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Das Problemfeld Minderleistung wird häufig immer noch als Tabuthema behandelt. Dabei sind die Gründe für vorübergehende oder dauerhafte Minderleistung vielfältig und nicht immer von den Betroffenen selbst beeinflussbar. Reinhold Haller beleuchtet Ursachen und Ausprägungen von Minderleistung und zeigt Strategien zur Prävention und Gegensteuerung auf. Dabei geht es vor allem um Führung, Zusammenarbeit und Betriebliches Gesundheitsmanagement, unterstützt durch eine offene und lösungsorientierte Kommunikation. Die vorgestellten Ansätze basieren vor allem auf kommunikativen und verhaltensorientierten Methoden der Personalführung und nur am Rande auf arbeitsrechtlichen Aspekten. Mit zahlreichen Impulsen bietet das Buch praktische Wege, Minderleistung im Sinne aller Beteiligten effektiv und nachhaltig anzugehen. Inhalte: - Minderleistung: Definition und Auslegung - Arbeitsrechtliche Aspekte - Ursachen der Minderleistung: Gesundheit, Qualifikation, innere Haltung, Arbeitsbedingungen - Minderleistung als soziales Konfliktpotenzial - Handlungsfelder in Unternehmen - Betriebliches Gesundheitsmanagement als Präventions- und Lösungsansatz - Förderung der Resilienz als Schlüsselfaktor
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Seitenzahl: 270
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Reinhold Haller
Problemfaktor Minderleistung
2. Auflage, Juni 2025
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Nach der ersten Auflage im Jahr 2014 ergab sich die Notwendigkeit, die Inhalte, Bezüge und nicht zuletzt die zitierten Quellen und Beispiele aus der Rechtsprechung zu aktualisieren. Zudem erschien es sinnvoll, die Falldarstellungen um weitere reale Beispiele zu ergänzen.
Auch in dieser zweiten Auflage geht es nicht darum, Menschen mit Leistungseinschränkungen zu diffamieren oder an den Pranger zu stellen. Schließlich gibt es diverse Gründe für temporäre oder anhaltende Leistungsminderungen, auf welche die Betroffenen keinen direkten Einfluss haben. So relevant die Frage nach den Ursachen auch ist, das Ziel besteht nicht darin, Schuld zuzuweisen oder Menschen mit reduziertem Leistungsvermögen zu diskreditieren.
Unabhängig von der Bewertung jeder erdenklichen Form von Minderleistung am Arbeitsplatz darf nicht verkannt werden, dass dieses Phänomen ein nicht unerhebliches Problem- und Konfliktpotenzial mit sich bringt. Schließlich hat Minderleistung negative Folgen für die Betroffenen selbst, ihre Kolleginnen und Kollegen bzw. Führungskräfte sowie für die betroffenen Organisationen und deren Dienstleistungsempfänger bzw. Kunden.
Wie in Kapitel 2.3 ausführlich dargelegt, wird der Problemkreis Minderleistung von Arbeitgebern, Personalabteilungen, Personal- oder Betriebsräten sowie von Führungskräften aus verschiedenen Gründen sehr häufig als Tabuthema behandelt. Diese Form der Verdrängung verhindert jedoch jede wirksame Prävention oder Gegensteuerung und führt dazu, dass sich die Probleme weiter verschärfen.
Ziel dieses Buches ist es, das Bewusstsein für die Ursachen von Minderleistung und deren unterschiedliche Ausprägungen zu schärfen und Möglichkeiten der Prävention und Gegensteuerung aufzuzeigen. Im Vordergrund stehen dabei Elemente der Führung und Zusammenarbeit sowie des Betrieblichen Gesundheitsmanagements und der dafür notwendigen offenen und lösungsorientierten Kommunikation.
Andere Publikationen zum Thema Minderleistung orientieren sich stärker an arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten oder gar speziell an der Frage, mit welchen Maßnahmen und Methoden sich Unternehmen erfolgversprechend von leistungsgeminderten Mitarbeitenden trennen können.
Zwar finden sich auch in diesem Buch unverzichtbare Bezüge und Hinweise auf wichtige arbeitsrechtliche Aspekte. Die hier vorgestellten Präventions- und Handlungsansätze orientieren sich jedoch primär an kommunikativen und verhaltensorientierten Methoden, Instrumenten oder Maßnahmen der Personalführung und nicht an der Reduktion auf arbeitsrechtliche Optionen.
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern dieses Buches eine anregende Lektüre, zahlreiche Anstöße und Impulse und vor allem gutes Gelingen bei ihren Bemühungen, dem Phänomen der Minderleistung im Interesse aller Beteiligten und Betroffenen wirksam und nachhaltig zu begegnen.
Potsdam, im Sommer 2025
Reinhold Haller
Engagement Indexinnere KündigungSeit 2002 veröffentlicht das Meinungsforschungsinstitut Gallup jeweils im Frühjahr den sogenannten »Engagement Index«, eine weltweit durchgeführte Studie zur Bestimmung des Engagements der Mitarbeitenden in Unternehmen. Das Ergebnis: Seit dem ersten Studienjahr 2001 steigt die Quote solcher Mitarbeitenden, welche sich bezogen auf den Grad ihres Engagements am Rande der »inneren Kündigung« befinden, kontinuierlich an.
Low PerformerMan muss diese umfangreiche, wenn auch in einigen Bereichen methodisch angreifbare Studie nicht zum Evangelium erheben. Dennoch korreliert das Studienergebnis auffallend stark mit der Erfahrung vieler Personalverantwortlicher und Führungskräfte sowie mitunter auch offen sprechender Personal- oder Betriebsräte: Mittelständische und große Unternehmen klagen über das Phänomen der sogenannten »Low Performer« – Mitarbeitende, die nicht (mehr) willens oder in der Lage sind, eine ihrem Arbeitsvertrag und Entgelt entsprechende Leistung zu erbringen. Laut Gallup verursacht dieses Phänomen jährliche Folgekosten von 132,6 und 167,2 Milliarden Euro allein für den Wirtschaftsstandort Deutschland (Gallup 2024).
Low PerformerLow PerformanceArbeitsrechtliche MaßnahmenDass ungeachtet solch theoretischer Hochrechnungen das Phänomen der Minderleistung gesamtwirtschaftliche Auswirkungen hat, ist durchaus schlüssig und wird zudem durch zahlreiche andere Studien belegt. Betrachtet man dagegen Führungsleitbilder und -praktiken mittelständischer oder großer Organisationen, so fällt auf, dass dem Erscheinungsbild Minderleistung kaum Beachtung geschenkt wird. Mitunter wird schlicht darauf verwiesen, dass zwar das Phänomen bekannt sei, dass aber (arbeitsrechtliche) Mittel und Wege fehlten, wirkungsvoll gegenzusteuern. Argumentiert wird dann häufig mit dem bekannten Umstand, dass es nach deutschem Arbeitsrecht schwer bis unmöglich sei, leistungsschwachen Mitarbeitenden effizient zu begegnen, etwa durch Abmahnung oder durch eine leistungsbedingte oder verhaltensbedingte Kündigung.
Dieses Argument ist nicht grundsätzlich falsch. Aber die Reduktion auf arbeitsrechtliche Maßnahmen greift in vielerlei Hinsicht zu kurz. Sie lässt wesentliche Aspekte der Ursachen und damit effiziente Lösungsansätze ebenso außer Acht wie die zahlreichen Möglichkeiten, der Entstehung und Ausbreitung des Verhaltensmusters Low Performance proaktiv und wirksam zu begegnen.
Low PerformanceDemotivationMitarbeiterführungWertschätzungSinnhaftigkeit des ArbeitslebensWie Einzelfälle immer wieder belegen, sind Mitarbeitende, welche eine angemessene Leistung nicht (mehr) erbringen können oder wollen, mehrheitlich keine egozentrischen, böswilligen oder ignoranten Totalverweigerer. Manche sind physisch oder psychisch krank. Andere leiden ebenfalls unter ihrer Demotivation und sehen sich selbst als Opfer widriger Umstände oder als Erduldende mangelhafter, »ungerechter« sowie unterlassener Personalführung. Sie leiden oft selbst unter der persönlichen und sozialen Isolation, die sich im Kontext einer latenten Leistungsminderung einstellt.
Spricht man mit Betroffenen, so beklagen sie die ihnen verwehrten Erfolgserlebnisse und das Ausbleiben erfolgsabhängiger Wertschätzung. Die Sinnhaftigkeit ihres (Arbeits-)Lebens kommt ihnen so mehr und mehr abhanden und viele Betroffene blicken bereits am Vormittag erwartungsvoll auf die Uhr und warten auf den Feierabend, an dem sich ihr Dilemma auflöst – zumindest für diesen Tag. Wer dabei reflektiert, dass Menschen mit einer Vollzeitstelle auf diese Art etwa ein Drittel ihres Lebens in großen Teilen subjektiv sinnentleert und weitgehend frei von Erfolgserlebnissen und sozialer Anerkennung verbringen, kann leicht nachvollziehen, welch trauriges Bild manche Betroffenen abgeben.
Täter-Opfer-ModellAuch das Argument, dass die Selbstwahrnehmung von Betroffenen einseitig sei und die Ursachen häufig ausschließlich außerhalb der eigenen Person und der eigenen Verantwortung gesucht werden, mag zum Teil richtig sein. Diese Feststellung hilft aber nicht bei der Lösung des Problems. Statt sich bei der Ursachenforschung auf Zuschreibungen und Schuldvorwürfe zu reduzieren, brauchen wir ein lösungs- und handlungsorientiertes Verständnis der Ursachen und Zusammenhänge. Wir benötigen somit Einsichten und Handlungsansätze, die aus einem reduzierten Täter-Opfer-Modell in der Beziehung zwischen betroffenen Mitarbeitenden und Arbeitgebern bzw. Führungskräften herausführen.
Primäre Faktoren der Minderleistung
Faktoren der MinderleistungAlle Leser, die an dieser Stelle erwarten, dass hier unliebsame, weil leistungsschwache, -unwillige oder gar »faule« Beschäftigte an den Pranger gestellt werden, muss ich von vornherein enttäuschen. Minderleistung ist die Folge verschiedener Ursachen, die sich in der Regel sukzessive zu den klassischen Symptomen verdichten. Hierzu gehören als primäre Faktoren:
Probezeitunsystematische Personalauswahl und/oder die nicht genutzte und praktisch verschenkte Probezeit: die Folge: neu eingestellte Mitarbeitende passen nicht zur Stelle oder ins Team (»falsche Mitarbeitende zur falschen Zeit am falschen Platz«),
Wechsel des Arbeitsplatzes oder der Vorgesetzten (Aufgabenverschiebung oder soziale Entwurzelung),
Burn-outBore-outproblematisches Aufgabenspektrum (Burn-out oder Bore-out),
Seelische Erkrankungenkörperliche oder seelische Einschränkungen oder Erkrankungen,
persönliche oder familiäre Begebenheiten oder Schicksalsschläge,
MobbingBossingpathologische Teamdynamik (Mobbing oder Bossing),
Drop-out-SyndromNicht-Erreichung von Karrierezielen (»Drop-out-Syndrom«),
Verschiebung sinnerfüllender Tätigkeit vom Beruf ins Privatleben (Prioritätenverschiebung).
Diese primären Ursachen werden häufig verstärkt durch sekundäre Begleitursachen:
überforderte und/oder schlecht ausgebildete Führungskräfte, die Problemfälle ausblenden oder aussitzen, anstatt rechtzeitig und adäquat zu reagieren,
Personalabteilungen oder Mitbestimmungsorgane, die von Minderleistung betroffene Führungskräfte oder Teams nicht angemessen unterstützen und auch den minderleistenden Mitarbeitenden keine konkreten Hilfen anbieten,
Unternehmensstrukturen und deren Controlling-Instrumente, die das Phänomen Minderleistung ausblenden.
Lösungsansätze aus der Resilienzforschung
ResilienzforschungLow PerformanceGesundheitsmanagementResilienzMitarbeiterführungStatt in Lethargie zu verfallen, bieten sich zur Minderung oder Behebung des Problems Minderleistung praxiserprobte Modelle aus der Lebensberatung und dem Gesundheitsmanagement an: Seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts ist auf dieser Basis die menschliche Fähigkeit zur sogenannten Resilienz eindrucksvoll beschrieben und erforscht. Unter Resilienz versteht man das Vermögen, Schicksalsschläge oder widrige Lebensumstände erfolgreich zu bestehen und trotz dieser persönlichen Widrigkeiten, Traumata oder Handicaps ein zufriedenes, erfolgreiches (Arbeits‐)Leben zu führen. Diese Erkenntnisse sind im Gesundheitsmanagement, z. B. in der Betreuung von Patienten mit chronischen Erkrankungen, längst umgesetzt. Im Bereich der Unternehmens- und Personalführung dagegen ist Resilienz noch wenig bekannt und Angebote der Resilienzförderung entsprechend selten etabliert. Und das, obwohl sich hieraus wirksame Erklärungs- und Handlungsmodelle gerade auch im Umgang mit leistungsschwachen Mitarbeitenden ableiten lassen. Aus diesem Grund bildet das Thema Resilienz einen der thematischen Schwerpunkte in diesem Handbuch.
Ziel des Buches
WertschöpfungMitarbeiterführungAktivierung von MitarbeitendenFürsorgeDas Ziel dieses Buches ist es einerseits, die Wertschöpfung von Unternehmen und Organisationen durch mehr Arbeitseffizienz zu fördern. Andererseits sollen die hier dargestellten Einsichten und Werkzeuge jenseits legitimer betriebswirtschaftlicher Zwecke vor allem aber der Förderung des im wahrsten Sinne des Wortes »gesunden« Arbeitsklimas, einer teamfördernden Personalführung und der Förderung des Faktors »Spaß an der Arbeit« dienen, ohne welche Effizienz und Wertschöpfung letztlich nicht entstehen und gedeihen können.
Es geht damit also bei weitem nicht allein um die am Arbeitspensum orientierte Aktivierung von Mitarbeitenden mit reduziertem Leistungsprofil, sondern um eine umfassende, gesundheitsorientierte Vor- und Fürsorge im Arbeitsleben – insbesondere auch unter dem Aspekt der psychischen und somatischen Gesundheit der Mitarbeitenden.
Minderleistung, DefinitionenAuf der Suche nach der Definition des Begriffes führt uns zuerst der Duden in die Irre. Dort heißt es, Minderleistung sei eine »geringere, hinter den Erwartungen zurückbleibende Leistung« (DUDEN online, Stand 15.02.2025). Da jedoch hochgradig subjektive »Erwartungen« nicht die Grundlage für eine objektive Begriffsklärung sein können, bleibt diese Definition weitgehend nutzlos.
Leistungsbegriff im ArbeitsrechtArbeitsrechtliche MaßnahmenLow PerformanceNun könnte man erwarten, eine schlüssige und hinreichende Definition im deutschen Arbeitsrecht zu finden. Da jedoch das deutsche Arbeitsrecht kein in sich geschlossenes Rechtsgebiet darstellt, sondern eine Art Patchwork aus Sozialgesetzgebung, Betriebsverfassungs- bzw. Personalvertretungsgesetz, Bürgerlichem Gesetzbuch, Tarifrecht etc. mit unüberschaubaren, teilweise widersprüchlichen Richtersprüchen und Kommentaren, sind wir auch hier vor einer einfachen Lösung sicher.
Kaum zu glauben, aber wahr: Es gibt keine wirklich belastbare arbeitsrechtliche Definition des Begriffs Arbeitsleistung und somit im Umkehrschluss auch keine hinreichende Auslegung von Minderleistung oder dem englischen Äquivalent Low Performance.
Immerhin ergeben sich durch Gesetzeskommentare und Gerichtsurteile mehrere Ansätze für eine Definition:
Leistungsbegriff im Arbeitsrecht, Grundlage der LeistungGrundlage und Maßstab der Leistung und deren Bewertung sind die im Arbeitsvertrag bzw. in einer Stellenbeschreibung festzuhaltenden Aufgaben- und Leistungsbereiche.
Leistungsbegriff im Arbeitsrecht, individuelle LeistungspflichtDer undefinierte Leistungsbegriff in der Rechtsprechung führt zu einer individuellen Leistungspflicht. Mit anderen Worten: Wer überdurchschnittliche Leistungen zu erbringen vermag, ist in der Konsequenz verpflichtet, eine überdurchschnittliche Leistung zu erbringen. Umgekehrt erfüllen Mitarbeitende, die nur zu unterdurchschnittlichen Leistungen fähig sind, selbst mit einer unterdurchschnittlichen Leistung ihre Arbeitspflicht (hierzu mehr im Kapitel 2.6).
Leistungsbegriff im Arbeitsrecht, SchlechtleistungOb die Arbeitsleistung als Schlechtleistung (Minderleistung) anzusehen ist, lässt sich nur sehr schwer nach objektiven Kriterien beurteilen. Die Bewertung hat sich hier an dem Maßstab zu orientieren, ob und in welchem Umfang das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung beeinträchtigt ist. Der Arbeitnehmer schuldet laut einem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes (BAB) das »Wirken« und nicht das »Werk« (Urteil des BAG vom 17.01.2008, AZ: 2 AZR 536/06). Letzteres wird häufig so ausgelegt, dass bereits die in Zeugnissen als minderwertig erkennbare Formulierung: »Er/sie bemühte sich stets, die gestellten Anforderungen zu erfüllen«, als ausreichende Leistungserbringung betrachtet werden könnte (auch wenn dem Bemühen in der subjektiven Bewertung eine Minderleistung entgegensteht).
Leistungsbegriff im Arbeitsrecht, Kriterium der FehlerhäufigkeitKann andererseits der Arbeitgeber darlegen, dass der Arbeitnehmer längerfristig die durchschnittliche Fehlerhäufigkeit erheblich überschreitet, so kann dies tatsächlich ein Anhaltspunkt dafür sein, dass der Arbeitnehmer seine vertraglichen Pflichten verletzt (s. o. BAG Urteil vom 17.01.2008).
Um der Vieldeutigkeit dieser Definitionsdetails zu entgehen, schließen wir uns hier für den allgemeinen Gebrauch der folgenden Definition an:
Begriffsklärung »Minderleistende«
Ein minderleistender Mitarbeiter (»Minderleister«) ist nach Schauf/Cinar 2011:
Minderleister, DefinitionPersönliche LeistungsfähigkeitLow Performance»… ein Arbeitnehmer, der seine persönliche Leistungsfähigkeit nicht voll ausschöpft und die durchschnittliche Leistung vergleichbarer Arbeitnehmer (deutlich) unterschreitet. Dadurch stört er das arbeitsrechtliche Leistungsverhältnis zum Arbeitgeber erheblich und längerfristig.«
Die systematische Verweigerung einer eindeutigen Definition des Begriffs Leistung bzw. Minderleistung scheint nicht nur dem deutschen Arbeitsrecht und dessen Strukturdefiziten geschuldet zu sein. Es ist vielmehr offensichtlich, dass es – zumindest in Deutschland – einem impliziten kulturellen Tabubruch gleichkommt, Leistung (und damit auch Minderleistung) zu thematisieren. So ist es bezeichnend, dass im unendlichen Dickicht des von 1961 bis 2005 gültigen Bundesangestelltentarifes (BAT) der Begriff »Leistung« nicht aufzufinden war. Vielmehr orientierten sich Entgeltzahlungen und -zuwächse an der Ausbildung bzw. Qualifikation, an der »Verweildauer« der Mitarbeitenden im Unternehmen sowie am Alter der Beschäftigten.
Arbeitsrechtliche MaßnahmenDass man mit dem Nachfolger des BAT, dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) 2005 und für den Tarifvertrag der einzelnen Bundesländer (TVÖ-L) 2005 erstmals den Leistungsbegriff einführte, war nicht primär dem Versuch geschuldet, Leistung in der öffentlichen Verwaltung zu thematisieren. Der Grund lag vielmehr darin, dass zum einen die öffentlichen Arbeitgeber die Tarifentgelte des BAT seinerzeit kaum mehr aufzubringen vermochten. Ein weiterer Grund war, dass das altersbezogene Entgelt der damals neuen Antidiskriminierungsgesetzgebung des Bundes und der Europäischen Union widersprach, wonach sich aus dem Alter oder umgekehrt der Jugend keine diskriminierenden Vorzugsrechte ableiten lassen dürfen.
Leistungsbegriff im TVöDEin weiteres Indiz für die kulturellen Widerstände, Leistung auf kollektiver oder individueller Ebene zu thematisieren, lässt sich ein weiteres Mal aus dem Tarifsystem des öffentlichen Dienstes ableiten.
Hier hatte man mit dem bereits oben erwähnten TVöD den Versuch gemacht – ähnlich wie seit vielen Jahrzehnten in vielen privatrechtlichen Unternehmen üblich – mit einem Leistungsentgelt überdurchschnittliche Leistung zu honorieren. Dies hatte zur Bedingung, eine systematische Leistungsbeurteilung aller Beschäftigten durchzuführen und das Ergebnis dieser Feststellung in einem persönlichen und vertraulichen Gespräch zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden transparent zu machen.
Heute lässt sich konstatieren, dass diese seit 2007 erstmalig zur Pflicht gewordene Übung weitgehend gescheitert ist (Haller 2023). Zuerst verabschiedeten sich die Bundesländer und deren Institutionen von dieser Praxis. Dann erkannten nach einigen Jahren die meisten der dem TVöD zugehörigen Organisationen des Bundes die damit verbundenen Widerstände bei Mitarbeitenden, Führungskräften und/oder Mitarbeitendenvertretungen und unterließen es stillschweigend mehrheitlich, Leistung zu thematisieren, zu beurteilen und als Vergütungskomponente standardmäßig zu nutzen. Ruhig, besonnen, fair und verbindlich über Leistung zu sprechen ist also offensichtlich eine Herausforderung, der man sich aufgrund der damit verbundenen Kalamitäten lieber entzieht. Besonders dann, wenn hieran Entgeltbestandteile gekoppelt sind.
Unabhängig von den mit der Leistungsfeststellung verbundenen Problemen wirken natürlich auch die oben genannten arbeitsrechtlichen Hürden. Einzelnen Mitarbeitenden Minderleistungen derartig valide nachzuweisen, dass dies gerichtlichen Bestand hat, erfordert erheblichen Aufwand an Vergleichserhebungen, kontinuierlicher Beobachtung und sorgfältige Dokumentation. Ob dann dessen ungeachtet bei nicht eindeutiger Gesetzeslage das Arbeitsgericht X bzw. die spezielle rechtsprechende Person Y sich der Leistungsbeurteilung des Arbeitgebers anschließt, ist erfahrungsgemäß häufig zweifelhaft. Ein Umstand, auf den wir an anderer Stelle noch zurückkommen werden.
Unabhängig vom Arbeits- und Tarifrecht und abgesehen von kulturellen Gepflogenheiten oder Tabus ist der Begriff »Minderleistung« problematisch. Ebenso wenig wie das englische Äquivalent »Low Performance« klingt er politisch korrekt. Beide Varianten wirken vielmehr ausgrenzend, diffamierend und schuldzuweisend.
Low PerformerMitarbeitende mit reduziertem LeistungsprofilStattdessen empfehle ich den Begriff »Mitarbeitende mit reduziertem Leistungsprofil«. Hier wird nicht die den Beschäftigten zugeschriebene Minderung im Sinne einer unterstellten Verweigerung oder Zurückhaltung betont, sondern die aus verschiedenen Ursachen resultierende, objektive Leistungsminderung. Im Folgenden wird deshalb dieser versachlichende Begriff vorwiegend Verwendung finden.
Welch, JackLow PerformerBereits in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts machte der Management-Guru Jack Welch mit dem Thema Low Performer auf sich aufmerksam. Welch, von 1981 bis 2001 CEO des US-amerikanischen Konzerns General Electric (GE), wurde 1999 vom Wirtschaftsmagazin »Fortune« zum »Manager des Jahrhunderts« ausgerufen. Seine auf Effizienz ausgerichteten Managementgrundsätze (»fix, close or sell«), sein konsequentes Qualitäts- und Prozessmanagement und seine Mit-Urheberschaft bei der Shareholder-Value-Ideologie trugen ihm den Beinamen »Neutronen Jack« ein – in Anlehnung an die Sprengkraft einer Neutronenbombe. Diesem Image gerecht werdend, gilt er als Urheber des Begriffs »Low Performer«.
Jack Welchs Formel zur Leistungsverteilung
Welch, JackFormel zur Leistungsverteilung (nach Jack Welch)LeistungsbereitschaftLow PerformerWelch konstatierte, dass in Bezug auf die Leistungsbereitschaft bzw. -fähigkeit der Mitarbeitenden eines Unternehmens die Formel 20-70-10 gelte. Hiernach verfüge jedes Unternehmen über einen (mehr oder weniger) konstanten Anteil an High bzw. Low Performer.
Leistungskategorie
Anteil der Beschäftigten
Bezeichnung im Welch-Jargon
High Performer
20 %
»stars« oder »top 20«
Effektiv leistende Mitarbeitende
70 %
»vital 70«
Low PerformerLow Performer
10 %
»bottom 10« oder »lemmons«
Tab. 1: Leistungs- bzw. Effizienzkategorien nach Jack WelchWelch, Jack
Das Hire-and-Fire-Prinzip von Jack Welch
Hire-and-Fire-PrinzipWelch, JackNach Welch’s Doktrin sollte sich jedes Unternehmen konsequent und in zyklischen Intervallen von der dritten Gruppe der »bottom 10« trennen. Eben dies praktizierte GE dann auch, allerdings mit Ausnahme der deutschen Niederlassungen, weil aufgrund des deutschen Arbeitsrechts ein solch frühkapitalistisches Vorgehen nicht möglich war. Dieses Dogma zeigt im Übrigen, wie häufig Guru-Phänomene mit intellektueller Armut einhergehen können. Denn praktisch perpetuiert sich eine 20-70-10-Formel beständig aufs Neue. Wer permanent Leistung misst und vergleicht, hat logischerweise immer einen bestimmten Prozentwert am unteren Ende der Skala oder am Rand der Gauß’schen Kurve. Ein darauf abgestimmtes Hire-and-Fire-Prinzip hätte somit – selbst, wenn dies mit dem Arbeitsrecht kompatibel wäre – eine entsprechend beständige Personalfluktuation zur Folge. Diese unvermeidbare Konsequenz kann weder personalwirtschaftlich noch sozialpolitisch gewollt sein. Eine solch stoische Vorgehensweise erspart zudem die Mühe, die kausalen Ursachen des Phänomens Minderleistung erkennen zu wollen und systematisch anzugehen.
Aber die Theorien von einem simplen mechanistischen Weltbild sterben nicht aus. Gerade jenseits des Atlantiks treiben sie stets neue Blüten. So berichteten am 15.01.2025 zahlreiche Onlinemedien, dass der CEO des Social-Media-Konzerns »Meta«, Mark Zuckerberg, die vermeintlich Leistungsschwächsten und damit 5 % der Mitarbeitenden seines Konzerns per Kündigung aussortieren werde.
In einem treffenden Kommentar titelte dazu ZEIT-ONLINE am gleichen Tag (Jacobs 2025):
Es kann nicht nur High Performer geben
Mark Zuckerberg will in seinem Konzern Meta, der hinter Facebook, Instagram und WhatsApp steht, künftig die Leistungslatte höher hängen und die schwächsten fünf Prozent aller Beschäftigten aussortieren. Rund 3.600 Angestellte will er auf diese Weise entlassen. […]
Auch der Streamingdienst Netflix setzt seit mehr als zehn Jahren ausschließlich auf Highperformer. Mit dem sogenannten Keeper’s Test werden Mitarbeitenden aussortiert, die nicht zu den allerbesten gehören. Die entscheidende Frage lautet: Würde ich alles dafür tun, um diese Person zu halten? Verneinen Führungskräfte das, muss sie gehen.
Nun ist auch Mark Zuckerberg überzeugt davon: Einen weniger guten Mitarbeiter feuern, um einen fantastischen einzustellen, führt zu Spitzenleistungen. Kurzfristig mag das stimmen, langfristig schaden Unternehmen damit vor allem den Angestellten, die bleiben dürfen – und sich selbst. […]
Eine solche Unternehmenskultur führt vor allem zu mehr Stress. Schon heute fühlt sich fast die Hälfte aller Arbeitnehmerinnen oft hohem Druck und Belastungen ausgesetzt, das hat eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Kaufmännischen Krankenkasse ermittelt. Wer nun Angestellte noch stärker kontrolliert und fordert, übermäßig zu performen, erhöht den Druck. Und der führt im schlimmsten Fall dazu, dass Mitarbeiter krank werden oder freiwillig gehen. […]
Und Geld kostet das ständige hire and fire von Mitarbeitern, die mal ein paar Monate unter dem Durchschnitt performen, ohnehin. Experten schätzen, dass eine Kündigung ein Unternehmen im Schnitt 43.000 Euro kostet. Statt also leichtfertig Kollegen gehen zu lassen, die noch in ihre Rolle reinwachsen können, sollten Chefinnen und Chefs Angestellte fördern und weiterbilden. Das führt auch dazu, dass Mitarbeitende loyal sind und langfristig bleiben – in Zeiten des Fachkräftemangels ist das viel wert.
Da der Konzern Meta in verschiedenen Städten Deutschlands, insbesondere in Berlin und München, Niederlassungen besitzt, bleibt abzuwarten, wie er dieses Vorhaben dort unter den Maßgaben des deutschen Arbeitsrechts umsetzen will und wird. Es dürfte jedenfalls – anders als in den USA – nicht einfach werden.
Motivation als Indikator
Vor allem rund um denArbeitsrechtliche MaßnahmenMotivationLeistungsbereitschaftCommitmentWelch, Jack Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich zahlreiche Studien damit befasst, die Motivation, Identifikation, Leistungsbereitschaft oder das Commitment der Mitarbeitenden zu messen. Auch wenn bei diesen Studien mitunter verschiedene Kriterien vermischt wurden, wie etwa Identifikation oder Leistungsbereitschaft, zeigten sie mit ihren zum Teil unterschiedlichen und im Einzelfall durchaus angreifbaren Methoden oder Designs ähnliche Ergebnisse wie Jack Welch’s Formel zur Leistungsverteilung.
Die seit 2001 jährlich und international durchgeführte Studie »Engagement-Index« des Meinungsforschungsinstituts Gallup kommt etwa zu der Erkenntnis, dass sich allein in Deutschland 24 % der Beschäftigten ihren Aufgaben in bedenklichem Umfang entziehen (Gallup 2024). Bezogen auf die Erhebungsdaten von 2023 kommt Gallup in der Analyse der erhobenen Daten zu folgendem Ergebnis:
Kategorie
Definition nach Gallup
Merkmale
Anteil
Emotionale Bindung des MitarbeitersMitarbeitende mit hoher emotionaler Bindung
Die Mitarbeitenden sind ihrem Arbeitgeber emotional verpflichtet.
loyal, produktiv, wenige Fehltage, geringe Fluktuation, niedrigerer Schwund
13 %
Mitarbeitende mit geringer emotionaler Bindung
Die Mitarbeitenden leisten »Dienst nach Vorschrift«. Sie sind zwar produktiv, aber dem Unternehmen nur eingeschränkt emotional verpflichtet.
mehr Fehltage, höhere Fluktuation
69 %
Mitarbeitende ohne emotionale Bindung
innere KündigungDie Mitarbeitenden arbeiten aktiv gegen die Interessen des Unternehmens, haben vielleicht auch schon die innere Kündigung vollzogen.
physisch präsent – psychisch jedoch nicht; sind mit ihrer Arbeitssituation unglücklich und lassen die Kollegen dies wissen.
18 %
Tab. 2: Engagement-Index nach Gallup (2024)
Wer sich bewusst macht, dass Gallup nicht nur Meinungsforschung betreibt, sondern auch Beratung anbietet, mag geneigt sein, diese Zahlen als sehr hoch gegriffen anzusehen. Schließlich muss man nicht unbedingt solchen Überbringern schlechter Nachrichten Glauben schenken, die gleichzeitig Dienstleistungen zur Vermeidung schlechter Nachrichten im Gepäck führen; was für Gallup tatsächlich zutrifft. Dass aber das Phänomen Minderleistung gesamtwirtschaftliche Auswirkungen haben dürfte, ist ebenso schlüssig wie bekannt und wird zudem auch durch zahlreiche andere Studien belegt. Gallup selbst beziffert den durch Minderleistung entstandenen gesamtwirtschaftlichen Schaden in Deutschland allein für das Jahr 2024 mit rund 150 Milliarden Euro (s. o.).
Wirtschaftlicher Schaden durch MinderleistungTowers-Watson-StudieAndere Studien mit anderen Ansätzen kommen zu indirekt vergleichbaren Ergebnissen. So verweist eine das Beratungsunternehmen Towers Watson darauf, dass 26 % der Beschäftigten in Deutschland »unterdurchschnittlich engagiert, befähigt und energetisiert« und von dieser Gruppe 6 % schlichtweg »nicht engagiert« seien (Towers Watson 2017).
Kategorie
Beschreibung
Anteil
nachhaltig engagiert
Mitarbeitende, die überdurchschnittlich engagiert, befähigt und energetisiert arbeiten.
33 %
engagiert, aber ausgebremst
Mitarbeitende, die engagiert, aber nicht befähigt und/oder energetisiert arbeiten.
15 %
Dienst nach Vorschrift
Mitarbeitende, die befähigt und/oder energetisiert, aber nicht engagiert arbeiten.
26 %
ungenutztes Potenzial
Mitarbeitende die unterdurchschnittlich engagiert, befähigt und energetisiert arbeiten
26 %
Tab. 3: Engagement-Typen (nach Towers Watson 2017) Engagement-Typen nach Towers Watson
Um diese Ergebnisse deuten zu können, liefert Towers Watson folgende Kategorien:
Merkmal
Hintergrund
engagiert
Mitarbeitende kennen und unterstützen Ziele und Strategien des Unternehmens, fühlen sich dem Unternehmen emotional verbunden und motiviert, sind bereit zu überdurchschnittlicher Leistung.
befähigt
Mitarbeitenden steht ein lokales Umfeld mit richtigen Tools und Ressourcen zur Verfügung.
energetisiert
Das Arbeitsumfeld trägt aktiv zu einem individuellen physischen, interpersonellen und emotionalen Wohlbefinden der Mitarbeitenden bei.
Tab. 4: Wesentliche Kriterien für nachhaltiges Engagement (nach Towers Watson a. a. O.) Mitarbeiterengagement
Unabhängig von der Tatsache, dass diese Studie von Towers Watson gezielt unternehmensspezifische und teambezogene Rahmenbedingungen wie Arbeitsmittel, Arbeitsbedingungen und Ressourcen einbezieht, zeigen die Ergebnisse auch hier, dass viele Mitarbeitende deutlich unter ihrem eigentlichen Leistungspotenzial tätig sind. Wir werden an anderer Stelle auf den multidimensionalen Ansatz dieser Studie noch einmal zu sprechen kommen. Eben diese Vielfältigkeit der Rahmenbedingungen zeigt, dass Minderleistung in der Tat multifaktoriell begründet ist und nicht ausschließlich vom individuell antizipierten Identifikationsgrad der Arbeitnehmenden abhängig ist.
Ergebnisse einer Studie zur Zufriedenheit der Mitarbeitenden
ZufriedenheitMitarbeiterzufriedenheitMotivationDemotivationEine gleichermaßen große Studie zur Zufriedenheit und -motivation der Beschäftigten legte 2008 das Markt- und Meinungsforschungsinstitut TNS Infratest vor. Unter dem Titel »Bewohner, Leistungsträger oder Nicht-Erreichte?« beschrieb die Studienautorin und TNS-Direktorin Susanne O’Gorman die Ergebnisse einer umfassenden Benchmark-Studie für den Untersuchungszeitraum von 2004 bis 2007 (O’Gorman 2008). Die Studie kam zu folgendem Ergebnis:
Typus
Merkmale
Anteil
ErfolgsgarantenErfolgsgaranten
Leistungsbereitschaftäußerst zufrieden und loyal, identifiziert mit den Unternehmenszielen, überzeugt von der Zukunftsorientierung und Wettbewerbsfähigkeit, hohe Leistungsbereitschaft, Eigeninitiative und Motivationsfähigkeit gegenüber Kolleginnen und Kollegen
22 %
Distanzierte Leistungsträgerdistanzierte Leistungsträger
vom Arbeitgeber und dessen Wettbewerbsfähigkeit überzeugt, persönlich unzufrieden, kritisch und schwer zu führen, machen Verbesserungsvorschläge, opportunistische Grundhaltung, wechselbereit
12 %
UnternehmensbewohnerUnternehmensbewohner
sehr zufrieden, hoher Wohlfühlfaktor, verrichten ihre Arbeit, ohne ihr Aufgabenumfeld als motivierend zu erleben, stabilisierend und unkompliziert, weil sehr sicherheitsbedürftig, weisungsorientiert, gut führbar
38 %
Nicht-ErreichteNicht-Erreichte
sehr unzufrieden, keine Verbundenheit mit dem Unternehmen, fühlen sich durch ihr direktes Umfeld demotiviert, eher frustriert als engagiert, ansteckende negative Stimmung
28 %
Tab. 5: Mitarbeitenden-Commitment in deutschen Unternehmen (TNS Infratest 2008) Mitarbeiter-CommitmentCommitment
EnergetisierungMotivationZufriedenheitAlle diese Studien messen letztlich ähnliche, wenngleich auch unterschiedliche Faktoren. Und meist basieren diese Untersuchungen auf Befragungen bzw. Interviews mit Arbeitnehmern bezüglich eher weicher Faktoren wie »Engagement«, »Energetisierung«, »Motivation«, »Zufriedenheit«. Oft werden dabei Korrelationen mehr unterstellt als nachgewiesen, etwa zwischen Identifikation und Motivation, Motivation und Leistung oder Zufriedenheit und Motivation. Keine dieser Studien ist deshalb gänzlich unangreifbar in Bezug auf Methodik oder Interpretation.
LeistungsbereitschaftWelch, JackDennoch fällt auf, dass sich bezogen auf das Endergebnis alle Analysen ähneln: Rund 25 % der Arbeitnehmer sind demnach hinsichtlich ihrer Leistungsbereitschaft eher kritisch einzuordnen, deutlich mehr also, als dies vor 30 Jahren Jack Welch annahm.
ZufriedenheitMotivationDies mag auch daran liegen, dass Welch mit seiner Faustformel 20-70-10 die Quote der Leistungserbringung aus Arbeitgebersicht beschrieb und somit davon ausging, dass etwa 10 % der Belegschaft eine deutlich unbefriedigende Leistung erbringt. Anders gehen dagegen die vorgenannten Studien vor. Sie messen nicht die objektive Leistung, sondern tendenziell subjektive Faktoren wie Zufriedenheit, Motivation oder die gegebenenfalls aus beiden Einflüssen resultierende Bereitschaft, den Arbeitgeber zu wechseln. Und dies – bedingt durch die Erhebungsmethodik – aus Sicht der Arbeitnehmenden.
Die sehr einfache Schlussfolgerung, dass weniger zufriedene Mitarbeitende automatisch eine schlechtere Leistung erbringen, ist aber nicht legitim. So zeigt ja gerade die Studie von TNS Infratest (vgl. Tab. 5), dass es durchaus »distanzierte Leistungsträger« gibt – also eher weniger zufriedene Mitarbeitende –, die dennoch ihre Aufgaben und somit ihren Arbeitsvertrag erfüllen und nicht als Minderleistende in Erscheinung treten müssen.
Distanzierte LeistungsträgerZufriedenheitMitarbeiterzufriedenheitMotivationCommitmentDemotivationBei der Interpretation großer Studien im Kontext Zufriedenheit der Mitarbeitenden, Motivation oder Commitment ist also Vorsicht geboten. Mehr als auf die rein quantitativen Ergebnisse sollte der Fokus auf die Faktoren gerichtet werden, die zu Unzufriedenheit, Demotivation und zu physischen oder psychischen Fluchtbestrebungen beitragen. Die zitierten Studien sind hierbei trotz besagter Vorbehalte hilfreich. Sie machen zumindest partiell deutlich, warum aus engagierten Mitarbeitenden langfristig weniger engagierte Kollegen werden, aus identifizierten Beschäftigten gleichgültige oder aus »Erfolgsgaranten« distanzierte Leistungsträger. Aber sie lassen keine direkten Rückschlüsse auf die Verteilung der Leistungserbringung zu oder etwa auf die Quote der Mitarbeitenden mit reduziertem Leistungsprofil.
Minderleistung als Normalfall?
Kurz vor dem Abschluss der Arbeiten am Manuskript der zweiten Auflage dieses Buches ging eine Meldung virulent durch verschiedene Print- und Onlinemedien. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und Unternehmensberatung »Ernst & Young«, kurz EY, veröffentlichte die Ergebnisse einer weltweiten Befragung von 17.000 Mitarbeitenden, hiervon 1.000 in Deutschland. EY hatte unter dem Titel »Vier von zehn Angestellten denken über einen Jobwechsel nach« die Ergebnisse dieser Befragung in einer Pressemitteilung veröffentlicht. Zum Themenkomplex Leistungsbereitschaft der Befragten kam diese Studie zu folgendem Ergebnis (Ernst & Young 2025):
Motivationsloch am Arbeitsplatz: Nicht einmal jede und jeder zweite Angestellte in Deutschland (48 Prozent) gibt aktuell an, auf der Arbeit sein Bestes zu geben. Damit liegen die Befragten hierzulande deutlich unter dem internationalen Durchschnitt von 54 Prozent.
Während Angestellte in Großbritannien (47 Prozent) ein ähnliches Motivationsniveau haben wie die Befragten hierzulande, sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Frankreich (37 Prozent), den Niederlanden (36 Prozent) und Japan (19 Prozent) zum Teil noch deutlich unmotivierter am Arbeitsplatz als die Menschen in Deutschland. Mehr Motivation verspüren dagegen Angestellte in Indien (67 Prozent), China (59 Prozent) und den USA (57 Prozent).
Am motiviertesten sind hierzulande ältere Beschäftigte: Von den Baby-BoomernBaby-Boomer – also den ende 50-Jährigen beziehungsweise über 60-Jährigen – zeigen sich 63 Prozent besonders motiviert. Bei den jüngeren Arbeitnehmern aus der sogenannten GenZGeneration Z, die bis 29 Jahre alt sind, liegt der Anteil bei gerade einmal 43 Prozent.
Natürlich ist bei Erhebungen und Umfrageanalysen immer Vorsicht geboten. Schließlich bleiben neben dem Wissen um die statistischen Ergebniswerte die genaue Art der Befragung, die verwendeten Methoden und die Auswahl der Befragten im Dunkeln – so auch in dieser Umfrage. Ungeklärt bleibt auch, ob und wie in dieser Umfrage definiert wurde, was »das Beste« ist? Ist es das Arbeitsergebnis, das man erreichen kann, wenn man im Job die eigene Komfortzone kurzfristig verlässt? Oder ist es ein Erfolg, für den man längerfristig an seine Grenzen gehen muss – oder sogar darüber hinaus?
Wären es allein die statistischen Angaben einzelner Studien zum Thema Engagement, Motivation und Leistungsbereitschaft, so könnte man solche gehypten Umfrageergebnisse getrost ignorieren oder ihnen zumindest weniger Aufmerksamkeit schenken. In der Summe der verschiedenen Studien und Befragungen bleibt aber – das belegen auch eigene Erfahrungen – der begründbare und latente Verdacht, dass im Arbeitsleben tatsächlich viele Mitarbeitende im übertragenen Sinne »mit angezogener Handbremse« unterwegs sind und sich der Minderleistung bedenklich annähern.
Erfahrungen von Führungskräften
Jenseits der erwähnten Studien ist festzustellen: In Trainings oder Coachings von Führungskräften, steht das Thema Minderleistung jedenfalls oft im Mittelpunkt. Teilnehmende und Coachees berichten von Fällen aus ihrem Verantwortungsbereich, die sie rat- und hilflos machen. Sie berichten von Mitarbeitenden, die wenig und/oder schlechte Leistungen erbringen, die zumutbare Anforderungen oder Veränderungen ablehnen und nach entsprechend kritischen Gesprächen mitunter für Tage oder Wochen ausfallen – formal dann nicht selten aus krankheitsbedingten Gründen.
Wenn ich als Berater, Trainer und Coach oder aus eigener Erfahrung als Führungskraft diese konkreten Fälle von objektivierter Minderleistung quantifizieren sollte, würde ich – über alle Branchen und Kontexte hinweg – Welch, Jackempirisch eine durchschnittliche Quote von etwa 10 % annehmen und zugrunde legen, auch wenn mir die Nähe zu den Aussagen von Jack Welch nicht genehm ist: Eine, wenn auch nicht wissenschaftlich erhobene Zahl, die von vielen meiner Berufskollegen und von zahlreichen Führungskräften geteilt wird.
Tabu MinderleistungMinderleistung, als TabuthemaBekanntlich bezeichnet der aus dem polynesischen Sprachraum stammende Begriff »Tabu« ein Thema, das kulturspezifisch geächtet und damit der näheren Erörterung oder Debatte entzogen ist. Dies gilt auch für das Problem Minderleistung in Unternehmen. Es erinnert an die bekannte japanische Metapher der drei Affen, welche lautet: »Nichts (Böses) sehen, nichts (Böses) hören, nichts (Böses) sagen.«
Abb. 1:
Die Darstellung der drei Affen über das »Wesen der Sittlichkeit« (17. Jh.), Fassadenschnitzerei aus Nikko/Japan (Foto: R. Haller 2011)
So häufig sich das Thema Minderleistung im Fokus von Studien zur Motivation der Mitarbeitenden wiederfindet, so selten wird es in den meisten Organisationen und Unternehmen offen erörtert. Nach meiner Erfahrung gibt es für das kollektive Schweigen tatsächlich eine Reihe von ebenso plausiblen wie bedauernswerten Gründen:
1. Führungskräfte sprechen nicht gerne offen über ihre leistungsschwachen Mitarbeitenden