9,99 €
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €
Ihre Liebe wird auf eine harte Probe gestellt … Norwegen, 1917. Die junge Tora ist an Bord eines Schiffs, das sie nach Spitzbergen zu ihrem Verlobten Anton bringen soll. Doch die Reise ist lang und beschwerlich, und Tora kommt geschwächt an. Noch weiß sie nicht, wie sie hier zurechtkommen soll – denn von ihrer neuen Freundin Benedikte Havre hat sie erfahren, dass unverheiratete Frauen in der abgeschiedenen Bergarbeiterstadt nicht erlaubt sind. Benediktes Mann Harald, der Tora nur unwillig in seinem Haus aufgenommen hat, besteht darauf, dass sie mit dem letzten Schiff zurück nach Tromsø reist. Aber noch viel schlimmer ist, dass auch Anton ihr nicht zur Seite steht. Was soll nur aus ihrer gemeinsamen Zukunft werden? Unter goldener Mitternachtssonne entscheidet sich zwischen den Gletschern und Fjorden Spitzbergens das Schicksal einer großen Liebe …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 183
Veröffentlichungsjahr: 2025
Über dieses Buch:
Norwegen, 1917. Die junge Tora ist an Bord eines Schiffs, das sie nach Spitzbergen zu ihrem Verlobten Anton bringen soll. Doch die Reise ist lang und beschwerlich, und Tora kommt geschwächt an. Noch weiß sie nicht, wie sie hier zurechtkommen soll – denn von ihrer neuen Freundin Benedikte Havre hat sie erfahren, dass unverheiratete Frauen in der abgeschiedenen Bergarbeiterstadt nicht erlaubt sind. Benediktes Mann Harald, der Tora nur unwillig in seinem Haus aufgenommen hat, besteht darauf, dass sie mit dem letzten Schiff zurück nach Tromsø reist. Aber noch viel schlimmer ist, dass auch Anton ihr nicht zur Seite steht. Was soll nur aus ihrer gemeinsamen Zukunft werden?
Über die Autorin:
Ellinor Rafaelsen ist eine norwegische Autorin und Journalistin, die 1945 geboren wurde. In ihrer über drei Jahrzehnte währenden schriftstellerischen Laufbahn hat sich Rafaelsen als renommierte Autorin historischer Romane und Liebesromane etabliert. Inspiriert von ihren Reisen und ihrem siebenjährigen Aufenthalt in Spitzbergen hat Rafaelsen über 100 Bücher geschrieben, die die Leser mit lebendigen Beschreibungen und fesselnden Handlungssträngen in ihren Bann ziehen.
Ellinor Rafaelsen veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre »Polarnächte«-Reihe mit den Bänden »Das Lied des Schicksals«, »Das letzte Schiff«, »Ein Leben voller Neuanfänge«, »Eine neue Hoffnung« und »Herzen in Aufruhr«.
***
Erstausgabe Januar 2025
Die norwegische Originalausgabe erschien erstmals 2009 unter dem Originaltitel »Siste båt« bei Cappelen Damm, Oslo.
Copyright © der norwegischen Originalausgabe 2009 Cappelen Damm
Copyright © der deutschen eBook-Erstausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Übersetzt von Inge Wehrmann
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung eines Motives von Adrian Grosu / Adobe Stock sowie mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)
ISBN 978-3-98952-594-8
***
dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!
***
Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags
***
Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)
***
Besuchen Sie uns im Internet:
www.dotbooks.de
www.facebook.com/dotbooks
www.instagram.com/dotbooks
blog.dotbooks.de/
Ellinor Rafaelsen
Polarnächte – Das letzte Schiff
Roman – Band 2
Aus dem Norwegischen von Inge Wehrmann
dotbooks.
Tora Lyngvik – junges Mädchen aus Tromsø
Anton Knutsen – Toras Verlobter
Harald Havre – Bergbauingenieur
Benedikte Havre – Haralds Ehefrau
An Bord der »Isfjord«, Anfang September 1918
Der Schoner mit den Passagieren, die nach Spitzbergen reisen wollten, war kaum losgefahren, da wünschte Tora sich bereits, die Isfjord wäre ein größeres, stabileres Schiff. Der weiß gestrichene Dreimaster hatte kaum mehr als hundert Tonnen und kämpfte sich durch die Wellen, die mit jeder Seemeile, die sie sich von der blau schimmernden Küste entfernten, höher wurden.
An der Spitze des mittleren Mastes befand sich die Eistonne, von der Mannschaft als Krähennest bezeichnet. Von dort oben hatten die Unerschrockenen, die sich beim wüsten Geschaukel des Schoners hinauftrauten, einen guten Blick in alle Richtungen, um nach Eis Ausschau zu halten, das auf der Fahrt Richtung Norden ein Hindernis sein konnte.
Hätte sich Tora vor Antritt der Reise Zeit zum Nachdenken genommen, hätte sie die Isfjord vielleicht genauer inspiziert und festgestellt, dass der Schoner zu klein war, um ihr Sicherheitsbedürfnis zu erfüllen. Doch sie hatte sich schleunigst davonmachen müssen. Sie musste so schnell wie möglich weg von zu Hause, jetzt, wo ihr Vater sie fortschicken wollte. Vier Tage und Nächte würde sie es schon aushalten auf dem weiß gestrichenen Kahn. Länger würde die Überfahrt ja wohl nicht dauern.
Auf dieser Tour waren nur wenige Passagiere an Bord. Die meisten, die auf Spitzbergen überwintern wollten, waren längst abgereist. Die Pelztierjäger steuerten bereits ihre Jagdhütten an, und außerhalb der Sommermonate trauten sich nur vereinzelte hartgesottene Touristen in das arktische Gebiet.
Nachdem sie an Bord gegangen war, wandte sich Tora sofort an den Kapitän. Sie hatte befürchtet, ihre Ersparnisse könnten nicht reichen und atmete erleichtert auf, als sie für die Überfahrt nur hundertachtzig Kronen bezahlen musste und noch etwas Geld übrig behielt.
Der Kapitän teilte ihr mit, Matrose Evensen, der bärtige Seebär, mit dem sie zuvor schon gesprochen hatte, werde ihr einen Platz an Bord zuweisen. Evensen führte sie eine steile fünfstufige Treppe hinunter in einen beengten Salon mit einer Tür, hinter der sich ein schmaler Gang erstreckte. Auf beiden Seiten waren vier kleine Kabinen, die nur durch einen Vorhang vom Gang abgeteilt wurden. Hinter den Vorhängen befanden sich eingebaute Kojen, die wie Kommodenschubladen wirkten. Ein winziges Bullauge am Schott ließ ein wenig Licht herein und bot Aussicht auf die See, die an der Längsseite des Schiffes entlangströmte. Das Bullaugenglas war durch das Meerwasser jedoch so stark mit Salz verkrustet, dass man kaum hindurchsehen konnte.
Die Koje, die Tora zugeteilt wurde, lag anderthalb Meter über dem Boden. Es gab kein Bettgitter und sie konnte nur hoffen, dass sie nicht im Schlaf herausfallen würde.
Die Luft unter Deck war stickig und roch nach einem ekelerregenden Gemisch aus Tabak, Öl, Teer und Schimmel, als wäre seit dem Bau des Schiffes kein einziges Mal sauber gemacht worden. Wer sich in seine Kabine zurückziehen wollte, so dachte Tora, musste in seine Koje kriechen und dort bis zur Ankunft in Spitzbergen liegen bleiben, denn in dem schmalen Gang zwischen den Kojen konnte man sich kaum bewegen, geschweige denn umdrehen.
Deshalb ging sie zurück in den Salon, wo die anderen Passagiere saßen: ein Trondheimer, der nach Longyear City wollte, um am Bau einer Rohrleitungsgasse mitzuarbeiten, die die Stadt mit Wasser versorgen sollte; ein Schmied und ein Steiger. So nannte man die Vorarbeiter im Bergwerk, wie Tora später erfuhr. Mit Erleichterung sah sie, dass unter all den Männern auch eine Frau war, eine junge Frau – nur ein paar Jahre älter als sie selbst. Auch wenn die Reise deshalb nicht sicherer oder bequemer wurde, tat es doch gut zu wissen, dass sie nicht das einzige weibliche Wesen an Bord war. Sie befürchtete zwar keine Probleme mit den männlichen Passagieren und Besatzungsmitgliedern, aber es konnte nicht schaden, eine Art Verbündete zu haben.
Tora hielt es jedoch nicht lange genug unter Deck aus, um die andere Frau zu begrüßen. Wegen der schlechten Luft im Salon und ihrer Schwangerschaft wurde ihr so übel, dass sie schnell ihren Mantel holte, um nach draußen zu flüchten.
Das Schiff schaukelte bedrohlich, aber Tora schleppte sich auf das hintere Deck und klammerte sich am Schott und an anderen robusten Gegenständen fest. Die Reling war so niedrig, dass sie sich fragte, wieso man überhaupt eine angebracht hatte. Ab und an schwappte eine Welle darüber hinweg, strömte über das schräg liegende Deck und dann durch eine Öffnung unter der Reling wieder zurück ins Meer. Auf den Wellenkämmen waren Schaumkronen zu sehen. Der kalte Wind zerrte an Toras Kleidern, riss an ihrem Schal und ließ die Mantelschöße um ihre Beine flattern. Nach kurzer Zeit fror sie ganz erbärmlich, scheute jedoch davor zurück, wieder unter Deck zu gehen. Den frischen Wind im Gesicht, den Blick auf die nach und nach verschwindende Küste gerichtet, war die Übelkeit etwas erträglicher als im Salon.
»Ist es Ihnen nicht zu kalt hier oben? Sie sind so leicht gekleidet.«
Eine tiefe, angenehme Frauenstimme mit kehligem Bergener Akzent unterbrach Toras Gedankengänge – Gedanken an Anton und das ungeborene Kind, das unter ihrem Herzen heranwuchs.
Tora drehte sich langsam zur Seite und sah, dass die weibliche Mitreisende sich neben ihr in den Wind gestellt hatte.
»Ich hasse die Kälte, deshalb kann ich es hier draußen nicht lange aushalten«, fuhr die Frau fort und schlug den Kragen ihres langen, dicken Pelzmantels hoch, um ihr Gesicht vor dem eisigen Wind zu schützen.
»Wenn Sie die Kälte hassen, warum fahren Sie dann ausgerechnet nach Spitzbergen?«, fragte Tora und lächelte.
Was sie von der Bergenserin sah, gefiel ihr gut. Zwei freundlich dreinblickende braune Augen lugten unter der Pelzmütze hervor und betrachteten sie mit unverhohlener Neugierde, und zwischen den fein geschwungenen Lippen blitzten ebenmäßige weiße Zähne auf. Sie lächelte und streckte Tora ihre in hübsch gemusterten Strickhandschuhen steckende Hand entgegen.
»Ich heiße Benedikte Havre und komme aus Bergen«, stellte sie sich vor.
»Tora Lyngvik«, erwiderte Tora und zog ihre Fäustlinge aus, um ihrer neuen Bekannten anständig die Hand schütteln zu können. »Aus Tromsø.«
»Wollen Sie auch zu Ihrem Mann?«, fragte Benedikte Havre und zog fröstelnd die Schultern hoch.
»Ich … ja«, murmelte Tora unsicher. »Ich … wir sind bis jetzt nur verlobt, Anton und ich.«
»Ach so. Habt ihr denn eine Unterkunft, damit ihr zusammenwohnen könnt?«
»Nein …«
»Was für eine Anstellung hat denn Ihr Verlobter?«
»Er ist Grubenarbeiter.«
»Hmm.« Benedikte zuckte mit den Achseln. »Ich dachte, den Arbeitern sei nicht gestattet, ihre Verlobten oder Ehefrauen nachkommen zu lassen. Da habe ich mich wohl geirrt.«
»Und Ihr Mann, was hat er für eine Arbeit?«, fragte Tora und nahm Pelzmantel und -mütze der Bergenserin in Augenschein. Ihre Kleidung, der lange, dicke Wollrock, der sie bis zu den Fußknöcheln warmhielt, und die dicken, pelzgefütterten Stiefel waren ein deutlicher Hinweis, dass sie keine Arbeiterfrau war. Dies war eine Frau aus der Oberklasse.
»Mein Mann ist Bergbauingenieur«, erklärte Benedikte.
Tora glaubte, nach der Antwort einen winzig kleinen Seufzer gehört zu haben, aber sie war sich nicht sicher.
»Dann werden Sie also …«
»Lass uns du sagen, schließlich werden wir tagelang die Kabine teilen und dort oben vielleicht Nachbarn sein«, unterbrach Benedikte sie.
»Ja, natürlich. Willst du deinen Mann besuchen?«
»Besuchen? Nein, ich werde zu ihm ziehen. Ich werde dort mit ihm zusammenwohnen, bis er sich entschließt, in die Zivilisation zurückzukehren«, entgegnete Benedikte und nun war der Seufzer ganz deutlich zu hören. Die junge Bergenserin schien sich nicht sonderlich auf das Leben in der eisigen Polarregion zu freuen.
»Bist du schon einmal dort gewesen?«, fragte Tora.
»Nein. Und du?«
»Nein.«
»Aber du kommst aus Tromsø und bist Kälte und Dunkelheit gewohnt. Für mich ist das etwas anderes.«
»Ich weiß nicht. Auf Spitzbergen ist es im Winter sicher noch viel kälter und dunkler.«
»Meinst du? Ich dachte, es wäre genauso dunkel wie in Nordnorwegen.«
»Nein …«
»Aber ihr habt in Tromsø doch auch Mitternachtssonne?«
»Ja.«
»Darauf freue ich mich«, sagte Benedikte und lächelte verträumt. »Ich habe gehört, die Mitternachtssonne sei sehr schön. Genau wie die Nordlichter. Aber alles andere …« Sie schüttelte sich. »Ich verstehe eigentlich gar nicht, warum ich dorthin fahre, aber … was tut man nicht alles aus Liebe?« Sie lächelte. »Ja, du weißt, wovon ich rede. Ich gehe davon aus, dass du auch wegen deines Verlobten nach Norden reist!«
»Ja …« Tora dachte an das Kind, das in ihrem Bauch heranwuchs. Das war ihr Geheimnis, das brauchte sie weder Benedikte noch sonst irgendwem zu verraten. Nicht bevor man etwas sehen konnte. Und dann würden sie und Anton verheiratet sein, wenn sich ein Pfarrer fand, der sie trauen konnte. Dann würde es wohl keine Schande mehr sein.
»Es freut mich sehr, dass wir uns kennengelernt haben.« Benedikte schenkte Tora ein warmherziges Lächeln, das Tora guttat. Auch wenn sie mit der Frau nur ein kurzes Gespräch geführt hatte, fühlte sie sich schon nicht mehr so schrecklich allein.
»Ich glaube, dass man dort oben keine große Auswahl an Freundinnen hat«, fuhr Benedikte Havre fort und trat ein paar Schritte zurück, als die schäumende Gischt über die niedrige Reling gefegt wurde. »Ich hoffe, wir können uns zusammentun und irgendetwas Weibliches unternehmen«, erklärte sie lächelnd.
»Ja.« Tora erwiderte ihr Lächeln. »Ich würde mich freuen, da oben eine Freundin zu haben.«
Die beiden Frauen tauschten einen langen, vertrauensvollen Blick, als spürten sie, dass ein Freundschaftsband zwischen ihnen geknüpft wurde, mitten im eisigen Wind aus dem Land im hohen Norden, wo sie beide all die Wärme und Nähe brauchen würden, die eine gute Freundschaft schenken konnte.
»Ich glaube, ich gehe wieder unter Deck«, sagte Benedikte schließlich zitternd vor Kälte. »Ich hasse es zu frieren, wie gesagt. Und hier ist es einfach zu kalt für mich.«
Tora lächelte nur.
»Und was ist mit dir? Frierst du nicht?«, fragte Benedikte und steuerte die steile Treppe an, die hinunter in den Salon führte.
»Ja, schon.«
»Dann komm doch mit.«
»Ja …«, sagte Tora zitternd vor Kälte. »Ich komme gleich nach.«
Nachdem Benedikte gegangen war, blieb sie noch ein Weilchen stehen. Der Wind fraß sich durch ihren Wollmantel, der zu Hause in Tromsø warm genug war, wenn sie darunter eine dicke Strickjacke trug. Hier draußen auf dem offenen Meer, wo zwischen den blaugrauen Wellen schon hie und da ein wenig Treibeis herumschwamm, nutzte der dünne Mantel kaum mehr als eine Baumwollbluse. Der Wind fegte durch ihre Kleider und sie spannte sämtliche Muskeln in ihrem Körper an, damit die Kälte ihr nicht durch Mark und Bein fuhr. Doch dadurch fror sie nur noch mehr.
Ich habe viel zu dünne Sachen eingepackt, dachte sie missmutig. Und viel zu wenige. Ich habe nicht überlegt, in welche Himmelsrichtung ich fahre. Doch selbst wenn sie vor dem Packen nachgedacht hätte, wäre nicht viel mehr in ihrem Koffer gewesen. Ihr Schrank bot wenig Auswahl. Polartaugliche Kleidung hatte sie noch nie besessen, abgesehen von einer mit bunten Bändern und Litzen verzierten Mütze aus Rentierfell, die ihre Mutter bei einer samischen Händlerin für sie gekauft hatte. Ihr war nie in den Sinn gekommen, sich Sachen zuzulegen, die mehr Kälte abhielten, als es in Tromsø vonnöten war. Schließlich hatte sie auch nie geplant, unter die Polarfahrer zu gehen, dachte sie selbstironisch.
Es graute ihr davor, wieder unter Deck und in den stickigen, übelriechenden Salon zurückzukehren, aber die Kälte zwang sie schließlich, sich aufzuwärmen. Durch die dicken selbst gestrickten Socken saßen ihre Stiefel so eng, dass ihre Zehen ganz taub geworden waren, weshalb sie auf der Treppe zum Salon fast ins Stolpern geriet.
»Komm, setz dich zu mir.« Benedikte hatte sich den Pelzmantel um die Schultern gehängt und hielt Strickzeug in der Hand. Nun rückte sie zur Seite, um für Tora Platz auf der harten Bank zu machen. Geheizt wurde mit einem niedrigen schwarzen Ofen, der in der rechten Ecke des Salons stand. Hinter der Ofentür glühten Kohlen, die Evensen in regelmäßigen Abständen nachlegte, damit die Glut nicht erlosch.
Nur drei der männlichen Passagiere waren zu sehen. Tora wusste nicht, warum, aber sie glaubte, im Blick der Männer eine kaum verhohlene Missbilligung zu erkennen, als dächten sie, Frauen hätten hier nichts zu suchen, weder an Bord noch am Ziel der Reise.
Nachdem sie neben Benedikte Platz genommen hatte, brachte Tora das abweisende Verhalten der Männer zur Sprache. »Ich glaube, ich weiß, warum sie so grimmig sind«, flüsterte Benedikte ein wenig belustigt.
»Ja? Und wieso?«
»Sie wollen da oben keine Frauen haben.«
»Und warum nicht?«
»Weil das ihren unerschrockenen, hartgesottenen Heldenmut schmälern würde, mit dem sie bei ihrer Heimkehr prahlen wollen. Ihre Großtaten wären nur halb so viel wert, wenn sich herausstellt, dass wir als Frauen die Strapazen genauso unversehrt und furchtlos überstehen können wie sie.«
»Ja, vielleicht.« Tora versuchte zu lächeln, doch es wurde nur eine schiefe Grimasse, teils weil sie immer noch vor Kälte zitterte, teils weil sie ein vages Angstgefühl überkam, als Benedikte erklärte, wieso Frauen auf Spitzbergen unerwünscht waren. Unerschrocken und hartgesotten … war sie das? War sie genauso stark und hart im Nehmen wie diese Kerle mit ihren verfilzten Wolfspelzmützen, schweren Lederstiefeln, Fellhosen, dicken Wollpullovern und dieser taffen Selbstsicherheit, die sich in ihren wettergegerbten Gesichtern spiegelte? War sie genauso furchtlos und unerschrocken wie sie?
Wenn nicht, dachte sie und nahm unwillkürlich die Schultern zurück, wenn nicht, dann muss ich es werden! So strapaziös und schwierig konnte das Leben da oben schließlich auch nicht sein, dass es als Heldentat galt, ein Jahr lang dort zu leben. Longyear City, das war ja wohl eine städtische Gemeinde, wie sie es verstanden hatte. Eine Grubenstadt. Man wohnte dort weder in Zelten noch in Iglus, sondern in anständigen Behausungen und mit Leuten in der Nachbarschaft. Und nach Antons Briefen gab es sowohl einen Laden als auch ein Kino und eine Arbeiterkantine, wo Tanzfeste stattfanden. Doch Benedikte kam ja aus Bergen. Sie kannte sicher keine Grubenarbeiter oder andere, die auf Spitzbergen gewesen waren, weshalb sie sicher noch weniger über das Leben in Longyear City wusste als Tora.
»Vielleicht sind sie ja nur sauer auf uns, weil es Unglück bringen soll, wenn Frauen an Bord sind«, mutmaßte Tora lächelnd.
»Stimmt das?«, fragte Benedikte erschrocken.
»Die Fischer behaupten das. Mit einer Frau im Boot, gibt’s angeblich einen schlechten Fang.« Tora schüttelte den Kopf. »Manche glauben sogar, dass ein schreckliches Unglück geschieht, wenn man gegen diese Regel verstößt.«
»Das gilt sicher nur für Fischkutter«, murmelte Benedikte kleinlaut.
»Sieh an! Die Damen sind auf großer Fahrt?« Einer der männlichen Passagiere, ein junger Schreiner aus Bodø, trat durch die niedrige Tür, die vom Salon zu den Kabinen führte. Die Bezeichnung Kabinen war jedoch der reinste Witz. Schlafalkoven war wohl das treffendere Wort. Die drei anderen Männer bedachten ihren Geschlechtsgenossen mit einem strafenden Blick, da er sich dazu herabließ, mit den Frauensleuten zu reden.
Tora und Benedikte nickten ihm zu und schenkten ihm ein kurzes, vorsichtiges Lächeln.
»Ihr habt Glück auf dieser Reise.«
»Warum?«, fragte Tora.
»Seit wir in Tromsø abgelegt haben, hatten wir Glück mit dem Wetter«, antwortete der Mann. »Auf meiner letzten Fahrt …«
Es folgte die langatmige Beschreibung seiner mehrere Jahre zurückliegenden Spitzbergen-Reise, auf der sie wegen des schlechten Wetters zur Umkehr gezwungen waren. Tora dachte daran, was Anton über seine Fahrt geschrieben hatte, als sie die letzten Meilen bis Longyear City mit Pferd und Schlitten auf dem zugefrorenen Fjord hatten zurücklegen müssen. Sie hoffte inständig, dass das Wetter sich halten würde. Sie hatte weder die richtige Kleidung noch die Kraft, meilenweit auf einem offenen Schlitten übers Eis kutschiert zu werden.
Der Schreiner erzählte gern. Er sprach ohne Punkt und Komma, bis Tora und Benedikte es satthatten, seiner leicht lispelnden, monotonen Stimme zu lauschen, und sich in ihre Kabinen zurückzogen. Dort war es eng und nicht geheizt, am besten, man kroch gleich unter die braunen Wolldecken und versuchte, sich, so gut es ging, warm zu halten. Bis auf den Mantel behielt Tora sämtliche Kleider an. Trotz der Wolldecken bekam sie keine Wärme in den Körper. Sie beneidete Benedikte, deren leises Schnarchen darauf schließen ließ, dass sie eingeschlafen war. Sie selbst dagegen lag da und lauschte auf das Stampfen und Dröhnen aus dem Maschinenraum und auf die See, die seitwärts am Schiffsrumpf entlangrauschte. Bisweilen war das Geräusch der Wassermassen so laut, dass es sich fast anfühlte, als würden die Wellen durch die Planken in die Koje gespült.
Sie wollte sich auf den Bauch legen, um aus dem Kojenbullauge hinaus auf die See zu schauen. Die Abende waren noch nicht sehr dunkel. Die tief über dem Horizont stehende rote Sonne tauchte den Himmel in ein purpurnes Farbenmeer von unglaublicher Schönheit, das sich im Wasser spiegelte, wodurch es aussah, als würden sie in eine lodernde Feuersbrunst hineinfahren. Doch als sie sich umdrehte, durchzuckte sie ein stechender Schmerz im Unterleib, weshalb sie sich schleunigst wieder auf den Rücken wälzte. Vielleicht sollte sie sich besser nicht auf den Bauch legen, jetzt, wo ein Kind darin heranwuchs. Sie hatte von diesen Dingen nicht viel Ahnung, aber es konnte doch gut sein, dass es dem Fötus schadete, wenn ihr ganzes Gewicht auf ihm lastete.
Sie blieb auf dem Rücken liegen und starrte auf die Unterseite der oberen Koje, während sie sich ihre Ankunft in Longyear City ausmalte und sich fragte, wie das Wiedersehen mit Anton sein würde. Sie versuchte, den quälenden Schmerz im Rücken zu ignorieren, den sie schon früher am Abend gespürt hatte. Doch jetzt war er stärker geworden. Trotz der Schmerzen fiel sie nach einer Weile in einen unruhigen Schlummer und ihr Herzschlag schien mit dem gleichmäßigen Stampfen des Schiffsmotors zu verschmelzen.
Am Ende musste sie doch richtig eingeschlafen sein, denn sie wurde von stechenden Kreuzschmerzen aus ihren wirren Träumen gerissen. Sie wusste nicht, ob der Schmerz oder ihr eigenes Gejammer sie geweckt hatte, aber ihr Wehklagen war so laut, dass auch Benedikte davon erwachte.
»Tora … Tora, was ist denn los? Hast du schlecht geträumt?«, flüsterte sie leise, um die anderen Passagiere nicht aufzuwecken, die hinter den dünnen Vorhängen der anderen Kojen schliefen. »Was hast du denn?«
Angstvoll schaute Tora in Benediktes verschlafene Augen. Ihre neue Freundin war offensichtlich aus dem Schlaf gerissen worden. Das blonde Haar umrahmte ihr herzförmiges Gesicht in wirren Strähnen.
»Hast du schlecht geträumt?«, wiederholte Benedikte mitfühlend und zog sich frierend eine Strickjacke um die Schultern.
»Nein, ich … Oh!« Tora krümmte sich vor Schmerzen und hielt sich an Benediktes Arm fest. »Oh … es tut so weh!«, stöhnte sie und staunte, dass sie so geistesgegenwärtig war, in der Stille der Nacht nicht laut aufzuschreien.
»Was tut dir weh? Wo hast du Schmerzen?« Benedikte war plötzlich hellwach. Große Besorgnis hatte ihre Müdigkeit verscheucht.
»Im Bauch … oder im Rücken«, stammelte Tora.
»Musst du dich übergeben?«
»Nein, das ist es nicht. Ich bin nicht seekrank.«
»Was hast du denn dann?«