Praktisch und Nachhaltig - Peter Strack - E-Book

Praktisch und Nachhaltig E-Book

Peter Strack

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Beschreibung

Der Autor zeigt die physikalischen und finanziellen Grenzen des "grünen Wachstums" und einen mit diesen Grenzen kompatiblen nachhaltigen Lebensstil am Beispiel mehrerer 2000-Watt-Quartiere. Das Problem Klimaerwärmung ist seit 50 Jahren bekannt und wird seit 30 Jahren mit großangelegten Konferenzen zu lösen versucht. In diesen 30 Jahren gingen die Treibhausgasemissionen jedoch nicht zurück, sondern haben sich verdoppelt. Dieser Widerspruch deutet auf ein ganz grundlegendes menschliches Problem hin. Selbst nach 30 Jahren Klimakonferenzen hängen immer noch 82% unseres materiellen Wohlstands von billigen fossilen Energien ab! Die Klimaerwärmung können wir nur auf unter 2°C begrenzen, wenn wir freiwillig auf fossile Energien verzichten und bereit sind für klimaneutrale Energien mehr zu bezahlen. Dadurch geht aber der materielle Wohlstand zurück, weil die Produktionsmenge mit dem Energieverbrauch korreliert. In Demokratien werden die Chefs vom Volk gewählt, weshalb weite Bevölkerungskreise das Problem verstehen und gleichzeitig konkrete Lösungen sehen sollten, wie sie zum Beispiel in den am meisten fortgeschrittenen 2000-Watt-Quartieren umgesetzt werden. Wir brauchen eine Philosophie, welche das grundlegende menschliche Problem versteht. Der reichste Mann der Menschheitsgeschichte, J.D. Rockefeller, wurde von einem Journalisten gefragt: "Wie viel Geld brauchen Sie, um zufrieden zu sein?". Seine Antwort: "Einfach immer ein wenig mehr". Die IEA beschreibt diese menschliche Unersättlichkeit mit den Worten: "Steigerungen der Energieeffizienz werden durch Verhaltensänderungen der Menschen zunichte gemacht". Wir brauchen deshalb eine Philosophie, welche den Menschen von seiner Unersättlichkeit, Selbsttäuschung und seiner Tendenz zum Machtmissbrauch gegenüber den Schwachen und der Natur befreit.

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Seitenzahl: 597

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Impressum

Texte: © 2022 Copyright by Peter Strack

Umschlag:© 2022 Copyright by Peter Strack

Verantwortlich

für den Inhalt:Peter Strack

61, rue de la liberté

F - 54300 Lunéville

[email protected]

https://pratiquement-durable.com/de/

Druck:epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Für unsere Großkinder Emmy, Nathan, Mirabelle, Romain und Antonin,

im Hinblick auf das Jahr 2100.

Inhalt

Vorwort

1. Einleitung

Erster Teil:

2. Grenzen der industriellen Zivilisation

2.1. Ersatz der fossilen Energien durch Erneuerbare

Ersatz fossiler Energien durch klimaneutrale Elektrizität

Wirkungsgrade verschiedener Prozesse

Potenzial der Photovoltaik

Liste der Energie-Hypothesen

Schätzung des Investitionsvolumens

Speicherung elektrischer Energie

Investitionsbeträge für die Europäische Union

Konkurrierende Anforderungen

5G – Telefonie, neue Internetfunktionen, Metaverse

2.2. Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch

Wann wird die Grenze der Erdölressourcen spürbar?

2.3. Kernenergie

Mini-Atomkraftwerke (Small Modular Reactors)

Versuchsreaktor mit Kernfusion: ITER

2.4. Politische Verpflichtungen und Wirklichkeit

Klimawandel und Erderwärmung

Übermenschen dank billiger Energie

2.5. Finanzierung der Energiewende, Risiken, Möglichkeiten

Finanzierung der Energiewende der 2000-Watt-Gesellschaft

2.6. Schlussfolgerung industrielle Zivilisation

3. Grenzen des grünen Wachstums

Straßenbau

3.1. Leben mit Wachstumsgrenzen

Zweiter Teil:

4. 2000-Watt-Stadtteile

4.1. Ziele der 2000-Watt-Stadtteile

4.2. Planung eines 2000-Watt Stadtteils

Typischer Mietervertrag

4.3. Soziale Organisation eines 2000-Watt-Stadtteils

Graue Energie

Ernährung

Recycling

Tipps zum reduzieren des Stromverbrauchs

Bekleidung

Schlussfolgerung soziale Organisation

4.4. Mobilität

4.5. 2000-Watt-Stadtteile im Fall einer Epidemie

4.6. Implementierte Techniken

Reduzierung des Stromverbrauchs

Mehrkosten und Finanzierung

Graue Energie und CO2-Emissionen von Baumaterialien

4.7. Beispiel Quartier Kalkbreite

4.8. Finanzen

4.9. Zertifizierung von 2000-Watt-Stadtteilen

4.10. Beschäftigungslosigkeit und 2000-Watt Gesellschaft

4.11. Schlussfolgerung Machbarkeit

5. Wege zur nachhaltigen Landwirtschaft

5.1. Zentrum und Peripherie von Imperien

5.2. Matrix der urbanen Zivilisation

5.3. Eigenschaften von Imperien

Beispiel für die Ausbeutung einer ländlichen Bevölkerung durch eine imperiale Macht

5.4. Produktivistische Agrarpolitik des Imperiums

5.5. Nachhaltige Landwirtschaft

Biologische Produkte, ein Luxus für die Oberklassen?

5.6. Beitrag der Stadtbewohner für die Landwirtschaft

Bedarf an organischem Material

Dritter Teil:

6. Grenzen der materialistischen Philosophie

6.1.Prämissen der vorherrschenden Philosophie

7. Freiheit der 2000-Watt Gesellschaft

7.1.Freie Maschinen?

7.2.Freie Gedanken

7.3.Freiheit der Mächtigen

7.4.Negative Freiheit

7.5. Positive Freiheit

Freiheit und Werte

7.6. Nachhaltige Freiheit?

Gibt es ältere Demokratien mit einer längeren Lebensdauer?

8. Gleichheit von 2000 Watt

8.1. Kulturelle Vorstellungen von Gleichheit

Verbreitete Redewendungen verraten unsere Werte

Gleichheit in der Philosophie der Hebräer und frühen Christen

Gleichheit in der islamischen Philosophie

8.2. Komplexe Gleichheit mit Vielfalt

8.3. Einfache Gleichheit von Klonen

8.4. Identitäten

8.5. Gleichheit des Energieverbrauchs

8.6. Historische Entwicklung des Gerechtigkeitsbegriffs

Mimetismus - Nachahmungsdrang

Historischer Hintergrund des Gerechtigkeitskonzepts

Einfluss der protestantischen Reformation

Moderner Rechtsstaat

9. Gemeinschaftssinn für die Post-Öl-Gesellschaft

9.1. Destruktive Muster für den Gemeinschaftssinn

9.2. Gemeinschaftssinn und Genossenschaften

Konzentration der Macht

9.3.Gemeinschaftssinn ohne Internet

9.4.Restaurative Justiz

Moderner Ursprung der Restaurative Justiz

Modernes Strafrecht und Restauratives Recht im Vergleich

Ziel der Restaurativen Justiz: Befreiung

9.5.Gemeinschaftssinn durch direkte Demokratie

9.6. Verbrüderung mit der Schöpfung

9.7. Schlussfolgerung zu Freiheit mit Gemeinschaftssinn

10. Macht des Geldes über den Menschenverstand

10.1. Die Unersättlichkeit von Mammon

Soziales Kapital lokaler Gemeinschaften

Unterwanderung durch Mammon

10.2. Drei Begriffe von Eigentum

10.3. Wann sind wir mit unseren Besitzen zufrieden?

11. Maschinensklaven

11.1. Ganz kurze Geschichte der Sklaverei

11.2. Bekämpfung der Sklaverei

11.3. Woran sparen Ökonomen?

11.4. Schlussfolgerung zu Maschinensklaven

12. Schlussfolgerung

12.1. Praktische allgemeine Regeln zum Weiterdenken

Wirtschaft

Gesellschaft

Persönlich

Dank

Vorwort

PRAKTISCH UND NACHHALTIG ist das Ergebnis einer langen Reflexion über die notwendige Entwicklung unserer industriellen Zivilisation hin zum postfossilen Energiezeitalter, durchgeführt von Peter Strack, einem Schweizer Ingenieur, der vor 38 Jahren nach Lunéville (Frankreich) kam.

Peter Strack ist ein aufmerksamer und rationaler Beobachter der Entwicklung der Welt und offen für Dialog. Ganz oben auf der Skala seiner Werte stehen die Würde und Freiheit des Menschen, die sich nicht auf eine Mensch-Maschine oder auf einen Konsummenschen reduzieren lassen. Ebenso werden seine Überlegungen und sein Denken begleitet vom Respekt der Natur, der Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung und unsere Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen.

PRAKTISCH NACHHALTIG ist ein tiefgründiges Werk, das in einem ausgewogenen transversalen Ansatz zeigt, wie komplex das Thema ist. Viele Ursache-Wirkungs-Beziehungen sind miteinander verflochten. Der Autor geht methodisch vor und nährt sich dem Thema unter technischen, wirtschaftlichen, finanziellen, politischen, soziologischen und philosophischen Gesichtspunkten.

Der Ansatz von Peter Strack ist bewusst weitläufig. Dabei zeigt er überzeugend, dass es notwendig ist, das Problem von vielen Seiten anzugehen und zu analysieren, um auch zu Vorschlägen mit einer unwiderlegbaren Logik zu gelangen.

Dieser Ansatz hat zwei Vorteile. Er zeigt zuerst, dass wir keine Wahl mehr haben; eine radikale Evolution unserer industriellen Zivilisation ist unerlässlich und unvermeidbar. Er erklärt zweitens, dass große Umwälzungen der Gesellschaft auf uns warten und dass sich unser Verhalten tiefgreifend ändern sollte.

Um seine Überlegungen zu bestimmten Aspekten dieses umfangreichen Themas zu vertiefen, hatte Peter Strack bei Bedarf den Rat anerkannter Spezialisten eingeholt. Diese kluge Vorkehrung zeigt sich in der Qualität der geleisteten Arbeit. Dieses Buch sollte Schritt für Schritt gelesen und verstanden werden, denn alles hängt zusammen.

Im ersten Teil demonstriert der Autor deutlich, dass es nicht möglich ist, alle derzeit verwendeten fossilen Energien innerhalb der zur Vermeidung einer Klimakatastrophe erforderlichen Zeit durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Dies ist vor allem dann nicht möglich, wenn man von einem konstanten oder sogar wachsenden Energieverbrauch ausgeht. Selbst die Annahme eines konstanten Energieverbrauchs bedeutet extrem niedriges Wirtschaftswachstum oder sogar eine lang andauernde Rezession.

Nichts zu tun oder die Flucht nach vorn im Namen der Wachstumsideologie unbedacht fortzusetzen und damit den Ausstoß von Treibhausgasen (THG) in die Atmosphäre weiter zu erhöhen, wird unweigerlich zu einer ökologischen, klimatischen, wirtschaftlichen und sozialen Katastrophe führen. Es wäre ein verantwortungsloses und würdeloses Verhalten unserer Generation gegenüber zukünftigen Generationen.

Was also tun, wenn wir unmöglich bis 2050 alle fossilen Brennstoffe durch erneuerbare ersetzen können? Was also tun, wenn ein endloses Wachstum bei gleichzeitiger Reduzierung der Treibhausgase unmöglich ist? Diese Frage stellt sich uns mit aller Schärfe.

Der zweite Teil des Buches zeigt anhand von Beispielen, dass es praktische Lösungen gibt. In diesem zweiten Teil führt der Autor den Leser dazu, zunächst die sich einem rational denkenden Menschen aufdrängenden Lösung zu untersuchen: Der Gesamtenergieverbrauch soll so weit reduziert werden, dass die restlichen fossilen Brennstoffe durch erneuerbare Energien ersetzt werden können.

Inspiriert von der Pionierarbeit eines Instituts der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) beschreibt der Autor auf technischer Ebene, wie weit der Energieverbrauch zurückgehen sollte. In unseren Breitengraden stünde jedermann eine durchschnittliche nachhaltige Konstantleistung von 2000 Watt zur Verfügung, was einem Gesamtenergieverbrauch (Haushalt, Ernährung, Reisen, persönliche Aktivitäten, graue Energie etc.) von 48 kWh/Tag/Person entspricht. Das entspricht etwa einem Drittel des Energieverbrauchs eines Schweizers im Jahre 2010 (150 kWh/Tag/Person). Der Rückgang ist beträchtlich und eine entsprechend große Herausforderung an uns alle.

Besonders willkommen an dem Buch ist, dass zunächst konkrete Lösungsbeispiele in Form von erfolgreichen 2000-Watt-Quartieren dargestellt werden. Heute gibt es eine Reihe solcher. Sie werden im Buch ausführlich vorgestellt. Die Überzeugung von Peter Strack ist verständlicherweise, dass wir uns davon inspirieren lassen sollten.

Nach der Vorstellung einiger 2000-Watt-Quartiere listet der Autor alle Bereiche auf, die ein erhebliches Potenzial zur Energieeinsparung, oder genauer gesagt zur Vermeidung von Energieverschwendung, bieten. Die Analyse ist ausführlich dokumentiert und wiederum überzeugend.

Alle Bereiche werden untersucht: Wohnen, Mobilität, Verbrauchsgewohnheiten (die Herstellung eines Smartphones benötigt beispielsweise 250 kWh Energie, der Stromverbrauch eines Smartphones beträgt 2 kWh/Jahr. Alle 2 Jahre ein neues Smartphone anzuschaffen ist eine energetische Häresie), die uneingeschränkte Zunahme des Maschinenparks, Datenzentren und elektronischer Geräte, die Kurzlebigkeit vieler Geräte, Kleiderberge wegen immer kürzeren Modezyklen, industrialisierte Lebensmittel, und weitere sehr energieintensive menschliche Gewohnheiten.

Schließlich zeigt dieser Teil des Buches, dass es mit demokratischen Mitteln möglich ist, den Energieverbrauch von aktuell 6000 Watt/Person auf 4000 Watt pro Person zu senken. Um den Energieverbrauch allerdings auf das Niveau von 2000 Watt pro Person zu reduzieren, muss sich eine andere Bedürfnishierarchie einstellen. Es sollte eine radikale Änderung des Verhaltens aller stattfinden, um unseren Energieverbrauch zu begrenzen und um gleichzeitig danach zu streben, unsere Lebensqualität zu erhalten.

Der Autor zeigt uns, dass es möglich ist, vorausgesetzt, dass wir einige Gewohnheiten aufgeben um andere anzunehmen. Es sollten zum Beispiel selten genutzte Geräte und Dienstleistungen zwischen Nachbarn geteilt und weniger energieintensive Hobbys praktiziert werden. Ein Besuch in einem nahegelegenen Restaurant oder im Quartier-Kino verbraucht weniger Energie als sich zu Hause einen Film in HD-Streaming anzusehen, und viel weniger als eine Kreuzschifffahrt zum Südpol.

Aber wie können wir uns auf diesen Weg begeben, den uns doch Vernunft und Logik vorschreiben? So ganz einfach ist das nicht und damit beschäftigt sich der dritte Teil des Buches.

In diesem dritten Teil untersucht der Autor die politischen, soziologischen, wirtschaftlichen und menschlichen Hindernisse, die dem einzuschlagenden Weg entgegenstehen.

Das erste Hindernis besteht in der Finanzialisierung der globalen Wirtschaft. Es muss immer mehr produziert und verbraucht werden, um das Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten und damit den Fortschritt zu finanzieren. Wir haben allerdings schon lange die Grenzen dieses Systems erreicht, weil wir seit Jahren mehr vom Planeten verlangen als er geben kann. Leider haben diejenigen, die dieses System kontrollieren und davon profitieren, kein Interesse etwas daran zu ändern, und vor allem wollen sie die ihnen zur Verfügung stehenden einflussreichen Schalthebel nicht aufgeben.

Das zweite Hindernis ist eine logische Folge des ersten. Es besteht darin, dass der Westen genauso wie der Ferne Osten eine Zivilisation entwickeln, in der Maschinen und Computer den Menschen überall umgeben, sein Verhalten formatieren und ihn zu einem konsumorientierten Individualisten reduzieren. Diese Formatierung wählen die Menschen nicht selbst, sondern erleiden sie mehr oder weniger unbewusst.

In den westlichen Demokratien vergrößern und konzentrieren bestimmte multinationalen Konzernen ihre Macht immer mehr. Sie haben die uneingeschränkte Kontrolle vieler Daten über uns und fast alle unsere Entscheidungen können auf heimtückische und sorgfältig programmierte Weise beeinflusst werden: Konsumentscheidungen, Freizeitentscheidungen und manchmal sogar politische Entscheidungen. Der Mensch wird allmählich zu einem auf seinen wirtschaftlichen Nutzen reduzierten Individuum, dessen freier Wille immer mehr eingeschränkt wird.

In Diktaturen, und jeder denkt an China, ist das Ergebnis in Bezug auf Formatierung und Verhaltenskontrolle das gleiche, außer dass dort die Methode brutaler und erzwungener ist. In China wird die Implementierung von Technologien zur totalen Überwachung ungebremst vorangetrieben, das Überleben dieses Regimes hängt davon ab.

Allgemein betrachtet müssten wir die wirtschaftliche und soziale Organisation ändern, aber die Profiteure des aktuellen Systems stemmen sich mit aller Macht dagegen, sowohl im Osten wie im Westen!

Hinzu kommt eine weitere, von A. Huxley in seinem berühmten Roman „Schöne neue Welt“ ziemlich gut antizipierte Gesellschaftsentwicklung. Der Roman beschreibt eine maximale Gleichheit der Menschen, keine Gleichheit vor dem Gesetz, sondern Gleichheit durch Klonen. Bei Huxley handelt es sich um einen Roman, aber heute stehen solche transhumanistischen Exzesse vor der Haustür, sobald die Techniken uns dazu befähigen. Es gäbe also Grund über solche Entwicklungen zu verzweifeln, aber nein, es gibt auch Grund zur Hoffnung!

Jean Viard, zitiert in der Einleitung des Buches, gibt eine mögliche Erklärung: „Der Pessimismus wird vor allem von Perspektivlosigkeit gefördert“.

Im Gegensatz zum verbreiteten Pessimismus gibt Peter Strack in diesem wegweisenden Werk eine positive Perspektive. Zuallererst müssen wir allerdings Widerstand leisten, nicht mit Gewalt, sondern mit alternativen Modellen, Erklärungen, Beweisführungen. Auch durch unsere Entscheidungen. Niemand zwingt uns dazu, dem sozialen Druck zu immer mehr überflüssigem Konsum Folge zu leisten.

Im Weiteren sollten sozial verantwortliche Unternehmen bevorzugt und geschützt werden. Wer immer auch die Mittel dazu hat, sollte durch sein Beispiel vorangehen, mit einem die Umwelt respektierenden und energiearmen Lebensstil Widerstand leisten, was außerdem wertvoll und befriedigend ist. In diesem Zusammenhang sind die 2000-Watt-Quartiere wichtig Beispiele.

Ohne Aussaht gibt es keine Ernte. Gute Praktiken werden immer wieder nachgeahmt. Und dann nimmt überall auf der Welt die Anzahl Männer und Frauen zu, welche sich der heiklen Situation des Planeten bewusst sind. Viele sind jung. Andere, manchmal dieselben, haben tiefe Überzeugungen, denen sie Respekt verschaffen wollen.

Besser wir setzen uns jetzt freiwillig Grenzen, als dass wir morgen einen Zusammenbruch unserer industriellen Zivilisation erleiden, nur weil wir vergessen haben, dass unser Planet tatsächlich Grenzen hat!

Jacques Lamblin, ehemaliger Parlamentsabgeordneter in Paris und Bürgermeister der Stadt Lunéville.

Einleitung

Viele Forscher leisten wichtige Arbeit in unzähligen Bereichen; sie vermehren das Wissen der Menschheit. Dieses Wissen ermöglicht uns, immer komplexere Gesellschaften zu schaffen, auf die Gefahr hin, die Verbindungen zwischen verschiedenen Wissensgebieten aus den Augen zu verlieren. Experten schreiben Bände über immer spezialisiertere Themen. Mit anderen Worten, Spezialisten schreiben immer mehr über immer weniger. Diese absurde Tendenz würde dazu führen, dass die besten Spezialisten bald alles über fast nichts wissen.

Die Kehrseite der Spezialisierung auf immer engere Bereiche ist, dass die Übersicht über die menschliche Gesellschaft verloren geht. Spezialisten haben kaum noch eine Übersicht über ihr eigenes Kompetenzfeld, geschweige denn über verschiedene Fachgebiete. Deshalb sehen Universitäten oft den Bedarf, interdisziplinär zu arbeiten. So jedenfalls das Transdisziplinäre Labor der Eidgenössischen Technischen Hochschule, dessen Beiträge zu den 2000-Watt-Stadtteilen in diesem Buch diskutiert werden. Dabei ist es nicht immer einfach Experten aus verschiedenen Disziplinen zusammenzubringen, da jedes Fachgebiet seine eigene Fachsprache verwendet, welche für den nicht-Fachmann meist unverständlich ist.

Zu Beginn der Covid-19-Krise sagte der französische Philosoph Edgar Morin:

„Wie können wir all unser Wissen organisieren und verknüpfen und dabei auch die Ungewissheit integrieren? Für mich zeigt dies einmal mehr den Mangel an unserem Schaffen von Wissen, weil wir auftrennen was untrennbar ist, auf ein einzelnes Element reduzieren, was ein Ganzes formt und sowohl Einheit auch als Vielfalt ist. Die überwältigende Offenbarung der nun erlebten Umwälzungen ist, dass alles, was getrennt schien, in Wirklichkeit miteinander verbunden ist. So verwandelt eine Epidemie alles Menschliche in einer Kettenreaktion in eine allgemeine Katastrophe“.1

Ohne Überblick ist es schwierig bis unmöglich den richtigen Weg zu finden. Während die einen ökologischen Problemen Vorrang einräumen und ein Schrumpfen der Wirtschaft akzeptieren, erleiden andere Arbeitslosigkeit und Armut und fordern mehr Kaufkraft. Einerseits sollten wir Energie sparen, indem wir kleinere Autos bauen, andererseits sollten wir Luxusautos bauen, weil sich sportliche Geländewagen besser verkaufen und der Industrie mehr Gewinne einbringen. Die einen wollen den Autoverkehr reduzieren, während andere zunehmend aufs Auto angewiesen sind; was übrigens zur französischen Gelbwesten-Revolte geführt hat. Die Mobilität ist nur ein Gegensatz unter vielen zwischen städtischen Zentren und ländlichen Gemeinden. Seit 5000 Jahren lodern solche Konflikte immer wieder auf. Unzählige Windturbinen sollen in Zukunft Großstädte mit Strom versorgen, aber die Anlagen stehen meist in ländlichen Gemeinden. Kapitel 5 zeigt, wie der uralte Konflikt in Zusammenarbeit umgewandelt werden könnte, denn Windturbinen können nicht dauernd von Polizisten bewacht werden, nur weil die Großstädte die ländliche Bevölkerung wie ein feindliches Imperium behandeln. Klimaziele werden nur erreichbar sein, wenn dieser Land-Stadt Konflikt entschärft wird.

Der französische Soziologe Jean Viard sagte am 16. Januar 2020 in einem Nachrichtensender: „Der Pessimismus nährt sich hauptsächlich vom Mangel an Perspektive, die Franzosen wissen nicht, wohin sie gehen“. "Ohne Vision gehen die Leute drunter und drüber", sagte ein König der alten Hebräer gemäß Übersetzung von Chouraqui. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IFOP vom November 2022 zeigt, dass 83% der Franzosen die Zukunft „beängstigend“ finden. Wir riskieren, dass nicht identifizierte Ursachen von Ängsten und fehlende Perspektiven unsere Gesellschaften in politische Extreme treiben, die niemand wirklich will. Anne-Lorène Vernay von der Grenoble School of Management sagte: „Wir sind mental blockiert, weil wir nicht wissen, wie ein angenehmes Leben in einer  CO2-neutralen Gesellschaft aussehen könnte“.2 Da die 2000-Watt-Stadtteile zeigen, wie eine CO2-freie Gesellschaft mit einer angenehmen Lebensweise aussehen könnte, können sie als befreiende Beispiele dienen.

Anstatt mehrere Bücher über einzelne Spezialgebiete zu schreiben, in denen der Leser die Abhängigkeiten nicht sieht, habe ich mich entschieden, in einem einzigen Buch alle Themen zu entwickeln, die den Übergang zur Post-Öl-Gesellschaft bestimmen. Mein Ansatz ist nicht der eines Forschers, der angesichts eines neuen Phänomens eine neue Theorie sucht, sondern der eines Ingenieurs, der vor einer großen Herausforderung steht und praktische Lösungen für verschiedene Probleme sucht. Die vorgeschlagenen Lösungen sind sowohl technischer als auch soziologischer Art.

Die Kernthese des Buches lautet, dass in einer Demokratie Veränderungen von der Zivilgesellschaft anstoßen werden müssen, da Staaten und Regierungen seit 1990 immer wieder beschließen, die CO2-Emissionen zu reduzieren, diese aber tatsächlich in der gleichen Zeitspanne fast verdoppelt haben. Seit über 10 Jahren zeigen Teile der Schweizer Zivilgesellschaft durch mehrere 2000-Watt-Stadtteile konkrete nachahmenswerte Lösungen. Diese Stadtteile zeigen auch, dass ohne eine Änderung der Prioritäten der Bewohner ein erfolgreicher Übergang zur klimaneutralen Gesellschaft nicht möglich ist. Ohne Prioritäten und Werte zu ändern, werden unsere Gesellschaften den Weg der letzten 30 Jahre fortsetzen: Reduzierung des CO2-Ausstoßes ankündigen und das Gegenteil praktizieren, wenigstens so lange fossile Brennstoffe wettbewerbsfähig sind. Eine kritische Auseinandersetzung mit den dominanten Werten unserer globalisierten Gesellschaften erscheint daher unabdingbar, denn die dominanten Werte beeinflussen die Richtung, die eine Gesellschaft auf dem Weg zur Post-Öl-Gesellschaft einschlagen wird.

Die vergangenen Dürren im Sudan und in Syrien haben bereits vorhandene Spannungen innerhalb deren Bevölkerungen verstärkt. Diese Spannungen führten zum Ausbruch von zwei äußerst tödlichen und zerstörerischen Bürgerkriegen. Die Folgen dieser Dürren hätten jedoch mit verstärkter Solidarität innerhalb dieser Länder und mit Hilfe anderer Länder bekämpft werden können. Stattdessen verursachten sie Bürgerkriege, welche den Hass verstärkten und das Elend vervielfachten.

Hass zwischen Sunniten und Schiiten, wie er in Syrien zum Ausdruck kommt, geht auf innerislamische Bürgerkriege zurück. Beim zweiten Bürgerkrieg wurde der Clan des vierten Kalifen Ali getötet (680), gefolgt vom dritten Bürgerkrieg, der mit der Vernichtung des Umayyaden-Clans durch die Abbasiden (744-750) endete. Solcher über Jahrhunderte aufrechterhaltene Hass war ein Hindernis für die Entwicklung von Solidarität, welche zur Überwindung der schweren Dürre erforderlich gewesen wäre. Anstatt das durch die Dürre verursachte Leid in der sudanesischen Region Dafur zu lindern, verachtete die Zentralmacht die Stämme des Darfur, wodurch Darfurs Rebellen Unterstützung in der Bevölkerung fanden.

Um den friedlichen Übergang zu einer Post-Öl-Gesellschaft zu schaffen, sollten uns die vorherrschenden Werte einer Gesellschaft bewusst gemacht werden, denn die vorherrschenden Werte können diesen Übergang erleichtern oder erschweren.

In Abhängigkeit der vorherrschenden Werte einer Gesellschaft kann eine Krise aktive Solidarität erzeugen oder einen Bürgerkrieg auslösen, wenn diese Gesellschaft aus sich gegenseitig hassenden Gruppen besteht und dieser Hass von politischen Machthabern genährt wird. Angesichts großer Probleme klammert sich die regierende Bevölkerungsgruppe dann an ihre Macht, wie in Syrien, denn sie weiß, dass sie durch den Machtverlust verloren ist, gemäß dem Sprichwort Vae Victis! ... wehe den Besiegten!

Eine weitere These dieses Buches ist, dass ein gutes Verständnis von Freiheit, Gleichheit, Geld und Macht unerlässlich ist, um ernsthafte ökologische und soziale Krisen zu vermeiden und stattdessen eine ökologisch und sozial nachhaltige Gesellschaft zu schaffen.

Unsere sogenannte "Lebensstandard" hängt maßgeblich von unserem Energieverbrauch ab, weil der materielle Reichtum größtenteils von Maschinen und automatisierten Fabriken produziert wird, was viel Energie benötigt. Allerdings sind weltweit über 80 % der verbrauchten Energien fossilen Ursprungs. Kapitel 2 wird zeigen, warum nicht alle fossilen Energieträger durch erneuerbare oder klimaneutrale Energien ersetzt werden können, die Kosten sind schlichtweg zu hoch. Daher ist es dringend erforderlich, neue Lebensformen zu suchen, um eine gute Lebensqualität bei wesentlich geringerem Energieverbrauch zu erhalten. Außerdem werden viele wichtige Ressourcen immer knapper, was den Übergang zur Post-Öl-Gesellschaft konfliktreich machen könnte. Schon bevor unser System an die ökologischen und physikalischen Grenzen des Planeten stößt, sind die Spannungen in unseren Gesellschaften hoch. Eine Vision für eine Post-Öl-Gesellschaft sollte daher auch Überlegungen zum Abbau dieser Spannungen beinhalten, wozu das Justizsystem einiges beiträgt. In Ländern wie Frankreich sind die Gerichte aber bereits überlastet, deren Beitrag zum friedlichen Zusammenleben zweifelhaft und die Gefängnisse überfüllt. Es gibt jedoch eine Form der Gerechtigkeit, die eher zur Versöhnung beiträgt, als die Spannungen in der Bevölkerung zu verstärken. Sie könnte eine bedeutende Rolle beim erfolgreichen Übergang zur Post-Öl-Gesellschaft beitragen. Details dazu in Kapitel 9.

Leider haben unsere individualistischen Konsumgesellschaften die steigende Kaufkraft zu ein Dogma erhoben. Kein Präsidentschafts- oder Kanzler-Kandidat würde gewählt, wenn er einen 30 Jahre dauernden langsamen individuellen Kaufkraftrückgang versprechen würde. In der Post-Öl-Gesellschaft wird aber ein Rückgang der individuellen Kaufkraft entweder freiwillig oder durch natürliche Kräfte erfolgen, mit oder ohne Verlust an Lebensqualität, mit mehr Solidarität oder ausufernden Konflikten, mit einer Klimaerwärmung von 2 °C oder schlimmstenfalls bis 5 °C.

Wenn es gelingen soll, eine Post-Öl-Gesellschaft demokratisch, friedlich, ohne Verlust an Lebensqualität, aber durch Verringerung der individuellen Kaufkraft aufzubauen, so sollten wir über die Natur des Geldes und seinen Einfluss auf den menschlichen Geist nachdenken (Details in Kapitel 10).

Die Internationale Energieagentur (IEA) wird nicht müde zu betonen, dass ein Großteil der Energieeinsparungen durch Verhaltensänderungen der Bevölkerung zustande kommen muss. Um eine gute Lebensqualität zu erhalten, sollten wir daher über Werte und Prioritäten nachdenken, welche unsere Entscheidungen als Verbraucher so leiten, dass der Energieverbrauch auf ein nachhaltiges Niveau sinkt. 

Das Buch analysiert deshalb die vorherrschende Philosophie unserer Gesellschaft und entwickelt die soziologischen, philosophischen und praktischen Aspekte einer funktionierenden 2000-Watt-Gesellschaft. Das Buch enthält daher praktische Vorschläge, die in mehreren 2000-Watt-Quartieren oder Öko-Gemeinden durchgeführt wurden und die weitgehend in jeder Nachbarschaft eingeführt werden könnten.

Durch die Schaffung von Öko-Quartieren, welche die neuesten Technologien der Niedrigenergiehäuser anwenden, können Investoren und Institutionen einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung des Energieverbrauchs leisten. Grob geschätzt entsprechen solche Öko-Quartiere einer 3500-Watt-Gesellschaft. Die individuellen und gemeinsamen Entscheidungen der Bewohner dieser Öko-Quartiere können dann zu einer 2000-Watt-Gesellschaft führen (Details in Kapitel 4).

Seit einiger Zeit häufen sich schlechte Nachrichten über Biodiversität und Klimawandel und schaffen eine schwere und lähmende Atmosphäre in der Gesellschaft. Bücher wie „Leben in der andauernden Notlage“ (Living in the long Emergency) von J.H. Künstler und „Vor dem Kollaps“ (Devant l’effondrement) vom ehemaligen französischen Umweltminister Yves Cochet, verkünden den baldigen und unweigerlichen Zusammenbruch unserer industriellen Zivilisation. Um den Kollaps zu überstehen, schlagen solche Autoren vor, widerstandsfähige Nachbarschaften mit einem nachhaltigen Lebensstil zu organisieren, was dem Geist von 2000-Watt-Stadtteile entspricht. Die 2000-Watt-Stadtteile wollen aber nicht lähmend wirken, sondern einen ermutigenden Weg in die Zukunft aufzeigen.

Einige der Probleme mögen unüberwindbar erscheinen. Ich teile jedoch den Optimismus von Winston Churchill, der durch den Kampf gegen die unbeschreibliche Brutalität des Dritten Reichs am größten Triumph des 20. Jahrhunderts maßgeblich beteiligt war: "Erfolg besteht darin, von Misserfolg zu Misserfolg zu gehen, ohne die Begeisterung zu verlieren".

Sich unter Zeitdruck befindende Leser können den Texten in Fettschrift folgen, welche die Schlussfolgerungen jedes Arguments zusammenfassen. Wenn der Leser eine Schlussfolgerung nicht nachvollziehen kann, so kann er die vorhergehenden Absätze lesen.

Kapitel 2 mag für einige Leser technisch zu komplex und deshalb langweilig sein. Um dennoch das Problem der Industriegesellschaften zu verstehen, könnten sie sich auf die fett gedruckten Abschnitte beschränken.

Erster Teil:

Technische Herausforderungen

2. Grenzen der industriellen Zivilisation

Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich haben einen starken Zusammenhang zwischen unserem Lebensstandard (Bruttosozialprodukt BSP) einerseits und dem Energieverbrauch andererseits gefunden. Dieser Zusammenhang wurde auch von anderen Instituten nachgewiesen.3 Der Energieverbrauch hat in den letzten 200 Jahren in einem ähnlichen Verhältnis zugenommen wie die Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Zwischen 1980 und 2010 stieg das Bruttosozialprodukt um 3 % an und der Energieverbrauch um 2 %.

Im Jahr 2021 stammten über 80 % der weltweit verbrauchten Energie aus fossilen Brennstoffen (Kohle, Öl, Gas). Vier Fünftel unseres materiellen Reichtums hängen demzufolge vom Verbrauch fossiler Energieträger ab. Der Weltklimarat (IPCC)4 hat die Auswirkungen des Verbrauchs dieser Energien auf den Treibhauseffekt und die globale Erwärmung aufgezeigt und plädiert daher für eine drastische Reduzierung dieser Energien. Trotz dieser Beobachtung ist der weltweite Verbrauch fossiler Brennstoffe zwischen 2010 und 2020 um weitere 20 % angestiegen. Bei dieser Wachstumsrate werden die Öl- und Erdgasressourcen jedoch bis 2050 völlig erschöpft sein.5 Selbst wenn die Reserven dreimal so hoch wären, würden sie über 2090 hinaus nicht ausreichen. Ohne einschneidende wirtschaftliche und soziale Veränderungen wird die Erschöpfung dieser Ressourcen unweigerlich auf allen Ebenen zu verstärkten Konflikten führen.

Die nachstehende Abbildung zeigt die Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in Millionen Tonnen Rohöleinheiten (14 000 Mtep entsprechen jährlich 14 Milliarden Tonnen Rohöleinheiten):

Abbildung 1:Quelle: BP statistical review of world energy 2019

Abbildung 1 zeigt, dass fossile Brennstoffe (Öl, Kohle und Erdgas) unseren Energieverbrauch weitgehend dominieren. Alle erneuerbaren Energien (Wind, Photovoltaik, Geothermie, Biomasse und Wasserkraft) produzierten 1500 Mtep 6 (Millionen Tonnen Öl-Äquivalent) an nutzbarer Fertigenergie, verglichen mit 12 400 Mtep an nicht erneuerbarer Primärenergie.

Der Anteil erneuerbarer Energien mit hohem Wachstumspotenzial entspricht weniger als 6% der im Jahr 2020 verbrauchten fossilen Energieträger. Im selben Jahr produzierten alle neu installierten Anlagen für erneuerbare Energien das Äquivalent von 31 Mtep, während neue Wind- und Photovoltaikanlagen umgerechnet 28 Mtep produzierten. Diese Energieproduktion funktioniert jedoch nur etwa ein Viertel der Zeit. Daher müssen etwa 4-mal mehr Produktionskapazitäten installiert und gleichzeitig Energiespeicher bereitgestellt werden, um die fossilen Energieträger zu ersetzen.

Bei der UN-Konferenz im Jahr 1992 in Rio de Janeiro, Brasilien, entschieden viele Regierungschefs, die wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig zu gestalten und den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu reduzieren. Der Verbrauch fossiler Energien wurde aber nicht reduziert, sondern seither fast verdoppelt. Die wichtigsten Ursachen dafür liegen in der Zunahme der jährlichen Stahl- und Beton-Produktion7 und aus der Vervielfachung der Anzahl Maschinen (Fahrzeuge, Schiffe, Flugzeuge, Computer, Server, Chemikalien, automatisierte Fertigungen, Roboter).

Seit den ersten Klimaabkommen haben die Regierungen der teilnehmenden Länder immer gesagt, dass der Treibhausgas-Ausstoß reduziert werden soll, ohne das Wirtschaftswachstum zu beeinträchtigen. Die letzten 30 Jahre haben gezeigt, dass dieser Ansatz von Anfang an im Widerspruch zum formulierten Ziel war.

Die Zunahme der Produktion erneuerbaren Energien der letzten Jahre ist viel zu langsam, um die fossilen Brennstoffe rechtzeitig zu ersetzen und die Erderwärmung auf unter 2 °C zu begrenzen, aller technischen Fortschritte zum Trotz. Ohne drastischen Kurswechsel werden nur die Klimakatastrophen „nachhaltig“ sein.

2.1. Ersatz der fossilen Energien durch Erneuerbare

Dieses Kapitel soll das Potenzial und die Grenzen der wichtigsten erneuerbaren Energien grob aufzuzeigen. Um den Leser nicht mit einer Zahlenflut zu verwirren, sind hier nur die Ergebnisse der wichtigsten Bereiche wiedergegeben. Details können in einer Excel-Tabelle von der Website des Buches heruntergeladen werden.8

Ersatz fossiler Energien durch klimaneutrale Elektrizität

Die Begriffe „fossile Brennstoffe“ und „primäre fossile Brennstoffe“ beziehen sich in diesem Buch nur auf Gas, Öl und Kohle; Uran wird gesondert betrachtet. In nachfolgender Abbildung ist die Entwicklung des Verbrauchs an primären fossilen Brennstoffen seit dem Jahr 1850 für alle menschlichen Aktivitäten dargestellt. Die Primärenergie wurde in TWh umgerechnet:

Abbildung 2: Quelle : BP Energiebericht des Jahres 2019. Klimakonferenzen sind nicht ersichtlich. Nur schwere Wirtschaftskrisen reduzierten den Verbrauch fossiler Brennstoffe.

Alle fossilen Brennstoffe zusammen produzieren heute umgerechnet 135 000 TWh Primärenergie. Um diese Primärenergie in direkt nutzbare elektrische Energie umzuwandeln, haben wir auf Grundlage verschiedener Veröffentlichungen eine Reihe von Schätzungen für das Jahr 2050 erstellt, die in der Tabelle auf der Website des Buches angegeben sind. Wir haben in den Berechnungen das Jahr 2050 gewählt, da sich viele Länder und die Europäische Union verpflichtet haben, bis im Jahre 2050 klimaneutral zu werden, d.h. nicht mehr Treibhausgase zu emittieren als dauerhaft im Boden gespeichert werden können.

Wirkungsgrade verschiedener Prozesse

Die Effizienz von elektrischer Energie in industriellen Prozessen unterscheidet sich von der Effizienz fossiler Brennstoffe. Unter Berücksichtigung der wichtigsten industriellen Prozesse beträgt der Effizienzunterschied nach unseren Schätzungen 28 %. Der Wirkungsgrad von Elektromotoren (90 %) ist deutlich besser als der Wirkungsgrad von Verbrennungsmotoren (35 %). Dieser Vorteil reduziert sich jedoch, wenn die Energiespeicherung durch Pumpspeicherwerke erfolgt (Verluste zwischen 20 % und 30 %). Bei Energiespeicherung in Batterien am Standort der Energieproduktion beträgt der Verluste 10 % bis 15 %, bei Wasserstoff durch Elektrolyse ohne Kompression des Wasserstoffs 30 %, bei synthetischer Methanerzeugung9 50 %. Einige industrielle Prozesse haben einen geringeren Wirkungsgrad, wenn sie nur elektrische Energie zur Verfügung haben. So verbraucht beispielsweise die Herstellung von Stickstoffdünger ohne Erdgas mehr Energie.

Unter Berücksichtigung der wichtigsten menschlichen Aktivitäten hat die elektrische Energie einige Effizienzvorteile, die jedoch nur dann von Bedeutung sein werden, wenn sich die Gesellschaft anders organisiert und ihr Konsumverhalten ändert.

Potenzial der Photovoltaik

Im Jahr 2021 waren weltweit Photovoltaikanlagen mit einer Spitzenleistung 10 von 710 GW und einer Jahresproduktion von 840 TWh installiert.11 Die Internationale Energieagentur (IEA) plant Neuinstallationen von Photovoltaik-Anlagen mit einer Spitzenleistung von 750 GW bis 2026, eine Verdoppelung der Produktion innerhalb von 5 Jahren.

Eine Ausschreibung zur Stromproduktion durch Photovoltaik in Abu Dhabi mit einer Spitzenleistung von 2 GW hat einen sehr wettbewerbsfähigen Preis von 0.014 € pro kWh erbracht. Den Zuschlag erhielt das französisch-chinesische Konsortium aus EDF und Jinko Solar. Gleichzeitig baut Abu Dhabi auch ein Kernkraftwerk mit vier Reaktoren, welche zusammen 5.6 GW Strom produzieren. Eine Ausschreibung für eine Photovoltaikanlage in Deutschland wurde mit 0.04 € pro kWh verhandelt.12 Diese Entwicklungen zeigen, dass erneuerbare Energien für die Stromerzeugung bald wettbewerbsfähiger sein werden als fossile Brennstoffe, sofern die Kosten für die Energiespeicherung nicht berücksichtigt werden.

Die Energiebilanz der erneuerbaren Energien hat sich in den letzten 10 Jahren deutlich verbessert und macht immer noch bemerkenswerte Fortschritte. Die Lebensdauer einer neueren Windkraftanlage wird auf 30 Jahre geschätzt. In weniger als einem Jahr produziert die Windkraftanlage die für ihre Herstellung notwendige Energie.13 Stahlmast und Betonsockel von Windkraftanlagen haben vermutlich eine gleiche Lebensdauer wie der Eiffelturm, da die Stahlqualität der Windkraftanlagen besser und die Wartung einfacher ist. Je nach verwendeter Technologie beträgt die Lebensdauer der Photovoltaikmodule 15 bis über 30 Jahre und der Energiebedarf zur Herstellung der Module variiert zwischen 0.4 und 3 Jahren Stromerzeugung eines Moduls.14 Sofern erneuerbare Energieanlagen unter den empfohlenen Bedingungen genutzt werden, ist ihre Energiebilanz überwiegend positiv und verbessert sich von Jahr zu Jahr.

Liste der Energie-Hypothesen

Um abzuschätzen, welche Menge elektrischer Energie erzeugt werden müsste, um fast alle fossilen Brennstoffe zu ersetzen, haben wir folgenden Annahmen gemacht. Mehrere Annahmen sind optimistisch.

1) Es wird davon ausgegangen, dass der Energieverbrauch zwischen 2020 und 2050 nicht mehr zunimmt und deshalb die Weltwirtschaft um höchstens 1.5 % pro Jahr wächst.

2) Für alle Verkehrsmittel mit Verbrennungsmotoren (Schiffe, Lastwagen, Autos, Traktoren) wird davon ausgegangen, dass im Jahr 2050 nur noch Elektroantriebe verwendet werden. Zwei Drittel der Fahrzeuge werden die Energie in Batterien speichern und ein Drittel wird direkt oder indirekt Wasserstoff verwenden, welcher durch Elektrolyse hergestellt wird.

3) Für den Energieverbrauch von Gebäuden wird angenommen, dass keine besonders großen Anstrengungen unternommen werden, um überall Wärmepumpen mit Erdsonden einzusetzen. Der Energieverbrauch der Gebäude nimmt deshalb nur um 25 % ab.

4) Für alle industriellen Prozesse, die Temperaturen über 900 °C erfordern (Glas, Keramik, gebrannte Ziegel, Fliesen etc.), könnte nach derzeitigem Kenntnisstand die fossilen Energieträger nur durch Wasserstoff ersetzt werden. Die Wasserstoffproduktion mit Elektrolyse hat einen Wirkungsgrad von 70 %, was die Verluste durch Kompression zur Speicherung noch nicht berücksichtigt.

5) Für andere industrielle Aktivitäten wurden unterschiedliche Energie-Wirkungsgrade geschätzt. Für diese Prozesse hat die rein elektrische Energie einen Gesamtvorteil von 20 % gegenüber der Verwendung fossiler Energien.

6) Es wurden unterschiedliche Speichermethoden mit durchschnittlichen Verlusten von insgesamt 24 % geschätzt. Die Speicherung elektrischer Energie darf nicht vergessen werden. Ohne solche Speicher stehen sowohl die Bahn als auch die Fabriken still und Städte versinken in Dunkelheit, sobald der Wind nachlässt und die Sonne nicht scheint.

Um 135 000 TWh fossiler Primärenergie zu ersetzen, müssten somit Einrichtungen mit 100 000 TWh erneuerbaren Energien und einer Spitzenleistung von 87 TW installiert werden.15

Sowohl die Energieberichte von BP als auch der IEA prognostizieren für die nächsten 5 Jahre einen Anstieg der Produktionskapazität für erneuerbare Energien von rund 330 TWh pro Jahr, Tendenz leicht steigend. Nach unseren Schätzungen würde es bei dieser jährlichen Neuinstallationsrate 200 Jahre dauern, um die fossilen Brennstoffe zu ersetzen!

Da das derzeitige Wirtschaftssystem Wachstum und damit einen steigenden Energieverbrauch erfordert, wird der Einsatz fossiler Energieträger in den kommenden Jahren noch etwas zunehmen. Beim aktuellen Investitionsvolumen ist daher absehbar, dass die Ablösung fossiler Energieträger mehr als 200 Jahre dauern wird! Daher ist es nicht möglich, den Übergang zur Post-Öl-Gesellschaft so weiter zu führen wie in den vergangenen Jahren, ohne unvorbereitet an die Grenzen des gegenwärtigen Systems zu stoßen und schwere Wirtschafts- und Gesellschaftskrisen auszulösen.

Schätzung des Investitionsvolumens

Um die Kosten der Energiewende abzuschätzen, müssen auch die technischen Fortschritte und die Entwicklung neuer „grünen Technologien“ berücksichtigt werden. Niemand kann die Zukunft genau vorhersagen, aber die gegenwärtigen Forschungsanstrengungen in diesen Bereichen können vernünftige Hinweise geben.

Der Begriff „grüne Technologien“ ist sehr breit gefächert. Er umfasst sowohl Unternehmen, die sich auf die Fertigung pflanzlicher Proteine als Fleischersatz spezialisiert haben als auch alle erneuerbaren Energien. Leider werden derzeit weniger als 4 % der weltweiten Forschung in grüne Technologien investiert. Forschungsgelder in der Höhe von 26 Milliarden steuern Regierungen bei und 54 Milliarden kommen von privaten Unternehmen.16 Obwohl die Investitionen in Forschung und Entwicklung in den letzten drei Jahren leicht gestiegen sind, dürfen wir keine technologischen Wunder erwarten, sondern nur fortlaufend kleine Verbesserungen, welche unsere optimistischen Einschätzungen bereits widerspiegeln. In Anbetracht der angesagten extremen Klimaveränderungen sind diese F&E-Investitionen jedoch arg unzulänglich.

Unsere Hypothesen erwarten folgende Entwicklung der Investitionskosten für erneuerbare Energien17 :

- Im Jahr 2020 sind die Investitionskosten für ein Watt Photovoltaik Spitzenleistung 1.30 €, für ein Watt aus Windturbinen sind es 3.70 €.

- Für das Jahr 2030 sind die Schätzungen 0.85 € für ein Watt Photovoltaik.

- Für das Jahr 2050 sehen optimistische Schätzungen 0.67 € für ein Watt Photovoltaik vor.

- Für 2030 sind die Kosten 2.90 € für ein Watt Windenergie und 1.80 € für 2050.18

Um weltweit 135 000 TWh fossile Primärenergie mit zwei Drittel Photovoltaik und einem Drittel Windkraft zu ersetzen, müssten 106 000 Milliarden Euro investiert werden. Diese Energie würde von 25 Millionen großen 8-MW-Off-Shore Windkraftanlagen und einer Fläche von 740 000 km² 19 Photovoltaik produziert werden. Da kurzfristig auf fossile Energieträger nicht verzichtet werden kann, kommen für einige Jahre auch noch Investitionen der Erdölindustrie hinzu.

Ökonomen, welche nach jeder Wirtschaftskrise Rezepte zur Ankurbelung des Wachstums vorstellen, sollten vorrangig erklären, wie man die Energieproduktion steigern und gleichzeitig die CO2-Emissionen reduzieren kann. Ohne diese Erklärungen sind alle Ratschläge entweder Rezepte für eine globale Erwärmung von 3.5 °C bis 5 °C oder schlichtweg die Physik ignorierender Aberglaube.

Speicherung elektrischer Energie

Atom- und Wasserkraft haben eine weitgehend ununterbrochene Energieproduktion. Für die anderen erneuerbaren Energiequellen sehen wir eine minimale Speichermenge von 30 Verbrauchsstunden oder knapp 340 TWh vor, da auch dann Energie verbraucht wird, wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht. Ein kleiner Teil dieser 340 TWh könnte in Akkus von geparkten Elektroautos und Elektrolastkraftwagen gespeichert werden, um die Stromverbrauchsspitzen am Mittag und am frühen Abend zu decken. Ein Teil dieser 30 Verbraucherstunden wird für saisonale Speicherung benötigt, weil der Energieverbrauch in Europa im Winter höher ist als im Sommer. Bei dieser minimalen Speichermenge sehen wir vor, dass bei ungünstigen Wetterbedingungen gewisse energiehungrige Maschinen nicht laufen und Elektroautos nur begrenzt geladen werden dürfen.

In Frankreich und Deutschland gibt es in der Wintersaison Zeiten mit zehn Tagen Bodennebel, ohne Wind und Sonne. Besonders während solchen Zeiten sind Kernkraftwerke unabdingbar. Dies ist nur einer der Gründe, warum bestehende Kernkraftwerke nicht abgeschaltet werden dürfen, bevor die Energiewende abgeschlossen ist. Andernfalls müsste noch viel mehr Energie in Form von Wasserstoff gespeichert werden; zum Beispiel in alten Salzbergwerken. Würden die bestehenden Kernkraftwerke zu schnell abgeschaltet, so müssten die Speicherkapazitäten und die Anzahl erneuerbaren Energieanlagen derart stark ausgeweitet werden, dass die Kosten noch stärker explodieren.

Im Jahr 2021 kosten die günstigsten Batterien 750 € für die Speicherung von 4 kWh. Im Jahr 2050 sind es nach optimistischen Schätzungen noch 360 €.20 Im Jahr 2022 hat sich der Preis für Lithium allerdings vervierfacht, was von den optimistischen Schätzungen der Kostenentwicklung nicht vorgesehen wurde. Die optimistischen Schätzungen sehen eine langsame andauernde Kostenreduktion vor.

Im Jahr 2020 wurden weltweit 9 TWh an Energie in Wasserpumpsystemen gespeichert. Die Investitionen für diese Art Energiespeicher betragen durchschnittlich 80 € pro kWh. Unsere optimistischen Schätzungen erwarten für 2050 eine Verzehnfachung dieser Speichersysteme. Das Potenzial für Wasserpumpenspeicher ist sehr groß, im Gegensatz zur gesellschaftlichen Akzeptanz. Das größte Speicherpotenzial in Europa liegt in Norwegen.

Für die Energiespeicherung stehen weitere Methoden zur Verfügung. Die Firma Energy Vault bietet ein rein mechanisches System an. Dieses System stapelt in einer Höhe von bis zu 150 Metern Tausende Betonblöcke mit einem Gewicht von jeweils 35 Tonnen auf. Wenn Kräne diese Betonblöcke absenken, produzieren elektrische Generatoren Strom. Diese Betonblöcke können Baustellenabfälle enthalten, um die Kosten und den CO2-Ausstoß des Betons zu reduzieren. Die angekündigte Lebensdauer des Systems beträgt 30 Jahre, es kann zwischen 20 MWh und 80 MWh mit einem Speicherwirkungsgrad von 85 % speichern. Im Jahr 2020 liegen die anfänglichen Investitionskosten zwischen 200 und 250 € pro kWh. Die Lebensdauer des Systems von Energy-Vault ist mindestens doppelt so hoch wie die eines Akkus und benötigt deutlich weniger seltene Metalle.21 Die italienische Firma „Energy Dome“ speichert Energie, indem CO2 in großen Kesseln unter Druck gespeichert wird. Das System hat einen Wirkungsgrad von 70 %. Mit solchen und ähnlichen Prozessen kann die Energiespeicherung am Standort der Stromerzeugung ohne Transformation auf Hochspannung erfolgen, was den Wirkungsgrad erhöht.

Die Energiespeicherung für die Wintersaison wird wahrscheinlich durch mit Elektrolyse hergestelltem Wasserstoff erfolgen, allerdings mit einem Wirkungsgrad von weniger als 70 %. Die Energiespeicherbranche wächst rasant, aber die Kosten der verschiedenen Systeme dürften mit denen von Akkus vergleichbar bleiben.

Des Weiteren sollte beachtet werden, dass die Fertigung von Akkuspeichern große Mengen CO2 produziert. Die Fertigung eines 4 kWh Lithium-Ionen-Akkus produziert rund 600 kg CO2. Die Produktion von Akkus zur Speicherung von 340 TWh würde 60 Milliarden Tonnen CO2 produzieren, zweimal mehr Emissionen als die gesamten menschlichen Aktivitäten im Jahr 2019.

Das Forschungsunternehmen „Benchmark Mineral Intelligence“ führt Studien zu Rohstoffen durch und zeigt, dass die Investitionen der Bergbauunternehmen weit von den Bedürfnissen der nächsten Jahre entfernt sind. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass zwischen 2025 und 2030 die Nachfrage nach Lithium, Nickel und Kobalt doppelt so hoch sein wird wie das Angebot, was deren Preise in die Höhe treiben wird. Da die Rohstoffe die Hälfte des Akkupreises bestimmen und die Rohstoffpreise im Jahr 2022 sehr stark angestiegen sind,22 ist der vom NREL prognostizierte Rückgang der Akkupreise als sehr optimistisch zu betrachten.

Wir gehen davon aus, dass 75 % der 340 TWh in Akkus und anderer Techniken mit vergleichbarer Kosten stattfinden müssten und dass die restlichen 25 % dieser 340 TWh mit Pumpensystemen gespeichert würden. Dieses Szenario würde gemäß optimistischen Schätzungen Gesamtinvestition von rund 78 000 Milliarden Euro erfordern. Die Investitionen in die Wasserstoffproduktion werden auf weitere 32 000 Milliarden Euro geschätzt.23

Energiespeichertechnologie Wirkungsgrad Entwicklungsstand

Grüner Wasserstoff mit Gasturbinen 50-70% Pilotanlage

Durchflussbatt.mit wässrigem Elektrolyt 50-80% Kommerzialisiert

Flüssiges CO2, Energy Dome 70-80%Pilotanlage

Mechanisch, Energy Vault 70-80%Pilotanlage

Wärmespeicher mit hohen Temp.,Antora 55-85%Pilotanlage

Die wenigen Ökonomen, die sich mit den Investitionskosten befasst haben, wollen diese Investitionen auf die nächsten 50 Jahre verteilen. Die Lebensdauer von Photovoltaikanlagen liegt jedoch bei 30 Jahren und die von Akkus bei höchstens 16 Jahren.24 Ein Teil dieser riesigen Investitionen müsste daher im Durchschnitt alle 25 Jahre erneuert werden.

Sollten bis 2050 fast alle fossilen Energieträger durch Elektrizität ersetzt werden, so muss auch die Infrastruktur für den Stromtransport vervierfacht werden. Die Internationale Energieagentur schätzt, dass der Aufbau dieser Infrastruktur in den nächsten 30 Jahren jährlich 1 600 Milliarden Dollar kosten wird.25

Investitionen weltweit um fossile Energien zu ersetzen, Milliarden €

Energieproduktion von 100 000 TWh pro Jahr 106 000

Minimale Energiespeicherung von 340 TWh 78 000

Elektrolyse-Einrichtungen zum Herstellen von Wasserstoff 32 000

Infrastrukturerweiterung für Elektrizitätstransport 48 000

Investitionen Total 264 000

Um fast alle fossilen Energien durch erneuerbare Energien zu ersetzen, belaufen sich die Investitionen auf die astronomische Summe von rund 264 000 Milliarden Euro, trotz Verwendung der optimistischen Szenarien. Zum Vergleich: Dieser Betrag entspricht Investitionen von 350 Jahren der gesamten Öl- und Gasindustrie.26 Im Jahr 2020 belauft sich die Summe der Schulden von Staats- und Unternehmensanleihen weltweit auf 100 000 Milliarden Euro. Aus dieser Perspektive scheint es schlicht unmöglich, ein Dreifaches dieses Betrages nur für die Investitionen in erneuerbare Energien zu mobilisieren. Um die fossilen Energieträger erfolgreich durch erneuerbare Energien zu ersetzen, sind daher erhebliche Energieeinsparungen sowie veränderte Konsumgewohnheiten unabdingbar.

Investitionsbeträge für die Europäische Union

Was bedeuten diese Zahlen für die Europäische Union? Europa importiert viele Produkte wie Textilien, Rohmaterialien, Autos, Elektronik und Photovoltaikmodule. Zur Herstellung der importierten Produkte wird sogenannte "graue Energie" verbraucht.27 Die Energiebilanz Europas sollte daher auch die in Form von Produkten und Dienstleistungen importierte graue Energie berücksichtigen. Aus Europa exportierte Produkte enthalten in der Regel mehr Wertschöpfung, aber weniger graue Energie. Billiglohnländer haben im Allgemeinen eine schlechtere Energieeffizienz als die Eurozone. Zieht man die Bilanz zwischen exportierter und importierter grauer Energie, so muss der Energieverbrauch Europas um rund 15 % erhöht werden.28 Importiert Europa in Zukunft wesentlich weniger Produkte, so muss die Energieproduktion innerhalb Europas um 15 % erhöht werden. Wenn die Produktion weiter in Billiglohnländern bleibt, so muss Europa in diesen ärmeren Ländern für die Energie-Investitionen aufkommen. Die ärmeren Länder können sich diese Investitionen weniger leisten als die reichen.

Zudem produzieren Photovoltaikanlagen in Deutschland im Winter fünfmal weniger Strom als im Sommer, während der Verbrauch wegen der Gebäudeheizung im Winter höher ist als im Sommer. Aus diesem Grund sollten in Europa zwei Drittel der Stromerzeugung durch Windturbinen aufgebracht werden und nur ein Drittel durch Photovoltaik. Berücksichtigt man den Anteil Europas am Bruttosozialprodukt der Welt und addiert die importierte graue Energie dazu, so müsste die Europäische Union bei optimistischen Schätzungen 62 000 Milliarden Euro investieren, um klimaneutrale Energie zu produzieren und zu speichern. Die erheblichen Investitionen zur Dekarbonisierung aller industriellen Prozesse kämen dann noch dazu. Um beispielsweise Stahl-, Beton- und Stickstoffdünger ohne fossile Brennstoffe herzustellen, sind hohe Investitionen erforderlich.

Die Coronavirus-Krise hat gezeigt, dass die Europäische Union (EU) mit außergewöhnlichen Anstrengungen über drei Jahre 750 Milliarden Euro Anleihen ausgeben kann. Im gleichen Zeitraum hat die Europäische Zentralbank weitere 1 500 Milliarden bereitgestellt. Im Januar 2020 kündigte die EU an, jährlich 100 Milliarden Euro für die Energiewende finanzieren zu wollen. Wenn die 27 Staaten der Union, private Unternehmen und Einzelpersonen weitere 400 Milliarden pro Jahr hinzufügen,29 so erscheint die Finanzierung von etwa 16 000 Milliarden bis 2050 machbar. Dazu müssten aber die Investitionen im Energiesektor gegenüber 2019 verdreifacht werden. Die Finanzierung von 62 000 Milliarden in 30 Jahren scheint jedoch jenseits des Machbaren. Ein späteres Kapitel untersucht die Risiken und Chancen der Finanzierung riesiger Beträge.

Für die Produktion von Windkraftanlagen, Photovoltaikmodulen und Speichersystemen werden große Mengen an Metallen aus „seltenen Erden“ benötigt. Die Nachfrage nach diesen Metallen wird deshalb stark zunehmen.

„Die Welt hat nicht die Mittel, um all die seltenen Metalle zu produzieren, welche für die Einrichtungen einer klimaneutralen Wirtschaft notwendig sind. […] Es herrscht kein geologischer Mangel, sondern ein finanzieller Mangel“.30

Also noch so ein finanzieller Engpass, obwohl derzeit ein Großteil dieser seltenen Metalle mit Verachtung der Umwelt und damit mit minimalen Investitionen produziert wird. Der Übergang zur Post-Öl-Gesellschaft erfordert erhebliche Investitionen in allen Bereichen, über welche viel zu wenig nachgedacht wird.

Zur Erzeugung erneuerbarer Energien könnten die europäische Wirtschaft und die Regierungen bis zum Jahr 2050 möglicherweise ein Drittel der 62 000 Milliarden finanzieren, aber nicht den gesamten Betrag. Selbst unter optimistischen Annahmen hat die Menschheit nicht genug Mittel, um alle fossilen Brennstoffe in weniger als 30 Jahren durch klimaneutrale Energien zu ersetzen. Um die schlimmsten Klimakatastrophen zu vermeiden, besteht die einzige Lösung darin, den Ersatz fossiler Brennstoffe mit zwei weiteren Ansätzen zu begleiten: erstens den Energieverbrauch deutlich zu senken und zweitens soziale Anpassungen vorzunehmen, wie sie in 2000-Watt-Stadtteilen ausprobiert werden.

Leicht zu förderndes Erdöl wird immer rarer, was eigentlich den Einsatz von erneuerbaren Energien automatisch stark beschleunigen sollte. Aber solange unser Wirtschaftssystem kurz- oder mittelfristig hohe Rentabilitäten anstrebt, wird weiterhin in die Erdölindustrie investiert. Voraussichtlich wird Strom aus Photovoltaik in mitteleuropäischen Klimazonen bald billiger zu produzieren sein als mit Kohlekraftwerken. In Wüstenländern ist Photovoltaik heute schon die wettbewerbsfähigste Energie, wenn sie zur Entsalzung von Wasser verwendet wird, (Wasser kann gespeichert werden), oder um ein Haus tagsüber zu klimatisieren (ein gut isoliertes Haus benötigt nachts keine Klimaanlage), oder um Wasserstoff durch Elektrolyse zu erzeugen.

Konkurrierende Anforderungen

Der Übergang zur Post-Öl-Gesellschaft muss viele konkurrierende Interessen austarieren. Landwirtschaftliche Flächen können beispielsweise in Konflikt mit den Flächen für Photovoltaikanlagen geraten. Diesbezüglich könnte ein System der Firma "DHP technology" diesen Konflikt teilweise zu entschärfen.31 Das Unternehmen bietet leichte Photovoltaikmodule an, die an Stahlseilen aufgehängt und über Parkplätzen, Fußballstadien, Kläranlagen oder über Weiden installiert werden. Tatsächlich wächst Gras die meiste Zeit des Jahres am besten im Schatten, besonders in wärmeren Gegenden. Außerdem könnten sich die Kühe auf den Weiden angesichts der Erderwärmung und immer heißer werdenden Sommern im Schatten der Sonnenkollektoren vor der sengenden Sonne schützen. Auch Kunden von Supermärkten hätten für ihre Autos gerne schattige Parkplätze. Bei stürmischem Wetter werden diese leichten Photovoltaik-Module automatisch unter ein Dach gefahren. Auch das multidisziplinäre Konsortium Sun’Agri testet mit Unterstützung der französischen Landwirtschaftskammer verschiedene Arten von Anlagen, die Strom produzieren und gleichzeitig die landwirtschaftlichen Erträge steigern. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) arbeitet an Photovoltaikanlagen, welche über Obst- und Weinbauflächen angelegt werden. Die Photovoltaikmodule sind lichtdurchlässig und schützen zudem Bäume und Sträucher vor zu viel Sonne und gegen Hagel. Würde man ein Viertel der Obst- und Weinbauflächen auch für die Stromerzeugung nutzen, könnte man dort rechnerisch etwa 50 GW installieren, was im Jahresdurchschnitt der Stromerzeugung von fünf Atomkraftwerken entspräche.

Auf dem Weg in die Post-Öl-Gesellschaft gehen immer mehr industrielle Technologien davon aus, dass landwirtschaftliche Produkte als Rohstoffe zur Verfügung stehen werden. So konkurriert die Biogas-Produktion mit E85-Treibstoffen und mit vielen Ausgangsprodukten der chemischen Industrie. Damit die Landwirtschaft jedoch als CO2-Senke funktionieren kann, müssen die meisten pflanzlichen Reste auf den Äckern bleiben und stehen deshalb der chemischen Industrie nicht mehr zur Verfügung (Details in Kapitel 5).

Sollten eines Tages die meisten Erdöl-Raffinerien geschlossen werden, dann müssen Agrarprodukte auch noch als Bindemittelzusatz für die im Straßenbau benötigten Millionen Tonnen Asphaltdienen! Die Produktivität der Landwirtschaft sollte natürlich auch weiter steigen, aber der aus Erdgas hergestellte Stickstoffdünger wird dann kaum mehr zur Verfügung stehen. Und so nebenbei müsste die Landwirtschaft auch noch 9 Milliarden Menschen ernähren. Diese und weiter Ansprüche hinterlassen den Eindruck, als ginge die Landwirtschaft auf riesige sich konkurrierende Anforderungen zu.

Deshalb wird das Potenzial des Biogases für die Berechnungen der Energieproduktion in diesem Buch nicht berücksichtigt, denn die Landwirtschaft wird die genannten Widersprüche nicht erfüllen können, selbst wenn in jedem Teilbereich eines Tages funktionierende Technologien zur Verfügung stünden. Anstatt jede neue Technologie öffentlich zu feiern und die Bevölkerung in falschen Illusionen zu wiegen, sollten die Problematik der Skalierung diskutiert werden.

Und dann gibt es da noch so ein Interessenkonflikt: Der Wunsch nach einem eigenen Haus steht im Widerspruch zu den steigenden Anforderungen an die Landwirtschaft, weil durch den Bau von Siedlungen und deren Infrastrukturen landwirtschaftliche Nutzflächen verloren gehen. Statt neue Siedlungen mit Einfamilienhäusern auf die grüne Wiese zu stellen, sollten aus unserer Sicht 2000-Watt-Quartiere mit gemeinsamen Grünflächen und familiären Gemüsegärten als Ideal angepriesen werden. Daran mag sich die individualistische Konsumgesellschaft stoßen, es ist aber vermutlich der einzige gangbare Weg in die Post-Öl-Gesellschaft.

5G – Telefonie, neue Internetfunktionen, Metaverse

Da die Investitionsmittel der Menschheit beschränkt sind, sollten sie nicht verschwendet werden. Dabei wird oft vergessen, dass das Internet insgesamt schon im Jahr 2018 genauso viel Energie verbrauchte wie der gesamte Flugverkehr. Das Ansehen von High-Definition-Videos übers Internet verbraucht einen erheblichen Teil der Energie, die für den Betrieb des Internets erforderlich ist. Im Jahr 2020 betrug der Stromverbrauch von Internet und Telefonie rund 2000 TWh. Nach Schätzungen eines Ingenieurs der Firma Huawei wird dieser Energieverbrauch aufgrund der neuen Funktionen der 5G-Telefonie, der zusätzlichen Milliarden vernetzten Objekten32 und der weiten Verbreitung der künstlichen Intelligenz bis 2030 etwa 8000 TWh betragen.33 Ein Großteil dieses Anstiegs des Energiebedarfs stammt aus Internet-Infrastrukturen, die voraussichtlich im Jahr 2030 etwa 100-mal mehr Daten verarbeiten werden als 2019. Obwohl Rechenzentren zurzeit noch energieeffizienter werden, steigt ihr Stromverbrauch wegen der Zunahme des Datenvolumens weiter stark an.

Der Energiebedarf wird mit den Virtual-Reality-Projekten, auch „Metaversum“ genannt, noch schneller ansteigen. Das Metaversum ist ein kollektiver virtueller Raum, eine virtuelle Darstellung der physischen Realität, beispielsweise von Straßen, Landschaften, Geschäften, Nachtclubs und Museen. Die Verbindung zum „Metaversum“ wird in der Regel über ein 3D-Virtual-Reality-Headset hergestellt, welches alle Bewegungen, Bilder und Worte einer Person an ein Rechenzentrum sendet. Die "Metaversen" ermöglichen Freunden, jeder zu Hause mit seinem Virtual-Reality-Headset auf dem Kopf, gemeinsame virtuelle Spaziergänge zu unternehmen, so als ob sie zusammen in einer Stadt auf Google Street-View spazieren gingen, oder gemeinsam ein Museum besuchten. An all diesen Orten können sie virtuell Menschen treffen, die auch gerade zufällig virtuell das gleiche Museum besuchen. Wie im echten Leben können wir durch das Bezahlen mit echten Euro virtuelle Luxus-Gadgets kaufen, um die im Metaversum angetroffenen virtuellen Menschen damit zu beeindrucken. Diese Metaverse werden unvorstellbare Mengen an Datenströmen erzeugen und den Strombedarf entsprechend noch weiter erhöhen. Ganz zu schweigen vom Verlust des letzten Ortes der Privatsphäre in den eigenen vier Wänden. Aktivitäten im "Metaversum" werden allerdings die Reiselust nicht verringern, genauso wenig wie Dokumentarfilme über schöne exotische Länder die Anzahl Touristen reduziert haben.

Die Herstellung elektronischer Produkte verbraucht bis zu hundertmal mehr Energie als deren Nutzung während zwei Jahren, so zum Beispiel bei Smartphones. Die Erneuerung der Informatik-Infrastruktur verschärft daher oft das Energie-Problem, selbst wenn neuere Geräte etwas energieeffizienter sind als alte.

Im Vergleich zum steigenden Energieverbrauch der neuen Funktionen der 5G-Telefonie und des Internets erwartet die Internationale Energieagentur (IEA) zwischen 2020 und 2030 eine Zunahme der Elektrizitätsproduktion durch erneuerbaren Energien von 6 000 TWh.34

Die neuen Funktionen der 5G-Telefonie und des Internets werden bis 2030 den Energieverbrauch schneller ansteigen lassen als die Zunahme der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien.

Die neuen Funktionen des Internets werden somit verhindern, dass fossile Brennstoffe durch erneuerbare oder klimaneutrale Energien ersetzt werden. Um das Pariser Abkommen aus dem Jahre 2015 einzuhalten und spätestens 2050 die CO2-Neutralität zu erreichen, müssten aber die fossilen Brennstoffe schnellst möglich abgelöst werden, und zwar nicht nur auf dem Papier!

Die neuen 5G-Antennen haben aufgrund ihrer höheren Frequenz (3.5 GHz statt 0.7 GHz bei 4G) eine geringere Reichweite, sodass dreimal so viele Antennen installiert werden müssen. Je höher die Frequenzen, desto weniger dringen die Wellen in Gebäude ein. Daher muss auch deren Sendeleistung deutlich erhöht werden. Mit zunehmender Frequenz und Sendeleistung wird auch die Zahl der Personen, welche an Elektrosensibilität leiden, zunehmen.

5G-Funktionen werden vermutlich für selbstfahrende Autos nützlich sein, aber nur als Zusatzoption, da alle Signale gestört werden können. GSM-Störsender sind leicht zu beschaffen und können 3G- und 4G-Telefonsignale schon seit Jahren unbrauchbar machen. Wenn selbstfahrende Autos weitgehend von der 5G-Kommunikation abhängen würden, so könnten Kriminelle mit 5G-Störsendern gleichzeitig viele Unfälle auslösen. Die Intelligenz muss sich deshalb innerhalb der Fahrzeuge befinden. Um alle Versprechen der Datenübertragungsraten einzuhalten, benötigt die 5G-Telefonie außerdem noch das Frequenzband von 26 GHz (oder höher), dessen Antennen eine maximale Reichweite von 500 Meter mit Sichtkontakt haben.35 Um das gesamte Straßennetz in Deutschland mit solchen Antennen abzudecken, müssten mehr als eine Million dieser Antennen installiert werden.

Einige Ankündigungen sagen Unternehmen enorme Produktivitätsgewinne voraus, wenn sie ihr Kabelnetz durch 5G ersetzen. Aber welches Unternehmen möchte ein Maschinenchaos in seiner Fertigung riskieren, nur weil ein frustrierter Mitarbeiter einen aktiven 5G-Signalstörsender versteckt hat? Für alle stationären Anwendungen wie Remote-Chirurgie ist außerdem die Glasfaser viel schneller 36 und viel sicherer als 5G.

Für Online-Videospiele mag 5G tatsächlich nützlich sein, genauso wie für einen Staat, der seine Bürger maximal überwachen will. Im Gegensatz zu 4G ermöglicht 5G in Frequenzbändern über 3.5 GHz unterschiedlichsten Geräten schnell miteinander zu kommunizieren. Alle autonomen Autos rund um eine Kreuzung könnten sowohl miteinander als auch mit Strassenampeln und Überwachungskameras und Handys von Radfahrern und Fußgängern sowie mit Kinderwagen und Rollern, Daten austauschen. Damit könnte der Verkehr flüssiger und Unfälle vermieden werden. Auch die Produktivität der Polizei könnte erhöht werden, weil beim Überqueren einer Straße bei einer roten Ampel die Überwachungskamera und die Ampel Daten austauschen und den Bußzettel direkt an das Handy des Fußgängers senden könnten, bevor dieser den gegenüberliegenden Gehweg erreicht hat. Der Vorschlag einer automatischen Konto-Abbuchung bei einem Gesetzesverstoß steht bereits in einem Bericht von drei französischen Senatoren. Und im Falle einer Epidemie schlagen diese Senatoren vor, noch weiter zu gehen. Sie schreiben in ihrem Bericht:

„Vorgelagerte medizinische Eingriffe würden erleichtert, wenn Daten von vernetzten Haushaltsgeräten, Personenwaagen, Thermometern, Fiebersymptome erkennenden Wärmebildkameras und Daten von Elektrokardiogrammen fortlaufend übertragen würden“.37

Jedermann würde genau überwacht, natürlich „um seiner Gesundheit willen“, so ganz nach dem Vorbild der chinesischen Diktatur. China preist bereits heute die allgegenwärtige Überwachung der Bevölkerung als "Garantie für soziale Harmonie" an.

Diese Überwachungsmethoden ermöglichen einer kleinen Gruppe von Menschen alle anderen jederzeit zu kontrollieren. Dies ist der Hauptgrund, warum die kommunistische Partei Chinas die 5G-Technologie so stark gefördert hat. Da die westlichen Eliten eine demokratische Debatte zu diesen Themen ablehnen, obwohl viele Aspekte des täglichen Lebens ihrer Bürger betroffen sind, drängt sich folgende Frage auf: Haben die Entscheidungsträger diese Technik nicht richtig verstanden oder haben sie die gleiche Auffassung von Freiheit und Menschenwürde wie die chinesische Einheitspartei? In letzterem Fall würden uns vorerst nur noch unsere Institutionen vor der gleichen Politik bewahren. Dies ist ein Grund mehr, um über das Thema der Freiheit auf dem Weg in die 2000-Watt-Gesellschaft nachzudenken (Details in Kapitel 7).

Neue Funktionen der 5G-Telefonie, welche nur das Frequenzband der 4G verwenden, sind gerechtfertigt. In diesem Bereich ist die 5G-Technologie (und später die 6G) energieeffizienter und erhöht dennoch die Datenübertragungsrate.38 Andere Anwendungen erscheinen im Blick auf die Klimaneutralität verantwortungslos und stellen eine Gefahr für die Freiheit dar. Aufgrund des erheblichen Anstiegs des Energieverbrauchs und der Risiken für die bürgerlichen Freiheiten verdienten die 5G-Telefonie und die geplanten neuen Internetanwendungen demokratische Debatten und Volksabstimmungen, möglichst bevor weitere Schritte in Richtung einer umfassenden Überwachung der Bevölkerung zu vollendete Tatsachen werden. Außerdem sind die Investitionskosten in die Infrastruktur der 5G- und 6G-Funktionen sehr hoch 39 und die Investitionen würden dringend in Bereichen benötigt, welche uns der Klimaneutralität näher bringen.

2.2. Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch

Wohin führt ein Wirtschaftssystem, welches Beschäftigungslosigkeit nur mit Wirtschaftswachstum reduzieren und den Sozialfrieden nur durch Arbeit gewährleisten kann? Ziel dieses Kapitels ist es aufzuzeigen, dass Wirtschaftswachstum im traditionellen Sinne und CO2-Neutralität für das Jahr 2050 zwei widersprüchliche Ziele sind. Das Paradigma der Ökonomen „ohne Wachstum stirbst du“ sollte umgekehrt werden in „das aktuelle Wachstumsmodell beschleunigt das bereits beobachtete Artensterben“.

Seit wir den produzierten Reichtum (Bruttosozialprodukt, BSP) messen, zeigt sich eine direkte Korrelation zwischen dem produzierten Reichtum und dem Energieverbrauch. Bei einem weltweiten Wirtschaftswachstum von 3 % steigt der Energieverbrauch durchschnittlich um rund 2 %. Der produzierte Reichtum und die Produktivität der Arbeit nehmen zu, wenn Maschinen in automatisierten Fertigungen mehr Wirtschaftsleistung erbringen und somit für uns arbeiten. Abbildung 3 zeigt den Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum (Wachstum des Bruttosozialprodukts, BSP) und Weltenergieverbrauch.

Abbildung 3 (Quelle : OurfiniteWorld.com)

Diese Abhängigkeit zeigt, dass eine starke Verringerung des Energieverbrauchs zu einer Verringerung der Menge der materiellen Produktion führt, was Ökonomen als Rezession bezeichnen. „Wachstum“ in Form von Immobilien- und Börsen-Blasen wird es allerdings auch mit weniger Energie zukünftig noch geben.

Einige Länder haben diese Korrelation zwischen Wirtschaftswachstum und Energie etwas reduziert, ihr BSP ist schneller gewachsen als der Energieverbrauch. Spricht diese Beobachtung dafür, dass die Klimaneutralität bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum möglich ist?

Die Energieintensität einer Volkswirtschaft kann problemlos gesenkt werden, indem der energieintensive verarbeitende Sektor in ein anderes Land verlagert wird, beispielsweise die Stahlproduktion. Der Energieverbrauch des Stahl-produzierenden Landes er höht sich und im Stahl-importierenden Land sinkt sie. Die Schweizer exportieren teure Luxusuhren und importieren Stahl und Getreide, was eine ausgeglichene Handelsbilanz ermöglicht, aber eine äußerst negative Energiebilanz verursacht. Schweizer, wie wohl die meisten Europäer, importieren auf diese Weise viel graue Energie.40 In einer globalisierten Wirtschaft muss daher die Korrelation zwischen Energie und BSP global betrachtet werden.

Um die Klimaneutralität zu erreichen, erwarten Protagonisten des unbegrenzten Wachstums eine dramatische Verbesserung der Energieeffizienz. Tatsächlich erlaubt die Verbesserung der Gebäudedämmung und der Belüftung Gebäude energieeffizienter werden lassen, da deren Energierechnung sinkt, ohne die Lebensqualität zu beeinträchtigen. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) ist die Energieeffizienz in den letzten 20 Jahren um durchschnittlich 1.5 % pro Jahr gestiegen.41 Der Energieverbrauch ist aber durchschnittlich um 3 % gestiegen, genauso wie die Treibhausgas-Emissionen. Um die CO2-Neutralität selbst ohne Wirtschaftswachstum bis 2050 zu erreichen, müsste die sich Energieeffizienz jährlich um 4 % verbessern. Das hat die Menschheit in 100 Jahren kein einziges Mal geschaffen. Das Haupthindernis für eine schnelle Steigerung der Energieeffizienz ist außerdem sehr menschlich, die IEA weist immer wieder darauf hin, und wir werden das Thema in Kapitel 10 genauer betrachten.

Nur schon diese Betrachtungen zeigen, dass das derzeitige System nicht in der Lage ist, die CO2-Emissionen bis 2050 durch vier zu teilen, um die globale Erwärmung dadurch auf 2 °C zu begrenzen. Eine drastische Reduktion der CO2-Emissionen um 5 % pro Jahr würde automatisch die Wirtschaftsleistung reduzieren, wenigstens gemäß der üblichen Berechnung des Bruttosozialprodukts.

Beim gegenwärtigen Wirtschaftssystem ist schwer vorstellbar, wie dieser Rückgang des BSP ohne eine dauerhafte Rezession und ohne eine starke Zunahme sozialer Konflikte erreicht werden kann. Die Reduktion der CO2-Emissionen während der Covid-19-Epidemie im Jahr 2020 gibt uns einen kleinen Vorgeschmack auf eine solche Rezession. Der Verbrauch fossiler Brennstoffe war für einige Wochen um 30 % und im Jahresdurchschnitt um 5 % gesunken. Eine zusätzliche Senkung der CO2-Emissionen um 5% müsste nun jedes Jahr bis 2050 geschehen!

Dies ist ein Grund, weshalb die 2000-Watt-Nachbarschaften gegründet wurden. Sie sind Modelle, die unter guten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen den Weg zu einer deutlichen Reduzierung des Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen weisen. Sie zeigen Qualitätswachstum bei gleichzeitig reduzierter Konsummenge. Weiteres Mengenwachstum ist nicht mit Klimaneutralität vereinbar.

Wann wird die Grenze der Erdölressourcen spürbar?

Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) haben die meisten „kleinen“ Erdölförderländer zwischen 2005 und 2018 aufgrund schwindender Reserven ihre Produktion reduziert. Die Moscow Times vom 24. September 2018 warnte, Russland werde 2022 das Fördermaximum erreichen und danach einen langsamen Produktionsrückgang erleben.42 Ohne das Öl und Schiefergas aus den USA wäre die Nachfrage nach Gas und Öl bereits 2010 größer gewesen als das Angebot. Die amerikanische Regierung prognostiziert, dass die Förderung von Öl und Gas 2023 ihr Maximum erreichen wird. Große Mengen Schieferöl und Schiefergas aus den Vereinigten Staaten haben eine anhaltende wirtschaftliche Rezession um 15 bis 20 Jahre verschoben, denn sobald die Menge an verfügbaren fossilen Brennstoffen zurückgeht, wird auch die Wirtschaft schrumpfen. Selbst wenn die Menschheit nicht lernt sich selbst freiwillig einzuschränken, wird die Ölfördermenge zwischen 2025 und 2029 das Maximum erreichen und danach dauernd zurückgehen.43

Die von uns empfohlenen Lösungen gehen der natürlichen Verknappung der Ölreserven voraus, weil die Beschränkung der Erderwärmung sofort deutliche Energieeinsparungen erfordert. Die Bevölkerung benötigt allerdings Modelle mit einem angenehmen Lebensstil, damit sie den Weg aus der Logik des unbegrenzten Mengenwachstums findet. Als Alternative stünde eine lange weltweite Rezession zur Verfügung, was James Howard Kunstler eine "nachhaltig soziale Notsituationen" nennt („Living in the long emergency“).

In unserem gegenwärtigen System hängt der Wohlstand weitgehend vom Energieverbrauch ab und ein Rückgang der Verfügbarkeit billiger Energie führt automatisch zu einem Rückgang des BSP, d.h. zu einer Rezession. Während längeren Rezessionen nehmen Beschäftigungslosigkeit, Armut und soziale Spannungen zu. Das ist ein weiterer Grund, warum die Gesellschaft dringend nachhaltiger und energiearmer gestaltet werden muss. Die 2000-Watt Gesellschaft sollte den Energieverbrauch bis 2050 durch zwei und bis 2100 durch drei teilen. Einige Kantone wie Zürich wollen die CO2-Neutralität bereits 2040 erreichen.44 Einige 2000-Watt Nachbarschaften haben das erste Ziel fast erreicht. Diese Quartiere zeigen, wie man bei sinkendem Einkommen und BSP eine gute Lebensqualität halten kann. Sie suchen in allen Gebieten nach möglichem Qualitätswachstum bei gleichzeitig negativem Mengenwachstum.

2.3. Kernenergie

Der im Jahr 1972 vom Club of Rome in Auftrag gegebene Bericht über die Grenzen des Wachstums in einer begrenzten Welt stellte die Grenzen der Ressourcen des Planeten in den Mittelpunkt der Debatte. Fünfzig Jahre nach der Veröffentlichung dieses von Wissenschaftlern des Massachusetts Institute of Technology (MIT) erstellten Berichts ist die Menschheit den Grenzen vieler Ressourcen wesentlich näher gekommen. Deshalb ist unsere auf fossilen Brennstoffen basierende Kultur derart auf die Grenzen der Rohstoffe fokussiert, dass sie eine andere wichtige Beschränkung der Menschheit vergisst.

Der Brennstoff für Kernkraftwerke ist angereichertes Uran, dessen leicht abbaubare Reserven 2019 auf maximal 100 Verbrauchsjahre geschätzt wurden. Die Uranreserven reichen für 200 Jahre, wenn man auch Gesteine mit geringerem Urangehalt berücksichtigt.45Die 200-Jahres-Reserven wären allerdings in nur 15 Jahren aufgebraucht, wenn weltweit alle fossilen Brennstoffe durch Strom aus Kernkraftwerken ersetzt werden müssten. Um jährlich 100 000 TWh elektrische Energie zu produzieren, müsste die aktuelle Anzahl Kernkraftwerke um den Faktor 14 erhöht werden.

Der näher rückende Zeithorizont der ausgehenden Rohstoffe und die dauernde Beschäftigung mit den Reserven fossiler Brennstoffe haben zwei komplexe und teure Projekte im Bereich der Kernenergie initiiert: den französischen Superphénix und den ITER