Planetenroman 3: Die Gottes-Maschine - Peter Terrid - E-Book

Planetenroman 3: Die Gottes-Maschine E-Book

Peter Terrid

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Beschreibung

Semiramis Carrefour ist eine Agentin der Kosmischen Hanse - ihr Gegner ist ein Mensch mit Drang zur absoluten Macht Man schreibt das Jahr 113 Neuer Galaktischer Zeitrechnung: Seit mehr als hundert Jahren leben die Bewohner der Milchstraße weitestgehend in Frieden, und die Kosmische Hanse sorgt für wachsenden Wohlstand. Perry Rhodan und seine Gefährten streben die friedliche Einigung der Galaxis an. Doch dann kommt es zu einer Serie von Diebstählen, die zahlreiche Planeten betrifft. Gestohlen werden hochwertige technische Güter und seltene Materialien. Wie es aussieht, möchte jemand tatsächlich einen Nullzeit-Deformator bauen - eine Maschine, mit der sich die Zeit manipulieren lässt. Die beste Agentin der Kosmischen Hanse wird auf den Fall angesetzt: Es ist Semiramis Carrefour, und ihre Methoden sind sehr eigenwillig...

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Planetenroman

Band 3

Die Gottes-Maschine

Die Karriere eines interstellaren Zauberers – ein Mann strebt nach der absoluten Macht

Peter Terrid

Man schreibt das Jahr 113 Neuer Galaktische Zeitrechnung: Seit mehr als hundert Jahren leben die Bewohner der Milchstraße weitestgehend in Frieden, und die Kosmische Hanse sorgt für wachsenden Wohlstand. Perry Rhodan und seine Gefährten streben die friedliche Einigung der Galaxis an.

Prolog

Es war eine der wichtigsten Entscheidungen der Menschheitsgeschichte, als Perry Rhodan im Jahr 3588 christlicher Zeitrechnung die Kosmische Hanse gründete. Die Anleihe bei der altterranischen Hanse, jener Organisation, die den Seehandel im nördlichen Europa während des Mittelalters maßgeblich beeinflusste, war dabei beabsichtigt.

Rhodan folgte bei dieser Gründung einem Rat der Superintelligenz ES. Das Ziel der anfangs von den Terranern dominierten Kosmischen Hanse war, den Handel und den Frieden in der Milchstraße zu fördern und so einen lange andauernden Aufschwung einzuleiten. Nach den mehr als hundert Jahren, in denen die Menschheitsgalaxis von den Laren und anderen Völkern des Hetos der Sieben beherrscht worden war, benötigten die Völker der Milchstraße diese Ruhepause.

Als Basis der Kosmischen Hanse dienten Raumschiffe, die von den Terranern übernommen worden waren: Die gigantischen Sporenschiffe der sieben Mächtigen wurden zu Kosmischen Basaren, die zahlreichen Keilraumschiffe der Orbiter widmete man zu einer Flotte aus Handelsschiffen um. Damit konnten die Welten der Milchstraße wieder in neue Handelsbeziehungen treten und den Kontakt zu den Galaxien der kosmischen Umgebung aufnehmen.

Die Gründung der Kosmischen Hanse manifestierte sich auch in einer neuen Währung: Der Galax wurde eingeführt, zuerst nur für die Terraner, später für viele Völker der Galaxis. Und es gab eine neue Zeitrechnung: Das Jahr 3588 christlicher Zeit wurde zum Jahr 1 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, kurz NGZ.

Auch die Anredeformen veränderten sich in der Folge: Überall in der Galaxis setzte sich eine persönliche Anrede durch, sprach man sich eher mit »Du« an – mit Ausnahme der Haluter, die an ihren höflichen Ausdrucksformen festhalten wollten.

Und so sah sich die Bevölkerung auf den zigtausenden Welten der Milchstraße zu Beginn des zweiten NGZ-Jahrhunderts in einer beeindruckenden Phase des Aufschwungs. Schwierigkeiten und Unruheherde gab es allerdings trotzdem ...

1.

Der Diebstahl geschah am frühen Morgen des vierten Tages nach der Sommersonnenwende. Über Gheershon lag dichter Nebel, der Zwillingsmond war nur ab und zu als schwach leuchtendes rotes Etwas am Himmel auszumachen.

Das Lager am Rand des Raumhafens von Gheershon war eingezäunt und bewacht. Zwar handelte es sich bei dem Inhalt des Lagers um zivile Güter und keine militärischen, aber dennoch betrieben die Verantwortlichen einen beachtlichen Sicherheitsaufwand.

Rund um das Gelände erstreckte sich ein Graben, der mit einer hochviskosen Flüssigkeit gefüllt war. Kam diese Flüssigkeit allerdings mit organischem Gewebe in Berührung, legte sie sich wie ein Film darum, und dieser Film wurde von Sekundenbruchteil zu Sekundenbruchteil dicker und schwerer – ein Mensch, der versucht hätte, den Graben zu durchqueren, hätte es am anderen Ufer mit einer drei Zentner schweren Gallertschicht zu tun gehabt, die seinen Leib fugenlos bedeckte und ihm jede Bewegungsmöglichkeit nahm. Erst wenn diese Gallerte auf weniger als 250 Kelvin abgekühlt wurde, bröckelte sie als harmloses Pulver wieder auseinander.

Neben dieser chemischen Sperre gab es mechanische Hindernisse, einen Energieschirm, Kameras, Bewegungsmelder und Sensoren jeglicher Art. Roboter patrouillierten am Rand des Geländes, und als besonderen Luxus leistete sich die Raumhafenverwaltung von Gheershon auch tatsächlich Wachpersonal – zwei Unither, ein Mann von Balamat, eine Gruppe von Siganesen, die in einem kleinen Gleiter patrouillierten, und einen Oxtorner.

Der Grund für so viel Vorsicht lag auf der Hand: Gheershon lag am Rand der galaktischen Eastside, in einer Zone, in der Recht und Gesetz nicht ganz die Durchschlagskraft hatten, wie es sonst üblich war. Es gab gieriges und zwielichtiges Gesindel in Menge, das es auf den Inhalt des Lagers abgesehen hatte.

Gheershon lag zwar ein wenig am Rand der üblichen Routen, auf denen die Kosmische Hanse ihre Geschäfte abwickelte, aber selbst hier war der Warenaustausch rege. Für Diebe und Räuber gab es mehr als genug zu erbeuten – wenn es ihnen gelang, die Sicherheitsvorkehrungen zu überwinden.

Für die Sicherheit des Lagers verantwortlich war in dieser Nacht Rufer Green, der Mann von Balamat. Er saß in seinem Büro, trank einen Fruchtsaft und betrachtete missmutig den dichten Nebel, der über dem Raumhafen lag. Für den frühen Morgen war eine Landung angekündigt worden: Ein Springer wollte seine Ladung löschen und eine neue Fracht nehmen.

»Mistwetter!«, murrte Green halblaut und nippte an dem scharfen Fruchtsaft.

Der Balamater hatte die bei seinem Volk übliche graue Haut, ledrig und mit ziemlich großen Poren; seine Augen schimmerten in einem durchdringenden Grün. Allerdings hatten ihm nicht diese Augen den Namen eingetragen – dass der Grauhäutige ausgerechnet Green hieß, lag an der einfachen Tatsache, dass er als Raumfindling von einem Terraner namens Green adoptiert worden war.

Die Uhr an der Wand zeigte 4.23 Uhr Ortszeit, als der Alarm ausgelöst wurde.

Rufer stellte sofort das Glas beiseite und stieg aus seinem Sessel. Auf dem Kontrollschirm konnte er ablesen, an welcher Stelle der Alarm entstanden war.

Alarme gab es ein- bis zweimal in der Woche, meist ausgelöst durch irgendwelche Tiere, die sich in den Bereich der Alarmanlagen verirrten; Rufer Green war daran gewöhnt. Auf dem Bildschirm waren solche Störungen des Betriebsablaufs meist an den Rändern der Planzeichnungen zu sehen, die den gesamten Raumhafen- und Lagerbereich schematisch darstellten.

Aber dieses Mal ...

»Bei Arkons Untergang ...!«, stieß der Balamater hervor. Er schluckte und griff zur Waffe. »Hey, Freesh!«

Freesh Grülx, Rufer Greens Assistent, lag im Nachbarraum auf einer Pneumatikliege in wohligem Schlummer, der abrupt endete, als Green die Massageeinrichtung des Bettes einschaltete. Freesh wurde wach und blinzelte Green mit seinem Vierauge an.

»Was gibt es?«, fragte er verwirrt.

»Alarm«, stieß Green hervor. »Kannst du's nicht hören?«

»Ernsthaft?«

»Es sieht so aus«, murmelte Green während er den Waffengurt umschnallte. »Der Alarm ist in Halle sieben ausgelöst worden!«

Nun stieß auch Freesh Grülx einen Fluch aus und griff nach seinem Waffengurt.

Halle sieben enthielt die größten Kostbarkeiten, die man im Lager finden konnte: seltene Schwingquarze, positronische Bauteile, kostbare Erze, Kunstwerke, Dokumente und vieles andere mehr.

»Fertig? Dann los!«

Die beiden Wächter verließen ihren Posten, stiegen in einen kleinen flinken Gleiter und jagten los. Gleichzeitig setzten sich, wie sie wussten, sechs Roboter in Bewegung, um den näheren Bereich der Halle abzuriegeln. Die Maschinen waren neuwertig und tüchtig, aber bei Problemen dieser Art griff man in weiten Bereichen der Galaxis nach wie vor lieber auf Personal aus Fleisch und Blut zurück. Ein Roboter konnte, selbst wenn er mit einem Posbi-Gefühlssegment ausgestattet war, niemals das richtige Empfinden von Misstrauen und Argwohn aufbringen, das für diesen Job nötig war. Und im Zweifelsfall hatten Roboter auch nicht das richtige Gespür für Aggression und Hemmung, um auf ertappte Einbrecher und Diebe je nach Sachlage zu feuern oder nicht.

Der Gleiter jagte durch den Frühnebel.

»Glaubst du an einen ernsthaften Alarm?«, fragte Freesh Grülx seinen Partner, während er das Magazin seiner Waffe überprüfte. »Ausgerechnet in Halle sieben, mitten im Gelände?«

»Das kann man nie wissen«, antwortete Rufer Green mit einem unwohlen Gefühl. »Diese Verbrecher lassen sich immer neue Tricks einfallen ...«

Die Sonne begann langsam aufzugehen, eine fahle rötliche Scheibe, deren Schein nur mühsam durch den Nebel drang. Vogelschreien war zu hören, sonst war es still.

»Vorsicht!«, schrie Freesh, als plötzlich das Hindernis auftauchte. Nur mit äußerster Mühe schaffte es Green, eine Kollision zu verhindern.

»Verdammt!«, knurrte er. »Wo kommt dieser Baum her? Seit wann wächst hier ein Baum?«

»Keine Ahnung«, antwortete Freesh aufgeregt. »Ich bin länger nicht mehr hier gewesen.«

Rufer Green schüttelte verwundert den Kopf und murmelte ein paar Verwünschungen, dann ließ er den Gleiter weiterschweben. Nach wenigen Augenblicken hatten die beiden Wächter die Eingangspforte von Halle sieben erreicht. Der Gleiter stoppte; die beiden stiegen aus.

Das positronische Schloss war intakt, stellte Green fest. Er leckte sich die Lippen.

Der Job hatte seine Tücken: In der Regel war es einfach nur stinklangweilig, auf die Gebäude aufzupassen und die Kontrollen zu überwachen. Kam es zu einer wirklichen Störung des üblichen Betriebsablaufs, war dieser Job hochgefährlich. Interstellare Banden, die in diesem Winkel der Galaxis recht zahlreich waren, zeichneten sich durch Raffinesse, Dreistigkeit und eine große Skrupellosigkeit aus. Einen oder zwei Wächter zu erschießen, störte diese Verbrecher keine Zehntelsekunde lang.

Green presste seine linke Handfläche gegen den Öffnungsmechanismus; der Wechsel der Signalfarbe von Rot auf Grün zeigte an, dass das Schloss sich geöffnet hatte. Eine weitere Berührung sorgte dafür, dass das tonnenschwere Stahlschott langsam zur Seite glitt und den Eingang in die Halle öffnete. Gleichzeitig flammte die Hauptbeleuchtung auf.

Rufer Green nahm die Waffe in die linke Hand, wischte sich die feuchte Innenfläche der Rechten am Stoff des Hemdes trocken und fasste die Waffe dann wieder mit der rechten Hand.

»Nervös?«, fragte Freesh grinsend.

»Sehr!«, gab Rufer Green zu. »Ich hab noch nie ... Nur auf dem Schießstand, aber das zählt ja wohl nicht.«

Das Grinsen in Freeshs Gesicht wurde etwas zaghafter. »Geht mir ebenso«, murmelte er. »Komm, bringen wir es hinter uns!«

Während er in die Halle eindrang, überschlugen sich Rufer Greens Gedanken. Wer oder was machte da den Versuch, die Raumhafenverwaltung zu bestehlen, noch dazu auf eine so primitive Weise? Ein Einbrecher von Format hätte wissen müssen, dass die Halle gesichert und mit Alarmanlagen gespickt war.

Langsam schob sich der grauhäutige Balamater durch die Reihen der Kisten und Container. Seine Kehle war trocken. Schließlich wusste er nicht, mit wem oder was er es zu tun bekommen würde. Möglich war alles: ein paar jugendliche Gataser, Bewohner von Gheershon, vielleicht Parias, und es war nicht einmal gänzlich auszuschließen, dass sich ein Haluter in seiner Drangwäsche zwischen den Kistenstapeln versteckte ...

»Nichts ...!«, wisperte Freesh Grülx zaghaft. »Bist du wirklich sicher?«

Rufer nickte. Sein Herz schlug schnell und hart, sein Atem ging stoßweise. Es war kalt in der Halle, Rufers Atem bildete vor seinem Mund eine weiße Wolke.

Im vorderen Teil der Halle war nichts zu finden. Rufer ahnte langsam, dass die Einbrecher es auf ganz bestimmte Kostbarkeiten abgesehen haben mussten. Im hinteren Teil von Halle sieben, der extrem gesichert war, gab es einen großen Tresor, in dem alles untergebracht wurde, was besonders klein und kostbar und damit als Beute interessant war.

Rufer versuchte sich zu erinnern, was zurzeit in dem Tresor gelagert wurde. Es fiel ihm nicht ein. Aber er entsann sich, dass dieser Tresor ebenfalls ein positronisches Schloss hatte, das sich nur dann öffnete, wenn ganz bestimmte Personen es mit der Handfläche berührten. Gleichzeitig wurden dabei die Individualschwingungen der betreffenden Person überprüft. Stimmten diese nicht mit den Werten in der Autoritätsliste überein, war das Schloss praktisch nicht mehr zu öffnen.

Rufer hob die linke Hand. Er hatte etwas gehört. Ein schwaches Geräusch. Es klang wie ein Knistern. Dann ein Rascheln und wieder das Knistern, und jetzt gab es keinen Zweifel mehr für ihn.

Die Einbrecher mussten genau vor ihm sein.

Rufer lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Container, der eine Ladung von Zuchtnieren enthielt, die für gatasische Welten bestimmt waren. Zu Transplantationszwecken, soweit er wusste.

Er holte tief Luft. Die Mündung seiner Waffe zeigte nach oben, einsatzklar.

Ein rascher Blick hinüber zu Freesh Grülx, dann ein blitzschneller Schritt nach rechts, eine noch schnellere Drehung um neunzig Grad, gleichzeitig wurde die Waffe in Anschlag gebracht.

Die Mündung beschrieb einen Bogen, aus der Senkrechten nach vorn, genau ins mutmaßliche Ziel ... und dann sank sie langsam weiter, in Richtung Boden.

2.

Hanse-Sprecher Reginald Bull machte eine heftige Handbewegung, die ziemlich viel Gereiztheit ausdrückte.

»Das ist doch nicht euer Ernst, Leute«, sagte er aufgebracht. Er deutete auf den Bildschirm, auf dem sich das Geschehen darstellte. »Ein Baum?«

Rufer Green nickte langsam. Er war nur ein kleiner Angestellter der Kosmischen Hanse, und vom STALHOF wusste er wahrscheinlich kaum mehr, als dass es ihn gab.

Reginald Bull und die anderen großen Gestalten der Kosmischen Hanse kannte er selbstverständlich aus den Nachrichtensendungen. Aber garantiert hatte er sich Bull nicht ganz so stämmig vorgestellt. Allerdings auch nicht so energisch.

»Doch ...«, entgegnete Rufer Green; die Haut des Balamaters bekam einen Stich ins Blaue. Bull kannte das als Zeichen seines Volkes, dass er aufgeregt war. »Ich habe sofort eine Kamera geholt und den Vorgang im Bild festgehalten. Diese Aufnahmen sind echt, Sprecher ...«

Reginald Bull ließ ein unwilliges Knurren hören. »Ich glaube es einfach nicht«, sagte er halblaut. »Obwohl ich es sehen kann.«

Was er auf dem Monitor betrachten konnte, in klaren Farben und gestochen scharf, war ein Diebstahl, wie er in dieser Form in der Galaxis bislang unbekannt gewesen war. Haupttäter war ein Baum ...

»Wir reimen uns die Zusammenhänge irgendwie ungefähr so zusammen ...«, begann Rufer Green.

»Irgendwie ungefähr so ...«, entfuhr es Reginald Bull. »Welche Präzision!«

»Der Baum hat bei seinem Wachstum die Mauer der Lagerhalle aufgebrochen«, versuchte Green zu erkären. »Das ist natürlich langsam gegangen, weil Bäume eben sehr langsam wachsen ...«

»Ein Diebstahl mit einer Vorlaufzeit von zehn Jahren?«, erkundigte sich Bull giftig. Er hielt inne und holte tief Luft. »Entschuldige meinen Spott – ich habe selbst große Schwierigkeiten, mir das vorzustellen.«

»Wir auch, Sprecher«, antwortete Rufer Green trocken.

Bull versuchte sich vorzustellen, was Green dachte. Wahrscheinlich war er überrascht, dass ein so bekannter Mann wie Reginald Bull sich bei ihm für seine schlechte Laune entschuldigte. Aber Bull hatte gelernt, dass er zwar ein aufbrausendes Temperament hatte, dass es aber nicht schadete, hinterher um Verständnis für seine Wutausbrüche zu sorgen. Die Vorgesetzten, die Rufer Green bisher kennengelernt hatte, waren womöglich von gänzlich anderer Gemütsart gewesen.

»Fahr fort«, sagte Reginald Bull höflich; er lehnte sich in seinem Sessel ein wenig zurück.

»Man kennt dieses Phänomen von vielen Pflanzen«, sagte Rufer Green, »dass sie bei ihrem Wachstum ungeheure Kräfte entwickeln können, sogar dicke Betonplatten sprengen und dergleichen mehr. Offenbar hat der Baum das ebenfalls fertiggebracht. Allerdings ...«

Rufer Green schaute auf einen Merkzettel; wahrscheinlich hatte er sich Notizen von Fachwissenschaftlern der Hanse zu diesem Thema liefern lassen. »Nach den Erkenntnissen der Fachleute hat der Baum für dieses Wachstum praktisch nur eine Nacht gebraucht. Wie das gemacht worden ist, weiß man noch nicht.«

Bull nickte nur; damit hatte er gerechnet.

»Sobald es eine Lücke im Mauerwerk gab«, fuhr Rufer Green fort, »hat der Baum einen besonders langen Ast entwickelt und ihn hinüberwachsen lassen zu dem Tresor ...«

»Zielgenau?«

Green nickte. »Präzise«, sagte er. Seine Stimme gewann allmählich an Festigkeit. »Danach muss der Baum genau dort, wo er das positronische Schloss berührt hat ...«

»Wieso haben die Bewegungsmelder nicht angesprochen?«, fragte Bull dazwischen.

»Der Vorgang verlief zu langsam, als dass er vom Bewegungsmelder hätte erfasst werden können«, wusste Green zu berichten. »Das gilt im Übrigen für fast alles, was sich zugetragen hat – der Diebstahl hat sich gewissermaßen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der Alarmanlagen zugetragen.«

»Ich verstehe«, murmelte Bull und schloss für einen kurzen Augenblick die Lider. Er musste weit in die Vergangenheit zurückgehen, in jene Zeiten, als er noch Pilot der U.S. Space gewesen war und sich mit Perry Rhodan auf den Flug der STARDUST vorbereitet hatte.

Damals hatte Bull zu Ausbildungszwecken Düsenjäger mit Bordradar geflogen, und bei diesem Alarmsystem hatte sich das gleiche Problem gezeigt: Auf elektronischem Weg waren langsam bewegte Gegenstände ausgeblendet worden, um die Piloten nicht zu verwirren; das Kunststück hatte darin bestanden, die langsamsten Flugzeuge, Hubschrauber und Marschflugkörper noch zu erfassen, sich aber nicht von den Fahrern europäischer Sportwagen irritieren zu lassen, die auf den Highways ihre Maschinen auf mehr als 230 Stundenkilometer bringen konnten.

»Ist etwas, Sprecher?«, fragte Green; er klang besorgt.

Reginald Bull öffnete die Augen, lächelte knapp. »Nur ein kleiner Absturz in die Vergangenheit«, sagte er. »Fahr bitte fort.«

»Der Baum hat dann am Ende dieses Astes, genau an der Berührungsstelle zum positronischen Schloss, einen Gewebeklumpen entstehen lassen, mit dem er eine Handfläche imitiert hat. Wir haben den Klumpen untersuchen lassen ...«

Der Ara-Bioniker, der bisher geschwiegen hatte, fing den Blick auf.

»Dieses Gewebe ist von ganz anderer Beschaffenheit als der Rest des Baumes«, sagte der hagere Mann mit dem spitz zulaufenden Kahlschädel. Die Zeiten, in denen die Galaktischen Mediziner auf Aralon eine Art Monopolstellung innegehabt hatten, lag schon etliche Jahrhunderte zurück, aber noch immer war Aralon eine Hochburg bionischer und medizinischer Forschung. Und Alun Atun war eine Kapazität in seinem Fach. »Dieses Gewebe imitiert in einer Art besonders hochentwickelter Mimikry die Zellstruktur eines Intelligenzwesens. Wir wissen noch nicht, wie dieser Vorgang genau abgelaufen ist, aber es sieht danach aus, als habe dieses Gewebe in einer Art Rückkopplung es fertiggebracht, den Impulskode eines Zugriffsberechtigten zu imitieren.«

Bulls Augen verengten sich. »Wer kennt den fraglichen Impulskode?«

»Niemand«, antwortete der Ära. »Der Kode ist der Individualität des Berechtigten immanent, er ergibt sich eben aus seiner Individualität, ebenso wie sein genetisches Profil. Und der Sensor des positronischen Schlosses hat den Kode gekannt, aber nur in verschlüsselter Form. Das Gewebe muss die Impulsfolge gewissermaßen durch Versuch und Irrtum dem Schloss abgelauscht haben. Es ist, wenn ich das so ausdrücken darf, langsam in das Schloss hineingewachsen, bis es passte.«

»Raffiniert«, murmelte Bull beeindruckt. Er warf wieder einen Blick auf den Monitor. »Äußerst raffiniert.«

»Nachdem das Schloss sich geöffnet hatte ... Nun, das kannst du selbst sehen, Sprecher«, beendete Rufer Green seinen Vortrag und deutete auf den Monitor.

Die Abbildung nahm fast die gesamte Wand ein, die Details waren formatfüllend. Zu sehen waren Geschöpfe, die in der Natur etwa handspannengroß waren, sechzehn Beinpaare und eine große Kieferzange besaßen. In den Fachbüchern tauchten sie als Gheershon-Schaben auf, und sie waren nicht intelligenter und nützlicher als ihre terranischen Namensvettern, nur ebenso lästig.

Dass Insekten und Verwandte zu den erstaunlichsten Dingen fähig waren, vor allem im Kollektiv, konnte jeder Entomologe bestätigen. Eine gewisse Sorte terranischer Ameisen beispielsweise hielt in ihren Bauten eine sehr empfindliche Pilzkultur unter perfekt eingehaltenen klimatischen und hygienischen Bedingungen, um das Myzel dieses Pilzes zu ernten und an ihre Brut zu verfüttern. Und in der Weite der Galaxis ließen sich noch viele andere Beispiele für sehr komplexe Verhaltensweisen von Kerbtieren und Arachnoiden finden.

Aber noch niemals waren irgendwelche Küchenschaben entdeckt worden, auch nicht in ihren ertrusischen, siganesischen oder oxtornischen Ausprägungen, die aus einem gerade geöffneten Tresor positronische Bauteile herausholten, sie mühsam die Äste eines nicht minder absonderlichen Baumes entlangschleppten, um sie am Ende dieser Prozedur an eine Staffel nicht weniger unheimlicher grüner Fiedertiere abzuliefern, die damit flatternd verschwanden.

Genau das aber war auf dem Monitor zu sehen!

Reginald Bull holte tief Luft. »Fassen wir die Tatsachen kurz zusammen«, sagte er halblaut. »Tut mir leid, wenn ich ein wenig sarkastisch klinge, aber ich kann nicht anders. Was wir dort sehen, ich will es einmal die ›Gheershon-Bande‹ nennen, ist ein Baum, der Mauern und Schlösser knackt und sich mit Küchenschaben und kleinen grünen Fledermäusen ...«

»Fiederziegen«, warf der Ära ein. »Es sind ziegenähnliche Fiedertiere, reine Pflanzenfresser.«

»... grünen Fiederziegen also«, beendete Bull seine Zusammenfassung mit bissigem Tonfall. »Diese Geschöpfe haben sich also zusammengetan, um mit vereinten und koordinierten Bemühungen einen Tresor zu knacken und sich an positronischen Bauteilen zu bereichern. Und wer übernimmt die Rolle des Hehlers? Kängurus?«

Jetzt hielt Avida Hurryn anscheinend den Zeitpunkt für gekommen, in die Besprechung einzugreifen. Die grauhaarige Frau leitete einen Bereich des Sicherheitsdiensts der Kosmischen Hanse, die Abteilung für Diebstähle, und selbstverständlich wusste Reginald Bull, dass Avida für diesen Job bestens geeignet war.

»Wir würden deine Ruhe nicht unterbrechen, Sprecher«, sagte sie gelassen, und ihre rauchige Stimme hatte einen Tonfall, dessen Spott noch ein wenig deutlicher klang als der von Reginald Bull, »wenn es sich nur um diesen höchst kuriosen Einzelfall handeln würde. Du kannst jetzt gehen, Rufer Green, wir brauchen dich nicht mehr. Ich danke dir für die Besonnenheit und diese Aufnahmen, das alles hat uns weitergeholfen.«

Sie wartete, bis der Mann von Balamat den Raum verlassen hatte; Green guckte ein wenig missmutig, wagte aber nicht zu widersprechen.

Der Hanse-Sprecher deutete auf den Monitor. Inzwischen war das Bild angehalten worden, und Bull konnte genau in die suppentassengroßen Augen einer Gheershon-Schabe blicken. Es war kein erfreulicher Anblick; er verschaffte Bull ein gelindes Frösteln.

»Das ist also kein Einzelfall?«, fragte er.

»Nein«, antwortete Avida Hurryn; sie war einen Kopf kleiner als Reginald Bull, ihre Haare waren weiß, und sie bewegte sich langsam und anscheinend unter Schmerzen. Ihrer Intelligenz und Willenskraft tat das allerdings keinen Abbruch. »Kein Einzelfall.«

»Sondern?«

Avida zögerte. Sie gab der Servoautomatik des Raumes einen kurzen Befehl. Der Projektor setzte sich in Tätigkeit, neue Hologramme flammten auf.

»Duvalls Stern«, sagte sie. Als Hologramm tauchte eine Lagerhalle auf, die sichtlich geplündert war; weitere Aufnahmen kamen in kurzen Abständen. »Irriyarun II, Kortus 11 – die Liste ließe sich beliebig verlängern. In jedem Fall vergleichbare Phänomene.«

»Was heißt vergleichbar?«

»Keine verwertbaren Spuren«, antwortete die Sicherheitschefin. »Das heißt – bis jetzt keine verwertbaren Spuren. Wir haben zwar mancherlei Hinweise gefunden, aber wir wollten sie nicht glauben. Beispielsweise dies: Auf Z'ganak IV wurde neben dem Tatort der Kadaver dieses Primaten gefunden. Ein Affentier von Byrecar, das zu einer Lieferung gehörte, die im gleichen Raum abgestellt worden war. Da dieses Geschöpf nach allem, was wir damals wussten, völlig außerstande war, einen solchen Diebstahl zu planen und abzuwickeln, haben wir den Körper seinerzeit nicht genau untersucht. Leider.«

»Was glaubt ihr, was bei der Untersuchung herausgekommen wäre?«, wollte der Hanse-Sprecher wissen.

Avida zuckte die mageren Schultern. »Das wissen wir nicht«, sagte sie. »Erst die Aufnahmen, die Rufer Green geliefert hat, haben uns das Gemeinsame einer ganzen Reihe von solchen Diebstählen aufgezeigt.«

»Und das wäre?«

»Irgendjemand«, sagte Avida Hurryn leise, »scheint die sehr gefährliche Macht zu besitzen, primitive Geschöpfe jeglicher Art in seinen Bann zu schlagen und in seinem Sinn agieren zu lassen.«

»›Der Mord in der Rue Morgue‹«, murmelte Reginald Bull.

»Bitte?«