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Henry Wilt ist Hilfslehrer an einer Berufsschule auf dem platten Lande, beruflich und im Eheleben tritt er auf der Stelle. Der Mittdreißiger hat es seit zehn Jahren mit künftigen Gasinstallateuren, Maurern und Fleischern zu tun, denen er die hohe Literatur näher bringen soll. Daheim erwartet ihn seine Frau Eva, sexuell unbefriedigt und schnell für alle möglichen modischen Ersatzbeschäftigungen zu begeistern: Judo, Töpfern, Meditation. Schließlich, an einem ihrer erträglicheren Tage und durch nie zuvor gehörte Libertinage-Phrasen aufgestachelt, ist sie fest entschlossen zur Emanzipation von ihrem Gatten und lustlosen Bettmuffel. Dass dies Wilt zum Äußersten treibt, ist nur allzu verständlich. Der Pechvogel probt den Aufstand und Mord an einer Sexpuppe, aber das hat äußerst peinliche Nebenwirkungen...
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Seitenzahl: 384
Buch
Henry Wilt ist Hilfslehrer an einer Berufsschule auf dem platten Land, beruflich und im Eheleben tritt er auf der Stelle. Der Mitdreißiger hat es seit zehn Jahren mit künftigen Gasinstallateuren, Maurern und Fleischern zu tun, denen er die hohe Literatur näher bringen soll. Daheim erwartet ihn seine Frau Eva, sexuell unbefriedigt und schnell für alle möglichen modischen Ersatzbeschäftigungen zu begeistern: Judo, Töpfern, Meditation. Schließlich, an einem ihrer erträglicheren Tage und durch nie zuvor gehörte Libertinage-Phrasen aufgestachelt, ist sie fest entschlossen zur Emanzipation von ihrem Gatten und lustlosen Bettmuffel. Dass dies Wilt zum Äußersten treibt, ist nur allzu verständlich. Der Pechvogel probt den Aufstand und Mord an einer Sexpuppe, aber das Ganze hat äußerst peinliche Nebenwirkungen …
Autor
Tom Sharpe wurde 1928 in England geboren, studierte in Cambridge, lernte als Buchhalter, Sozialarbeiter und Fotograf Südafrika kennen, bis er ausgewiesen wurde. Anschließend unterrichtete er als Hilfslehrer an einer Berufsschule in Cambridge, bis ihm der Erfolg seiner Bücher die Freiheit schenkte, mit Frau und drei Töchtern als Schriftsteller zu leben. Er verstarb im Juni 2013 in Spanien.
Tom Sharpe
Puppenmord
oder Bis dass ihr Tod ihn scheidet
Roman
Aus dem Englischen von Benjamin Schwarz
Für Fleisch Eins
Wenn Henry Wilt den Hund zu einem Spaziergang ausführte, oder richtiger, wenn der Hund ihn ausführte, oder um genau zu sein, wenn Mrs. Wilt beiden sagte, sie sollten bloß sehen, dass sie aus dem Hause kämen, damit sie ihre Yogaübungen machen könne, schlug er stets denselben Weg ein. Das heißt, der Hund folgte dem Weg, und Wilt folgte dem Hund. Sie gingen am Postamt vorbei, über den Spielplatz, unter der Eisenbahnbrücke durch und zum Fußweg am Fluss. Eine Meile am Fluss lang, dann wieder unter der Eisenbahn durch und durch Straßen zurück, in denen die Häuser größer als Wilts halbes Doppelhaus, die Bäume und Gärten riesig und alle Autos Rovers und Mercedesse waren. Und hier verrichtete Clem, ein rassereiner Neufundländer mit Stammbaum, der sich in dieser Gegend offenbar heimischer fühlte, sein Geschäft, während Wilt dastand und sich ziemlich nervös umsah, weil er wusste, dass das nicht seine Gegend war, und er doch wollte, sie wäre es. Das war während des Spazierganges ungefähr das einzige Mal, dass er sich überhaupt seiner Umgebung bewusst wurde. Den ganzen übrigen Weg begaben sich seine Gedanken auf die Reise und schlugen Richtungen ein, die mit seinem Äußeren auf dem Weg überhaupt nichts zu tun hatten. Es war eine Reise voller Wunschträume, eine Pilgerfahrt auf den Spuren entfernter Möglichkeiten, wie zum Beispiel, dass Mrs. Wilt für immer verschwände, dass er plötzlich reich und mächtig wär, und was er täte, wenn er zum Erziehungsminister oder, besser noch, zum Premierminister ernannt würde. Zum Teil setzte sich das aus einer Reihe verzweifelter Ausflüchte zusammen, zum Teil aus einem stummen Dialog, sodass jeder, dem Wilt aufgefallen wäre (aber den meisten fiel er nicht auf), hätte bemerken können, wie sich hin und wieder seine Lippen bewegten und sein Mund sich zu einem Lächeln kräuselte, was er albernerweise für sardonisch hielt, während er Streitpunkte erörterte oder mit unglaublicher Schlagfertigkeit Gegenargumente parierte. Und auf einem dieser Spaziergänge, den er nach einem besonders aufreibenden Tag in der Berufsschule im Regen machte, kam Wilt zum ersten Mal der Gedanke, dass sich nur dann seine geheime Hoffnung erfüllen und er sein Leben selber in die Hand nehmen könne, wenn seine Frau irgendein nicht unbedingt zufälliges Unglück ereile.
Wie alles in Henry Wilts Leben war das keine plötzliche Entscheidung. Er war kein entscheidungsfreudiger Mensch. Zehn Jahre als Hilfslehrer (zweiter Klasse) an der Berufsschule für Geisteswissenschaften und Gewerbekunde von Fenland waren dafür der Beweis. Zehn Jahre saß er nun schon in der Abteilung Allgemeinbildung fest und unterrichtete klassenweise Gasinstallateure, Gipser, Maurer und Klempner. Oder hinderte sie am Schwatzen. Und zehn lange Jahre nun schon verbrachte er seine Tage damit, mit zwei Dutzend Exemplaren von ›Söhne und Liebhaber‹ oder Orwells ›Essays‹ oder ›Candide‹ oder ›Der Herr der Fliegen‹ von Klassenzimmer zu Klassenzimmer zu ziehen und sein Menschenmöglichstes zu tun, die Sensibilität von Lehrlingen, die einen Tag für die Schule frei bekamen, zu steigern – mit bemerkenswerter Erfolglosigkeit.
»Das Ausgeliefertsein an die Kultur«, nannte es Mr. Morris, der Leiter der Abteilung Allgemeinbildung, aber von Wilts Warte aus erschien es ihm mehr wie sein persönliches Ausgeliefertsein an die Unkultur, und zweifellos waren die Ideale und Illusionen, die ihn in seinen jungen Jahren bei der Stange gehalten hatten, inzwischen durch seine Erfahrungen zerstört worden. Dasselbe hatten ihm zwölf Jahre Ehe mit Eva eingebracht.
Wenn die Gasinstallateure von der Gefühlsbedeutung zwischenmenschlicher Beziehungen, wie sie in ›Söhne und Liebhaber‹ dargestellt werden, völlig unbeeindruckt und von D. H. Lawrences tiefgründigen Einblicken in die Geschlechtlichkeit des Daseins rüde amüsiert durchs Leben gehen konnten, so war Eva Wilt einer solchen Gleichgültigkeit nicht fähig. Sie kniete sich in kulturelle Aktivitäten und ihre eigene Weiterbildung mit einem Enthusiasmus, der Wilt schwer zu schaffen machte. Schlimmer noch, was sie für Kultur hielt, änderte sich von einer Woche zur anderen und kreiste einmal um Barbara Cartland und Anya Seton, ein andermal um Ouspensky, dann wiederum Kenneth Clark, öfter aber um den Lehrer der Töpfereiklasse am Dienstag oder um den Dozenten für Transzendentale Meditation am Donnerstag, sodass Wilt nie wusste, was ihn zu Hause erwartete, außer einem in Eile gekochten Abendbrot, irgendwelchen eindringlich geäußerten Ansichten über seinen mangelnden Ehrgeiz und einem halb garen intellektuellen Mischmasch, der ihn ratlos machte.
Um der Erinnerung an die Gasinstallateure als angeblich menschliche Wesen und an Eva im Lotussitz zu entfliehen, spazierte Wilt am Fluss entlang und ging dunklen Gedanken nach, die noch dunkler wurden, als ihm zu Bewusstsein kam, dass jetzt das fünfte Jahr hintereinander sein Gesuch, zum Hauptlehrer befördert zu werden, fast sicher abgelehnt werden würde und dass er, wenn er nicht bald was unternähme, den Rest seines Lebens zu Gasinstallateuren III und Gipsern II – und zu Eva – verdonnert wäre. Die Aussicht war unerträglich. Er würde entschlossen handeln. Über ihm donnerte ein Zug vorbei. Wilt beobachtete die entschwindenden Lichter und dachte über die Möglichkeit von Unfällen an unbeschrankten Bahnübergängen nach.
»Er benimmt sich im Augenblick so komisch«, sagte Eva Wilt, »ich weiß gar nicht, was ich von ihm halten soll.«
»Ich habe es bei Patrick aufgegeben«, sagte Mavis Mottram und musterte kritisch Evas Vase. »Ich denke, ich rücke die Lupine ein Millimeterchen weiter nach links. Da steigert sie die orchestrale Wirkung der Rose. Nun die Iris hier herüber. Man muss versuchen, gewissermaßen eine hörbare Wirkung der gegensätzlichen Farben zu erzielen. Kontrapunktisch, könnte man sagen.«
Eva nickte und seufzte. »Er war immer so aktiv«, sagte sie, »aber jetzt sitzt er bloß im Hause rum und sieht fern. Das Einzige, wozu ich ihn noch kriege, ist, dass er mit dem Hund spazieren geht.«
»Wahrscheinlich fehlen ihm Kinder«, sagte Mavis, »ich weiß, bei Patrick ist es so.«
»Darum haben wir ja keine«, sagte Eva bitter, »weil Henry sich nicht mal dazu aufraffen kann.«
»Tut mir Leid, Eva. Ich hab nicht dran gedacht«, sagte Mavis und stellte die Lupine so um, dass sie sich wirkungsvoller gegen eine Geranie abhob.
»Das braucht dir nicht Leid zu tun«, sagte Eva, die Selbstmitleid nicht zu ihren Fehlern zählte, »ich sollte vielleicht lieber dankbar sein. Ich meine, stell dir vor, ich hätte Kinder wie Henry. Er ist so unkünstlerisch, und Kinder sind außerdem so hinderlich. Sie beanspruchen deine ganze schöpferische Kraft.«
Mavis Mottram zog weiter, um jemand anderem dabei behilflich zu sein, eine kontrapunktische Wirkung zu erzielen, diesmal mit Brunnenkresse und Stockrosen in einer kirschroten Schale. Eva fummelte mit ihrer Rose herum. Was für ein Glück Mavis hatte. Sie hatte Patrick, und Patrick Mottram war so ein aktiver Mann. Eva legte trotz ihres Riesenwuchses größten Wert auf Aktivität, Aktivität und Kreativität, sodass selbst wirklich verständnisvolle Leute, die nicht besonders leicht zu beeindrucken waren, sich nach zehn Minuten in ihrer Gesellschaft total ausgelaugt fühlten. Sie bekam es fertig, in ihrem Yogakurs sogar im Lotussitz Aktivität auszustrahlen, und ihre Versuche bei der Transzendentalen Meditation hatte jemand mit einem Dampfkochtopf unter Druck verglichen. Und mit der schöpferischen Aktivität kam die Begeisterung, diese fieberhafte Begeisterung der sichtlich unerfüllten Frau, der jede neue Idee den Anbruch eines neuen Tages verkündete und umgekehrt. Aber weil die Ideen, für die sie eintrat, banal oder ihr unverständlich waren, war die Begeisterung entsprechend kurz und half nicht, die Lücke zu füllen, die Henry Wilts Versagen in ihr Leben gerissen hatte. Während er in seiner Fantasie ein leidenschaftliches Leben führte, lebte Eva, der jegliche Fantasie abging, wirklich leidenschaftlich. Sie stürzte sich auf Dinge, Situationen, neue Freunde, Leute und Ereignisse mit einer hemmungslosen Unbekümmertheit, die den Umstand verbarg, dass sie nicht genug Gefühlsbeständigkeit besaß, um länger als einen Augenblick durchzuhalten. Als sie jetzt von ihrer Vase zurücktrat, prallte sie gegen jemanden hinter sich.
»Bitte um Entschuldigung«, sagte sie und drehte sich um. Sie blickte in zwei dunkle Augen.
»Da gibt’s nichts zu entschuldigen«, sagte die Frau mit amerikanischem Akzent. Sie war schlank und in dem schlichten Gammellook gekleidet, der für Eva Wilts bescheidene Einkünfte nicht erreichbar war.
»Ich bin Eva Wilt«, sagte Eva, die einmal in der Volkshochschule in Oakrington einen Kursus ›Wie lerne ich Leute kennen?‹ besucht hatte. »Mein Mann unterrichtet an der Berufsschule, und wir wohnen in der Parkview Avenue 34.«
»Sally Pringsheim«, sagte die Frau mit einem Lächeln. »Wir wohnen im Rossiter Grove. Wir sind zu einem Forschungssemester in Europa. Gaskell ist Biochemiker.«
Eva Wilt schluckte die Unterschiede und gratulierte sich zu ihrem hellen Köpfchen wegen Sally Pringsheims Bluejeans und Wolljacke. Leute, die im Rossiter Grove wohnten, standen eine ganze Stufe über denen in der Parkview Avenue, und Gatten, die Biochemiker auf Forschungssemester waren, lehrten natürlich an der Universität. Evas Welt bestand aus solchen feinen Unterscheidungen.
»Wissen Sie, ich bin da nicht so sicher, ob ich mit einer orchestralen Rose leben könnte«, sagte Sally Pringsheim. »Im Konzertsaal find ich Symphonien okay, aber in Vasen komme ich ohne aus.«
Eva starrte sie mit einer Mischung aus Staunen und Bewunderung an. Mavis Mottrams Blumenarrangements offen zu kritisieren, war in der Parkview Avenue glatte Gotteslästerung. »Wissen Sie, ich wollte das auch schon immer sagen«, sagte sie in einer plötzlichen Wallung von Herzenswärme, »aber ich habe mich nie getraut.«
Sally Pringsheim lächelte. »Meiner Meinung nach sollte man immer sagen, was man denkt. Die Wahrheit ist für jede Beziehung von wirklicher Bedeutung so wesentlich. Ich sage G-Baby immer genau, was ich denke.«
»Gee-Baby?«, sagte Eva Wilt.
»Gasken, mein Mann«, sagte Sally. »Nicht, dass er so ein richtiger normaler Ehemann wäre. Wir haben halt vereinbart, vorläufig zusammenzuleben. Klar, wir haben ’n Trauschein und den ganzen Quark, aber meiner Meinung nach ist es in sexueller Hinsicht wichtig, sich seine Wahlmöglichkeiten offen zu halten, nicht?«
Als Eva nach Hause kam, hatte sich ihr Wortschatz um ein paar neue Wörter erweitert. Wilt lag im Bett und tat, als ob er schliefe, aber sie machte ihn wach und erzählte ihm von Sally Pringsheim. Wilt drehte sich auf die andere Seite, versuchte weiterzuschlafen und wünschte sich beim Himmel, sie wäre bei ihren kontrapunktischen Blumensträußen geblieben. Vorläufige frei schwebende sexuelle Wahlmöglichkeiten waren gerade jetzt das Letzte, was er brauchte, und dass sie von der Frau eines Biochemikers kamen, der es sich leisten konnte, im Rossiter Grove zu wohnen, verhieß für die Zukunft nichts Gutes. Eva Wilt war von Reichtum, Geistesgaben und neuen Bekanntschaften zu leicht zu beeindrucken, als dass man ihr den Umgang mit einer Frau erlauben durfte, die meinte, die klitorale Stimulation auf orale Weise sei einfach ein Begleitumstand total emanzipierter Beziehungen, und die Gleichgeschlechtlichkeit werde sich bestimmt einbürgern. Wilt hatte schon genug Kummer mit seiner eigenen Männlichkeit, auch wenn Eva nicht verlangte, dass ihre ehelichen Rechte oral ergänzt würden. Er verbrachte eine ruhelose Nacht voller pechschwarzer Grübeleien über Unfalltodesursachen, die um Schnellzüge, unbeschrankte Bahnübergänge, ihren Ford Escort und Evas Sicherheitsgurt kreisten, dann stand er zeitig auf und machte sich selber das Frühstück. Er wollte gerade zum 9-Uhr-Unterricht der Autoschlosser III losfahren, als Eva mit verträumter Miene die Treppe herunterkam.
»Mir ist gerade was eingefallen, was ich dich gestern Abend schon fragen wollte«, sagte sie. »Was heißt eigentlich ›Transsexuelle Diversifikation‹?«
»Schwule Verse machen«, sagte Wilt schnell und ging zum Auto hinaus. Er fuhr die Parkview Avenue hinunter und blieb im Kreisverkehr in einem Stau stecken. Er saß da und fluchte leise vor sich hin. Er war vierunddreißig und hatte seine Gaben an KFZ III und eine Frau zu vergeuden, die bildungsmäßig klar unterbelichtet war. Was aber das Schlimmste war, er musste sich eingestehen, dass Eva Recht hatte mit ihrem dauernden Gemäkele, dass er kein Mann sei. »Wenn du ein richtiger Mann wärst«, sagte sie immer, »zeigtest du mehr Willensstärke. Du musst entschieden auftreten.«
Wilt trat in dem Kreisverkehr entschieden auf und kriegte Krach mit einem Mann in einem Minibus. Wie üblich schnitt er als Zweiter Sieger ab.
»So wie ich das Problem mit Wilt sehe, fehlt es ihm an Schwung«, sagte der Leiter der Englischabteilung, selbst ein schwungloser Mann mit der Neigung, Probleme mit einer gewissen Doppeldeutigkeit zu betrachten und zu lösen, die seinen angeborenen Mangel an Autorität ausglich.
Die Beförderungskommission nickte nun schon das fünfte Jahr hintereinander einstimmig mit den Köpfen.
»Es mag ihm ja an Schwung fehlen, aber er setzt sich doch ein«, sagte Mr. Morris, der sich wieder sein alljährliches Rückzugsgefecht zu Gunsten von Wilt lieferte.
»Setzt sich ein?«, schnaubte der Leiter der Nahrungsmittelkunde. »Setzt sich ein wofür? Für die Abtreibung, den Marxismus oder die wilde Ehe? Eins von den Dreien ist es auf jeden Fall. Ich bin noch keinem Lehrer der Allgemeinbildung über den Weg gelaufen, der kein Spinner, Perverser oder rot glühender Revoluzzer gewesen wäre, und ein Gutteil war alles auf einmal.«
»Hört, hört«, sagte der Leiter des Maschinenbaus, auf dessen Drehbänken mal ein durchgeknallter Student mehrere Rohrbomben gedreht hatte.
Mr. Morris setzte sich zur Wehr. »Ich gebe zu, dass ein oder zwei Lehrer politisch ein bisschen … äh … übereifrig gewesen sind, aber mich ärgert die Beschuldigung, dass …«
»Lassen wir doch das Allgemeine und kommen wir wieder auf Wilt zurück«, sagte der Stellvertretende Direktor. »Sie sagten eben, er setze sich ein.«
»Er braucht eine Ermunterung«, sagte Mr. Morris. »Meine Güte, der Mann ist jetzt zehn Jahre bei uns und immer noch bloß Hilfslehrer.«
»Genau das meine ich ja mit seinem fehlenden Schwung«, sagte der Leiter der Englischabteilung. »Wenn er die Beförderung verdient hätte, wäre er mittlerweile längst Hauptlehrer.«
»Ich muss sagen, ich bin derselben Ansicht«, sagte der Leiter der Geografie. »Jeder, der bereit ist, sich zehn Jahre mit Gasinstallateuren und Klempnern herumzuschlagen, ist offenbar ungeeignet, einen Verwaltungsposten zu bekleiden.«
»Müssen wir denn immer einzig und allein aus Verwaltungsgründen befördern?«, fragte Mr. Morris müde. »Wilt ist zufällig ein guter Lehrer.«
»Wenn ich nur eben eine Feststellung machen darf«, sagte Dr. Mayfield, der Leiter der Soziologie, »in diesem Augenblick wird es langsam zu bedenken unumgänglich, dass angesichts der bevorstehenden Einführung des neuen Unterrichtszweiges ›Städtebau und Dichtung des Mittelalters‹, dessen vorläufige Genehmigung durch den Rat Nationaler Wissenschaftlicher Entscheidungen wenigstens prinzipiell in Aussicht stellen zu dürfen ich mich glücklich schätze, man besser eine stabile Lehrkörpersituation hinsichtlich der Hauptlehrerstellen aufrechterhalten sollte, indem man die Stellen Kandidaten mit Spezialkenntnissen in besonderen Bereichen akademischer Forschung zuweist, als dass man …«
»Wenn ich eben mal für einen Moment unterbrechen darf, ob nun zur rechten Zeit oder nicht«, sagte Dr. Board, der Leiter der Modernen Fremdsprachen, »so wollen Sie damit sagen, wir sollten die Hauptlehrerstellen lieber hoch qualifizierten Spezialisten vorbehalten, die nicht unterrichten können, als Hilfslehrer ohne Doktortitel zu befördern, die es können?«
»Wenn Dr. Board mir fortzufahren gestattet hätte«, sagte Dr. Mayfield, »hätte er dem entnehmen können, dass ich zu sagen im Begriff …«
»Das bezweifle ich«, sagte Dr. Board, »von ihrem Satzbau mal ganz abgesehen …«
Und so wurde nun schon das fünfte Jahr hintereinander Wilts Beförderung vergessen. Die Berufsschule für Geisteswissenschaften und Gewerbekunde von Fenland wuchs. Immer neue Leistungskurse sprossen aus der Erde, und immer mehr Schüler mit immer weniger Voraussetzungen strömten heran, um von immer mehr Lehrern mit immer größeren Fähigkeiten unterrichtet zu werden, bis eines Tages die Berufsschule nicht mehr bloß einfach eine Berufsschule sein, sondern sich zu einer Berufsfachschule mausern würde. Das war der Traum jedes Abteilungsleiters, und dabei blieben Wilts Selbstachtung und Eva Wilts Hoffnungen auf der Strecke.
Wilt erfuhr die Neuigkeit vor dem Mittagessen in der Kantine.
»Tut mir Leid, Henry«, sagte Mr. Morris, als sie sich mit ihren Tabletts in die Schlange stellten, »das ist diese verdammte miserable Wirtschaftslage. Sogar die Modernen Fremdsprachen mussten eine Kürzung schlucken. Sie haben bloß zwei Beförderungen durchgebracht.«
Wilt nickte. So hatte er es kommen sehen. Er war in der verkehrten Abteilung, in der verkehrten Ehe und im verkehrten Leben. Er trug seine Fischstäbchen zu einem Tisch in der Ecke hinüber und aß allein. Um ihn herum erörterten andere Kollegen aus dem Lehrkörper ihre Aufstiegsaussichten und wer im nächsten Jahr im Schulausschuss säße. Sie gaben Mathe, Wirtschaftskunde oder Englisch, Fächer, die etwas galten und wo Beförderung was Leichtes war. Allgemeinbildung galt nichts, und Beförderung kam nicht in Frage. So einfach war das. Wilt aß zu Ende und ging zu den Nachschlagewerken hinauf, um im Arzneiregister unter Insulin nachzusehen. Er hatte eine Ahnung, als sei das das einzige nicht nachweisbare Gift.
Um fünf vor zwei und keine Spur klüger ging er hinunter in den Raum 752, um die Sensibilität von fünfzehn Fleischerlehrlingen zu steigern, auf dem Stundenplan als Fleisch I bezeichnet. Wie üblich kamen sie zu spät und betrunken.
»Wir haben auf Bills Gesundheit angestoßen«, erklärten sie ihm, als sie zehn nach zwei eintrudelten.
»Ach ja?«, sagte Wilt und teilte die Exemplare von ›Der Herr der Fliegen‹ aus. »Und wie geht’s ihm?«
»Verdammt beschissen«, sagte ein feister Jüngling, der quer über den Rücken seiner Lederjacke ›Immergeil‹ stehen hatte. »Er kotzt sich die Därme aus ’m Hals. Er hat Geburtstag und hat sich vier Wodka und ’ne Piccolo genehmigt …«
»Wir waren da stehen geblieben, wo Piggy im Wald ist«, sagte Wilt, um sie von der Diskussion darüber abzulenken, was Bill an seinem Geburtstag getrunken hatte. Er langte nach einem Lappen und wischte die Zeichnung eines Kondoms von der Tafel. »Das ist Mr. Sedgwicks Firmenzeichen«, sagte einer der Fleischer, »der quatscht immer über Verhütungsmittel und so. Der hat da ’n richtiges Ding am Laufen.«
»Ein Ding am Laufen?«, sagte Wilt unschuldig.
»Sie wissen doch, Geburtenkontrolle. Na ja, er war doch immer so katholisch, nich? Und nu is er’s nich mehr und holt alles nach«, sagte ein kleiner blasser Bursche und wickelte einen Riegel Mars aus.
»Jemand sollte ihm mal was von der Pille verklickern«, sagte ein anderer Junge und hob verdöst den Kopf vom Pult. »Mit ’m Pariser fühlst du nich die Bohne. ’s kribbelt besser mit der Pille.«
»Das tut’s wahrscheinlich«, sagte Wilt, »aber soweit ich weiß, gibt es Nebenwirkungen.«
»Kommt drauf an, was Ihnen lieber ist«, sagte ein Typ mit Backenbart.
Widerstrebend kehrte Wilt zum ›Herrn der Fliegen‹ zurück. Er hatte das Zeug schon zweihundertmal gelesen.
»Also Piggy geht jetzt in den Wald …«, begann er, wurde aber wieder von einem anderen Fleischer unterbrochen, der Wilts Abneigung gegen Piggys Unglück offensichtlich teilte.
»Bei der Pille gibt’s nur schlechte Nebenwirkungen, wenn man welche nimmt, wo viel Östrogen drin ist.«
»Das ist ja sehr interessant«, sagte Wilt. »Östrogen? Du weißt wohl allerhand darüber.«
»’ne alte Schrippe in unserer Straße hat ein Blutgerinnsel im Bein gekriegt …«
»Ach du dummes olles Gerinnsel«, sagte der Marsriegel.
»Hört mal her«, sagte Wilt. »Entweder lassen wir uns jetzt von Peter erzählen, was er über die Auswirkungen der Pille weiß, oder wir machen mit Piggy weiter.«
»Scheiß Piggy«, sagte der Backenbart.
»Sehr richtig«, sagte Wilt aus vollem Herzen, »drum seid still.«
»Na ja«, sagte Peter, »diese alte Schrippe, na ja, sie war nicht so richtig alt, vielleicht dreißig, sie hat die Pille genommen und dann hat sie dieses Blutgerinnsel gekriegt, und der Doktor hat zu meiner Tante gesagt, es wär das Östrogen, und sie sollte lieber ’ne andere Sorte Pillen nehmen, bloß für den Fall, und die Olle in unserer Straße, ihr Oller musste hin und sich sterilisieren lassen, damit sie nicht noch mal ’n Blutgerinnsel kriegt.«
»Ich würde Scheiße schreien, wenn mir jemand sagen würde, ich sollte mir was wegschnippeln lassen«, sagte der Marsriegel, »ich will wissen, dass ich voll da bin.«
»Wir haben ja alle unseren Ehrgeiz«, sagte Wilt.
»Mir säbelt niemand mit so ’nem scheißgroßen Messer meine Klöten weg«, sagte der Backenbart.
»Dir langt da sowieso keiner hin«, sagte ein anderer.
»Was ist denn mit dem Schwanz, dem du die Olle gebumst hast«, sagte der Marsriegel. »Ich wette, der hätte nichts gegen einen Versuch.«
Wilt drohte wieder mit Piggy als Strafe und brachte sie auf das Sterilisieren zurück.
»Jedenfalls ist es nicht mehr für immer«, sagte Peter. »Sie können dir ’n winzigen goldenen Wasserhahn reinmachen, und den kannste aufdrehen, wenn du ’n kleinen Schreihals haben willst.«
»Ach komm! Das ist doch nicht wahr.«
»Na ja, auf Krankenschein kannste’s nich, aber wenn de zahlst, können se. Ich hab’s in ’ner Illustrierten gelesen. Sie haben in Amerika Versuche gemacht.«
»Und was ist, wenn die Dichtung kaputtgeht?«, fragte der Marsriegel.
»Ich schätze, dann holt man ’n Klempner.«
Wilt saß und hörte zu, wie Fleisch I sich lang und breit über das Sterilisieren und die Spirale ausließ, über Inder, die gratis Transistorradios bekämen, das Flugzeug, das in Audley End mit einer Menge illegaler Einwanderer gelandet war, und was jemandes Bruder, der Polizist in Brixton war, über die Schwarzen sagte, und dass die Iren genauso schlecht wären, und die Bomben und wieder zurück zu den Katholiken und der Geburtenkontrolle, und wer wollte schon in Irland leben, wo man nicht mal Pornos kaufen könne, und so wieder zurück zur Pille. Und die ganze Zeit kamen ihm zwanghaft Mittel und Wege in den Sinn, Eva loszuwerden. Eine Diät mit Antibabypillen mit hohem Östrogengehalt? Wenn er sie zerkleinerte und in die Ovomaltine mischte, die sie vor dem Schlafengehen trank, bestand Aussicht, dass sich in Nullkommanichts überall Blutgerinnsel bildeten. Wilt schlug sich den Gedanken aus dem Kopf. Eva mit Blutgerinnseln war für ihn schwer zu verkraften, und wahrscheinlich würde es sowieso nicht klappen. Nein, es müsste etwas Schnelles, Sicheres und Schmerzloses sein. Am besten ein Unfall.
Am Schluss der Stunde sammelte Wilt die Bücher ein und ging ins Lehrerzimmer zurück. Er hatte eine Freistunde. Auf dem Weg kam er an der Baustelle des neuen Verwaltungsblocks vorbei. Man hatte das Gelände gerodet, und nun waren die Bauarbeiter da und bohrten die Löcher für die Pfeiler des Fundaments. Wilt blieb stehen und sah zu, wie sich der Bohrer langsam in die Erde fraß. Sie machten große Löcher. Sehr große. Groß genug für eine Leiche.
»Wie tief gehen Sie?«, fragte er einen der Arbeiter.
»Zehn Meter.«
»Zehn Meter?«, sagte Wilt. »Wann kommt der Beton rein?«
»Montag, mit ’m bisschen Glück«, sagte der Mann.
Es war einer von Eva Wilts besseren Tagen. Für sie gab es ›halt so Tage‹, bessere Tage und ›diese Tage da‹. ›Halt so Tage‹ waren eben halt so Tage, wenn nichts schief ging und sie es schaffte, das Geschirr zu spülen und das Zimmer vorn zu saugen und die Fenster zu putzen und die Betten zu machen und das Bad mit Vim zu scheuern und Harpic ins Klobecken zu streuen, und wenn sie dann ins Gemeindezentrum ›Harmonie‹ rüberging und beim Fotokopieren half oder alte Kleider zum Verramschen sortierte und sich überhaupt nützlich machte und zum Mittagessen nach Hause kam und dann zur Bücherei ging und bei Mavis oder Susan oder Jean Tee trank und sich über das Leben unterhielt und wie selten Henry momentan auch nur auf die Schnelle mit ihr schliefe und wie sie ihre Chance verpasst habe, als sie diesem Bankbeamten, der jetzt Direktor sei, einen Korb gegeben habe, und wenn sie dann nach Hause kam und Henry das Abendbrot machte und noch mal zum Yoga oder Blumenstecken oder Meditieren oder Töpfern wegging und schließlich mit dem Gefühl ins Bett stieg, was geschafft zu haben.
An einem von ›diesen Tagen da‹ dagegen klappte nichts. Die Tätigkeiten waren genau dieselben, aber jede Einzelheit wurde ihr durch irgendein kleineres Missgeschick vergällt, wie zum Beispiel, dass die Sicherung im Staubsauger durchbrannte oder ein Stück Mohrrübe den Abfluss im Spülbecken verstopfte, sodass Henry, wenn er nach Hause kam, entweder mit Schweigen begrüßt oder mit einer völlig ungerechtfertigten Aufzählung aller seiner Fehler und Schwächen überfallen wurde. An einem von ›diesen Tagen da‹ nahm Wilt normalerweise den Hund auf einen ausführlichen Spaziergang mit, der ihn unter anderem zur Gaststätte ›Am Fährweg‹ führte, und verbrachte eine ruhelose Nacht mit Aufstehen und ins Bad müssen, womit er die Reinigungskräfte des Harpic zunichte machte, das Eva in alle Winkel des Klobeckens gestäubt hatte, und ihr so einen willkommenen Vorwand lieferte, am nächsten Morgen noch mal seine Fehler anzuprangern.
»Zum Kuckuck, was soll ich denn bloß machen?«, hatte er nach einer dieser Nächte gefragt. »Wenn ich die Spülung ziehe, bist du sauer, weil ich dich damit geweckt habe, und wenn ich’s nicht tue, sagst du, es sieht morgens so eklig aus.«
»Na, das tut’s ja auch, und sowieso brauchst du nicht das ganze Harpic von den Seiten wegzustrullern. Und sag bloß nicht, das tätest du nicht. Ich habe dich dabei beobachtet. Du zielst rundherum drauf, sodass alles weggespült wird. Du machst das richtig absichtlich.«
»Wenn ich die Spülung ziehe, würde’s eh alles wegschwemmen und dich obendrein auch noch wecken«, sagte Wilt, wohl wissend, dass er sich wirklich angewöhnt hatte, auf das Harpic zu zielen. Er hatte was gegen das Zeug.
»Warum kannst du nicht einfach bis zum Morgen warten? Und überhaupt geschieht dir ganz recht«, fuhr sie fort, um der Antwort, die sie erwartete, zuvorzukommen, »wenn du so viel Bier trinkst. Du sollst Clem ausführen und nicht Bier saufen in dieser ekelhaften Pinte.«
»Pipi oder nicht Pipi, das ist hier die Frage«, sagte Wilt und tat sich Müsli auf. »Was erwartest du von mir? Dass ich mir einen Knoten in das verdammte Ding mache?«
»Das würde mir auch nichts ausmachen«, sagte Eva bitter.
»Mir würde das aber verdammt noch mal ’ne ganze Menge ausmachen, na, besten Dank.«
»Ich sprach von unserem Sexualleben, das weißt du genau.«
»Ach so«, sagte Wilt.
Aber das war an einem von ›diesen Tagen da‹.
An einem ihrer besseren Tage geschah irgendwas Unerwartetes, das das tägliche Einerlei mit neuem Sinn erfüllte und die in ihr schlummernden Hoffnungen erweckte, dass sich plötzlich alles irgendwie zum Besseren wendete und auch so bliebe. Diese Hoffnungen waren es, auf denen ihre Lebenszuversicht beruhte. Sie waren der geistige Ausgleich für die geistlosen Tätigkeiten, die sie in Anspruch nahmen und Henry nervten. An einem ihrer besseren Tage schien die Sonne strahlender, der Boden in der Diele leuchtete strahlender und Eva Wilt selber war strahlender zu Mute, und sie summte: »›Du sollst der Kaiser meiner Träume sein‹ …«, während sie die Treppe staubsaugte. An einem ihrer besseren Tage trat sie der Welt mit einer entwaffnenden Gutmütigkeit gegenüber, die in anderen Menschen genau dieselben Hoffnungen erweckte, die Eva erbeben ließen. An einem ihrer besseren Tage musste Henry für sein Abendbrot selber sorgen und blieb, wenn er klug war, so lange wie möglich von zu Hause weg. Eva Wilts Hoffnungen ersehnten sich etwas sehr viel Anregenderes als Henry Wilt nach einem Tag Berufsschule. Und am Abend solcher Tage geschah es dann, dass er wirklich fast so weit war, sie umzubringen, und zum Teufel mit allem, was danach kam.
An diesem speziellen Tag war sie auf dem Weg zum Gemeindezentrum, als sie zufällig Sally Pringsheim traf. Es war eine dieser rein zufälligen Begegnungen, die nur dadurch zu Stande kam, dass Eva den Weg zu Fuß statt mit dem Fahrrad machte und durch den Rossiter Grove statt einfach die Parkview Avenue langging, was eine halbe Meile kürzer gewesen wäre. Sally kam gerade in einem Mercedes mit P-Kennzeichen aus dem Tor, das hieß, der Wagen war nagelneu. Eva bemerkte es und lächelte entsprechend.
»Wie ulkig, dass ich Sie gerade hier treffe«, sagte sie strahlend, als Sally hielt und den Schlag öffnete.
»Kann ich Sie ein Stück mitnehmen? Ich fahre gerade in die Stadt, um nach ’ner netten Kleinigkeit zu sehen, die ich heute Abend anziehe. Gaskell hat irgendso ’n schwedischen Professor aus Heidelberg zu Besuch, und wir wollen mit ihm ins ›Ma Tante‹.«
Eva Wilt stieg erfreut ein, in Gedanken taxierte sie den Preis des Wagens und des Hauses und die Wichtigkeit, eine nette Kleinigkeit ins ›Ma Tante‹ anzuziehen (wo, wie sie gehört hatte, Vorgerichte wie Garnelencocktails fast ein Pfund kosteten) und die Tatsache, dass Dr. Pringsheim schwedische Professoren ausführte, wenn sie nach Ipford kamen.
»Ich wollte gerade in die Stadt laufen«, schwindelte sie, »Henry hat sich den Wagen genommen, und es ist so ein herrlicher Tag.«
»Gasken hat sich ein Fahrrad gekauft. Er sagt, das geht schneller und hält ihn fit«, sagte Sally, womit sie Henry Wilt zu einem weiteren Missgeschick verurteilte. Eva nahm sich vor, dafür zu sorgen, dass Henry sich auf der Polizeiauktion ein Fahrrad kaufte und bei Wind und Wetter zum Dienst führe. »Ich habe gedacht, ich versuch’s mal bei ›Felicity Moden‹ mit einem Seidenponcho. Ich weiß nicht, wie die sind, aber ich habe gehört, die sollen gut sein. Professor Grants Frau kauft dort, und sie sagt, sie haben die größte Auswahl.«
»Da bin ich sicher«, sagte Eva Wilt, deren Verbindung zu ›Felicity Moden‹ darin bestand, ins Schaufenster zu gucken und sich zu fragen, wer in aller Welt sich Kleider für vierzig Pfund leisten könne. Jetzt wusste sie es. Sie fuhren in die Stadt und parkten im Parkhochhaus. In der Zwischenzeit hatte Eva eine Menge weiterer Informationen über die Pringsheims in ihrem Gedächtnis gespeichert. Sie kamen aus Kalifornien. Sally war Gaskell begegnet, als sie durch Arizona trampte. Sie war an der Universität von Kansas gewesen, hatte aber das Studium geschmissen, um in einer Kommune zu leben. Es hatte schon andere Männer in ihrem Leben gegeben. Gaskell mochte keine Katzen. Er kriegte davon Heuschnupfen. Die Befreiung der Frau bedeutete mehr, als den BH ins Feuer zu schmeißen. Sie bedeutete, sich dem Programm der Überlegenheit der Frau über den Mann total zu verschreiben. Liebe war was Tolles, solange man sie nicht an sich ran ließ. Naturdünger war in und Farbfernsehen out. Gaskells Vater hatte eine Ladenkette besessen, die ausbeuterisch gewesen war. Geld war praktisch und Rossiter Grove öde. Vor allem musste Ficken Spaß machen, das musste es einfach, wie man’s auch immer ansah.
Eva Wilt versetzte diese Mitteilung in Hochspannung. In ihren Kreisen war ›Fick‹ ein Wort, das die Männer gebrauchten, wenn sie beim Bier mit ihrer Potenz prahlten. Wenn Eva es benutzte, dann tat sie es in der Abgeschiedenheit des Badezimmers und mit einer sehnsüchtigen Nachdenklichkeit, die ihm seine Grobheit nahm und es mit herrlicher Kraft erfüllte, sodass ein guter Fick zur entferntesten und abstraktesten aller Hoffnungen wurde und mit Henrys gelegentlichem Morgengefummele überhaupt nichts zu tun hatte. Und wenn ›Fick‹ dem Badezimmer vorbehalten war, dann war Ficken was noch Ungewöhnlicheres. Es verhieß eine geradezu immer währende Betätigung, was ganz Ungeniertes, das so lässig wie befriedigend war und dem Leben eine neue Dimension verlieh. Eva Wilt stolperte aus dem Auto und folgte Sally im Zustand höchster Erregung in die ›Felicity Moden‹.
Wenn Ficken Spaß machte, dann war mit Sally Pringsheim einzukaufen eine Offenbarung. Das ging mit einer Entschlossenheit vonstatten, die wirklich atemberaubend war. Wo Eva gezögert und gezaudert hätte, da entschied Sally, und hatte sie entschieden, so tigerte sie weiter an den Kleiderstangen entlang, ließ Sachen, die ihr nicht gefielen, über Stühlen hängen, griff zu anderen, warf einen Blick drauf und sagte mit einer gelangweilten Zustimmung, die einfach ansteckend war, sie reichte wahrscheinlich zu diesem Anlass, und verließ den Laden mit einem Stapel Schachteln mit Schantungponchos, seidenen Sommermänteln, Schals und Blusen im Wert von zweihundert Pfund. Eva hatte siebzig ausgegeben, und zwar für einen gelben Hausanzug und einen Regenmantel mit Aufschlägen und Gürtel, der, wie Sally sagte, hundert Prozent Gatsby war.
»Jetzt brauchen Sie nur noch den Hut, dann sind Sie’s«, sagte sie, als sie die Schachteln im Wagen verstauten. Sie kauften den Hut, einen weichen Schlapphut, und gingen dann ins ›Café Mombasa‹ Kaffee trinken, wo Sally, eine lange dünne Zigarre rauchend, sich angeregt über den Tisch lehnte und so laut über Körperberührung redete, dass Eva bemerkte, wie die Frauen an verschiedenen Tischen in der Nähe aufhörten, sich zu unterhalten, und ziemlich missbilligend zuhörten.
»Gaskells Brustwarzen machen mich ganz wild«, sagte Sally, »sie machen auch ihn ganz wild, wenn ich dran nuckele.«
Eva trank ihren Kaffee und fragte sich, was Henry wohl täte, wenn sie sich einfallen ließe, an seinen Brustwarzen zu nuckeln. Ihn wild machen, war wohl kaum das richtige Wort, und außerdem bereute sie langsam, siebzig Pfund ausgegeben zu haben. Das würde ihn ebenfalls wild machen. Henry hielt nichts von Kreditkarten. Aber sie hatte zu viel Spaß, als dass sie sich vom Gedanken an seine Reaktion den Tag vermiesen lassen wollte.
»Ich finde, die Nippel sind so wichtig«, fuhr Sally fort. Am Nebentisch zahlten zwei Frauen und gingen.
»Das mag ja sein«, sagte Eva Wilt verlegen, »aber ich habe mit meinen nie viel anfangen können.«
»Wirklich nicht?«, sagte Sally. »Dagegen müssen wir aber was tun.«
»Ich glaube nicht, dass irgendjemand viel dagegen tun kann«, sagte Eva. »Henry zieht seinen Schlafanzug nie aus, und bei mir ist das Nachthemd im Wege.«
»Erzählen Sie mir nicht, Sie haben im Bett was an. O Gott, Sie armes Ding. Und Nachthemden, lieber Himmel, wie demütigend für Sie! Ich finde, das ist typisch für eine von Männern beherrschte Gesellschaft, diese ganzen Kleiderunterschiede. Sie müssen ja an einem Streicheldefizit leiden. Gaskell sagt, das ist genauso schlimm wie Vitaminmangel.«
»Ach Gott, Henry ist halt immer müde, wenn er nach Hause kommt«, sagte Eva. »Und ich gehe viel aus.«
»Das überrascht mich nicht«, sagte Sally, »Gaskell meint, die Erschöpfung des Mannes ist ein Zeichen von Penisunsicherheit. Ist Henrys groß oder klein?«
»Gott, das kommt drauf an«, sagte Eva heiser, »manchmal ist er groß und manchmal nicht.«
»Ich mag Männer mit kleinen viel lieber«, sagte Sally, »sie geben sich viel mehr Mühe.«
Sie tranken ihren Kaffee aus und gingen zum Auto zurück, während sie über Gaskells Penis und seine Theorie diskutierten, in einer sexuell ungeschiedenen Gesellschaft werde die Stimulierung der Brustwarzen eine zunehmend wichtige Rolle bei der Entwicklung des Gefühls des Mannes für seine hermaphroditische Natur spielen.
»Gaskell hat darüber einen Artikel geschrieben«, sagte Sally, als sie nach Hause fuhren, »der heißt ›Der Mann als Mutter‹. Er ist letztes Jahr in ›Leck mich‹, erschienen.«
»Leck mich?«, sagte Eva.
»Ja, das ist eine Zeitschrift, die von der Gesellschaft zur Erforschung ganzheitlicher Sexualität in Kansas herausgegeben wird. G hat viel über Tierverhalten für sie gearbeitet. Er hat da seine Doktorarbeit über das Rollenspiel bei Ratten geschrieben.«
»Das klingt aber sehr interessant«, sagte Eva unsicher. Rolle oder rollen? Egal, was es war, es war imponierend, und natürlich reichten Henrys gelegentliche Aufsätzchen über ›Der Berufsschulanfänger und die Literatur‹ in der ›Allgemeinwissenschaftlichen Vierteljahresschrift‹, schwerlich an Dr. Pringsheims Untersuchungen heran.
»Ach, ich weiß nicht. Das ist doch wirklich alles so wasserklar. Wenn man zwei männliche Ratten lange genug in einen Käfig steckt, muss eine einfach unweigerlich aktive Neigungen entwickeln und die andere passive«, sagte Sally gelangweilt. »Aber Gaskell war furchtbar wütend. Er dachte, sie müssten sich abwechseln. Das ist typisch G. Ich sagte zu ihm, wie albern er wär. Ich sagte: ›G-Mäuschen, Ratten sind doch praktisch sowieso alle gleich. Ich meine, wie kannst du von ihnen erwarten, sie könnten eine Existenzwahl treffen?‹, und wissen Sie, was er gesagt hat? Er sagte: ›Mein Schamlöckchen-Baby, Ratten sind das Musterbeispiel. Denk einfach immer daran, und du liegst nie falsch. Ratten sind das Musterbeispiel.‹ Wie finden Sie das?«
»Ich finde, Ratten sind ziemlich eklig«, sagte Eva ohne nachzudenken. Sally lachte und legte ihr die Hand aufs Knie.
»Ach, Eva-Liebes«, murmelte sie, »Sie sind so wundervoll erdnah. Nein, ich bringe Sie nicht zur Parkview Avenue zurück. Sie kommen auf einen Drink und zum Essen mit zu mir. Ich vergehe einfach danach, Sie in diesem zitronengelben Hausanzug zu sehen.«
Sie bogen in den Rossiter Grove ein.
Waren Ratten ein Musterbeispiel für Dr. Pringsheim, so waren Drucker III ein Musterbeispiel für Henry Wilt, wenn auch eines von ziemlich anderer Art. Sie waren ein Beispiel für alles überaus Schwierige, Unsensible und ausgesprochen Aufsässige an den Berufsschulklassen, und um alles noch schlimmer zu machen, meinten diese Halunken auch noch, sie seien gebildet, weil sie tatsächlich lesen konnten, und Voltaire sei ein Idiot, weil er für Candide alles danebengehen ließ. Wenn er sie nach den Kindergärtnerinnen und in seiner Vertretungsstunde bekam, brachten die Drucker III seine schlechtesten Seiten zum Vorschein. Das hatten sie offenbar auch bei Cecil Williams geschafft, der sie eigentlich hatte übernehmen sollen.
»Das ist jetzt schon die zweite Woche, die er wegen Krankheit fehlt«, berichteten sie Wilt.
»Das überrascht mich überhaupt nicht«, sagte Wilt, »ihr verdammte Sippschaft genügt, um jeden krank zu machen.«
»Wir haben een Typen so vergrault, da hat er sich vergast. Pinkerton hat er jehießen. Er nahm uns für ’n Jahr, und wir mussten dieses Buch ›Juda der Unberühmte‹ lesen. Ein scheißdeprimierendes Buch war das. Alles über diesen blödsinnigen Juda.«
»Das Buch ist mir nicht ganz unbekannt«, sagte Wilt.
»Das nächste Jahr kam Old Pinky nicht wieder. Er fuhr zum Fluss runter und steckte einen Schlauch in den Auspuff und vergaste sich.«
»Ich kann’s ihm nicht verübeln«, sagte Wilt.
»Na, Sie machen mir aber Spaß. Er sollte uns doch mit gutem Beispiel vorangehen.«
Wilt sah die Klasse finster an.
»Ich bin sicher, genau das wollte er, als er sich vergaste«, sagte er. »So, und nun macht weiter und lest leise, esst leise und raucht so, dass euch niemand vom Verwaltungsflügel aus sehen kann, ich habe zu arbeiten.«
»Zu arbeiten? Ihr Scheißvolk wisst doch nicht, was Arbeit ist. Alles, was ihr könnt, ist den ganzen Tag am Schreibtisch hocken und lesen. Ist das vielleicht Arbeit? Mich ham se am Arsch, wenn ich’s tu, und euch bezahlen die auch noch dafür …«
»Halt die Klappe«, sagte Wilt überraschend heftig. »Halt deine blöde Schnauze.«
»Wer kann mir das schon vorschreiben«, sagte der Drucker.
Wilt versuchte, seine Wut im Zaum zu halten, und fand es ausnahmsweise mal unmöglich. Die Drucker III hatten was unglaublich Arrogantes.
»Ich!«, brüllte er.
»Ach nee, und wer sonst noch? Sie würden’s nicht mal schaffen, dass ’ne Maus die Klappe hält, und wenn Sie’s den ganzen Tag probieren.«
Wilt stand auf. »Du verfluchter kleiner Scheißkerl«, schrie er, »du dreckige Rotznase …«
»Ich muss schon sagen, Henry, ich hätte mehr Beherrschung von Ihnen erwartet«, sagte der Leiter der Allgemeinbildung, als Wilts Nase eine Stunde später nicht mehr blutete und die Schulschwester ihm ein Pflaster auf die Augenbraue geklebt hatte.
»Na ja, es war nicht meine Klasse, und sie haben mich damit auf die Palme gebracht, dass sie sich über Pinkertons Selbstmord lustig machten. Wenn Williams nicht wegen Krankheit gefehlt hätte, wär’s nicht passiert«, erklärte Wilt. »Er ist immer krank, wenn er Drucker III zu übernehmen hat.«
Mr. Morris schüttelte enttäuscht den Kopf. »Mir ist egal, welche Klasse es war. Aber Sie können einfach nicht herumlaufen und über Schüler herfallen …«
»Über Schüler herfallen? Nicht mal berührt habe ich …«
»Schon gut, aber Sie haben beleidigende Worte gebraucht. Bob Fenwick war in der Klasse nebenan und hat gehört, wie Sie diesen Allison einen verfluchten kleinen Scheißkerl und einen boshaften Trottel nannten. Ist es dann ein Wunder, wenn er Ihnen eine knallt?«
»Wahrscheinlich nicht«, sagte Wilt. »Ich hätte nicht wütend werden dürfen. Tut mir Leid.«
»Wenn das so ist, vergessen wir doch einfach das Vorgefallene«, sagte Mr. Morris. »Aber denken Sie daran, wenn ich Ihnen eine Hauptlehrerstelle verschaffen soll, kann ich nicht dulden, dass Sie sich einen Klecks in Ihr Schreibheft machen, indem Sie sich mit Schülern prügeln.«
»Ich habe mich nicht geprügelt«, sagte Wilt, »er hat mich verprügelt.«
»Na, wollen wir nur hoffen, dass er nicht zur Polizei geht und Sie wegen tätlicher Beleidigung anzeigt. Das wäre das Allerletzte an Reklame, was uns noch fehlte.«
»Nehmen Sie mir einfach Drucker III ab«, sagte Wilt. »Ich hab diese Ungeheuer satt.«
Er ging den Korridor hinunter und holte sich Mantel und Aktentasche aus dem Lehrerzimmer. Seine Nase fühlte sich zweimal so groß wie normal an, und seine Augenbraue tat ekelhaft weh. Auf dem Weg hinaus zum Parkplatz kam er an mehreren Kollegen vorbei, aber keiner blieb stehen und fragte ihn, was geschehen sei. Unbeachtet verließ Henry Wilt das Schulgebäude und stieg in sein Auto. Er schloss die Tür und saß mehrere Minuten lang da und sah den Dampframmen bei der Arbeit an dem neuen Block zu. Hoch, runter, hoch, runter. Nägel in einen Sarg. Und eines Tages, eines unentrinnbaren Tages läge auch er in seinem Sarg, immer noch unbeachtet, immer noch Hilfslehrer (zweiter Klasse) und von allen total vergessen, bis auf irgendso einen Rüpel aus Drucker III, der sich sein Leben lang an den Tag erinnern würde, wo er einem Lehrer eins auf die Nase gab und nicht bestraft wurde. Wahrscheinlich würde er noch vor seinen Enkeln damit prahlen.
Wilt ließ den Wagen an und fuhr auf die Hauptstraße hinaus, voller Ekel vor den Druckern III, der Schule, dem Leben im Allgemeinen und sich selber im Besonderen. Jetzt verstand er, wieso Terroristen bereit sein konnten, sich zum Besten irgendeiner Sache zu opfern. Hätte er eine Bombe und einen Grund gehabt, er hätte sich und alle unschuldigen Leute drumherum mit Freuden ins Jenseits gesprengt, bloß um für einen herrlichen, wenn auch kurzen Augenblick zu beweisen, dass er von wirklicher Bedeutung sei. Aber er hatte weder Bombe noch Grund. Er fuhr stattdessen eilends heim und parkte vor der Parkview Avenue Nr. 34. Dann schloss er die Haustür auf und ging hinein.
In der Diele roch es merkwürdig. Irgendein Parfüm. Schwer und süß. Er stellte seine Aktentasche ab und sah ins Wohnzimmer. Eva war anscheinend nicht zu Hause. Er ging in die Küche, stellte den Teekessel auf und befühlte seine Nase. Er musste sie sich im Badezimmerspiegel mal genau ansehen. Er war die Treppe halb hinauf, wo er wahrnahm, dass das Parfüm entschieden was Giftgasartiges an sich hatte, als ihn etwas zum Stehenbleiben zwang. Eva Wilt stand in der Schlafzimmertür und hatte einen verblüffend gelben Schlafanzug mit enorm gebauschten Hosen an. Sie sah wirklich fürchterlich aus, und um alles noch schlimmer zu machen, rauchte sie eine lange dünne Zigarette aus einer langen dünnen Zigarettenspitze. Ihr Mund war grell rot.
»Penis-Baby«, murmelte sie heiser und wiegte sich hin und her. »Komm hier rein. Ich will an deinen Brustwarzen nuckeln, bis du mir mundmäßig kommst.«
Eva Wilt ging hinunter und sah sich zaghaft nach Penis-Baby um. Zum einen wollte sie ihn gar nicht finden, zum anderen hatte sie auch keine Lust, an seinen Brustwarzen zu nuckeln, und zum Dritten war ihr klar, dass sie nicht siebzig Pfund für einen Regenmantel und einen Freizeitanzug hätte ausgeben sollen, die sie im Warenhaus für dreißig bekommen hätte. Sie brauchte sie nicht und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass sie die Parkview Avenue als der Große Gatsby langgehen würde. Außerdem war ihr ein bisschen schlecht.
Er hatte aber den Teekessel aufgestellt gelassen, also musste er irgendwo sein. Es war nicht Henrys Art, aus dem Haus zu gehen und den Teekessel auf dem Feuer zu lassen. Sie sah in der Halle nach. Das war mal das Wohnzimmer gewesen, bis Sally beim Mittagessen ihr Wohnzimmer als Halle bezeichnet hatte. Sie guckte ins Esszimmer, jetzt Speisezimmer, und sogar in den Garten, aber Henry war verschwunden und hatte den Wagen und alle ihre Hoffnungen mitgenommen, Nippelnuckeln könne ihrer Ehe einen neuen Sinn geben und ihrem Streicheldefizit ein Ende setzen. Schließlich gab sie die Suche auf, kochte sich eine anständige Kanne Tee und saß in der Küche und fragte sich, was in aller Welt sie dazu gebracht habe, ein männliches Chauvinistenschwein wie Henry Wilt zu heiraten, der von einem guten Fick nichts verstand, selbst wenn er ihn auf einem silbernen Teller serviert bekäme, und dessen Vorstellung von einem kultivierten Abend ein fades Curryhuhn im ›Neu Delhi‹ und eine Aufführung von ›König Lear‹ im Rathaussaal war. Warum konnte sie nicht jemanden wie Gaskell Pringsheim geheiratet haben, der schwedische Professoren ins ›Ma Tante‹ ausführte und die Bedeutung der klitoralen Stimulation als einen notwendigen Kon-dingsbums einer wirklich befriedigenden zwischenmenschlichen Durchdringung ansah? Andere Leute fanden sie noch immer reizvoll. Patrick Mottram zum Beispiel, und John Frost auch, bei dem sie Töpfern lernte, und Sally hatte gesagt, sie sei hübsch. Eva starrte ins Leere, ins Leere zwischen dem Geschirrständer und dem Kenwood-Mixer, den ihr Henry zu Weihnachten geschenkt hatte, und dachte an Sally und wie komisch die sie angesehen hatte, als sie in ihren gelben Hosenanzug schlüpfte. Sally hatte in der Tür des pringsheimschen Schlafzimmers gestanden, eine Zigarette geraucht und ihre Bewegungen mit einer sinnlichen Berechnung beobachtet, dass Eva ganz rot geworden war.