…“ Chris räusperte sich und unterbrach ihn: „Colonel.“ „Äh, wie?“ „Colonel Shannon. Sie ist befördert worden kurz vor dem… Unfall.“„Oh.“ Gregor trank hastig einen Schluck Wasser. „Also, äh, Colonel Shannon und die anderen Gäste. Wir hatten keinen guten Start miteinander, aber ich hoffe, wir können künftig besser miteinander auskommen. Ich möchte mich auch dafür bedanken, dass es unserer Tochter gut ging und sie sich so aufwändig um sie gekümmert haben während des, äh, nicht freiwilligen Aufenthaltes bei ihnen, auch wenn ich als Vater nicht alles billigen kann, was ihr Sheeia erlaubt habt. Aber sie ist mittlerweilen ohnehin volljährig, da spielt es auch keine große Rolle mehr.“Immer nörgeln, dachte Chris. Gregor hob sein Glas und alle stießen miteinander an. Dann erwiderte Lyra seine Rede. „Ich bedanke mich im Namen aller für die Einladung. Wir freuen uns schon sehr auf morgen, auf die Jagd. Ich verstehe auch, dass ihr nicht alles gut findet, was Sheeia bei uns gemacht hat, aber sie kam in unsere Welt, und auch jetzt lebt sie in beiden. Da sind Veränderungen zwangsweise mit inbegriffen, die Menschen immer schwerfallen als dreidimensionale Wesen, die in der vierten Dimension leben und nicht darüber hinausblicken können. Tatsächlich ist Veränderung die einzige Konstante im Universum; ich hoffe, dass alles, was sie gelernt hat, ihr helfen wird, zu überleben und auch besser zu leben.“ Sie lächelte, alle stießen wieder miteinander an und wendeten sich dem Essen zu. Was für eine Rede, dachte Sabjwoski, sie spricht, als ob sie selbst kein Mensch wäre. Chrispen sah Lyra nur nachdenklich an und sagte gar nichts.Nach dem Essen verteilte einer von Gregors Männern die Schlafzimmer, die Gäste bekamen jeder einen eigenen Raum. Als Megwane mit einem Stapel Decken zu ihnen kam, stand Lyra gerade mit Chris auf dem Flur und besprach leise, was der Kommunikationscheck ergeben hatte: keinen Empfang. Das Tal war einfach zu abgelegen außer für den Satellitenkontakt, der aber auch nur bei gutem Wetter und vermutlich gar nicht bei Nebel funktionierte. Lyra sah Megwane und wollte ihr die Decken abnehmen, doch diese wehrte ab und sagte: „Die obersten zwei sind für euch, die darunter kommen ins Nebenzimmer zu Leutenant Morgenstern.“ Lyra nahm ihr mit einem Schwung alles aus der Hand, drückte es Chris in die Arme und sagte: „Tu das da rein.“ und zeigte mit dem Kinn auf ihr Zimmer.Wow, dachte Chris, jetzt sind wir wirklich geoutet, und tat es.Megwane sah sie fragend an, Lyra machte nur eine Grimasse, woraufhin Megwane sanft lächelte, ihr die Hand kurz drückte und wegging.Später saßen sie gemeinsam vor dem Kamin; einige waren schon schlafen gegangen. Lyra saß mit einem Glas Wein in der Hand da und starrte ins Feuer; sie schien völlig abwesend zu sein, als Gregor etwas zu ihr sagte. „Was? Verzeiht, ich habe nicht zugehört. Ich glaube, ich gehe schlafen. Gute Nacht, Sir Gregor! Und, ähm, es tut mir leid wegen Gray!“„Was ist mit Gray?“ fragte Gregor. Lyra wirkte kurz verwirrt, dann sagte sie schnell: „Ach nichts, schon gut.“ Chris und Wheela verabschiedeten sich ebenfalls und gingen ins Bett.

Als sie später im Bett lagen, nahm Chris eine Haarsträhne in die Hand und ließ sie durch die Finger gleiten. „Du lässt sie jetzt blond?“ sagte er. Sie zuckte mit den Schultern. „Gefällt es dir nicht? Lieber rot? Oder was ganz anderes, braun, lila?“ Dabei wechselte sie fließend die Haarfarbe. „Wow, das, das geht aber fix. Hast du das im All geübt??“ Sie sah ihn an und ihr Blick verlor sich im Nirgendwo. „Hey! Hallo! Wo bist du? Du gehörst jetzt ganz mir!“ sagte er und rollte sich auf sie, legte sich mit seinem ganzen Gewicht der Länge nach auf sie, mit seiner Hüfte auf ihre. Sie erwachte aus dem Nirgendwo, sah ihn kurz verwundert aus goldenen Drachenaugen an und drehte sich dann mit einem Schwung mit ihm um, als wöge er nichts, so dass er unter ihr zu liegen kam. Dann lächelte sie ihn an und hielt seine Arme an den Handgelenken fest, während sie ihn küsste. Was ist das, verdammt, woher hat sie so viel Kraft? Das gibt´s doch nicht, dachte er.Er konnte sich nicht befreien, und sie ließ ihn nicht los, bis sie fertig war. Dann hauchte sie ihm einen Kuss auf den Mund und ließ sich zur Seite fallen; kurz danach war sie eingeschlafen. Chrispen betrachtete sie grübelnd, während sie schlief. Komisch, dachte er unvermittelt, sie hat diese Narbe von Hrasta über der Stirn gar nicht mehr, das war ihm bisher gar nicht aufgefallen. Als er sie genauer betrachtete, bemerkte er, dass überhaupt alle Narben weg waren, auch die an den Handgelenken von den Fesseln… vvyyrrhische Medizin? Er musste sie bei Gelegenheit danach fragen, nahm er sich vor.

Megwane und ihr Mann lagen noch wach, als ihre Gäste schon schliefen. „Mir gefällt das nicht.“ brummte Tomus. „Wie soll Sheeia einen Mann finden, wenn sie sich so benimmt, und dann auch noch reitet, mit Hosen?? Diese Shannon mag bestimmt auch lieber Frauen, am Ende beeinflusst sie unsere Tochter noch!“ „Ganz sicher nicht, Schatz! Mach dir da mal keine Sorgen!“ sagte Megwane bestimmt. Tomus sah sie von der Seite an. „Weißt du was, was ich nicht weiß?“ Megwane lächelte nur und rutschte enger an ihn heran. „Was macht ihr morgen?“ „Wir gehen morgens auf die Jagd und am Nachmittag grillen wir dann hoffentlich unsere Beute. Dann machen wir uns einen schönen Abend und übermorgen fahren wir wieder heim.“

Am nächsten Morgen war Sheeia früh wach und schlich sich in die Küche, um sich ein Frühstück zu holen. Doch ihre Mutter war schon auf den Beinen und werkelte bereits in der Küche herum. Sie spannte Sheeia sofort ein, und so saßen beide in der Küche am Tisch und bereiteten das Mittagessen zusammen vor. „Shannon ist mit Morgenstern zusammen, das hast Du mir gar nicht erzählt! Das war mir gestern wirklich peinlich, weil es nicht wusste, sonst hätte ich gleich ein anderes Zimmer hergerichtet!“ sagte Megwane vorwurfsvoll zu ihrer Tochter, die gerade eine Tasse warme Wakmilch trank. „Das ist nicht ihre Schuld.“ sagte Lyra. Megwane erschrak dermaßen, dass ihr das Messer aus der Hand fiel und Sheeia verschluckte sich an der Milch. Sie hatten beide Lyra nicht bemerkt, die angelehnt im Türrahmen zur Küche stand und mit einem sehr großen, schwarzen Messer einen Apfel zerlegte. Lyra ging einen Schritt in die Küche. „Ich habe Sheeia einen Memoblock gesetzt, damit sie nicht redet.“ Sie biss in den Apfel und setzte sich an den Tisch. Sie war wie immer ganz in schwarz gekleidet mit Hose, Shirt und Jacke. „Ein Memoblock?“ fragten Sheeia und Megwane gleichzeitig. „Hmmm. Eine Art Sperre, dass sie zwar an alles denken, aber nicht mit jemand anderem über das Thema reden kann.“ Sheeia starrte sie entsetzt an. „So was kannst du? Hast du mich heimlich operiert oder sowas??“ „Nein. Das ist wird nur mental gemacht, über - Gedanken. Ich mache es wieder weg, ich versprech es dir.“ Sie sah Megwane an. „Sie hatte es schon lange geahnt, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen war sie bei uns beiden auf der richtigen Spur. Ihr habt eine sehr kluge Tochter, die gut beobachtet und richtig kombiniert. Ihr könnt sehr stolz auf sie sein!“ Sie strich Sheeia über das Haar, warf den Überrest vom Apfel weg und ging aus der Küche. Beide Frauen sahen ihr nach. „Is´ ja gruselig, wenn jemand so was kann.“ Sheeia schüttelte sich. „Zum Glück ist sie meine Freundin!“

Nach einem kurzen Frühstück ging es im Morgendunst Richtung Wald zur Jagd. Sheeia hatte ihren Vater so lange genervt, bis sie mitgehen durfte, wenn sie versprach, ganz leise zu sein. Gregor nahm einen seiner Leute mit, Jason Gray, Lyra wurde von Chrispen und Wheela begleitet. Carsten wollte eines der Pferde neu beschlagen, das auf dem Weg ein Hufeisen verloren hatte, und blieb zurück beim Haus.Nach einer halben Stunde kamen sie an eine Grasfläche, an der am Rand ein versteckter Sitz neben einem Gebüsch gebaut war, ein idealer Platz für die Jagd. Gregor, Chris und Lyra kletterten hinein; Gray und Sheeia brachten die Pferde weiter weg, damit das Wild sie nicht witterte, und bewachten sie. Sie mussten nicht lange warten, schon nach zehn Minuten knackte es im Unterholz, dann rannte ein Reh vorbei, direkt dahinter ein kapitaler Hirsch. Gregor schoss gleichzeitig mit Chrispen; das Reh lief noch ein paar Schritte, der Hirsch brach gleich zusammen. Sie waren gerade aus ihrem Versteck heraus, als plötzlich ein Pferd aus dem Wald galoppiert kam und die Lichtung querte. „Scheiße, das ist eines von unseren! Sheeia!“ rief Lyra und rannte nach hinten weg in den Wald. Sie war kaum außer Sicht und Sir Gregor schon kurz vor dem erlegten Wild angekommen, als Gray aus der gleichen Richtung wie das Pferd angerannt kam. Chrispen überlegte etwas unschlüssig, ob er überprüfen sollte, vor was Gray weggerannt war, oder ob er Lyra folgen sollte. Sie hatte ihr Gewehr an einem Baum etwa dreißig Meter links von ihm stehen gelassen, stellte er fest und wollte ihr gerade folgen, als Sheeia plötzlich aus dem Unterholz neben Lyras Gewehr auftauchte. Sie winkte Chrispen zu, dann erschraken beide durch einen furchtbaren Schrei und ein lautes Krachen. Ein riesiger Pijutschi-Bär stand auf der Lichtung, das Krachen war Grays Schädel gewesen. Jetzt ließ der Bär ihn los und drehte sich zu Gregor, der am Boden vor dem Hirsch kniete und nur sein Messer dabei hatte, um das Wild zu zerlegen; sein Gewehr lag ein Stück weit hinter ihm, außer Reichweite. Der Bär setzte gerade zum Sprung an, als ein Schuss dröhnend durch die Stille krachte; noch im Landen schlitzten die Krallen des Bären Gregor den Oberschenkel auf, dann schlug das mächtige Tier auf dem Boden auf und war tot. Kreidebleich drehte sich Tomus Gregor um; am Waldrand standen Chris und, ein ganzes Stück entfernt, Sheeia; sie hatte ein Gewehr in der Hand. Das Mädchen rannte zu ihm. „Vater!“ rief sie aus und umarmte ihn. „Bist du verletzt?“„Das ist nicht schlimm.“ sagte er leise. „Ohne dich wäre ich jetzt tot. Du bist ein erstaunliches Mädchen!“ fügte er hinzu, mit Stolz und Verwunderung in der Stimme. In diesem Moment kam Lyra mit den Pferden, die sie am Zügel hielt, durch das Unterholz. Sie übergab Chris alle Zügel und lief zu den zwei Gregors. „Gray ist tot.“ sagte Tomus. „Aber Sheeia hat mir das Leben gerettet, und ich nehme an, das Schießen hat sie bei euch gelernt. Nicht, dass ich das gut finde, aber es war ein sehr guter Schuss!“