Predictive Analytic und die Haftung für fehlerhafte Ergebnisse gegenüber betroffenen Einzelpersonen - Susanne Mentel - E-Book

Predictive Analytic und die Haftung für fehlerhafte Ergebnisse gegenüber betroffenen Einzelpersonen E-Book

Susanne Mentel

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Beschreibung

Datengetriebene Vorhersagen von Ereignissen sowie von menschlichem Verhalten zählen nicht nur aufgrund der rasant steigenden Datenmenge inzwischen zu einer modernen Unternehmensführung. Ein weiterer Grund für ihre Verbreitung ist auf die verbesserten technischen Möglichkeiten zurückzuführen. Die Gefahren fehlerhafter Vorhersagen für die von ihr betroffenen Einzelpersonen werden entgegen aller Euphorie dagegen größtenteils ausgeblendet. Das Werk beschäftigt sich in seinem ersten Teil ausführlich mit den technischen Grundlagen von Predictive Analytic. Im zweiten Teil wird die Frage nach einer Haftung für fehlerhafte Ergebnisse aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Neben klassischen Anknüpfungspunkten wie der Verletzung von Vertrags- und Sorgfaltspflichten beschäftigt sich die Arbeit ferner eingehend mit den Haftungsmöglichkeiten der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung. Die Untersuchung schließt mit dem Vorstoß, die automatisierte Erstellung von Analyseergebnissen der Produzentenhaftung zu unterwerfen, und gibt damit einen Impuls für die weitere rechtliche Diskussion.

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Zugleich Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Rechte durch die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster

 

vorgelegt von: Susanne Mentel

aus: Bad Tölz

 

2019

Erster Berichterstatter: Prof. Dr. Thomas Hoeren Zweiter Berichterstatter: Prof. Dr. Nikolas Guggenberger Dekan: Prof. Dr. Klaus Boers Tag der mündlichen Prüfung: 11. Dezember 2018

Predictive Analytic und die Haftung für fehlerhafte Ergebnisse gegenüber betroffenen Einzelpersonen

Susanne Mentel

Fachmedien Recht und Wirtschaft | dfv Mediengruppe | Frankfurt am Main

Impressum

Abkürzungshinweise

Hinsichtlich gängiger juristischer Abkürzungen wird auf das Verzeichnis von Kirchner, Hildebert/Böttcher, Eike, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 8. Aufl. 2015, Berlin verwiesen. Spezielle Ausdrücke, die nur für die vorliegende Untersuchung relevant sind, werden vor ihrer ersten abgekürzten Verwendung in Klammern eingeführt. Der Ausdruck „Predictive Analytic“ wird aus Gründen der leichteren Lesbarkeit sowohl im Singular als auch im Plural einheitlich verwendet.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8005-1707-7

© 2019 Deutscher Fachverlag GmbH, Fachmedien Recht und Wirtschaft, Frankfurt am Main Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Druck: WIRmachenDRUCK GmbH, Backnang

Printed in Germany

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2018 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. An dieser Stelle möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die mich während meiner Promotion begleitet, unterstützt und angespornt haben.

An erster Stelle gilt mein Dank meinem Partner Daniel Elsesser. Er hat mich nicht nur täglich motiviert und in meiner Arbeit bestätigt, sondern mir auch den nötigen Freiraum und Rückhalt geschenkt, damit dieses Buch entstehen konnte. Meinen Eltern danke ich für ihre bedingungslose Unterstützung während meiner gesamten Studien- und Promotionszeit. Darüber hinaus möchte ich mich herzlich bei Nadine Heckl bedanken. In endlosen Gesprächen über die Höhen und Tiefen einer Promotion hatte sie immer ein offenes Ohr und konnte mir jedes Mal aufs neue Mut zusprechen. Ein besonderer Dank gilt auch meiner Cousine Monika Wagner, die mich bei meinen Aufenthalten an der Universität Münster stets mit offenen Armen empfangen und jede Etappe freudig begleitet hat.

Ausdrücklich hervorheben möchte ich meinen Doktorvater Herrn Prof. Dr. Thomas Hoeren, dem ich die fesselnde Thematik der vorliegenden Arbeit zu verdanken habe. Mein Dank gilt auch der außergewöhnlich zügigen Erstellung des Erstgutachtens sowie den Lehrstuhlmitarbeitern des ITM Münster für den anregenden Austausch. Darüber hinaus bedanke ich mich bei Herrn Prof. Dr. Nikolas Guggenberger für die ebenfalls äußert rasche Erstellung des Zweitgutachtens.

Literatur und Rechtsprechung wurden bis Juni 2018 berücksichtigt.

Inhaltsübersicht

Abkürzungshinweise

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil: Fehlerhafte Predictive Analytic

A. Problemaufriss, bisheriger Forschungsstand, Ziel der Arbeit und Gang der Untersuchung

B. Einführung in Predictive Analytic

C. Technische Grundlagen

D. Fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse

Zweiter Teil: Haftung für fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse gegenüber dem Betroffenen

A. Einführung in die Haftung

B. Fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse als Verletzung (vor-)vertraglicher Pflichten

C. Fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse als Verletzung von Datenschutzrecht

D. Fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse als Anknüpfungspunkt deliktischer Haftung

E. Fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse als Anknüpfungspunkt einer Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG

F. Fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse als vorsätzlich sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB

G. Fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse als Verletzung spezifischer Verkehrssicherungspflichten nach den Grundsätzen der Produzentenhaftung

H. Ergebnisse und Fazit

Literaturverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Deckblatt

Titel

Impressum

Abkürzungshinweise

Vorwort

Inhaltsübersicht

Erster Teil: Fehlerhafte Predictive Analytic

A. Problemaufriss, bisheriger Forschungsstand, Ziel der Arbeit und Gang der Untersuchung

I. Allgegenwärtigkeit von Predictive Analytic

II. Bisheriger Forschungsstand

III. Ziel der Arbeit und Gang der Untersuchung

B. Einführung in Predictive Analytic

I. Herkunft des Begriffes und Annäherung

II. Definition

III. Entwicklung von vorhersagenden Analysen

1. Frühe Scoring-Verfahren zur Kriminalitätsbekämpfung

2. Klassisches Kredit-Scoring

3. Erweiterte Scoring-Verfahren

IV. Anwendungsbereiche

1. Predictive Analytic ohne Personenbezug

a) Predictive Maintenance

b) Google Flu Trends

2. Betroffenenbezogene Vorhersagen

3. Einzelne Anwendungsgebiete

a) Predictive Analytic zu Marketingzwecken

aa) Predictive Analytic zur Neukundengewinnung

bb) Predictive Analytic für personalisierte Werbung

cc) Predictive Analytic für die Modalitäten der Ansprache

dd) Uplift-Modelling

b) Predictive Analytic als Kundenbindungsinstrument

c) Predictive Analytic im Dynamic Pricing

d) Predictive Analytic zur Arbeitnehmerbewertung

e) Predictive Analytic zur Tarifierung und Risikoeinschätzung bei Versicherungen

f) Predictive Analytic zur Betrugsbekämpfung

g) Predictive Analytic zur Verbrechensvorhersage

h) Predictive Analytic zur umfassenden Verhaltenseinschätzung

V. Eingrenzung auf Unternehmen

VI. Der Unterschied zwischen internen und externen Predictive Analytic

C. Technische Grundlagen

I. Daten als Ausgangsbasis

1. Interne Datenquellen

2. Externe Datenquellen

3. Öffentlich zugängliche Daten

4. Größe

5. Personenbezug

6. Struktur

7. Verfügbarkeit

II. Verortung der Analyse-Software

III. Strukturierung, Aufbereitung und Datenbewertung

IV. Data Mining und Klassifizierung

V. Übertragung der Modelle auf neue Daten

VI. Predictive Model

VII. Bedeutung von Machine Learning

VIII. Predictive Analytic im eigentlichen Sinne

D. Fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse

I. Zur Fehlerhaftigkeit von Wahrscheinlichkeitsaussagen

II. Weiteres Vorgehen

III. Mögliche Ursachen fehlerhafter Predictive Analytic

1. Fehlerhafte Datengrundlage

a) Vernachlässigung der Datenqualität bei Big Data-Analysemethoden

b) Bestimmung fehlerhafter Daten

c) Fazit für Bestimmung fehlerhafter Daten

d) Arten von Datenfehlern

aa) Datenfehler im technischen Sinne

bb) Datenfehler im inhaltlichen Sinne

2. Fehlerhafte Software

3. Fehlerhaftes Endergebnis aufgrund Black Box-Phänomen

IV. Mögliche Folgen einer fehlerhaften Predictive Analytic

1. Abgrenzung zu rein internen Zwecken

2. Marketing und Kundenbindung

3. Dynamic Pricing

4. Analyse von Arbeitnehmerverhalten

5. Vorhersage von Schadensrisiken

6. Umfassende Verhaltensbewertungen des Einzelnen

7. Auswirkungen von Predictive Analytic auf grundrechtlich geschützte Positionen

V. Grundsätzliche Ersatzfähigkeit der Nachteile der Betroffenen

1. Ersatzfähigkeit im Ergebnis vs. grundsätzliche Ersatzfähigkeit

2. Bestimmung des ersatzfähigen Schadens

a) Ausgangsproblem

b) Die Schadenskategorien Vermögens- und Nichtvermögensschaden

3. Einteilung der Folgen von fehlerhaften Predictive Analytic-Ergebnissen

a) Vermögensschäden

aa) Zahlung eines höheren Preises

bb) Abschluss zu schlechteren Konditionen

cc) Vorenthaltung von Vergünstigungen

dd) Verweigerung eines Vertragsabschlusses

ee) Personen- und Sachschäden

b) Nichtvermögensschäden

4. Folgerung für das weitere Vorgehen

5. Ersatzfähigkeit finanzieller und immaterieller Schäden im Zivilrecht

a) Ersatzfähigkeit finanzieller Schäden

aa) Naturalrestitution

bb) Besonderheit bei Verweigerung eines Vertrages

cc) Ausgleich in Geld

b) Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden

aa) Das Datenschutzrecht als gesetzlich geregelte Ausnahme nach § 253 Abs. 1 BGB

bb) Ausnahmeregelung des § 253 Abs. 2 BGB

(1) Explizit genannte Rechtsgüter

(2) Ersatzfähigkeit bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts

(a) Bejahende Rechtsprechung

(b) Einschränkende Voraussetzungen eines Ersatzes

(c) Konsens bezüglich des Ergebnisses

cc) Fazit Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden

6. Zwischenergebnis zur grundsätzlichen Ersatzfähigkeit der Nachteile des Betroffenen

Zweiter Teil: Haftung für fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse gegenüber dem Betroffenen

A. Einführung in die Haftung

I. Kein bestehendes Haftungsregime für Predictive Analytic

II. Der Vorhersagewert als Anknüpfungspunkt der Haftung

1. Predictive Analytic-Ergebnisse als fehlerhafte Informationen über eine Person

2. Fehlerhafte Informationen in der Haftungsdiskussion

3. Fehlendes Haftungskonzept für fehlerhafte Informationen

III. Einordnung der weiteren Untersuchung

1. Zielrichtung der Anspruchsprüfung

2. Prüfung nach Anspruchsgrundlagen

3. Unterschiede nach Anspruchsgegnern

B. Fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse als Verletzung (vor-)vertraglicher Pflichten

I. Richtung der Haftung

II. Fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse als Mangel i.R.d. Gewährleistungsrechts

1. Auswirkung fehlender gesetzlicher Anforderungen an Predictive Analytic

2. Anlehnung an Klassifizierung als fehlerhafte Information

a) Rechtsprechung zur Haftung bei Druckwerken

b) Schlussfolgerungen für Mängel bei fehlerhaften Informationen

3. Relevanz für Haftung der Akteure einer Predictive Analytic untereinander

4. Relevanz für Ansprüche des Betroffenen

5. Fazit fehlerhaftes Predictive Analytic-Ergebnis als Mangel

III. Fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse als Nebenpflichtverletzung

1. (Vor-)Vertragliches Rechtsverhältnis

2. Sorgfältige Erstellung eines Predictive Analytic-Ergebnisses als Nebenpflicht

a) Rücksichtnahmepflichten

aa) Schutz der Rechtsgüter

bb) Schutz der Rechte und Interessen

(1) Anforderungen des BDSG als objektive Anknüpfungspunkte einer Pflichtverletzung

(2) Unsicherheit bezüglich des Bestandes nationaler Datenschutzbestimmungen

(3) Vorgaben der DS-GVO als weitere objektive Anknüpfungspunkte einer Pflichtverletzung

b) Loyalitätspflichten

c) Informations- und Aufklärungspflichten

d) Fazit Nebenpflichtverletzung

3. Rücksichtnahmepflichten ohne vertragliche Beziehung

4. Probleme der Beweislast und Verschulden

5. Ersatzfähiger Schaden und Umfang des Ersatzes

a) Ersatzfähigkeit nach dem Schutzzweck der Norm

b) Ersatz des Integritätsinteresses bei bestehendem Vertragsverhältnis

c) Ersatz des Vertrauensschadens bei vorvertraglicher Pflichtverletzung

d) Enttäuschtes Vertrauen durch fehlerhafte Predictive Analytic

e) Möglichkeiten eines Ersatzes

aa) Anspruch auf Rückabwicklung des Vertrages

bb) Anspruch auf Anpassung des Vertrages

cc) Ausgleich des Mehraufwandes in Geld

dd) Kein Anspruch auf Abschluss eines Vertrages

C. Fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse als Verletzung von Datenschutzrecht

I. Richtung der Haftung

II. Verstoß gegen die Verordnung

1. Verstoß gegen den Grundsatz der Richtigkeit nach Art. 5 Abs. 1 lit. d) DS-GVO

a) Sachliche Richtigkeit

aa) Konkretisierung des Begriffes

bb) Übertragung auf Daten i.R.v. Predictive Analytic

b) Aktualität

aa) Abgrenzung von aktuellen und richtigen Daten

bb) Einschränkung des Grundsatzes

cc) Einklang von Richtigkeit und Aktualität

c) Umsetzung des Grundsatzes

aa) Pflicht zur aktiven Umsetzung

bb) Mögliche Maßnahmen zur Gewährleistung der Datenrichtigkeit

cc) Einschränkung auf angemessene Maßnahmen

d) Verwendung umfassender Daten

aa) Interesse der Predictive Analytic-Anwender

bb) Recht auf Vervollständigung

cc) Anlehnung an DS-RL

dd) Abhängigkeit der Richtigkeit vom Zweck der Verarbeitung

e) Fazit

2. Verstoß gegen vorgeschriebene Verfahren sowie gegen die Forderung nach technischen und organisatorischen Maßnahmen

a) Verwendung geeigneter mathematischer und statistischer Verfahren

aa) Mathematisch-statistische Verfahren nach der DS-GVO

bb) Auslegung der Geeignetheit als Fehlerfreiheit?

cc) Fazit

b) Treffen von technischen und organisatorischen Maßnahmen

aa) Sorgfältige Programmierung als technische Maßnahme

bb) Weitere Maßnahmen zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Verfahrens

cc) Fazit

c) Verstoß gegen Vorschriften des BDSG

aa) Das BDSG als Einfallstor einer Haftung nach DS-GVO

bb) Verstoß gegen die Vorgaben des § 31 BDSG n.F.

(1) Wissenschaftlich anerkanntes mathematisch-statistisches Verfahren

(2) Die nachweisbare Erheblichkeit der genutzten Daten

(3) Nutzung von Anschriftendaten

III. Kausalität des Verstoßes

IV. Beweislast nach der DS-GVO

V. Exkulpationsmöglichkeit

1. Kein Verantwortungsbereich des Schädigers

2. Einhaltung weiterer Vorschriften der DS-GVO

a) Keine ausschließlich auf automatisierter Verarbeitung beruhende Entscheidung

b) Rechte des Betroffenen bei Profiling

c) Weitere Vorschriften der DS-GVO

VI. Umfang des Ersatzes

1. Materielle Schäden bei fehlerhaften Predictive Analytic

2. Immaterielle Schäden bei Predictive Analytic

D. Fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse als Anknüpfungspunkt deliktischer Haftung

I. Richtung der Haftung

II. Eingeschränkte Schutzgüter nach § 823 Abs. 1 BGB

1. Haftung für Verletzungen des reinen Vermögens

2. Haftung für immaterielle Schäden

3. Die Wirkung fehlerhafter Predictive Analytic auf geschützte Rechte

a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht i.R.d. § 823 Abs. 1 BGB

b) Das „Recht am eigenen Datenbestand“ als sonstiges Recht i.R.d. § 823 Abs. 1 BGB

aa) Anerkennung eines Rechts am Datum als sonstiges Recht

bb) Verfügungsbefugnis i.R.d. Zuordnung des Rechts

cc) Zuordnung der Daten bei Predictive Analytic

dd) Abwehrbefugnisse des Betroffenen gegenüber dem Datenberechtigten

ee) Wandlungsbedarf im Hinblick auf ein „Recht des Betroffenen am eigenen Datum“

ff) Fazit für weitere Untersuchung

E. Fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse als Anknüpfungspunkt einer Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG

I. Kein Ausschluss durch vorrangige Regelung

II. Schwerwiegender Eingriff durch fehlerhafte Predictive Analytic

1. Einstufung von mathematisch-statistischen Bewertungen als Werturteile

2. Übertragung auf Predictive Analytic

3. Unzutreffende Tatsachengrundlage als Anknüpfungspunkt einer Verletzung

4. Probleme der Nachweisbarkeit

5. Unzureichende Tatsachengrundlage als Anknüpfungspunkt einer Verletzung

6. Eingriff in Rechte des Betroffenen durch fehlerhafte Verfahren

III. Ersatz immaterieller Schäden

F. Fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse als vorsätzlich sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB

G. Fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse als Verletzung spezifischer Verkehrssicherungspflichten nach den Grundsätzen der Produzentenhaftung

I. Notwendigkeit einer Produzentenhaftung für Predictive Analytic

1. Ansprüche gegen die am Analyseprozess Beteiligten

2. Ansprüche gegen den Hersteller der Predictive Analytic-Software

II. Hintergrund der Produzentenhaftung

III. Mögliche Rechtsgutverletzungen

1. Vermögen als nicht geschütztes Rechtsgut

2. Anerkennung des Persönlichkeitsrechts als Schutzgut der Produzentenhaftung

IV. Mögliche Adressaten einer Haftung

1. Software-Hersteller als Anspruchsgegner

2. Software-Anwender als Anspruchsgegner

V. Anwendbarkeit auf Predictive Analytic

1. Anwendbarkeit auf Predictive Analytic-Software

a) Anwendbarkeit auf Software allgemein

b) Anwendbarkeit auf Predictive Analytic-Software

c) Konsequenz für Betroffenen

2. Anwendbarkeit auf Analyseergebnisse in Anlehnung an Themenkreis der fehlerhaften Information

a) Software-Anwender als möglicher Anspruchsgegner einer Produzentenhaftung

b) Fehlerhafte Analyseergebnisse als Anknüpfungspunkt einer Produzentenhaftung

aa) Kriterium der Verkörperung

bb) Vermeidung von Wertungswidersprüchen

cc) Fehlende Unmittelbarkeit kein Ablehnungskriterium

dd) Arbeitsteilige Herstellung als Hauptargument

(1) Herstellung eines Druckwerkes

(2) Übertragung auf Predictive Analytic

ee) Fazit Anwendbarkeit

ff) Konsequenz für den Betroffenen

VI. Mögliche Verkehrssicherungspflichtverletzungen

1. Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von Software-Hersteller und Anwender

2. Verkehrssicherungspflichten des Predictive Analytic-Software-Herstellers

a) Fehlerhafte Programmierung der Software

aa) Programmierfehler als Fehler der Software

bb) Auswirkungen der anerkannten Fehlerhaftigkeit von Software

cc) Programmierfehler als Konstruktionsfehler

dd) Verkehrssicherungspflichten im Rahmen der Programmierung

(1) Herleitung der Pflicht zur Verkehrssicherung

(2) Pflichten zur Vermeidung von Programmierfehlern im Einzelnen

ee) Erforderlichkeit und Zumutbarkeit

ff) Fazit fehlerhafte Programmierung der Software

b) Fehlende Implikation einer Fehlererkennungssoftware

aa) Unterlassen als Anknüpfungspunkt

bb) Einordnung als Konstruktionsfehler

cc) Erforderlichkeit einer Fehlererkennungsimplikation

(1) Gefährlichkeit von fehlerhaften Predictive Analytic

(2) Objektive Erkennbarkeit der Gefahr

(3) Keine Berufung auf Entwicklungsfehler

(4) Vermeidbarkeit der Gefahr durch Fehlererkennungssoftware

(a) Bestimmung des Standes von Wissenschaft und Technik

(b) Stand der Technik zu Fehlererkennungssoftware

(i) Dublettenbereinigung bei CRM- und ERP-Systemen

(ii) Funktionsweise von Dublettenbereinigung

(iii) Dublettenbereinigung bei Predictive Analytic-Anwendungen

(iv) Stand zu komplexer Fehlererkennungssoftware

(v) Auswirkung von Innovationen auf den Stand der Technik

(vi) Fazit Stand der Technik zu Fehlererkennungssoftware bei Predictive Analytic

(5) Sicherheitserwartung des Verkehrskreises

(a) Bestimmung des maßgeblichen Verkehrskreises

(b) Anlehnung an die Rechtsprechung zum ProdHaftG

(c) Erwartungen der Betroffenen

(d) Erwartungen der Predictive Analytic-Anwender

dd) Zumutbarkeit einer Implikation

ee) Fazit Fehlererkennungssoftware als Verkehrssicherungspflicht des Software-Herstellers

c) Instruktionspflicht gegenüber den Anwendern der Predictive Analytic-Software

aa) Warnpflicht vor unvermeidbaren Gefahren

bb) Legitime Erwartungen an die Software-Anwender

cc) Bestimmungswidriger Gebrauch durch Verwendung von Big Data?

dd) Auswirkungen fehlender Standards auf Instruktionspflicht

d) Fazit Verkehrssicherungspflichten des Software-Herstellers

3. Verkehrssicherungspflichten des Predictive Analytic-Anwenders

a) Vermeidung fehlerhafter Ergebnisse als Verkehrssicherung

b) Verwendung eines geeigneten Verfahrens

c) Pflicht zur Verwendung zutreffender Daten

d) Pflicht zur Verwendung einer geeigneten Datengrundlage

e) Pflicht zur Kontrolle der Endergebnisse

aa) Haftung des Verlegers nach der Entscheidung „Kochsalzlösung“

bb) Kontrolle vs. Echtzeit-Predictive Analytic

f) Fazit Verkehrssicherungspflichten des Predictive Analytic-Anwenders

VII. Weitere Voraussetzungen, insbesondere des haftungsausfüllenden Tatbestandes

VIII. Beweislast und mögliche Erleichterungen zugunsten des Betroffenen

1. Identität von Software-Hersteller und Predictive Analytic-Anwender

2. Nachweis des Verantwortungsbereiches in allen anderen Fällen

a) Anscheinsbeweis

b) Fehlerkontrolle als Befundsicherungspflicht

aa) Befundsicherungspflicht bei Software-Herstellung

bb) Befundsicherungspflicht bei Herstellung der Analysen

3. Auswirkungen selbstlernender Elemente von Predictive Analytic auf die Verantwortungszuschreibung

IX. Mögliche vom Ersatz erfasste Schäden

H. Ergebnisse und Fazit

I. Zusammenfassung der Ergebnisse

1. Begrenzt ersatzfähige Schäden

2. Probleme der vertraglichen Haftung

3. Probleme der gewöhnlichen deliktischen Haftung

4. Datenschutzrecht als weitreichende Haftungsmöglichkeit der Zukunft

5. Ansatz einer vielversprechenden Produzentenhaftung

a) Einbezug des Persönlichkeitsrechts

b) Anwendbarkeit der Produzentenhaftung auf Predictive Analytic-Ergebnisse

c) Fehlen von Standards

6. Beweislast als Problem der Rechtsdurchsetzung

7. Auseinandersetzung mit der Forderung einer Gefährdungshaftung für neuartige IT-Systeme

II. Fazit

Literaturverzeichnis

Erster Teil: Fehlerhafte Predictive Analytic

A. Problemaufriss, bisheriger Forschungsstand, Ziel der Arbeit und Gang der Untersuchung

I.Allgegenwärtigkeit von Predictive Analytic

Ob benutzerdefinierte Angebote, variable Preisfestsetzungen im Online-Shopping, auf Fitness- und Gesundheitsdaten basierende Angebote der Krankenkassen, vorbeugende Kundenpflege bei wahrscheinlichem Anbieterwechsel oder besseres Mitarbeitermanagement durch Kündigungsvorhersagen, die Vorhersage menschlichen Verhaltens rückt durch neue datengetriebene Analyse-Software namens Predictive Analytic in den Bereich des Möglichen. Diese und weitere „Vorhersagen der Zukunft“ bieten sich einerseits durch die enorm gestiegenen technischen Möglichkeiten, andererseits durch die massenhafte Existenz von Daten an. Letztere stellen sowohl durch Unternehmen erhobene Daten dar als auch zu einem nicht zu unterschätzenden Teil freiwillig preisgegebene persönliche Daten.

Der anhaltende Erfolg dieser „algorithmischen Orakel“ kann auf „das Zusammentreffen von drastisch verbilligtem Speicherplatz und Computerkapazitäten mit der Verfügbarkeit von immer mehr digital erfassten Lebensäußerungen“ zurückgeführt werden.1 Im Laufe dieser Entwicklung erkennen sowohl private Unternehmen als auch staatliche Stellen immer öfter die Chance, diese Daten durch systematische Auswertungen und darauf basierende Analysen zu nutzen.2 Durch die zunehmende Verbreitung sog. vorhersagender Analysen3 beschränken sich Datenanalysen nicht mehr nur auf die Vergangenheit, sondern versuchen, bestimmte Verhaltensweisen in der Zukunft vorherzusagen. Dadurch erhalten die Anwender dieser Instrumente Einblicke in die verschiedensten Bereiche des Lebens. Unternehmen nutzen dies zu Marketingzwecken und als Kundenbindungsmaßnahme. Arbeitgeber, um die Loyalität ihrer Mitarbeiter zu berechnen. Versicherer und andere Dienstleister entdecken zukunftsorientierte Vorhersagen zur Einschätzung von Schadensrisiken, zur risikobasierten Tarifierung ihrer Beitragszahler und zur generellen Optimierung ihrer Geschäftszahlen.

Vorhersagende Bewertungen des Einzelnen finden sich so in den unterschiedlichsten Lebensbereichen wieder und sind aus vielen Geschäftsbereichen nicht mehr wegzudenken. Dies gilt vor allem, aber nicht nur, für den Online-Handel als Plattform der heutigen Geschäfte des täglichen Lebens. Der Wunsch, vorhandene Daten auszuwerten, ist aus Sicht der Unternehmen verständlich. Predictive Analytic stellen auch ein geeignetes Werkzeug dar, um die Unmengen an Daten, die ein Unternehmen besitzt, sinnvoll auszuwerten. Predictive Analytic können auf diese Weise einen hohen Mehrwert für ihre Anwender bieten, vorausgesetzt, die Ergebnisse dieser Vorhersagen stellen eine verlässliche Grundlage für Entscheidungen dar. Entsprechen die Vorhersagen aber nicht den realen Gegebenheiten, wohnt ihnen ein hohes Gefahrenpotenzial vor allem für die von ihr analysierten Einzelpersonen inne. Erreichen diese nicht die seitens der Unternehmen festgelegten Grenzwerte für ein positives Ergebnis des Wahrscheinlichkeitswertes und stellt sich der Wert im Nachhinein als falsch4 dar, können fehlerhafte Vorhersagen den Einzelnen auf vielfältige Art betreffen. Dazu gehört, dass dem in dieser Weise Betroffenen Informationen, Vergünstigungen sowie Geschäftsmöglichkeiten vorenthalten werden und es zu Rechtsverkürzungen bis hin zu Diskriminierungen kommen kann.5 Die Risiken fehlerhafter Vorhersagen gegenüber den von ihnen betroffenen Einzelpersonen werden seitens der Anwender solcher Analysemethoden dessen ungeachtet ausgeblendet.

II.Bisheriger Forschungsstand

Die eingangs genannten Beispiele lassen bereits erahnen, welch weitreichende Auswirkungen Predictive Analytic-Anwendungen mit sich bringen können, wenn die Vorhersagen den Betroffenen falsch einschätzen. Obwohl sich Predictive Analytic-Verfahren in den vergangenen Jahren mehr und mehr ausgebreitet haben,6 wird die Frage nach einer Haftung für fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse bislang kaum gestellt. Es existiert auch noch keine Rechtsprechung, die sich speziell mit Predictive Analytic-Verfahren und ihren Auswirkungen beschäftigt hat. Dies mag an der rasanten technischen Entwicklung von Datenanalyseverfahren liegen, der die Rechtsprechung aus natürlichen Gründen oft hinterherhinkt. Es fehlt jedoch grundsätzlich an einer kritischen Auseinandersetzung mit den potenziellen Folgen von Predictive Analytic für die Gesellschaft. Dies erstaunt auch deshalb, da öffentlichkeitswirksamere Anwendungsgebiete wie die vorhersagende Verbrechensbekämpfung (sog. Predictive Policing7) von Anfang an kritisch begleitet wurden.8 Gegenüber anderen Anwendungsgebieten von Predictive Analytic tritt erst langsam ein Bewusstsein über die Gefahren ein, welche in den letzten Jahren auch in der Tagespresse thematisiert wurden.9

In der Fachliteratur bringt die Suche nach dem Schlagwort „Predictive Analytic“ bislang hauptsächlich englischsprachige Literatur zu Tage, die sich zumeist an Manager und Entscheider in Unternehmen richtet.10 Daran lässt sich bereits ablesen, dass die Auseinandersetzung mit Predictive Analytic in der deutschsprachigen Literatur noch keine große Verbreitung gefunden hat, geschweige denn bereits juristische Beiträge zu den rechtlichen Auswirkungen veröffentlicht wurden. Einen viel größeren Platz nimmt dagegen auch in der deutschsprachigen Literatur das Thema Big Data11 ein, welches nicht mit Predictive Analytic verwechselt werden sollte.12 Sind Predictive Analytic Bestandteil von wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, so beziehen sich diese meist auf die praktischen Anwendungsmöglichkeiten und die wirtschaftlichen Vorteile, die derartige Analysen für ihre Anwender bringen können.13 Fatalerweise entwickeln sich diametral zur ausbleibenden Auseinandersetzung in der juristischen Literatur die Anwendungsgebiete von Predictive Analytic aufgrund des technischen Fortschritts immer schneller fort.

III.Ziel der Arbeit und Gang der Untersuchung

Mit der fehlenden Auseinandersetzung geht einher, dass auch die Fehleranfälligkeit von datengetriebenen Verhaltensvorhersagen, und die damit verbundenen schwerwiegenden Folgen von Predictive Analytic für den Betroffenen, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Gesellschaft viel zu wenig kritisiert und beinahe als Begleiterscheinung der Digitalisierung hingenommen werden. Sogar unter einem Gros an Juristen wird die Meinung vertreten, dass diesem neuartigen Phänomen der Datenanalyse mit den bestehenden juristischen Mitteln kein Einhalt geboten werden könne. In der Folge wird eine mögliche Haftung für fehlerhafte Predictive Analytic erst gar nicht diskutiert.14

Es soll daher Ziel der vorliegenden Arbeit sein, unter dem Arbeitstitel der Haftung für fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse einschlägige Haftungsmöglichkeiten zu untersuchen, die der von einer fehlerhaften Vorhersage betroffenen Einzelperson zur Seite stehen können.

Im Zuge der Untersuchung zeigt sich, dass auch die von großer rechtlicher Bedeutung geprägte Frage, wann für fehlerhafte Informationen über eine Person gehaftet werden muss, in der juristischen Literatur in jüngster Zeit vernachlässigt wurde.15 Es ist deshalb ebenso das Ziel der Arbeit, einen Beitrag für die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten einer Haftung für fehlerhafte Informationen zu leisten. Hierfür wird im zweiten Teil der Arbeit die für Druckwerke entwickelte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Haftung für fehlerhafte Informationen ebenso herangezogen wie die datenschutzrechtlichen Vorschriften zur Richtigkeit und Qualität von Daten.

Bevor eine Haftung im Detail untersucht werden kann, bedarf es einer Auseinandersetzung mit den Grundlagen von Predictive Analytic. In einem einführenden ersten Teil wird deshalb zunächst der Begriff Predictive Analytic untersucht. Nach einer ersten Annäherung wird eine deutsche Definition des zumeist im Englischen verwendeten Begriffes Predictive Analytic aufgestellt. Im Anschluss wird die Entwicklung vorhersagender Analysen zu den heute möglichen Verfahren dargestellt. Desweiteren werden zahlreiche Anwendungsgebiete beschrieben, um eine Referenzmöglichkeit für die anschließende rechtliche Auseinandersetzung zu schaffen. Ein Hauptaugenmerk der Arbeit liegt auf der Darstellung der möglichen Folgen fehlerhafter Predictive Analytic-Anwendungen sowie auf der Frage, ob diese grundsätzlich ersatzfähig sind.16 Diese Auseinandersetzung wird deshalb so umfangreich geführt, da nur eine Ersatzfähigkeit im Ergebnis dem Betroffenen zu seiner Rechtsdurchsetzung verhelfen kann. Aller Skepsis zum Trotz muss jedoch für jede Befassung mit der Materie klar sein, dass der technische Fortschritt, der Predictive Analytic ermöglicht hat, nicht mehr aufzuhalten ist und in Zukunft mit einer weiteren Verbreitung von Predictive Analytic zu rechnen ist. Es hilft deshalb nicht, die Augen vor dieser Entwicklung zu verschließen. Vielmehr muss eine Auseinandersetzung damit stattfinden, unter welchen Umständen derartige Analysemethoden rechtlich zulässig sind.

Um einen Impuls für die rechtliche Diskussion zu geben, beschäftigt sich die Arbeit, neben konservativen Ansätzen wie der Verletzung von klassischen Vertragspflichten, auch mit den Haftungsmöglichkeiten der noch jungen Europäischen Datenschutz-Grundverordnung. Zudem enthält die Untersuchung den Vorstoß, die Produzentenhaftung sowohl auf die Hersteller von Predictive Analytic-Software als auch auf deren Anwender anzuwenden.

1

Kurz/Rieger

, Die Datenfresser, 2011, S. 57.

2

S. die Erwägungen des

Europäisches Parlaments

, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. März 2017 zu den Folgen von Massendaten für die Grundrechte, P 8 TA(2017)0076.

3

Freie Übersetzung von Predictive Analytic; zur Definition s. sogleich unter B. II.

4

Zur Bedeutung richtiger und falscher Ergebnisse im Rahmen von Wahrscheinlichkeitsrechnungen s. unter D. I.

5

Bezogen auf Scoring-Verfahren allgemein

Weichert

, ZRP 2014, 168, 169 f.

6

Vgl. den Tagungsbericht zur 4. Predictive Analytic World Konferenz Berlin von

Mentel

, ZD-Aktuell 2016, 384525, abrufbar unter https://rsw.beck.de/cms/?toc=mmr.130&docid=384636, zuletzt abgerufen am 27.6.2018, wonach das Schlagwort Predictive Analytic bereits mehrere Jahre in Folge bei den vom Analystenhaus Gartner identifizierten Trends gelistet ist.

7

S. hierzu genauer bei den Anwendungsgebieten unter B. IV. 3. g).

8

S.

Biermann

, Noch hat niemand bewiesen, dass Data Mining der Polizei hilft, 29.3.2015, http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2015-03/predictive-policing-software-polizei-precobs, zuletzt abgerufen am 27.6.2018; zurückhaltend auch

Gerstner

, Predictive Policing als Instrument zur Prävention von Wohnungseinbruchsdiebstahl, Evaluationsergebnisse zum Baden-Württembergischen Pilotprojekt P4, 2017, S. 87, wonach der getesteten Prognosesoftware lediglich eine „gewisse“ Wirkung unterstellt wird.

9

S. z.B. den als Appell zu verstehenden Artikel von

Antes

, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Medizin im Datenrausch, 2.1.2018; ebenso

Beuth

, Zeit Online, Wie mache ich mich unberechenbar?, 18.6.2017, https://www.zeit.de/digital/datenschutz/2017-04/konsumverhalten-browser-daten-zufall, zuletzt abgerufen am 27.6.2018.

10

Bekannt vor allem

Siegel

, Predictive Analytics: the power to predict who will click, buy, lie, or die, 2013;

Davenport

, Enterprise analytics: optimize performance, process, and decisions through big data, 2013.

11

S. nur die folgende Auswahl

Gadatsch/Landrock

, Big Data für Entscheider, 2017;

Hoeren

, Big Data und Recht, 2014;

Klausnitzer

, Das Ende des Zufalls, 2013;

Mayer-Schönberger/Cukier

, Big Data: Die Revolution, die unser Leben verändern wird, 2013.

12

S. zur Abgrenzung sogleich unter B. II.

13

In deutscher Sprache beschäftigen sich speziell mit Predictive Analytic u.a.

Dastani

, Sales Management Review 2016, 66;

Iffert

, Controlling & Management Review, Sonderheft 1/2016, 16;

Big Data Insider

, Whitepaper Predictive Analytics, 2016.

14

Lediglich mit der Haftung des Big Data-Anwenders für fehlerhafte Informationen/Daten hat sich die Literatur vereinzelt beschäftigt, so

Andrees/Bitter/Buchmüller/Uecker,

in: Hoeren, Big Data und Recht, 2014, S. 104 ff.; zur Frage der Datenqualität

Hoeren

, MMR 2016, 8; jüngst auch

Kirchner

, in: Tagungsband Herbstakademie (DSRI), Big Data Management: Die Haftung des Big Data-Anwenders für Datenfehler, 2017, S. 747.

15

Eine der letzten umfangreichen Auseinandersetzungen mit dem Themenkreis findet sich bei

Günther

, Produkthaftung für Informationsgüter, 2001; in kürzerer Form auch

Spindler/Klöhn

, VersR 2003, 410.

16

S. hierzu unter dem Gliederungspunkt F. IV. und V.

B. Einführung in Predictive Analytic

I.Herkunft des Begriffes und Annäherung

Der aus dem Englischen stammende Begriff der Predictive Analytic lässt sich als vorhersagende oder prophezeiende Analyse frei ins Deutsche übersetzen. Der Duden versteht unter Analyse eine Untersuchung, die ein Ganzes in seine Bestandteile zerlegt.17 Dieses klassische Verständnis bezieht den Begriff der Untersuchung auf einen bestehenden Sachverhalt, welcher in seinen Einzelteilen ergründet werden kann. Eine solche Auslegung erfasst jedoch nicht die Eigenschaft einer Predictive Analytic. Deren Zweck ist es nicht, vergangene Ereignisse zu analysieren, sondern Sachverhalte, Ereignisse sowie Verhalten in der Zukunft vorherzusagen. Der Wortteil Predictive (prediction, engl. für Vorhersage/Prognose) charakterisiert die Analyse als zukunftsgerichtet und stellt damit den entscheidenden Unterschied zur sog. Descriptive Analytic dar. Unter dieser ist eine rein beschreibende Analyse zu verstehen, welche sich entsprechend dem oben genannten Verständnis einer Analyse damit befasst, die Vergangenheit zu untersuchen. Descriptive Analytic liefern, ebenso wie Predictive Analytic beide keine Erkenntnisse darüber, warum eine Entwicklung stattgefunden hat.18 Dies ist Aufgabe der sog. Prescriptive Analytic. Im Unterschied zur erklärenden (Prescriptive) und beschreibenden (Descriptive) Analyse stellen Predictive Analytic reine Vorhersagen für in der Zukunft liegende Ereignisse auf. Das Ergebnis einer solchen Vorhersage ist ein Wahrscheinlichkeitswert, der ausschließlich auf Korrelationen beruht, jedoch keine Aussage über die Kausalität des vorhergesagten Ereignisses trifft.19 Dieses Grundverständnis muss für die folgenden Überlegungen stets im Hinterkopf behalten werden.

II.Definition

Für den Begriff Predictive Analytic gibt es erst wenige Versuche, diesen zu definieren. Noch wenigere von diesen wurden im wissenschaftlichen Kontext geäußert. Definitionsversuche werden meist sehr reduziert gehalten wie jener, nach dem es sich bei Predictive Analytic um analytische Verfahren handelt, die künftiges Verhalten vorhersagen.20 Häufig werden Predictive Analytic auch als Teilgebiet21 der sog. Business-Intelligence (BI) erfasst oder als „Technik, die auf BI basiert“.22 Der Begriff Predictive Analytic wird teilweise auch mit Big Data-Analyse umschrieben oder als Prognoseanwendung bezeichnet, die auf Big Data basiert.23 Dieser Definitionsversuch vermengt Big Data und Predictive Analytic, ohne auf die beiden Begriffe näher einzugehen. Das gleiche geschieht mit Begriffen wie Data Mining oder Business Intelligence, die ebenfalls häufig in einem Atemzug mit Predictive Analytic genannt werden.24 Richtig ist, dass sich alle diese Schlagwörter auf das gegenwärtige Phänomen beziehen, Daten nutzbar zu machen und Erkenntnisse aus ihnen abzuleiten. Der heute allerorts verwendete Begriff Big Data sollte jedoch nicht für alle Phänomene der modernen Datenanalyse verwendet werden. Das Schlagwort Big Data stand zunächst lediglich für eine „große Ansammlung möglichst vieler unterschiedlicher Daten, die aus möglichst vielen Quellen stammen.“25 Das „Big“ in Big Data bezog sich darauf, dass diese Daten zu voluminös oder zu unstrukturiert sind, um von gewöhnlichen Datenbanken verarbeitet zu werden.26 Inzwischen, mehrere Jahre nach dem ersten Aufflammen der Big Data-Bewegung, werden unter dem Begriff Big Data zuweilen auch die computergestützten Methoden und Programme gezählt, die zur Analyse der Daten genutzt werden.27 Nichtsdestotrotz sollten einzelne Verfahren, die sich aufgrund ihrer Vorgehensweise von anderen Datenanalyseverfahren unterscheiden, nicht durch die viel zu breit gefasste Bezeichnung als Big Data verallgemeinert werden.28 Predictive Analytic stellen eine konkrete technische Möglichkeit dar, um Vorhersagen für die Zukunft aus Datenmengen gleich welcher Größe zu generieren.29 Die Verwendung von Big Data im Sinne einer sehr großen und heterogenen Datenmasse kann Teil eines Predictive Analytic-Prozesses sein, dies ist jedoch nicht zwingend.

Eine Definition von Predictive Analytic könnte im Deutschen daher wie folgt verwendet werden:

„Predictive Analytic bezeichnet ein computergestütztes Vorgehen zur Vorhersage von Mustern, welches sich auf die Auswertung einer zum Teil großen Menge von Daten aus der Vergangenheit stützt und mittels der gewonnenen Erkenntnisse Vorhersagen für die Zukunft aufstellt.“

III.Entwicklung von vorhersagenden Analysen

Auch wenn der Begriff der „Analytic“ aktuell in aller Munde ist, darf dabei nicht übersehen werden, dass analytische Technologien keineswegs neue Erfindungen sind, sondern in Form von statistischen und mathematischen Analysen schon lange praktiziert werden.30 Die Präsenz der scheinbar allgegenwärtigen Predictive Analytic ist vor allem auf die gestiegenen technischen Möglichkeiten zurückzuführen. Der Wunsch, zukünftige Ereignisse oder menschliches Verhalten vorherzusehen, ist ebenfalls kein Phänomen des Internetzeitalters – seit jeher sehnt sich die Menschheit, sei es mit Hilfe des griechischen Orakels oder der Bemühung von Wahrsagern, Propheten oder Astrologen danach, einen Blick in die Zukunft werfen zu können.31 Anstelle der Orakel der Vergangenheit kann heute auf selbstverständliche Services wie die tägliche Wettervorhersage, aber auch Börsen- und Aktienvorhersagen zugegriffen werden. Auch die eingangs erwähnte Verbreitung von Predictive Analytic zur Prognose von Kundeninteressen, Kaufverhalten und Verhaltensmustern gehört inzwischen zu einer modernen Unternehmensführung. Während Prognosen und Wahrscheinlichkeiten anfangs noch auf mathematisch-statistische Berechnungen einer natürlichen Person zurückzuführen waren, konnten mit zunehmender Entwicklung der Computertechnik Ergebnisse allein durch programmierte Algorithmen gewonnen werden. Eine solche und seit Jahrzehnten bekannte algorithmen-basierte Vorhersage ist das Kredit-Scoring, das im allgemeinen Sprachgebrauch auch gern auf sein Ergebnis, die Bonitätsauskunft, reduziert wird. Aufgrund der Überschneidungen von Predictive Analytic und Scoring-Verfahren sollen das Kredit-Scoring sowie weitere Ausprägungen von Scoring-Verfahren kurz beleuchtet werden.

1.Frühe Scoring-Verfahren zur Kriminalitätsbekämpfung

Scoring-Verfahren werden zwar gemeinhin mit den von der SCHUFA und anderen Auskunfteien vorgenommenen Bonitätsauskünften in Verbindung gebracht, die Methode des Scorings wurde jedoch bereits in den 60er- und 70er-Jahren zur Kriminalitätsvorbeugung genutzt, wie eine Studie des Unabhängigen Datenschutzzentrums Schleswig-Holstein (ULD) zeigt. Dabei wurden „straftäterspezifische Merkmale extrahiert und polizeilich aufgefallenen Personen oder der gesamten Bevölkerung zugeordnet, um sie durch präventive Maßnahmen von der Begehung von Straftaten abzuhalten.“32 Zwar sind diese Verfahren nach ihrer Entwicklung schnell wieder verworfen worden; das Prinzip wurde vor einigen Jahren aber wieder aufgenommen und vermehrt in den USA, aber auch in Teilen Deutschlands, unter dem Schlagwort Predictive Policing genutzt.33

2.Klassisches Kredit-Scoring

Das Paradebeispiel für eine vorhersagende Analyse stellt das von der SCHUFA und anderen Auskunfteien eingesetzte Kredit-Scoring dar. Die erstmalige Verwendung von Scoring-Verfahren durch die SCHUFA wird auf das Jahr 1997 datiert.34 Durch die Vergabe eines sog. Kredit-Scores versuchen Auskunfteien eine Vorhersage über die Bonität einer Person aufzustellen, d.h. vorherzusagen wie zahlungsfähig diese ist. Die Grundlage des Verfahrens beruht auf der Analyse von Daten aus der Vergangenheit, mittels derer eine Prognose für ein ähnliches Ereignis in der Zukunft aufgestellt werden soll.35 Die Idee dieses Vorgehens gründet auf der Annahme, dass sich Personen vergleichbar verhalten. Liegen bei einer Gruppe von Personen ähnliche Merkmale vor, so wird davon ausgegangen, dass auch ihr Verhalten sich ähnelt. Die Einordnung des Einzelnen erfolgt dann über die Zuordnung zu einer vergleichbaren Gruppe von Personen. So werden persönliche Merkmale eines Einzelnen mit den statistischen Werten einer sog. Vergleichsgruppe abgeglichen. Das Ergebnis dieses Abgleichs wird in einem Punkte- oder Prozentwert, dem sog. Score-Wert, ausgedrückt.36 Der so errechnete Punktewert gibt die Höhe der Wahrscheinlichkeit an, mit der eine Person ein bestimmtes Verhalten zeigen wird.37 Auf Basis des entwickelten Wertes entscheidet der Auskunftnehmer, ob der von dem Scoring Analysierte einen Kredit erhält oder nicht. Ursprünglich erfreute sich die Nachfrage solcher Bonitätsauskünfte hauptsächlich aus dem Bankensektor heraus.38 Über die Auskunfteien machten sich Banken ein Bild über die Bonität des anfragenden Kreditnehmers und zogen den Score-Wert als Faktor in ihre Entscheidung über die Kreditgewährung mit ein. Bekannt und marktüblich ist die Einholung einer Bonitätsauskunft auch durch den Vermieter vor Abschluss eines Mietvertrages. Darüber hinaus ist seit einigen Jahren ein Trend zu erkennen, wonach branchenübergreifend Auskünfte bei Auskunfteien eingeholt werden. So ist bei Abschluss eines Mobilfunkvertrages die Einwilligung in eine SCHUFA-Auskunft Standard und auch Online-Shopping ist immer häufiger mit einer gleichzeitigen Bonitätsabfrage verbunden.39 Hintergrund dieses zunehmenden Trends ist der Umstand, dass ein Kauf auf Rechnung trotz der Zunahme elektronischer Zahlsysteme nach wie vor bei Verbrauchern beliebt ist. Er bietet jedoch auch Betrügern die Möglichkeit, Ware zu bestellen und unbezahlt einzubehalten.40 Aus diesem Grund haben auch Online-Händler Scoring-Abfragen für sich entdeckt.41 Auskunfteien reagierten daraufhin mit einem Angebot,42 das Bonitätsauskünfte sogar in Echtzeit übermittelt.43 Die binnen Sekunden eingeholten Scoring-Werte entscheiden dann darüber, ob einem Kunden ein Kauf auf Rechnung in den Zahlungsmöglichkeiten angeboten wird.

3.Erweiterte Scoring-Verfahren

Die Vorgehensweise von Scoring-Verfahren ist jedoch nicht, wie eingangs bereits erwähnt, auf die Vorhersage von Kreditwürdigkeit beschränkt. Mit dem Stichwort „Scoring 2.0“44 oder „Scoring im weiteren Sinne“ werden seit längerem Anwendungsfälle bezeichnet, die weit über die Vorhersage von Bonität hinausgehen.45 Gerade in den letzten Jahren konnte ein Trend beobachtet werden, nach dem klassische Scoring-Verfahren auf verschiedenste Lebensbereiche ausgeweitet wurden.46 Das Prinzip des Scorings, als Einordnung eines Sachverhaltes oder einer Person in ein Ranking, ist heute Bestandteil des alltäglichen Lebens. Ein prominentes Beispiel hierfür ist das Ergebnis einer Suchanfrage bei Google. Das Ranking, welches der Google-Algorithmus von den gefundenen Suchergebnissen erstellt, ist nichts anderes als die Prognose einer Wahrscheinlichkeit, was den Nutzer in diesem Moment interessieren könnte.47 Eine solche Vorhersage von Interessen kann auch zu Marketingzwecken verwendet werden, wenn herausgefunden werden soll, welches Produkt ein Kunde demnächst kaufen will. Derartige Scoring-Verfahren sind auch unter dem Namen Predictive Behavioural Targeting bekannt.48 Durch die enorm gestiegenen technischen Möglichkeiten und die Verfügbarkeit vielfältiger Datenquellen, hat in den letzten Jahren der gesamte Bereich des Marketings Scoring-Verfahren für sich entdeckt. Neben dem Marketing nutzen auch Vertriebsabteilungen Wahrscheinlichkeitswerte, um den Erfolg von Märkten, Standorten und Zielgruppen zu untersuchen. Gleichwohl es sich bei solchen Fällen nicht um klassisches Kredit-Scoring handelt, ist die Methode von derartigen Verfahren mit dem der Bonitätsvorhersage vergleichbar. Überschneidungen werden auch dadurch deutlich, dass Auskunfteien wie die Creditreform solche Markt- und Standortanalysen neben ihren standardmäßigen Bonitätsauskünften anbieten.49 Hinzu kommt, dass sich auch andere menschliche Verhaltensweisen, über Bonität und Kaufinteressen hinaus, mittels Scoring-Methoden prognostizieren lassen. Erwähnenswert sind dabei vor allem die Versuche der Versicherungsbranche mittels datengetriebener Vorhersagen die Risiken ihrer Versicherten besser einzuschätzen und ihren Tarif dementsprechend anzupassen.50 Immer größerer Beliebtheit erfreuen sich auch Scoring-Verfahren für die Bewertung von Arbeitnehmern.51 Diese und viele weitere Beispiele machen deutlich, dass Scoring-Verfahren nicht mehr nur auf die Vorhersage von Kreditwürdigkeit beschränkt sind. Der Anwendungsbereich von Wahrscheinlichkeitsprognosen wandelte sich immer mehr hin zu einer generellen Bewertung menschlichen Verhaltens.52

IV.Anwendungsbereiche

Die heute als Predictive Analytic bezeichneten Verfahren sind vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie ihre Ergebnisse unter Zuhilfenahme modernster Technologien entwickeln. Ihre Methoden gehen in ihrer Komplexität weit über die bisher praktizierten Scoring-Verfahren hinaus. Dies liegt an der Verwendung von Verfahren wie Data Mining, welche die Eigenschaft besitzen, Muster in großen Datenmengen ausfindig zu machen, aber auch an noch komplexeren Methoden wie des Machine Learnings. Letztere geben ihren Anwendern die Möglichkeit, ihre Algorithmen in gewisser Weise selbstständig für sich arbeiten zu lassen. Die Algorithmen besitzen dabei die Fähigkeit „zu lernen“.53 Zum besseren Verständnis, welche Anwendungen zum Kreis von Predictive Analytic zählen, sollen im Folgenden typische Anwendungsbereiche vorgestellt werden, bei denen die Methoden über die des Scorings hinaus gehen. Dabei ist zwischen zwei Formen von Vorhersagen zu unterscheiden: jene, die ohne Bezug zu einer einzelnen Person ein generelles Phänomen oder das Verhalten einer Gruppe von Personen vorhersagen und jene, deren Ergebnis sich auf eine genau bestimmte Person bezieht. Letztere werden für die Zwecke der Arbeit als betroffenenbezogene Vorhersagen bezeichnet.

1.Predictive Analytic ohne Personenbezug

a)Predictive Maintenance

Ein bekannter Anwendungsbereich von Predictive Analytic sind die heute unter dem Schlagwort Predictive Maintenance geführten Instrumente der vorausschauenden Wartung.54 Sie zählen zu der selteneren Guppe von Predictive Analytic, deren Ergebnis keinen Bezug zu einer Person herstellt, sondern einen objektiven Sachverhalt, hier den Verschleiß von Maschinen, zum Gegenstand hat. Vorreiter von Predictive Maintenance-Systemen war das Unternehmen General Electrics, das bereits früh ein Patent für die vorausschauende Wartung von Flugzeugtriebwerken angemeldet hat.55 Ziel dieser Anwendung ist es, mithilfe eingespeister Daten vergangener Triebwerksschäden und der in Echtzeit übertragenen Daten der im Einsatz befindlichen Triebwerke Vorhersagen zu treffen, wann ein Getriebe repariert oder ausgetauscht werden muss. Durch dieses Vorgehen sollen Störungen des Flugbetriebes mit Ausfällen und langen Reparaturzeiten vermieden, Wartungsintervalle verlängert und die Lebenszeit von Maschinen und Anlagen insgesamt verbessert werden.56 Heute wird diese Form der Predictive Analytic in verschiedensten Industriezweigen eingesetzt57 und es existiert ein breites Angebot an professionellen Anbietern.58

b)Google Flu Trends

Ein weiteres Beispiel ist die von Google 2008 begonnene und 2014 wieder eingestellte Vorhersage der Ausbreitung von Grippeviren. Sie wird oft als Paradefall einer Predictive Analytic bezeichnet.59Google wertete für diesen Anwendungsfall die von Nutzern eingegebenen Suchbegriffe und die dazugehörigen geografischen Standorte aus und erstellte anhand dieser Parameter eine Vorhersage, in welchen Regionen sich wahrscheinlich gerade eine Grippewelle ausbreitet. Damit bezog sich die Analyse zwar auf die von einzelnen Nutzern eingegebenen Suchbegriffe im Internet, das Ergebnis selbst war jedoch nur auf die örtliche Ausbreitung und nicht auf die von der Grippe möglicherweise betroffenen Personen bezogen. Die Analyse sollte lediglich die medizinischen Institute in die Lage versetzen, einen exakten Bedarf an Grippemedikamenten zu prognostizieren, um so eine optimale Versorgung zu garantieren. Ein Rückschluss auf eine einzelne, möglicherweise erkrankte Person war nicht Ziel der Anwendung. Nach der anfänglichen Euphorie der Google Flu Trends stellte sich heraus, dass diese wichtige Grippewellen gar nicht abbildete, andere dagegen viel zu stark prognostizierte.60 Die anfangs hoch gelobte Analyse erwies sich damit als unwahr61 und demnach als klassischer Fall einer fehlerhaften Predictive Analytic-Anwendung.

2.Betroffenenbezogene Vorhersagen

Im Gegensatz zu den gerade geschilderten Vorhersagen ohne Personenbezug, deren Ergebnisse sich auf Regionen oder Länder beziehen, und Einzelpersonen damit höchstens als Kollektiv betreffen, steht bei den meisten Predictive Analytic-Anwendungen eine einzelne Person im Fokus. Dies ist bei Predictive Analytic zu Marketingzwecken der Fall sowie bei Analysen zur Kundenbindung oder zur Einschätzung von Arbeitnehmern. Auch Maßnahmen zur Tarifierung oder Vorhersage von Schadensrisiken in der Versicherungsbranche zielen auf Erkenntnisse über eine bestimmte Person ab, mit der der Anwender in vertraglichen Beziehungen steht. Ebenso können sich Predictive Analytic zur Preisbestimmung im Rahmen des sog. Dynamic Pricing auf eine einzelne Person beziehen, indem sie die Höhe des Preises bestimmen wollen, den diese Person noch bereit ist zu zahlen. Die weiteren Ausführungen, die zur Hauptfrage der Arbeit, der Haftung für fehlerhafte Predictive Analytic, hinleiten, beschränken sich auf solche Anwendungsgebiete, die einen Bezug zu einer bestimmten Person herstellen. Nur in diesen Fällen ist der Einzelne als Betroffener zu charakterisieren. Diese Betroffenheit offenbart sich vor allem dann, wenn die Vorhersage fehlerhaft ist und der Einzelne hierdurch benachteiligt wird. Die verschiedenen Anwendungsgebiete solcher betroffenenbezogenen Predictive Analytic sollen im Folgenden näher dargestellt werden. Die mit der Arbeit bezweckte Untersuchung der Haftung für fehlerhafte Predictive Analytic beschränkt sich auf diese Form von Predictive Analytic.

3.Einzelne Anwendungsgebiete

a)Predictive Analytic zu Marketingzwecken

Eines der bekanntesten Anwendungsbeispiele für Predictive Analytic ist die Vorhersage von Interessen im Bereich des Marketings. Sichtbar werden Predictive Analytic-Anwendungen in diesem Bereich durch die zunehmend auf Websites und Online-Shops anzutreffenden Empfehlungsleisten (sog. Recommender Systems).62 Das Unternehmen, welches diese Art der Vorhersage von Kundeninteressen bekannt gemacht hat, ist der Online-Händler Amazon.63 Die Empfehlungsleisten basieren auf dem gleichen Gedanken wie die Anzeige der Suchergebnisse bei Google. Vergleichbar des Vorgehens einer Suchmaschine wird versucht, mithilfe von Daten aus der Vergangenheit, meistens mittels der bisherigen Suchanfragen der Nutzer, eine Vorhersage darüber aufzustellen, welche Ergebnisse diese in Zukunft interessieren können. Suchanfragen sind jedoch nicht der einzige Hinweis auf mögliche Verhaltensweisen des Nutzers. Ebenfalls durch den Google-Konzern entwickelt, stehen Websitebetreibern spezielle Tools wie beispielsweise Google Analytics zur Verfügung, mit denen der Besuch eines Nutzers auf der eigenen Homepage genau analysiert werden kann.64 Wird Google Analytics auf einer Website installiert, speichert das Tool welche Nutzer eine Homepage besuchen, wie lange sie auf welchen Unterseiten verweilen und von welcher Suchmaschine oder Dritthomepage der Nutzer auf die Homepage aufmerksam geworden ist. Das Ergebnis dieser Analyse kann, z.B. durch entsprechende Anzeigen bei einem Suchmaschinenanbieter oder durch Werbebanner auf anderen Homepages, für eine gezielte Steuerung von Werbemaßnahmen verwendet werden. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse können aber auch zur Generierung von Predictive Analytic genutzt werden. Google bietet hierfür speziell das Tool BigQuery an. Mit dieser Anwendung können die mithilfe von Google Analytics gewonnenen Daten mit bereits vorhandenen Daten wie Stammdaten und Daten zu abgeschlossenen Käufen aus den Costumer Relation Management-(CRM-) Systemen verknüpft und auf Basis dieser Daten umfangreiche Analysen und Vorhersagen getroffen werden.65 Auch über spezielle Tools einzelner Anbieter hinaus können mittels Daten vergangener Einkäufe und Erfahrungswerten zu bisherigem Kaufverhalten Vorhersagen darüber getroffen werden, welcher Kunde sich in Zukunft für ein bestimmtes Produkt interessieren könnte. Auf diese Vermutung hin werden dann entsprechende Marketingstrategien in Gang gesetzt. Die möglichen Anwendungsbereiche von Predictive Analytic im Marketing ziehen sich zusammengefasst durch den gesamten Verkaufszyklus:66 von der Suche nach potenziellen Kunden über deren Ansprache und Überzeugung bis hin zur Nachbetreuung.67

aa)Predictive Analytic zur Neukundengewinnung

Ein Ansatz für Predictive Analytic im Marketing ist die Neukundengewinnung anhand einer systematischen und automatisierten Auswertung von Informationen aus dem Internet. Das Auffinden potenziell interessanter Kunden kann dabei unter anderem über einen Text-Mining-Algorithmus erfolgen. Dieser durchsucht zunächst Daten von bestehenden Kunden, um gewisse Zusammenhänge und Muster in diesen zu finden. In einem zweiten Schritt werden dann neue Datenbestände auf eine Überschneidung mit diesen Mustern untersucht. Je nach Grad der Übereinstimmung wird der potenzielle Neukunde anhand eines Punktesystems bewertet. Mithilfe der so ermittelten Score-Werte kann eine Vorhersage darüber aufgestellt werden, wer an Produkten interessiert sein könnte und als potenzieller Neukunde in Frage kommt.68 Ein Beispiel aus der Praxis hierfür ist die Predictive Analytic-Anwendung der Adolf Würth GmbH & Co. KG. Das Unternehmen nutzt eine Software, die das Umsatzpotenzial von Unternehmen vorhersagt, die noch keine Kunden des Unternehmens sind. Die Analyse nutzt dabei nur frei über das Internet zugängliche Daten über Unternehmen in den für den Absatz von Würths Produkten relevanten Branchen, in diesem Fall Handwerksbetriebe und Kfz-Werkstätten.69 Dieses Anschauungsbeispiel lässt sich auf beliebige Situationen übertragen und kann neben frei verfügbaren Informationen aus dem Internet auch auf Social Media-Profilen oder anderen Datenquellen beruhen. Das Beispiel zeigt, wie potenzielle Neukunden anhand von Mustern erkannt werden können. Ziel dieser Predictive Analytic ist dann, diese Personen oder Unternehmen gezielt ansprechen zu können.

bb)Predictive Analytic für personalisierte Werbung

Ein weiteres Haupteinsatzgebiet von Predictive Analytic ist die Vorhersage von Interessen für die Zwecke der personalisierten Werbung. Diese Anwendung ist für Bestandskunden gleichermaßen relevant wie für Neukunden. Vorhersagen über die Interessen von bereits bestehenden Kunden haben den Vorteil, dass für diese auf die Kundenhistorie, also die im Betriebssystem des Unternehmens gespeicherten Daten über vergangene Einkäufe zurückgegriffen werden kann. Mittels der vorhandenen Daten über letzte Käufe kann ein Kundenwert (sog. Customer Value) ermittelt werden, der Aufschluss darüber gibt, welche Themen für diesen Kunden interessant sind.70 Durch die Analyse der Verkaufshistorie und der Arbeit selbstlernender Algorithmen können dem Kunden beim nächsten Besuch der Homepage für ihn interessante Produkte angezeigt werden.71 Die Unternehmen möchten damit erreichen, dass dem Kunden nur Werbung geschickt oder angezeigt wird, die personalisiert und genau auf die Interessen des Kunden zugeschnitten ist.72 Ein Beispiel für eine solche Praxis, das weltweit für großes Aufsehen gesorgt hat, war die Schlagzeile,73 derzufolge das Handelsunternehmen Target mithilfe einer Predictive Analytic die Schwangerschaft einer Teenagerin vorhergesagt haben soll. Der jungen Frau wurden aufgrund ihres gespeicherten Einkaufsverhaltens Werbeprospekte zugeschickt, die auf eine Schwangerschaft schließen ließen. Das Schockierende an diesem Fall war, dass die Eltern des Mädchens erst später von der tatsächlich bestehenden Schwangerschaft erfahren haben sollen. Im Gegensatz zum stationären Handel ist beim Online-Shopping eine Vorhersage von Kaufinteressen auch in Echtzeit möglich, indem sich die auf der Homepage empfohlenen Produkte anhand der kurz zuvor angeklickten Produkte automatisch anpassen.

cc)Predictive Analytic für die Modalitäten der Ansprache

Predictive Analytic werden nicht nur auf die Frage angewandt, wer sich für ein bestimmtes Produkt interessiert, sondern können auch Aufschluss über die Frage geben, wie der Kunde am besten angesprochen werden sollte.74 Dies betrifft zum Beispiel Fragen des Retargeting, also der Frage wie ein aus dem Warenkorb abgesprungener Kunde am besten wieder auf das Ziel, den Kauf des Produktes, gelenkt werden kann. Außerdem können mit Predictive Analytic nicht nur Vorhersagen über das generelle Interesse eines Kunden für ein gewisses Produkt getroffen werden, sondern auch die näheren Umstände dieses Interesses vorausgesagt werden. So macht es einen Unterschied für die zielgerichtete Werbung, ob ein Kunde einen Gegenstand lieber kaufen oder mieten möchte.75 Das anbietende Unternehmen kann mithilfe der Ergebnisse dieser Predictive Analytic-Anwendung dann speziell auf die vom Kunden favorisierte Art eingehen.

dd)Uplift-Modelling

Ein weiterer Anwendungsbereich von Predictive Analytic zu Marketingzwecken ist das sog. Uplift-Modelling. Bei dieser Anwendung wird ein Vorhersagewert darüber aufgestellt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass sich eine Person in ihrem Verhalten beeinflussen lässt.76 Das Ziel dieser Vorhersage kann beispielsweise die Beantwortung der Frage sein, welcher Kunde ein Produkt nur dann kaufen wird, wenn er zuvor mittels einer Marketingkampagne angesprochen wurde. Ein prominentes Beispiel für diese Art von Predictive Analytic ist die Verwendung von Big Data-Analysen im Wahlkampf von Barack Obama im Jahre 2012. Ziel der Vorhersage war es nicht, herauszufinden, ob ein bestimmter Wähler Obama unterstützt, sondern vorherzusagen, welche Wähler in ihrem Wahlverhalten noch beeinflussbar sind. Ausgehend von diesen Erkenntnissen konnten die Wahlhelfer von Obama gezielt diejenigen Wähler ansprechen, die noch unentschlossen waren und so auf ihre Seite ziehen, was letztlich zum Sieg im Rennen um den Präsidentenposten geführt haben soll.77 Derartige Vorhersagen im Bereich des Uplift-Modelling werden auf ähnlicher Grundlage auch im Marketing eingesetzt, um nur diejenigen Kunden anzusprechen, die wahrscheinlich auf eine Marketingmaßnahme reagieren werden und jene nicht mit Werbung zu belästigen, die sich von dieser eher gestört fühlen oder deren Interesse bei zu viel Werbung abnehmen würde. Diese Form von Predictive Analytic soll dazu dienen, mehr Umsätze zu generieren, aber auch Ressourcen zu schonen und wirkungslose Werbeausgaben zu vermeiden.

b)Predictive Analytic als Kundenbindungsinstrument

Predictive Analytic werden gerne auch für Maßnahmen der Kundenbindung verwendet. Mithilfe eines Data Mining-Modells können Muster in bestehenden Kundenbeziehungen entdeckt werden, mit denen auf mögliche Szenarien in der Zukunft reagiert werden kann. Anhand von Predictive Analytic kann beispielsweise während eines Kundengesprächs mittels Echtzeit-Analyse auf dem Desktop des Callcenter-Mitarbeiters eine Einstufung des Kunden vorgenommen werden.78 Ein Warnsystem kann dem Mitarbeiter auf diese Weise anzeigen, wenn eine Übereinstimmung mit dem Muster eines kündigungsbereiten Kunden vorliegt. Ergibt die Echtzeit-Vorhersage, dass der spezielle Kunde Gefahr läuft zu kündigen, kann mittels einer Predictive Analytic desweiteren ein Wahrscheinlichkeitswert darüber aufgestellt werden, ob es sich lohnt, diesen Kunden zu halten. Darüber hinaus kann vorhergesagt werden, durch welche der vorhandenen Kundenbindungsmaßnahmen der Kunde sich am ehesten binden lassen wird.79 Mögliche Maßnahmen können dann das Angebot eines neuen Produktes oder eines neuen Tarifes sein; ebenso kommen Rabattaktionen oder Erstattungen in Betracht.80

c)Predictive Analytic im Dynamic Pricing

Ein anderes, weites Anwendungsgebiet, in dem Predictive Analytic zum Einsatz kommen, ist das Geschäftsfeld des Dynamic Pricing. Das Verhalten, welches in diesen Fällen vorhergesagt werden soll, bezieht sich auf die Bereitschaft einen bestimmten, im Zweifelsfall höheren Preis zu zahlen. Das auch als smarte Preisgestaltung umschriebene Verfahren erfasst zwei Unterarten: zum einen die dynamische und zum anderen die personalisierte Preisgestaltung.81 Dynamische Preisgestaltung bedeutet zunächst nur, dass Preise verändert werden, sie also nicht statisch sind. Dies ist an und für sich nichts Neues und wurde seit jeher im Handel betrieben, indem Preise an die Nachfrage oder die Konkurrenz angepasst wurden. Bei der personalisierten Preisbestimmung handelt es sich dagegen um Preise, die aufgrund vorhergehender Analysen genau auf eine einzelne Person abgestimmt wurden. Dabei wird vorhergesagt, welchen Preis ein Kunde wahrscheinlich bereit ist zu zahlen und damit an die „Schmerzgrenze“ des Kunden angepasst.82 Dynamic Pricing wird deshalb auch als die „Prognose des aktuell besten Preises“ umschrieben.83 Die dafür erforderliche Analyse basiert auf einer Vielzahl von Daten und beschränkt sich nicht nur auf den Online-Bereich. Durch digitale Preisschilder kann eine dynamische Preisgestaltung auch in stationären Geschäften betrieben werden.84

d)Predictive Analytic zur Arbeitnehmerbewertung

Ausgelöst durch die technischen Möglichkeiten versuchen Unternehmen auch in ihrer Funktion als Arbeitgeber, durch vorhersagende Analysen Einblicke in ihre Mitarbeiter zu erhalten. Nach dem gleichen Prinzip wie die bereits angesprochenen Systeme zur Kundenbindung kann auch im Arbeitsleben die Kündigungswahrscheinlichkeit eines Arbeitnehmers berechnet werden und werden Predictive Analytic auch zur Personalbeschaffung eingesetzt.85 In der Bewerbungs- und Einstellungsphase sollen Predictive Analytic Aufschluss darüber geben, wie geeignet der Kanditat für die ihm zugewiesene Stelle ist und ob er generell zum Unternehmen passt. Im Rahmen bestehender Arbeitnehmerverhältnisse wollen Personalabteilungen das Verhalten ihrer Mitarbeiter und ihre Loyalität zum Arbeitgeber86 sowie ihre Entwicklungsmöglichkeiten durch vorhersagende Analysen berechnen. Auch Antworten auf Fragen des Personaleinsatzes sollen ein Potenzial von Predictive Analytic darstellen.87

e)Predictive Analytic zur Tarifierung und Risikoeinschätzung bei Versicherungen

Predictive Analytic-Verfahren werden auch in der Versicherungsbranche eingesetzt. Die Anwendungsgebiete reichen von Wahrscheinlichkeitsanalysen vor Abschluss eines Versicherungsvertrages in der Phase des sog. Underwriting, über die Ermittlung der Höhe von Versicherungsbeiträgen bis hin zur Vorhersage von Schadensrisiken während eines bestehenden Versicherungsverhältnisses. Versicherungen können dafür auf speziell auf sie zugeschnittene Analyseverfahren, beispielsweise der SCHUFA, zurückgreifen, die laut eigenen Angaben aus 150 SCHUFA-Variablen einen Wert bildet, der den Versicherungsanbietern eine risikogerechte Ermittlung der Prämien ermöglichen soll.88 Die Versicherungen haben jedoch auch unabhängig von derartigen Angeboten die Möglichkeiten vorhersagender Analysen für ihre Zwecke erkannt. Ein Beispiel hierfür sind die seit 2014 in Deutschland angebotenen Telematik-Tarife von Kfz-Haftpflichtversicherungen.89 Bei diesen werden mit Einwilligung des Versicherten Daten über das Fahrverhalten mittels einer App oder einer in das Fahrzeug integrierten Messeinrichtung erhoben. Diese Daten umfassen etwa Geschwindigkeit, Abbrems- und Beschleunigungsmanöver, Lenkvorgänge, aber auch Standortdaten und solche über Witterungs- und Straßenbedingungen. Alle diese Werte werden direkt vom Auto an den Versicherer oder ein von ihm bestimmtes Unternehmen gesendet und mit einer Punkteskala bewertet.90 Umso höher der erreichte Punktwert, der für eine sichere Fahrweise steht, desto höhere Rabatte werden auf die Kfz-Versicherungsprämie gewährt. Neben diesen speziellen Telematik-Tarifen beginnen Versicherungen auch aus Daten von Wearables, Fitness- und Self-Tracking-Apps Vorhersagen zu generieren, die eine bessere Risikoeinschätzung sowie Tarifierung der versicherten Personen ermöglichen sollen.91 Dahinter steht die Idee, dass Informationen über Sportlichkeit und Ernährungsgewohnheiten Rückschlüsse darauf zulassen, ob die betroffenen Personen gesund bleiben oder eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, in Zukunft Versicherungsleistungen in Anspruch zu nehmen.

f)Predictive Analytic zur Betrugsbekämpfung

Predictive Analytic spielen auch eine Rolle im Bereich der Betrugsbekämpfung. Nur eines von vielen Beispielen ist die Eindämmung von Kreditkartenbetrug im Online-Shopping. Dabei werden die Daten von betrügerisch tätigen Kunden der Vergangenheit analysiert, anonymisiert und in Echtzeit mit denen von aktuell auf der Website surfenden Kunden verglichen. Stellt sich im Rahmen dieser Klassifikationsmethode eine Ähnlichkeit und deshalb Zuordnung zur Gruppe der verdächtigen Bestellungen heraus, kann in den Bestellprozess ein zusätzliches Sicherheitsmodul eingefügt werden. Mittels Predictive Analytic sollen dadurch potenziell betrügerische Kunden vorhergesagt werden. Die Klassifizierung soll zudem den positiven Effekt bewirken, dass nur die risikobehafteten, nicht aber jeder Kunde mit einem zusätzlichen Sicherheitsfeld „belästigt“ wird. Die Absprungrate, die durch eine pauschale Einführung eines solchen Feldes bei allen Bestellungen auftreten würde, kann somit minimiert werden.92 Derartige Vorhersageinstrumente werden auch in den Bereichen Risikomanagement und Compliance eingesetzt.93 So sollen durch Analyseanwendungen illegale Transaktionen im Finanzsektor oder Betrugsversuche bei Versicherungen aufgedeckt werden können.94