Professor Zamorra 1076 - Andreas Balzer - E-Book

Professor Zamorra 1076 E-Book

Andreas Balzer

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Beschreibung

Der laut aus dem Radio dröhnende Popsong war kitschig. Er war völlig überproduziert und fürchterlich überzuckert.

Und Nicole Duval sang aus voller Kehle mit.

Sie bedauerte nur, dass Zamorra nicht da war. Der Dämonenjäger war mitten in der Nacht zu einem Parapsychologen-Kongress nach Tokio aufgebrochen.

Der Song war zu Ende. Als der Moderator eine Eilmeldung ankündigte, griff Nicole zur Fernbedienung. Schlechte Nachrichten gab es in ihrem Leben mehr als genug. Sie wollte gerade den Sender wechseln, als sie die Worte trafen wie ein Blitzschlag.

»Eine Boeing 777 der französischen Gesellschaft NewWorlds ist offenbar auf dem Flug von Paris nach Tokio abgestürzt.«

Der Moderator sprach weiter, doch Nicole hörte nicht hin. Sie hatte die wichtigste Nachricht verstanden.

Zamorra war tot! ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Höllenflug

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Arndt Drechsler

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-1632-2

www.bastei-entertainment.de

Höllenflug

von Andreas Balzer

Der laut aus dem Radio dröhnende Popsong war kitschig. Er war völlig überproduziert und fürchterlich überzuckert.

Und Nicole Duval sang aus voller Kehle mit.

Sie bedauerte nur, dass Zamorra nicht da war. Der Dämonenjäger war mitten in der Nacht zu einem Parapsychologen-Kongress nach Tokio aufgebrochen.

Der Song war zu Ende. Als der Moderator eine Eilmeldung ankündigte, griff Nicole zur Fernbedienung. Schlechte Nachrichten gab es in ihrem Leben mehr als genug. Sie wollte gerade den Sender wechseln, als sie die Worte trafen wie ein Blitzschlag.

»Eine Boeing 777 der französischen Gesellschaft NewWorlds ist offenbar auf dem Flug von Paris nach Tokio abgestürzt.«

Der Moderator sprach weiter, doch Nicole hörte nicht hin. Sie hatte die wichtigste Nachricht verstanden.

Zamorra war tot!

»Mademoiselle? Mademoiselle, bitte trinken Sie das!«

Nicole hob abwehrend die Hand. Doch wenn es um das Wohl der ihr Anvertrauten ging, kannte Madame Claire keinen Spaß. Die voluminöse Köchin von Château Montagne hielt Nicole die dampfende Kaffeetasse so dicht vor die Nase, dass sie kaum eine andere Wahl hatte, als einen Schluck davon zu nehmen.

»So ist’s recht, Kindchen.« Madame Claire sah genauso schlecht aus, wie Nicole sich fühlte. Hinter ihrer Leibesfülle erahnte Nicole die sehr viel dünnere Gestalt des schottischen Butlers William.

Sie befanden sich immer noch im Arbeitszimmer im Nordturm, wo Nicole die grauenvolle Nachricht gehört hatte. Wenige Sekunden, nachdem sie kreidebleich auf dem nächstbesten Stuhl zusammengesackt war, war William in den Raum gestürzt. Der Butler hatte ebenfalls Radio gehört.

Ein bisschen wunderte sich Nicole über die eigene Reaktion. Zamorra und sie waren schon oft in Lebensgefahr geraten, und ebenso oft hatten sie es geschafft, dem sicher geglaubten Tod ein Schnippchen zu schlagen. Warum war sie sich in diesem Fall so sicher, dass Zamorra es nicht geschafft hatte, dass er tatsächlich tot war?

Vermutlich, weil es diesmal nicht um eine Auseinandersetzung mit den Kräften der Hölle ging, bei der sich der Dämonenjäger im letzten Moment mit einem Trick aus der Affäre ziehen konnte. Sondern um etwas sehr viel Irdischeres – wenn auch nicht weniger Grauenhaftes. Letztlich war es ein Verkehrsunfall. Etwas, in das Zamorra völlig zufällig verwickelt worden war. So wie alle anderen Menschen an Bord. Solche Dinge passierten nun mal.

Aber nicht uns, nicht in der Welt, in der wir leben. Da wird man nicht einfach in irgendwelche Unfälle hineingezogen. Da gibt es keine Zufälle!

Entschlossen stand Nicole auf und knallte die Kaffeetasse auf den Tisch.

»Mademoiselle? Kann ich noch was …«

»Danke, Claire.« Nicole zwang sich zu einem Lächeln. »Es geht schon wieder. Wenn ich noch etwas brauche, melde ich mich.«

Die Köchin wollte noch etwas sagen, nickte dann aber nur und entschwand. William blieb. »Selbst, wenn das Flugzeug wirklich abgestürzt ist, könnte er es geschafft haben«, sagte der Schotte. »Mit seinem Amulett hat er immerhin die Möglichkeit, Weltentore zu erzeugen.«

Daran hatte Nicole auch schon gedacht. Allerdings setzte diese Möglichkeit voraus, dass Zamorra genug Zeit gehabt hatte, um einen Übergang in eine andere Dimension zu erschaffen. Bei einer Explosion oder einem plötzlichen Druckabfall in der Kabine wäre das kaum möglich gewesen. Außerdem konnte sich Nicole nicht vorstellen, dass sich Zamorra einfach so aus dem Staub gemacht hätte, während alle um ihn herum in den Abgrund gerissen wurden. Andererseits – wäre es nicht dumm, mit den anderen zu sterben, wenn es keine Chance gab, sie zu retten? Und vielleicht hatte er es ja sogar geschafft, wenigstens ein paar Passagiere mitzunehmen.

Sofort kam Nicole Choquai in den Sinn. In Fu Longs Reich konnte Zamorra sicher sein, dass er immer willkommen war. Doch würde er dann nicht sofort ein neues Weltentor zur Erde schaffen, um die Überlebenden zurückzubringen und sich mit Nicole in Verbindung zu setzen?

Nicole zog ihr Handy aus der Hosentasche und aktivierte die Kurzwahl für Zamorras Nummer. Wenn der Dämonenjäger irgendwo auf diesem Planeten war, würde sie ihn mit dem TI-Alpha erreichen.

Falls er noch lebte.

Der Ruf ging raus. Geh ran, chéri, dachte sie. Bitte geh ran! Doch nichts passierte. Mit einem leisen Seufzen ließ Nicole das Handy wieder in ihrer Hosentasche verschwinden.

Doch es gab noch etwas, was sie versuchen konnte. Nicole streckte ihre rechte Hand aus und rief Merlins Stern. Zamorras Amulett war einst von Merlin Ambrosius aus der Kraft einer entarteten Sonne geschaffen worden. Nicht nur Zamorra selbst, sondern auch Nicole hatten die Fähigkeit, das mächtige magische Kleinod per Gedankenbefehl jederzeit zu sich zu rufen. Wenn sich Merlins Stern irgendwo auf der Erde befand, musste er eigentlich in ihrer Hand erscheinen. War er … woanders, dann konnte sie es wahrscheinlich nicht rufen, weil es zu weit weg war. Der Kraftaufwand wäre zu hoch.

Doch nichts geschah.

Nicoles Herz setzte einen Schlag aus. Was hatte das zu bedeuten? Dass Merlins Stern bei dem Absturz zerstört worden war, war praktisch unmöglich. Befand sich Zamorra – und mit ihm das Amulett – also tatsächlich nicht mehr auf der Erde? Oder verhinderte irgendeine Macht, dass die Silberscheibe so reagierte, wie sie sollte? Erst vor Kurzem hatte Zamorra ja ein ähnliches Problem gehabt, als er in Eden gewesen war, um Nele Großkreutz, Carrie und den anderen zu helfen. Auch hier hatte das Amulett nicht so reagiert, wie es sollte.

Sie wusste es nicht. Aber eines sagte ihr das Nichterscheinen des Amuletts überdeutlich: Irgendetwas stimmte beim angeblichen Absturz von Flug 1402 ganz und gar nicht. Und das bedeutete: Zamorra und die übrigen Passagiere waren möglicherweise noch am Leben!

Nicole atmete einmal tief durch. Dann setzte sie sich an das mittlere der drei Computerterminals im Arbeitszimmer und durchsuchte die großen Nachrichtenportale. Jede große französische Zeitung hatte Liveticker zur verschwunden NewWorlds-Maschine eingerichtet. Doch alle berichteten letztlich nur mit vielen Worten ein und dasselbe: Es gab nichts Neues.

Bekannt war nur, dass die Boeing 777 mit 368 Passagieren und elf Besatzungsmitgliedern an Bord um 13.32 Uhr Mitteleuropäischer Zeit über dem Gelben Meer westlich von Korea vom Radar verschwunden war. Bis dahin hatte es keinerlei Probleme gegeben. Der Pilot hatte nach dem Start leichte Turbulenzen gemeldet, nichts Besonderes. Ansonsten waren die Wetterbedingungen optimal gewesen, nicht mal der Anflug eines Sturms oder Gewitters. Es hatte keinen Notruf gegeben, kein automatisches Warnsignal. Nichts.

Nicole dachte an Malaysia-Airlines-Flug 370, der 2014 auf dem Weg nach Peking spurlos verschwunden war. Bis heute wusste niemand, was mit der vermissten Boeing 777 passiert war. Waren die Piloten durchgedreht, hatte die Technik versagt, oder war die Maschine entführt worden? Niemand konnte wirklich erklären, warum das Flugzeug vermutlich weitab seiner eigentlichen Route irgendwo im Indischen Ozean ins Meer gekracht war.

Und sie dachte an den Airbus der Indonesia AirAsia, der Ende 2014 auf dem Weg nach Singapur abgestürzt war. Es hatte zum Zeitpunkt der Katastrophe ein schweres Gewitter gegeben. Aber hatte das wirklich die Katastrophe mit verursacht?

Oder stimmte vielleicht etwas mit der Region nicht?

»William, bitten Sie Pascale Lafitte, alles, was zu diesem …«, sie zögerte, bevor sie es aussprach, »Absturz im Netz zu finden ist, zusammenzusuchen. Jedes noch so kleine Detail, jede Theorie, und sei sie noch so abwegig. Das soll er abgleichen mit allem, was er zu ähnlichen Luftfahrtkatastrophen in der Region findet, er soll rausfinden, ob es irgendeinen Zusammenhang gibt.«

»Ich eile geschwind, um Monsieur Lafitte von seiner Aufgabe in Kenntnis zu setzen«, sagte der Butler würdevoll.

»Gut. Er soll mir regelmäßig Dossiers zusammenstellen und auf mein Handy schicken.«

»Sehr wohl, Mademoiselle. Und wo geruhen Sie, die Nachrichten abzurufen, wenn ich mir die Frage gestatten darf?«

»In Südkorea. Oder wo immer die Suche nach dem Wrack koordiniert wird. Ich muss dahin und mir vor Ort selbst ein Bild machen.«

***

Flughafen Paris-Charles-de-GaulleZehn Stunden zuvor

Professor Zamorra gähnte ausgiebig und nippte an seinem Kaffee. Angewidert verzog er das Gesicht, als das heiße Getränk seine Geschmacksrezeptoren erreichte. Die Geschäftsleute und gut betuchten Touristen, die die Bequemlichkeiten der Business Class Lounge von NewWorlds in Anspruch nahmen, konnten ihren morgendlichen Muntermacher zwar aus hübschen Porzellantassen trinken. Schmackhafter als die Brühe, die das fliegende Fußvolk am Rest des Flughafens aus Pappbechern zu sich nahm, war er aber auch nicht.

Für jemanden, der den Kaffee nach der Hufeisen-Methode gekocht vorzog – so stark, dass selbst ein Hufeisen nicht darin unterging – war die Farbe das Einzige, was die schwarze Flüssigkeit von heißem Leitungswasser unterschied.

Zamorra seufzte. Gerade jetzt hätte er einen guten Wachmacher gebraucht. In einer knappen Stunde startete sein Flug nach Tokio, wo er am nächsten Tag einen Vortrag auf einem internationalen Kongress halten sollte. »LUZIFERs Heerscharen: Warum das Böse längst unter uns ist« lautete der Titel. Und viel mehr existierte davon bisher auch noch nicht. Zamorra hatte es gerade mal geschafft, ein paar Notizen zusammenzuschreiben, die er im Flieger weiter ausarbeiten wollte, um in Tokio nicht mit fliegenden Fahnen unterzugehen.

Eigentlich konnte sich der Parapsychologe Besseres vorstellen, als mal eben für drei Tage nach Asien zu jetten. Aber schließlich musste auch ein professioneller Dämonenjäger Geld verdienen. Zamorra hatte zwar ein regelmäßiges Einkommen durch die Verpachtung einiger großer Grundstücke rund um Château Montagne, doch der immerwährende Kampf gegen die Mächte der Finsternis verursachte auch immense Kosten – und da waren Nicoles Shopping-Exzesse noch gar nicht eingerechnet.

Nicht zuletzt um die Haushaltskasse aufzubessern, hielt Zamorra deshalb, soweit es seine knapp bemessene Zeit zuließ, Vorträge an internationalen Universitäten. Außerdem war das auch immer eine gute Gelegenheit, um Kontakt zu den Kollegen in der überschaubaren Welt der Parapsychologie zu halten und vielleicht sogar nebenbei an ein paar Informationen über ihm bis dahin verborgen gebliebene paranormale Aktivitäten zu kommen.

Als die Einladung der relativ jungen East Asian Society for Paranormal Research and Investigation gekommen war, vor hochrangigen Fachleuten der Szene einen Vortrag zu halten, hatte er daher dankend angenommen. Das Honorar war fürstlich, der Aufenthalt in einem Luxushotel und der Flug wurden bezahlt und die Gästeliste war geradezu spektakulär. Zamorra freute sich darauf, einige Kollegen wiederzusehen, mit denen er schon seit Jahren nicht mehr gesprochen hatte.

Leider musste er den Trip allein machen. Er hätte Nicole gerne mitgenommen, aber seine Lebensgefährtin, Kampfpartnerin und Sekretärin hatte dankend abgelehnt. »Nichts gegen Godzillas Heimatstadt«, hatte sie grinsend gesagt. »Aber ich kann mir Schöneres vorstellen, als ein paar Tage mit deinen zauseligen Professoren-Kumpels abzuhängen, die ausgelassen über Ektoplasma, außersinnliche Wahrnehmungen und Schuhmann-Wellen fachsimpeln. Außerdem müssten die Notizen unserer letzten Fälle dringend durchgesehen und ins System eingegeben werden.«

»Das sagst du nur, damit du in meiner Abwesenheit hemmungslos Orgien feiern kannst.«

»Das auch. Aber nur, damit du ohne Gewissensbisse in Tokio die süßen Zimmermädchen vernaschen kannst.«

»Sehr rücksichtsvoll von dir!«

»So bin ich nun mal, Chef«, hatte Nicole geantwortet und ihm einen dicken Kuss auf die Lippen gedrückt. »Aufopfernd bis zuletzt!«

Fakt war, dass Nicole einfach eine Pause brauchte. Die letzten Wochen und Monate waren sehr anstrengend gewesen, und allein die Vorstellung, neben ihren Einsätzen auch noch zum Vergnügen um die halbe Welt zu düsen, bereitete ihr Bauchschmerzen. Zamorra konnte das gut nachvollziehen, auch wenn er sich über ihre Gesellschaft sehr gefreut hätte.

Zamorra nahm einen weiteren Schluck Kaffee und stellte mit einem gewissen Entsetzen fest, dass er sich langsam an den Geschmack gewöhnte.

»Wie können Sie so etwas nur trinken?«

Überrascht blickte der Parapsychologe auf. Die Frau, die ihm gegenüber Platz genommen hatte und ihn freundlich angrinste, wirkte in der halb leeren Business Lounge geradezu exotisch. Und das nicht nur, weil die vielleicht 30-jährige Blondine in dem eleganten blauen Hosenanzug wirklich außerordentlich attraktiv war. Sondern auch, weil sie sich mit der von ihr ausgestrahlten ironischen Gelassenheit deutlich von der miesepetrigen Geschäftigkeit der beschlipsten Anzugträger um sie herum abhob. Zamorra mochte sie auf Anhieb.

Die Blondine deutete auf die Tasse in Zamorras Hand.

»Es gibt Länder, in denen so etwas unter das Betäubungsmittelgesetz fällt.«

Zamorra grinste. »Ich glaube kaum, dass ich davon einen Rausch bekomme.«

»Ganz sicher nicht. Aber wach werden Sie davon auch nicht. Hier, nehmen Sie einen von Meinen.«

Erst jetzt registrierte Zamorra, dass sie einen Papp-Becherhalter mit zwei XXL-Kaffeebechern neben sich auf der Ablage stehen hatte. Die mit Plastikdeckeln verschlossenen Becher trugen ein Logo, das Zamorra noch nie gesehen hatte. Die junge Frau bemerkte seinen Blick.

»Sie wären nicht der Erste, dem die schmuddelige kleine Kaffeebar am TGV-Bahnhof noch nie aufgefallen ist«, erklärte sie lächelnd. »Aber lassen Sie sich vom Äußeren nicht täuschen. Die Besitzer betreiben den Laden in der dritten Generation. Und sie machen den verdammt besten Kaffee, den sie im Umkreis von 50 Kilometern kriegen können.«

Sie reichte Zamorra einen Becher. »Ich nehme immer gleich zwei mit. Und Sie sehen aus, als ob Sie einen gebrauchen könnten.«

Zamorra grinste. »So offensichtlich?«

Sie gluckste. »Ich habe in Krimis Wasserleichen gesehen, die fitter aussahen.«

Zamorra lachte. »Wenn das so ist …«

Er stellt seine Tasse achtlos auf die Ablage neben sich und nahm den Becher entgegen. Die junge Frau griff nach dem zweiten Becher und prostete ihm zu.

»Cheers!«

»Cheers!«

Zamorra nahm einen vorsichtigen Schluck. Der Kaffee hatte genau die richtige Temperatur. Heiß, aber nicht so heiß, dass er ihm die Zunge verbrühte. Und sobald das Getränk seine Zunge erreichte, erlebte er eine Geschmacksexplosion, wie er sie bei einem schlichten Coffee-to-go nie für möglich gehalten hätte.

Sein Gegenüber gluckste erneut. Einige der anderen Reisenden blickten sich um. In ihren Blicken erkannte Zamorra unverhohlenen Neid.

»Am frühen Morgen besser als ein Orgasmus, oder?«

»Soweit würde ich nicht gehen«, erwidere Zamorra grinsend. »Aber es ist verdammt nah dran. Mein Name ist Zamorra.«

»Vor- oder Nachname?«

»Der Einzige«, erwiderte der Dämonenjäger. »Selbst meine Lebensgefährtin nennt mich so.«

Sie lachte. »Na gut, also Zamorra. Ich bin Lina.«

Sie tranken, und Zamorra glaubte regelrecht zu spüren, wie sich das Koffein durch seinen Körper arbeitete und seine müden, ausgelaugten Zellen eine nach der anderen mit frischer Energie versorgte. Manchmal waren es die kleinen Dinge im Leben, die einen wirklich glücklich machten.

Für jemanden, der so viele Feinde hatte, war es eigentlich nicht besonders klug, Getränke von Wildfremden anzunehmen. Aber dass Zamorra vor vielen Jahren vom Wasser aus der Quelle des Lebens getrunken hatte, hatte nicht nur seinen Alterungsprozess gestoppt. Er war auch immun gegen alle Arten von Gift. Er hätte das fantastische Gebräu also auch bedenkenlos trinken können, wenn es bis zur Sättigungsgrenze mit Strychnin angereichert gewesen wäre.

Außerdem war er nicht naiv. Vor dem ersten Schluck hatte der Dämonenjäger mit einem Gedankenbefehl Merlins Stern aktiviert. Das mächtige Amulett, das er an einer Silberkette unter seinem Hemd trug, hatte in seinem Gegenüber keine schwarzmagische Bedrohung erkannt.

Vermutlich war Lina also einfach nur genau das, was sie zu sein schien. Eine charmante junge Geschäftsfrau, die sich die Wartezeit vor dem Flug mit etwas Geplauder vertreiben wollte.

»Lebensgefährtin also. Das heißt, ich bin sicher vor Ihnen? Der letzte Mitreisende, dem ich einen Kaffee spendiert habe, wollte sich nachher vom Kapitän mit mir trauen lassen.«

»Ich glaube, Flugkapitäne dürfen so etwas nicht«, wandte Zamorra ein.

»Das habe ich ihm auch gesagt. Aber er wollte partout nicht auf mich hören. In meiner Verzweiflung habe ich ihm nacher vorgespielt, ich sei lesbisch.«

»Vor mir sind Sie sicher«, erklärte Zamorra feierlich. »Das Einzige, was Ihnen von mir droht, ist, dass ich Sie hinterrücks überfalle und in einen Wartungsraum schleife, um Ihnen auch noch den zweiten Becher abzunehmen.«

»Damit kann ich leben. Was glauben Sie, auf welche Weise ich daran gekommen bin?«

Sie plauderten noch eine Weile entspannt, bis eine Lautsprecherdurchsage verkündete, dass das Boarding in wenigen Minuten beginne. Lina stand auf und warf ihren Becher in einen Papierkorb. Zamorra erhob sich ebenfalls.

»Sie haben mir das Leben gerettet, Lina!«

»Ich weiß!« Die attraktive blonde Frau grinste. »Freut mich, Sie kennengelernt zu haben, Zamorra!«

Sie drehte sich um und ging, ohne sich noch einmal umzusehen, zum Gate.

***

Wie ein gehetztes Tier sah Izzy sich um. Das Gate war übervoll. Die meisten Fluggäste vertrieben sich die Zeit bis zum Check-in damit, auf ihren Smartphones oder Laptops rumzutippen. Eltern versuchten, ihre überdrehten Kinder unter Kontrolle zu bekommen, junge Liebespaare mit Rucksäcken schmiegten sich aneinander und freuten sich auf einen romantischen Urlaub.

Von ihm keine Spur. Doch das hieß nicht, dass er nicht da war. Oder einer seiner Freunde.

Eigentlich konnte Arnaud nicht wissen, dass sie ihn verlassen hatte. Doch wenn sie etwas im letzten halben Jahr gelernt hatte, dann, dass Arnaud seine Augen und Ohren überall hatte. Und er hatte sehr viele Kumpels, die immer bereit waren, ihm einen kleinen Dienst zu erweisen.

Izzy spürte, wie sie zitterte, als sie an ihren Freund dachte. Ex-Freund, korrigierte sie sich sofort. Du hast ihn verlassen!

Doch das hatte sie schon so oft getan, und immer wieder war sie zu ihm zurückgekehrt. Die Abhängigkeit von ihm war mindestens so schlimm wie ihr früherer Alkoholismus – sie wusste nicht, welche Sucht die schlimmeren Verwüstungen in ihr angerichtet hatte. Und jetzt, wo sie sich quasi auf Entzug gesetzt hatte, trat die andere, endlich überwunden geglaubte Abhängigkeit umso deutlicher wieder hervor.

Das Verlangen nach einem Bier war fast übermächtig. Krampfhaft hielt sich Izzy an ihrem Kaffeebecher fest und versuchte an etwas anderes zu denken. An das, was vor ihr lag.

Ein kompletter Neuanfang. Mal wieder.

Vor gut einem Jahr war sie schon einmal an einem Wendepunkt gewesen. Oder besser: an einem Endpunkt. Sie hatte schon auf dem Stuhl gestanden, den Strick um den Hals, als etwas passiert war, was sie sich bis heute nicht erklären konnte. Sie hatte eine Art Vision gehabt. Was sie darin gesehen hatte, wusste sie nicht. So intensiv die albtraumhaften Bilder gewesen waren, so schnell waren sie auch wieder verblasst. Doch sie hatten etwas mit ihr gemacht. Sie hatten sie verändert und ihr die Zuversicht gegeben, dass in ihr noch eine andere Izzy existierte als die ewige Loserin, die in jedem Job und jeder Beziehung gescheitert war und außer Saufen und Videospielen nichts auf die Kette bekam.[1]