Potenzial und Weisheit kollektiver Intelligenz - Lukas Hohler - E-Book

Potenzial und Weisheit kollektiver Intelligenz E-Book

Lukas Hohler

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Beschreibung

Digitale Transformation, globale Krisen und politische Veränderungen sind nur einige der Treiber, die Organisationen dazu zwingen flexibler, anpassungsfähiger und innovativer zu werden. Auf der strukturellen und strategischen Ebene ist dieses Bewusstsein schon lange angekommen. Schwieriger ist es, die Kultur einer Organisation zu entwickeln. Gerade dort aber müssen neue Organisationsformen, Arbeitsweisen oder der Purpose letztendlich gelebt und angewandt werden. Der von Lukas Hohler entwickelte Grundkraft-Prozess ist ein strukturiertes Verfahren, das für Teams und Gruppen aller Art gut anwendbar ist; ein praktisches Werkzeug, um die Kultur einer Organisation unter Einbeziehung aller Mitwirkenden weiterzuentwickeln und bestehende Schwachstellen aufzulösen. Durch acht systematische Schritte wird es möglich, auf die kollektive Intelligenz und damit auf die Grundkraft einer Organisation zuzugreifen. So wird mit Leichtigkeit, Tiefgang und Effizienz kulturelles Vorankommen ermöglicht und gewährleistet. Eine zeitgemäße und konkrete Antwort auf den zunehmenden Agilitäts- und Innovationsdruck.

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Lukas Hohler

Potenzial und Weisheit kollektiver Intelligenz

Der Grundkraft-Prozess für Organisationen

Copyright: © 2021 Lukas Hohler

Lektorat: Erik Kinting – www.buchlektorat.net

Satz: Erik Kinting

Umschlaggestaltung & Illustrationen: Philipp Schubiger

Titelfoto: Polina Kuzovkova, unsplash.com

Autorenfoto: Kawira Nyaga

Verlag und Druck:

tredition GmbH

Halenreie 40-44

22359 Hamburg

978-3-347-23915-9 (Paperback)

978-3-347-23916-6 (Hardcover)

978-3-347-23917-3 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Der Autor

Lukas Hohler beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit zwischenmenschlichen Herausforderungen. Er hat in den USA und der Schweiz Prozessorientierte Psychologie nach Arnold Mindell studiert und einen M. A. in Conflict Resolution der Antioch University (Yellow Springs, Ohio, USA).

Mit Leidenschaft zieht es ihn immer wieder unter die Oberfläche von Spannungsfeldern, wo er gelernt hat, auf das kreative Potenzial von Herausforderungen zuzugreifen. Als Entwickler von Weiterbildungsprogrammen – u. a. für Führungs- und Lehrkräfte – ist er Autor diverser Handbücher. Als Unternehmer hat er mit www.grundkraft.net eine Trägerorganisation für die von ihm entwickelten methodischen Ansätze aufgebaut und 2008 die Organisation www.schulkraft.ch gegründet. Als Coach, Facilitator, Kulturentwickler und Dozent war und ist er in verschiedenen Ländern Europas, Afrikas und Nordamerikas tätig.

Lukas Hohler ist verheiratet und lebt in Zürich. Er engagiert sich in verschiedenen Zusammenhängen dafür, dass zwischenmenschliche Herausforderungen nicht als Endpunkt einer Fehlschaltung gesehen, sondern als Ausgangspunkt für eine Entwicklung behandelt und genutzt werden.

Inhalt

Danksagung

Vorworte

Ohne Spannung keine Energie – Organisationskultur im Wandel

Die Digitale Transformation braucht den Menschen

Ein Kreis schließt sich

Die Grundlagen des Grundkraft-Prozesses

Herleitung

Persönliche Herleitung

Was habe ich gelernt?

Die innere Haltung eines offenen Gasthauses

Entpersonalisieren von Erfahrungswelten

Etwas Magisches kann geschehen

Theoretische Grundlagen

Das Modell der drei Ebenen der Realität

Konsensrealität

Feldrealität

Essenzrealität

Deep Democracy (Tiefe Demokratie)

Die vier Konfliktphasen

Konfliktphase 1: Harmonie und Verdrängung

Konfliktphase 2: Ich/Wir gegen das andere

Konfliktphase 3: Ich/Wir mit dem anderen

Konfliktphase 4: Empathie und Metaposition

Vor- und Nachteile der vier Phasen

Konfliktphase 1: Von Gemeinschaftsgefühl bis Scheinharmonie

Konfliktphase 2: Von klaren Positionen bis zur Eskalation

Konfliktphase 3: Von der Grundkraft bis zur Verwässerung

Konfliktphase 4: Von der Kohärenz bis zum Verlust der Bodenhaftung

Fazit

Push- und Pull-Faktoren

Push: Konflikte und Disruption

Pull: Purpose und Vision

Kontextualisierung: Es geht um Kulturentwicklung

Die Bedeutung von Agilität und warum die Umsetzung große Schwierigkeiten bereitet

Metathese: Keine Agilität ohne Persönlichkeits- und Kulturentwicklung

These 1: Ein neuer sozialer und persönlicher Referenzrahmen ist erforderlich

These 2: Konflikte sind Ressourcen

These 3: Macht ist keine Konstante

These 4: Führung bedeutet Kohärenz schaffen und facilitieren

Agilität und der Grundkraft-Prozess

Zur Notwendigkeit von Innovationskulturen und welche Voraussetzungen dafür nötig sind

Schutz: Psychologische und emotionale Sicherheit / Vertrauen

Vielfalt: Diversität, Inklusion und Zugehörigkeit

Lernen: Eine neue Fehlerkultur

Kollaboration: Verständnis und Kompetenzen für die Zusammenarbeit

Leichtigkeit: Die Möglichkeit und Fähigkeit zu spielen, kreative Ideen zu entwickeln und der Mut zum Experiment

Rahmen: Strukturen, Zeit, Gefäße und Räume

Innovation und der Grundkraft-Prozess

Die Wichtigkeit der Kohärenz und wie ein gemeinsames Referenzsystem entstehen kann

Kohärenz braucht Führung

Kohärenz und Resilienz

Mitarbeiterengagement

Das ewige Problem der fehlenden Wertschätzung und Empathie

Der Ablauf des Grundkraft-Prozesses

Ablauf im Überblick

Vorbereitung: Wozu, wo und wie lange

Durchführung: Acht Schritte

Nachbearbeitung: Nächste Schritte erkennen, definieren und ermöglichen

Ablauf im Detail

Details zur Vorbereitung

Wozu das Ganze?

Welches Spannungsfeld bearbeiten wir?

Mögliche Anwendungsfelder

Innovation

Konflikte

Change Prozesse und Kulturentwicklung

Prozessplanung für die Durchführung

Facilitation

Zeitrahmen

Setting

Räumliches Setting

Virtuelles Setting

Details zur Durchführung

1. Feldanalyse: Identifizieren von Rollen und Geistrollen in einem Spannungsfeld

Das Erkennen und Benennen von Rollen

Das Erkennen und Benennen von Geistrollen

2. Mapping: Erstellen der Rollenlandkarte

3. Priorisieren: Welche Rollen hacken wir?

4. Hacken der Rollen in Kleingruppen

Grundübung zum Rollen-Hacken

Empathie für die Rolle aufbauen

Fragen an die Rollen

Zum Hintergrund der Fragen

5. Hacken der Rollen im Plenum

Klärungsfragen

Die Kleingruppen durch die Fragen führen

Hotspots

6. Die Netze einholen

7. Bull’s Eye

8. Abschluss und Framing

Details zur Nachbearbeitung

Die Ernte einfahren: Ziele der Nachbearbeitung

Kohärenz: Bedeutung schaffen

Emergenz: neue Wege erkennen

In der Gruppe und im Spannungsfeld

Auf den Hotspot-Parkplatz

Analyse: Schlussfolgerungen zur Weiterentwicklung

Rangdynamik im Spannungsfeld

Nutzen der Konfliktfelder

Nicht gehackte Rollen

Rückmeldung aus der Nachbereitung

Fallbeispiele

Recht und Innovation

Von Regeln zu Haltungen

Internationale Zusammenarbeit auf dem Prüfstand

Aus dem Streit in die Zusammenarbeit

Zurück zur Friedensarbeit

Rassismus besprechbar machen

Anhang

Organisatorische Checkliste für einen Grundkraft-Prozess

Ort der Durchführung: Ausstattung und Services

Material Facilitator/innen

Checkliste zum Rollen-Hacken

Arbeitsauftrag zum Hacken von Rollen in Kleingruppen

Weitere Fragen, die sich als hilfreich erwiesen haben:

Das berühmte Gedicht von Rumi

Das Gasthaus

Kontakt

Danksagung

Wie die meisten Bücher wäre auch dieses nicht ohne Unterstützung entstanden. Ich möchte alle, die daran mitgewirkt haben, an dieser Stelle namentlich erwähnen und mich von Herzen für die wertvolle Unterstützung bedanken.

Elke Schlehuber hat mich sehr ermutigt, dieses Buch zu schreiben. Ihr Feedback zur ersten Fassung war wegweisend und schließlich hat sie mit ihrem Vorwort dazu beigetragen, das Buch abzurunden.

Thomas Diener und Patrik Neuhaus haben frühe Versionen dieses Buches gelesen und mir genau die Anregungen gegeben, die notwendig waren, um es auf Linie zu halten. Merle Runge und Jonas Blecher haben mich von Anfang an ermutigt, meine frühen Gedanken und Experimente zu einem neuen Gruppenprozessverfahren weiterzuentwickeln und haben auch selbst immer wieder damit experimentiert. Merle Runge hat mir überdies ein schönes Fallbeispiel zugetragen. Jonas Blecher hat sich während der Arbeit an diesem Buch mit großer Leidenschaft als Pingpongpartner eingeschaltet und mir als erfahrener Anwender des Grundkraft-Prozesses detaillierte Rückmeldungen gegeben. Mit ihm habe ich das eine oder andere Detail zum Verfahren noch einmal verfeinert. Auch er hat ein spannendes Fallbeispiel beigetragen.

Die Diskussionen mit Stefan Metzger haben geholfen, den größeren Kontext meiner Arbeit zu vertiefen; auch über sein Vorwort bin ich sehr erfreut.

Thomas Schluep und Mille Bojer haben mir wertvolle Rückmeldungen zu den Fallbeispielen gegeben.

Ohne die enge Zusammenarbeit mit Angelika Kofler hätte ich den Inhalt dieses Buches nie so stringent hingekriegt, wie er jetzt daherkommt.

Philipp Schubiger schließlich hat mit seinem visuellen Feingefühl die Bilderwelt und den Umschlag gestaltet.

Über die unmittelbare Mitwirkung am Buch hinaus will ich auch weitere prägende Quellen meiner Inspiration würdigen:

Ohne Arnold Mindell und seine Entwicklung der Prozessarbeit wäre ich wohl nie auf die Bahnen eingebogen, auf denen ich jetzt unterwegs bin. Er hat mich als Lehrer, Supervisor, Therapeut und Wegbegleiter stets unterstützt und ermutigt, meinen ganz eigenen Weg durch das Leben zu gehen.

Max Schupbach hat mich fundamental dazu inspiriert, beruflich aufzubrechen, und war mir auf diesem Weg immer ein Vorbild. Überdies hat er mir zu vielen inspirierende Metaphern verholfen.

Timmy Myers hat mich gerade am Anfang meines beruflichen Werdegangs immer wieder liebevoll, aber bestimmt, ins Feuer geführt und mich angestachelt, meine Erkenntnisse aufzuschreiben.

Joe Goodbread war mit seinem Wissen und Humor ein wichtiger Partner, als ich mein erstes Methodenhandbuch schrieb.

Die jahrelange Zusammenarbeit mit Alexandra Vassiliou hat mich als Facilitator befähigt, mit einer Mischung aus Feingefühl und Klarheit auf den Punkt zu kommen. Sie hat auch immer die Entwicklung meiner Ideen konsequent unterstützt und angereichert.

Nader Shabahangi hat mich in San Francisco das Mindset des Entrepreneurs gelehrt, als ich ihm zwei Wochen auf Schritt und Tritt in seiner Rolle als Unternehmer und CEO überallhin folgen durfte, um dann mit ihm meine Erlebnisse und Gedanken bis in die Nacht zu diskutieren und im Anschluss mein erstes eigenes Unternehmen Schulkraft zu gründen.

Ohne meine Eltern Ursula und Franz Hohler wäre ich erstens schon einmal gar nicht hier und zweitens haben sie mir durch ihr eigenes kreatives Schaffen ein Selbstverständnis mitgegeben, im Leben das zu tun, was einen interessiert, und sich der Welt damit ohne Wenn und Aber zuzumuten.

Schliesslich bedanke ich mich von ganzem Herzen bei meiner Lebenspartnerin Kawira Nyaga. Immer wieder erfasst sie die Essenz meines Wesens, ermutigt und fordert mich heraus, mit den Erfahrungen in Verbindung zu bleiben, die wirklich zählen.

Vorworte

Der Grundkraft-Prozess ist aus meiner langjährigen Arbeit entstanden und wird in diesem Buch als Werkzeug für die Arbeit mit Gruppen und zur Kulturentwicklung in Organisationen vorgestellt.

Als Auftakt habe ich zwei Kolleg/innen mit unterschiedlichem Hintergrund und Erfahrungsspektrum gebeten, sich durch ihre Perspektive auf meine Sicht der Dinge zu beziehen: Elke Schlehuber und Stefan Metzger.

Elke Schlehuber ist eine erfahrende Organisationsentwicklerin und Buchautorin, die unzählige Veränderungsprozesse in Organisationen begleitet hat und sehr gut mit deren Komplexität und Tücken vertraut ist.

Stefan Metzger befasst sich als gelernter Maschinenbauingenieur mittlerweile mit den Herausforderungen der Digitalen Transformation, im speziellen mit Smart-City-Entwicklungskonzepten. Beide kommen zu ähnlichen Schlussfolgerungen über die vorrangig anstehenden zwischenmenschlichen Herausforderungen und dazu, wie uns der Grundkraft-Prozess in diesem Rahmen unterstützen kann.

Ohne Spannung keine Energie – Organisationskultur im Wandel

Elke Schlehuber, Development Coach, Organisationsentwicklerin, Facilitatorin, Co-Autorin von »Die heiligen Kühe und die Wölfe des Wandels«

Hierarchische Organisationen sind Konfliktkorsette. – Das sagt eine der vier Thesen zur Agilität, die Lukas Hohler in diesem Buch aufstellt und mit denen er ins Schwarze trifft. Wie oft bin ich in den vergangenen 25 Jahren, in denen ich Teamdialoge moderiere und Organisationen in Veränderungsprozessen begleite, über dieses Phänomen gestolpert. Es ist eine heikle Sache, in einem Team mit einem disziplinarischen Vorgesetzten einen Konflikt zu facilitieren, selbst und insbesondere dann, wenn dieser persönlich gar nicht anwesend ist. Konflikte werden eskaliert, man geht nicht auf einer Peerebene miteinander in den Ring, man erwartet ein klärendes Wort von oben und wenn es über diesen Weg nicht gelingt, weil der oder die Vorgesetzte selbst in den Konflikt verstrickt ist, dann greift die nächste Ebene zu strukturellen Lösungen: andere Aufgabenverteilung, neue Abteilung, Kampfhähne auseinandernehmen, weiter gehts, nichts gelernt.

Wie Macht verteilt ist und wie sie gehandhabt wird, so eine weitere These von Lukas Hohler, verändert sich in einem agilen Umfeld. Das ist auch meine Erfahrung, und zwar für alle. Denn wie von oben nach unten Macht ausgeübt wird, so auch von unten nach oben. Im Zweifelsfall wird man sich unten immer gegenseitig decken. Ist ja klar, denn wenn man den Rückhalt seiner Kolleg/innen verliert, dann steht man ganz alleine da. Das ist eine schlechte Position in einem Team, in dem man sich gegenseitig braucht, um seinen Beitrag zu leisten, ganz davon abgesehen, dass menschliche Nähe nur unter Gleichen möglich ist. Zu Vorgesetzten bleibt eine Distanz, da muss man vorsichtig sein, was man sagt und tut. Wenn wundert es da, dass Feedback- und Fehlerkultur so oft beschworen und so selten gelebt werden.

Wo Hierarchien abgebaut werden, wo Führungsarbeit auf viele Schultern verteilt werden soll, wo Mitarbeitende in multiplen Rollen unterwegs sind – hier Projektmitarbeiterin, dort Linienvorgesetzte, im nächsten Meeting beratende Fachexpertin, wo die Schutzfunktion von Hierarchie wegfällt – stellen sich neue Herausforderungen. Im Idealfall wird Führung dienend, Innovation existenziell, Interdisziplinarität selbstverständlich, Purpose orientierend, werden Selbstverantwortung und Committment selbstverständliche Bedingungen für Erfolg.

All das ist bekannt. Es wird viel darüber gesprochen und geschrieben. Aber wie kommt ein Team, eine Organisation dahin? Wie lassen sich entsprechende Fähigkeiten und Qualitäten entwickeln? Welche Sichtweisen, Frameworks, Methoden können diese Transformation unterstützen? Und braucht man neben neuen Mindsets nicht auch neue Heartsets? Also innere Haltungen, die es uns ermöglichen mit mehr Empathie, Neugier und Offenheit aufeinander zuzugehen und zusammenzuarbeiten?

Lukas Hohlers Methode des Grundkraft-Prozesses ist ein Verfahren, das auch dann angewendet werden kann, wenn es am schwierigsten wird. Dann, wenn eine Organisation mitten drin ist im strukturellen Wandel, wenn Polarisierungen und Konflikte sich häufen, wenn Dilemmata und Spannungsfelder überhandnehmen, wenn Inkongruenzen die Kommunikation erschweren, wenn die Neigung zu gegenseitigen Schuldzuweisungen steigt und der soziale Zusammenhalt in Gefahr ist, wenn Innovation längst überfällig ist. So wie Münchhausen sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht, ermöglicht der Grundkraft-Prozess einer Gruppe mit den Themen, Kräften und Polarisierungen, die konkret auf sie einwirken und sie am meisten herausfordern, live und in Echtzeit zu arbeiten. Für eine Gruppe und alle ihre Mitglieder ist es eine zutiefst transformative Erfahrung, einen Prozess zu durchlaufen, in dem es gelingt, sich den Kräften, die am Anfang als konfliktbehaftet, vielleicht unüberwindbar galten, gemeinsam zu stellen, sie zu meistern und schließlich als innovativ, erneuernd und ermächtigend zu erleben. Diese Erfahrung verändert das Selbst- und Welterleben, sie schafft neue Referenz- und Bezugssysteme. Schließlich sind unser Denken und Fühlen, unser Mindset und unser Heartset Teil dessen, was sich verändert und Teil dessen, was dem Wandel im Weg steht. Der Grundkraft-Prozess macht das erfahrbar und birgt so das Potenzial, Teams und Organisationen nicht nur in der Lösung von Konflikten, sondern auch in Innovationsfähigkeit und Kulturentwicklung zu unterstützen.

Lukas Hohlers Grundkraft-Prozess ist relativ einfach anzuwenden, er braucht lediglich ein wenig Zeit und Raum. Die Voraussetzungen und Gelingensbedingungen, das Verfahren und die Stolpersteine sind in diesem Buch wunderbar beschrieben. Führungspersonen und Teams können das Verfahren sehr gut ohne externe Unterstützung nutzen, nachdem sie den Prozess ein oder zweimal mit externer Facilitation durchlaufen haben.

Im kollektiven Wandel sind wir mittendrin. Mit ziemlicher Sicherheit sind neben anderem unser aller Fähigkeit, Spannungen und Konflikte nicht nur auszuhalten, sondern zu bearbeiten, um die darin verborgenen Informationen freizulegen, entscheidend dafür, wie dieser Wandel verläuft. Ohne Polarisierung keine Innovation, ohne Spannung keine Energie, ohne Energie kein Leben, ohne Leben keine Entwicklung.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Leser/innen, eine spannende, freudvolle und erkenntnisreiche Lektüre und viel Spaß im Experimentieren mit dem Grundkraft-Prozess in Ihrem Wirkungsfeld.

Die Digitale Transformation braucht den Menschen

Stefan Metzger, Chief Digital Officer der Stadt Luzern, Mitinitiator und Gründungsmitglied vom »Smart City Hub« und Member des »Pictet Smart City Advisory Boards«

Es war zu der Zeit, als ich das Smart-City-Programm für ein Technologieunternehmen aufbauen sollte. Mein Team und ich waren überzeugt davon, dass der digitale Wandel uns viele neue Chancen eröffnet und maßgeblich dazu beitragen kann, den Herausforderungen der Gegenwart mit ganz neuen Ansätzen zu begegnen. Mit viel Engagement versuchten wir, die verschiedenen Abteilungen und Bereiche von den Synergien in unserem Unternehmen zu begeistern. Wir zeichneten Zielbilder und zeigten auf, wie alle bestehenden Produkte und Lösungen ineinandergreifen und uns ganz neue Möglichkeiten eröffnen könnten. Doch unsere Begeisterung stieß nicht auf das erhoffte Echo. Viel hartnäckiger als angenommen mussten wir einen Umgang damit finden, dass trotz allgemeiner Zustimmung ganz vieles in den einzelnen Themensilos zu verharren schien. Hier galt nach wie vor: jeder Silo für sich, den Blick konsequent nach vorne auf das eigene bekannte und vorgeplante Umfeld gerichtet.

Es wollte uns einfach nicht gelingen, mit unseren guten sachlichen Argumenten und der Vermittlung von Sinnhaftigkeit dieses Bereichsdenken aufzubrechen und die Entscheidungsträger zu überzeugen, mutige Entscheide zu fällen. Offenbar tun wir uns schwer, ergebnisoffen aufeinander zuzugehen und gemeinsam an neuen, besseren Lösungskombinationen zu arbeiten. Sehr wohl hat die Digitalisierung alle Bereiche erfasst und man ist bemüht, einzelne Elemente, Prozesse oder Produkte digital zu transformieren, doch warum tun wir uns so schwer, diese Dinge miteinander zu kombinieren und Synergien zu nutzen? Warum bekommen wir immer wieder die Antwort, dass das alles grundsätzlich Sinn macht, aber eben doch nicht so einfach ist? Es wird think big, start small gepredigt, doch leider bleibt es dann meist beim start small und schrittweise beginnt sich dann auch das Denken auf think small zu reduzieren. Man spricht von Fokussieren und meint damit indirekt, in seiner eigenen Themenwelt zu bleiben. Warum tun wir uns so schwer, über den vielbesagten Tellerrand hinaus zu denken und mutig voranzuschreiten?

Wie es der Zufall manchmal will, habe ich zu dieser Zeit damit begonnen, mich regelmäßig mit Lukas auszutauschen. Wir haben viel über die Menschen gesprochen, über ihre Motivation und Motive, die oft dazu führen, das eine zu sagen und das andere zu tun. Trotz unseres doch sehr unterschiedlichen Hintergrundes trafen Lukas’ Faszination für die Dynamik der Arbeitswelt mit all ihren neuen Themen und mein Wunsch nach besserem Verständnis für die Mitmenschen in einer äußerst fruchtbaren Art und Weise aufeinander. Wir kamen immer mehr zu der Erkenntnis, dass man die Digitale Transformation mit den letztendlich grundlegend menschlichen Entscheidungsprozessen verknüpfen muss, um wirklich etwas bewegen zu können. Das war der Start zu vielen inspirierenden Zusammentreffen mit Lukas.

Ich beschäftige mich schon seit einigen Jahren mit der Digitalen Transformation. Im Glauben, dass es dabei um IT ginge, hielt sich meine Begeisterung dafür anfänglich in Grenzen. Mir war die greifbare Technik als Maschinenbauingenieur immer viel lieber als die abstrakte IT-Welt. Doch es kam, wie es kommen musste: die Welten verschmolzen. Alles ist heute irgendwie IT oder eben digital und man kann sich kaum davor verschließen. Im Laufe meiner Entwicklung realisierte ich, dass es bei der Digitalen Transformation um neuartige Prozesse, neue Denkweisen und ganz neue Geschäftsmodelle geht. Es ist wichtig, zu verstehen, dass die Digitale Transformation zwar die Technologie zwingend braucht, letztendlich aber vor allem im Wandel von Geschäftsmodellen und ganzen Firmenkulturen zu verorten ist. Dass dieser Veränderungsprozess immer schneller voranschreitet, ist allerdings dem technologischen Wandel geschuldet. Gordon Moore hat das bereits 1996 im bekannten Moore ’schen Gesetz definiert, das im übertragenen Sinne beschreibt, dass sich die Prozessorleistung der Computer alle zwei Jahre verdoppelt. Der Blick auf die führenden Tec-Firmen aus dem Silicon Valley und zunehmend aus Asien bestätigt, dass diese ihre technologischen Möglichkeiten von Jahr zu Jahr massiv erhöhen. Warum ist es aber so, dass die technologische Beschleunigung nicht stärker mit in einer gesellschaftlichen Entwicklung und Transformation einhergeht, die uns als Menschen näher zusammenbringt und dem Erhalt unserer Existenz dient? Aller Technik und Digitalisierung zum Trotz bleibt die wichtigste Kraft hinter allen Entwicklungen der Mensch. Was wir im Moment sehen und erleben ist ein Pendelausschlag in Richtung der absoluten Technologiegläubigkeit, der aber zunehmend erkennbar wieder zurückschlägt und sich im Sinne einer nachhaltigen und sozialen Entwicklung einpendeln wird.

Die Digitalisierung macht es möglich, dass wir uns zunehmend auf die menschlichen Fähigkeiten konzentrieren und alles andere den Maschinen, Computern und Algorithmen übergeben können. So spricht man in Forschungskreisen nicht mehr nur von AI (Artificial Intelligence) sondern zunehmend von IA (Intelligence Amplification), sprich der Unterstützung der menschlichen Intelligenz, statt diese durch künstliche Intelligenz zu ersetzen. Wenn wir es allerdings verpassen, durch regulierende Maßnahmen die Kontrolle dieser Entwicklung bewusst zu übernehmen, kann diese durchaus auch aus dem Ruder laufen. Überlassen wir den technologischen Fortschritt ungehemmt sich selber, werden wir Charles Darwins Verständnis von survival of the fittest im Alltag immer öfter begegnen. Das hat unlängst die Corona-Pandemie gezeigt, die auf der einen Seite lokale Läden hat sterben lassen, auf der anderen Seite den Onlinehändlern – allen voran Amazon – das beste Geschäftsjahr in der Unternehmensgeschichte beschert hat.

Diese Entwicklung ist im Smart-City-Umfeld immer deutlicher sichtbar. Vor rund 20 Jahren mit absolutem Technologie-Fokus gestartet, versteht man heute unter Smart City viel mehr die sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Entwicklung einer Gemeinde, Stadt oder Region. Die Menschen sind klar ins Zentrum gerückt und man spricht von Human Centered Smart Cities oder Liveable Cities. Das heißt allerdings auch, dass die Menschen das Zepter wieder aktiv in die Hand nehmen müssen. Eine elementare Voraussetzung dafür ist gegenseitige Empathie und Kohärenz. Wenn wir es schaffen, koordiniert und mit gemeinsamem Verständnis neue Lösungen zu entwickeln, dann wird uns die Digitale Transformation langfristig mehr Menschlichkeit bringen und Mehrwert für alle schaffen.

Wir sind also wieder am Ausgangspunkt: Solange wir in unseren Silos verharren und uns auf die vermeintlich bekannten Parameter unseres unmittelbaren Umfelds fokussieren, wird uns die digitale Transformation keine smarten Lösungen bringen. Wir werden sicherlich einiges optimieren können, sprich inkrementell innovieren, wirkliche Innovation entsteht aber vor allem durch die geschickte Kombination unterschiedlicher Perspektiven. Die Herausforderungen unserer Zeit brauchen immer dringender innovative Lösungen. So können wir nicht einfach die Straßen verbreitern und die Züge verdoppeln, um dem zunehmenden Mobilitätsbedürfnis zu genügen. Wenn wir nicht über den vielbesagten Tellerrand hinausdenken und zum Beispiel einerseits neue Arbeitsformen einführen und andererseits in der Raumplanung mehr Durchmischung und Diversität fördern, werden wir die künftigen Herausforderungen im Verkehr nicht lösen können. Hier kann Technologie sicherlich helfen, doch entscheidend wird die Veränderungsbereitschaft der verschiedenen Akteure, also der Menschen im Hintergrund sein.

Digitale Transformation bedeutet Veränderung, wie es im Kern des Begriffes bereits gefasst ist. Veränderung ist immer anstrengend und muss von Menschen gestaltet und getragen werden. Es erfordert von uns Menschen einiges an Offenheit, geistiger Flexibilität und Vertrauen, uns auf wirkliche Veränderungsprozesse einzulassen. Leider fehlt es oft an Mut und Demut, sich der komplexen und zunehmend unsicheren Zukunft zu stellen und diese aktiv zu gestalten. Wir reagieren auf diese Komplexität immer emotionaler, das Bauchgefühl und nicht der Verstand entscheidet. Genau deswegen wird es immer wichtiger, die Menschen hinter den Entscheidungsträgern abzuholen und sie auch auf der emotionalen Ebene miteinzubeziehen.

Genau hier kommt die Methode des Grundkraft-Prozesses wie gerufen. Lukas hat seine Erfahrung aus unzähligen Workshops und der Bearbeitung vieler Konfliktsituationen zusammengetragen und in seiner einfachen und gerade deshalb so wirksamen Methodik adaptiert. Mit dem Grundkraft-Prozess gibt er uns ein Werkzeug an die Hand, das durch ein gut strukturiertes und praktizierbares Verfahren dazu führt, dass wir gemeinsam Empathie und Verständnis für unterschiedliche Erlebniswelten aufbauen, die sich unter der Oberfläche von Positionen oder Rollen befinden. Das geschieht auf eine Art, die es eben gerade auch erlaubt, sich in der ganzen Bandbreite der Erfahrung der Teilnehmenden – kognitiv und emotional – an einem Prozess zu beteiligen, ohne sich dabei Blößen zu geben oder seine hierarchische Position zu gefährden.

Der Grundkraft-Prozess erlaubt es uns, besser zu verstehen, was Menschen antreibt sich so zu verhalten, wie sie es tun. Welche Motive wirken unter der Oberfläche, was treibt an und was schreckt ab? Wenn wir ein gemeinsames Verständnis für die tiefere Erfahrung unterschiedlicher Standpunkte entwickeln, entwickeln wir nicht nur Empathie und Wertschätzung, sondern werden mit großer Wahrscheinlichkeit auch erkennen, dass wir das gleiche Ziel haben. Wir öffnen uns einem gemeinsamen Zweck und Ziel und verlassen die Ebene der eigenen kurzfristigen Interessen und Perspektiven. Wenn wir die aktuellen Entwicklungen auf der Welt betrachten, so erlangt genau dieses Erkennen gemeinsamer Bedürfnisse und Ziele zunehmend Bedeutung.

Auf dieser Grundlage können wir den Schritt in eine lebenswerte Zukunft machen. Wir brauchen das kollektive Wissen, Beziehung und Kohärenz dafür. Technologie wird uns helfen, geografische und vielleicht schon bald auch zwischenmenschliche Distanzen zu überwinden. All das können wir nur bewerkstelligen, wenn wir Disziplinen verbinden, also letztendlich Menschen verbinden. Auch wenn die Digitalisierung erfolgreich in nahezu alle Lebensbereiche Einzug gehalten hat, stehen wir erst am Anfang einer spannenden Reise.

Trotz der großen Ungewissheit beim Blick in die Zukunft kann ich mit zunehmender Überzeugung sagen, dass wir uns – sofern es uns gelingt, den Menschen in seiner Ganzheit in die Digitale Transformation mit einzubeziehen – in eine menschlichere, persönlichere und gemeinschaftlichere Welt bewegen.

Ein Kreis schließt sich

Die Entstehung dieses Buches nahm ihren Anfang mit einer persönlichen Krise vor drei Jahren. Damals stand ich kurz davor, mich als Facilitator1 von Gruppenprozessen zurückzuziehen, da ich für meine Ansprüche zu oft keine befriedigenden Resultate erzielt hatte. Wie ich später noch detaillierter ausführen werde, hatte ich etwas zu lernen: Ich musste die eigene Haltung meiner Erfahrung gegenüber grundlegend verändern. Oder etwas technischer im Sinne dieses Buches ausgedrückt: Ich musste den Referenz- oder Bezugsrahmen verändern, der meiner Erfahrung Bedeutung und Sinn verlieh. Als mir das schließlich gelungen war, begann ich mit neuen Formen der Arbeit mit Gruppen zu experimentieren, immer getrieben von der Frage: Wie kann es gelingen, möglichst effizient auf die kollektive Intelligenz2einer Gruppe zuzugreifen?

Diese Frage hat für mich hohe Relevanz in den Zeiten, in denen wir leben. Die künstliche Intelligenz und die Digitalisierung werden die Arbeitswelt und das Menschsein verändern. Wie schnell und in welchem Ausmaß das geschehen wird, darüber bestehen sehr unterschiedliche Ansichten. Für mich hat dieses Themenfeld aber immer dazu geführt, mir im Angesicht des exponentiellen Wachstums der Digitalisierung die Frage zu stellen, wie wir uns als Menschen auch effektiver weiterentwickeln können, vor allem im Umgang mit unserer kollektiven menschlichen Intelligenz.

Ich richte mich mit diesem Buch an die Organisations- und Unternehmenswelt. Obschon ich den Grundkraft-Prozess in verschiedenen Settings angewendet habe, arbeite ich hauptsächlich im Kontext von Organisationen und Unternehmen. Wenn Sie also in der Geschäftsleitung eines Unternehmens sitzen, Geschäftsführerin eines KMU oder Leiter einer Schule sind, die HR-Abteilung eines Unternehmens führen oder als Berater/in oder Coach in der Organisationsentwicklung tätig sind, dann soll Sie dieses Buch nicht nur zum Denken anregen, sondern über die genaue Beschreibung des Grundkraft-Prozesses auch zum ganz praktischen Handeln befähigen.

Viele der Herausforderungen, denen ich in Organisationen und Unternehmen begegne, passen wunderbar zu meinem Antrieb, effizienter auf die kollektive Intelligenz von Gruppen zugreifen zu können. Die meisten dieser Herausforderungen sind im Kontext globaler Veränderungen entstanden, die im Begriff der VUCA-Welt3 gut zusammengefasst worden sind. Als Berater, Coach und Organisationsentwickler war ich in den letzten Jahren stets darum bemüht, die Wichtigkeit und Bedeutung dieses Begriffs aufzuzeigen. Durch die Covid-19-Krise muss die VUCA-Welt nun nicht mehr erklärt werden, wir haben alle erfahren, was Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und vor allem auch Ambiguität bedeuten.

Wenn wir nun von einer VUCA Welt ausgehen – und eben nicht von einer stabilen, vorhersehbaren, kontrollierbaren und eindeutigen Welt –, dann hat das weitgreifende Konsequenzen. Es wird klar, dass wir als Menschheit herausgefordert sind, uns darauf zu fokussieren, wie wir mit den tiefgreifenden Veränderungen, die wir im Moment erfahren, schnell und agil umgehen können. Wenn sich die Bedingungen auf einen Schlag verändern, bleibt keine Zeit mehr für lange Dienstwege und ausgeklügelte Roadmaps. Nebst unmittelbarem Krisenmanagement sind wir dazu aufgefordert, uns möglichst rasch neu auszurichten und die kreativen und schöpferischen Kräfte ins Zentrum unserer Aktivitäten zu stellen. Wir müssen unsere Organisationen und Unternehmen so entwickeln, dass sie nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken, sondern den anstehenden Herausforderungen begegnen und neue Entwicklungen mitgestalten können.

Ich habe in der Zeit des ersten Lockdowns4 während der Covid-19-Krise im Frühjahr 2020 begonnen, dieses Buch zu schreiben. Ich selbst war in dieser Zeit unter anderem beruflich in engem Kontakt mit einigen Schulen. Unmittelbar nach dem Lockdown beobachtete ich das folgende Phänomen: Die erste kollektive Reaktion bestand in der Projektion der Vor-der-Krise-Zeit auf die Nach-der-Krise-Zeit. Diese impulsive Reaktion ist naturgegeben. Wenn wir uns einer plötzlichen Gefahr gegenübersehen, tendieren wir dazu, uns an den Werkzeugen festzuhalten, die wir kennen und zu nutzen gelernt haben. Leider sind das in den wenigsten Fällen die Werkzeuge, die sich im Umgang mit einer neuartigen Disruption als hilfreich erweisen. Dennoch schien in den ersten Tagen des Lockdowns die Marschrichtung klar: Festhalten am bisherigen! Das war flächendeckend zu beobachten. Erinnern Sie sich an die vielen E-Mails von Organisationen und Unternehmen, die alle in die gleiche Richtung gingen: Auch während des Lockdowns sind wir für sie da … Vergessen sie uns nicht …

Viele Schulen waren in einer ersten Phase darum bemüht, den Unterricht mehr oder weniger gleichartig in den virtuellen Raum zu verschieben, mit der Ambition, die vor dem Lockdown gesteckten Lernziele weiterhin zu erreichen. Diese Bemühungen hatten eine Halbwertszeit von ungefähr einer Woche. Dann tauchte – erst leise, dann immer lauter und schließlich als mehrheitsfähiges Credo – weniger ist mehr im Feld auf. Viele der anfänglichen Ambitionen und Zielsetzungen wurden fallengelassen und andere Werte rückten ins Zentrum. Wie bleiben wir in Beziehung und tauschen uns aus, damit wir uns in dieser ungewöhnlichen Zeit neu erfinden können? wurde beispielsweise als Frage viel zentraler als die Erreichung der Ziele, die vor dem Lockdown gesetzt wurden.

Innerhalb weniger Tage haben wir gemeinsam gelernt, dass wir nicht nur neu denken und handeln, sondern auch unsere innere Haltung neu ausrichten müssen, um in diesen veränderten Rahmenbedingungen wirksam zu bleiben. So schnell kann es also gehen, wenn es sein muss. Das sind großartige Erkenntnisse und Lernschritte. Die Frage ist nun: Was tun wir damit? Nehmen wir uns Zeit und Raum, diese Erkenntnisse zu ernten und auszuwerten, die neu gewonnenen Haltungen und Vorgehensweisen zu verstehen und in unserer Organisationskultur zu verankern? Stellen wir uns mehr auf die gegenwärtige, nicht mehr berechenbare VUCA-Welt ein, als auf das Wunschdenken von einer stabilen und linear planbaren Welt?

Bereits im Sommer dieses Jahres erhielten die ersten Geschichten über plötzliche Veränderung und Innovation einen sentimentalen Anstrich von Räuberpistolen aus einer vergangenen Zeit und viele von uns dachten, wir hätten die Krise jetzt hinter uns. Und gerade als wir zuversichtlich damit begannen, uns wieder in der herkömmlichen Welt einzurichten, erwischten uns die zweite und weitere Wellen und viele Länder bewegten sich wieder in Richtung eines Lockdowns. Es ist, als ob uns die Natur hier eine schmerzhafte Lektion erteilen will: Es gibt kein Zurück in eine stabile Welt.