Preußen bewegt die Welt - Klaus-Jürgen Bremm - E-Book

Preußen bewegt die Welt E-Book

Klaus-Jürgen Bremm

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Beschreibung

Der Siebenjährige Krieg als ›erster Weltkrieg der Geschichte‹ Im deutschen Geschichtsbewusstsein gilt der Siebenjährige Krieg von 1756 bis 1763 vor allem als glorioser Sieg Preußens über die Habsburgermonarchie. Friedrich II. erwarb durch seine Erfolge als Feldherr die Bezeichnung ›Friedrich der Große‹. Doch in Wirklichkeit war dieser Konflikt kein preußischer oder mitteleuropäischer Krieg, sondern - mit den Worten des britischen Premierministers und Literaturnobelpreisträgers Sir Winston Churchill - ›der erste Weltkrieg der Geschichte‹. Dieser Krieg, in den alle europäischen Mächte involviert waren, betraf sogar die englischen und französischen Kolonien in Übersee. Der renommierte Militärhistoriker Klaus-Jürgen Bremm erläutert die historischen Hintergründe und die weitreichenden Konsequenzen dieses globalen Krieges. - Europas Staaten im Zeitalter der Aufklärung: Konflikte, Koalitionen und Intrigen - Kampf an vielen Fronten: Frankreich und Großbritannien ringen um die Kolonien in Nordamerika und Indien, während Preußen gegen Österreich und Russland steht - Schlaglichter auf bedeutende Kriegsschauplätze: die Schlachten von Kolin und Kunersdorf, Leuthen, Roßbach und Zorndorf - Kriegsende 1763: hohe Opferzahlen und die Friedensschlüsse von Hubertusburg und Paris - Aus der Reihe wbg Paperback: für alle, die mehr über unsere Geschichte wissen wollenPreußen auf dem Weg zur Großmacht - das neue europäische Kräfteverhältnis Nach schlachten- und verlustreichen Jahren waren die politischen Machtverhältnisse in Europa auf den Kopf gestellt, mit zerbrochenen Allianzen und neuen Verbündeten. Frankreich hatte zahlreiche Kolonien verloren und war geschwächt, während England sich als Weltmacht etablierte. Das Königreich Preußen galt nun als fünfte Großmacht in Europa und bildete einen neuen Gegenpol zur Habsburgermonarchie. Klaus-Jürgen Bremm liefert einen fesselnden Gesamtüberblick über diese turbulente Phase der europäischen Geschichte. Ein großartig erzähltes Panorama der kriegerischen Ereignisse in der Mitte des 18. Jahrhunderts!

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wbg Paperback macht die wichtigsten Titel großer Autor*innen aus dem Programm der wbg in einer jungen und wertigen Edition für alle neugierigen Leser*innen zugänglich. Als wbg Paperback auch erhältlich:

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Günter Müchler, Napoleon. Revolutionär auf dem Kaiserthron

Sam Pivnik, Der letzte Überlebende. Der Junge, der 14-mal dem Tod entkam

Alle Titel und weitere Informationen zu wbg Paperback finden Sie unterwww.wbg-wissenverbindet.de/paperback.

Klaus-Jürgen Bremm ist Historiker mit dem Spezialgebiet Militärgeschichte und Publizist.

Er veröffentlichte zahlreiche erfolgreiche Sachbücher.

Abbildungen:

akg-images: S. 33, 121, 202, 215, 227, 255, 266, 289, 316, 332

Wikimedia Commons: S. 12, 49, 59

Karten (S. 135, 149, 165, 175, 192, 200, 344/345): Peter Palm, Berlin

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über www.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,

Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

wbg Paperback ist ein Imprint der wbg.

© 2021 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt

Durchgesehene Neuausgabe der 2017 bei wbg Theiss unter dem Titel

»Preußen bewegt die Welt. Der Siebenjährige Krieg 1756–63« erschienenen Ausgabe.

Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht.

Redaktion: Kristine Althöhn, Mainz

Satz: TypoGraphik Anette Bernbeck, Gelnhausen

Einbandabbildung: »Friedrich der Große ehrt einen gefallenen Offizier«.

Gemälde (Ausschnitt) aus dem 18. Jahrhundert. Foto © akg-images.

Einbandgestaltung: Andreas Heilmann, Hamburg

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier

Printed in Europe

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-27333-1

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:

eBook (PDF): 978-3-534-74649-1

eBook (epub): 978-3-534-74650-7

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Innentitel

Inhaltsverzeichnis

Informationen zum Buch

Informationen zum Autor

Impressum

Inhalt

Einleitung. Ein Weltkrieg im Zeitalter des Ancien Régime

1. Europa im 18. Jahrhundert – Mächte, Armeen und Koalitionen

Von der Hegemonie Frankreichs zur Pentarchie – Europas Staatenwelt im Zeitalter der Aufklärung

Europas Mächte auf Beutezug – Der Österreichische Erbfolgekrieg 1740–1748

Schlachten statt Manöver – Die europäischen Armeen im Ancien Régime

Das Zeitalter der Aufklärung

Nur ein Waffenstillstand – Der Friede von Aachen

Der Krieg vor dem Krieg – Der britisch-französische Streit um das Ohiotal

Dinwiddie und Washington

General Braddocks Niederlage am Monongahela

Tausch der Allianzen – Der Weg zum 1. Versailler Vertrag von 1756

2. Kein kurzer Krieg – Von der Eroberung Menorcas bis zur Schlacht von Leuthen

Eine verlorene Festung und ein füsilierter Admiral

Preußens Einfall in Sachsen – Aufmarsch zu einem langen Krieg

»Das sind nicht mehr die alten Österreicher!« – Die Schlacht von Lobositz

Frankreichs Sieg im diplomatischen Tauziehen mit Österreich

Der zweite Angriff auf Böhmen

Ratlos vor Prag

Die Schlacht von Kolin – »Das ist unser Pultawa«

Nach Kolin – Rückzug von Prag und Beginn des Kampfes auf der inneren Linie

Mehr als ein Sieg – Friedrich demütigt Frankreich bei Rossbach

Leuthen – Der Geburtstag der preußischen Monarchie

3. Die Anfangserfolge verpuffen – Preußen und Frankreich geraten unter Druck

Preußischer Rückschlag vor Olmütz

Ein erstes Mal gegen die gefürchteten Russen – Zorndorf

Daun siegt bei Hochkirch

4. William Pitts Krieg

Der lange Schatten des Admirals Byng

Die beste Nachricht seit Jahren – Der Fall von Louisbourg

5. Unter Ferdinand von Braunschweig

»In solchen Ängsten kriegen wir die Franzosen nie wieder«

Kein zweites Rossbach – Ferdinand von Braunschweig bezwingt die Franzosen in der Schlacht von Krefeld

6. 1759 – Das asymmetrische Kriegsjahr

Minister Choiseuls strategische Fantasien

Militärisches Patt vor Quebec

Marschall Contades’ Vormarsch endet bei Minden

Frankreich verliert Quebec – Die Schlacht auf der Plaine d’Abraham

Der König von Preußen flötet auf dem letzten Loch – Kunersdorf und Maxen

Kein »Trafalgar« – Das Ende der französischen Flotte im Golf von Quiberon

7. 1760–1763 – Der Krieg ist entschieden

Gemeinsames Friedensangebot von Sieger und Besiegtem – Die britisch-preußische Erklärung von Rijswijk

Finale am St. Lorenz – Les adieux au Canada

Aufgeben ist keine Option –Landshut, Liegnitz, Torgau und das Bombardement Dresdens

Frankreich klammert sich an Rhein und Main – Zwischen Kassel und Kloster Kamp

Der Krieg in Indien bis zum Fall von Pondicherry

Warten auf das Mirakel – Von Bunzelwitz nach Burkersdorf

Der Ausklang des Krieges zwischen Rhein und Weser

Der Krieg nach dem Krieg – Spaniens letzter Auftritt im Kreis der Großmächte

Getrennte Friedensschlüsse –Paris und Hubertusburg

Epilog auf den Philippinen

8. Der doppelte Krieg und zwei überraschende Kriegsausgänge

Weltkarte

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Personenregister

Informationen zum Autor

Einleitung. Ein Weltkrieg im Zeitalter des Ancien Régime

»Jedermann weiß, dass die Wirren, die Europa aufwühlen, ihren Anfang in Amerika genommen haben, dass der zwischen Engländern und Franzosen ausgebrochene Streit um den Stockfischfang und um einige unbekannte Gebiete in Kanada den Anstoß zu dem blutigen Kriege gegeben hat, der unseren Erdteil in Trauer versetzt. Jener Krieg war von den Besitzungen der deutschen Fürsten so weit entfernt, dass sich schwer absehen lässt, wie der Brand von einem Erdteile zu einem anderen übergreifen konnte, der scheinbar keine Verbindungen zu ihm hat. Dank der Staatskunst unseres Jahrhunderts gibt es aber gegenwärtig keinen Streit in der Welt, so klein er auch sei, der nicht in kurzer Frist die gesamte Christenheit zu ergreifen und zu entzweien vermöchte.«

Friedrich der Große, Rechtfertigung meines politischen Verhaltens (Juli 1757)1

Was bleibe nun bei solchen Umständen anderes übrig, als endlich den Verlust Schlesiens gänzlich zu vergessen, dem König von Preußen deswegen alle Sorge zu nehmen, um ihn auf diesem Wege dereinst in die Allianz Österreichs mit den Seemächten zu ziehen.1a

Mit diesem ernüchternden Resümee beschrieb am 3. Mai 1751 Wenzel Graf von Kaunitz-Rietberg in einem Memorandum der Kaiserin in Wien die Resultate seiner ersten sechs Monate als Botschafter am französischen Hof. Trotz seiner ungewöhnlich freundlichen Aufnahme in Versailles hatte der Vertreter Österreichs bei seinen Gesprächspartnern nicht die geringsten Anzeichen ausmachen können, dass Frankreich sein Bündnis mit Preußen zugunsten Wiens aufgeben könnte. Selbst König Ludwig XV. war nicht bereit, von der Allianz mit Preußen abzurücken, obwohl er von den ihm zugetragenen Sticheleien des »Markgrafen von Brandenburg« wiederholt tief getroffen war.2

Es ist nicht ohne Reiz, sich vorzustellen, Maria Theresia oder Kaunitz selbst würden seine damalige Schlussfolgerung beherzigt und auf eine Provinz verzichtet haben, wie es Österreich ja nicht zum ersten Mal getan hätte. Wäre ohne das am 1. Mai 1756 in Versailles besiegelte Renversement des alliances, der große Tausch der Verbündeten, der Krieg, in den nur wenige Monate später sämtliche Großmächte Europas verwickelt werden sollten, vielleicht vermieden oder wenigstens in ganz anderer Konstellation ausgetragen worden?

Die revolutionäre Idee einer Allianz mit Frankreich hatte Kaunitz im März 1749 im Geheimen Rat ins Spiel gebracht, kurz nach dem für Wien so unbefriedigenden Ende des Österreichischen Erbfolgekrieges.3 Frankreich sei nicht mehr der Hauptfeind Österreichs, so der Ausgangspunkt seiner damaligen Ausführungen im höchsten Entscheidungsgremium der Monarchie, und könne unter günstigen Bedingungen vielleicht dazu gebracht werden, sein Bündnis mit Preußen aufzugeben und eine neutrale Haltung gegen Wien einzunehmen. Vielleicht würde sich die französische Krone sogar einer antipreußischen Allianz mit Russland und Österreich anschließen. Einzig in dieser Konstellation bestünde nach Kaunitz’ Überzeugung überhaupt eine reale Aussicht, Schlesien militärisch zurückzugewinnen, das König Friedrich II. von Preußen im Dezember 1740 überfallartig besetzt und seither in zwei Kriegen behauptet hatte.

So bestechend Kaunitz’ Überlegungen auf den ersten Blick waren und sosehr sie damals auch der Kaiserin imponiert hatten, so blieb doch das Problem, dass Österreich der französischen Krone außer einem unbedeutenden Gebietsschacher nichts wirklich Substanzielles anzubieten hatte. Der Tausch Luxemburgs gegen einige italienische Herzogtümer und die in Aussicht gestellte Unterstützung Wiens bei der zukünftigen Regelung der polnischen Thronfolge, wie es Kaunitz im Geheimen Rat anregte und dann tatsächlich im Herbst 1755 offen anbot, war für Frankreich kaum ein Anreiz, seine Heere gegen Preußen marschieren zu lassen.

Trotz des zunächst ausgebliebenen Erfolgs in Versailles erfreute sich Kaunitz weiterhin der Gunst der Kaiserin und stieg nach seiner Rückkehr aus Frankreich 1753 sogar zum leitenden Minister in Wien auf. Dieses Amt behielt er fast 40 Jahre bis kurz vor seinem Tod.

Der Karrierediplomat, in dessen mährischen Stammschloss ein halbes Jahrhundert später Napoleon Bonaparte nach seinem Sieg bei Austerlitz Quartier nehmen sollte, wäre zutiefst überrascht gewesen, dass ausgerechnet der gewaltsame Tod eines frankokanadischen Offiziers in den Wäldern des nordamerikanischen Ohiotals das österreichische Kaiserhaus in der Frage einer Allianz mit Versailles endlich das entscheidende Stück voranbringen würde. Auf welche Weise der 36-jährige Fähnrich Joseph Villers Coulon de Jumonville am frühen Morgen des 28. Mai 1754 nach einer durchregneten Nacht in der Wildnis des westlichen Pennsylvanias tatsächlich ums Leben gekommen war, ist bis heute nicht ganz geklärt. Briten und Franzosen verbreiteten unterschiedliche Versionen. So behauptete der Führer der an dem Schusswechsel beteiligten virginischen Miliz, ein gewisser George Washington, in seinem Bericht an seinen Vorgesetzten in Williamsburg, Jumonville sei bereits während des Gefechts tödlich verwundet worden. Dagegen beharrten die Franzosen darauf, dass der Offizier den Briten nur eine Botschaft überbringen wollte, die sie zum Rückzug aufforderte. Erst nach seiner Gefangennahme sei er von einem der Indianer im Gefolge Washingtons auf bestialische Weise umgebracht worden.4 Die erbosten Frankokanadier schlugen rasch zurück. Nur einen Monat nach dem Zwischenfall mit Jumonville musste Washington mit seinen Leuten nach einem mehrstündigen Gefecht vor einer gegnerischen Übermacht kapitulieren. Nun waren auch die Briten in Alarmstimmung. Innerhalb weniger Monate eskalierte der Streit um das Ohiotal zum offenen Krieg. Briten und Franzosen schickten Verstärkungen nach Nordamerika und bereiteten sich auf eine koloniale Auseinandersetzung vor.

Beide Rivalen wussten jedoch genau, dass der Krieg wegen der deutlichen Unterlegenheit der französischen Flotte nicht auf Nordamerika beschränkt bleiben konnte, und bemühten sich daher, ihre alten Allianzen in Europa zu beleben. Dass Frankreich zum Ausgleich für seine eventuellen Verluste in Nordamerika versuchen würde, Belgien oder das Kurfürstentum Hannover als Tauschobjekte zu besetzen, galt in London als ausgemachte Sache. Vor allem Hannover, das Stammland König Georgs II., galt als die Achillesferse der britischen Politik. Die Rückgabe des von den Franzosen im letzten Krieg eroberten Belgiens gegen die in britische Hand gefallene Festung Louisbourg auf Kap Breton bot die Blaupause für derartige Gedankenspiele in Versailles. Hier nun kam Preußen ins Spiel. Die norddeutsche Militärmacht war immer noch mit Frankreich verbündet. Zudem stand Friedrich mit seinem Onkel, dem britischen König, nicht auf bestem Fuß. Georg II. und seine Minister sahen in dem unzuverlässigen Potsdamer Monarchen sogar die Hauptbedrohung für das kaum geschützte Hannover. Wie in beinahe jedem Sommer reiste der seit 28 Jahren auf dem britischen Thron sitzende Welfenherrscher auch 1755 nach Deutschland, um sich persönlich mit den Angelegenheiten seines geliebten Kurfürstentums zu befassen. Es sollte die letzte und wichtigste Reise während seiner Regierung sein, denn Georg II. versuchte unter den benachbarten Reichsfürsten Alliierte zur Verteidigung seines norddeutschen Stammlandes zu finden. Auch mit Russland führte London deswegen Gespräche, die nun sehr rasch zu einem Abschluss zu gelangen schienen. Es war die Sorge vor einer britisch-russischen Allianz, die Friedrich zu einer radikalen politischen Kehrtwende bewog. Ein Neutralitätsabkommen mit den Briten erschien dem bisher so unzugänglichen preußischen Herrscher plötzlich höchst attraktiv, meinte er doch, damit auch die von ihm so sehr gefürchteten Russen vertraglich gebunden zu haben.

Das Westminister-Abkommen vom 16. Januar 1756 sollte jedoch für Friedrich eine doppelte Enttäuschung bringen. Das Zarenreich hielt unbeeindruckt an seiner Feindschaft zu dem »preußischen Emporkömmling« fest und der zutiefst düpierte Versailler Hof fand plötzlich zu neuer Entschlossenheit. Frankreich fühlte sich von Preußen nicht nur brüskiert, sondern erkannte nun auch ganz klar, dass von Friedrich nicht mehr die erhoffte Unterstützung zu erwarten war.5 Wenn aber Preußen nicht der französische Degen sein wollte, um Hannover als Faustpfand zu besetzen, dann würde möglicherweise eine Allianz mit Österreich weiterführen. Denn das Kaiserhaus konnte immerhin Frankreichs Armeen den Marsch durch Reichsgebiet zum Rhein und weiter zur Weser ermöglichen. Hannover wäre damit für Frankreich in Reichweite gerückt.

Wenzel Anton Graf Kaunitz-Rietberg. Pastell (1762) von Jean-Étienne Liotard.

Dieses Kalkül war der tatsächliche und einzige Grund für das Renversement des alliances, das am 1. Mai 1756 in Paris eingeleitet und genau ein Jahr später zu der von Österreich so lange angestrebten Offensivallianz gegen Preußen erweitert wurde. Erst der Krieg in Nordamerika und Frankreichs maritime Unterlegenheit hatten somit Wiens erneuten Waffengang um Schlesien möglich gemacht. Friedrichs im Juli 1757 verfasste Apologie, sein Einmarsch in Sachsen sei nur Teil eines weltumspannenden Konflikts gewesen, war somit keineswegs aus der Luft gegriffen.

Der britische Premierminister Winston Churchill, erfolgreicher Autor und Literaturnobelpreisträger, hat in seiner History of the English Speaking People den Siebenjährigen Krieg als den Ersten Weltkrieg bezeichnet. Nach seiner Ansicht folgten die Akteure in London und Versailles erstmals einer globalen Strategie. Galten die Kriege des Ancien Régime seit 1688 hauptsächlich der Verhinderung einer französischen Hegemonie in Westeuropa, während die Kampfhandlungen in Nordamerika immer nur eine Nebenrolle gespielt hatten, stellte der Siebenjährige Krieg diese Ordnung der Prioritäten auf den Kopf. Längst von den ungeheuren Gewinnen des transatlantischen Handels abhängig, hatte Europa für Briten und Franzosen nur noch eine nachrangige Bedeutung. Dagegen erwies sich das entlegene Ohiotal immer mehr als strategischer Schlüssel für die Vorherrschaft in ganz Nordamerika und in der Karibik. Friedrichs Einmarsch in Sachsen und seine legendären Schlachten, seine glorifizierten Siege und spektakulären Niederlagen, waren aus einer globalen Perspektive tatsächlich nicht mehr als ein Appendix zu dem Hauptkampf in Nordamerika und Indien. Seine Dämonisierung als Urheber des Siebenjährigen Krieges greift zu kurz, da sie über die europäische Bühne nicht hinausblickt. Über Krieg und Frieden in Europa war schon entschieden, noch ehe überhaupt ein preußischer Musketier seinen Fuß auf sächsischen Boden gesetzt hatte. Friedrichs Einmarsch in Sachsen war, bei allen beklagenswerten Folgen für die Untertanen des nach Polen geflohenen König-Kurfürsten August III., nicht mehr als ein untergeordneter Schachzug in einem viel größeren Machtspiel.

Winston Churchill hat in seiner Darstellung nicht weiter erläutert, weshalb er den Siebenjährigen Krieg als den ersten aller Weltkriege betrachtete. Seine überschwängliche Charakterisierung Williams Pitts unterstreicht jedoch diese Einschätzung.6 Wie Churchill selbst als Kriegspremier hatte beinahe zwei Jahrhunderte zuvor der ältere Pitt und 1. Lord von Chatham an einer globalen Front gekämpft und war die Seele des Widerstandes und der Garant des britischen Sieges gewesen. Frankreich in Indien und Amerika zu schlagen, bedeutete für die englische Oligarchie, diesen gefährlichsten aller Konkurrenten auch in Europa entscheidend zu schwächen. Dasselbe Schicksal hatte zuvor schon die niederländischen Generalstaaten getroffen, die im 18. Jahrhundert nur noch eine Nebenrolle im europäischen Mächtesystem spielten.

Sosehr auch die Schlachten Friedrichs des Großen Militärs wie Historikern als Höhepunkt der barocken Kriegskunst erschienen waren, im Kontext dieses ersten globalen Krieges spielten sie sich auf einem Nebenkriegsschauplatz ab. Die Armeen Preußens, Österreichs und Russlands fochten in einem regionalen Krieg, und allein die globalstrategischen Erwägungen der Versailler Minister retteten das preußische Königtum vor dem fast sicheren Untergang. Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass der europäische Krieg zugunsten der antipreußischen Koalition ausgegangen wäre, hätte Frankreich im Sommer 1757 seine Hauptarmee von fast 100 000 Mann nur wenige Wochen nach Friedrichs Niederlage bei Kolin nach Sachsen marschieren lassen. Zum großen Verdruss der Österreicher hatte sich Frankreich jedoch anders entschieden und sich über Rhein und Weser nach Norddeutschland gewandt, wo es das Kurfürstentum Hannover als Faustpfand besetzen wollte. Selbst nach seiner Demütigung bei Rossbach versuchte Versailles noch sechs weitere Jahre, sein wichtigstes Kriegsziel in Europa zu erreichen.

Ob es seinen 1759/60 verlorenen Besitz in Kanada und Louisiana im Tausch gegen das Kurfürstentum Hannover tatsächlich von den Briten zurückerhalten hätte, ist eine spannende Frage. Der geschickte Widerstand einer vereinten deutsch-britischen Armee unter dem Oberbefehl des erst 36-jährigen Ferdinands von Braunschweig-Lüneburg verhinderte, dass London sie sich tatsächlich stellen musste.

Nicht an Elbe und Oder fiel die Entscheidung des siebenjährigen Ringens, sondern an der Weser und am Rhein. Die Schlachten von Minden und Vellinghausen waren für den Ausgang des Siebenjährigen Krieges weitaus bedeutsamer als die von Rossbach, Leuthen oder Kunersdorf. Allein durch sie verfehlte Frankreich sein zentrales Kriegsziel in Europa und musste, ohne ein strategisches Tauschobjekt in der Hand, ganz Kanada abtreten. Mit dem Nimbus seiner Unbesiegbarkeit waren auch der Glanz und die Legitimität der absoluten Monarchie in Frankreich für immer dahin. Die Niederlagen in diesem Krieg, so Louis Philippe, Graf von Ségur, verletzten und erweckten zugleich den Nationalstolz der Franzosen. Von einem Ende des Landes bis zum anderen wurde die Opposition gegen den Hof zur Ehrensache.7 Vom Pariser Verzichtsfrieden von 1763 führte ein direkter Weg zum Sturm auf die Bastille.

Die 13 Staaten Neuenglands, bis dahin untereinander eher isoliert, fanden im sogenannten French and Indian-War zu einem neuen Selbstbewusstsein. Die sich nach dem Frieden von Boston bis Charles Town entzündende Debatte über ihre zukünftige Rolle im britischen Weltreich eskalierte nur ein Jahrzehnt später zum Unabhängigkeitskrieg, an dessen Ende die Loslösung vom Mutterland stand. Der Wegfall der französischen Barriere zwischen den Großen Seen und dem Mississippi war zugleich das Startsignal zum großen Zug nach Westen. Die heutige 300 Mio. Nation zwischen Pazifik und Atlantik würde ohne den Sieg Großbritanniens im Siebenjährigen Krieg vermutlich nicht existieren. Bis heute sind die Revolutionen in Amerika und Frankreich die entscheidenden Umbrüche des transatlantischen Raums, ohne welche die moderne westliche Welt in ihrer heutigen Gestalt gar nicht vorstellbar wäre.

Dagegen ist der Staat Friedrichs des Großen ebenso wie das Habsburgische Vielvölkerreich längst Geschichte. Preußens Untergang vollzog sich seit 1871 in langen Etappen, während das Haus Österreich am 3. November 1918 mit einem Tedeum im Stephansdom aus der Geschichte schied. Das für ein Vierteljahrhundert umkämpfte Schlesien, zentraler Zankapfel zwischen Friedrich und seiner ärgsten Rivalin Maria Theresia, ist bereits seit 70 Jahren Teil des nach Westen verschobenen polnischen Staates. Nichts in der modernen europäischen Staatenwelt erinnert heute noch an ihre alten Kämpfe.

1. Europa im 18. Jahrhundert – Mächte, Armeen und Koalitionen

Von der Hegemonie Frankreichs zur Pentarchie – Europas Staatenwelt im Zeitalter der Aufklärung

»Das christliche Europa ist wie eine Republik von Souveränen, die sich in zwei mächtige Parteien teilt. England und Frankreich haben seit einem Jahrhundert zu allen Bewegungen den Anstoß gegeben. Wollte ein kriegerischer Fürst etwas unternehmen, wenn jene beiden einverstanden sind, den Frieden zu erhalten, so würden sie ihm ihre Vermittlung anbieten und ihn nötigen, sie anzunehmen. Einmal bestehend, hindert das System alle großen Eroberungen und macht die Kriege unfruchtbar, wenn sie nicht mit überlegener Macht und unausgesetztem Glück geführt werden.«

Friedrich der Große, Politisches Testament von 17521

Drei politische Ereignisse veränderten um die Wende zum 18. Jahrhundert die Staatenwelt Europas tief greifend. Von der englischen Oligarchie gerufen, landete am 5. November 1688 der Generalstatthalter der Niederlande, Wilhelm III. von Oranien, in Torbay in der Grafschaft Devon und beendete nach kurzem Bürgerkrieg die Herrschaft der katholischen Jakobiten. Damit trat England, das sich 19 Jahre später mit Schottland zum Vereinigten Königreich konstituierte, in die große europäische Koalition gegen Frankreich ein. Nach über einem Jahrhundert der politischen Abstinenz war das Inselreich faktisch wieder zu einer kontinentalen Macht geworden, die sich seither die Verteidigung der südlichen Niederlande gegen die Hegemonieansprüche der französischen Krone zur ersten Pflicht machte. Trotz einer unerwartet langen, beinahe 30-jährigen Friedensphase nach dem Utrechter Vertrag (1713) war die »Glorreiche Revolution« von 1688 der Auftakt zu einem zweiten »Hundertjährigen Krieg« zwischen Großbritannien und Frankreich. Erst nach sechs Waffengängen im Ancien Régime sowie sieben weiteren Koalitionskriegen gegen das revolutionäre Frankreich endete diese epochale Auseinandersetzung mit der Schlacht von Waterloo und dem Sturz Napoleons.

Das zweite die europäische Staatenwelt prägende Ereignis war das Ende der habsburgischen Thronfolge in Spanien und die Teilung des spanischen Imperiums in Europa. In den Friedensschlüssen von Utrecht und Rastatt (1714) akzeptierten Großbritannien und Österreich nach 13 Jahren Krieg die bereits zuvor erfolgte Inbesitznahme der spanischen Krone durch den Bourbonen Philipp V., einen Enkel des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Sie setzten dagegen aber durch, dass die südlichen Niederlande (Belgien), die Lombardei, Neapel sowie Sardinien vom ehemaligen Weltreich abgetrennt wurden. Damit endete die seit fast zwei Jahrhunderten bestehende Einkreisung Frankreichs durch die habsburgische Universalmonarchie.2

Die dritte gravierende Änderung der internationalen Verhältnisse vollzog sich im Nordosten Europas. Dort hatte der junge König Karl XII. von Schweden zunächst mit einer Reihe unerwarteter und spektakulärer Siege gegen eine Allianz aus Dänemark, Polen-Sachsen und Russland ganz Europa in Erstaunen versetzt. Dann aber hatte sich im Juni 1709 das Blatt zugunsten Zar Peters I. gewendet. Den Russen gelang es, den mit seiner Armee in die Ukraine eingedrungenen König bei Poltawa vernichtend zu schlagen. Von dieser Niederlage hat sich das nordische Königreich nie mehr erholt. Nach seiner spektakulären Rückkehr aus der Türkei setzte Karl zwar den längst aussichtslosen Kampf gegen eine Koalition aus Dänemark, Preußen und Russland noch eine Zeit lang fort. Doch als im November 1718 in den Gräben vor der norwegischen Festung Frederiksborg eine Kugel seinen Kopf durchschlug, übernahm der Stockholmer Reichsrat die Macht im Lande und begann Verhandlungen mit dem Zaren. Im Frieden von Nystad (1721) musste das ausgeblutete Land sämtliche baltischen Besitzungen an Russland abtreten und büßte damit auch unwiderruflich seinen Status als Großmacht ein.

Die Friedensschlüsse von Utrecht, Rastatt und Nystad hatten somit 70 Jahre nach den Westfälischen Verträgen das Gefüge der europäischen Staaten grundlegend verwandelt. Die Triade der bisher dominierenden Mächte Frankreich, Spanien und Österreich war seither um Russland und Großbritannien zu einer Fünfergruppe erweitert worden, die man später als Pentarchie bezeichnete und die tatsächlich bis zum Ersten Weltkrieg die kontinentale Politik bestimmte. Das nunmehr bourbonische Spanien wurde allerdings schon wenige Dekaden später allgemein nicht mehr als Führungsmacht wahrgenommen, ohne dass sich für diese neue Wertung ein konkretes Datum nennen ließe. An seine Stelle trat – nach dem Siebenjährigen Krieg kaum noch bestritten – die norddeutsche Aufsteigermacht Preußen. Das neue System war jedoch alles andere als statisch. In kaum einer anderen Epoche hatte sich die europäische Staatenwelt so sehr in einem stetigen Wechsel befunden wie zwischen dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges und dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges. Jeder Hof konnte mit jedem anderen koalieren, kein Bündnis war in Stein gemeißelt und selbst Frankreich und Großbritannien agierten nach dem Utrechter Frieden gemeinsam gegen Spanien. Von allen politischen Umgruppierungen war aber die Annäherung der Erzrivalen Habsburg und Frankreich im Mai 1756, das sogenannte Renversement des alliances, die wohl spektakulärste Wende.

Von den fünf führenden Mächten beanspruchte Frankreich auch nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges immer noch den ersten Rang auf dem Kontinent. Es besaß mit Abstand die größte Bevölkerung, die höchste Wirtschaftskraft und mit einer Friedensstärke von 160 000 Mann nach Russland die stärkste Armee in Europa. Das europäische Militärwesen dominierten französische Offiziere in Theorie und Praxis. Frankreichs Absolutismus galt auch nach dem Tod Ludwigs XIV. vielen Staaten östlich des Rheins als konkurrenzloses Vorbild. Vor allem in Deutschland versuchte man seine zentralistische Verwaltung und seine monarchische Prachtentfaltung zu kopieren. Allerdings zeigte sich nach dem Tod von Kardinal André Hercule Fleury (1743), dem letzten großen Staatsmann Frankreichs, dass dem neuen Herrscher Ludwig XV. die Tatkraft und die fähigen Minister fehlten, um das durch seinen Urgroßvater geschaffene absolute Königtum auszufüllen. Sein Land, das der Monarch in seiner mehr als 50-jährigen Regierungszeit nur ein einziges Mal bereist hatte, stagnierte in vielen Bereichen. Obwohl die namhaftesten Vertreter der europäischen Aufklärung Franzosen waren, verharrte der Adel Frankreichs wie auch seine Bevölkerung in ihrer Mehrheit in rückständigen Vorstellungen. Es dominierten politische Willkür und religiöse Intoleranz. Der Exodus der Hugenotten bedeutete für das Land einen ungeheuren Aderlass. Der Einfluss der katholischen Kirche blieb weiterhin stark. Wirtschaftlich litt Frankreich immer mehr darunter, dass der unter Ludwig XIV. und seinem Minister Jean Baptiste Colbert perfektionierte Merkantilismus im Verlauf des 18. Jahrhunderts seine Grenzen erreichte und gegenüber einem in Großbritannien sich etablierenden freien Unternehmertum stetig an Boden verlor. Trotz steigender Gewinne aus dem Überseehandel summierten sich im Laufe des 18. Jahrhunderts die französischen Budgetdefizite fast bis zum Staatsbankrott. Die Gründung einer Staatsbank als Garantieinstitution der öffentlichen Schulden misslang. Das gewaltige Heer konnte schließlich nur noch durch überteuerte Staatsanleihen finanziert werden, im Flottenbau geriet Frankreich gegenüber dem britischen Rivalen in einen unaufholbaren Rückstand. Ein ambitioniertes Aufholprogramm unter Marineminister Jean-Frédéric Graf von Maurepas kam jedoch nicht über 75 Linienschiffe hinaus. Zudem waren sie mit ihren 74 Geschützen den größeren britischen Schiffen mit 100 Kanonen kaum mehr gewachsen. Nicht allein knappe Finanzen, sondern auch fehlende Besatzungen bildeten eine kaum zu überwindende Grenze für Frankreichs maritime Rüstung.3 Die Bewahrung des kolonialen Besitzstandes in Nordamerika, der Karibik und in Indien schien unter diesen Umständen immer mehr infrage gestellt.

In Europa dagegen besaß Frankreich seit dem Frieden von Utrecht/ Rastatt erstmals sichere Grenzen. Im Osten reichte sein Territorium bis zum Rhein, im Norden schützte Frankreich eine starke Festungskette.4 Neue Eroberungen etwa in den österreichischen Niederlanden erschienen dem fünfköpfigen Kabinett Ludwigs XV., dem Conseil d’en haut, daher nicht mehr um jeden Preis erstrebenswert. Der Monarch selbst gefiel sich sogar immer mehr in der Rolle eines Friedensfürsten.

Traditionell hatte Versailles in Österreich seinen Hauptfeind gesehen, doch mehr und mehr nahm Großbritannien diese Rolle ein. Daneben beunruhigte den französischen Hof auch Russlands stürmischer Drang nach Westen. Nicht ohne Erfolg versuchte Frankreich die hegemonialen Bestrebungen des Zarenreiches durch einen Kordon osteuropäischer Verbündeter mit Polen im Zentrum einzudämmen. Um die polnische Thronfolge kam es daher 1733–35 zum ersten Mal seit dem Vertrag von Rastatt zu einem Krieg gegen Habsburg und einige Reichsständen, der nach einigen unbedeutenden Kämpfen mit einem Kompromiss endete. Frankreich akzeptierte im Rahmen der Pragmatischen Sanktion die Thronfolge Maria Theresias und erhielt dafür Lothringen. Das lange umstrittene Herzogtum ging zunächst an Stanislaus Leszczynski, den Schwiegervater Ludwigs XV. und vertriebenen polnischen Thronaspiranten. Nach dessen Tod sollte Lothringen endgültig an Frankreich fallen, was 1766 dann auch geschah.

Durch Schwedens vernichtende Niederlage im Nordischen Krieg hatte Frankreich zwar seinen traditionellen Verbündeten an der Nordflanke Europas eingebüßt, doch konnte es nach dem Regierungsantritt Friedrichs II. in Preußen (1740) einen neuen militärisch potenten Alliierten als Ersatz gewinnen. Durch die überfallartige Besetzung Schlesiens war der Hohenzollernstaat zudem dauerhaft in Gegnerschaft zu Österreich und Russland geraten und schien somit ein idealer Baustein im französischen Bündnissystem zu sein. Auch musste das spartanisch verwaltete Königreich mit seinen soliden Staatsfinanzen nicht durch aufwendige Subsidien bei der Stange gehalten werden.

Selbst wenn der alte Glanz seiner Monarchie schon deutliche Flecken aufwies, war es Frankreich bis zum Tode Kardinals Fleury zum letzten Mal vor 1793 gelungen, seine alte hegemoniale Stellung in Kontinentaleuropa zu behaupten. In Europa schien es unangreifbar, doch der lebenswichtige Handel mit seinen transatlantischen Kolonien war mehr und mehr dem Druck Großbritanniens und seiner überlegenen Flotte ausgesetzt. Die Bereitschaft der französischen Krone, drohende Verluste in Nordamerika durch Gewinne oder Faustpfänder in Europa zu kompensieren, nahm zu.

Großbritannien durchlebte unter wechselnden Regierungen seit dem Utrechter Friedensschluss zunächst eine Schwächephase, während der es in Europa ohne echte Verbündete auskommen musste. Besonders Österreich blieb lange auf Distanz zum Inselreich, nachdem 1710/13 die neue Tory-Regierung unter Henry Saint John, Lord Bolingbroke, vollkommen eigenmächtig aus dem gemeinsam geführten Krieg um die spanische Erbfolge ausgeschieden war. Um den Rücken für ihre koloniale Expansion freizuhaben, bemühte sich die britische Politik seither um die Aufrechterhaltung des kontinentalen Status quo, wie er in den Friedensschlüssen von 1713/14 ausgehandelt worden war. Der revisionistischen Politik Österreichs und Spaniens versuchte London entgegenzuwirken und scheute sich auch nicht, dabei gelegentlich mit Frankreich eng zusammenzuarbeiten. Erst der Abschluss des Zweiten Wiener Vertrages führte 1731 Großbritannien und Österreich wieder näher zusammen.5

Hinsichtlich der Rolle des Kontinents blieb die britische Politik dauerhaft gespalten. Während die isolationistischen Tories dafür eintraten, Europa zu vernachlässigen und stattdessen Großbritanniens Herrschaft in Übersee auszubauen (Blue Water Policy), traten die Whigs, die 1717 die Macht zurückgewonnen hatten, für ein verstärktes Engagement auf dem Kontinent ein. Der französische Rivale müsse unbedingt in Europa beschäftigt werden, um den Ausbau seiner Flotte zu verhindern. Besonders lag ihnen die Aufrechterhaltung der »belgischen Barriere« am Herzen, wofür man allerdings die Unterstützung der Generalstaaten und Österreichs benötigte.

Für ihre Politik der kontinentalen Bindung fanden die Whigs auch die unbedingte Zustimmung der hannoverischen Welfen, die seit 1714 Großbritannien regierten, aber weiterhin die Interessen ihres Stammlandes fest im Auge behielten. Eine vergleichsweise schwache Armee von maximal 50 000 Mann bildete die wohl entscheidende Hürde für ernsthafte militärische Engagements auf dem Kontinent und zwang die britischen Regierungen zu Subventionszahlungen an die verbündeten europäischen Höfe.

Eine Besonderheit der britischen Politik war das stetig wachsende Selbstbewusstsein des Parlaments. Als absolutistisch geprägter deutscher Fürst musste sich König Georg I. (1714–1727) ebenso wie später sein gleichnamiger Sohn damit abfinden, dass das britische Unterhaus einen ungewöhnlich großen Einfluss auf die Außenpolitik nahm. Die Macht des House of Commons war so groß, dass es sogar gegen den Willen von Staatssekretär Robert Walpole und König Georg II. (1727–1760) einen Krieg gegen Spanien durchsetzen konnte. Der fortgesetzte Schmuggel britischer Waren in die Karibik hatte fühlbar Spaniens Handelseinnahmen verringert. Als Madrid die illegale Praxis britischer Kolonisten gewaltsam zu unterbinden suchte, löste das in ganz Großbritannien tiefe Empörung und lautes Kriegsgeschrei aus. Der Krieg begann im September 1739 und wurde bald im ganzen Land nach einem von den Spaniern verstümmelten britischen Kapitän der »Krieg um Jenkins Ohr« genannt.6

Wegen der oft wechselnden Mehrheiten im Unterhaus misstrauten die kontinentalen Höfe grundsätzlich den diplomatischen Vertretern Großbritanniens, zumal dessen Politiker sich nicht selten aus bürgerlichen Verhältnissen emporgearbeitet hatten.7 Die Teilung der britischen Außenpolitik in eine nördliche und südliche Sphäre verschärfte die Skepsis. Mehr als einmal kam es vor, dass die Vertreter der beiden für die Außenpolitik zuständigen Staatssekretäre sich einander in ein und derselben Angelegenheit widersprachen.8 Ein erheblicher Vorteil des britischen Regierungssystems lag jedoch darin, dass außenpolitische Fragestellungen nicht allein in arkanen Zirkeln unter dem Vorsitz des jeweiligen Monarchen entschieden wurden, sondern auf der Grundlage einer breiten parlamentarischen Auseinandersetzung. Die Debatten des Unterhauses über die auswärtige Politik bildeten regelmäßig den Höhepunkt des parlamentarischen Jahres und fanden in Presse und Öffentlichkeit großen Widerhall. Ein Zeitgenosse urteilte über seine Landsleute mit ironischer Überzeichnung: »Unser Volk ist eine Nation von Staatsmännern. Jedes Alter, jedes Geschlecht und jeder Berufsstand führt seine eigene Ministerliste auf den Lippen; und Whig und Tory sind die ersten Worte, welche der Säugling an der Mutterbrust stammelt.«9

Hinter allem Disput bestand jedoch weitgehender Konsens unter allen politischen Strömungen, dass Frankreich der Hauptrivale des Vereinigten Königreiches war und die britische Regierung alles tun musste, um dessen kontinentale Hegemonie durch ein Gleichgewicht der Kräfte wenigstens einzudämmen. Als sich zu Beginn der 1740er-Jahre jedoch immer mehr herausstellte, dass Großbritannien Gefahr lief, angesichts der wachsenden französischen Macht auf dem Kontinent sein Ziel zu verfehlen, musste Außenstaatssekretär Robert Walpole nach zwei Dekaden sein Amt aufgeben.10

Mit seiner gewaltigen Ländermasse von Böhmen bis Brabant war das Haus Habsburg seit dem Ausgang des Mittelalters der ewige Rivale Frankreichs gewesen. Habsburger herrschten in den Niederlanden und im Elsass. Zu ihrem Herrschaftsbereich zählten die Lombardei sowie etliche mittelitalienische Herzogtümer, während der spanische Zweig der Familie die Iberische Halbinsel zusammen mit einem gewaltigen transatlantischen Kolonialreich in seiner Gewalt hatte. Auch wenn die Macht der Habsburger seit dem Dreißigjährigen Krieg in Westeuropa deutlich geschmälert worden war, blieben sie weiterhin ein ebenbürtiger Gegner der Bourbonen. Gestützt auf die Ressourcen der Erblande und mithilfe der Reichsstände war es den habsburgischen Kaisern seit 1683 gelungen, in langen Kämpfen an Rhein und Donau der doppelten Bedrohung durch Frankreich und des mit ihm verbündeten Osmanischen Reiches zu widerstehen. Mit den Friedensschlüssen von Karlowitz (1699) und Passarowitz (1718) konnten die Habsburger sogar das von den Türken seit fast zwei Jahrhunderten besetzte Ungarn in ihre Hand bringen. Gleichzeitig war damit im Südosten eine neue strategische Perspektive für das »Erzhaus« gewonnen worden. Auf der Sollseite der österreichischen Habsburger standen nach den beiden langen Kriegen gegen Frankreich empfindliche Verluste in Italien, die durch den Erwerb der vormaligen spanischen Niederlande – im Wesentlichen das heutige Belgien mit Luxemburg – nicht ausgeglichen werden konnten. Versuche der alten Binnenmacht, durch die Gründung einer Fernhandelskompanie im belgischen Ostende im Jahre 1722 einen besonderen Nutzen aus der entlegenen Provinz zu ziehen, scheiterten bald am Widerstand der britischen und niederländischen Konkurrenz. Der Rückschlag war nur Teil einer beachtlichen Kette von Misserfolgen, die Österreich während der langen Herrschaftszeit Karls VI. (1711–1740) zu beklagen hatte. Hauptsächlich waren hierfür die Bemühungen des Kaisers verantwortlich, durch die sogenannte Pragmatische Sanktion von 1713 die Unteilbarkeit aller seiner Länder zu proklamieren und die weibliche Erbfolge zu sichern. Statt auf eine starke Armee setzte der Kaiser dabei auf Verhandlungen mit den Reichsständen und den europäischen Mächten, was ihn erhebliche Zugeständnisse kostete, aber keine wirklichen Garantien brachte.11 Der dramatische Niedergang der österreichischen Militärmacht zeigte sich nur zwei Jahre nach dem Tod der Feldherrenlegende Eugen von Savoyen, als Österreich 1738/39 nach einem unglücklich verlaufenen Türkenkrieg den größten Teil seiner Gewinne aus dem Frieden von Passarowitz wieder verlor. Am Ende seiner langen Regierungszeit schien der Habsburgerstaat bei zerrütteten Staatsfinanzen und einer vernachlässigten Armee nicht mehr länger eine europäische Ordnungsmacht zu sein. Als Verbündeter sei das »Haus Österreich« inzwischen vollkommen nutzlos, klagte im März 1739 Sir Robert Walpole.12 Die nur lose durch die Person des Kaisers zusammengefügte habsburgische Ländermasse zog bei weiterhin ungesicherter Nachfolge zunehmend die begehrlichen Blicke seiner Nachbarn auf sich.

Durch seinen Sieg im Großen Nordischen Krieg hatte Russland seinen Einfluss bis weit nach Mitteleuropa ausgedehnt. Seine Flotte dominierte die Ostsee, seine Armee stand jederzeit eingreifbereit an der Grenze zu Polen und selbst Dänemark musste die Einmischung des Zaren in seine inneren Angelegenheiten hinnehmen. Doch mit dem Tod Zar Peters I. im Januar 1725 trat Russland zunächst in eine politische Konsolidierungsphase. Vieles, was der autokratische Herrscher in seinem brutalen Tatendrang angefasst hatte, war Stückwerk geblieben. Weder die Einführung der Kopfsteuer noch die große Verwaltungsreform hatte der Zar abschließen können. Ein erheblicher Teil des alten russischen Adels lehnte westliche Ideen und Einflüsse entschieden ab und verabscheute vor allem die brachialen Methoden, mit denen der Zar seine überkommene Lebensweise zurückzudrängen versucht hatte. Da Peter seine Nachfolge nicht eindeutig geregelt hatte und in rascher Folge seine älteste Tochter und schließlich auch sein erst 14 Jahre alter Enkel verstorben waren, gelangte Russland erst seit 1730 unter der Herrschaft von Zarin Anna Iwanowna wieder zu halbwegs stabilen Verhältnissen. Die Ruhe war aber teuer erkauft, denn die Nichte Zar Peters, eine sadistische und genusssüchtige Frau, zögerte nicht, die alte Geheimkanzlei ihres Onkels, eine Art Geheimpolizei, wieder einzusetzen. Mehr als 10 000 politische Gegner fielen dem von ihr inszenierten Massenterror durch Tod oder Deportation zum Opfer.13 In der Außenpolitik Russlands war der Westfale Heinrich Johann Ostermann lange die bestimmende Persönlichkeit.14 Als Vizepräsident des Auswärtigen Kollegiums versuchte er, Russlands Gewinne im Nordischen Krieg diplomatisch abzusichern und schwedische Revisionsversuche abzuwehren. Ein Bündnis mit Preußen und Österreich sollte ein Gegengewicht zu Frankreich und Großbritannien bilden. 1733 intervenierte die russische Armee daher auch im Polnischen Erbfolgekrieg und belagerte die Anhänger Stanislaus Leszczynskis in Danzig. Ein russisches Korps von 12 000 Mann unter dem Befehl des späteren preußischen Feldmarschalls James Keith überwinterte 1734/35 in Schlesien. Nur der Waffenstillstand zwischen Frankreich und Österreich im darauffolgenden Frühjahr verhinderte seinen Weitermarsch zum Rhein.15

1735 fühlte sich Russland wieder stark genug, in einem weiteren Krieg gegen das Osmanische Reich das alte Ziel Zar Peters aufzugreifen und die Schwarzmeerküste mit der Krim zu besetzen. Das Unternehmen scheiterte jedoch trotz einiger Anfangserfolge an Versorgungsproblemen, der Hitze sowie Krankheiten in der Truppe. Nicht zuletzt auch die militärische Schwäche des österreichischen Alliierten an der Donau bewog Ostermann, den Krieg abzubrechen. Im Frieden von Belgrad durfte Russland 1739 lediglich die Festung Azow an der Mündung des Don behalten.16

Als Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg sich am 18. Januar 1701 in Königsberg mit außergewöhnlich großem Aufwand zum König in Preußen krönte, gab es in Europa nicht wenige Spötter. Kaum ein Zeitgenosse rechnete damals damit, dass der eher ärmliche Staat im Nordosten des Reiches mit seinen drei Marken und dem entlegenen Hinterpommern nur ein halbes Jahrhundert später zum exklusiven Kreis der europäischen Großmächte gehören würde. Außer Russland gelang keinem Staat in Europa ein derart bemerkenswerter Aufstieg in so kurzer Zeit. Der Preis für die etwa 2,5 Mio. Untertanen war jedoch sehr hoch. Der seit 1713 regierende Friedrich Wilhelm I. reformierte mit außergewöhnlicher Energie, Sparsamkeit und brachialem Zwang sein Königreich. Verwaltung, Schulwesen und Steuereintreibung wurden in Preußen, wie der gesamte Hohenzollernstaat bald nur noch genannt wurde, gegen alle Widerstände vereinheitlicht. Vor allem aber verdoppelte der militärverliebte Monarch, den der französische Hof gern als roisergeant verspottete, die preußische Armee während seiner 27-jährigen Regierung auf 80 000 Mann. Bis zu 80 Prozent der Staatseinnahmen gingen in den Militärhaushalt. Rechnerisch kam damit in Preußen auf 31 Einwohner immerhin ein Soldat, in Großbritannien waren es dagegen 310 Einwohner. Doch der Soldatenkönig setzte sein militärisches Potenzial nur äußerst vorsichtig ein. Erst in der Endphase des Nordischen Krieges schloss er sich den siegreichen Russen und Dänen an und konnte 1720 den Schweden den wichtigen Hafen Stettin mit der Odermündung wegnehmen. Im Übrigen aber steuerte Friedrich Wilhelm, der sich stets als »loyaler Reichsfürst« sah, einen Kurs ganz im Fahrwasser Wiens und hatte auch frühzeitig die Pragmatische Sanktion anerkannt. Eine Entfremdung, wenn nicht sogar ein Bruch mit dem Kaiserhaus, trat erst gegen Ende seiner Regierungszeit ein, als Kaiser Karl VI. den Hohenzollernstaat entgegen seiner früheren Zusage im Jülisch-Bergischen Erbschaftsstreit einfach überging. Erstmals näherte sich der düpierte Hohenzollernmonarch nun Frankreich an, das 1739 in einem Geheimvertrag Preußens Anwartschaft auf das Herzogtum Berg bestätigte.17 Anders als Friedrich Wilhelm, der im friedlichen Gewinn der beiden rheinischen Territorien für Preußen sein außenpolitisches Vermächtnis gesehen hatte, dachte sein Sohn und Nachfolger, Friedrich II., in viel weiter ausholenden Kalkülen. Dem königlichen Philosophen, Verseschmied und nicht untalentierten Flötenspieler ging es nicht um zusätzlichen Streubesitz irgendwo im Reich. In Habsburgs Schwäche erkannte er die einmalige Chance, Preußen als eine neue mittlere Macht zu etablieren, vielleicht sogar auf Augenhöhe mit Wien zu gelangen. Schlesien, das kaum von österreichischen Truppen verteidigt wurde, bot sich ihm in zweierlei Hinsicht an. Als reiche Provinz mit einem bedeutenden Textilgewerbe und fast einer Mio. Einwohnern würde es die Macht Preußens beinahe verdoppeln. Da sich aber auch Friedrich August II. von Sachsen, und als August III. gewählter König von Polen, zumindest für einen Teil Schlesiens als territoriale Verbindung seiner beiden Herrschaftsbereiche interessierte, musste Friedrich rasch handeln. Kaum war am 20. Oktober 1740 Kaiser Karl VI. in Wien verstorben, bot der Potsdamer Monarch seiner Erbin, Maria Theresia, nicht ganz frei von Zynismus gegen die Abtretung der Provinz Schlesien und der Grafschaft Glatz einen hohen Geldbetrag und seine militärische Unterstützung gegen alle anderen Feinde Habsburgs an. Erwartungsgemäß lehnte Maria Theresia diesen Vorschlag, den sie als Beleidigung empfinden musste, kategorisch ab und der hundertjährige Dualismus zwischen Österreich und Preußen nahm seinen Anfang.

Europas Mächte auf Beutezug – Der Österreichische Erbfolgekrieg 1740–1748

Friedrichs unprovozierter Einmarsch in Schlesien beendete im Dezember 1740 eine 25-jährige Friedensphase in Europa. Nur einmal hatten in dieser Zeit Frankreich, Österreich und Russland eher halbherzig die Waffen ergriffen, um die polnische Thronfolge zu klären. Der britischspanische Krieg von 1739 wiederum war ausschließlich zur See ausgetragen worden und hielt auch noch an, als der preußische König die Offiziere seiner berliner Regimenter zum »Rendezvous mit dem Ruhm« aufforderte.18 Es wäre allerdings zu vorschnell geurteilt, dem scheinbar frivolen Tatendrang des 28-jährigen Monarchen allein die Verantwortung für den zweiten großen Waffengang des 18. Jahrhunderts zuzuschieben, der später als Österreichischer Erbfolgekrieg bezeichnet wurde.

Vielmehr gab Friedrichs Einmarsch in das habsburgische Schlesien ohne jeden belastbaren Rechtsgrund den Höfen Europas das willkommene Signal zu einem allgemeinen Beutezug. Mit seinem Coup überschritt er nur die rote Linie, an der die allgemeine Spannung in einen offenen Konflikt umschlug.19 Der Krieg schien plötzlich mehr Vorteile zu versprechen als der Frieden. So hatte schon im März 1739 das britische Oberhaus befunden, dass Großbritannien in einem Krieg gegen Spanien erfahrungsgemäß mehr gewinnen als verlieren könne, während man in Versailles die weibliche Erbfolge in Wien zum Anlass nahm, eine Aufteilung der Habsburgischen Ländermasse ins Auge zu fassen. Eine bei Hof kursierende Denkschrift sprach von »der brillantesten Epoche für das Glück und den Vorteil Frankreichs«. Es könne nichts mehr wünschen als die Aufteilung Österreichs und nun sei der Tag dazu gekommen.20

Mit Beginn der 1740er-Jahre war ein umfassender Generationenwechsel in der hohen Politik eingetreten. In Potsdam, Wien und St. Petersburg hatten innerhalb weniger Monate die alten Herrscher die Bühne verlassen. In London musste Sir Robert Walpole im Frühjahr 1742 den politischen Falken um Lord John Carteret weichen und in Versailles verstarb kaum ein Jahr später hochbetagt Kardinal Fleury, der Grandseigneur der französischen Politik und ein Mann des außenpolitischen Maßhaltens.

Die neu auf der Bühne erschienenen Akteure spürten, dass nach dem Tod Kaiser Karls VI. am 20. Oktober 1740 in Europa die Karten neu gemischt waren, und keiner wollte bei dem Spiel zu spät kommen. Frankreich etwa witterte durch den scheinbar unmittelbar bevorstehenden Zerfall der Habsburgermonarchie die Chance, endlich den alten Traum Ludwigs XIV. zu realisieren und im Deutschen Reich einen eigenen Kandidaten zum Kaiser wählen zu lassen. Auch Bayern und Sachsen sahen sich durch Friedrichs Vorpreschen ermutigt, ihre Ansprüche auf das habsburgische Böhmen anzumelden, während Spaniens Königin Elisabeth Farnese, die zweite Ehefrau Philips V., entschlossen war, für ihre beiden Söhne in Italien geeignete Herzogtümer auf Kosten Österreichs zu gewinnen. Im Vertrag von Nymphenburg (Mai 1741) fanden Bayern und Spanien daher schnell zueinander.21

Es erscheint mehr als zweifelhaft, dass alle diese schon lange gehegten Begehrlichkeiten ohne Friedrichs Einmarsch in Schlesien auf Dauer unter der Oberfläche geblieben wären, wie es der Brite Thomas Babington Macauly, ein liberaler Politiker und Historiker aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in seinem zornigen Verdikt über den Preußenkönig unterstellte.21a Das politische System räumte seinen Mitgliedern nur einen eng begrenzten Spielraum ein. Vom Atlantik bis zum Ural stand Europa zu Friedrichs Zeiten seit Menschengedenken unter der Herrschaft einer machtbewussten und teilweise eng verwandten Aristokratie, die ihre Beziehungen durch ein gewaltiges Korpus oft widersprüchlicher Verträge zu regeln versuchte. Zwar galt immer noch der große Westfälische Frieden von 1648 als das Grundgesetz der europäischen Staatenwelt und kein christlicher Fürst konnte es sich leisten, dem offiziellen Friedensideal nicht wenigstens rhetorisch zu huldigen. Doch die Formel lautete stets: Frieden und Recht. So lag es in der Natur des feudalen Systems, dass immer wieder einzelne Akteure der Versuchung erlagen, bestimmte Vereinbarungen, besonders, wenn sie unklar formuliert waren, zu ihren Gunsten auszulegen und bei günstigen Kräfteverhältnissen ihre Interpretation der Rechtsverhältnisse auch mit Waffengewalt durchzusetzen. Genau nach diesem Muster war Friedrich vorgegangen. Seine Erklärungen zum Einmarsch in Schlesien enthielten keinerlei Friedensbeteuerungen und erst nach seinem Fait accompli ließ er sich dazu herab, seinen alten Minister Heinrich Graf von Podewils einige dürftige Rechtstitel ausgraben zu lassen.22

Die 25-jährige Friedensphase seit den Verträgen von Utrecht und Rastatt war die bemerkenswerte Ausnahme in einer Staatenwelt, in der jeder Monarch und jeder bedeutende Territorialfürst mit hohem finanziellem Aufwand eigene Streitkräfte unterhielt und die Mehrheit des europäischen Adels immer noch militärischen Idealen zutiefst verpflichtet war. Es überraschte daher auch keinen seiner hohen Standesgenossen, dass sich Friedrichs Politik nach der brüsken Zurücksetzung Preußens in der jülisch-bergischen Erbschaftsfrage in irgendeiner Form gegen Habsburg wenden würde. Erstaunen erregten aber die kühne Stoßrichtung des neuen Monarchen und seine Kaltblütigkeit. Als Friedrich am 16. Dezember 1740 mit mehr als 20 000 Mann bei Crossen die Grenze zum österreichischen Schlesien überschritt, war allen europäischen Höfen sofort klar, dass Preußen sich nicht mehr darauf beschränken wollte, wie bisher territoriale Brosamen im Reich aufzulesen. Mit seinem überfallartigen Einmarsch in Schlesien strebte der Hohenzollernstaat eine völlig neue Rolle im europäischen Staatensystem an. Im dauernden Besitz von Habsburgs reichster Provinz wäre Preußen nicht nur unbestritten die neue norddeutsche Vormacht, mit Schlesien würde es sogar zum Kreis der europäischen Großmächte zählen. Friedrich verfügte damit auch über ein Sprungbrett für notfalls noch kühnere Aktionen gegen Österreich. Spätere Versuche, sein gewaltsames Vorgehen im Herbst 1740 psychologisch zu deuten, greifen daher zu kurz.23 Der König fühlte sich vollkommen dem expansiven Programm seiner Vorfahren verpflichtet, wo immer möglich territoriale Gewinne anzustreben. Habsburgs unübersehbare Schwäche und eine außergewöhnlich günstige europäische Konstellation ungenutzt verstreichen zu lassen, wäre jedem Hohenzollernfürsten als sträfliche Vernachlässigung seiner Pflichten erschienen.

Friedrichs dreister Coup schien zunächst zu gelingen. Die weit unterlegenen österreichischen Truppen zogen sich nach Böhmen zurück und innerhalb weniger Wochen war Schlesien bis auf drei Festungen in seiner Hand. Doch nicht zum letzten Mal in seiner Rolle als Kriegsherr hatte der König den Gegner weit unterschätzt. Die habsburgische Erbin Maria Theresia war zum Widerstand entschlossen. Nur drei Monate nach dem preußischen Überfall rückte der österreichische Feldmarschall Wilhelm Reinhard Graf von Neipperg mit einer Armee von 20 000 Mann wieder in Schlesien ein und forderte die überraschten Preußen am 10. April 1741 bei Mollwitz, unweit der Festung Brieg an der Oder, zur Schlacht. Friedrichs Bewährungsprobe als Feldherr misslang gründlich. Taktische Fehler zu Beginn des Gefechts führten sofort zu einer schweren Krise. In kurzer Zeit schien alles verloren. Die österreichische Kavallerie beherrschte das Feld. Friedrich folgte nur zu bereitwillig dem Rat seines Feldmarschalls Kurt Christoph von Schwerin und verließ das Schlachtfeld im gestreckten Galopp. Im fernen Oppeln erreichte ihn in der Nacht die befreiende Nachricht, dass alles noch einmal gut ausgegangen sei. Schwerin hatte die Schlacht gedreht und Neipperg zum Rückzug gezwungen.24 Die Österreicher waren nicht wirklich geschlagen, verhielten sich aber vorerst ruhig. Gefahr drohte Habsburg inzwischen auch von anderer Seite.

In Frankreich war der Versailler Hof mehr und mehr unter den Einfluss von Männern wie Marschall Charles Louis Fouquet geraten. Der Graf und spätere Herzog von Belle-Isle war ein Veteran des Spanischen Erbfolgekrieges, der sich noch den Zielen des Sonnenkönigs verpflichtet fühlte und das habsburgische Imperium nach Möglichkeit zerschlagen wollte. Zwar lebte der alte Kardinal Fleury noch, aber sein mäßigender Einfluss in Versailles war bereits erheblich geschrumpft. Auf Drängen Belle-Isles verbündete sich Frankreich am 4. Juni 1741 mit Preußen, garantierte Friedrich den Besitz von Niederschlesien mit Breslau und konnte dafür auf die preußische Stimme bei der Wahl des bayerischen Kurfürsten Karl Albrecht zum Deutschen Kaiser rechnen.25 Es war auch Versailles, welches das immer noch seinen baltischen Provinzen nachtrauernde Schweden im Juli zu einem neuen Krieg gegen Russland anstachelte. Der östliche Koloss schien durch den Tod der Zarin Anna Iwanowna geschwächt, die Gelegenheit also günstig. Im Gegenschlag konnten die Russen die schwedischen Truppen allerdings rasch aus Finnland vertreiben, fielen aber, ganz so wie es Frankreich gewollt hatte, als Alliierte Österreichs vorerst aus.26

Friedrich war somit eine ernste Sorge los. Insgeheim missfielen ihm aber die hochgesteckten Ziele der Franzosen. Die Erbfolge Maria Theresias hatte er nie wirklich infrage gestellt, ja ihr sogar seine Stimme für die Kaiserwahl, viel Geld und militärische Unterstützung für die Abtretung Schlesiens angeboten. Dahinter steckte nicht nur Zynismus. Eine Aufteilung der österreichischen Länder hätte die Konkurrenten Bayern und Sachsen zu sehr gestärkt und damit den Erwerb Schlesiens wieder wettgemacht. Deshalb unterstützte der König die französische Armee, die im August 1741 zusammen mit den Bayern gegen Linz vorgerückt war, nur noch halbherzig. Mit dem Feind nur noch 60 Kilometer vor Wien und ohne wirksame Hilfe durch Großbritannien waren die Österreicher plötzlich nicht mehr so abweisend gegenüber Friedrichs Avancen und so verständigte man sich mit ihm in Klein-Schnellendorf am 9. Oktober auf einen heimlichen Waffenstillstand. Nunmehr unbedrängt von den Preußen und inzwischen als neue Königin von Ungarn auch von den ungarischen Ständen unterstützt, konnte sich Maria Theresia ganz ihren neuen Gegnern zuwenden. Eine willkommene Atempause schien ihr der Abmarsch der Franzosen nach Böhmen zu verschaffen, doch am 25. November erstürmten die vereinigten französischen, sächsischen und bayerischen Truppen unter dem Befehl des Marschalls Belle-Isle die Stadt Prag. Damit stand einer Krönung Herzog Karl Albrechts zum neuen König von Böhmen nichts mehr im Wege. Nur drei Monate später, am 12. Februar 1742, wurde der Wittelsbacher in Frankfurt als Karl VII. auch zum Deutschen Kaiser gekrönt. Doch rechte Freude dürfte er daran nicht gehabt haben, denn inzwischen waren die Österreicher in Bayern eingerückt und hatten ausgerechnet am Frankfurter Krönungstag seine Landeshauptstadt München besetzt. Karl Albrecht war nun ein Kaiser ohne Land. In Böhmen hielt er sich nur mithilfe der Franzosen und auf sein Kurfürstentum hatte Maria Theresia inzwischen ein begehrliches Auge geworfen. Bayern erschien der Königin von Ungarn als idealer Ersatz für das verlorene Schlesien und der Wittelsbacher ließe sich wohl in Italien oder in Belgien entschädigen.

Für Friedrich war es nun höchste Zeit, der ins Wanken geratenen Koalition wieder beizuspringen. Mit einem Einfall in Mähren hoffte er, die Österreicher dazu zu bringen, Truppen zum Schutz von Wien aus Bayern abzuziehen, was auch tatsächlich geschah. Nach einigen Manövern kam es im südlichen Böhmen bei Chotusitz schließlich am 17. Mai 1742 zu einer zweiten Schlacht zwischen Preußen und Österreichern, die Friedrich knapp für sich entscheiden konnte.27 Die Österreicher waren nicht wirklich geschwächt, aber Maria Theresia hatte sich jetzt endlich dazu durchgerungen, dem verhassten Preußenkönig Schlesien offiziell abzutreten. Die Aussicht auf britische Subsidien hatte ihr den Entschluss erleichtert. Unter Vermittlung Großbritanniens erhielt Friedrich im Vorfrieden von Breslau, der am 11. Juni 1742 vereinbart wurde, sogar die gesamte Provinz einschließlich der Grafschaft Glatz. Sechs Wochen später besiegelten beide Parteien in Berlin den Frieden.28 Frankreich war fassungslos. Friedrichs politische Wendigkeit überstieg bei Weitem alles, was man auf dem diplomatischen Parkett gewohnt war. Die Wut auf den schamlosen Potsdamer Alliierten kannte keine Grenzen. Da jetzt auch Kaiser Karl, inzwischen ohne Land und völlig mittellos, sich um britische Unterstützung bemühte, schien Versailles vor dem Scherbenhaufen seiner Deutschlandpolitik zu stehen. Im Januar 1743 musste Belle-Isle Prag räumen und schaffte es gerade noch mit einem Viertel seiner ursprünglichen Truppenmacht, vom Gegner nicht weiter behelligt, nach Eger.29 Nun erschien auch noch Großbritannien im Frühjahr mit einer eigenen Armee in Deutschland. Unter dem formalen Oberbefehl König Georgs II. vereinigte sich seine Truppe mit hannoverschen und österreichischen Kontingenten zur »Pragmatischen Armee« und bereitete den Resten der französischen Armee am 27. Juni 1743 bei Dettingen am Main eine Niederlage.30 Die Franzosen mussten über den Rhein zurück und in Versailles entbrannte eine Debatte, ob der so unglücklich verlaufende Krieg nicht beendet werden müsse. Es hätte nun zu Verhandlungen kommen können, denn offiziell waren Frankreich und Großbritannien noch gar nicht in den Krieg eingetreten. Tatsächlich gab es auch bereits erste diplomatische Kontakte zwischen Versailles und Wien. Dann aber schlug die Nachricht vom Wormser Vertrag wie eine Bombe in Versailles ein. König Karl Emanuel von Sardinien-Piemont repräsentierte eine aufstrebende Macht in Italien – ähnlich wie Preußen im Reich – und hatte sich am 13. September 1743 mit Maria Theresia gegen Spanien und Frankreich verbündet. Auf britischen Druck waren die Österreicher dem Turiner Hof weiter entgegengekommen als Frankreich, das sich nun ein zweites Mal von einem vormaligen Verbündeten düpiert fühlte.31

Mit wachsendem Unbehagen hatte derweil Friedrich die Renaissance der habsburgischen Macht beobachtet. Denn dem Wormser Abkommen war nur drei Monate später eine österreichische Defensivallianz mit Sachsen gefolgt. Vor allem Österreichs unverhohlenen Ansprüchen auf Bayern glaubte der preußische Monarch entgegentreten zu müssen und so streckte er wieder seine Fühler nach Versailles aus. Die Franzosen blieben anfangs misstrauisch, willigten dann aber doch am 6. Juni 1744 in eine neue Allianz mit Preußen ein. Als gemeinsames Ziel sah der neue Vertrag die Rückeroberung der böhmischen Erblande im Namen Kaiser Karls VII. vor. Nur wenn der Wittelsbacher im Besitz Böhmens blieb, konnte sich Friedrich seiner schlesischen Eroberung sicher sein. Zwei Monate später, am 15. August überschritt der König mit 62 000 Mann die böhmische Grenze und zwang die österreichische Armee, die inzwischen den Rhein überquert hatte, zur sofortigen Umkehr. Am 16. September 1744 fiel nach kurzer Belagerung Prag. Die Preußen marschierten entlang der Moldau weiter nach Süden und nahmen nacheinander Tabor, Budweis und Frauenberg ein. Dann aber wendete sich alles gegen Friedrich. Die Franzosen verfolgten die Österreicher nicht über den Rhein und der überraschende Kriegseintritt Sachsens aufseiten Maria Theresias machte die Position der Preußen in Böhmen unhaltbar. Hart verfolgt von den leichten Truppen des Gegners musste sich Friedrich mit seiner Armee angesichts eines frühen Wintereinbruchs über Königgrätz nach Glatz zurückkämpfen, wo er am 27. November 1744 mit nur noch 36 000 Mann eintraf. Für Friedrich war der böhmische Feldzug ein einziges Desaster. Ohne eine einzige Schlacht hatte er mehr als 20 000 Mann verloren und stand den verbündeten Österreichern und Sachsen nun allein gegenüber. Mit direkter französischer Hilfe konnte er nicht mehr rechnen, da Versailles den Schwerpunkt seiner Kriegführung nach Belgien verlegt hatte und alle Vorbereitungen traf, die in Schottland gelandeten Jakobiten militärisch zu unterstützen. Preußens Lage war mehr als kritisch, da auch der von König Friedrich Wilhelm I. angehäufte Staatsschatz von ursprünglich neun Mio. Talern inzwischen aufgebraucht war.32 Als am 20. Januar 1745 schließlich Kaiser Karl VII. in München überraschend im Alter von erst 48 Jahren verstarb, zerstoben auch sämtliche Pläne Friedrichs, mithilfe der protestantischen Reichsfürsten eine antihabsburgische Allianz im Reich aufzubauen. Stattdessen eroberte Maria Theresia in den folgenden drei Monaten einmal mehr ganz Bayern und zwang am 22. April 1745 im Vertrag von Füssen den neuen Kurfürsten Max Joseph, bei der anstehenden Kaiserwahl für ihren Ehemann Franz Stephan von Lothringen zu stimmen. Außerdem musste der Wittelsbacher im gegenwärtigen Krieg neutral bleiben und erhielt im Gegenzug sein Kurfürstentum zurück. Maria Theresia glaubte sich diese Großzügigkeit gegenüber Bayern leisten zu können, denn die Rückeroberung Schlesiens schien nun unmittelbar bevorzustehen. Am 26. Mai 1745 überschritt eine kombinierte österreichisch-sächsische Armee in Stärke von rund 60 000 Mann unter dem Oberbefehl des Prinzen Karl von Lothringen den Pass von Landshut und drang nach Schlesien vor. Nun konnte Friedrich endlich seine Schlacht schlagen, auf die er im Vorjahr vergeblich gehofft hatte. Auch wenn er die Verluste seines letzten Feldzuges nicht ganz hatte ersetzen können, verfügte er über die gleiche Truppenzahl wie seine Gegner. Über verschiedene Kanäle ließ der König Gerüchte streuen, dass er sich mit seiner Armee auf Breslau zurückziehen werde, und verleitete dadurch die Österreicher zur Unvorsichtigkeit. Am 4. Juni 1745 überraschte er frühmorgens den zwischen Halbendorf und Günthersdorf positionierten Gegner nach einem nächtlichen Flankenmarsch über Striegau und zerschlug die beiden verbündeten Armeen nacheinander. Nach zwei Stunden war die Schlacht entschieden. Österreicher und Sachsen hatten rund 14 000 Mann verloren, etwa drei Mal so viel wie die siegreichen Preußen. Hohenfriedberg war Friedrichs erster echter Sieg. Der Gegner befand sich in vollem Rückzug über das Riesengebirge, von den Preußen allerdings nur nachlässig verfolgt. Nach den üblen Erfahrungen des Vorjahres beabsichtigte Friedrich nur so weit in Böhmen einzudringen, wie es ihm zur Versorgung seiner Armee auf Kosten des Gegners während der Sommermonate günstig erschien. Enttäuscht von der ausbleibenden Hilfe der Franzosen versuchte er über eine britische Vermittlung mit Maria Theresia in Verhandlungen zu treten.

»Das Damenkarussell«. Fest im Januar 1743 anlässlich der Wiedereroberung Prags im Erbfolgekrieg; vorne mit gezogenem Degen Maria Theresia. Gemälde von Martin van Meytens.

Ermutigt durch die Wahl ihres Gatten zum Deutschen Kaiser am 13. September 1745 beharrte die österreichische Herrscherin trotz des jüngsten militärischen Rückschlags auf ihrem Anspruch auf Schlesien. Auch ein zweiter preußischer Sieg über Prinz Karl bei Soor am 30. September änderte wenig an Friedrichs prekärer Lage. Von seinen 22 000 Mann ging ein Fünftel in der Schlacht verloren. Die Österreicher planten jetzt, im Zusammenwirken mit den Sachsen durch die Lausitz ins preußische Kerngebiet vorzustoßen und Friedrichs Armee in Schlesien abzuschneiden. Der König reagierte sofort und bildete zwei Korps, das erste unter seinem persönlichen Befehl in der Lausitz, das zweite unterstellte er dem erfahrensten seiner Kommandeure, dem schon 69-jährigen Fürst Leopold von Anhalt-Dessau. Es sollte die Sachsen von Westen her angreifen und auf Meißen vorstoßen. Friedrich selbst wollte die Zange von Osten schließen. Tatsächlich gelang es ihm, in einer Kette von Gefechten die Österreicher bis Ende November wieder über die böhmische Grenze zu werfen. Prinz Karl verlor dabei mehr als 5000 Mann. Die militärischen Erfolge der Preußen fanden am 15. Dezember 1745 ihren spektakulären Abschluss, als der »Alte Dessauer« bei Kesselsdorf westlich von Dresden eine zweite österreichisch-sächsische Armee empfindlich geschlagen hatte. Obwohl das österreichische Korps des Generals Grünne beinahe unbeschadet das Schlachtfeld verlassen konnte und auch Prinz Karl mit 18 000 Mann nicht mehr rechtzeitig von Dresden her eingetroffen war, das österreichische Heer somit noch vollkommen intakt war, entschied sich Wien nun plötzlich zum Frieden.33

Zwar hatten die Russen inzwischen begonnen, ihre Truppen in Kurland marschbereit zu machen, um aufseiten Österreichs und Sachsens in den Krieg einzugreifen.34 Entscheidend war aber, dass die geheimen Verhandlungen des Wiener Emissärs Ferdinand Graf von Harrach mit dem Vertreter Frankreichs in Dresden ergebnislos geblieben waren. Jetzt fürchtete der Österreicher, dass die geschlagenen Sachsen die Seiten wechseln könnten und damit die Koalition von 1741 wieder aufleben würde.35 Im Frieden von Dresden vom 25. Dezember 1745 bestätigte Maria Theresia ihrem Potsdamer Rivalen noch einmal den Besitz Schlesiens einschließlich der Grafschaft Glatz. Im Gegenzug verpflichtete sich Friedrich, die Wahl ihres Ehemannes, Franz Stephan, zum Deutschen Kaiser nachträglich anzuerkennen. Einmal mehr hatte der König seinen französischen Alliierten düpiert, doch Versailles war entschlossen, den bisher für Frankreich so unglücklich verlaufenen Krieg weiterzuführen. Es war jetzt allerdings ein neuer Krieg. Aus dem ursprünglich preußisch-österreichischen Konflikt, in dem Großbritannien und Frankreich auch völkerrechtlich nur die Rolle von Hilfstruppen gespielt hatten, war spätestens seit dem Tod Kaiser Karls VII. ein französisch-britischer Krieg geworden. Nach seinen ernüchternden Erfahrungen in Bayern und Böhmen hatte sich Frankreich schon im Dezember 1744 entschieden, nicht noch einmal zugunsten Preußens weit über den Rhein vorzustoßen. Stattdessen sollte die neue Offensive direkt gegen die benachbarten österreichischen Niederlande geführt werden.36 Damit hoffte Versailles – noch lebte Kaiser Karl VII. –, in eine günstige Verhandlungsposition gegenüber Wien und London zu gelangen. Großbritannien wiederum schien nach dem Dresdner Vertrag alle seine politischen Ziele erreicht zu haben. Spätestens seit dem Rücktritt Robert Walpoles hatte es darauf hingearbeitet, mittels einer antifranzösischen Koalition aus Hannover, Österreich, den Generalstaaten und Sardinien-Piemont, den kolonialen Rivalen auf dem Kontinent militärisch zu fesseln. Allein durch die Fortsetzung des europäischen Krieges, so das Londoner Kalkül, beraubte man Frankreich der finanziellen Mittel, seine seit 1740 verstärkt betriebene Flottenrüstung fortzusetzen. Doch die französische Armee, die in Böhmen so enttäuscht hatte, fand unter dem Befehl des überragenden Moritz von Sachsen (1696–1750) in Belgien zu neuer Stärke. Der 50-jährige Feldmarschall war ein außerehelicher Sohn des 1733 verstorbenen Kurfürsten von Sachsen und gewählten Königs von Polen, August II. Kurze Versorgungswege erleichterten den Franzosen jetzt auch das Kriegführen. Moritz von Sachsens Sieg bei Fontenoy am 11. Mai 1745 über ein britisch-niederländisch-österreichisches Heer unter dem Befehl des Herzogs von Cumberland, William Augustus, markierte den Beginn eines beeindruckenden französischen Siegeslaufs, der erst nach der Einnahme sämtlicher belgischen Festungen endete. Als Moritz von Sachsen am 10. Mai 1748 die Kapitulation der niederländischen Festung Maastricht entgegennahm, war seine Armee weiter nach Norden vorgedrungen als jemals eine Streitmacht unter Ludwig XIV. Alle britischen Kalküle waren damit vollkommen über den Haufen geworfen. Österreich und die niederländischen Generalstaaten hatten sich außerstande gezeigt, Belgien zu verteidigen. London selbst war zwischenzeitlich gezwungen, Truppen zur Abwehr der in Schottland gelandeten Jakobiten vom Kontinent abzuziehen. Einzig die Einnahme der Festung Louisbourg auf Kap Breton, dem kanadischen Dünkirchen, durch neuenglische Milizen im Zusammenwirken mit britischen Flotteneinheiten im Juni 1745 stand auf der politischen Habenseite Londons. Der Fall von Louisbourg im Juni 1745 hatte im Mutterland große Euphorie ausgelöst, da die erst 1721 errichtete Festung den Zugang zum St.-Lorenz-Golf beherrschte und damit der Schlüssel zum französischen Kanada war.37

Beflügelt von seinen unerwarteten Erfolgen hatte Frankreich seinen Feldzug in Belgien auch nach Preußens Ausscheiden aus dem Krieg weitergeführt. Die Besetzung der österreichischen Niederlande würde ihm immerhin ein politisches Faustpfand verschaffen. An eine Veränderung der Machtverhältnisse im Reich dachten seit der Krönung Franz Stephans zum Deutschen Kaiser am 4. Oktober 1745 nicht einmal mehr die kühnsten Optimisten am Versailler Hof. Maria Theresias Herrschaft in ihren Erblanden war inzwischen kaum noch zu erschüttern.

Geldmangel, Kriegsmüdigkeit und die wachsende Einsicht, dass die ursprünglichen Ziele militärisch kaum noch zu erreichen waren, stärkten die Verhandlungsbereitschaft aller Seiten. Tatsächlich waren die diplomatischen Kontakte zwischen den Kriegsparteien zu keinem Zeitpunkt völlig unterbrochen gewesen. Briten und Österreicher sondierten allerdings auf getrennten Wegen. Während London schon seit 1746 im niederländischen Breda mit den Franzosen verhandelt hatte, waren die Österreicher ihrerseits über den sächsischen Hof mit Frankreich in Kontakt geblieben.38