Quantenwirtschaft - Anders Indset - E-Book

Quantenwirtschaft E-Book

Anders Indset

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Beschreibung

Die rasante Entwicklung von künstlicher Intelligenz, die ersten Quantencomputer und die Automatisierung von immer weiteren Lebens- und Arbeitsbereichen wird massive Auswirkungen auf unsere Zukunft und unser Wirtschaftsmodell haben. Algorithmen werden zu Autoritäten und diese werden unvermeidlich im Wettbewerb gegeneinander antreten. Aber Technologie allein kann und wird nicht die Antwort auf alle unsere Herausforderungen sein. Noch sind wir Menschen die Treiber und Bindeglieder, die unsere Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft und Realität steuern können. Anders Indset entwickelt drei Szenarien für die nächsten 10 bis 20 Jahre in denen unsere Zukunft unumkehrbar entschieden wird.

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Das Buch

Quantentechnologie, empathische Roboter und künstliche Intelligenzen: Algorithmen werden zu Autoritäten und konkurrieren mit uns. Nach Rohstoffen, Pflanzen und Tieren sind längst auch Menschen zum Produkt geworden - gelenkt von Empfehlungsalgorithmen und verunsichert durch die fatale Informationsgesellschaft. Noch sind wir Menschen die Bindeglieder zwischen Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft und dem, was wir Realität nennen. Wenn wir wollen, dass Maschinen auch in Zukunft uns dienen und nicht umgekehrt, dann müssen wir die Wirtschaft jetzt neu denken.

Der Autor

Anders Indset ist einer der weltweit führenden Wirtschaftsphilosophen. Der gebürtige Norweger verbindet die Philosophie der Vergangenheit mit der Technologie und Wissenschaft von morgen und zeigt so Führungskräften, wie sie die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts meistern können. 2018 hat ihn Thinkers50 (»die Oscars des Management-Denkens«) in die Top 30 der in Zukunft wichtigsten Management-Vordenker aufgenommen.

Er ist Dozent an mehreren internationalen Business-Schools und wird in den Medien häufig als »Rock‘n‘Roll Plato« bezeichnet.

Anders Indset

Quantenwirtschaft

Was kommt nach der Digitalisierung?

Econ

4., vollständig aktualisierte und erweiterte Auflage 2020

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ISBN 978-3-8437-2494-4

© der deutschsprachigen Ausgabe

Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020

Redaktion: Michael Schickerling, schickerling.cc, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Brian Barth

Originalfoto: iStock.com/lukutin77

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis
Über das Buch / Über den Autor
Titel
Impressum
Intro
Teil I: Eine neue Weltanschauung
1 Bewusstseinswandel oder Untergang – du hast die Wahl!
2 Fehler im System – oder das falsche System?
3 Wirkkräfte des Wandels
4 Die bizarre Quantenrealität
5 Das fundamentale Bewusstsein
6 Die letzte narzisstische Kränkung
Teil II: Auf dem Weg nach Quantopia
7 Drei Zukunftsszenarien für unsere Welt
8 Von der Wissensgesellschaft zur Gesellschaft des Verstandes
9 Q-Economy kompakt
10 Gestalter der QuantenwirtschaftDie Handlungshelden sind da
Ausblick
Anmerkungen
Literatur
Feedback an den Verlag
Empfehlungen

Intro

»Wollen wir die Gesellschaft verstehen, müssen wir die Wirtschaft neu denken.«

Die Old Economy ist tot, die New Economy ebenso. Das utopische Versprechen der Achtziger- und Neunzigerjahre wurde nicht eingelöst. 2019 geht vielleicht in die Geschichte ein als das beste Jahr der Menschheit. Die Geschehnisse Anfang 2020 haben Entwicklungen beschleunigt, die schon lange dabei waren, unser Leben radikal zu verändern.

Wir stehen jetzt am Scheideweg. Wir haben viele unlösbare Probleme gemeistert, aber das Schlimmste könnte noch kommen. Wir leben in einer merkwürdigen Welt, einer Ära des Zusammenbruchs und des Anbruchs einer neuen Zeit. Noch schwören wir auf das Alte Testament des Kapitalismus und definieren Wohlstand allein materialistisch, durch noch mehr Besitztümer, noch mehr Konsum und damit auch noch mehr Umweltzerstörung. Wird sich unser Leben in Richtung totalitärer Regime, nationalistischer wirtschaftlicher Isolation und mehr globalem Misstrauen bewegen, oder wird es uns gelingen, unsere Volkswirtschaften mit einem solidarischen, umweltfreundlichen und technologiegetriebenen humanistischen Kapitalismus wieder in Gang zu bringen?

Es wird höchste Zeit, ein Neues Testament zu formulieren – die Verheißungen und Gesetze eines postmaterialistischen Kapitalismus, der Wohlstand nicht auf den Kontostand reduziert, sondern auch unseren Verstand und unsere Vitalenergie stärkt und uns mit Gütern wie Glück und Liebe versorgt. Dieses postmaterialistische System – nach Old und New Economy – bezeichne ich als »Q-Economy«, als »Quantenwirtschaft«.

Wir benötigen eine echte Aufklärung, eine Renaissance der Denker. Wir brauchen praktische Philosophie und eine Bewusstseinsrevolution. Wir müssen Human- und Naturwissenschaften miteinander verbinden und eine Gesellschaft des Verstandes schaffen. Aber um die Gesellschaft weiterzuentwickeln, braucht es zudem eine ökonomische Motivation, einen neuen Fortschrittsmotor. Mit anderen Worten, was wir brauchen, ist ein neues Betriebssystem für unsere Wirtschaft.

»Der Kapitalismus ist ein funktionierendes System«, sagt der Dalai Lama, »aber was ihm fehlt, ist Mitgefühl.«1 Der weise Mann hat recht. In der berühmten Maslow’schen Bedürfnispyramide2 nehmen die materiellen Bedürfnisse auf der untersten Pyramidenstufe den größten Raum ein. In die höheren Etagen, zur Befriedigung immaterieller Bedürfnisse, dringen die meisten Menschen auch und gerade in den Wohlstandsregionen kaum jemals vor, da das gegenwärtige System sie auf die materielle Stufe fixiert. Dabei hat die Wissenschaft längst nachgewiesen, dass wir durch immer mehr materiellen Besitz und Konsum nicht glücklicher werden – im Gegenteil. Zweitwohnung, Drittwagen und die jeweils allerneuesten Digitalfetische steigern nicht unsere Zufriedenheit, sondern nur unsere Abhängigkeit von materiellem Konsum.

Der Lebenszyklus jeder Marktwirtschaft beginnt mit Revolverkapitalismus. Wenn dann der Wachstumsmotor zündet, folgen Regulierung und Besteuerung. Die öffentliche Hand verteilt Transferleistungen, Rechte und Ansprüche werden erworben, Wohlstand verbreitet sich bis zum Überkonsum – und schließlich kommt es zum Kollaps. Ähnlich einem Lebewesen ist die Volkswirtschaft bei ihrer Geburt voller Vitalität, und wenn sie erstarrt und abgenutzt ist, stirbt sie und zerfällt. Dann bilden sich kleinere dynamische Gruppen, und der Zyklus beginnt von vorne, aber mit größerer Effizienz. So entstehen viele »Baby-Ökonomien«, deren Vitalenergie wir nutzen können, um etwas essenziell Neues zu schaffen: die Quantenwirtschaft.

Während der 2010er-Jahre befanden sich die Volkswirtschaften der westlichen und einiger asiatischer Wohlstandsregionen im vorletzten Stadium ihres Lebenszyklus. Bereits vor der Coronavirus-Pandemie hat suchtartiger Überkonsum viele Volkswirtschaften an den Rand eines Kollapses gebracht. Durch enthemmten Konsumismus haben wir die Ressourcen unseres Planeten bereits weitgehend geplündert. Bei einer Weltbevölkerung von knapp acht Milliarden ist es schlichtweg unmöglich, die materiellen Konsumwünsche aller Menschen zu erfüllen – Villen und Ferraris für jeden kann und wird es niemals geben. Die meisten dieser Objekte des Begehrens sind ohnehin nur physische Surrogate für immaterielle Bedürfnisse, die sich durch Luxuskonsum nicht befriedigen lassen. Doch emotionale und spirituelle Güter wie soziale Anerkennung und Zufriedenheit, Lebenssinn und individuelle Selbstverwirklichung sind in den Shopping-Malls des materialistischen Kapitalismus nicht zu haben – so wenig wie westliche Konsumgüter einst in den Kaufhallen sowjetsozialistischer Mangelökonomien verfügbar waren. »Zufriedenheit und Lebenssinn kann man nicht kaufen«, wendest du vielleicht ein. Doch in der Quantenwirtschaft, wie ich sie verstehe, werden zu unser aller Wohl auch immaterielle Güter kapitalisiert.

Warum nenne ich diese postmaterielle ganzheitliche Ökonomie »Quantenwirtschaft«? Hier eine Kurzantwort: In der Quantenwirtschaft wird der vermeintliche Gegensatz zwischen materiell und immateriell, physisch und spirituell genauso überwunden, wie in der Quantenphysik jedes (subatomare) Materieteilchen zugleich Energie ist – und umgekehrt. Und weil die Quantenphysik uns nahelegt, dass sich unsere Realität weniger in der physischen Materie als in der »Leere« manifestiert oder im kollektiven Impuls einer einzelnen Wellenfunktion, die nur eine Möglichkeit in einem Multiversum von Realitäten ist.

Die Welt – und damit auch die Wirtschaft – ist nicht rational zu verstehen. Es ist eine Welt der Interdependenzen, eine Interwelt, denn nur interdisziplinär, in den Zwischenräumen, werden wir neue Wege und Lösungen finden. Wir leben heute schon in einer Quantenrealität – auch wenn du davon möglicherweise noch nichts mitbekommen hast –, deren Merkwürdigkeit auch die Wissenschaften zunehmend entdecken. Zugleich hat sich weltweit eine Generation von »Erwachten« in Bewegung gesetzt, von jungen Menschen, die Bewusstsein über alles stellen und ein höheres Energielevel anstreben. Wenn man ganz genau hinhört, sprechen wir bereits jetzt über das Gleiche, wenngleich nur sehr verhalten: über Relationen, Potenzialität, Bewusstsein …

Ich habe mit Physikern und Mathematikern genauso diskutiert wie mit Gurus und Mönchen, mit Nobelpreisgewinnern wie mit Theologen und Religionsforschern. Die Konzepte der Quantenphysik sind verwirrend und ein wenig »funky«, auch und gerade für »klassische« Naturwissenschaftler, aber sie sind keine Spekulationen, sondern wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse. Erstaunlicherweise stimmen sie im Kern mit den Visionen und intuitiven Einsichten der spirituell Erleuchteten aller Kulturen und Zeiten überein. Gurus und Schamanen haben es immer schon gepredigt: Energie ist Materie, und Materie ist Energie.

Die Grundformel des Universums ist nicht entweder … oder, sondern sowohl … als auch. Die spirituellen und materiellen Denkansätze selbst sind also keine unvereinbaren Gegensätze, sondern zwei Wege, die aus entgegengesetzten Richtungen zum gleichen Ziel führen – die Leerstelle oder der Zwischenraum zwischen Geist und Körper, Materie und Energie. Einige der interessantesten theoretischen Ansätze unserer Zeit fokussieren diese Leerräume zwischen scheinbar unvereinbaren Disziplinen: Quantenphysik trifft auf Spiritualität, Phänomenologie auf Neurowissenschaften und Psychoanalyse.

Die Quantenrealität – und damit auch die Quantenwirtschaft – ist eine Welt, in der sich die Wissenschaftsdisziplinen und scheinbar unvereinbaren Erfahrungsweisen einander annähern. Vielleicht ist Spiritualität ein Teil der Physik, den wir noch nicht verstanden haben. Die mögliche Synthese vermeintlich unüberbrückbarer Gegensätze ist ein radikal neuer philosophischer Ansatz. Auf ökonomischer Ebene führt sie zu meinem Konzept der Quantenwirtschaft – weil wir für einen Fortschritt unserer Gesellschaft, ja unserer ganzen Welt, eine ökonomische Motivation brauchen.

Die Quantenwirtschaft wird unsere Gesellschaft verändern

Die Quantenwirtschaft wird nicht nur unsere materiellen Bedürfnisse befriedigen – sie wird uns auch ermöglichen, unsere Talente zu entwickeln und unsere Träume auszuleben. Ist das alles nur ein utopischer Traum? Nein, die Ökonomie der Zukunft wird alle fundamentalen Bereiche der Gesellschaft regeln: unsere materiellen Bedürfnisse, unsere sozialen Beziehungen, virtuelle ebenso wie reale, unsere Verwaltung, Bildung und Kultur, unsere geistige Entwicklung und Selbstverwirklichung. Es handelt sich dabei nicht mehr um einen Endzustand, sondern um eine Reise.

Insbesondere die zurückliegenden Jahrzehnte waren durch materialistischen Turbokapitalismus und suchtartigen Hyperkonsumismus geprägt. Die unteren Stufen der Maslow’schen Bedürfnispyramide wurden immer weiter ausgebaut, die Befriedigung von physischen und Sicherheitsbedürfnissen exzessiv ausgedehnt – als könnten wir nur mit Risikoabsicherungen gegen alles und jedes leben und als gehörten eine Villa, ein SUV und mindestens noch ein Sportwagen und ein Ferienhaus im Ausland zu den Grundbedürfnissen, wenn nicht sogar zu den Grundrechten eines jeden Individuums. Doch wenn wir die quantenökonomische Perspektive einnehmen, erkennen wir, dass eine derart ressourcenverschlingende und auf Materialistisches verengte Definition von Grundbedürfnissen nicht für alle funktionieren kann – nicht einmal in den Wohlstandsregionen der Erde, geschweige denn weltweit.

Die Lösung des Dilemmas besteht aber nicht in der Limitierung, sondern in der Erweiterung des kapitalistischen Modells. Diese ist in der Maslow’schen Pyramide bereits angelegt; denn der US-Wissenschaftler ist der Begründer der humanistischen Psychologie, eines Konzepts, das den Menschen helfen soll, sich selbst zu verwirklichen und ihr kreatives Potenzial zu entfalten. Die Überdehnung der unteren Bedürfnisstufen dagegen erstickt alle höheren Bedürfnisse und Möglichkeiten.

In der Quantenwirtschaft geht es also unter anderem darum, neue Angebote zu schaffen, die kreative Entfaltung und gesunde Selbstverwirklichung fördern, die es uns ermöglichen, einen »humanistischen« Kapitalismus zu entwickeln. Dafür müssen wir neue Geschäftsmodelle erfinden, um Glück und Optimismus, Geborgenheit, Vertrauen, individuelle Stärken, Empathie und Solidarität zu kapitalisieren. Damit meine ich keine materiellen Surrogate, keine Luxusprodukte, die uns im jetzigen Wirtschaftssystem höchstens über die Abwesenheit von echtem Glück oder Vertrauen hinwegtäuschen oder -trösten können. Vielmehr besteht die Herausforderung darin, werthaltige Serviceleistungen zu entwickeln, die uns helfen, unsere eigenen Potenziale und Stärken zu entfalten. So wird uns die Quantenwirtschaft dabei unterstützen, auf der Maslow’schen Pyramide zügig nach oben zu klettern. Das ist nötig, denn die immensen Herausforderungen der allernächsten Zukunft können wir nur gemeinsam bewältigen.

Ist die Quantenwirtschaft also die Antwort auf die drängendsten Probleme des gegenwärtigen Systems? Wird sie die ungerechte Verteilung des Reichtums beheben, endlich doch noch die kapitalistische Glücksverheißung einlösen und uns überdies helfen, den ökologischen Raubbau zu überwinden? Die Zauberformel, die alle Antagonismen ins Gleichgewicht bringt, gibt es nicht – aber der Markt allein wird es sicher nicht richten. In meinem Ökonomiestudium habe ich im ersten Semester gelernt: »Der freie Markt sorgt für die Verteilung der knappen Ressourcen.« Ach wirklich? Entgegen den Versprechungen von Adam Smith und seinen Jüngern hat sich das »perfekte Äquilibrium« als Illusion des neoklassischen Kapitalismus herausgestellt. Diese selbststabilisierende Maschine, die den Nutzen für die einzelnen Akteure und damit auch das Gemeinwohl wie von Zauberhand3 maximiert, gibt es nicht. Lasst uns diesen Mythos also endlich begraben – auch wenn uns der inzwischen verstorbene schwedische Professor Hans Rosling gezeigt hat, dass es uns eigentlich besser geht als je zuvor. Gleichzeitig müssen wir den Mythos des perfekten Äquilibriums und jeder »unsichtbaren Hand« des Markts begraben. Die selbststabilisierende Maschine, die den Nutzen für den Einzelnen – und damit auch für das Gemeinwohl – maximieren soll, existiert einfach nicht.

In der gegenwärtigen Wirtschaft werden wir mit mehreren Dilemmata konfrontiert. Heute besitzen die 26 reichsten Menschen zusammen etwa so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Erdbevölkerung – circa 3,8 Milliarden Menschen. Aber statt »dem Kapitalismus« pauschal die Schuld dafür zuzuschieben, sollten wir die Wirtschaft so weiterentwickeln, dass der kapitalistische Motor nicht abgewürgt wird, sondern für eine gerechte Verteilung genutzt werden kann. Wir brauchen eine neue Perspektive, um die vorhandenen Strukturen und Modelle anders zu denken und zu optimieren. Auf diese Weise wird die Quantenwirtschaft das Herzstück eines umfassenden Wandels werden.

Entsprechend gilt für die enormen ökologischen Probleme, vor denen wir stehen: Wenn wir die Wirtschaft neu denken, entwickeln wir ein besseres Verständnis und Gefühl für unsere Umwelt. Quantenwirtschaft basiert auf der Erkenntnis, dass alles mit allem zusammenhängt: Wir müssen lernen, Ökonomie, Gesellschaft und Ökologie ganzheitlich zu betrachten als Funktion einer interdependenten Welle. Ein Wirtschaftssystem, das unseren Bedürfnissen wirklich entspricht, wird uns helfen, eine Gesellschaft zu entwickeln, die auch die Bedürfnisse der natürlichen Umwelt berücksichtigt; denn als Menschen sind wir eben auch Teil der Natur.

Was schließlich das Glück angeht, die glückselige Gesellschaft, die sich nach urliberaler Theorie quasi von selbst einstellt, wenn wir alle nur dem Kompass unserer eigennützigen Interessen folgen: Ganz so einfach ist es nicht, wie wir mittlerweile wissen. Die »unsichtbare Hand« des Markts ist ein Modell aus der präquantenwirtschaftlichen Ära. Der Marktliberalismus à la Adam Smith kennt nur voneinander unabhängige Individuen, die jeweils allein auf eigene Rechnung agieren.4 Und wie sich soziale »Glückseligkeit« (»Happiness«) als Summe oder Folge unzähliger eigennütziger Einzelaktionen einstellen soll, bleibt in den urkapitalistischen Theorien weitgehend im Dunkeln.

Wie können wir Happiness in die Wirtschaft integrieren? Diese Frage ist die Initialzündung für die Schaffung einer Quantenwirtschaft und damit auch einer quantopischen Gesellschaft. In der Quantenwirtschaft wird unsere Identität nicht mehr dadurch definiert, was wir haben und können. Das gibt uns die Freiheit zurück, unsere Aufmerksamkeit darauf zu richten, was wir sind und werden können. Indem wir uns bewusst werden, dass wir verschiedene Rollen spielen, kommen wir uns selbst auf die Schliche und erkennen, dass wir keine unteilbaren Individuen, sondern »Multividuen« sind. »Finde dich selbst«, heißt es heute noch – das quantopische Motto lautet: »Verstehe deine Rollen, entwickle sie weiter, streife sie ab und probiere neue aus.«

So entwickeln wir auch ein besseres Verständnis für die spirituelle Dimension unserer selbst und der Welt, in der wir leben: Wir sind Gäste auf diesem Planeten, mit begrenzten Ressourcen und im Prinzip unbegrenztem Wissen. Wir sind interdependent verbunden mit einem unendlichen Universum der Potenzialität, und wir alle sind unsererseits Universen der Potenzialität. Wir sind auf einer spannenden, wunderschönen Reise mit unabsehbarem Ziel, vorangetrieben durch die Suche nach plausiblen Erklärungen für unser Woher und Wohin. So entwickeln wir die Quantenwirtschaft – und damit zugleich ein besseres Verständnis unserer Gesellschaft.

Q-Economy kompakt

Was ist die Quantenwirtschaft?

– Sie ist ein Weg, die Wirtschaft neu zu denken, um dadurch die Gesellschaft besser zu verstehen.

– Sie bringt die Entfesselung einer Ökonomie, die über alle offensichtlichen physischen Bedürfnisse von Nahrung, Unterkunft und Sicherheit hinausgeht und tiefere psychologische Bedürfnisse wie Zugehörigkeit, Selbstwert und Selbstverwirklichung einbezieht.

– Sie ist nicht linear, sondern als echte Kreislaufwirtschaft zirkulär und potenziell unendlich.

– Sie reduziert und entfernt die Distanz zwischen Kreateuren und Konsumenten und ermöglicht eine direkte Beziehung zwischen ihnen.

– Sie scheint so merkwürdig und unvorhersehbar wie die Quantenwelt, ist aber so echt wie die Quantenphysik.

– Sie ist ein interdependentes System – alles ist miteinander verbunden, auch Mensch und Maschine im Zusammenspiel.

– Sie führt Natur- und Humanwissenschaft durch Überwindung der Disziplingrenzen zusammen.

– Sie ist geprägt durch dezentrale, miteinander vernetzte Einheiten anstelle zentralistischer und hierarchischer Strukturen.

– Sie ist algorithmisch, technisch und nimmt exponentiell zu.

– Sie schärft die Wahrnehmung für unser Konsumverhalten und ebnet den Weg zu immateriellem Wachstum.

Die Quantenwirtschaft entsteht durch die Entwicklung einer Gesellschaft des Verstandes, das Vorantreiben einer Bewusstseinsrevolution, die Akzeptanz einer zirkulären Unendlichkeit sowie das Lernen und Praktizieren von philosophischer Kontemplation.

Teil I

Eine neue Weltanschauung

»Unser Anspruch muss es sein, Bewusstsein als eigenständige Disziplin in der Wissenschaft zu etablieren.«

Die Welt vor dem Untergang, das Ende naht: Wie oft hast du diese Worte schon gehört? Wie viele Male schon wurde uns die Apokalypse, die endgültige Katastrophe prophezeit – und dann ging es doch immer irgendwie gut?

Wir leben in einer Parallelgesellschaft, die gleichzeitig durch Niedergang und Blüte geprägt ist. Durch historisch einzigartigen Wohlstand in den westlichen Industrieregionen und durch Krisen, deren Ausmaß und Vielfalt gleichfalls ohne Beispiel sind. Klimakollaps, Kriege und Migrationsströme, dazu die schwelenden Finanz- und Verschuldungskrisen. Es fühlte sich so an, als würden die alten Systeme zusammenbrechen.

Was sind also die gravierendsten Fehler unseres gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Systems, die den überfälligen Wandel verhindern? Der Kern des Problems ist letztlich das System selbst beziehungsweise der weitverbreitete Irrglaube, dass die von uns definierten Systeme und Modelle mit der Realität übereinstimmen. Das betrifft Physiker und Mathematiker, die die Struktur und Funktion des menschlichen Gehirns als konventionellen Computer konzipieren. Sie vergessen manchmal, dass dies nur radikal vereinfachte Modelle sind und wir da mit ihrer Hilfe nicht ganzheitlich beschreiben können, was wirklich vor sich geht. Das Gleiche gilt auch für die Modelle der Ökonomen oder der Sozial- und Politikwissenschaftler.

Auch wenn wir einer Reihe existenzieller Gefahren ausgesetzt sind, müssen wir viele unserer grundlegenden gesellschaftlichen Konstrukte – einschließlich Politik, Bildung und Kapitalismus – unter die Lupe nehmen: Alles steht heute auf dem Prüfstand oder befindet sich sogar kurz vor dem Kollaps. Radikales Umdenken ist gefragt sowie die Entwicklung neuer Technologien. Wir stehen vor dem Beginn eines Quantenparadigmas, das durch Quantentechnologie unseren Alltag prägen wird. Wir brauchen mehr Stabilität und gleichzeitig mehr Chaos.

1 Bewusstseinswandel oder Untergang – du hast die Wahl!

Ich habe mit vielen Wissenschaftlern gesprochen, ihre Studien durchgearbeitet, und vor allem bin ich selbst immer wieder dorthin gereist, wo die Welt in Aufruhr ist. Nach Afrika, wo die unbewohnbaren Wüstenregionen wachsen. In die Antarktis, wo Eisberge von der Größe ganzer Städte schmelzen und den Meeresspiegel steigen lassen. Nach China, wo nicht nur die Umweltzerstörung, sondern auch die Roboterisierung ganzer Wertschöpfungsketten weiter vorangeschritten ist als irgendwo sonst auf der Welt. Nach Indonesien, wo das Meer so romantisch im Sonnenlicht glitzert – nur stammt dieses Glitzern hauptsächlich vom Plastikmüll, der in den Wellen treibt und Millionen Meeresbewohner qualvoll ersticken lässt.

In den nächsten zehn Jahren steht die Menschheit vor zwei existenziellen Herausforderungen. Wie können wir den drohenden ökologischen Kollaps noch vermeiden? Und wie können wir die sich mit rasender Geschwindigkeit entwickelnden Technologien wie künstliche Intelligenz, Bio- und Nanotechnologie sowie Quantencomputing so handhaben, dass sie uns helfen, diese Welt zu einem wahrhaft humanen Paradies zu machen – und nicht zu einer posthumanen Hölle, in der unsere Nachkommen bloß noch als Zootiere oder bewusstlose Zombies vegetieren?

Auf dem Spiel steht nicht weniger als die Existenz der menschlichen Spezies. Deshalb empfehle ich dringend, verharmlosende Ausdrücke wie »Klimawandel« oder »globale Erwärmung« aus dem Wortschatz zu streichen. Es gibt keinen »Wandel«, der einfach ein bisschen mehr Sonnenwärme bringen würde – der Klimakollaps steht kurz bevor. Die größte Gefahr unserer Zeit ist zu glauben, irgendjemand werde schon kommen und uns retten. Die neuen Technologien können uns zwar helfen, den ökologischen Zusammenbruch zu vermeiden; sie werden das aber nicht von allein machen – wir müssen bewusst entscheiden, was wir mit ihrer Hilfe erreichen wollen. Deshalb brauchen wir umgehend eine weltweite Bewusstseinsrevolution. Wenn wir alle verstehen und akzeptieren, dass die Herausforderungen lebensbedrohlich sind, können wir organisiertes Leben verlängern und die Lebensgrundlage für Homo sapiens retten.

Wenn wir diese Entscheidung nicht treffen, drohen wir einer zweiten existenziellen Gefahr zum Opfer zu fallen, die womöglich noch größer als der heraufziehende Öko-Crash ist: der Entmachtung der Menschheit durch hyperintelligente Maschinen. Das Problem ist umso bedrohlicher, als es in unseren Köpfen präsent ist, allerdings als vermeintliches Hirngespinst von IT-Nerds und als Science-Fiction aus Hollywood. Dabei ist diese Gefahr so real wie der Klimazusammenbruch – nur fühlen wir offenbar nicht, wie nah sie ist.

In zehn Jahren werden weite Teile Afrikas durch den Ökokollaps unbewohnbar geworden sein – ausgerechnet auf dem Kontinent, wo die Bevölkerung am stärksten wächst, von 1,3 Milliarden heute auf voraussichtlich 4 Milliarden bis zum Ende des Jahrhunderts.1 Entweder die Jobs kommen nach Afrika – oder Afrika zu den Jobs. Abermillionen Menschen werden in Richtung Europa fliehen, Hunderttausende werden im Mittelmeer ertrinken und in den Wüsten verdursten, wenn wir nicht sofort gegensteuern.

In zehn Jahren werden Roboter mit übermenschlicher Intelligenz unseren Alltag beherrschen. Wir werden nicht länger die intelligenteste Spezies auf diesem Planeten sein.

In zehn Jahren werden Produktion und Logistik weitestgehend automatisiert sein, Abermillionen Arbeitsplätze werden weltweit gestrichen. Betroffen sind unter anderem die asiatischen Niedriglohnländer, die als »verlängerte Werkbänke« der westlichen Industrieländer zu bescheidenem Wohlstand gekommen sind – und nun in Armut und Arbeitslosigkeit zurückzufallen drohen. Die Produktion von Smartphones und Tablets, Spielzeug und Textilien wird weitgehend nach Europa und Amerika zurückverlagert werden, wo die Abnehmer der Produkte leben. Denn Roboter arbeiten überall gleich kostengünstig, und durch vollautomatisierte Wertschöpfungsprozesse vor Ort lassen sich auch die Kosten für die »letzte Meile« minimieren. Das chinesische E-Commerce-Unternehmen JD.com, auch bekannt als Jingdong, ist fast so weit: Binnen zwei bis drei Jahren zielt der Multimilliarden-Konzern, den in Europa kaum jemand kennt, darauf, zu 100 Prozent automatisiert zu sein, inklusive Drohnenbelieferung mit Gesichtserkennung, versteht sich. 2018 investierte Google 550 Millionen US-Dollar in JD.com. Das wurde von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, da Trump zu diesem Zeitpunkt seinen »Handelskrieg« mit China initiierte. Eine logische strategische Allianz über Grenzen hinweg in Zeiten, da sich beide Länder voneinander entfernen.

In zehn Jahren werden auch in den europäischen und amerikanischen Wohlstandszonen Abermillionen Jobs wegfallen. In den Unternehmen wird immer noch über »Human Resources« und »Human Capital« gesprochen, doch wir müssen dringend umdenken. Denn wenn die Algorithmen eines beherrschen, dann ist es der effiziente Einsatz von Ressourcen. Bus- und Taxifahrer, Buchhalter und Sachbearbeiter, Verkäufer und Vertreter, aber auch Manager und Ärzte, Juristen und Notare werden in der automatisierten Welt schlichtweg nicht mehr gebraucht.

Was geschieht mit all diesen Menschen, die von heute auf morgen überflüssig werden? Wovon werden sie leben? Womit werden sie sich beschäftigen? Werden sie ihr Schicksal, plötzlich unnütz zu sein, akzeptieren – oder stehen uns Unruhen, Aufstände, der Zusammenbruch unserer Gesellschaft bevor? Rechtspopulistische Parteien heimsen heute schon enorm viele Wählerstimmen ein und nehmen Platz in unseren Parlamenten – obwohl es uns so gut geht wie nie zuvor. Wie viele »besorgte Bürger« werden erst den Rattenfängern folgen, wenn es wirtschaftlich wirklich bergab geht?

»So schlimm wird es schon nicht kommen«, wendest du vielleicht ein, »außerdem entstehen doch auch neue Jobs – Programmierer, Softwareentwickler und andere werden dann doch bestimmt massenhaft gebraucht.« Nein, längst nicht so massenhaft, wie du glaubst. Die Roboter werden durch selbstlernende Algorithmen gesteuert werden, die sich eigenständig weiterentwickeln und sogar ihre eigene neue Software schreiben können. Der Busfahrer oder die Buchhalterin können sich sowieso nicht so einfach in Softwareentwickler verwandeln. Und der größte Teil aller anderen Jobs wird ebenfalls ersatzlos entfallen.

Automatische Ärzte mit Chipgehirnen werden uns medizinisch betreuen und erforderlichenfalls Therapien verordnen. Roboter werden uns operieren und pflegen – nicht irgendwann in ferner Zukunft, sondern in zehn oder weniger Jahren. Sie werden unsere Häuser bauen, Wohnanlagen und Fabriken managen. Autos, Bahnen und Busse, Flugzeuge und Helikopter werden autonom fahren und fliegen. Übersetzer und Redakteure, Komponisten und Drehbuchautoren werden gerade durch maschinelle Nachfolger ersetzt – und wir werden keinen qualitativen Unterschied bemerken oder höchstens eine Veränderung zum Besseren.

Die maschinell generierten Werke werden uns ausgeklügelter unterhalten und emotional tiefer berühren. Die Diagnosen und Verordnungen der algorithmischen Ärzte werden präziser und wirksamer sein als die ihrer biologischen Vorgänger. Und die Unfallrate im automatisierten Straßen- und Luftverkehr wird auf einen Bruchteil der heutigen Opferzahlen sinken. Zu schön, um wahr zu sein – oder doch wie eine zumindest zwiespältige Verheißung?

Das, was wir als künstliche Intelligenz bezeichnen, wird uns in fast jeder Hinsicht überlegen sein – auch im Hinblick auf Fokussierung und Prioritätensetzung. Deren Algorithmen werden imstande sein, menschliche Emotionen punktgenau zu stimulieren und perfekt zu simulieren. Auch wenn sie womöglich kein Bewusstsein haben, das menschenähnlich ist, werden eine wie auch immer geartete künstliche Intelligenz oder Roboter vermutlich eine Form von Selbstwahrnehmung besitzen und schon in frühen Entwicklungsstufen auf sehr vielen Gebieten besser sein als Menschen. Doch ihre kalte logische Hyperintelligenz wird sie davor bewahren, sich von Stressimpulsen triggern und blind umherjagen zu lassen, wie es für uns Menschen typisch ist.

Wir brauchen also neue Modelle und ein neues Verständnis von Arbeit. Und für die künstliche Intelligenz wird ein globaler Schiedsrichter benötigt, eine Art übergeordnete Steuerungsentität, welche wir heute noch nicht haben.

Womöglich gibt es Lösungen – mit der Quantenwirtschaft stelle ich einen Ansatz vor. Aber du wirst genauso gebraucht: Gemeinsam improvisieren wir die Zukunft.

Setz die Quantenbrille auf!

Wenn man beginnt, die Welt aus Quantenperspektive zu sehen, stellt man verwundert fest, wie viele Gedanken und Kreationen es zu diesem Thema bereits gibt. Im neuen Wissenschaftszweig der Quantenkognition wird versucht, mit den mathematischen Formeln der Quantentheorie kognitive Phänomene zu modellieren, etwa die Informationsverarbeitung im menschlichen Gehirn.

In den Medien wird mittlerweile vieles mit Quanten in Verbindung gebracht – von »Quantenverhalten« über »Quantenmedizin« und »Quantenkreativität« bis hin zu »Quantenkapital«. Eine Fülle von Kurzvideos, Modellen und Beispielen soll die bizarren Effekte der Quantenmechanik auch für Nichtphysiker verständlich machen.

Der deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Alexander Wendt entwickelte sich zum »Quantensoziologen«, indem er prophezeite, dass den neuen Wissenschaften ein grundlegendes Umdenken hinsichtlich ihrer Beziehungen zu den Mitmenschen und zur Natur bevorstehe. In seinem Buch Quantum Mind and Social Science2 von 2015 schreibt er, dass die Sozialwissenschaften allesamt auf einem Fehler beruhten: Seit ihren Anfängen vor rund 150 Jahren gingen Sozialwissenschaftler wie selbstverständlich davon aus, dass unser Denken und die menschlichen Gesellschaften den Gesetzen der »klassischen« Physik gehorchten. Auf den ersten Blick scheint diese Grundannahme nach wie vor vernünftig; schließlich gehören wir selbst, genauso wie Tische oder Stühle, zu den makroskopischen Objekten, müssten also auch denselben Gesetzen unterworfen sein. Doch für unser Bewusstsein und unsere sozialen Prozesse gilt das eben nicht: Sie sind vielmehr durch quantenphysikalische Prinzipien wie Nichtlokalität und Verschränkung geprägt.

Die Spieltheorie ist ein weiteres Beispiel für den Einfluss der Quantentheorie. Beim klassischen Ansatz wird die strategische Interaktion zwischen zwei oder mehr Akteuren (Spielern) in einer Situation mit definierten Regeln und Resultaten modelliert – eine Herangehensweise, die insbesondere in den Wirtschaftswissenschaften beliebt ist. Die Quantenspieltheorie ist eine Weiterentwicklung dieser klassischen Spieltheorie. Sie geht unter anderem davon aus, dass wir Menschen unauflösbar miteinander verbunden sind und demnach auch unser Wirtschaftssystem und unser Streben nach Glückseligkeit als miteinander verkoppelt gedacht werden müssen.

Eine der zentralen Herausforderungen bei der Gestaltung der Quantenwirtschaft ist nach wie vor, dass Quantenphysik als unverständliches Abrakadabra gilt, über das allenfalls Experten sprechen können. Selbst der ehrwürdige Quantenphysiker und Spieltheoretiker John von Neumann hat einmal gestanden: »In der Mathematik versteht man Dinge nicht. Man gewöhnt sich einfach an sie.«3 Und Albert Einstein bemerkte 1952 in einem Brief resigniert: »Diese Theorie erinnert mich ein wenig an das System der Täuschung eines überaus intelligenten Paranoikers, das aus inkohärenten Gedankenelementen besteht.«4

Versuchen wir es mit Kohärenz, so gibt es die Viele-Welten-Interpretation (MWI) von Hugh Everett III aus dem Jahr 1957. Hier wird die Quantenphysik ohne jegliche Merkwürdigkeiten erklärt – ein schlüssiger Ansatz, welcher sowohl die Inhalte der Quantenmechanik als auch das Erscheinungsbild der Welt, unsere wahrgenommene Realität, beschreibt. Doch dabei haben wir es mit einer unfassbar großen, vielleicht sogar unendlichen, Menge an Multiwelten zu tun, welche sich permanent in neue Zweige spaltet. Welten, die nicht über unser Bewusstsein zugänglich sind, sondern höchstens über unser Unterbewusstsein im ganz Kleinen, und das auch nur im Moment ihrer Abspaltung.

Wie auch immer du es nennst, ob Quantenphysik, Quantenmechanik oder Quantentheorie, es ist echt. Welcher Seite möchtest du dich anschließen? Merkwürdigkeiten und »Katzenzustände« von Einstein, Schrödinger, von Neumann und Co., welche heute immer noch als unerklärliche Grundlage im Anfangssemester Physik als »Kopenhagen-Interpretation« gelehrt werden? Oder dass unglaublich viele Kopien von uns existieren, die in anderen Welten leben? Es gibt noch einige weitere Erklärungsversuche, und sie alle zeigen uns, dass wir noch viel zu erkunden haben.

Warum also sollten wir uns mit Quantenmechanik beschäftigen, wenn nicht einmal diese brillanten Köpfe uns erklären können, was in unserer Welt vor sich geht? Ganz einfach: Es ist der beste – und vielleicht einzige – Ansatz, den wir momentan haben, um bei der Lösung bislang unlösbarer Probleme voranzukommen. So, wie ich die Welt verstehe, ist Bewusstsein etwas Fundamentales – ein essenzielles Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch und Maschine: Wie Materie ein Bewusstsein entwickeln kann, können wir im Rahmen der klassischen Physik schlichtweg nicht erklären. Ganz zu schweigen vom Mysterium des menschlichen Bewusstseins: Warum sind bestimmte Verhaltensfunktionen überhaupt von Bewusstsein begleitet? Auf welche Weise rufen physikalische Prozesse im Gehirn subjektive Erfahrungen hervor? Auf diese Fragen haben wir nicht nur keine Antworten, wir wissen nicht einmal, wie wir sie formulieren sollen. Im Prinzip gilt das genauso für unser mangelhaftes Verständnis gesellschaftlicher und ökonomischer Prozesse.

Mehr und mehr setzt sich nun die Einsicht durch, dass wir auf vielen Forschungsgebieten weiterkommen, wenn wir sie durch die Quantenbrille betrachten. Genauso gilt umgekehrt, dass wir dadurch auch die bizarre Welt der Quantenphysik besser verstehen. Die Wirtschaft aus Quantenperspektive zu betrachten ist hilfreich, um die Merkwürdigkeiten ökonomischer Prozesse klarer zu erfassen – und die mathematischen Formeln der Quantenökonomen können auch für die Quantenphysiker nützlich sein, die nach wie vor nach einem Grundprinzip hinter den verwirrenden Quanteneffekten suchen. Auf jeden Fall wird in den Natur- wie in den Sozialwissenschaften immer breiter akzeptiert, dass sich Forscher aller Bereiche für eine neue Sichtweise öffnen müssen; für die Quanteninterpretationen unserer Welt und damit auch unserer Wirtschaft.

Alles hängt mit allem zusammen und beeinflusst sich gegenseitig. Die Welt ist keine Summe ihrer Einzelteile, denn sie besteht nicht (nur) aus Atomen. Die Einzelteile konnten die Wissenschaftler im Lauf der Jahrhunderte immer genauer beschreiben, doch auf diese Weise haben sie unzählige Puzzlestücke produziert, die nicht zusammenpassen. Jedes einzelne Fragment ist ziemlich nah an der Realität, aber eben nicht mit ihr identisch. Denn die Realität ist »quantastisch«, wie wir immer klarer erkennen, und das heißt: Wir können sie nicht verstehen, wie auch Nobelpreisträger Richard Feynman hinsichtlich der Quantenmechanik mahnte: »Wenn du glaubst, du verstehst sie, dann verstehst du sie gerade nicht.«5

Zurück in die Dreißigerjahre?

Die aktuelle Weltlage ähnelt dem explosiven Mix der Dreißigerjahre – kurz vor Naziherrschaft und Stalinismus, Völkermorden und Weltkrieg.

Auch wenn sich die Geschichte nie buchstäblich wiederholt, gibt es alarmierende Parallelen. Fette Renditen werden zwar nach wie vor im Investmentbanking erzielt, aber Geld mit Geld zu machen ist etwas ganz anderes als echte Wertgenerierung. Vom künstlichen Boom, der durch massive Geldmengenausweitung geschürt wird, profitieren nur einige wenige vornehmlich in der westlichen Hemisphäre. Dagegen ächzen selbst in traditionellen Wohlstandsregionen zahlreiche Staaten und zig Millionen Bürger im Würgegriff einer Austeritätspolitik, die zur Verarmung breiter Bevölkerungsschichten geführt und die Spaltung der Gesellschaften gefährlich vertieft hat.

Korrupte Regime, Bürgerkriege und zunehmende Verwüstung verwandeln immer größere Teile Afrikas in unbewohnbare Zonen und zwingen Millionen Menschen zur Flucht. Statt mit vermehrten und koordinierten Steuerungs- und Integrationsbemühungen reagieren die Zielregionen der Fluchtbewegungen, vor allem Europa und Nordamerika, mit Abschottung und rassistischer Hetze. Eine vergleichbare Gemengelage löste vor nicht einmal hundert Jahren erdumspannende Kriege, Grausamkeiten und Genozide aus. Wann erkennen wir endlich, auf welch fatalem Kurs wir sind – und reißen das Steuer herum?

Wir brauchen eine neue Aufklärung, eine Bewusstseinsrevolution. Denn unsere Demokratien sind weit davon entfernt, aufgeklärte Gesellschaften zu sein. Wir müssen entscheiden, wie wir mit sich exponentiell entwickelnden Technologien, künstlichen Intelligenzen und der damit verbundenen Automatisierung umgehen wollen – solange es überhaupt noch etwas zu entscheiden gibt. Und wir müssen klären, welche Regierungs- und Wirtschaftsmodelle uns dabei helfen können, die gewaltigen Herausforderungen unserer globalisierten Welt zu meistern.

Es gibt eine Reihe von Faktoren, die zu der Situation beitragen, in der sich heute so viele Menschen befinden, in der ein zunehmend hektisches Lebenstempo zu innerer Lähmung führt: unsere nicht aufgeklärte Gesellschaft, die unklare Zukunft neuer Technologien, der Zustand unserer Parteiendemokratie, unseres Bildungssystems, des kapitalistischen Systems. Sie alle sind mit der kommenden Ära nicht mehr kompatibel.

Fast alle, mit denen ich darüber spreche, räumen ein, dass diese Ballung diffuser Megaprobleme sie ängstigt. Doch kaum jemand handelt entsprechend. Innerlich frustriert, äußerlich durch Luxus und Hybris gepanzert, versuchen wir, uns einzureden, dass »so etwas« nicht mehr passieren könne, schließlich sind wir alle aufgeklärt und bestens informiert. Und haben wir heutzutage nicht all diese großartigen technischen Möglichkeiten? Da müsste es doch machbar sein, sämtliche Probleme zu lösen.

Aber das ist Wunschdenken. Solange wir uns nicht mit diesen Faktoren befassen, können wir keine Lösungen finden.

Höchste Zeit für Meuterei …

… und für eine gute Nachricht: Kapitalismus in seiner jetzigen Form und technischer Fortschritt bilden keine schicksalhafte Einheit. Wenn sich Technologien in zerstörerische Richtungen entwickeln, hat das sehr viel mit Profitmaximierung zu tun – aber wenig oder gar nichts mit der Technologie selbst. Am Anfang unserer modernen Zeiten stehen nicht der Kapitalismus und auch nicht die Aufklärung, sondern der technische Genius der Erfinder, die Druckmaschinen, Räderuhren, Mikroskope und Teleskope konstruierten. Naturwissenschaftler wie Isaac Newton, Gottfried Wilhelm Leibniz oder Galileo Galilei entdeckten und formulierten die Gesetze der »klassischen« Physik, so genannt in Abgrenzung zur Quantenphysik. Philosophen der Aufklärung wie Immanuel Kant oder Voltaire erkannten, dass der Mensch mit dem »Licht der Vernunft« alle Finsternisse zu erhellen vermag – Unwissen, Irrtümer und Vorurteile –, von denen er bis dahin umfangen war. Daher das englische Wort für Aufklärung: »Enlightenment«, Erleuchtung. »Vernunft«, wie Kant sie in seiner Kritik der reinen Vernunft definierte, meint nicht nur empirische Wahrnehmung und logisch-kausales Denken, sondern auch deren kritische Kontrolle durch uns selbst.6

Das kapitalistische System ist nicht die Triebkraft des technologischen Fortschritts, auch wenn dieser Irrglaube weitverbreitet ist. Ein rundes Jahrhundert lang, von der Industriellen Revolution bis zu ersten massiven Manifestationen der Umweltzerstörung um 1970, schien der materialistische Kapitalismus à la Adam Smith ein notwendiges Übel zu sein, das zumindest den westlichen Industrieländern nie zuvor gekannten Wohlstand bescherte. Doch bereits der erste Bericht des Club of Rome von 1972, Die Grenzen des Wachstums, beleuchtete die grundlegenden Fehler eines Systems, das diejenigen am stärksten belohnt, die Wachstum und Profitsteigerung am rücksichtslosesten maximieren.7

Die Basis unseres Wirtschaftssystems ist noch immer der Glaube, dass am Ende alles gut geht. Dass die Typen mit den größten Egos und den zynischsten Absichten letztlich zu unser aller Wohl tätig sind. Aber diese Faustformel aus der Frühzeit der Industriellen Revolution stimmt heute nicht mehr. In der hyperkapitalistischen Ära, in der wir uns befinden, heimsen die Anteilseigner der algorithmenbasierten Megakonzerne den Löwenanteil des global erwirtschafteten Mehrwerts ein – während alle anderen die Zeche bezahlen: Spaltung, Konfusion und Destabilisierung, Ökokollaps und die drohende Herrschaft künstlicher Superintelligenzen, entwickelt in den Laboren der neuen Oligarchen.

Nicht zuletzt müssen wir uns von dem Irrglauben verabschieden, dass der technische Fortschritt uns automatisch nach Utopia befördern wird. Das wird nicht passieren, und auch von den rechtspopulistischen Rollback-Bewegungen, von Despoten und Egomanen wie Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdoğan und Donald Trump wird er uns nicht einfach so befreien. Ganz im Gegenteil: Solange die neuen Technologien Geiseln des jetzigen Hyperkapitalismus bleiben, werden nationalistische und xenophobe Bewegungen, rechts- und linksradikale Parteien und Gruppierungen die Welt immer stärker erschüttern und vernunftgelenktes, koordiniertes Handeln nahezu unmöglich machen.

Für solche Hysterien und Verrücktheiten aber haben wir keine Zeit. Die »Doomsday Clock« wurde 1947 von der Zeitschrift Bulletin of the Atomic Scientists kreiert und zum Start auf sieben Minuten vor zwölf gestellt. Ausgehend von der Redensart, dass es »fünf vor zwölf« ist, wenn eine Katastrophe unmittelbar bevorsteht, wurde die Uhr seither je nach globaler Gefahrenlage vor- oder zurückgestellt. Über den jeweiligen Stand entscheidet ein Komitee, dem zahlreiche Nobelpreisträger angehören. Aktuell zeigt die Weltuntergangsuhr 100 Sekunden vor zwölf an.8 So kurz vor der Katastrophe standen wir bisher nur ein einziges Mal: in der arktischen Phase des Kalten Kriegs, als USA und UdSSR kurz nacheinander Wasserstoffbomben testeten, die thermonukleare Vernichtung der Menschheit also unmittelbar bevorzustehen schien.

Warum empören wir uns nur über einen US-Präsidenten, der unsere Werte mit Füßen tritt, wissenschaftlich erwiesene Fakten bestreitet und mit Autokraten sympathisiert? Warum sorgen wir nicht endlich dafür, dass dieser unheilvolle Spuk aufhört? Und das in einer Zeit, in der sich der gesellschaftliche Wert fundierter wissenschaftlicher Forschung angesichts einer weltumspannenden Epidemie als überlebenswichtig erweist. Wo ist die Bastille unserer Zeit, und wo sind die Systemzertrümmerer, die sie erstürmen werden?

Von rechts bis links sind sich immer mehr Menschen darin einig, dass unser gegenwärtiges Regierungs- und Wirtschaftssystem zutiefst fehlerhaft ist. Wann fangen wir an, das zu ändern? Ein erster Ansatz in dieser Richtung könnte das in den USA und Kanada aufgesetzte »Intellectual Dark Web« sein, das unter anderem von dem US-Philosophen und Neurowissenschaftler Sam Harris, dem Psychologieprofessor Jordan Peterson, dem Mathematiker Eric Weinstein und dem Biologen und Evolutionstheoretiker Bret Weinstein vorangetrieben wird. Durch seine heterogene Vielfalt politischer Meinungen von populären Denkern, Podcast-Moderatoren, YouTube-Stars und Bestsellerautoren erregt die Plattform inzwischen in allen Ecken der Welt Aufmerksamkeit. Der Podcast »Joe Rogan Experience« vom gleichnamigen Host – welcher inzwischen von Spotify für 100 Millionen Dollar gekauft wurde9 – ist mit seinen drei bis vier Stunden dauernden Gesprächen, welche von Millionen Nutzern gehört werden, ein Beweis dafür, dass Menschen nach Tiefgang, echten Gesprächen und kontroversen Meinungen hungern.

Warum sechzehn Ludwigs (mindestens) einer zu viel sind

Louis XVI. war bekanntlich der letzte König von Frankreich. Im Januar 1793, vier Jahre nach dem »Sturm auf die Bastille«, wurde er von den Jakobinern hingerichtet. Manche Historiker diskutieren heute noch, ob ein stärkerer und weniger wankelmütiger Regent imstande gewesen wäre, die Monarchie in Frankreich zu retten.

Doch diese Debatte geht am Kern der Sache vorbei. Schon der Umstand, dass vor dem letzten Louis fünfzehn Könige gleichen Namens auf dem Thron gesessen hatten, ist ein starkes Indiz dafür, dass ein radikaler Systemwechsel überfällig war. Das »Modell Louis« – die traditionelle, veraltete Monarchie – war schlicht nicht mehr kompatibel mit der Realität. Gewiss, er zerrüttete die Staatsfinanzen, indem er die Marine gewaltig aufrüstete und an der Seite der USA gegen Großbritannien in den Krieg zog. Durch seinen Kampf für die amerikanische Unabhängigkeit half er sogar unabsichtlich mit, Demokratie und Menschenrechte populär zu machen, in deren Namen er schließlich hinweggefegt werden sollte. Auch die Verschwendungssucht seiner Gattin Marie-Antoinette, Erzherzogin von Österreich, trug dazu bei, seine anfängliche Popularität bei den »Sansculottes«, der rechtlosen und verelendeten Unterschicht, zu untergraben.

Als schlagender Beweis für Louis’ abgehobene Weltfremdheit gilt der missglückte Fluchtversuch nach Metz, den er im Juni 1791 unternahm. Auch wenn der letzte Ludwig noch einige Zeit offiziell in Amt und Würden blieb, war er seitdem faktisch ein Gefangener der Jakobiner. Die riefen im September 1792 die Republik aus und ließen ihn kurz darauf wegen »Verschwörung gegen die öffentliche Freiheit und die Sicherheit des gesamten Staats« öffentlich enthaupten.

Hätte Louis XVI. die Monarchie durch schlaueres und entschlosseneres Handeln retten können? Wohl kaum. Das Problem war das statisch-hierarchische Feudalsystem, nicht sein schwacher Charakter. Feudalismus bedeutet, dass Angehörige des Adels einfach aufgrund ihres Namens und ihrer Herkunft Privilegien besaßen und Einkünfte bezogen, ohne dafür Leistungen erbringen zu müssen. Im katholischen Frankreich war außerdem der Klerus privilegiert; alle anderen waren im »dritten Stand« zusammengefasst.

Die Formel des feudalen Ständestaats lautete: »Ein jeder bleibe an seinem Platz.« Die Parole der aufklärerischen Demokratie aber besagte das genaue Gegenteil: »Alle Menschen sind gleich. Alle haben die gleichen Rechte und Freiheiten.« Infolge der technischen Revolution, die durch Johannes Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks ins Rollen kam, war die breite Masse so aufgeklärt und gebildet wie nie zuvor in der menschlichen Geschichte. Auch die Aufklärer selbst waren mehrheitlich keine Aristokraten, sondern gehörten als Wissenschaftler, Erfinder oder Philosophen dem »dritten Stand« an. Doch sie alle waren noch immer fast so unterprivilegiert wie ihre analphabetischen Vorfahren im Mittelalter.

Das war der Sprengsatz, der die feudale Monarchie mit ihrer scheinbar gottgewollten Ungleichheit implodieren ließ – nicht nur in Frankreich, sondern auch in Ländern wie Großbritannien oder Schweden. Dort haben die Königshäuser zwar überdauert, dienen jedoch nur noch als Dekoration der Republik und symbolische Repräsentanten der jeweiligen Nation.

Warum erzähle ich das alles? Die Ideen und Forderungen der Aufklärer konnten erst verwirklicht werden, nachdem das »Ancien Régime«, das alte System, zerstört worden war. Und der Sturz des letzten Königs – wenn auch nicht zwangsläufig seine Hinrichtung – war ein Teil dieser notwendigen Zerstörung.

Heute befinden wir uns wieder in einer sehr ähnlichen Lage: Das alte System ist mit den neuen Technologien nicht mehr kompatibel. Erneut sind Macht und Reichtum in den Händen einer kleinen privilegierten Clique geballt, erneut müssen Köpfe rollen – natürlich nur im übertragenen Sinn –, muss ein überkommenes System zerstört werden, damit ein besseres, zukunftsfähiges an seine Stelle treten kann. In der Quantenwirtschaft wird der materielle Überkonsum durch postmaterielle Angebote überwunden werden, Egoismus und hemmungslose Profitgier werden durch Mitgefühl und das Miteinander gezähmt werden. Der Individualismus ist tot. Der Glaube an den kartesischen Individualismus, wie er immer noch in den USA herrscht, oder das algorithmisch kontrollierte Subjekt wie im chinesischen Modell weisen nicht den Weg für Europa. Es ist an der Zeit, ein eigenes Modell zu entwickeln. Statt »Ich denke, also bin ich« heißt es nunmehr »Ich bin, also denke ich« – im Streben nach Wissen in einer interdependenten Welt, gemäß unserem aktuellen Verständnis der Quantenrealität, wo alles mit allen zusammenhängt. Wir können die bevorstehenden Herausforderungen nur gemeinsam meistern.

Exponentiell beschleunigte Technologie zähmen – jetzt oder nie!

Lasst uns aufhören über »digitale Transformation« und »disruptive Technologien« zu sprechen. Die Technologie selbst zerreißt überhaupt nichts – es kommt darauf an, wofür wir sie einsetzen. Und »digitale Transformation« ist kein Naturereignis, bei dem wir nur staunend zusehen können: Wir selbst dürfen und müssen entscheiden, was wir wohin transformieren wollen.

Was wichtig ist zu verstehen: Das wirklich »Digitale« hat noch gar nicht stattgefunden. Was wir in den vergangenen dreißig Jahre gemacht haben – unsere Fantasien auszuleben und ein wenig mit »sozialen« Medien zu spielen –, ist ein Phänomen, das in der Rückschau nur für eine kurze Zeit die Menschheitsgeschichte in dieser Form geprägt haben wird. Wir haben viele Daten produziert und viel Chaos – und werden die nächsten zehn Jahre damit verbringen, die dabei entstandenen Kinderkrankheiten zu kurieren. Wir sollten nicht vergessen: 2020 ist genauso weit entfernt von 1990 wie von 2050. Allerdings werden die nächsten dreißig Jahre wesentlich radikaler werden, wenn die Technologie reift und die Maschinen intelligenter werden.

Der digitale Tsunami steht uns erst noch bevor – doch das löst bei uns emotional überhaupt nichts aus. Folglich haben wir kein Gespür dafür, wie wir mit all mit diesen Entwicklungen umgehen sollen und was auf uns zurollt. Bereits in wenigen Jahren wird es möglich sein, mit Quantencomputern zu arbeiten. Und wie etwa Yuval Noah Hararis Bestseller Homo Deus aus dem Jahr 2016 zeigt, ist künstliche Intelligenz zum Mainstream geworden.10 Harari bietet einen guten Einstieg, aber währenddessen ist die Entwicklung bereits sehr viel weiter. Die Veränderungen in den nächsten zehn Jahren werden extremer sein als sämtliche Umbrüche in den zurückliegenden dreißig Jahren. Was exponentielle Beschleunigung bedeutet, ist wohl jedem, spätestens nach dem epidemischen »#flattenthecurve«, theoretisch klar: Mit 30 Schritten kommst du linear dreißig Meter weit, exponentiell aber sechsundzwanzigmal um die Erde. Über die konkreten Auswirkungen sich exponentiell entwickelnder Technologien machen sich trotzdem die wenigsten Menschen Gedanken, doch genau darum geht es in der Quantenwirtschaft – in der Ökonomie der Welt von morgen, wo die Formeln von gestern und heute keine Gültigkeit mehr haben.

Auf neue Formeln und mathematische Modelle, die die nutzlosen alten ersetzen könnten, sollten wir nicht hoffen: Die Quantenwirtschaft ist nicht berechenbar, sondern in ihrem Kern so merkwürdig wie die subatomare Quantenwelt. Sie ist daher kein fixes, vorab definierbares Ziel, das nur noch Schritt für Schritt realisiert werden müsste – die Quantenwirtschaft ist vielmehr der Weg in die Zukunft. Niemand kann und wird es uns ersparen, diesen Weg zu gehen – es sei denn, wir wollten uns die Mühe von der Technologie abnehmen lassen. Aber der Preis wäre katastrophal hoch: Wir würden vollkommen die Kontrolle über uns selbst und unsere Welt verlieren – wir würden aufhören, Menschen zu sein.

Die Herausforderung ist riesig. Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit ist es gelungen, technische Entwicklungen zu steuern. Aber diesmal muss es klappen, denn anders als in allen zurückliegenden Fällen werden wir keine Chance mehr bekommen, im Nachgang die neuen Technologien zu zähmen und Fehlentwicklungen zu korrigieren.

Nach technischen Revolutionen wie der Erfindung des Buchdrucks, des Verbrennungsmotors oder der industriellen Massenfertigung betrug die Reaktionszeit Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte – mittlerweile sind es nur Monate oder noch weniger. Zudem sind die Zusammenhänge so komplex, dass wir Menschen sie nicht mehr durchschauen können. Nachdem die ersten Atombomben Hunderttausende Todesopfer gefordert und ganze Landstriche unbewohnbar gemacht hatten, rang sich die Völkergemeinschaft zu Abkommen und Abrüstungsmaßnahmen durch, um die drohende Apokalypse zu verhindern. Solche Korrekturmöglichkeiten nach einem aufrüttelnden Ernstfall wird es bei der künstlichen Intelligenz oder einer digitalen Superintelligenz nicht mehr geben.

Nicht nur unter Physikern und Mathematikern wächst die Einsicht, dass wir im Begriff sind, ein Monster heranzuzüchten, das uns alle verschlingen könnte. Der Physiker Stephen Hawking hat in den letzten Jahren seines Lebens immer dringlicher zur Vorsicht gemahnt: KI könne »das Ende der menschlichen Rasse bedeuten«.11 Tech-Pionier, Tesla- und SpaceX-Gründer Elon Musk verglich die ungesteuerte KI-Entwicklung mit der faustischen »Beschwörung eines Dämons«.12 Und Microsoft-Gründer Bill Gates zeigte sich schlicht verwundert, dass »manche Leute keine Angst vor KI haben«.13

Der künstlichen Intelligenz die Selbststeuerung zu überlassen hieße nichts anderes, als ihr die Herrschaft zu übertragen. Die Herausforderung ist gigantisch, aber eine zweite Chance werden wir nicht bekommen. Solange die technische Entwicklung in den Händen einiger weniger Megakonzerne und Technokraten liegt, besteht wenig Hoffnung, dass die Zähmung dieser neuen intelligenten Superkräfte rechtzeitig gelingt. Deshalb müssen wir jetzt radikal umsteuern – auf allen relevanten Ebenen, in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Jeder Einzelne kann und muss dazu beitragen, dass die Lösung gerade noch rechtzeitig gelingt.

Wir brauchen Denker und nicht nur Rechner

Um zu verhindern, dass die CEOs in den Konzernzentralen über unser aller Zukunft bestimmen, brauchen wir dringend eine vielfältige und intensive Zusammenarbeit zwischen Naturwissenschaftlern und Vordenkern aus anderen Disziplinen, auch aus der Philosophie. In einem so kenntnisreichen wie leidenschaftlichen Beitrag vom Juni 2018 im Magazin The Atlantic bringt der fünfundneunzigjährige Elder Statesman Henry Kissinger die Herausforderung auf den Punkt: »Wenn künstliche Intelligenz durch Versuch und Neuversuch exponentiell schneller als der Mensch lernt, müssen wir in Betracht ziehen, dass sie auch schneller und in größerem Umfang Fehler macht als wir. Die Idee der KI-Forscher, man könne KI-Algorithmen ›ethische‹ oder ›vernünftige‹ Ergebnisse vorschreiben, kann illusorisch sein. Ganze akademische Disziplinen sind aus der Unfähigkeit der Menschheit entstanden, sich auf die Definition dieser Begriffe zu einigen. Soll die künstliche Intelligenz hier zum Schiedsrichter werden?«14

Ein albtraumhaftes Szenario, zu dessen Verhinderung der altersweise US-Politguru die Einrichtung eines Philosophenrats empfiehlt: »KI-Entwickler, so unerfahren in Politik und Philosophie wie ich in der Welt der Technik, sollten sich die hier aufgeworfenen Fragen stellen, um technisch machbare Antworten zu finden. Die US-Regierung sollte eine Kommission aus Denkern einrichten, um eine gesellschaftliche Vision zu formulieren. So viel ist sicher: Wenn wir das nicht schnell tun, werden wir sehr bald merken, dass wir zu spät gekommen sind.«

Wo sind also die Gestalter des Wandels und die Handlungshelden? Wo sind die Staaten oder Regionen, in denen weitsichtige Politiker und innovative Unternehmen zusammen neue postmaterialistische Modelle ausprobieren? Wo sind die Politiker, die sich nicht auf veraltete Analysen verlassen, sondern die Augen aufmachen, ihren Sinnen trauen und ihren Verstand gebrauchen?

Dringend notwendig ist eine Renaissance der Denker. Wir brauchen eine neue interdisziplinäre Definition des Fortschritts, die Ansätze und Erkenntnisse von Mathematik, Sozialwissenschaften, Technologie und Philosophie miteinander verbindet. Von hier muss und kann eine Bewusstseinsrevolution ausgehen. Wir müssen eine neue Ökonomie gestalten – eben eine Quantenwirtschaft, in der auf der Basis neuer Technologien sinnvolle Jobs in einer nachhaltigen Wirtschaft und in einer stabilen Demokratie auf einem ökologisch intakten Planeten entstehen. Und all das muss jetzt geschehen.

2 Fehler im System – oder das falsche System?

In ihren theoretischen Systemen gelangen gegensätzliche Wirkkräfte zu idealem Gleichgewicht. Bei den liberalen Kapitalismustheoretikern von Adam Smith bis Milton Friedman sorgt das »freie Spiel der Kräfte« für mustergültigen Ausgleich zwischen Gemeinwohl und Eigeninteresse. Souveräne Individuen treffen kraft ihres »freien Willens« rationale Entscheidungen. Ebenso erklären uns Demokratietheoretiker, warum dieses Staatssystem größtmögliche Freiheit für alle Bürger garantiere. Doch die Praxis sieht auch hier anders aus: Ein Äquilibrium, ein Gleichgewicht der Kräfte, gibt es nur im Modell, die wirkliche Welt ist viel bizarrer – quantenähnlich.

Die folgenden fünf Systemfehler gestalten und prägen heute unsere politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systeme.

Erster Systemfehler: Dogmatismus verhindert Veränderung

Was ist das größte gesellschaftliche Problem, vor dem wir – vor allem in den westlichen Gesellschaften – heute stehen? Islamistischer Terror eher nicht. Der »Islamische Staat« ist ja fast schon wieder Geschichte, und die Risiken durch islamistische Terroristen wurden und werden maßlos aufgebauscht. So schrecklich die Anschläge in Nizza oder Berlin auch waren: Die Zahl der Todesopfer in den westlichen Ländern, die auf das Konto des Islamischen Staats gehen, ist weit geringer als die Opferzahl durch Schusswaffengebrauch in den USA oder durch Verkehrsunfälle in Deutschland. Ginge es den Politikern wirklich darum, ihre Wähler vor tödlichen Risiken zu schützen, wäre es weitaus wirksamer, die Waffengesetze in den Vereinigten Staaten zu ändern oder Tempolimits auf deutschen Autobahnen einzuführen.

Was also ist das drängendste gesellschaftliche Problem, das wir lösen müssen? Der materialistische Turbokapitalismus, der zu massenhafter Konsumsucht geführt hat, muss unbedingt weiterentwickelt werden. Aber meiner Überzeugung nach gibt es ein weiteres, womöglich noch größeres Problem, das wir vorrangig lösen müssen, weil es einen konstruktiven Umgang mit allen anstehenden Herausforderungen erschwert oder sogar blockiert. Ich meine den Dogmatismus.

Dogmen (griechisch für »Meinungen, Lehrsätze«) sind Aussagen, deren Wahrheit nicht angezweifelt werden darf. In Religionen sind damit zunächst nur Glaubenssätze gemeint, über die sich alle Gläubigen einig sind. Ein zentrales Dogma der christlichen Theologie besagt, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist, getötet wurde, aber wiederauferstanden und vor Augenzeugen zum Himmel aufgefahren ist. So bizarr solche »Offenbarungen« für Nichtchristen klingen mögen: Für die Anhänger dieser Religion wäre es sinnlos, sie zu bezweifeln. Sie gehören zum Kernbestand ihres Glaubens und lassen sich ohnehin weder beweisen noch widerlegen. Wenn ich an sie glaube, bin ich Christ; wenn nicht, bin ich keiner.

Da die Wiederauferstehung des Gottessohns als einzigartiges Ereignis angesehen wird, sind die Anhänger dieses Dogmas immerhin nicht gezwungen, physikalische und biochemische Gesetze zu leugnen. Gewöhnliche Menschen stehen nach ihrer Hinrichtung nicht von den Toten auf und schweben auch nicht in Richtung Wolken davon. Darin sind sich Christen und Atheisten einig. Aber es gibt zahlreiche religiöse Dogmen, die ihre Anhänger nötigen, die Realität verzerrt wahrzunehmen.

Bis weit über das Mittelalter hinaus duldete die vatikanische Gedankenpolizei nur solche wissenschaftlichen Erkenntnisse, die zum Weltbild der katholischen Kirche passten. Folglich hatte sich die Sonne um die Erde zu drehen, die ihrerseits unverrückbar im Mittelpunkt des Universums verankert war. Astronomen und Mathematiker, die zu abweichenden Ergebnissen kamen, mussten sich der Kirchenzensur beugen – oder für ihre Wahrheitsliebe schlimmstenfalls mit dem Leben bezahlen. Im Jahr 1600 wurde der italienische Philosoph und Astronom Giordano Bruno hingerichtet, weil er erklärt hatte, dass das Universum unendlich ausgedehnt und von unendlicher Dauer sei.1 Daher könne es nicht erschaffen worden sein, und deshalb könne es auch kein Jenseits geben. Bruno ahnte sogar schon die Raumfahrt voraus und unternahm mentale Reisen zum Mond und darüber hinaus. »Fake News«, urteilten die Inquisitoren und ließen den »Ketzer« auf dem Scheiterhaufen verbrennen.

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