Plastikfresser und Turbobäume - Tara Shirvani - E-Book

Plastikfresser und Turbobäume E-Book

Tara Shirvani

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Beschreibung

Bäume, die zehnmal mehr CO2 binden als alle bisher bekannten oder Bakterien, die das im Meer treibende Plastik einfach auffressen: Die Synthetische Biologie bietet erstmals eine realistische Chance, die dringendsten Probleme der Menschheit zu lösen. Spannend und leicht verständlich porträtiert Tara Shirvani diese neue wissenschaftliche Disziplin, die unser aller Leben gerade grundlegend verändert. Mit anschaulichen Beispielen zeigt sie, welchen Nutzen wir alle jetzt schon jetzt daraus ziehen können.

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Tara Shirvani

Plastikfresser und Turbobäume

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 edition a, Wien

www.edition-a.at

Cover: Bastian Welzer

Satz: Anna-Mariya Rakhmankina

Gesetzt in Premiera

Gedruckt in Europa

12345—26252423

ISBN: 978-3-99001-655-8

eISBN: 978-3-99001-656-5

TARA SHIRVANI

PLASTIKFRESSER UND TURBOBÄUME

Wie wir das Klima retten, den Müll aus dem Meer holen und den ganzen Rest auch noch glänzend hinbekommen

Für Negin

Inhalt

Syn… wie? Was dieses Buch will

Das am häufigsten verwendete Material der Welt

Wegwerfmode wird Haute Couture

Turbobäume und die Lösung des CO2-Problems

Plastikfresser und wie wir die Meere wieder sauber bekommen

Fliegen mit gutem Gewissen und was Texas damit zu tun hat

Die Rückkehr der Mammuts und warum niemand mehr hungern muss

Warum jetzt die erste Million die leichteste ist

Grüne neue Welt

Synthetische Biologie bei Ihnen zu Hause

Syn… wie? Was dieses Buch will

»Synthetische Biologie« ist ein relativ neuer Begriff, der auf den ersten Blick abschreckend wirkt. Doch geben Sie dem Ganzen eine kleine Chance. Glauben Sie mir, es lohnt sich!

Sind Sie noch dabei? Wunderbar – dann das Wichtigste zuerst:

Wir können die Entwicklung der Menschheit und der Umwelt bisher in sechs Wellen beschreiben:

1. Wir jagen.

Umwelt ok

2. Wir züchten Rinder.

Umwelt ok

3. Wir produzieren Waren.

Umwelt noch ok

4. Wir entwickeln Plastik.

Umwelt nicht mehr ok

5. Wir entwickeln den Computer.

Umwelt gar nicht mehr ok

6. Wir entschlüsseln die Genetik.

Umwelt am Wendepunkt

Für die siebente Welle gibt es genau zwei Möglichkeiten:

Erste Möglichkeit:

 

7. a) Wir sparen CO2 ein.

Umwelt wird zerstört

Zweite Möglichkeit:

 

7. b) Wir züchten Bakterien.

Umwelt wieder ok

Ich kann den Aufschrei hier förmlich hören: Die Umwelt wird zerstört, wenn wir CO2 einsparen?? Stattdessen sollen wir Bakterien züchten und irgendwelche genmanipulierten Produkte entwickeln?? Ernsthaft?? Geht’s noch?? Jemand zu Hause??

Kurz zur Erklärung: Gemeint ist mit »Wir versuchen CO2 einzusparen« und »Umwelt wird zerstört« natürlich nicht, dass es schlecht ist, CO2 einzusparen. Im Gegenteil: Es ist das Gebot der Stunde. Aber: Wenn wir weiterhin unsere grundsätzliche Art und Weise zu produzieren beibehalten, unsere Art zu leben und uns zu ernähren, wird es sehr schwierig werden, auch nur Teile der Umwelt zu erhalten. Wir entwickeln E-Autos, wir recyclen Plastikflaschen (allerdings nur zehn Prozent und maximal dreimal, dann bleibt der Müll erst recht wieder übrig), wir versuchen alles Mögliche, aber – und wenn Sie ganz ehrlich zu sich selbst sind, haben Sie dieses Gefühl schon lange – das geht sich alles bei weitem nicht aus. Hinzu kommt, dass Verzicht in der Geschichte der Menschheit nie funktioniert hat. Menschen sind bis zu einem gewissen Grad egoistisch und mit welchem Argument soll allen Menschen dieses Planeten das Recht auf angenehmes Wohnen, gesundes Essen oder einen Kühlschrank verwehrt werden? Es werden sicher fünf Milliarden Menschen sagen, wir verstehen, dass ihr Amerikaner und Europäer Autos fährt, schicke Häuser bewohnt und nach der Sauna das Bier aus dem Kühlschrank nehmt. Wir hätten das zwar auch gern, aber schon klar, wegen dem Klima geht das jetzt nicht mehr, also verzichten wir – Hand drauf! Hinzu kommt, dass wir bis 2070 immer mehr werden, am Ende zehn Milliarden, dann geht’s wahrscheinlich erst wieder runter mit den Bevölkerungszahlen. Sehen wir also endlich den Tatsachen ins Auge und verabschieden wir uns von dieser Vogel-Strauß-Politik, die derzeit so beliebt ist.

Kurz und bündig auf einen Nenner gebracht:

Mit allen herkömmlichen Bemühungen, CO2 einzusparen, wird es uns nicht gelingen, den Klimawandel zu stoppen, die Zerstörung aller – ja, aller – Ökosysteme aufzuhalten, Pandemien einzudämmen und verheerende Kriege und Flüchtlingsströme entstehen zu lassen und letztlich werden wir uns selbst als Spezies Mensch auszulöschen.

Das sollte uns endlich einmal klar werden. Wir werden das Ganze mit Vollgas an die Wand fahren, wenn wir so weitermachen, E-Auto hin, Flugverzicht her. Warum? Ganz einfach: All unsere bisherigen Bemühungen bekämpfen nur Symptome, nicht aber die Ursache des ganzen Dilemmas.

Also alles verloren? Sollten die, denen es gut geht, noch etwas Party machen, bevor das Ganze den Bach runter geht? Und für alle anderen gilt eben: Pech gehabt?

Nicht unbedingt.

Gibt es noch eine Möglichkeit, diese Zukunft, die insbesondere für unsere Kinder alles andere als lustig aussieht, etwas schöner zu gestalten?

Ja, die gibt es.

Es gibt sie deshalb, da momentan verschiedene Entwicklungen gleichzeitig zusammenlaufen: Die Rechenleistung der Computer wächst immer schneller, das ist zum Teil beängstigend, vor allem aber auch sehr gut, denn wir können dadurch immer schneller verstehen, wie alles auf der Erde zusammenhängt und aufgebaut ist. Zweitens haben sich die Kosten dramatisch reduziert, um das Funktionieren der Genetik zu verstehen, das heißt die Bestandteile von einfachen Organismen wie Bakterien zu zerlegen und neu zusammenzusetzen. Dadurch können wir die Art und Weise, wie wir künftig Waren herstellen, auf völlig neue Beine stellen.

Wenn wir uns die einfachste Form eines Organismus als Fabrik vorstellen, die einen bestimmten Stoff produziert, dann können wir jetzt diese Fabrik so verändern, dass sie jeden Stoff herstellt, den wir wollen. Diese Arbeitsweise, bei der wir die Bestandteile der Fabrik auseinandernehmen und wieder neu zusammensetzen, nennt man »Synthetische Biologie« oder abgekürzt »Synbio«.

Jetzt kurz zur Ursache des Dilemmas, in dem wir uns befinden: Wir haben ein Problem mit CO2 in der Atmosphäre, da wir bisher so viel Öl und andere fossile Brennstoffe verbrannt haben. Dadurch wird es auf der Erde immer wärmer und es gibt immer weniger Platz zum Leben. Gleichzeitig werden wir aber immer mehr und brauchen daher nicht weniger, sondern mehr Platz zum Leben und natürlich auch mehr Nahrung.

Um die Ursache des Problems anzugehen, müssen wir eine Methode finden, wie wir kein CO2 mehr produzieren, den bisher produzierten Dreck beseitigen, neue Formen finden, wie wir unbewohntes Land wieder bewohnbar machen können und die Erträge unserer Landwirtschaft deutlich steigern.

Ist das möglich?

Ja, ist es.

Wir ersetzen industrielle, »schmutzige«, Fabriken und Reaktoren durch biologische, »saubere«, Fabriken und Reaktoren.

Der entscheidende Punkt dabei: Mit neu zusammengesetzten Organismen benötigen wir keine Verbrennung mehr. Mit anderen Worten: Nachdem wir 200 Jahre lang alles verheizt haben, was uns in die Finger gekommen ist, produzieren wir künftig bei Raumtemperatur. Ein Streichholz zünden wir dann nur mehr für ein Kerzenlicht-Dinner an.

Und das CO2, das bereits in der Atmosphäre ist? Das Plastik in den Weltmeeren? Die schmelzenden Polkappen? Bekommen wir auch hin.

Wir entwickeln dazu andere Bakterien und Enzyme, die den Müll entfernen und die Ökosysteme wieder herstellen. Nach der Zeit des Öls und der Zeit des Computers ist die Zeit der Biologie angebrochen. Zumindest wenn wir das wollen. Es liegt an uns.

Wir können die Art und Weise, wie wir produzieren, wie wir uns ernähren und wie wir leben, auf völlig neue Beine stellen, ohne auf etwas verzichten zu müssen. Und zwar wir alle. Nicht nur ein paar Auserwählte. Wir können unsere Wälder, Meere, Polkappen, Tiere und Pflanzen erhalten und wieder mit der Natur im Einklang leben. Wir können das Ruder noch herumreißen. Aber wir müssen es wollen.

Dieses Buch will Ihnen zeigen, wie weit die Synthetische Biologie schon in einigen Bereichen ist und in naher Zukunft wahrscheinlich sein wird. Am Schluss des Buches werden einige Branchen erwähnt, in denen sich der Produktionsprozess aller Voraussicht nach am schnellsten und drastischsten verändert. Wer hier bereits heute den richtigen Unternehmen vertraut, muss sich eigentlich nur mehr zurücklehnen und warten. Neben einigen Interviews mit führenden Experten auf ihrem Gebiet steht am Ende jedes Kapitels noch eine kurze persönliche Episode – wenn Sie die kleinen Einblicke langweilen sollten, überspringen Sie diese einfach.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!

Tara Shirvani

Das am häufigsten verwendete Material der Welt

»We Built This City«

Starship

Kein Material wird öfter von Menschen hergestellt als Beton. Der Grund ist einfach: Es gibt nur wenige Materialien, die so vielseitig, belastbar und kostengünstig wie diese Mischung aus Zement, Wasser und Sand sind. Die hohe thermische Masse und geringe Luftinfiltration von Beton tragen dazu bei, den Energiebedarf für das Heizen und Kühlen von Gebäuden zu senken. Leider gibt es aber auch einen unschönen Nebeneffekt: Die Herstellung von Beton verursacht enorme CO2-Emissionen. Wirft man nun einen Blick in die Natur, stellt man fest, dass sie ebenfalls mit Beton baut. Allerdings mit einer Methode, bei der die Umwelt nicht verschmutzt wird. Warum können wir uns also nicht einfach von den natürlichen Ökosystemen der Erde inspirieren lassen? Wenn die Natur Zement ohne CO2 herstellen kann, warum können wir das dann nicht auch?

Derzeit produzieren wir jedes Jahr 4,4 Milliarden Tonnen Beton und es wird erwartet, dass diese Zahl bis 2050 auf über 5,5 Milliarden Tonnen ansteigt, da die Städte in den ärmeren Ländern rasch wachsen. Dies entspricht einem Anteil von acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Das ist gigantisch! Diese Zahl, die 2,8 Milliarden Tonnen CO2 entspricht, ist so groß, dass die Industrie, wäre sie ein Land, nach China und den Vereinigten Staaten der drittgrößte CO2-Emittent der Welt wäre. Zudem verbraucht diese Industrie auch enorme Mengen an Wasser und produziert während des Herstellungsprozesses ein schlammiges industrielles Abfallprodukt ohne großen zusätzlichen Nutzen.

Der Zement der Muscheln

Vergleichen wir die CO2-Emissionen der traditionellen Methode der Zementherstellung mit einer Krankheit, dann sollten wir uns darauf konzentrieren, die Ursache der Krankheit zu behandeln – und nicht nur die Symptome. Das heißt anstatt die traditionelle Methode der Zementherstellung mühsam und mit hohen Kosten zu verbessern, sollten wir versuchen, Zement anders und ohne CO2-Emissionen herzustellen.

Bevor Sie sich jetzt kopfschüttelnd abwenden: In den USA gibt es bereits das erste Unternehmen, das mithilfe von Bakterien grünen, nachhaltigen Biozement bei Raumtemperaturen ohne CO2-Emissionen herstellt. Das Unternehmen vertraut hierbei auf Bakterien, die bereits seit Urzeiten Zement herstellen. Denken Sie nur an Muscheln – die schützende äußere Schicht besteht aus Kalziumkarbonat, dem harten Stoff, der in Kalkstein vorkommt. Hartkorallen, unsere Zähne und Knochen, Kalksteinhöhlen – sie alle bestehen im Wesentlichen aus demselben Material. Durch die Synthetische Biologie sind wir nun erstmals in der Lage, auf biologische Weise Kalziumkarbonat und Bio-Zementsteine herzustellen. Der Prozess ist recht einfach: In der Natur gibt es Mikroorganismen wie Bakterien und Algen, die sich aus organischen Abfällen bilden. Allerdings herrschen in der Natur nur alle paar Jahrhunderte die richtigen Bedingungen für diesen Vorgang. Das heißt der Prozess der Kristallbildung durch Bakterien ist sehr langsam. Die richtigen Bedingungen können sich über Hunderte oder Tausende von Jahren hinziehen. Dank entscheidender Fortschritte in der Synthetischen Biologie können wir diese Bakterien nun dazu bringen, innerhalb von zwei bis drei Tagen Zement herzustellen. Ein Prozess, der in der Natur Tausende von Jahren dauern würde, dauert jetzt nur mehr wenige Tage.

Von 2.700 Grad auf 27 Grad

Und was noch besser ist: Der gesamte Prozess findet bei Raumtemperatur statt, ohne dass fossile Brennstoffe verbrannt werden müssen. Die hungrigen Bakterien umgehen nicht nur den hohen Wärmebedarf herkömmlicher Zementöfen, sie absorbieren auch CO2 aus der Atmosphäre, um Kalziumkarbonat herzustellen. Da kein Brennofen erforderlich ist, verbraucht Biozement viel weniger Energie und stößt daher auch viel weniger CO2 in die Atmosphäre aus.

Der Brennofen, in dem Temperaturen von 2.700 Grad Celsius herrschen, wird vollständig durch einen Bioreaktor ersetzt, der mit Raumtemperatur, beispielsweise 27 Grad Celsius, arbeitet. Diese Methode ahmt die Verwendung von Kohlenstoff als Baustein in der Natur nach und stellt Zement in einem biologischen Kreislaufsystem her. Der Bioreaktor kostet auch wesentlich weniger als herkömmliche Öfen und senkt die Investitionskosten, da er weniger mechanische Ausrüstung benötigt.

Da sie die Umwelt nicht verschmutzen, können die Anlagen auch näher an den Städten liegen, näher an den Orten, an denen das Material benötigt wird, und es werden Transportemissionen und -kosten eingespart. Dies führt zu enormen Kosteneinsparungen in einer Branche, in der die Gewinnspannen in der Regel hauchdünn sind. Wir können also erstmals Kohlenstoff so bauen, wie es die Natur vormacht, und Biologie mit Technologie verbinden, um eine neue Ära des Bauens einzuläuten.

Biozement stößt nicht nur 95 Prozent weniger CO2 aus als herkömmlicher Zement, sondern ist auch dreimal stärker und zwanzig Prozent leichter. Das sind enorme Verbesserungen. Er übertrifft die physikalischen Eigenschaften von Standardbaustoffen in Bezug auf Druckfestigkeit, Absorption, Frost-Tau-Beständigkeit, Haftung und Maßtoleranz und hat gleichzeitig einen praktisch vernachlässigbaren CO2-Fußabdruck.

Diese Bio-Bausteine sind keine theoretischen Konzepte, sondern bereits Realität, und werden für den Einsatz in Innen- und Außenfassaden, Innenwänden und Möbeln sowie Fußböden von Geschäfts- und Wohngebäuden verwendet. Der Siegeszug des Biobetons hat also bereits begonnen. Das Verfahren kann auf bestehende Betonproduktionsanlagen zurückgreifen und ist daher relativ kostengünstig skalierbar. Handelsriesen wie H&M verwenden bereits weltweit Biobeton als Teil ihrer Fußböden.

Ein Ziegel baut sich selbst

Sie haben vielleicht ein intelligentes Haus, ein Smart House, aber ist Ihr Haus auch intelligent genug, um sich selbst zu reparieren? Dank der neuen lebenden Baustoffe könnte das Haus der Zukunft viel intelligenter sein, als Sie denken. Als lebende Baustoffe werden alle Baumaterialien bezeichnet, die die Funktionen und Fähigkeiten eines lebenden Organismus nachahmen.

Diese lebenden Baumaterialien können die Fähigkeit haben, sich selbst zu reproduzieren, ähnlich wie Bakterien, oder sie können in der Lage sein, sich selbst zu heilen, ähnlich wie die Zellen Ihres Körpers nach einer kleinen Verletzung heilen, zum Beispiel bei einem Schnitt oder einer Schürfwunde. Zurzeit werden Baumaterialien mit biologischen Eigenschaften gesucht, die den Nutzen, die Stärke und die Stabilität von Beton mit den heilenden Eigenschaften von Pflanzen und der Fähigkeit zur Eigenreplikation von Strukturen verbinden, so wie etwa bestimmte Korallenkolonien.

Eines der jüngsten und bekanntesten Beispiele für lebende Baumaterialien stammt aus der Forschung der Universität von Colorado Boulder, die einen Weg zur Entwicklung von Baumaterialien mit Bakterien entwickelt hat, die sich nicht nur von selbst vermehren, sondern auch umweltfreundlicher sind als andere verfügbare Materialien. Darüber hinaus können solche Materialien auch dazu beitragen, den Kohlenstoff-Fußabdruck von Gebäuden zu verringern, da sie in der Lage sind, Kohlenstoffdioxid aus der Umgebung aufzunehmen und zu nutzen, um ihre Struktur zu stärken. Ausgangspunkt für die Ziegel ist eine bestimmte Art von Bakterien, die CO2 absorbieren und Kalziumkarbonat absondern. Die Forscher teilten einen Ziegelstein, legten beide Hälften jeweils in eine Gussform für einen Ziegel und gaben etwas Wasser und Sand dazu. Die Ziegelhälften wuchsen wieder zu ganzen Ziegeln. Dann wiederholten die Forscher den Vorgang noch zweimal, so dass insgesamt acht Ziegel aus einem Ziegel entstanden.

Die Forschung steht zwar noch am Anfang, aber die Fähigkeit, ein selbstproduzierendes Baumaterial aus Bakterien und Sand zu züchten, könnte enorme Auswirkungen auf die Transportkosten haben. In Umgebungen, die schwer zugänglich, aber bereits reich an Sand sind, könnte das lebende Material das Transportproblem lösen. In den Trümmern nach einer Katastrophe können lebende Ziegel zum Wiederaufbau von Unterkünften verwendet werden. Gleichzeitig sind einige lebende Baustoffe bereits so konzipiert, dass sie bestehende Materialien verbessern. Dies ist der Fall bei einer neuen Art von selbstheilendem Beton, der an der New Yorker Binghamton University und der Rutgers University entwickelt wurde. Der Beton wird mit Sporen versetzt, und sobald der Beton aushärtet, bleiben die Sporen inaktiv.

Entstehen dann nach Jahren durch die Witterung erste leichte Risse im Beton und es dringen Wasser und Sauerstoff in das Innere ein, dann regt das die Sporen zum Wachstum an. Wenn die Sporen wachsen, versiegeln sie die Risse und gehen wieder in den Ruhezustand über, bis sich das Ganze wiederholt ‒ ein Kreislauf der Selbstreparatur.

Forschungen haben gezeigt, dass selbstheilender Beton die Lebensdauer von Gebäuden um bis zu dreißig Prozent verlängern kann und somit erhebliche Kosteneinsparungen ermöglicht. Ein Beispiel dafür ist der bakterienbasierte Beton, der in den Niederlanden eingesetzt wurde und in der Lage war, nach einem Jahr Risse zu heilen. Darüber hinaus kann der Einsatz von selbstheilendem Beton auch dazu beitragen, die Umweltbelastung zu reduzieren, indem der Bedarf an Neubauten verringert wird.

Lebende Materialien sind relativ neu und müssen sich noch bewähren, aber sie basieren auf etwas sehr, sehr Altem: der Natur selbst. So wie es derzeit aussieht, können sich unsere zukünftigen Häuser wie ein Korallenriff mit der Zeit selbst aufbauen und reparieren.

Wann müssen Käfer eigentlich aufs Klo? … Oder: Mein Weg in die Welt der Synthetischen Biologie

Ich habe nie verstanden, wozu ein Puzzle gut sein soll. Diese Mühe für das Gesicht eines Hundes oder einer Katze. Es ist einfacher, sich gleich das Bild auf der Verpackung anzusehen. An einem Novembertag 1992 spähte ich durch ein kleines Fenster in den dichten Wiener Nebel. Ich war sechs Jahre alt. Fernsehen war für den Tag nicht mehr erlaubt und mein Puzzle hatte um 16 Uhr jeden Reiz verloren. Als typisch gelangweilte Sechsjährige begann ich darüber nachzudenken, was ich in unserer kleinen Wohnung im 20. Bezirk machen konnte.

Da kam mir ein Gedanke: das Büro meines Vaters! Es war der einzige Raum der kleinen Wohnung, den ich nicht betreten durfte. Normalerweise war er verschlossen und der Schlüssel lag auf dem obersten Regal eines weißen Ikea-Havsta-Schranks neben dem Eingang, für den ich zu klein war. Als ich das letzte Mal durch das Schlüsselloch sah, standen dort eine Menge brauner Kartons, von denen einer halb geöffnet war und auf dem stand: »HP3609S Philips Infra Red Infraphil 150w Heat Lamp«. Ich hatte keine Ahnung, wozu wir zu Hause eine Wärmelampe brauchten, ja, ich wusste nicht einmal, was eine Wärmelampe überhaupt war. Ich griff nach der Türklinke und stellte zu meiner großen Überraschung fest, dass die Tür nicht verschlossen war. Ich öffnete sie und sah – sechs Blumentöpfe auf einer Fensterbank. Ansonsten war da noch ein Schreibtisch, penibel aufgeräumt, sowie zwei Mikroskope und allerlei Geräte, die mir nichts sagten. Einige der Pflanzen waren zusätzlich mit einem dünnen blauen Netz verschlossen, das die Blätter und Stängel abdeckte. Das Büro war in Wahrheit ein Wissenschaftler-Labor. Wie cool war das denn?! Ich konnte meine Neugierde kaum zügeln. Die Pflanzen wirkten so harmlos und doch so verlockend in dieser Umgebung. Vielleicht war es auch das gelb-orangefarbene Klebeband, das vor den Töpfen gespannt war, das alles so aufregend machte. Ich rollte den Bürostuhl heran, stellte mich darauf und da war – nichts! Zumindest nichts Besonderes für eine neugierige Sechsjährige, außer einem Haufen winziger Käfer, die an den grünen Blättern der Pflanzen knabberten, und jede Menge schwarzer Punkte auf weißen Pappstücken, die auf den Böden der Töpfe lagen. Als ich eine der Pflanzen anfassen wollte, stürmte mein Vater ins Zimmer und schrie: »Halt, halt, Tara! Weg von den Töpfen! Mein ganzes Leben hängt an dieser Käfer-Schei…e.« Er riss mich vom Stuhl und sah sofort nach seinen Blumentöpfen, als ob sein Leben davon abhinge.

Es hat Jahre gedauert, bis ich die Bedeutung und Wichtigkeit dieser Töpfe begriffen habe und warum alle so besorgt über meinen heimlichen Einbruch in das Büro meines Vaters waren. Was kleine Häufchen schwarzer Fäkalien von Käfern in Wahrheit für Jahre an harter Arbeit, Forschung und Entwicklung bedeuteten. Wie wichtig diese winzigen Stücke Kot waren, die mein Vater für seine Doktorarbeit sammelte, hütete und analysierte. Es fühlte sich absurd an, zu wissen, dass sich etwas so Kleines in etwas so Wichtiges verwandeln konnte. In gewisser Weise hing sein Leben davon ab, zumindest kam es ihm so vor, als eingewanderter Doktorand aus dem Iran, der an der Universität für Bodenkultur in Wien arbeitete und versuchte, eine Doktorarbeit zu schreiben und sich ein neues Leben in einem fremden Land aufzubauen. Er war gleich nach der iranischen Revolution 1979 mit meiner Mutter und nicht mehr als 400 Euro in der Tasche aus dem Iran nach Wien gezogen. Er hatte gerade erst seinen Magisterabschluss im Iran gemacht, aber er war fest entschlossen gewesen, die einzige Chance zu ergreifen, die ihm das Leben bot, um den politischen Unruhen im Iran zu entkommen und in Wien mit einer Doktorarbeit ein neues Kapitel zu beginnen. Zu diesem Zeitpunkt gab es kein Zurück mehr. Er hatte einen Pakt mit den Larven geschlossen und seine Seele an einen Haufen Kot verkauft, der sozusagen auf einen Pappteller am Boden stürzte. Die Schlüsselfrage lautete damals für alle Beteiligten am Institut meines Vaters, ob Insekten dem gleichen Muster wie Pflanzen folgten, vereinfacht gesagt, ob sich Licht- und Dunkelperioden auf den Organismus auswirkten. Sobald es nach dem Winter wieder länger hell wurde, sahen Pflanzen diese längeren Lichtperioden als Signale für den Zeitpunkt ihrer Blüte an. Bei Insekten hingegen wurden die gleichen Annahmen kontrovers diskutiert. Gab es einen wesentlichen Einfluss des Lichts oder der Sonneneinstrahlung auf die körperlichen Reaktionen der Tiere?