Poppy Dayton und das Schweigen von Hellstone Hollow - Konrad K. L. Rippmann - E-Book
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Poppy Dayton und das Schweigen von Hellstone Hollow E-Book

Konrad K. L. Rippmann

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Beschreibung

Der Traum vom idyllischen Cottage wird endlich wahr, doch er könnte zum Albtraum werden …
Poppy Dayton steht in der erfolgreichen Cosy Crime-Reihe vor ihrem persönlichsten Fall

Endlich scheint Poppy Dayton am Ziel ihrer Träume zu sein: Sie bekommt ein wunderschönes Cottage in Cornwall angeboten. Ihr Traumhaus liegt in einer malerischen Gemeinde und die skurrilen, aber liebenswerten Bewohner heißen sie und Barney herzlich willkommen. Doch die Idylle trügt, um den vorherigen Besitzer des Cottages ranken sich schaurige Gerüchte und im Wald tragen sich seltsame Dinge zu. Um ihr Glück zu retten, muss Poppy nicht nur einer verbrecherischen Verschwörung auf die Spur kommen, sondern wird mit ihrer eigenen schmerzhaften Familiengeschichte konfrontiert …

Weitere Titel dieser Reihe
Poppy Dayton und das Geheimnis von Wythcombe Manor (ISBN: 9783968172071)
Poppy Dayton und das Rätsel um Arwen Island (ISBN: 9783986374983)
Poppy Dayton und die Tote im Helford River (ISBN: 9783987782336)

Erste Leser:innenstimmen
„Ein spannendes Lesevergnügen! Die Beschreibungen der malerischen Gemeinde und ihrer skurrilen Bewohner zieht einen sofort in den Bann.“
„Spannung, ein bisschen Romantik und Geheimnisse!“
„Sehr empfehlenswerte Cosy Crime-Reihe! Habe alle Bände verschlungen.“
„Die Autorin hat einen fesselnden Schreibstil, der mich auch emotional berührt hat. Cornwall hat noch nie so aufregend und gleichzeitig bezaubernd gewirkt!“

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Über dieses E-Book

Endlich scheint Poppy Dayton am Ziel ihrer Träume zu sein: Sie bekommt ein wunderschönes Cottage in Cornwall angeboten. Ihr Traumhaus liegt in einer malerischen Gemeinde und die skurrilen, aber liebenswerten Bewohner heißen sie und Barney herzlich willkommen. Doch die Idylle trügt, um den vorherigen Besitzer des Cottages ranken sich schaurige Gerüchte und im Wald tragen sich seltsame Dinge zu. Um ihr Glück zu retten, muss Poppy nicht nur einer verbrecherischen Verschwörung auf die Spur kommen, sondern wird mit ihrer eigenen schmerzhaften Familiengeschichte konfrontiert …

Impressum

Erstausgabe März 2024

Copyright © 2025 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-153-1 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98998-074-7

Covergestaltung: Grit Bomhauer unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © VikaSuh, © Helen Hotson, © ivangal, © U-Design, © vitek3ds, © SaGa Studio, © Patryk Kosmider, © Creative Travel Projects, © kaiwut niponkaew Lektorat: Katrin Gönnewig

E-Book-Version 12.03.2025, 09:04:59.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Poppy Dayton und das Schweigen von Hellstone Hollow

Prolog

Keuchend stemmte Poppy die Hände in die Seiten und sog die warme Sommerluft ein.

Sie richtete sich auf. Ich bin noch keine vierzig, und trotzdem schafft mich dieser Hügel.

Kurz blitzte der kritische Gedanke über ihre Kondition auf, um sofort vom 360-Grad-Rundblick der Landschaft verdrängt zu werden. Das ist es, was mir den Atem raubt.

Unter der senkrechten Mittagssonne schob sich die Halbinsel, auf halbem Weg zwischen Falmouth und Truro, wie die Kante einer grün schimmernden Pyramide in den River Fal hinein. Poppy blickte von der baumlosen, in blühende Wiesen gehüllten Kuppe auf den Waldgürtel, der zum dunkelblauen Wasser hinab ausfranste.

In den wenigen Lichtungen reflektierten schiefergedeckte Häuser das Licht. Am imposantesten waren die Landsitze von Trelissick und Hellstone Hall mit ihren ausgedehnten Formal Gardens; deutlich bescheidener schmiegten sich die Strohdächer der Cottages von Hellstone Hollow in ihre Gemüsegärten, das Dorf lag am Rand eines fjordartigen Einschnitts und reichte bis zum Fluss hinunter.

Poppy strahlte. Der geballte Charme Cornwalls lag zu ihren Füßen. Die Mischung aus Land und Wasser, aus geometrisch angelegten Parks und wilder Natur, war nach ihrem Geschmack. Sie kniff die Augen zusammen. Nur die Ruinen der alten Kupfermine stören das harmonische Bild, sie ragen wie hohle Zähne aus einem hübschen Mund.

Poppy zog den Kopf ein, als eine Schwalbe dicht an ihrem Ohr vorbeizischte, dann einen Haken schlug und sich wieder dem Schwarm anschloss, der die über den Wiesen wabernde Luftschicht durcheinanderwirbelte und Insekten aufscheuchte.

Sie dachte an London, an ihren Mann Barney und daran, dass sie nicht hier wäre, hätte die Nachricht eines Freundes sie nicht ebenfalls aufgescheucht. Dass sie heute auf diesem Hügel stand, war nicht selbstverständlich. Obwohl die Ereignisse inzwischen mehr als ein Jahr zurücklagen, hatte sie lange Abstand zu Cornwall gesucht und mit der Rückkehr in ihre Herzenslandschaft gehadert. Zwar hatte sie verstohlen die einschlägigen Immobilienanzeigen studiert, doch sie genoss auch das Leben in London mit Barney und mit ihrer Kunst, die sie immer bekannter und erfolgreicher machte.

Als Dr. Trelawneys Anruf sie erreichte, wurden ihre Sehnsüchte schlagartig wiedererweckt, und sie reiste am nächsten Tag an die Küste. Jetzt schaute Poppy auf das Dorf hinunter und schüttelte den Kopf. Über diesem zauberhaften Ort soll ein Fluch liegen?

Sie beschloss, die Schauergeschichten, denen sie am Pub-Tresen des Fox & Hounds gelauscht hatte, auszublenden und sie dem wild-romantischen Flair der Region zuzuordnen.

Der Landstrich hatte eine wechselvolle Geschichte hinter sich: über den Aufstieg vom ärmlichen Hinterland zu sagenhaftem Reichtum bis zum Absturz ins Elend nach Schließung der Bergwerke. Heute lebten die Gemeinden am Fluss vom Tourismus, auch wenn es hier, ein Stück vom offenen Meer entfernt, selbst in der Hochsaison deutlich ruhiger zuging als in den trubeligen Küstenstädten.

Vielleicht ein bisschen zu ruhig, schien Torry zu denken. Dem Terrier-Mischling war langweilig. Da weit und breit kein Kaninchen auszumachen war, legte er Poppy ein Stöckchen vor die Füße und blickte schwanzwedelnd zu ihr auf. Sie folgte der Aufforderung, griff danach und warf es in die Wiese. Torry stürzte hinterher und verschwand für kurze Zeit zwischen den gelb leuchtenden Ginsterbüschen. Als er zwei Heckenbraunellen aufscheuchte, die wütend zwitschernd ihr Nest verteidigten, pfiff Poppy ihn zurück.

„Komm, wir gehen ins Dorf. Es ist heiß hier oben. Ich könnte einen Sprung ins Wasser vertragen.“ Wasser verstand Torry, hechelnd leckte er sich über die Schnauze, aber gleichzeitig zog er bei dem Wort den Kopf ein. Er verabscheute die offene See, die ihn verschlungen hätte, wäre Poppy nicht in letzter Minute aufgetaucht. Seit sie ihn aus einem Gezeitenstrudel an der Mündung des Helford River gezogen hatte, waren sie unzertrennlich.

Kaum hatten sie das Hochplateau hinter sich gelassen, schloss sie dichter Wald ein. Erst säumten Kiefern in sandigen Mulden den Weg, dann haushohe Kastanien, Ahorn und Buchen.

Jetzt, im August, waren die Brombeeren reif und die von den Früchten schweren Zweige ragten weit in den Pfad hinein. Poppy pflückte eine Handvoll und war überrascht, dass sogar Torry ein paar von den prallen schwarzen Geschmacksbomben annahm.

Sie blieb stehen und lauschte. Nach Vogelgezwitscher und dem Schwirren der Schwalbenflügel über den Wiesen war es hier auffallend ruhig.

Liegt es an der Mittagshitze? Trotz der hohen Temperaturen fröstelte Poppy plötzlich.

Torry trottet gleichmütig neben dir her und wartet auf die nächste Brombeere. Sie tätschelte seinen Kopf, hinterließ einen dunkelblauen Fleck auf seiner Stirn und musste grinsen.

Alles in Ordnung, oder? Sie sah sich um. Bewegt sich da etwas zwischen den Bäumen? Nein, es ist bloß deine Fantasie, angeregt von der gruseligen Kneipengeschichte um spurlos verschwundene Dorfbewohner.

Die Gedanken ließen sich nicht verscheuchen und klebten in ihrem Kopf wie die kastanienbraunen Strähnen auf der verschwitzten Stirn. Sie raffte ihre Locken zusammen und bändigte sie mit einem Haargummi, als sich das Verhalten des Hundes, der ein Stück vorausgerannt war, änderte.

Er wurde langsamer und knurrte.

Poppy schloss zu ihm auf. „Was hast du, mein Freund? Bist du nervös, weil ich es bin?“

Ohne auf sie zu achten, lief er hoch aufgerichtet weiter.

„Nein, mit mir scheint das nichts zu tun zu haben.“ Poppy stöhnte. „Mach mich nicht verrückt!“

In Habachtstellung positionierte sich Torry am Wegrand und starrte zwischen Bäumen und Unterholz hindurch talwärts. Auf das Knurren folgte ein kurzes, heiseres Bellen, und die Nackenhaare sträubten sich.

„Was hast du? Ist uns ein Wildschwein auf den Fersen?“ Das war durchaus eine reale Gefahr, aber nach wie vor herrschte absolute Stille um sie herum, nicht das leiseste Knacken war zu hören. Als eine Stechmücke an ihrem Ohr surrte, schlug Poppy zu, zu heftig, wie sie fand, und rieb sich bedauernd die Wange.

Torry hob witternd die Nase, dann lief er los und sprang über den sandigen Wall am Wegrand. Sofort verschluckte ihn das dichte Grün.

„Torry!“, rief Poppy energisch und ein wenig atemlos. „Hiiierher! Komm zurück!“

Es nützte nichts. Etwas hatte seinen Jagdinstinkt geweckt, und obwohl er für einen Terrier relativ gehorsam war, kam keine Reaktion.

Minutenlang war nichts mehr von ihm zu sehen oder zu hören.

Poppy versuchte das aufkommende Gefühl von Panik zu verdrängen. Sie neigte nicht dazu, aber die Erlebnisse im letzten Jahr waren alles andere als verarbeitet und drohten unangenehme Bilder wachzurufen. Wie es ihrem optimistischen Naturell entsprach, wollte sie es nicht so weit kommen lassen, und sie beschloss, aktiv zu werden.

Leise fluchend kämpfte sie sich zwischen den Brombeerranken hindurch und rutschte die steile Böschung hinab. Nach kurzer Zeit waren ihre Arme und Beine von Dornen zerkratzt, die weißen Shorts und die hellgrüne Bluse, die so gut zu ihren Augen passte, nahmen die Farben des Waldbodens an.

Poppy richtete sich auf und rief nach Torry, doch es kam nur ein Flüstern aus ihrem Mund. Sie atmete tief ein und aus. Ihr Herzschlag beruhigte sich. Dann rief sie ein weiteres Mal nach Torry, und diesmal brüllte sie fast.

Die Reaktion kam sofort, ein Bellen, nicht weit entfernt.

„Was machst du da? Komm her!“

Er tauchte zwischen den Heidelbeerbüschen auf. Seine Augen glitzerten, und Poppy wusste sofort, dass die Aktion noch nicht zu Ende war. Tatsächlich lief er nur kurz zu ihr, stupste mit seiner feuchten Nase an ihren Unterschenkel und verschwand erneut. Widerstrebend folgte sie ihm.

Erleichtert stellte sie fest, dass der Wald lichter wurde, kniehohe Heidelbeerbüsche waren weniger hemmend als die Dornenranken.

Ein Stück weiter sah es so aus, als ob etwas die Vegetation breitflächig zu Boden gedrückt hatte. Etwas Großes, dachte Poppy bang und blieb stehen.

Surren erfüllte die Luft. Es roch süßlich, wild, aber nicht unangenehm. Wieder hörte sie Torry bellen, jetzt viel näher. Sie ging um eine große entwurzelte Eiche herum.

Poppy erstarrte, dann machte sie zwei Schritte zurück. Sie musste sich zwingen, dem spontanen Fluchtreflex zu widerstehen und noch mal hinzusehen.

In der Nische zwischen Stamm und Waldboden lag ein riesiger Körper.

Der Schreck, der Poppy in den Gliedern saß, wurde nur wenig von der Erkenntnis gemildert, dass er nicht menschlich war.

Torry baute sich schwanzwedelnd zwischen ihr und dem Tier auf, das sich in seiner Exotik dramatisch von der südenglischen Waldlichtung abhob.

„Was hat dich denn hierhergeführt?“ Poppy flüsterte, noch im Schock, aber auch aus Respekt vor dem Wesen, das offenbar erst vor kurzer Zeit gestorben war. Die weit geöffneten, bernsteinfarbenen Augen zeigten noch einen Abglanz von Leben. Es waren keine Verwesungsspuren erkennbar, nur der Fliegenschwarm, der über dem Kadaver kreiste, kündigte sie an.

Spontan berührte Poppy den kurzen, goldfarbenen Kranz um den kantigen Schädel. Selbst im Tod wirkte er noch erhaben. Sie machte einen Schritt zurück und betrachtete ehrfürchtig den drahtigen, muskulösen Körper mit dem matt glänzenden Fell.

„Wie schön du bist“, sagte sie leise, und spürte, wie ihr die Tränen kamen.

Es war eine ausgewachsene Löwin, die ihren Kopf auf beide Pranken gebettet hielt, als ob sie ruhte.

Ein Knacken wie von trockenen Ästen ließ Poppy zusammenzucken.

Torry, der sich stolz neben dem Kadaver aufgebaut hatte, nahm Habachtstellung ein und fiepte. Rasch bückte sich Poppy zu ihm hinunter und nahm ihn an die Leine. „Noch mal zischst du mir nicht ab.“ Doch der Terrier machte keinerlei Anstalten, sich selbstständig zu machen, er blieb dicht bei Fuß. Als das Knurren nachließ und in ein ängstliches Jaulen überging, kroch Poppy eine Gänsehaut über den Rücken.

„So habe ich dich ja noch nie erlebt“, flüsterte sie.

Wieder ein Knacken. Beide starrten in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Poppys Herz klopfte wie rasend, mühsam atmete sie gegen die warme, stickige Luft an.

„Hallo?“ Ihr Ruf endete in einem Krächzen. Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter und nahm einen neuen Anlauf. „Wer ist da? Kommen Sie heraus!“ Die eigene, überraschend starke Stimme zu hören, tat ihr gut.

Bis auf das unablässige Summen der Fliegen blieb alles still, und Poppy tat ein paar Schritte vorwärts. Sie beobachtete, wie Torry erst dicht bei ihr blieb, um dann in die entgegengesetzte Richtung zu ziehen. Als Poppy den Stamm der umgestürzten Eiche umrundet hatte, krallte sie sich im letzten Moment an einem Ast fest und sank zu Boden.

Ihre Beine baumelten über dem Rand einer Öffnung, die sich am Abhang unter ihr auftat. Panisch zog sie die Füße an und trat ein paar Kiesel los. Ohne einen Laut verschwanden sie im abgrundtiefen Schwarz der gigantischen Höhle, aus der ein schwefliger Geruch aufstieg.

1

London, eine Woche zuvor.

Poppy ließ den rechten Daumen für einen kurzen Moment über dem Smartphone schweben, dann scrollte sie auf den Seiten von Cornwall Homeseekers ein paar Angebote zurück.

Da war es. Elektrisiert hielt sie inne und las:

St Ives, Kapitänshaus aus dem 18. Jahrhundert, Schindeldach, 120 qm Wohnfläche, renovierungsbedürftig, nahe Porthmeor Beach, nur …

„Ich nehme es.“

Poppy drehte ihren Kopf abrupt in die Richtung, aus der die Stimme kam.

„Nein, ich nehme es!“, rief sie empört zurück.

„Aber Ihnen gehört es doch schon.“ Das Erstaunen im Gesicht des dunkelhaarigen Mannes im schwarzen Leinenanzug mündete in ein Schmunzeln. „Man sagte mir, Sie seien die Künstlerin, oder?“

Die Frage brachte Poppy zurück in „Flexers Fine Art Gallery“ in der Londoner City. Wie ein ertapptes Schulkind sprang sie auf, steckte mit der einen Hand das Smartphone ein, die andere streckte sie dem Mann entgegen. „Entschuldigen Sie, Sir. Ich bin Poppy Dayton. Ich war mit meinen Gedanken bei der Immobiliensuche in Cornwall.“ Sie lächelte verlegen. „Seit einer Weile ist das eine fixe Idee von mir.“

„Das muss ja nicht so bleiben.“ Er grinste zurück. „Ich bin Allistair Stevens und interessiere mich sehr für Ihre Arbeit Broken Surface. Mr Flexer meinte, Sie könnten mir etwas dazu sagen.“

Poppy strahlte. „Und wenn Sie es kaufen, würde ich meinem Häuschen ein beträchtliches Stück näher kommen, wollten Sie sagen?“

„Warum nicht? Aber erst einmal möchte ich mehr über Ihre Arbeit erfahren.“

„Selbstverständlich.“ Sie nickte dem Galeristen, der ihrem seltsamen Dialog mit einem Ohr zu folgen schien, beruhigend zu, worauf der seine Unterhaltung mit einem anderen Kunden fortsetzte.

Allistair strebte bereits mit langen Schritten in Richtung eines der breiten Schaufenster zur New Bond Street hin, wo die raumgreifende Installation von allen Seiten betrachtet werden konnte. Poppy lief ihm hinterher, schwanzwedelnd von Torry verfolgt, der froh zu sein schien, dass Bewegung in den allzu ruhigen Galerie-Nachmittag kam.

„Ist das eine Landschaft oder ein Körper?“

Es war nicht das erste Mal, dass man Poppy diese Frage stellte. Sie redete nicht gern über ihre Kunst und wollte die Installationen lieber für sich selbst sprechen lassen. Der Mann mit den vielen Lachfältchen an den Augenwinkeln war ihr sympathisch, aber sie wollte ihn noch ein wenig hinhalten und zu eigenen Schlüssen kommen lassen. „Interessante Frage. Was würden Sie sagen?“ Klang das ausweichend oder arrogant?

Allistair nahm ihr den Zweifel. „Eine Menge.“ Die Augen wurden groß und die Fältchen verschwanden. „Haben Sie den ganzen Abend Zeit?“

Poppy behielt die freundliche Miene bei. Obwohl ihre ganze Liebe seit elf Jahren ihrem Mann Barney galt, dem ehemaligen Kunstgeschichte-Professor an der Hochschule, ging sie flirtiven Situationen selten aus dem Weg. Trotzdem trat sie einen winzigen Schritt zurück.

„Idealerweise innerhalb der Öffnungszeiten der Galerie.“ Allistair schien den Hinweis zu verstehen, denn auch er blieb auf Distanz, nur mit den braunen Augen unter den schön geschwungenen Brauen hielt er Kontakt. Er breitete seine Arme aus und näherte sich dem Objekt, als ob er es umschlingen wollte.

„Die Form gleicht einer Kreuzung aus menschlichem Torso und topografischem Modell. Ich finde es sehr körperlich. Als ob es ruht und darauf wartet, dass man es weckt.“

Der Mann hat eine gute Auffassungsgabe, dachte Poppy. „Dann sind Sie seinem Geheimnis dicht auf der Spur, Sir“, sagte sie laut. „Es entstand nach mehreren Reisen nach Cornwall. Die Begegnung mit der Landschaft und Menschen, die …“

Allistair unterbrach sie. „Das war aber keine einfache Urlaubsreise, oder?“

„Woher wissen Sie das?“ Jetzt wird es spannend. Fasziniert betrachtete Poppy die Hände des Mannes, mit denen er die Konturen des Objekts nachzeichnete. Obwohl sie Abstand hielten, spürte sie eine Berührung, die sie erschauern ließ.

„An einigen Stellen bricht die Struktur auf und gewährt Einblicke ins Innere, auf verschlungene Pfade und Figuren, die das grelle Licht des Ausstellungsraums scheuen.“

„Sie beeindrucken mich wirklich.“ Poppy hielt seinem durchdringenden Blick stand und lächelte. „Cornwall hatte in der Tat überraschende Begegnungen für mich parat, auf die ich nicht gefasst war.“ Darunter waren drei Menschen, die auf grausame Weise ums Leben gekommen waren.

„Ist es nicht großartig, dass Sie als Künstlerin über die Mittel verfügen, aus diesen Erlebnissen ein spannungsreiches Kunstwerk zu gestalten?“

Poppy nickte und war erleichtert, dass Allistair zu den ästhetischen Aspekten der Arbeit zurückkehrte. Obwohl die „Überraschungen“ inzwischen mehr als ein Jahr zurücklagen, beschäftigten sie die drei Morde immer noch und das weit über die künstlerische Verarbeitung hinaus. „Absolut, umso mehr freue ich mich, wenn Sie Spaß daran haben, unter die Oberfläche zu blicken.“

„Es ist zumindest ein Ersatz dafür, dass ich keinen Zugang bekomme zu dem, was hinter der Künstlerinnenstirn und den wunderschönen grünen Augen wirklich vorgeht.“

Poppy musste über sein altherrenhaftes Geplänkel grinsen, machte aber mit. „Das wäre vermutlich langweiliger, als Sie denken. Lassen Sie sich überraschen und kaufen Sie nicht nur dieses, sondern auch kommende Werke von mir, die von neuen Erlebnissen inspiriert sein werden.“

Der Dialog verlor seinen Charme, als der Gedanke unangenehme Erinnerungen in ihr wachrief.

Allistair griff nach ihrer Hand. „Frieren Sie, Mrs Dayton?“

Sie zog sie hastig zurück. „Nein … vielleicht die Klimaanlage.“

„Dann hoffe ich, dass Ihre Körperkerntemperatur deutlich ansteigt, wenn ich Ihnen sage, dass ich Broken Surface kaufe.“ Er sah sich um. „Wo ist Flexer? Das Geschäftliche bespreche ich wohl eher mit ihm.“

„Unbedingt.“ Poppy lächelte. „Ich bin glücklich, dass meine Arbeit in Ihre Hände kommt, wirklich.“

„Ich danke Ihnen, Mrs Dayton und wünsche Ihnen viel Glück mit Ihrem Häuschen in Cornwall.“

„Das ist noch ein weiter Weg.“

„Das würde mich wundern.“ Allistair lief in Flexers Richtung, und Poppy blickte ihm verdattert hinterher.

Zwei Stunden später kam sie zu Hause an. Flexers stylische Galerie und unser verstaubter, altmodischer Laden. Poppy blickte an der viktorianischen Fassade des Hauses in der Marylebone High Street hoch. Seit einem Jahr pendle ich zwischen den beiden Welten hin und her und staune immer noch über den Kontrast.

Bevor sie die abgewetzte Klinke an der Tür von Bromley Books and Art drückte, musterte sie kritisch die Auslagen: antiquarische Bücher, antike Landkarten und dazwischen ihre eigenen Skulpturen und filigranen Objekte aus Bronze, Holz und Pappmaché. Wie ein Guckkasten in eine eigene Miniaturwelt, die Dinge spielen miteinander, dachte sie. Barney und sie hatten die befriedigende Erfahrung gemacht, dass den Kunden das gefiel. Trotzdem hält sich der kommerzielle Erfolg in Grenzen, dachte Poppy. Hier werden leise Minnelieder gesungen, das ganz große Orchester spielt bei Flexer.

Sie legte beide Hände an den Kopf, um besser durch die staubigen Scheiben hindurchschauen zu können. Sie sah ihren Mann Barnabas hinter dem Tresen stehen, vertieft ins Gespräch mit einer Kundin.

Poppy klapperte mit der Champagnerflasche gegen die Scheibe. Bei dem Geräusch blickte Barney hoch und zwinkerte ihr zu, ohne das konzentrierte Gespräch mit der Kundin zu unterbrechen, die zu dem zwei Köpfe größeren Eins-neunzig-Mann aufblickte. Mit einer für ihn typischen Geste fuhr er sich durch sein dunkelblondes, grau meliertes Haar.

Poppy unterdrückte einen Seufzer, setzte ihr strahlendstes Lächeln auf und betrat den Laden, wo sich die Kundin gerade verabschiedete, ein in braunes Packpapier eingeschlagenes Buch unter dem Arm.

Poppy gab Barney einen Kuss, und Torry sprang an ihm hoch. „Na, hast du gut verkauft?“, fragte sie.

„Zweihundert Pfund für den Dorian Gray, erste Auflage.“ Sein Blick wanderte zwischen ihr und der Champagnerflasche hin und her. „Nicht schlecht, aber kann es sein, dass ich dabei mit dir nicht mithalten kann, Darling?“

Erst hatte Poppy den Plan, Barney auf die Folter zu spannen, aber die Worte platzten zu schnell heraus. „Zwanzigtausend, Barnabas!“ Sie konnte die Spannung nicht länger aufrechterhalten. „An einen Arzt aus der Harley Street, mit Röntgenblick!“ Sie freute sich über seine verwunderte Miene. „Er ist tatsächlich Radiologe. Ich war selbst erstaunt darüber, was er alles unter der Oberfläche meiner Arbeit ausmachte! Seine Einladung zum Dinner konnte ich gerade so ausschlagen, ohne ihn zu verschrecken.“ Sie stellte den Champagner auf den Tresen. „Hatten wir nicht noch ein Stück Foie Gras im Kühlschrank?“

„Das uns Jim und Lilly von ihrer Frankreichreise mitgebracht haben? Neulich sagtest du, es wird nicht angerührt, die armen gestopften Gänse und überhaupt. Dabei hatten die beiden versichert, dass es sich um den neuen Standard handelt, die ungestopfte Alternative, sozusagen.“

Poppy ließ den Korken knallen. „Egal, heute vergesse ich alle correctness, das Zeug passt einfach zu gut zu meiner Stimmung.“

Barney ging zur Tür, drehte das „Closed“-Schild um und schloss ab. Gemeinsam stiegen sie die Treppe hinauf in die Wohnung, die über dem Laden lag.

Poppy runzelte die Stirn, als sie das Durcheinander in der Küche sah.

Barney entschuldigte sich. „Ich wollte aufräumen, aber dann kam das Zoom-Meeting mit dem Sammler aus Dubai …“

„Wir machen einfach da weiter, wo wir beim Frühstück aufgehört haben. Das Baguette sieht noch prima aus.“ Poppy ging zum Kühlschrank und holte die ovale, beige glasierte Keramikschale mit der Gänseleber heraus. Barney ließ den Korken knallen und füllte zwei Kristallkelche mit Champagner. Sie setzten sich auf die alte Chesterfield-Küchenbank und stießen an.

Poppy schnitt das Baguette in dünne Scheiben und toastete sie. Dann belegte sie den ersten warmen Brot-Chip mit Foie Gras, kostete davon und nippte am Champagner. „Mhm, die Kombination aus knusprigem Brot und dem Geschmack geschmolzener Butter mit Karamell, Nuss und Mandelnote auf der Zunge, unvergleichlich.“

„Kann es sein, dass der Erfolg deine Neigung zu Jet-Set-Allüren verstärkt?“

Poppy ließ das nächste Häppchen sinken, schmiegte sich an Barneys Seite und biss ihn sanft ins Ohr. „Wahrscheinlich. Allerdings ziehe ich dich und deine Aromen allen mondänen Genüssen vor.“

Er schmunzelte. „Bei deinen Umsätzen kannst du dir beides leisten.“

„Stimmt. Mit dem letzten Verkauf hat mir das Jahr bei Flexer über hundertfünfzigtausend Pfund eingebracht.“

„Dann werden deine Immobilienpläne ja bald ebenso realistisch wie deine Gespenster.“

Poppy verschluckte sich und sah Barney böse an. „Du reibst mir gleich zwei meiner Schwächen unter die Nase? Das ist gemein von dir.“

„Entschuldige.“ Hastig ruderte er zurück. „Du weißt, ich unterstütze deine Pläne, und wenn du etwas findest …“

„Im Moment ziehe ich unser trautes Heim den spukverseuchten Gemäuern Cornwalls vor.“

„Da habe ich ja Glück.“ Barney schob ihr eine kastanienbraune Locke zur Seite, um ihre Augen besser sehen zu können. Sie hielt seinem Blick stand, und er wechselte das Thema. „Apropos verseucht, unseren Freunden in Wythcombe Manor scheint es nicht besonders gut zu gehen.“

„Das ist doch chronisch.“ Poppy schüttelte traurig den Kopf. „Obwohl Pat und Bruce seit einem halben Jahr Eltern sind! Pat liebt ihre Georgina abgöttisch, aber Bruce scheint enttäuscht darüber zu sein, dass es kein männlicher Stammhalter geworden ist, das hat mir Pat zumindest gesagt. Weißt du was Neues?“

„Bruce hat mich vorhin angerufen. Er jammerte, dass Pat kurz davor sei, ihn aus seinem eigenen Schloss zu werfen. Außerdem schlägt er sich vor Gericht jetzt schon mit zwei Prozessen rum, und die Anwälte kosten Unsummen. Nun muss er an einem Plan B arbeiten und fragte mich, ob ich im Notfall bereit wäre, ihm Geld zu leihen.“

„Untersteh dich! Was für ein Plan B? Du weißt, dass er seine Finger in zwei Mordfällen hat.“ Poppy schüttelte sich angewidert. „Positiv ist nur, dass der neue Staatsanwalt weniger Respekt vor dem lokalen Hochadel zu haben scheint als der alte. Bruce kann sich glücklich schätzen, dass der ihn nicht gleich wieder in Untersuchungshaft genommen hat.“

„Meinst du, Pat schmeißt ihn wirklich raus?“

„Ich glaube, die Hemmschwelle wird immer niedriger. Im Hintergrund wartet Cary auf seine Chance, und ich weiß, dass Pat mehr als nur Freundschaft empfindet für den handfesten und warmherzigen Sailor.“ Poppy trank einen Schluck Champagner. Das Kondenswasser tropfte von den kalten Gläsern auf den Tisch und bildete kleine Pfützen. Sie tauchte den Zeigefinger hinein und malte eine Krone auf das polierte Holz. „Aber selbst wenn die Beziehung zwischen Pat und Bruce im Eimer ist, stehen die beiden immer noch als Marke für ihr Hotel. Pat mit ihrem Gespür für Stil und Design. Und der hübsche Lord mit den schwarzen Locken ist sehr beliebt bei seinen Gästen, besonders den weiblichen; ganz abgesehen davon, dass er hervorragend kocht.“

„Wie auch immer, Poppy, ich denke überhaupt nicht daran, ihm etwas zu leihen. Das habe ich ihm klargemacht, wenn auch auf freundschaftliche Weise.“ Barney sah sie an. „Und was das Essen angeht: Mein Appetit verlagert sich gerade sehr“, sagte er mit rauer Stimme.

Der Abend setzte sich kurz darauf im Schlafzimmer fort.

Als das Telefon im Flur klingelte, versuchten sie erst, es zu ignorieren, bis die Sprachbox ansprang.

„Mrs Dayton? Trelawney hier. Leider muss ich unsere Verabredung morgen in London absagen, es ist etwas dazwischengekommen. Rufen Sie mich bitte zurück? Ich habe etwas Wichtiges mit Ihnen zu besprechen.“

Die Nachricht war zu Ende und der Apparat ging mit einem leisen „Beep“ wieder in Ruhestellung.

Sachte löste sich Poppy aus Barneys Umarmung. Sie pustete eine Haarsträhne aus der Stirn und setzte sich an den Bettrand. „Der Doktor sagt ab? Das wäre das erste Mal.“

Barney stöhnte. „Wehe, er versucht dich nach Cornwall zu locken.“

„Bestimmt nicht. Wir hatten fest vereinbart, dass wir die Sitzungen hier in London durchführen. Seit über einem Jahr war ich nicht mehr da unten.“

„Und beides hat dir gutgetan, die Therapie und der Abstand zu deinem traumatischen Traumland.“

„Höre ich da Spott heraus?“ Poppy sank in Barneys Arme zurück.

„Im Gegenteil, Dankbarkeit. Ich finde, hier in London geht es dir gut, du bist geradezu unverschämt produktiv und erfolgreich, und dein Schlaf verläuft bis auf die Begegnungen mit deiner Schwester ruhig und ereignislos.“

Gedankenverloren zupfte Poppy an den Härchen auf Barneys Brust. Es ist Wochen her, seit Gwen mich das letzte Mal besucht hat.

Ein „Besuch“ ihrer Schwester fand allerdings nicht auf übliche Weise statt, denn Gwen war seit fünfzehn Jahren tot, gestorben, zusammen mit den Eltern, auf dem Weg zum „Girls’ Day“, bei einem tragischen Autounfall. Seitdem tauchte sie in Poppys Träumen auf, doch nicht nur sie trieb sich dort herum. Dr. Trelawney hatte bei Poppy eine seltene psychische Begabung diagnostiziert, das Shining. Dabei begegnete sie in ihren Träumen Personen, die meist unter gewaltsamen Umständen zu Tode gekommen waren. Während ihrer Aufenthalte in Cornwall hatten diese Erscheinungen regelmäßig dazu geführt, dass aus harmlosen Ferien unberechenbare Abenteuer wurden. Zwar war der Lohn die Entlarvung von Mördern gewesen, aber Poppy zahlte einen hohen Preis dafür: Ihre hypersensible Psyche geriet mehr als einmal an ihre Grenze, und erst Dr. Trelawneys Interventionen halfen ihr dabei, mit dem Phänomen fertig zu werden und die aufdringlichen Chimären auf Distanz zu halten. Der pensionierte Arzt aus Falmouth nutzte seine häufigen Reisen nach London, um mit Poppy einmal im Monat eine entsprechende Sitzung abzuhalten.

Mir geht’s schon viel besser, dachte sie. Warum irritiert mich dann seine Absage nur so sehr?

Erneut rutschte Poppy an den Bettrand. Diesmal stand sie auf und sah auf Barney hinunter, der das dünne Leinentuch über den Kopf zog und mit den Armen fuchtelte. „Huh-Huh!“, heulte er.

Sie prustete los. „Jaul nicht, geliebtes Gespenst, ich komm ja wieder. Ich rufe ihn nur kurz an und frage, was los ist.“

„Das kann ich dir jetzt schon sagen. Die grässlichen Geister versuchen vergeblich ihre Spinnenfinger nach London auszustrecken und fordern deine Rückkehr nach Cornwall.“

„Mrs Dayton!“ Trelawney war sofort dran, und Poppy stellte auf laut. Barney soll nicht denken, dass ich etwas zu verbergen habe. „Ich freue mich über Ihren schnellen Rückruf.“ Die Stimme des Arztes klang seltsam kontrolliert. Wie jemand, der sich beherrschen muss, nicht herauszuplatzen, dachte Poppy und sprach ihn direkt darauf an: „Was gibt es so Dringendes?“

„Können Sie sprechen, Mrs Dayton?“

Diese Frage! Poppy biss sich auf die Unterlippe. Das kann eine Menge bedeuten. Sie bereute, dass sie auf laut gestellt hatte. Das kann ich jetzt nicht rückgängig machen, also Flucht nach vorne.

„Natürlich. Mein Mann hört mit.“ Sie sagte das in so neutralem Ton wie möglich und schaute dabei zu Barney hinüber, der dem Gespräch mit verschränkten Armen folgte. Sie zwinkerte ihm über den Flur zu. „Ich soll Sie von ihm grüßen.“

„Ich grüße Sie auch, Professor!“, rief Trelawney.

Eine Pause trat ein.

„Sind Sie noch da, Doktor?“

„Natürlich, Mrs Dayton.“ Er räusperte sich.

„Dann legen Sie los! Barney hat gesagt, wir dürfen über alles sprechen, nur nicht über eine Rückkehr nach Cornwall.“

Ein Stöhnen, das allerdings so leise war, dass es Barney nicht bis ins Schlafzimmer hinüber hören konnte, verriet Poppy, dass es genau darum ging. Sie hielt die Luft an. Jetzt bin ich gespannt, wie der gute Doktor das einfädelt.

„Es tut mir sehr leid, dass ich nicht nach London kommen kann, Mrs Dayton. Ein Kollege der forensischen Medizin in Cardiff bat mich um ein psychologisches Gutachten. Der Fall drängt, und ich konnte ihm das nicht abschlagen. Ich muss sofort dorthin.“

„Kein Problem, dann treffen wir uns danach in London. Auf einen Tag früher oder später kommt es nicht an.“

„Das ist es ja, Mrs Dayton.“ Wieder der gepresste Klang. „Ich fahre übermorgen Abend nach Irland, zu einem Freund, für einen Monat.“

„Ein Monat? Das ist lang. Aber das halte ich schon aus. Ich fühle mich schon viel stabiler nach unseren Sitzungen, und das Shining verschont mich seit einigen Wochen.“

„Das freut mich zu hören. Doch gerade deshalb ist es so wichtig, im Rhythmus zu bleiben. Ich weiß, das Thema Cornwall wird bei Ihnen zurzeit sehr kritisch gesehen. Es wäre ja nur für einen kurzen Besuch. Wir machen unsere Sitzung, danach springen Sie am Gyllyngvase Beach einmal ins Meer und fahren wieder zurück. Das Ganze ist kurz, ungefährlich, ohne Leichenfund und vor allem sichert es Ihren Therapieerfolg.“ Er hüstelte. „Letzteres garantiere ich Ihnen sogar!“

Poppy sah, wie Barney die Finger in beide Ohren steckte und in gespielter Verzweiflung den Kopf schüttelte. „Das passt zwar nicht so gut, aber vermutlich haben Sie recht“, sagte sie betont gelassen.

„Sie werden es nicht bereuen.“

Geheimnisse ich da zu viel hinein, oder klingt das verschwörerisch? Poppy hoffte, dass nur sie es mitbekam und stellte erleichtert fest, dass Barney immer noch die Finger in den Ohren hatte.

„Also gut. Übermorgen um vierzehn Uhr? Vor Ihrer Abreise nach Irland?“

„Großartig! Noch einen schönen Abend Ihnen beiden!“ Trelawney legte auf.

Auf dem Weg zurück ins Schlafzimmer geriet Poppy in den gezielten Beschuss schwerer Daunenkissen, Torry, der sich erst kläffend dazwischengeworfen hatte, zog sich mit angelegten Ohren zurück.

2

Der grüne Morris hielt auf dem kleinen Besucherparkplatz vor dem Haus des Doktors.

Als Erstes stieg Torry aus, der nach der langen Fahrt sofort hinter den sorgfältig gestutzten Buchsbaumhecken verschwand.

Durch die Windschutzscheibe schaute Poppy auf Falmouth und die Mündung des Flusses hinunter und blieb noch einen Moment sitzen.

Eine Flut von Gefühlen drang auf sie ein: Dankbarkeit für Barney, der nicht nur die Größe hatte, sie ziehen zu lassen, sondern ihr auch noch seinen Oldtimer, das grüne Morris Minor Cabriolet, geliehen hatte. In die Freude, wieder in Cornwall zu sein, mischte sich die Angst vor dem unberechenbaren Schicksal, das sie in dieser idyllischen Landschaft regelmäßig heimsuchte.

Ich muss endlich herausfinden, warum es ausgerechnet hier passiert. Wie ein Ingwer-Limetten-Shot,erfrischend und gleichzeitig kaum runterzukriegen, dachte Poppy und schüttelte sich. Der Doktor hat recht, ich bin noch nicht so weit, um es unbefangen genießen zu können. Gut, dass er auf dem Treffen bestanden hat.

Sie ließ ihr kleines Gepäck im Auto und steuerte mit Torry auf das Portal aus grauem Granit zu. Die dunkelgrün gestrichene Tür stand offen und gab den Blick durch das Haus hindurch auf die Hortensienbüsche frei, deren pinkfarbene Blüten mit dem Blau des River Fal konkurrierten.

Ein kantig gebauter Mann tauchte mitten in dem Stillleben auf und beendete Poppys Grübelei. „Mrs Dayton! Toll, dass Sie es einrichten konnten.“ Er schüttelte ihr die Hand, und Torry begrüßte ihn wie einen alten Freund.

Obwohl er sie ernst, beinahe streng musterte, entging Poppy das Blitzen in Trelawneys Augen nicht. Das ist nicht typisch für ihn. Was führt er im Schilde?, fragte sie sich. „Mein Mann sieht das anders“, sagte sie. „Doch die Liebe und die Sorge um meine Gesundheit haben ihn einlenken lassen.“

Trelawney schmunzelte. „Sie vergessen Ihre Durchsetzungsfähigkeit und den Augenaufschlag.“

Obwohl Poppy um den Einfluss ihrer meergrünen Augen wusste, schüttelte sie den Kopf. „Beides verliert nach zehn Jahren Ehe einen beträchtlichen Teil seiner Macht. Nein, Barney vertraut meinem Versprechen, mich auf keine gefährlichen Abenteuer einzulassen, und außerdem ist es ja nur für zwei Tage.“

Trelawney nickte hastig und trat zurück in den Schatten des Eingangs. „Gehen Sie schon mal vor, Sie kennen ja den Weg. Ich muss noch ein kurzes Telefonat führen.“ Er lächelte. „Nach unserer Sitzung bekommen wir Besuch.“

Poppy wollte nachfragen, beherrschte sich aber und ging in Richtung Sprechzimmer.

Ein paar Minuten später lag sie entspannt auf der roten Chaiselongue, Torry hatte sich auf dem Teppich davor eingekringelt.

Trelawney saß am Kopfende, sodass sie ihn nicht sehen, sondern nur seine Stimme hören konnte. In einem Augenblick betrachtete Poppy noch versonnen ihre rot lackierten Zehen, um im nächsten die schweren Augenlider zu schließen.

Die Trance, in die der Doktor sie mit rhythmisch pulsierenden Worten und langsam gesprochenen, sich wiederholenden Sätzen führte, war gerade so tief, dass sie auf Gedankenreise gehen konnte, ohne die Kontrolle über das Geschehen zu verlieren.

Poppy kehrte zurück an die Orte, an denen sie das Shining besonders heftig erlebt hatte, nach Wythcombe Manor, Arwen Island und Scarcliffe Castle. Die dramatischen Begegnungen, denen sie dort ausgesetzt war, wurden während der therapeutischen Sitzungen aus dem Blickwinkel einer Beobachterin, nicht einer Beteiligten oder gar eines der drei Mordopfer betrachtet und verloren von Mal zu Mal ihre traumatisierende Wirkung. Sie nahmen den Charakter eines Spielfelds ein, auf dem sich Poppy gezielt und nach ihren eigenen Regeln bewegen konnte. Und heute war Gwen da.

„Schwesterherz!“

Poppy hatte gerade den sonnenüberfluteten Strand verlassen, an dem die Tote vom Helford River gefunden worden war, als Gwen hinter einer Erle hervortrat. Sie war wie immer in einen schwarzen Rollkragenpullover und schwarze Jeans gekleidet, die Sachen, die sie am Girls’ Day, dem Tag ihres Todes, getragen hatte.

„Gwen!“ Wie immer musste sich Poppy zurückhalten, eine vergebliche Umarmung zu versuchen.

„Was machst du hier?“ Die Frage klang eher besorgt als neugierig.

Poppy schaute über die Schulter auf den Strand zurück. „Ich sehe mir ein paar Plätze an, die mir früher Angst gemacht haben.“

„Warum bist du zurückgekehrt?“

„Ich habe eine Therapiesitzung bei Dr. Trelawney.“

„Kommt der sonst nicht zu dir nach London?“

Poppy zog die Augenbrauen hoch „Ich freue mich auch, dich zu sehen, Gwen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Warum stellst du mir diese Fragen? Du hast dich lange nicht blicken lassen.“

Gwen zog einen Schmollmund. „Ich hatte den Eindruck, dass du darauf keinen besonderen Wert legst. Du hast ja Barney und deinen Doktor.“ Gwen stellte sich mit verschränkten Armen vor ihr auf. „Der hat es mir mit seinen therapeutischen Tricks schwer gemacht, dich in London zu besuchen, weißt du das eigentlich?“

„Ich weiß nur, dass ich dich sehr vermisst habe.“

„In Cornwall scheinst du jedenfalls offener zu sein für das Shining, wie ihr es nennt.“

„In Cornwall ist alles besser.“

„Wirklich, Poppy?“ Gwen umkreiste sie und sah dabei abwechselnd Poppy an und auf den Helford River hinaus, als ob sie auf etwas wartete.

Poppy versuchte, ihrer Drehung zu folgen.

„Gwen, stopp, mir wird ganz schwindelig.“

„Schwindelig und schwindeln, das liegt dicht beieinander, oder?“

„Warum redest du die ganze Zeit in Rätseln?“

„Ich darf das.“ Gwen kicherte. „Nein, ich muss das.“ Sie hielt an, auch Poppy blieb stehen, auf unsicheren Beinen schwankte sie der Drehung hinterher. „Versteh mich nicht falsch, es ist schön, dass du wieder in Cornwall bist. Hier waren wir immer am glücklichsten, in den Ferien, zusammen mit Mum und Dad.“ Gwens Ausdruck hatte sich verändert. Die Augen, die halb hinter dem dunklen Pony versteckt lagen, blickten traurig. „Poppy, sei ehrlich, wo willst du sein, in London oder in Cornwall?“

Poppy schluckte. „Die Frage ist gut, Schwesterchen.“ Sie versuchte, ihrer Stimme einen nonchalanten Ton zu geben, aber es gelang ihr nicht. „Ich habe Barney versprochen, mich auf London zu konzentrieren. Trotzdem schaue ich mir jeden Tag die Immobilienanzeigen an. Doch es ist sinnlos, es wird nichts werden.“

„Du wirst noch staunen!“ Wieder verschränkte Gwen die Arme. „Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich dir das wünschen soll.“

„Oh my! Gwen, hör auf, das Orakel zu spielen, du machst mich ganz verrückt.“

Silberne Tränen quollen aus Gwens verschleierten Augen.

Poppy erschrak. „Warum weinst du?“

„Keine Ahnung. Ich weiß nur, wenn du hierbleibst, wird wieder etwas passieren.“

Poppy winkte ab. „Das Risiko ist nicht besonders groß, ganz einfach, weil ich schon morgen nach London zurückfahre. Beruhigt dich das?“

Gwen schüttelte den Kopf, sagte aber nichts.

Aus weiter Ferne hörte Poppy, wie sich Trelawneys Stimme veränderte.

Gwens Gestalt verblasste.

Obwohl sich Poppy dagegenstemmte, wurde sie aus der Tiefe der Trance an die Oberfläche zurückgespült. Wie ein Korken, der in die Höhe schießt.

Sie hob den rechten Arm und klopfte mit der flachen Hand auf die Stelle neben sich am Rand der Couch. Gwen, bleib noch …

Widerwillig schlug sie die Augen auf und blinzelte in den Lichtstrahl, der durch den Spalt zwischen den zugezogenen Vorhängen drang. Sie stöhnte, stützte sich auf beide Ellenbogen, schwang ihre Füße von der Chaiselongue und schlüpfte in ihre Sandalen.

„Langsam, Mrs Dayton. Bleiben Sie noch einen Moment liegen, Ihnen könnte schwindelig werden.“

Poppy rieb sich die Augen. „Ich weiß. Es geht mir gut, danke. Wenn ich herumlaufe, weiß ich, dass ich wieder zurück bin von der anderen Seite.“

„Ich verstehe.“ Trelawney machte eine Notiz. „Nur noch eine Frage: Wie waren Ihre Träume in letzter Zeit?“

„Bunt und voller Ereignisse. Zum Glück habe ich meine Kunst, damit kann ich eine Menge dieser verrückten Bilder bannen. Aber wenn Sie nach dem Shining fragen, nein, nichts davon, seit Monaten nicht mehr.“

„Auch Ihre Schwester kommt Sie nicht besuchen?“

Sie drehte sich zu ihm um. „Interessant, dass Sie das fragen. Monatelang ließ sie sich nicht blicken, doch gerade eben war sie da. Sie meinte, in Cornwall fiele es ihr leichter, zu mir durchzukommen. Leider war dann die Trance zu Ende.“

„Es tut mir leid, dass ich Ihr Treffen unterbrochen habe.“

Poppy zog ihre Augenbrauen zusammen. „Ich vermisse sie unglaublich, auch nach all den Jahren. Aber ich erinnere mich lieber bewusst an sie, als dass sie mir im Traum erscheint.“

Trelawney nickte, klappte das Moleskine-Heft zu und ließ das schwarze Gummiband darüber schnappen. „Das hört sich gut an, Mrs Dayton, Sie machen wirklich Fortschritte.“ Er lächelte. „Es freut mich umso mehr, als dass Sie dadurch auch den üblen Beigeschmack verlieren könnten, den Cornwall bei den letzten Malen hinterlassen hat.“

„Doktor, warum so umständlich?“ Poppy grinste. „Seit dem Anruf in London habe ich das Gefühl, dass Sie mir etwas sagen wollen. Raus mit der Sprache!“

Trelawney grinste verschämt. „Sie haben recht, ich suchte nur nach dem rechten Augenblick.“

„Machen Sie es nicht so spannend. Sagen Sie bloß nicht, Sie haben einen rätselhaften Fall zu lösen. Ich habe Gwen eben versprochen, so schnell wie möglich wieder nach London zurückzufahren, von Barney ganz abgesehen!“

Energisch schüttelte er den Kopf. „Nein, nein, um Himmels willen, kein Fall.“ Er räusperte sich, und Poppy spürte, dass er einen Übergang suchte. „Erst mal soll ich Sie von Peter Hammett grüßen.“

„Danke! Wie geht es ihm? Gibt es eine neue Inszenierung seiner Volksbühne? The Lady Vanishes war sensationell, fand ich, abgesehen davon, dass es mich auf die richtige Idee brachte …“

„… und Sie mal wieder einen Mörder zur Strecke brachten! Nein, nichts dergleichen. Allerdings weiß Peter auch, dass Sie neben ihren kriminalistischen Neigungen noch eine ganz andere Sehnsucht hegen.“ Trelawney senkte die Stimme. „Er hat einen Tipp bekommen. Ein Cottage, nicht weit von hier, mit Blick auf den Fluss.“

Poppy sprang auf, lief zum Fenster und riss die Vorhänge auf, dass die Ringe auf der Stange klirrten.

Jenseits der pinkfarbenen Hortensien senkte sich der perfekte gepflegte Rasen ab. Weiter unten, auf der anderen Seite der North Parade lag die kleinen Marina. Die Boote waren fast alle draußen, nutzten die Brise, pflügten durch die gerippelten Wellen der Bucht oder nahmen Kurs aufs offene Meer.

„So einen Blick?“, fragte sie atemlos.

„Vielleicht sogar noch schöner. Peter kommt gleich vorbei, er hat Bilder. Und das Beste daran ist: Der Preis ist mehr als vernünftig.“

Poppy drehte sich zu Trelawney um, der jetzt direkt vor ihr stand.

Er betrachtete sie eingehend. „Ihre Pupillen waren eben noch winzig vom vielen Licht, und jetzt sind sie schlagartig weit.“

„Naturwissenschaftler sind immer so analytisch.“ Poppy blinzelte. „Diese Nachricht wirkt auf mich wie eine Droge, das sage ich Ihnen. Wo ist es?“ Sie reckte den Hals wie ein Kind vorm Eintritt ins Weihnachtszimmer.

Es läutete an der Tür.

„Das wird Peter sein. Fragen Sie ihn selbst!“

Er ging hinaus. Eine Minute verstrich, und Poppy hörte durch die angelehnte Tür, dass sich die beiden Männer leise auf dem Gang unterhielten. Mich so auf die Folter zu spannen …

Trelawney steckte den Kopf durch den Spalt. „Kommen Sie ins Wohnzimmer, Mrs Dayton, da ist es gemütlicher.“

3

Peter Hammett war wie gewöhnlich korrekt gekleidet in ein pfeffer-und-salz-farbenes Tweed-Ensemble inklusive Weste. Nur der offene Kragen des weißen Leinenhemds ist ein Tribut an die Augusthitze, dachte Poppy. Der kräftige Mann mit dem großen Schädel und den buschigen Augenbrauen war noch ein Stück größer als der Arzt. Er breitete die Arme aus, die braunen Knopfaugen glitzerten.

„Mrs Dayton! Wie schön! Sie und Ihr Mann fehlen mir in meinen Aufführungen. Das Küstenvolk hier und die Touristen sind allesamt Banausen.“

„Man hört, dass Sie immer ausverkauft sind.“

„Das schon, die lachen bloß immer an den falschen Stellen.“ Jetzt war er es, der lachte, aber als er sah, wie Poppy den Umschlag aus dunkelgrünem Manila in seiner Hand anstarrte, klappte er den Mund zu.

„Hat der Doktor geplaudert?“, fragte er und schielte zu Trelawney hinüber.

„Irgendetwas musste ich schon sagen, sonst wäre Mrs Dayton bereits wieder auf dem Rückweg. Die Aufenthaltsgenehmigung für hier ist beschränkt.“

Hammett schmunzelte. „Ich rate zu einer kleinen Verlängerung.“ Er streckte Poppy den Umschlag entgegen, begierig griff sie danach.

„Setzt euch an den Tisch“, sagte Trelawney. „Ich lasse uns Tee bringen. Meine Haushälterin hat frische Scones gebacken.“

Poppy nickte nur. Andächtig klappte sie die Mappe auf und war überrascht.

„Sie haben ein prächtiges Exposé erwartet?“ Hammett stieß Trelawney in die Seite, und die beiden grinsten sich an. „Seien Sie nicht enttäuscht, das ist sogar der entscheidende Vorteil. Das Objekt wird nicht über einen Makler angeboten, es kommt von privat. Ich hatte allen möglichen Leuten von Ihrer Suche erzählt, in meinem Volksbühnenverein sitzen ein paar echte Großgrundbesitzer. Einer davon kam letzte Woche auf mich zu. Aber sehen Sie selbst.“

Unter einem schmucklosen Datenblatt mit wenigen technischen Details zur Lage und Größe von Grundstück und Haus lagen zwei Fotografien. Das eine zeigte ein reetgedecktes Cottage in einem schön angelegten, leicht verwilderten Garten.

Das andere raubte Poppy den Atem. Es war von einer Terrasse aus aufgenommen worden. Der Blick ging über eine weite Flusslandschaft, und ein mit wilden Rosen und Rhododendren bewachsener Hang fiel steil zum Wasser hin ab.

„Wo ist das?“, fragte sie heiser.

„In Hellstone Hollow, einem kleinen Dorf ein Stück flussaufwärts, auf halbem Weg zwischen hier und Malpas.“

„Ist das die ehemalige Bergbauregion?“

„Genau. Da oben geht es weit weniger touristisch zu als bei uns. Das Dorf war halb verlassen, bis vor zehn Jahren allmählich wieder junge Familien hingezogen sind und Leute mit viel Zeit, um die maroden Steinhäuser zu sanieren.“

„Das hier sieht alles andere als marode aus.“

„Es gehört dem Besitzer von Hellstone Hall, Richard Tornycroft. Sein Landsitz konkurriert mit Trelissick um den Titel des schönsten Herrensitzes nördlich von Falmouth.“

Poppy horchte auf. „Tornycroft? Irgendetwas sagt mir der Name.“

„Er ist ein steinreicher Industrieller, ein komischer Kauz, eine Art verrückter Wissenschaftler, heißt es, der ziemlich zurückgezogen lebt. Er sagte mir, seit dem Tod seiner Mutter vor zwei Jahren steht das Haus leer. Sie hatte es vor allem im Winter genutzt, wenn ihr der Palast zu kalt war. Almas Cottage, so heißt es nach der Mutter, scheint sehr gemütlich zu sein, und der Blick … Das Haus steht an einem der wenigen Punkte, wo man nach Süden das Flusstal entlang bis zum Meer schauen kann.“

„Es müssen fast vier Meilen bis zur Mündung sein, unglaublich.“ Andächtig nahm Poppy das Foto erneut in die Hand. Erst als der Tee gebracht wurde, legte sie es zögernd zur Seite.

Ein paar Minuten lang ließ sich Poppy vom Aroma des Earl Grey ablenken, und auch bei den Scones griff sie zu. Sie teilte das noch warme Gebäck, bestrich es mit Erdbeerkonfitüre und häufte darauf einen Klecks Clotted Cream. Etwas blieb an ihren Fingern hängen, worüber sich Torry freute. Leidenschaftlich leckte er den Rest ab, dann wandte er sich wieder der Schüssel mit frischem Wasser zu, die der Doktor neben dem Esstisch platziert hatte.

Nach den ersten Bissen und einer halben Tasse Tee brach Poppy das Schweigen am Tisch.

„Was will der Herr von Hellstone Hall dafür haben?“ Die Frage kam entschlossen. Poppy hatte in den spärlichen Unterlagen keine Preisangabe gefunden, aber die Bemerkung des Doktors kam ihr in den Sinn.

Hammett zuckte die Achseln. „Nach dem Brexit haben die Preise nachgelassen, sogar in Cornwall. Und wie gesagt, Hellstone Hollow liegt etwas abseits. Es gibt ein paar Bergwerkmonumente in der Umgebung, aber die sind nicht so berühmt wie Perran und Devoran. Außerdem sind manche Gebiete gesperrt, weil Einsturzgefahr besteht.“

Poppy ignorierte die Erläuterung. „Wie viel?“ Sie wappnete sich. Zu oft war ihr Plan an dieser entscheidenden Schwelle ins Stolpern geraten und musste verworfen werden.

Hammett ließ sich Zeit. Er trank einen Schluck Tee, tupfte sich die Lippen mit der Serviette aus gestärktem Leinen ab und lehnte sich genüsslich zurück.

„Zweihundertfünfzigtausend Pfund.“

Poppy ließ ihr Scone fallen; es klatschte mit der Cream-Seite auf das blank polierte Eichenparkett, ohne Spuren zu hinterlassen, denn Torry hatte es im nächsten Moment restlos vertilgt.

Sie starrte Hammett an. „Das kann nicht sein. So etwas kostet sonst das Vierfache, mindestens.“

„Stimmt.“ Der Theatermann schien die Wirkung des Angebots zu genießen und schmunzelte. „Aber nicht für Sie.“

„Warum?“

„Weil ich dem Besitzer die schöne Geschichte von einer armen Künstlerin mit viel Potenzial und unstillbarer Cornwall-Sehnsucht erzählt habe. Der Mann ist schwerreich. Es schien ihm zu gefallen, als Förderer dazustehen.“

„Nichts dagegen!“ Poppy schob Teller und Tasse zur Seite und nahm sich die Unterlagen noch mal vor. Sie betrachtete sie von allen Seiten, als ob sie einen Fehler entdecken könnte. Dann stapelte sie alles sorgfältig aufeinander.

„Eigentlich wollte ich nach meinem Besuch hier nur kurz an den Strand fahren.“

„Sie können auch in Hellstone Hollow schwimmen gehen. Der Ort hat Zugang zum River Fal.“

„Sie sind ein guter Verkäufer, Peter.“

„Ich glaube eher, das verkauft sich von selbst.“

Poppy rieb sich die Augen. „Das muss ich erst mal verarbeiten, dann rufe ich Barney an, und danach fahre ich zum Baden an den River Fal!“ Sie stand auf, ging um den Tisch herum, umarmte Hammett und drückte ihm einen Kuss auf die glatt rasierte Wange. „Danke, Peter, das vergesse ich Ihnen nie!“

„Gern geschehen.“ Er spitzte die Lippen und sagte betont förmlich: „Falls es Sie tatsächlich zu uns an die Küste verschlagen sollte, darf ich dann die Hoffnung hegen, Sie und Ihren Mann in den Kreis unseres Theatervereins aufzunehmen?“

„Dürfen Sie! Vielleicht spielen wir sogar mit.“

Hammett klatschte in die Hände. „Oh ja, bitte! Ihr Mann auch?“ Poppy grinste, sie wusste, dass er ein heimlicher Verehrer von Barney war. „Als Nächstes will ich A Room with a View auf die Bühne bringen.“

„Wenn das nicht passt …“

4

Nachdem sich Poppy von den beiden Männern verabschiedet hatte, überfiel sie vor der Tür die ganze Pracht des Augustnachmittags. Das Polster des Cabriolets war so heiß, dass sie sich in ihren weißen Shorts die Oberschenkel verbrannte. Rasch deponierte sie die Unterlagen im Handschuhfach und stieg wieder aus.

„Ich brauche einen klaren Kopf. Torry, lass uns zum Hafen runterlaufen.“

Er rannte voraus, froh darüber, nicht wieder ins Auto klettern zu müssen.

Nach hundert Metern überquerten sie die Uferstraße North Parade und erreichten den Falmouth Yacht Haven. Poppy liebte den Bootsanleger in der Mündung des River Fal, mit der Stadt im Rücken und den grünen Hügeln von Flushing gegenüber am Nordufer.

Hier war es deutlich kühler als in den engen Straßen, auch an heißen Tagen sorgte die Thermik vom Meer herauf für Erfrischung.

Poppy schlenderte an den Stegen entlang, betrachtete die prächtigen Jachten und lauschte dem vielstimmigen Klicken der Wanten und dem Quietschen der Poller. Es war auflaufendes Wasser, und die Boote zerrten an ihren Leinen.

Als ob sie darauf warteten, losgemacht zu werden und in See zu stechen, dachte Poppy. Gerade fühle ich mich wie eins von ihnen. Ich möchte, dass etwas passiert, aber allein kann ich es nicht und will es auch nicht.

Sie griff nach dem Smartphone und wollte Barneys Nummer wählen, als im Augenwinkel zwei vertraute Gesichter auftauchten.

Rasch drehte sie sich um und stand vor Pat und Cary.

Cary grinste sie freundlich an, Pat drückte ihm den Griff des Kinderwagens in die Hand, umrundete das voluminöse Gefährt und umarmte Poppy. Kläffend rannte Torry um die Gruppe herum.

„Anschleichen leider missglückt!“, rief Pat. „Wir hatten dich schon eine Weile beobachtet.“ Sie deutete nach oben, wo auf der Terrasse der Upperdeck-Bar reger Betrieb herrschte.

„Was machst du …?“ – „Wie kommt ihr …?“ Die Frauen redeten gleichzeitig drauflos und lachten. Pat betrachtete Poppy. „Du siehst gut aus, etwas blass vielleicht. Ich glaube, dir fehlen Sonne und Meer.“

„Sehr sogar. Und du, Pat? Dir scheint überhaupt nichts zu fehlen. So ein süßes Baby und dazu ein attraktiver Mann an deiner Seite.“ Poppy lächelte Cary an, und der grinste zurück. Pat blieb ernst. „Heute Morgen ist Bruce ausgezogen. Er will sich weiter um das Hotel kümmern, aber ich weiß nicht, ob ich es aushalte, ihn jeden Tag zu sehen.“

„Was ist denn passiert?“

„Eigentlich nichts Besonderes, die gleiche Lieblosigkeit wie immer. Allerdings weiß ich jetzt, dass er eine Freundin hat, in St Ives, er ist ständig weg.“ Sie seufzte. „Auch in der Hotelküche lässt er sich immer seltener blicken.“ Sie schmiegte sich an den breitschultrigen Mann neben ihr. „Zum Glück habe ich Cary.“

Der legte den Arm um sie. „Pat muss sich keine Sorgen machen. Ich habe nicht nur meine Fischerboote, sondern auch zwei Restaurants hier in Falmouth und eins drüben in Flushing“, sagte er stolz. „Da trete ich gerne einen meiner Köche ab. Die zaubern dir ein mindestens so tolles Menü hin wie Bruce.“

Aus dem Kinderwagen reckten sich zwei Ärmchen, begleitet von einem energischen Krähen.

„Georgina, mein Schatz! Keiner beachtet dich, das darf nicht wahr sein!“ Pat hob das Baby hoch. Als es Torry entdeckte, wurde es still und ließ ihn nicht mehr aus den Augen.

„Sie sieht aus wie Bruce“, sagte Poppy spontan, und biss sich erschrocken auf die Lippen.

Pat schien nicht beleidigt zu sein und schmunzelte. „Das sagen alle. Die schwarzen Löckchen und das fliehende Kinn. Mal sehen, was draus wird.“ Sie küsste das Baby und legte es wieder in den Wagen, womit es nicht einverstanden zu sein schien. Die heitere Miene verdüsterte sich. „Georgina hat immer Hunger, ich glaube …“

Poppy sah auf die Uhr. „Ich will euch nicht aufhalten. Ich muss mit Barney telefonieren, und dann steht noch ein Ausflug ins Hinterland auf dem Programm.“

Pat betrachtete Poppy mit zusammengekniffenen Augen.

„Was machst du eigentlich hier? Hattest du dir nicht ein Cornwall-Verbot auferlegt?“

„Das gilt auch noch. Aber ich war heute in meiner Therapiestunde bei Dr. Trelawney.“

„Wegen deiner Träume?“, fragte Pat besorgt.

Poppy nickte. „Ja, es geht mir inzwischen besser damit. Es ist nur … Heute ist etwas passiert.“

„Nicht schon wieder ein Kriminalfall?“

Poppy grinste schief. „Dass alle immer das Gleiche denken, kaum setze ich einen Fuß auf diesen gesegneten Boden. Nein, mir wurde heute ein Haus angeboten.“

Pat griff nach ihrer Hand, sie kannte Poppys Sehnsucht. „Das ist ja wundervoll! Wo ist es?“

„Nur ein paar Meilen von hier.“ Poppy blieb vage. Sie spürte, dass es noch viel zu früh war und sich das Projekt noch reichlich unkonkret anfühlte.

„Bitte halt mich auf dem Laufenden, auf jeden Fall drücke ich dir die Daumen.“ Pat senkte die Stimme ein wenig. „Was meint Barney dazu?“

„Er weiß noch nichts davon.“ Poppy seufzte.

Pat zwinkerte ihrem Begleiter zu. „Nimmst du Georgina und lässt uns einen Moment allein?“ Der nickte verständnisvoll, übernahm das Baby, das sich sofort an ihn schmiegte, und ging mit ihm in den Schatten des Clubhauses.

Poppy sah ihm hinterher. „Dein Cary ist wirklich ein Schatz, und ein Händchen für Kinder scheint er auch zu haben. Und wenn ich das so sagen darf, schaut ihr beide euch ziemlich verliebt an.“

Pat nickte versonnen. „Wenn das alles nicht so verwickelt wäre … Aber reden wir von dir. Wir sind Freundinnen, auch wenn wir in letzter Zeit nicht viel voneinander hatten.“

Poppy zuckte die Achseln. „Barney bestand darauf, dass ich die Cornwall-Pause einlege.“

„Und du?“

„Ich weiß nicht. Es hat uns beiden gutgetan, wieder mehr Zeit füreinander zu haben. Wir bringen unser Geschäft voran, teilen die meisten unserer Ansichten und haben viele gemeinsame Freunde. Trotzdem beschäftigt mich da etwas.“ Andächtig betrachtete sie Cary, wie er Georgina in seinen Armen wiegte. Pat schien den Blick zu bemerken. „Und das ist nicht nur ein hübsches Häuschen in Cornwall, liege ich da richtig?“, fragte sie leise. Poppy seufzte. „Es fing mit deiner Schwangerschaft an, Pat. Ich freute mich für dich, und gleichzeitig versetzte es mir einen Stich. Ich hielt es für eine vorübergehende Laune, aber …“

„Poppy, wie alt bist du? Sechsunddreißig? Es ist das Normalste auf der Welt. Was meint Barney dazu? Sprecht ihr darüber? Er ist fast fünfzig, soweit ich mich erinnere. Da könnte so ein Thema mal akut werden.“

„Wurde es aber nicht. Bis vor ein paar Monaten war das auch für mich keine Frage, und es hat mich eher genervt, wenn meine kinderwagenschiebenden Freundinnen mich darauf ansprachen. Ich liebe unser Leben, wie es ist. Ich bin dauernd unterwegs, in Flexers Galerie, bei Vernissagen und Exkursionen; Barney bleibt lieber zu Hause, liest die Times und sieht sich alte Filme an.“

„Ihr seid fast eine halbe Generation auseinander.“

Das Argument hatte Poppy von ihren Freundinnen oft gehört. „Klar, Pat, doch das hat mich von Anfang an gereizt. Ich liebe nun mal graue Schläfen. Und ich kann dir sagen, dass es uns nicht davon abhält, fast jede Nacht leidenschaftlich übereinander herzufallen.“

„Und wenn du einfach mal die Pille vergisst?“

„Nein, das würde ich Barney nicht antun“, antwortete sie, obwohl der Gedanke ihr ein leichtes Prickeln versetzte. „Es muss einen anderen Weg geben.“

„Ganz einfach, sprich ihn an.“

„Das sagst du so.“

„Ein bisschen kenne ich euch beide, Poppy. Ich kann mich nicht erinnern, dass Barney sich jemals geäußert hätte, er habe etwas gegen Kinder.“

Poppy nickte. „Ich glaube, es liegt daran, dass ich mir selbst nicht hundert Prozent sicher bin.“

„Hundert Prozent? Was erwartest du von dir?“

„Keine Ahnung. Im Moment weiß ich noch nicht einmal, wo ich leben möchte, in London oder in Cornwall.“

„Auch das ist eine Frage, die ihr besser zusammen lösen solltet.“

„Du hast ja recht, Pat, wie kommt es, dass du plötzlich so weise bist?“