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Beschreibung

In Bewegungen wie "Movimiento de Mujeres y Diversidades Indígenas por el Buen Vivir" und "Ni Una Menos" oder Symbolen wie einem grünen Tuch für das Recht auf legale, sichere und kostenlose Abtreibung zeigt sich ein dekolonialer Feminismus, der sich dem Kampf gegen das cis-heteronormative Patriarchat in Lateinamerika und der Karibik verschrieben hat. Anhaltende Wirtschaftskrisen sowie machistische und infrastrukturelle Gewalt gegen feminisierte BPoC-Körper treiben die in diesem Sammelband präsenten diasporischen Bewegungen und Wissensproduktionen an. Ausgehend von Reflexionen lateinamerikanischer und karibischer Autor*innen über kulturelle und künstlerische Ansätze zeigen die Beiträge auf unterschiedlichste Weise die Transversalität feministischer Praktiken auf. "Queer-feministische Positionen" trägt dekoloniale, kontra-patriarchale Ideen und diasporisches Wissen feminisierter Körper zusammen und zeichnet eine alternative Geografie queer-feministischer Militanz, politischer Aktivismen und transnationaler Allianzen. Mit Beiträgen von Valentina Buitrago García, Grila Vallejo, Rafa Wahl-Herrera, Carla Bobadilla, Trovania Delille, Katya Meyer, Verónica Orsi, Carolina Tamayo Rojas und Lola Bhajan.

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Seitenzahl: 125

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Band 5 der Reihe ›resistance & desire‹,

herausgegeben vom bildungsLab*

Das bildungsLab* setzt sich zusammen aus migrantischen Akademikerinnen* und Akademikerinnen* of Color, die im pädagogisch-kulturellen Raum tätig sind. Sie vermitteln und produzieren Theorie, diskutieren pädagogische und künstlerische Vorstellungen, Konzepte und Paradigmen. Sie kommentieren, intervenieren und publizieren im Feld der rassismus- und hegemoniekritischen Bildung und Vermittlung.

Verónica Orsi (Hg.)

Queer-feministische Positionen

Ausgangspunkt: Südamerika und die Karibikresistance & desire #5

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Verónica Orsi (Hg.):

Queer-feministische Positionen

1. Auflage, März 2024

eBook UNRAST Verlag, Februar 2024

ISBN 978-3-95405-181-6

© UNRAST Verlag, Münster

www.unrast-verlag.de | [email protected]

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: Tasnim Baghdadi, Zürich

Satz: UNRAST Verlag, Münster

Inhalt

Vorwort

Teil 1Der antipatriarchale Körper

Verónica OrsiEinleitung. Zur queer-feministischen Mobilisierung

Katya MeyerEpistemologien der Praxis. Zum Potenzial von Performance und Körper als Ort des Widerstands und Neuschreibens

Carolina Tamayo RojasKontra-patriarchalische Manifest. Über Intimität und Wut

Rafa Wahl-Herrera und Verónica OrsiÜber die Aufgabe, Femi(ni)zide zu zählen

Teil 2Das Menschliche unddas Nicht-Menschliche

Lola BhajanRohe Fragmente

Grila VallejoKurze Geschichten

Trovania DelilleDer Ruf von Lasirèn

Teil 3Gegenkoloniale Reflexionen

Carla BobadillaGrenzüberschreitende Schmetterlinge. Eine Metapher für eine diskursive, diasporische, bewegende und transformative Fragestellung

Valentina Buitrago GarcíaDas Entwirren der Fäden der Kolonialgeschichte Südamerikas

Autor*innen

Anmerkungen

Vorwort

Dieses Buch ist die fünfte Ausgabe der Reihe resistance & desire des bildungsLab*, eines Kollektivs migrantischer Akademikerinnen* und Akademikerinnen* of Color, welches 2017 im Rahmen des Projekts Schools of Tomorrow (2017-2018) im Haus der Kulturen der Welt in Berlin begann, um einen Raum für kritische Wissensproduktion zu Bildung und Kultur zu schaffen. Seitdem treffen wir uns regelmäßig, um über pädagogische und künstlerische Vorstellungen, Konzepte und Paradigmen zu diskutieren und veröffentlichen in dieser Buchreihe zweimal im Jahr verschiedene Texte, Reflexionen und Manifeste zu Wissensproduktion und Kolonialität sowie rassismus- und hegemoniekritische Bildung und Vermittlung.

In diesem Band liegt der Fokus auf verschiedenen beruflichen, kulturellen und künstlerischen Praxen, die von queer-feministischer Militanz aus Lateinamerika durchzogen sind. Eine kritische Reflexion über unsere vielfältigen Praxisfelder und Alltagsrealitäten, die es uns ermöglicht, die Welt in ihren komplexen Interdependenzen zu denken. Die Menschen, die hier schreiben, sind allesamt Lateinamerikaner*innen, die im, durch und mit dem Globalen Norden leben und arbeiten. Unsere Verbindungen zum deutschsprachigen Raum sind vielfältig. Mal familiär, mal biografisch, mal beruflich, mal aus Liebe, mal aus Not, mal forschend – unsere Verbindungen zu Europa, Südamerika und der Karibik sind divers, ebenso wie unsere Erfahrungen, hier und dort zu sein.

Wie alle Bücher der Reihe resistance & desire ist auch dieses ein kollektives Werk, das sich nicht nur aus den Leistungen der Autor*innen speist, sondern auch aus den Netzwerken von Menschen, die hinter ihnen stehen und es ihnen ermöglichen, an diesem Buch mitzuwirken. Deshalb gehört dieses Buch auch den Menschen, die uns zugehört haben, mit uns über unsere Themen sprachen und die uns auf unserem Weg der Militanz für Geschlechtergleichheit und Dekolonialität begleiten. Dieses Buch gehört all den Menschen, die uns ihre Zeit geschenkt haben, die Korrekturen und Übersetzungen ins Deutsche machten. Den Menschen, die uns unzählige Tassen Kaffee und Thermoskannen Mate gekocht haben, die uns bekocht haben und uns gesagt haben, dass es Zeit ist, ins Bett zu gehen, wenn es spät war und die dafür gesorgt haben, dass wir diesen Rhythmus nicht verlieren. Es gehört den Menschen, die wissen, wie viel Arbeit und Liebe in diesem Buch steckt. Dieses Buch gehört den Menschen, die sich um unsere Kinder gekümmert und uns bis spät in die Nacht Snacks und Zigaretten versorgt haben. Dieses Buch gehört unseren Familien, die uns durch ihre Liebe und ihre Ablehnung gelehrt haben, bessere Feminist*innen zu sein und für Gleichheit und soziale Gerechtigkeit zu kämpfen. Dieses Buch gehört auch denen, die uns aus tausenden Kontexten ausgeschlossen haben, weil wir militant, feministisch, lesbisch, bisexuell und queer sind und so lieben und leben, wie wir es wollen. Ohne sie wären wir nicht da, wo wir jetzt sind. Dieses Buch gehört auch all jenen, die uns umarmten, als wir dachten, wir hätten keine Kraft mehr und uns immer wieder davon überzeugten, an uns zu glauben. Ihnen gehört dieses Buch.

Unser ausdrücklicher Dank gilt dem Unrast Verlag für die großartige Begleitung und Unterstützung dieses Projekts. Und nicht zuletzt möchten wir all den Feminist*innen danken, die uns den Weg geebnet haben, denen, die uns gelehrt haben, Feminist*innen zu sein (von denen einige selbst in diesem Buch schreiben), unseren Freund*innen, die uns Kraft geben und uns jeden Tag inspirieren, bessere Menschen zu sein, und den Feminist*innen, die noch kommen werden. Dieses Buch ist für euch.

Verónica Orsi, Berlin im Juli 2023

Teil 1 Der antipatriarchale Körper

Einleitung. Zur queer-feministischen Mobilisierung

Verónica Orsi

Feminismen in Südamerika und der Karibik haben in den letzten drei Jahrzehnten enorm an Kraft gewonnen. Das Entstehen von Kollektiven wie des Movimiento de Mujeres y Diversidades Indígenas por el Buen Vivir (Bewegung der indigenen Frauen und Diversitäten für ein gutes Leben), Bewegungen wie Ni Una Menos (Nicht eine weniger) oder Symbolen wie dem grünen Tuch für das Recht auf legalen, sicheren und kostenlosen Schwangerschaftsabbruch, um hier nur einige Beispiele zu nennen, haben es uns ermöglicht, an sehr spezifische, plurale, dekoloniale, anti-hetero-cis-patriarchale Feminismen zu glauben. Aufgrund der profunden Pluralität der Ausgangspunkte und Kosmogonien, die sich in diesen Feminismen überschneiden, wird im Plural auf sie verwiesen. Aus ihnen entsteht jedoch eine feministische Kraft, auf die im Singular Bezug genommen werden kann, da diese Feminismen trotz ihrer großen Vielfalt koexistieren und sich gegenseitig stärken. Diese feministische Kraft in Südamerika und der Karibik erklärt sich weitgehend aus der Kontinuität des Widerstands gegen die blutigen Militärdiktaturen der 1960er-, 70er- und 80er-Jahre sowie die zum Teil bis heute andauernden bewaffneten Konflikte in einigen Ländern der Region. Ihr jüngstes Erwachen lässt sich jedoch auch als Reaktion auf ultraliberale kapitalistische Regierungen und neokoloniale Politiken erklären, die zu unwiederbringlichen sozialen Ungleichheiten sowie zur Plünderung natürlicher Ressourcen geführt haben und die gewaltsame Unterdrückung der Schwächsten sowie den langsamen Tod der Erde (Terrizid) legitimieren. Jene feministische Kraft zeichnet sich durch eine Radikalität und Massivität (Gago 2021) und die Tendenz aus, sich bestimmte einigkeitsstiftende Symbole und Embleme zu erschaffen. In diesem pluralen Feminismus koexistieren dekolonialer Feminismus, kommunitärer Feminismus und jener der Pueblos Originarios[1] sowie Afrofeminismus, Feminismus für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, LGBTIQ+-Feminismus, Öko- und Gewerkschaftsfeminismus sowie Slum- und feminismo piquetero (Streikpostenfeminismus) miteinander. Dabei zeichnet sich dieser ›südamerikanische und karibische Feminismus‹ durch zwei Grundpfeiler aus: (1) den Kampf für sexuelle und (nicht)reproduktive Rechte wie das Recht auf legalen Schwangerschaftsabbruch und (2) die Militanz gegen männliche Gewalt und Femizid. Zirkulierend um diese beiden zentralen Achsen – gekennzeichnet durch die grüne und die violette Farbe – entstand eine transnationale feministische Bewegung, die die queer-feministische schwesterliche Identität (wieder) etablierte und stärkte und sich für soziale, geschlechtliche und reproduktive Gerechtigkeit in der gesamten Region einsetzt.

Ni Una Menos und die ›grüne Welle‹ für das Recht auf legalen Schwangerschaftsabbruch markierten einen Wendepunkt in der lateinamerikanischen Politik und vertieften die Reflexion über soziale und geschlechtsspezifische Mandate sowie über Mutterschaft und die Rolle der Frau*[2] in der Gesellschaft im Ganzen. Das exponentielle Wachstum der Bewegungen, vor allem ab 2015, hat die kritische Debatte über die politische, soziale und kulturelle Konstruktion des Konzepts Frau in einer transversalen und massiven Weise zum Mittelpunkt der Debatte über unser Dasein in der Welt gemacht. Ni Una Menos (mit ihren Vorläufern, wie den Protesten um die Femizide in Ciudad Juárez) und die Abtreibungsbewegung stellen schlussendlich die patriarchalische und machistische Verwaltung von Leben und Tod in Frage. Sie hinterfragen die Mechanismen und Technologien, die dazu führen, dass manche Tode schockieren und andere nicht. Sie stellen den Justizapparat in Frage, der es ermöglicht, dass einige Verbrechen strafbar sind und andere nicht. Sie denaturalisieren das staatliche nekropolitische Regime und die überzogenen Ansichten darüber, wer zu leben hat und wer zu sterben verdient, wer das Recht hat, sich fortzupflanzen und wem dies verwehrt bleiben soll. Rufen wir uns ins Gedächtnis, dass in Lateinamerika alle zwei Stunden eine Frau Opfer eines Femizids wird (Naciones Unidas 2022). Wir befinden uns in einer neuen Form des Krieges (Segato 2022), der gegen den weiblichen und feminisierten Körper geführt wird. Als Antwort darauf wurde eine Generation von erzürnten Feminist*innen geboren, die sich für ein Leben frei von Belästigung, Missbrauch und Gewalt einsetzen – für sich, aber auch für jene, die nicht mehr unter uns sind.[3] Diese Kämpfe für ein würdigeres Leben außerhalb von Prekarität und hetero-cis-patriarchalischer Unterdrückung wurden durch andere Ansätze der politischen Militanz und des feministischen Aktivismus bereichert. Es ist eine ernstzunehmende Revolution, die die Geschlechterfrage in die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereiche trägt, um diese im Hinblick auf eine Zukunft mit stärkeren Rechten bzw. eine glücklichere Zukunft neu zu denken. Auf diese Weise wurden laufende Debatten stimuliert und befeuert, feministische (Neu-)Interpretationen der verschiedenen Mandate, Praktiken und Aufgaben vorgenommen, die Frauen* vorbehalten sind und die Erkenntnis wieder etabliert, dass alles aus einem feministischen Blickwinkel betrachtet werden kann (und sollte). Was heißt es, ein ›Mann*‹ zu sein? Was bedeutet es, eine ›Frau*‹ zu sein? Muss ich heiraten und Kinder bekommen? Muss ich mich immer bedingungslos um alle anderen kümmern? Warum kann ich nicht ›Nein‹ sagen, wenn ich es sagen will? Feminismen sind dabei, alles tiefgreifend in Frage zu stellen.

Die Forderungen wurden immer deutlicher: die Planung eines erfüllten Lebens auf Grundlage des Begehrens; der Zugang zu Sexualerziehung und Verhütungsmitteln; die gerechte Verteilung der Betreuungsarbeit (Care-Arbeit); ein Ende der rassistischen, hetero-cis-sexistischen, klassistischen, ableistischen und gordofóbica (fettphoben) Gewalt; die respektvolle Sichtbarkeit und Einbeziehung der LGBTIQ+-Community in die Wirtschaft, die Politik und das soziale Leben sowie die Gleichstellung der Ehe; das Recht auf Bestimmung der eigenen Geschlechtsidentität; die Würdigung und Legalisierung der Sexarbeit; der Respekt vor der Umwelt und der Schutz der Ökosysteme unter Anerkennung der Kontinuität zwischen Körpern und Territorien; die Ausweitung des Raums für Frauen*, Inter*-und Trans*-Personen in der Politik sowie die Ablehnung der Privatisierung/Individualisierung staatlicher Schulden; ein Ende der Macho-Gewalt und der Vergewaltigungskultur und eine Welt, in der wir nie wieder »ni una menos« skandieren müssen. Organisierte Frauen, Lesben, Trans-, Queer-, Bi- und Inter-Menschen fordern eine gerechtere Welt und eine Zukunft ohne Prekarität, in Harmonie mit unserer Umwelt und mit anderen Menschen und Nicht-Menschen.[4]

Feminismen begannen allmählich, alle Bereiche zu durchdringen und wurden daher mit dem konservativsten und gewalttätigsten Gesicht, dass die südamerikanische Politik zu bieten hatte sowie mit verbaler, psychologischer, physischer und symbolischer Gewalt in den jeweiligen Sektoren empfangen. Gewaltsame polizeiliche Repression während Demonstrationen, Schikanen und verbale sowie physische Angriffe durch konservative religiöse und ultraliberale Gruppen, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum sowie in sozialen Netzwerken und auf digitalen Plattformen sind einige der Formen, in denen sich antifeministische Gewalt manifestiert. Manche führende Aktivist*innen ließen, getrieben von Widerstand und Sehnsucht, ihre Leben in ihren Kämpfen. Namen wie Marielle Franco, Diana Sacayán, Berta Cáceres und Mãe Bernadete werden als Sinnbilder des ewigen Kampfes in unserem kollektiven Gedächtnis bleiben. Wie so viele andere starben sie für eine intersektionale, antirassistische Gerechtigkeitspolitik, im Kampf gegen Homo- und Transphobie, gegen Ausgrenzung und Klassismus sowie für den Schutz lebenswichtiger natürlicher Ressourcen wie Wasser und Luft.

Der Körper und die Diaspora

Eine der grundlegenden Forderungen des pluralen südamerikanischen und karibischen Feminismus ist die Sichtbarmachung und Ablehnung politischer, wirtschaftlicher, psychologischer und physischer Gewalt gegen feminisierte Körper sowie die Repräsentation und politische Partizipation von historisch unterrepräsentierten Gruppen. Das Ziel ist die Abschaffung der politischen, sozialen und kulturellen Strukturen, welche die machistische, rassistische und patriarchalische Welt, die ausgrenzt und tötet, aufrechterhalten. Vertreter*innen dieser Kämpfe wie Moira Millán, Lohana Berkins und Ochy Curiel liefern einen Diskurs, um die Verflechtung von Kolonialismus, Rassismus und geschlechtsspezifischer Gewalt in einem so spezifischen Kontext wie Lateinamerika zu verstehen. Die südamerikanische und karibische feministische Agenda schlägt ein Programm für die Wiedererrichtung des Friedens, die Ausweitung der Rechte und die Beendigung der machistischen und patriarchalischen Gewalt sowie ein gütiges Verhalten gegenüber der Erde und all ihren menschlichen und nicht-menschlichen Bewohner*innen vor. Die Kämpfe finden somit in allen Bereichen statt und betreffen felderübergreifende und multidimensionale Aspekte der Politik, der Wirtschaft, des Gemeinschafts- und des häuslichen Lebens.

In diesem Kampf fungiert der Körper sowohl als Gefäß für koloniale Macho-Gewalt als auch als Sprachrohr für feministische Forderungen. So werden feminisierte Körper sowohl zum Träger von Gewalt als auch zur Waffe des Kampfes gegen dieselbe. Ihre Forderungen materialisieren sich in ihnen, wenn sie sich mobilisieren und einander begegnen, wenn sie den Verkehr unterbrechen und sich umarmen, aber auch weil sie mit politischen Botschaften beschriftet werden und feministische Insignien tragen. Indem sie körperlich in Erscheinung treten, wird die Macht des Körpers auf performative Weise sichtbar gemacht. Die Mobilisierungen für Ni Una Menos (in einigen lateinamerikanischen Ländern auch Ni Una Mas genannt – Spanisch für Nicht eine mehr), die Demonstrationen für das Recht auf legalen Schwangerschaftsabbruch oder Straßenperformances wie Un violador en tu camino (Ein Vergewaltiger auf deinem Weg) des chilenischen Künstler*innen- und Aktivist*innenkollektivs Las Tesis sind Beispiele dafür. Das performative Auftreten des Körpers im urbanen Raum wird zu einem transformativen politischen Mittel und einer Möglichkeit, eine neue Geschichte über den mit Gewalt beladenen Körper zu schreiben (siehe Mayer S. 23 in diesem Buch). Ein Körper der sich deshalb in ständiger Bewegung und Aktion befindet und Wissen mit sich trägt, wo immer er sich befindet. Auch in der Diaspora weiß der feminisierte Körper, wie er sich gegen die Gewalt behaupten kann, weshalb er wandert und in der Diaspora anderen Körpern, die in ähnliche Richtungen wandern, begegnet.

Über dieses Buch

Mit der rasant zunehmenden Mobilisierung feministischer Gruppen begannen sichtbare strukturelle Veränderungen, auch außerhalb der Region. Südamerikanische und karibische feministische Mitstreiter*innen in der Diaspora sahen, was ihre Freund*innen durch Versammlungen und Organisierung erreichten. Sie schmiedeten und stärkten Bündnisse und organisierten Strategien, die die Transnationalität und Transversalität des Kampfes eröffneten. Mal analog, mal virtuell, mal mit Hilfe von sozialen Netzwerken begannen wir uns zu organisieren und uns gegenseitig zu bilden, um internationale Solidaritätsnetzwerke aufzubauen. Diese feministischen Netzwerke mobilisieren unser Dasein hier und dort. Selbst im Kontext von Pandemie und Quarantäne organisierten sich die südamerikanischen und karibischen Feminist*innen der Welt, um an dieser Entwicklung teilzunehmen. Auch vom deutschsprachigen Raum wurden die Slogans wiederholt, Überzeugungs- und Übersetzungsarbeit vor den Botschaften betrieben und Stimmen für Sichtbarkeit und Gerechtigkeit erhoben – entgegen der Gewohnheit des deutschsprachigen Raums, Lateinamerika und die Karibik, gerade im Kontext von Debatten über Dekolonisierung, unsichtbar zu machen.