Rabenschwarz - Nina Linz - E-Book

Rabenschwarz E-Book

Nina Linz

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Beschreibung

Die Beziehung zerbrochen, die Nächte schlaflos und das Spiegelbild nur noch ein Schatten seiner selbst. Am liebsten will Rin das Haus nie wieder verlassen, sich stattdessen in seine digitale Welt flüchten und all die selbstzerstörerischen Gedanken beiseite schieben. Rin macht es den Menschen nicht leicht, sich ihm anzunähern. Er erstickt sich anbahnende Gespräche im Keim, erwartet von allen nur das Schlechteste und kämpft mit ihn lähmenden Ängsten. Als seine Dämonen allerdings so groß werden, dass Rin sie nicht mehr alleine bezwingen kann, muss er sich entscheiden. Gibt er den Menschen, die sich um ihn bemühen, eine Chance? Zeigt er sich verletzlich und geht das Risiko ein, am Ende enttäuscht zu werden - oder selbst zu enttäuschen? Oder versucht er wie immer, alles alleine zu regeln? Ein 'Coming of Age'-Roman mit queeren Charakteren, bespickt mit gesellschaftsrelevanten Themen. Triggerwarnung: Versuchte Vergewaltigung, Übergriffigkeit, Sexuelle Nötigung, Angstzustände, Panikattacken, Depression, Homofeindlichkeit

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Seitenzahl: 528

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Rabenschwarz - sleepless nights

© 2022 Nina Linz

TW: Versuchte Vergewaltigung, Übergriffigkeit, Sexuelle Nötigung, Angstzustände, Panikattacken, Depression, Homofeindlichkeit

ISBN E-Book: 978-3-347-73856-0

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:

tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich.

Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig.

Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin,

zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice",

An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Umschlaggestaltung: Copyright © 2022 by Nina Linz

RABENSCHWARZ

sleepless nights

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 MACH DOCH ENDLICH DEN MUND AUF

Kapitel 2 NACHTRUHE

Kapitel 3 EINMAL GEDANKEN AUS ZUM MITNEHMEN

Kapitel 4 WIE GEHT ES DIR?

Kapitel 5 NEIN

Kapitel 6 FAMILIE

Kapitel 7 WIR SIND FREUNDE, DU ERINNERST DICH?

Kapitel 8 DER LETZTE TROPFEN

Kapitel 9 KAITO

Kapitel 10 MISSVERSTÄNDNISSE

Kapitel 11 PRÜFUNGEN

Kapitel 12 HOHER Besuch

Kapitel 13 SCHLECHTE NEUIGKEITEN

Kapitel 14 NEUE SCHULE, NEUE CHANCE

Kapitel 15 BEKANNTSCHAFTEN MACHEN

Kapitel 16 ZU VIEL

Kapitel 17 JEDER HAT SEIN PÄCKCHEN ZU TRAGEN

Kapitel 18 SEELISCHE STÜTZE

Kapitel 19 THERAPIE

Kapitel 20 EINE EINLADUNG

Kapitel 21 BARBESUCH

Kapitel 22 ENTHÜLLUNG

Kapitel 23 EINLADUNG

Kapitel 24 LAVENDEL

Kapitel 25 PRAKTIKUM

Kapitel 26 KI

Kapitel 27 ZELTEN

Kapitel 28 BELASTUNGSPROBE

Kapitel 29 AM LAGERFEUER

Kapitel 30 VOREILIGE SCHLÜSSE

Kapitel 31 ENTSCHULDIGUNG

Kapitel 32 HÖHEN UND TIEFEN

Kapitel 33 UNERWÜNSCHTES WIEDERSEHEN

Kapitel 34 ZUHÖREN

Kapitel 35 UNERWARTETER BESUCH

Kapitel 36 SLEEPOVER

Kapitel 37 SAMT UND SILBER

Kapitel 38 LOSLASSEN

Kapitel 39 BESTE FREUNDE

Kapitel 40 DER ANRUF

Kapitel 41 ABREISE

Kapitel 42 ERSTGESPRÄCH

Kapitel 43 RÜCKZUGSORT

Kapitel 44 MITTERNACHTSGESPRÄCHE

Kapitel 45 ROXYS AUFTRITT

Kapitel 46 MIR GEHT ES GUT

Japanisch / Deutsch

Nachwort

Leseprobe "Hidden Spirits – Eisblau"

Kapitel 1

MACH DOCH ENDLICH DEN MUND AUF

»Lass uns Schluss machen.«

Rin verharrte in seiner Bewegung. Mit stockendem Atem starrte er auf die Tomatensoße, die gemächlich von seiner Gabel auf die Nudeln in seinem Teller tropfte und hielt inne.

»Wie meinst du das?«, fragte er und zuckte zusammen, als Amy ihren Löffel fallen ließ. Laut klirrend kam er auf ihrem Teller auf, das Geräusch so schrill, dass es in Rins Ohren nachrang. Der Blick noch immer gesenkt, legte er sein Besteck bei Seite und schlüpfte mit den Händen in die Bauchtasche seines Hoodies. Sein rasendes Herz versuchte er im Zaum zu halten, indem er sich darauf konzentrierte, sich die abgestorbene Haut vom Nagelbett zu kratzen.

»Wie meinst du das, wie meinst du das«, äffte Amy ihn aufgebracht nach. »Ich meine die Dinge so, wie ich sie sage, Rin!«

»Du sagst viel«, murmelte Rin in den Stoffkragen seines pechschwarzen, übergroßen Kapuzenpullovers.

»Oh, jetzt quatsch ich dir also zu viel, ja?«, zischte Amy.

»Das hab ich nicht gesagt.«

Rin musste seinen Blick nicht heben, um zu wissen, wie Amy ihn gerade ansah. Es war immer derselbe Blick. Immer dieselbe Emotion. Enttäuschung.

»Im Gegensatz zu dir kann ich wenigstens reden!« Amy war sauer. Konnte er ihr nicht verübeln. Sie hatte schließlich recht. »Ich rede mir den Mund fusselig und du kriegst einfach keinen Mucks raus! Immer dieselbe Fragerei, wie ich was meine, warum ich etwas sage. Meine Güte, fang doch an, mitzudenken!«

Ha. Denken. Am liebsten wäre es ihm, wenn er genau das abschalten könnte.

Die meisten nahmen an, er wäre recht einfach gestrickt. Direkt, ehrlich. Und wenngleich das zwar stimmte, war es nur die halbe Wahrheit. Er sagte, was er dachte, brachte es gerne so unkompliziert wie möglich auf den Punkt. Aber nur deshalb, weil er sich so viele Gedanken machte, bis sie allesamt zu viel wurden, ihn lawinenartig überrollten und letztlich nur noch das Nötigste seinen Mund verließ.

Ich geb mir doch Mühe. Nein, zu mitleidig.

Ich versuche doch, mich besser auszudrücken. Lächerlich. Warum dann nicht auch einfach machen?

Du erwartest zu viel von mir. Tat sie nicht.

Bitte geh nicht. Nein, manipulativ.

»Okay«, sagte Rin schließlich. Er hob seinen Blick und sah direkt in Amys braune Augen, die im Schatten ihres Ponys lagen. Ihre dunkelbraunen Haare zu zwei hohen, seitlichen Zöpfen zusammengebunden, saß sie vor ihm und starrte ihn mit offenem Mund fassungslos an.

»OKAY?!«, wiederholte sie entgeistert.

Was erwartete sie? Was verlangte sie von ihm? Er konnte nicht sagen, dass sie ihn nicht verlassen sollte. Diese Entscheidung lag nicht in seiner Hand. Er würde ihr niemals einen Entschluss absprechen, den sie für sich selbst gefasst hatte.

Natürlich wollte er sie nicht gehen lassen. Sie waren seit knapp einem Jahr zusammen, waren gerade dabei, ihren Schulabschluss zu machen und Rin hätte die Vorstellung, sich danach irgendwann eine Wohnung mit Amy zu teilen, als durchaus angenehm empfunden.

Doch Rin machte sich nichts vor. Er hatte von Anfang an nicht in Amys Liga mitgespielt. Und offensichtlich würde er das auch niemals.

Kennengelernt hatten sie sich auf der Geburtstagsfeier seines Klassenkameraden. Der einzigen Feier, auf der er jemals gewesen war. Auf die wohl auch keine Weitere folgen würde.

Es war nicht so, als wäre er vor einem Jahr anders gewesen als heute. Auf besagter Feier hatte er sich in das Zimmer des Gastgebers zurückgezogen und dort – natürlich mit dem Einverständnis des Geburtstagskindes – an der Konsole gespielt. Für Rin zählte zu diesem Zeitpunkt nur, dass er da war, wie er es versprochen hatte. Wie oft er zu sehen sein und wann er gehen würde, war eine andere Frage.

Damals sah Amy ihn in einen Raum eintreten und bemerkte auch, dass er ihn über längere Zeit nicht verließ. Nach ein paar Stunden auf der Party öffnete sich schließlich die Tür des Zimmers, da huschte Amy auch schon zu ihm hinein.

Rin, am Fuße des Bettes auf dem Boden sitzend, mit dem Rücken an den Bettrahmen gelehnt, sah zu ihr auf und starrte sie einfach nur mit großen Augen an. Und wie hätte es auch sonst sein sollen, es verschlug ihm vollends die Sprache.

Das Mädchen, das mit quietschgelben Plateauschuhen, hohen Strümpfen, einem dunkelroten, kurzen Rock und einem enganliegenden Langarmshirt vor ihm stand, hatte er noch nie zuvor gesehen. Ihre langen, braunen Haare aufgeteilt in zwei seitliche Zöpfe, die Augen dunkel geschminkt, die Lippen lila umrandet. Ihr Make-up war … ausgefallen, und so trug sie es noch heute.

Amy fiel auf, egal wohin sie ging. Sie kleidete sich gerne unkonventionell, stimmte ihre Frisur und ihre Schminke auf ihre Kleidung ab und strotzte vor Selbstbewusstsein.

Obwohl sie ein Stück kleiner war als Rin – und Rin war selbst mit 168 cm nicht der Allergrößte –, hatte sie Ausstrahlung. Anders als Rin wollte sie diese Aufmerksamkeit, aber auf eine positive Art und Weise. Um aufzufallen, musste sie nicht mehr tun, als selbstbewusst einen Raum zu betreten. Wie an jenem Abend.

Sie hatte sich dafür interessiert, was er spielte und sich zu ihm gesetzt, weil sie ihrer Aussage nach eine Pause vom Trinken gebrauchen konnte. Ein paar Gespräche, Treffen und Dates später, kamen sie auch schon zusammen. Die Beziehung bahnte sich recht eindeutig an, da Amy kein Blatt vor den Mund nahm und Rin klar vermittelte, dass sie an ihm interessiert war.

Warum auch immer.

Amy zog ihn sofort in ihren Bann. Es dauerte nicht lange, bis er sich sogar vorstellen konnte, sie seinen Eltern vorzustellen. Und das tat er.

Überschwängliche Freude war kein Ausdruck für die Reaktion seiner Mutter, als sie Amy kennenlernte. Sie war geradezu entzückt und Rin verstand das nur zu gut. Amy musste man einfach gernhaben. Obwohl sie beide erst 15 Jahre alt waren, freute seine Mutter sich extrem darüber, zu sehen, dass er überhaupt mal jemanden mit nach Hause brachte.

Tut mir leid, Mama, dachte Rin. Er konnte sich die Enttäuschung in ihren Augen schon vorstellen, wenn sie realisieren würde, dass er auch Amy nicht hatte halten können.

Rin wusste nicht, was schiefgelaufen war. Ja, er war ruhig. Ja, er war reserviert, zurückgezogen, scheu geradezu. Aber genau das waren die Dinge, die Amy anfangs angezogen hatten. Die sie positiv an ihm kommentiert hatte. Sie mochte es doch, dass er so ruhig und nachdenklich war? Warum hieß es plötzlich, dass er endlich mitdenken sollte? Genau das war doch der Ursprung allen Übels. Einst war seine analytische Herangehensweise an Probleme oder alltägliche Situationen noch faszinierend gewesen. Einst.

Bis er anstrengend wurde. Unzugänglich. Langweilig. Bis alle anderen Spannenderes zu erzählen hatten als eine Geschichte über einen neuen Programmiercode, den sein Vater ihm beigebracht hatte.

›Okay‹ war nicht die Antwort, mit der Amy gerechnet hatte. Es war wohl auch keine Antwort, die man beim Beenden einer einjährigen Beziehung gab. Aber keine andere Antwort wäre richtig gewesen. Er konnte keine Entscheidung, die schon gefällt worden war, rückgängig machen, sondern musste sie annehmen. Und mit Fragen hatte er Amy schon mehr als genug genervt.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, entkam es Rin leise.

»Ist mir aufgefallen, ja«, konterte Amy und verschränkte die Arme vor der Brust. »Habe aber auch nicht damit gerechnet, dass du überhaupt etwas sagst.«

»Amy«, flüsterte Rin verzweifelt, bohrte sich die Fingernägel in die eigenen Handflächen. »Du weißt, dass ich das nicht will. Aber es ist deine freie Entsch-«

»Eigentlich hätte ich wissen sollen, dass du nicht mal jetzt darum kämpfst.«

Rin sah zu Amy auf und schob reflexartig die Augenbrauen zusammen. Kämpfen? Wofür? Dafür, dass jemand bei ihm blieb, der es augenscheinlich nicht wollte? Was für einen Sinn hatte das?

Rins Blick folgte dem von Amy, den sie von ihm abgewandt hatte und stattdessen aus dem Fenster neben ihnen richtete. Sie saßen im Esszimmer seines Elternhauses und obwohl seine Mutter normalerweise bis zum späten Nachmittag arbeitete, sah er sie gerade in der Einfahrt aus ihrem roten Kleinwagen steigen und zum Kofferraum steuern.

Unterdessen wunderte Rin sich darüber, weshalb Darwin noch nicht höchstpersönlich aufgetaucht war, um ihn zur Strecke zu bringen. Der am besten Angepasste überlebt? Würde es also reichen, sich unter dem Tisch zu verstecken? Oder musste er nur kreidebleich werden wie die Wand hinter sich? Ging er damit als Chamäleon durch? Alles sprach dafür, dass das hier sein Untergang werden würde. Mindestens jedoch einer der demütigendsten Tage seines Lebens.

Verdammt.

Was sollte er jetzt noch tun? Kitten konnte er die Beziehung nicht mehr, wenn Amy so stark zweifelte. Er sah keinen Sinn darin, für etwas zu kämpfen, was später umso schmerzhafter zerbrechen würde. Aber er wollte Amy auch nicht das Gefühl geben, dass ihm ihre Beziehung nichts bedeutete. Bis vor ein paar Minuten war ihm genau diese Beziehung noch heilig gewesen. Er hätte alles auf Amy gesetzt. Ohne zu zögern.

»Nicht mal darauf hast du etwas zu sagen«, schimpfte Amy wutschnaubend und erhob sich. Unterstrichen wurde ihr Zorn vom unangenehm schrillen Quietschen des Stuhls auf dem Fliesenboden des Esszimmers. Wenn Rins Haare sich nicht schon zuvor am ganzen Körper aufgestellt hätten, dieses Geräusch hätte mit Sicherheit dazu geführt.

»Wie kommst du nach Ha-«

»Pragmatisch wie immer.« Amy nahm ihren Teller – das Essen darin schon längst kalt – und trug ihn zur Spüle in die Küche. Sie beide ließen die Soße, die über den Tellerrand schwappte und auf den Boden klatschte, unkommentiert.

Rin ignorierte seinen Teller und hastete ihr hinterher. »Du weißt, dass ich das nicht so meine. Ich mach mir nur Sorgen, ob du sicher-«

»Ach, so wie du mich immer auf Partys begleitest und nach Hause bringst, dass mir auch nichts passiert?« Amy drehte sich zu Rin um und warf ihm einen Blick zu, dessen Eiseskälte ihm mehr als zusetzte. Der Zynismus ihrer Worte traf ihn genau dort, wo es schmerzte.

»Du weißt, dass ich Partys meide«, entgegnete Rin gesenkten Hauptes. Weshalb verlangte sie von ihm, sie auf Partys zu begleiten, nur um sie dann von dort nach Hause zu eskortieren? Klar wollte er, dass Amy immer heil zu Hause ankam, aber warum war das auf einmal seine Verantwortung?

Am Anfang war es noch in Ordnung für sie gewesen, dass er um diese Art von Zusammenkünften lieber einen Bogen machte. Doch irgendwann wurde diese Eigenschaft mühselig für sie, und das, obwohl es viel mehr sein Leben betraf.

»Bitte erwarte nicht von mir, dass-«

»Ach, keine Sorge«, lachte Amy süffisant. »Ich erwarte gar nichts mehr von dir.«

Das saß. Rin kniff die Augen zusammen, als sich der Schlüssel im Schloss der Haustür drehte und ihm bewusst wurde, dass Amys nächste Worte auch die Ohren seiner Mutter nicht verfehlen würden.

»Ich hab es wirklich versucht, aber mit dir kann man einfach kein vernünftiges Gespräch führen.«

Rin stand wie versteinert vor Amy, da betrat seine Mutter schon die Küche. »Amanda, Liebes«, sprach sie Amy besorgt an, während sie die Einkäufe auf der Küchentheke abstellte. Sie streckte eine tröstende Hand nach Amy aus, die Rin in diesem Moment ebenso gebrauchen konnte, aber nicht bekam. »Ist denn alles in Ordnung? Soll ich euch etwas kochen?«

»Guten Tag, Frau Nakita«, begrüßte Amy sie höflich. »Tut mir leid, aber ich wollte gerade gehen.«

Rin hatte von Anfang an nicht in Frage gestellt, dass Amy es ernst damit meinte, ihre Beziehung zu beenden. Deshalb brachte er ja kaum ein Wort raus, deshalb raste sein Herz, deshalb schwitzten seine Hände. Er wollte das hier nicht, aber er fühlte sich vollkommen machtlos.

»Oh, natürlich«, entgegnete Rins Mutter. »Du kommst aber doch morgen Abend zum Grillen, richtig?«

»Ich fürchte nicht, nein«, antwortete Amy mit gedämpfter Stimme.

Rin sah weder seine Mutter noch Amy an, wusste aber, dass ihrer beider Blicke auf ihm lagen. Amy wartete auf eine Regung, ein letztes Aufbäumen seinerseits, und seine Mutter wohl auf selbiges. Sie beide wollten, dass er endlich aufhörte den Schwanz einzuziehen wie ein verstörter, geprügelter Welpe. Aber er konnte nicht.

Er bekam nur beiläufig mit, dass seine Mutter Amy dazu überredete, sich von ihr nach Hause fahren zu lassen. Da sie schon seit Amys erstem Besuch eine sehr gute Beziehung zueinander hatten, willigte Amy ein, ging ohne zu zögern an Rin vorbei – nicht, ohne ihn nochmal am Oberarm zu touchieren – und verschwand aus der Haustür.

»Ich hoffe, du hast einen guten Grund, sie gehen zu lassen«, brummte seine Mutter verständnislos. »Räum bitte die Einkäufe weg.« Daraufhin kramte sie ihren Autoschlüssel wieder aus ihrer Manteltasche hervor und folgte Amy aus dem Haus.

Kapitel 2

NACHTRUHE

Nein, Rin hatte keinen guten Grund dafür, sie gehen gelassen zu haben. Und er würde wohl auch niemals einen finden.

Amys Worte hatten wehgetan, sie hatten gesessen, ja, ohne Frage. Aber es würde absolut nichts nützen, ihr die Schuld zu geben, denn Amy hatte alles versucht. Sie hatte alles gegeben.

Rin war unzugänglich. Von Anfang an gewesen. Niemand war dafür verantwortlich, ihn aus seinem Schneckenhaus zu locken und dafür zu sorgen, dass er sozialer wurde. Er hatte Amy vernachlässigt, ihre Bedürfnisse nicht anerkannt und nicht verstanden, wie viel es ihr bedeutet hätte, wenn er ein paar Mal öfter über seinen Schatten gesprungen wäre.

Sie hatten in der Schule zwar ihre Pausen miteinander verbracht, weil Amy in seine Parallelklasse ging, aber auch diese Pausen verliefen nicht nach Amys Geschmack. Rin verstand das. Und wie.

Noch nie war er ein besonders großer Freund von öffentlichen Liebesbekundungen gewesen, oder generell Körperkontakt. Eigentlich hätte er von Anfang an wissen müssen, dass es verdammt war, zu scheitern.

Amy war extrovertiert, selbstbewusst und lebenslustig. Sein genaues Gegenteil. Und zeitweise dachte Rin, dass ihm das vielleicht sogar dabei helfen würde, sich zu ändern. Bis die Kluft immer größer wurde, die Differenzen unüberwindbar.

Während er die Pausen gerne mit ein paar Spielen auf seinem Handy und ruhigen Gesprächen mit Amy füllte, teilte sie ihm mit, wie traurig es sie machte, dass er sie nicht einmal auf die Wange küsste oder den Leuten zeigte, dass sie zusammengehörten.

Rin war nicht ganz klar, warum das wichtig sein sollte. Reichte es nicht, dass sie wussten, dass sie zusammen waren? War es nicht genug, dass er seine Zeit am liebsten in ihrer Gegenwart verbrachte? Was kümmerte ihn denn, ob die Leute sekündlich daran erinnert wurden, dass sie ein Paar waren? Was änderte das?

Der bloße Gedanke, Zentrum der Aufmerksamkeit zu sein, machte ihn krank. Ließ seine Haut brennen, sein Herz schneller schlagen. Er hasste die Blicke anderer Leute, konnte es nicht leiden, stetig bewertet zu werden. Zulassen zu müssen, dass über ihn geurteilt wurde.

Doch Amy zu Liebe hatte er es versucht.

Er hatte vor ihrem Klassenzimmer auf sie gewartet und wäre am liebsten auf der Stelle verpufft, als die Schüler alle nacheinander den Raum verließen und ihn von oben bis unten musterten. Rin wurde gar nicht fertig damit, sich vorzustellen, was sie sich in diesem Moment wohl dachten.

Kann der sich nicht mal die Haare schneiden? Aber er mochte das so.

Hat der den Hoodie schon den dritten Tag in Folge an? Ja, aber das war sein Lieblingspullover.

Jemand gestorben, oder warum dauernd schwarz? Ist schwarz nicht unauffällig genug?

Der hat aber Augenringe, sicher ist der krank. Seufz.

Dieser Gedankenstrudel wurde damals ohne Vorwarnung durch Amy unterbrochen. Durch einen Kuss auf seine Lippen, vor versammelter Mannschaft.

Doch er hatte sich selbst auferlegt, es zu versuchen. Ihr zuliebe endlich aufzuhören, sich den Kopf zu zermartern. Der Hauch eines Lächelns zierte seine Lippen, aber in jenem Moment wollte er sich für die Unaufrichtigkeit dieses Lächelns ohrfeigen. Alles an dieser Situation war für ihn unerträglich.

Er erinnerte sich an das Gefühl, als wäre es gestern gewesen. Wie er sich zwingen musste, nicht den Kopf zu verlieren. Wie er Amy den Arm zum Einhaken hinhielt, weil er ihr nicht seine zittrige, schwitzige Hand reichen wollte. Wie er keines ihrer Worte aufnehmen konnte, weil seine Gedanken ihn nicht losließen. Ein paar Minuten zum Durchatmen, mehr brauchte er nicht. Nur ein paar Minuten.

Mit gesenktem Kopf schlurfte er durch die Gänge. Jeden Blick, der beim Aufsehen seinen kreuzte, bewertete er. Fragte sich, ob die Person sich wohl dachte, dass er Amy gar nicht verdiente. Dass sie viel zu gut für ihn war. Warum sie sich mit ihm abgab, ob sie Mitleid mit ihm hatte.

Als er vor lauter Panik sein Handy zur Besänftigung seiner strapazierten Nerven hervorzog, kassierte er dafür einen missbilligenden Blick von Amy. Aber sie hatte ja recht, er hatte versprochen, sich mehr auf sie zu fokussieren. Sich nicht in seine sichere, digitale Welt zu flüchten. Nie hatte er das Ende einer Pause so enorm herbeigesehnt.

Seitdem war nichts so wie vorher. Das Einigeln wurde noch extremer, seine Antworten noch knapper, die Kommentare seiner Mutter über sein Einzelkämpfer-Dasein saßen noch tiefer.

Und so hockte er nun auf dem Dach seines Elternhauses, auf das er durch sein Kinderzimmerfenster Zugang hatte. Bis heute wussten seine Eltern nicht, dass er hier jeden Abend schlaflos im Dunkel der Nacht saß.

Sie würden nur die exzessive Nutzung seines Computers und seines Handys dafür verantwortlich machen, doch nichts lag ferner der Realität. Rin hatte eine manifestierte Schlafstörung, gegen die er mehr unternommen hatte, als er aufzählen konnte.

Meditation, Hörbücher, Sport, verschiedene Teesorten, Tagebuch, ja sogar Lernen. Gruselig. Doch vor was er immer zurückschreckte, waren Schlaftabletten. Medikamente.

Er war so verdammt müde, so erschöpft, aber nichts half. Obwohl seine Freundin vor ein paar Stunden mit ihm Schluss gemacht hatte, war auch das nicht erdrückend genug, um ihn zum Schlafen zu bewegen. Nicht, dass man nach so einem Ereignis überhaupt gut schlafen konnte, aber wenn es bei ihm schon an einem guten Tag nicht funktionierte, weshalb dann nicht wenigstens am heutigen Tag?

Zwei bis vier Stunden brachte er jede Nacht zusammen, ab und an ergänzt durch kurzes Dösen in der Schule. Für alle war er der Nerd, der die ganze Nacht vor dem Bildschirm verbrachte und sich dann im Unterricht nicht konzentrieren konnte. Doch in Wahrheit schaltete er seinen Rechner um Mitternacht ab und saß bis zum Sonnenaufgang auf dem Dach vor seinem Fenster.

Das Dach war nur leicht abschüssig und befand sich über dem Wohnzimmer, welches zum Garten hin ausgerichtet war. Die raue, schwarze Dachpappe, die darauf verlegt war, speicherte auch in dieser Nacht noch die Wärme der Sonne, die tagsüber darauf hinab geschienen hatte.

Rin lehnte mit dem Rücken an der Hauswand, die Beine zur Brust gezogen und das Kinn auf den Knien abgelegt. Mit den Armen umklammerte er seine Beine und krallte sich mit den Fingern in den Stoff seines Hoodies.

Morgen würden es alle wissen. Alle würden ihn anstarren, sich denken, dass das ja klar gewesen war. Was er sich denn dachte, ob er wirklich geglaubt hatte, dass diese Beziehung eine Zukunft hätte.

Niemandem würde er widersprechen. Auch nicht seiner Mutter. Oft genug hatte sie ihm gesagt, dass er doch endlich offener sein sollte. Dass er freundlicher gucken, sich einen anderen Haarschnitt schneiden lassen sollte, der nicht sein halbes Gesicht verdeckte. So würde ihm doch auch niemand in die Augen sehen wollen. Dass er sich endlich Freunde suchen sollte, die nicht nur online existierten, wo er ja schon keine Geschwister hatte. Dass er andere Hobbys ausprobieren sollte, Fußball vielleicht.

Rin hasste es, sich diese Gedanken zu machen. Schließlich hatte er selbst schuld an seiner Lage. Er lehnte jede Einladung ab. Er zog sich aus Gruppenaktivitäten zurück. Er grenzte sich selbst aus, mit voller Absicht. Dann zu erwarten, dass noch jemand etwas mit ihm zu tun haben wollte, war reinster Hohn.

Verdammt, er wollte so unbedingt weinen. Auch wenn es ihm wohl niemand wirklich angesehen hatte, er liebte Amy. Aber jeder Mensch erhoffte sich etwas anderes von einer Beziehung, und Amy hatte Gesten und Taten erwartet, die Rin nicht bereit war zu geben. Er hatte es versucht, wirklich. Er hätte es auch weiter versucht, hätte mit dem Gefühl gelebt, nie gut genug zu sein, immer noch mehr geben zu müssen. Aber er hatte zu lange gebraucht.

So weh Amys Schlussstrich tat, er hob ein zentnerschweres Gewicht von seinen Schultern. Denn diese Entscheidung bestätigte ihn nur erneut in der Ansicht, dass er es sowieso nie geschafft hätte, sie glücklich zu machen.

Rede doch über deine Probleme, hieß es immer. Sprich doch einfach aus, was du denkst. Von wegen. Wenn er auch nur einer einzigen Person seine Gedanken des heutigen Tages mitteilte, dieser Mensch wäre sofort über alle Berge. Meine Güte, reiß dich doch einfach mal zusammen, würde es heißen.

Ding.

Rin neigte den Kopf zur Seite, um einen Blick auf sein Handy zu werfen, das neben ihm lag.

[Kaito]: Oi, Rin, kommst heute nochmal online?

Hm. Wenn Amy sehen würde, dass er am Abend wieder mit den anderen im Sprachchat abhing, würde sie mit Sicherheit denken, dass ihm die Trennung kein bisschen zusetzte.

Wenn er ablehnte, würden sie dann überhaupt nochmal fragen? Wie oft fragten Menschen nach, ob man Zeit hatte, bis sie es aufgaben, da man sie stetig abwies?

Wenn er aber doch einwilligte … Wie viele würden da sein? Würden sie ihn fragen, wie sein Tag war? Er konnte sehr gut darauf verzichten, heute oder auch an jedem anderen Tag Zentrum der Aufmerksamkeit zu sein.

»Na, Sohn?«

Rin zuckte ertappt zusammen, als er die Stimme seines Vaters wahrnahm. Mit zusammengekniffenen Augen sah er runter in den Garten, konnte seinen Vater im Dunkel der Nacht aber nicht ausmachen.

Das Rumpeln einer Leiter beim Aufprall auf der Abflussrinne verriet ihm allerdings, dass sein Vater schon auf dem Weg zu ihm aufs Dach war.

Woher wusste er, dass Rin hier oben war? Noch nie hatten seine Eltern ihn darauf angesprochen und Rin konnte sich nicht daran erinnern, sie jemals zu dieser Zeit im Garten gehört zu haben.

»Hey, Dad«, murmelte Rin leise und sah in seiner zusammengekauerten Position zu seinem Vater auf, der gerade von der Leiter aufs Dach stieg und auf ihn zusteuerte.

»Darf sich dein alter Herr zu dir setzen?«, fragte Rins Vater mit einem warmherzigen Lächeln, das die Lachfalten um seine Augen noch prominenter hervortreten ließ.

»Du bist nicht alt«, erwiderte Rin und zog einen Mundwinkel leicht belustigt in die Höhe.

Das war er wirklich nicht. Sein Vater Natsuki war gerade mal 37 Jahre alt, hatte Rins Mutter Mareike – von Natsuki auch liebevoll Mai genannt – bei einem Vortrag über eine neue Firmensoftware kennengelernt, den er in der Firma, in der sie arbeitete, abgehalten hatte.

Rins Vater hatte die Hälfte seines Lebens bei seiner Familie in Japan verbracht, bis er mit der Volljährigkeit einen Job annahm, der ihn hierher verschlug. Doch Natsuki interessierte sich schon früh für Sprachen und beherrschte Deutsch fließend. Nicht erst, seit er hier lebte.

Rin war hingehen in Deutschland geboren und aufgewachsen, hatte seine japanische Verwandtschaft nur circa sechsmal in seinem Leben zu Gesicht bekommen.

Ironischerweise war er für die meisten hier der typische, stille Computernerd, was sie durchaus mit seinen japanischen Wurzeln verknüpften. Ironisch war das deshalb, weil Rins Vater und dessen Verwandten alles waren, aber nicht still oder nerdig.

Sie waren verdammte Party People.

Gastfreundschaft wurde auf dieser Seite der Familie großgeschrieben und wenn sie eines konnten, dann feiern. Bei ihren Besuchen war der Sake quasi in Strömen geflossen, während sie sich beim Karaoke die Seele aus dem Leib gesungen hatten. Die Verwandtschaft, nicht Rin.

Mit Computern oder Technik kannte sich aus der Familie aber niemand wirklich aus, mit Ausnahme von Rins Vater Natsuki. Von ihm hatte Rin so einiges beigebracht bekommen, was sich sehr gut mit der Tatsache vertrug, dass Rin am liebsten in Ruhe an seinen eigenen Projekten arbeitete und es bevorzugte, nur für sich zu sein.

»Was machst du denn so spät hier draußen?«, fragte Natsuki und ließ sich neben Rin nieder. Natürlich nicht, ohne dabei ein väterliches, angestrengtes Stöhnen auszustoßen. Ab welchem Alter war es gesellschaftlich anerkannt, diese Art von Geräusch bei jeglicher alltäglichen Handlung von sich zu geben? Auf die Toilette setzen, ächz. Ins Bett legen, schnauf. Auf den Stuhl setzen, seufz. Sich bücken, grunz.

Himmel, Rin wollte niemals alt werden.

Natsuki fuhr sich durch die schwarzen, kurzen Haare und nahm seine Brille ab. Das tat er in solchen Situationen immer. Als könnte er mit Brille zwar besser sehen, aber ohne besser zuhören. Dass Natsuki sich sorgte, hatte Rin jedoch zuvor schon aus seiner Frage heraushören können. Er musste seinen Vater dafür gar nicht ansehen.

»Musst dir keine Sorgen machen.«

Kurzes Schweigen. Das Grillenzirpen aus der Richtung des Gartens und der anliegenden Felder machte diese Stille jedoch erträglich. Angenehm sogar.

»Rin«, sprach Natsuki ihn erneut vorsichtig an. »Bist du nachts öfter hier oben?« Rin nickte, zog sich die Kapuze seines Hoodies ins Gesicht und bettete den Kopf auf seine Knie. Von allen Seiten geschützt. »Was ist los?«

Netter Versuch.

»Tu nicht so, als hättest du’s nicht schon längst von Mom gehört.«

Natsuki seufzte einmal tief und legte eine Hand auf Rins Schulter. »Okay, ja. Sie hat es mir gesagt. Siehst du mich jetzt bitte an?«

Rin grummelte, setzte sich dann aber aufrecht hin und ließ den Kopf gegen die Wand hinter sich fallen. »Was willst du hören?«

»Ich will hören, wie es dir geht.«

Nein. Du willst hören, dass es mir gut geht. Dass man sich um mich keine Sorgen machen muss. Dass ich euer Leben nicht noch stressiger mache, als es mit Haus, Garten, Arbeit, Krediten und Kind sowieso schon ist.

»Passt so weit«, antwortete Rin. Die perfekte Antwort. So musste er nicht lügen, denn gut ging es ihm nicht, aber die Formulierung war auch nicht so übel, dass sie Grund zur Sorge bieten würde.

»Rintarou.« Oh, sein voller Name. Rin hätte wissen müssen, dass sein Vater sich nicht so leicht abschütteln lassen würde. Noch nie war es ihm gelungen, Natsuki zu täuschen. Aber Rin war es auch noch nie zuvor so wichtig gewesen, ein Gespräch zu umgehen. »Sprich bitte mit mir.«

»Ich will aber nicht sprechen«, knurrte Rin und fühlte sich im selben Moment hundeelend, weil er sich dafür verabscheute, seinen Vater so anzublaffen. Obwohl sein Kopf ihm immer und immer wieder einredete, dass niemand hören wollte, wie es ihm wirklich ging, wusste sein Herz, dass sein Vater nur sein Bestes wollte. Dass er nicht von Rin abgewimmelt werden wollte. Aber Rin konnte nicht anders. Schließlich kam er auch gut alleine zurecht. Irgendwie.

»Du bist mein Sohn, Rin«, sagte Natsuki, als wäre Rin diese Information in den letzten 16 Jahren entgangen. »Ich weiß, dass du ausweichst. Nichts passt und es ist kein schönes Gefühl, dass du mich für so dumm hältst, dass ich dir das abnehmen würde.«

Rin riss schockiert die Augen auf und starrte seinen Vater an, dessen Gesicht durch das Licht in Rins Zimmer auf einer Seite beschienen wurde. Mit dieser Menge an Sorgenfalten auf der Stirn sah er auf einmal doch viel älter aus, als er es wirklich war.

Alles nur wegen ihm.

»Ich halte dich nicht für dumm«, stellte Rin klar.

»Warum behandelst du mich dann so?«

Rin war vollkommen bewusst, dass sein Vater nicht wirklich davon ausging, dass Rin so über ihn dachte. Er wollte, dass Rin sich die Frage, weshalb er so auswich, selbst beantwortete.

»Tut mir leid«, murmelte Rin.

»Sieh mal, Rin«, sagte sein Vater nach einem Räuspern. »Du bist mein Junge und ich spüre, wenn es dir nicht gut geht. Du hast eine Trennung hinter dir und kannst scheinbar nicht schlafen. Ob du es willst oder nicht, natürlich bin ich darum besorgt, wie es dir geht. Ich kann dir dabei nicht helfen, außer dir meine Anwesenheit anzubieten, aber ich will, dass du weißt, dass du niemals so tun musst, als würde es dir gut gehen.«

Rin nickte, in vollem Bewusstsein darüber, dass er diese Worte im nächsten Moment hinterfragen würde.

»Das geht da rein und da raus, richtig?«, fügte Natsuki noch hinzu und deutete nacheinander auf seine Ohren.

Hm. Wenn sie jetzt schon mal hier waren.

»Sie hat gesagt, dass man mit mir nicht reden kann«, erzählte er seinem Vater. »Und dieses Gespräch hier untermauert ihre Aussage eigentlich nur.«

»Ihr sprecht einfach zwei verschiedene Sprachen«, entgegnete Natsuki.

»Wir sprechen beide Deutsch.«

»Komm schon, mein Junge«, lachte sein Vater leise und warmherzig, wie Rin es nur von ihm kannte. »Du weißt genau, wovon ich spreche.«

»Nein«, antwortete Rin wahrheitsgemäß. »Nein, weiß ich nicht. Ich habe versucht, zu kommunizieren, womit ich mich wohl oder unwohl fühle. Ich habe versucht, mich zu ändern, aber es reicht nicht.«

»Das meine ich nicht«, entgegnete sein Vater kopfschüttelnd. »Kommunikation in einer Beziehung ist zwar wichtig, keine Frage, aber du musst verstehen, dass nicht jede Kommunikation immer dasselbe Ziel erreichen wird.«

Rin schob nur verwirrt die Augenbrauen zusammen, das unausgesprochene ›Hä?‹ klar von seiner Stirn ablesbar.

»Man muss nicht immer einen Kompromiss finden. Besonders nicht dann, wenn sich beide nicht wohl dabei fühlen. Ihr habt euch gern gemocht, aber wenn ihr euch verbiegen müsst, um beieinander bleiben zu können, dann soll es nicht sein.«

»Mom würde dir da nicht zustimmen.« Himmel, warum konnte er nicht einfach seine Klappe halten? Mit dieser Bemerkung beschwor er zum krönenden Abschluss wahrscheinlich noch einen Streit zwischen seinen Eltern herauf.

»Deshalb spreche ich auch für mich.« Natsuki zog Rin aus dem Nichts heraus die Kapuze vom Kopf und wuschelte ihm durch die pechschwarzen, strähnigen Haare. Rin wich reflexartig in die andere Richtung aus, wurde dann aber von seinem Vater aufgehalten und wieder in dessen Arme gezogen. Ein tiefes Seufzen entkam Rin, als sein Vater damit begann, ihn am Hinterkopf zu kraulen. Natsuki gab ihm die Zeit, die er brauchte.

Diese Momente zwischen seinem Vater und ihm waren gar nicht mal so selten. An besonders schlechten Tagen huschte Rin nach dem Abendessen ins Arbeitszimmer seines Vaters, der abends meist an Privatprojekten arbeitete. Als Softwareentwickler hatte er ein breit gefächertes Wissen angesammelt und übergab dieses auch Stück für Stück an Rin.

Jedes Mal, wenn Rin seinen Kopf zur Tür herein streckte, winkte sein Vater ihn schon zu sich, rollte den zweiten Drehstuhl an den Schreibtisch und begann, Rin ohne eine einzige Frage seinerseits etwas Neues beizubringen.

Rin hatte große Probleme damit, über das zu sprechen, was ihn bedrückte. Und obwohl ihm bewusst war, dass sein Vater ganz genau wusste, dass Rin zu ihm kam, wenn es ihm schlecht ging, hakte er nie nach. Wahrscheinlich weil er wusste, dass es Rin dadurch noch schlechter gehen würde.

Doch die heutige Situation war eine andere. Rin war nicht im Stande dazu, sich diesmal mit ein bisschen Codierung abzulenken. Der Schmerz saß zu tief, war zu frisch.

»Ich wollte das nicht«, murmelte Rin in seinen Ärmel, den er sich über die Hände gezogen hatte.

»Ich weiß«, seufzte sein Vater traurig. »Du hast sie sehr gern gehabt, hm?«

Mehr als ein Nicken brachte Rin nicht zustande. Er hatte weitaus mehr für sie empfunden. Amy war witzig, hatte seinen trockenen Humor weitestgehend verstanden, Rin – zumindest zu Beginn – genommen, wie er war. Ihre Mimik und Gestik war ausdrucksstark, er hatte sie lesen können, ohne ihr dabei zuhören zu müssen. Und dennoch hatte er ihr gerne zugehört, viel lieber als selbst zu sprechen. Ihre warme Stimme fehlte ihm schon jetzt. Ihr schiefer Gesang, ihr leises Kichern.

Amy hatte sich zwar nicht selbst für sein Hobby interessiert oder viel mit ihm an der Konsole gezockt, aber sie war immer aufmerksam gewesen. Drängte ihn nicht, rauszugehen, wenn sie wusste, dass ein neues Spiel herausgekommen war, auf das er hingefiebert hatte. Fragte ihn, ob er die Fortschritte in besagten Spielen machte, die er sich vorgenommen hatte.

»Warum kann ich nicht ein bisschen mehr so sein wie du«, flüsterte Rin. Es war keine Frage, sondern viel eher eine Aussage. Eine Feststellung, dass er das genaue Gegenteil seines Vaters war.

»Das wäre eine Katastrophe«, lachte Natsuki aus vollem Hals. »Deine Mutter hat mit einem von der Sorte schon genug zu tun.«

»Dafür konzentriert sie sich aber unnötig stark auf den Ruhigeren.«

Rin wusste selbst nicht genau, was er damit sagen wollte. Er liebte seine Mutter, sehr sogar. So viel sie ihm auch dagegen redete, so sehr sie ihn manchmal an sich zweifeln ließ – niemand war perfekt, auch sie nicht.

Es gab Wochen, in denen er sie am liebsten nicht sehen oder sie per Fernbedienung stumm schalten wollte, weil sie seine Unsicherheiten nur noch verstärkte, indem sie sie fein säuberlich heraus pikte und so lange kommentierte, bis er die Fassung verlor, um ihm dann auch das vorzuwerfen.

Aber niemand stand gleichzeitig so sehr hinter ihm wie sie. Während sie sich darüber beschwerte, dass er so viel in seinem Zimmer saß, sorgte sie auch dafür, dass er den besten Computer hatte, um sein Hobby zu genießen. Obwohl sie ihm sagte, dass er sich doch abwechslungsreicher kleiden sollte, kaufte sie ihm, um was er bat. Vielleicht auch deshalb, weil er das selten tat, aber das war nicht wichtig.

Während andere Eltern darauf drängten, zu erfahren, was ihre Kinder denn mit ihrer Zukunft anstellen wollten, ließ seine Mutter ihm die Zeit, das selbst herauszufinden. In seinem Tempo. Bedrängte ihn nicht mit Fragen oder Belehrungen über Noten, Jobs, Zukunftspläne.

Sie kochte täglich für ihn, wusch seine Wäsche, fragte ihn, wie die Schule war. Sie saß über Stunden an seinem Bett, wenn er krank war, brachte ihm einen neuen Tee, sobald der letzte ausgetrunken war und kaufte ihm seine Lieblingssüßigkeiten, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Würde irgendjemand auch nur ein schlechtes Wort über ihn verlieren, wäre sie der Inbegriff einer Löwenmutter.

Und doch fühlte er sich wie eine stetige Belastung im Leben anderer. Auch in dem seiner Eltern. Vor allem in ihrem.

»Dad«, sprach Rin seinen Vater an, nachdem auf seine letzte Aussage nur Schweigen gefolgt war. Natsuki drehte ihm das Gesicht zu und lächelte ihn sanft an. »Tut mir leid, dass ich so anstrengend bin.«

Das Lächeln auf den Lippen seines Vaters wich so augenblicklich, dass Rin seinen Blick abwenden und auf die zittrigen Hände in seinem Schoß sehen musste. Als seine Unterlippe jedoch zu beben begann, umfassten ihn innerhalb kürzester Zeit zwei Arme.

Der Geruch, der so unverkennbar Papa war, hüllte ihn in eine Decke aus Geborgenheit. Rin vergrub das Gesicht in seinen Händen und fiel zur Seite an die Brust seines Vaters.

»Du warst noch nie anstrengend, mein Junge«, nuschelte sein Vater ihm ins Haar und wiegte ihn in seinen Armen hin und her. »Du warst es nie und wirst es nie sein, vertrau mir.«

»Du musst das sagen«, wimmerte Rin. »Du bist mein Papa.«

»Ich muss gar nichts.« Das Lachen seines Vaters füllte Rins Ohren und gleichzeitig sein Herz. »Ich bin überzeugt davon, dass du neben den Menschen online auch Leute in deinem Umfeld finden wirst, mit denen du dich blind verstehst. Du bist erst 16, Rin. In deinem Alter war ich noch in Japan und jetzt guck, wie viele Freunde ich hier habe und wie viele dort.«

»Oaaah, Dad«, grummelte Rin und lachte zaghaft in sich hinein. »Als wäre das vergleichbar. Du machst Freunde, sobald du die Straße überquerst. Alles, was ich währenddessen mache, ist eine mentale Liste über Dinge, die die Passanten gerade an mir stören könnten.«

»Guckst du fremde Leute an und möchtest etwas an ihnen ändern?«, fragte sein Vater irritiert.

»Natürlich nicht.«

»Warum sollten die das dann tun?«

»Das ist etwas anderes«, murmelte Rin.

Nein, es war nichts anderes. Die Frage seines Vaters war so berechtigt wie selbsterklärend, aber das änderte rein gar nichts an Rins Gedanken.

»Das muss ich nicht verstehen, oder?«

Rin spürte das Kopfschütteln seines Vaters, das diese Frage begleitete.

»Nein.«

»Gut«, entgegnete Natsuki. »Ich weiß, du willst jetzt lieber für dich sein. Kann ich dich alleine lassen und darauf zählen, dass du gleich schlafen gehst?«

»Mhm.« Wenn er nicht direkt bejahte, war es keine Lüge, richtig? Er würde heute Nacht kein Auge zubekommen und das war ihm schon jetzt bewusst. Aber so sehr er auch darauf vertraute, dass sein Vater ihn liebte – ihm in diesem Wissen Sorgen zu bereiten war nicht in seinem Sinn.

Einige Minuten saßen sie noch still zusammen, Rin in den Armen seines Vaters. Als er sich von selbst aufrichtete, wertete sein Vater das als subtilen Hinweis darauf, ihn jetzt alleine zu lassen.

Es war traurig, dass Rin schon so bekannt dafür war, die Menschen von sich zu stoßen, dass sie prompt von seiner Seite wichen, wenn er nicht laut aussprach, dass er genau das nicht wollte.

Aber diese Suppe hatte er sich selbst eingebrockt.

Kapitel 3

EINMAL GEDANKEN AUS ZUM MITNEHMEN

»Sie hätte auf Dauer vielleicht einen Unterschied machen können!«

»Hör dir doch bitte mal zu, Mai! Er ist keine Maschine, die man reparieren kann!«

»Aber wir müssen doch etwas tun, so kann das unmöglich weitergehen! Er geht da oben ein! Ich mache mir doch nur Sorgen, Natsuki!«

»Ich weiß. Aber das Letzte, was er jetzt braucht, sind noch mehr Erwartungen an ihn. Er braucht unseren Rückhalt, sonst-«

Rin schloss die Badezimmertür hinter sich und hoffte inständig, dass seinen Eltern das leise Klacken entgangen war. So laut, wie sie miteinander sprachen, musste ihnen aber doch klar sein, dass sie für ihn nicht zu überhören waren.

Als hätte er es vorherbestimmt, war genau das eingetreten, wovor er Angst gehabt hatte. Seine Mutter war vor lauter Sorge sauer geworden und sein Vater befeuerte diese Verärgerung durch sein grenzenloses Verständnis.

Rin warf die Kleidung, die er gleich anziehen wollte, auf den Schemel neben dem Waschbecken und sah in den Spiegel. Eine Handlung, die er weitgehend vermied. Fast wäre ihm ein selbstmitleidiges Lachen entkommen. Himmel, sah er beschissen aus.

Die kohlrabenschwarzen Haarsträhnen hingen ihm ins Gesicht, verdeckten seine grauen, schmalen Augen nahezu vollständig. Seine Unterlippe war vom unentwegten Herumkauen aufgeplatzt. Die tiefen, bläulichen Augenringe und vereinzelten Pickel machten das Gesamtbild nicht gerade besser.

Er hob eine Hand an sein Gesicht und schob mit dem Zeigefinger seinen Tränensack umher. Dass er öfter gefragt wurde, ob er denn krank oder müde sei, war quasi unvermeidlich. Sein prinzipiell grimmiger Gesichtsausdruck rundete den erbärmlichen Anblick nur zusätzlich ab.

Mit der flachen Hand strich er sich die Haare aus der Stirn und musterte sein blasses Gesicht. Er schnaufte belustigt durch die Nase aus, ließ die Haare wieder über seine Stirn fallen und schüttelte den Kopf.

Ganz ehrlich, er hätte mit sich selbst auch Schluss gemacht. Besser noch, er wäre nie eine Beziehung mit jemandem wie sich eingegangen.

Nichts wollte er lieber, als unsichtbar zu sein. Sich keine Gedanken darüber machen zu müssen, wie er gleich in der Schule beäugt werden würde. Wenn er mit einem Fingerschnipsen dafür sorgen könnte, in den Leben anderer nie existent gewesen zu sein, er würde es tun. Sofort, ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden.

Er griff nach der Zahnbürste, putzte sich die Zähne und sprang anschließend in die Dusche. Wenn sie ihn heute schon alle anstarren würden, dann wenigstens mit gewaschenen Haaren.

Nachdem er sich abgetrocknet hatte, schlüpfte er in seine Boxershorts und streifte sich Socken über die Füße. Darauf folgte ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck eines Spieltitels auf dem Rücken. Die Cargohose mit etlichen Taschen war ebenfalls schwarz, geschmückt mit einer silbernen, durchhängenden Kette vom Gürtel zur Hosentasche. Bevor er sich seine Baumwollmütze über den Kopf streifte, zog er sich noch einen asymmetrisch geschnittenen Hoodie über, der zwar zu groß war, ihm aber gleichzeitig als Panzer diente.

Achselzuckend sah er in den Spiegel, holte tief Luft und verließ das Badezimmer. Seinen Schulrucksack warf er sich kurzerhand über die Schulter und nahm die Treppe ins Erdgeschoss. Er trampelte absichtlich Stufe für Stufe nach unten, um seinen Eltern lautstark anzukündigen, dass er nun in Hörweite war. Als er den Rundbogen vom Treppenhaus zum Essbereich durchquerte, waren ihre Blicke schon auf ihn gerichtet.

»Guten Morgen«, begrüßte ihn sein Vater, der mit einer Tasse Tee am Esstisch saß, in der anderen Hand ein Tablet, auf dem er die Nachrichten las. »Na, hast du ein Auge zubekommen?«

»Morgen«, murmelte Rin und sah dabei auch seine Mutter an. Diese stand im Türrahmen zur Küche, von wo aus sie gerade eben noch mit Natsuki diskutiert haben musste.

Die Frage seines Vaters beantwortete Rin nicht.

»Hast du Hunger?«, fragte seine Mutter, worauf Rin nur mit einem Kopfschütteln reagierte. »Ich habe dir heute Morgen für die Schule dein Lieblingsessen gemacht.«

Rin zog überrascht eine Augenbraue in die Höhe. Hatte sie … ?

»Jap, du liegst richtig«, bestätigte Natsuki Rins Vermutung grinsend. »Sie steht seit 5 Uhr in der Küche, weil sie dir Onigiri machen wollte.«

Rin fühlte zwei Emotionen auf einmal. Dankbarkeit, weil seine Mutter sich diese Mühe gemacht hatte, nur um ihn aufzuheitern. Aber gleichzeitig auch Wut. Ärger auf sich selbst, weil er scheinbar so bemitleidenswert wirkte, dass seine Mutter es für nötig empfand, ihren Schlaf für ihn zu opfern.

Obwohl er es nicht sagen wollte, kam es ihm über die Lippen. »Das wäre nicht nötig gewesen. Aber danke.«

Natürlich wäre es nicht nötig gewesen. Sie hatte es aus freiem Willen getan und wünschte sich nur, dass er es einfach annehmen würde. Warum zur Hölle fiel es ihm so schwer?

»Ich wollte es aber. Und so bekommt dein Vater auch noch ein Mittagessen für die Arbeit mit.«

Es war lieb von ihr, es so wirken zu lassen, als wäre nicht allein Rin der Grund für ihre Mühen, aber selbstverständlich wusste Rin, warum sie das sagte. Er nickte also, hievte seinen Rucksack auf den Esszimmerstuhl vor sich und verstaute die Bentobox seiner Mutter darin.

»Soll ich dich zur Schule fahren?«, fragte sein Vater nahezu hoffnungsvoll. »Ich hab’s eh gleich und kann dich dort absetz-«

»Nicht nötig«, schnitt Rin ihm das Wort ab. »Ich laufe.«

Er sah seine Eltern nicht nochmal an, bevor er das Haus verließ. Ihre besorgten Blicke ertrug er einfach nicht. Er wollte etwas sagen, ja. Aber alles, was er dachte, hörte sich selbst in seinem eigenen Kopf erbärmlich an, weshalb es noch weniger Sinn hatte, diese Gedanken einem Menschen gegenüber auszusprechen. Geschweige denn seinen Eltern gegenüber.

Mit gesenktem Blick und hängenden Schultern schlurfte er in Richtung Schule. Die Musik, welche durch die Kopfhörer seine Ohren füllte, reichte ihm an diesem Morgen als Ablenkung. Sein Handy hatte er nicht mehr angesehen, seit Kaito ihn am Abend per Textnachricht gefragt hatte, ob er online kommen würde.

Er hatte keine Lust auf aktualisierte Statusupdates von Amy oder scheinheilige Nachrichten irgendwelcher Schulkameraden, die es auf einmal furchtbar interessierte, ob das Gerücht um Amy und ihn – das sich zweifelsohne schon verbreitet hatte – tatsächlich stimmte.

Wieso waren Menschen so unfassbar versessen darauf, ihre Nasen in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken? Spätestens in der ersten Pause würden sie Rin alleine herumsitzen sehen, wie die Jahre zuvor, die er ohne Amy verbracht hatte. Dann wäre ihre Frage doch sowieso beantwortet.

An der nächsten Kreuzung hob er schließlich den Kopf und richtete seinen Blick auf die Ampelanzeige. Es war quasi unmöglich, den Typen mit den orangeroten Haaren auf der gegenüberliegenden Straßenseite nicht zu bemerken, der in einer unüberhörbaren Lautstärke mit seinem Nebenmann lachte.

Über ihn? Hatte er irgendetwas im Gesicht? Löcher in der Hose? Noch Zahnpasta an den Mundwinkeln? Konnte man das von dort drüben überhaupt sehen?

Als die Ampel auf Grün sprang, setzte Rin sich in Bewegung und versuchte in der Menge an Passanten unterzugehen, um den beiden groß gewachsenen Kerlen, die sich ihm näherten, nicht aufzufallen.

Leichter gesagt als getan.

In Gedanken versunken achtete er nicht auf seine Umgebung und rempelte einen der Männer unbeabsichtigt an.

Als würde es ihm nicht selbst unangenehm genug sein, mussten nun alle um ihn herum denken, dass er zu blöd war, geradeaus zu laufen. Stier doch nicht immer so in den Boden, hörte er seine Mutter schon in seinem Hinterkopf schimpfen.

»Sorry, Mann!«, entschuldigte sich plötzlich der Größere der beiden und lächelte ihn noch im Weitergehen freundlich über die Schulter an. »Hab nicht geguckt, wo ich hinlaufe!«

»Ist okay«, murmelte Rin etwas perplex und drehte sich wieder nach vorne, um den Rest des Weges im Laufschritt zurückzulegen. Unangenehm.

Auch über die nächsten Minuten Fußweg wurde er das abscheuliche Gefühl nicht los, sich blamiert zu haben. Zu allem Überfluss hatte er sich aufgrund seiner grenzenlosen Überforderung nicht mal entschuldigt. Der Typ hatte ihn mit Sicherheit schon längst vergessen, keine Frage. Aber Rin konnte einfach nichts gegen diese Gedanken tun, die ihn verfolgten.

Immer wieder sagte er sich, dass er sich irrational verhielt. Sich Sorgen um Dinge machte, die es nicht wert waren, nicht für eine Sekunde. Doch wie änderte man das? Wie würde er es schaffen, besser mit solchen Situationen umzugehen? War es für ihn überhaupt ansatzweise möglich, einmal nicht sofort in Panik zu geraten? Nicht das Gefühl haben zu müssen, nur deshalb in Zukunft eine andere Route wählen zu wollen, um diesem Fremden nicht erneut über den Weg zu laufen?

Rin wusste, dass diese Gedanken armselig waren. Aber das bedeutete nicht gleichzeitig, dass er sie deshalb abschalten konnte.

Leider.

Kapitel 4

WIE GEHT ES DIR?

Rin passierte das Tor zum Schulgelände, zückte noch im selben Moment sein Handy und suchte in seiner Playlist nach einem Song, der all die Stimmen überschatten konnte.

Wie ferngesteuert navigierte er sich durch die modrig riechenden Gänge und kam schließlich in seinem Stockwerk an. Die Tür seines Klassenzimmers stand bereits offen.

Zum Glück war so früh morgens noch kaum jemand im Klassenzimmer. Er mochte das, weil ihn dann beim Hineinkommen nicht sofort etliche Augenpaare erfassten. Lediglich die der zwei, drei anwesenden Personen, die meistens selbst noch alleine auf ihren Plätzen saßen und daher genauso ruhig waren wie er.

Während er auf seinen Platz in der dritten Reihe zumarschierte, öffnete er den Chat mit Kaito.

[Rin]: Sorry, konnte gestern nicht mehr. Heute vielleicht wieder.

Kaito war sein engster Freund, den er vor zwei Jahren über ein Onlinegame kennengelernt hatte und seitdem täglich mit ihm zusammen spielte oder über Weltansichten philosophierte. Sie waren im selben Alter, wodurch ihre Tagesplanung recht ähnlich aussah und es ihnen möglich war, die Abende gemeinsam vor dem Rechner zu verbringen. Wenn auch an verschiedenen Orten.

Es gesellten sich zwar auch oft noch andere Leute hinzu, mit denen sie regelmäßig zockten, aber mit Kaito hatte er das engste Verhältnis. Zumindest sah Rin das so.

[Kaito]: Alles gut? Du verpasst normalerweise keinen Lauf

[Rin]: Ja, alles gut. War was Familiäres

Eine Notlüge war in Ordnung, richtig? Mit seiner Familie hatte der gestrige Abend nur im weitesten Sinne etwas zu tun. Er hatte zwar ein Gespräch mit seinem Vater geführt, aber das war nicht der Grund seines Fernbleibens gewesen.

[Kaito]: Du kannst mit mir reden, wenn du willst. Das weißt du, oder?

Rin saß mittlerweile schon auf seinem Platz, die Stirn auf der Tischkante abgelegt und das Handy in seinem Schoß. Er schrak hoch, als sein Sitznachbar auf den Stuhl neben ihm plumpste.

»Hey«, grüßte Jonas ihn. Rin durchschaute Jonas’ unsicheres Lächeln sofort. Er wusste Bescheid.

»Hi«, entgegnete Rin und ließ seine Stirn wieder auf die Tischplatte fallen, um Kaito zu antworten.

»Wie geht’s dir?«

Urgh. Rin war froh, dass Jonas sein Augenrollen nicht sehen konnte. Wie sollte es ihm schon gehen? Himmel, ja, die Leute meinten es nur gut mit ihm und diese Frage war nett gemeint, ja, ja er wusste das. Aber es stresste ihn, sich eine Antwort einfallen lassen zu müssen, die das Gespräch so schnell wie möglich im Keim erstickte.

»Den Umständen entsprechend.« Damit sagte er nicht zu viel, aber gleichzeitig auch, dass er sich denken konnte, worauf sein Sitznachbar hinauswollte.

»Hab schon gehört«, murmelte Jonas, verschränkte die Arme auf der Tischplatte und legte den Kopf auf ihnen ab. »Tut mir leid.«

»Mhm.« Was sollte er darauf denn antworten? Danke? Bedankte man sich neuerdings für Mitleid?

Rin nervte sich selbst ungemein. In ihm stritten sich konstant zwei Seiten. Die eine hielt es kaum mit seinem selbstmitleidigen Rumgenörgel aus und würde ihn am liebsten dafür ohrfeigen, wie er über die freundlichen und höchstwahrscheinlich ernsten Absichten anderer Leute urteilte. Aber die andere Seite sah genau das in Menschen. Seine eigene kritische, fast schon abschätzige Art.

Er dachte, dass diese Leute eh nur fragten, wie es ihm ging, um ihr Soll erfüllt zu haben. Um sich am Ende nicht schuldig fühlen zu müssen, wenn er vollkommen blockierte. Sie hätten ja gefragt. Er hätte ja keine Hilfe gewollt.

Und sie hatten Recht, natürlich hatten sie Recht. Es war nicht ihre Aufgabe, den Mund aufzumachen, ihn so lange zu nerven, bis er nachgab. Einmal nachfragen musste reichen, und wenn er diese Frage als heuchlerisch wertete, war das sein Problem, nicht ihres.

»Fühlst du dich gut vorbereitet?«, wollte Jonas plötzlich von ihm wissen.

Rin richtete sich wieder auf, rieb sich die Augen und sah Jonas dann mit schiefgelegtem Kopf fragend an. »Hm?«

»Für die Abschlussprüfungen, mein ich.«

Nachdenklich blickte Rin zur Tür des Klassenzimmers, durch welche die Nachzügler den Raum betraten.

»Weiß nicht, wird schon irgendwie«, antwortete Rin achselzuckend. »Du?«

»Kommt drauf an«, lachte Jonas unsicher. »Wenn Stochastik drankommt, bin ich geliefert.« Rin schmunzelte leicht und nickte zustimmend. »Ähm, wir treffen uns morgen Nachmittag zum Lernen.« Jonas deutete mit dem Zeigefinger auf die Bänke vor sich, auf der normalerweise Klassenmitglieder von ihnen saßen, die noch nicht da waren. »Willst du auch kommen?«

Oh, Lerngruppen. Kein Wunder, dass er davon bisher noch nichts mitbekommen hatte. Warum auch? Der einzige Grund, weshalb er jetzt überhaupt dazu eingeladen wurde, war sicherlich Mitleid. Er konnte gut darauf verzichten, einen ganzen Nachmittag lang mit Leuten in einem Raum zu sitzen, die ohne ihn wahrscheinlich sogar noch Spaß haben würden. Ohne den Stimmungskiller.

»Nein, aber danke«, antwortete Rin. Diese Zurückweisung versetzte ihm selbst einen Stich, weil er traurig darüber war, dass er es nicht einmal versuchte. Nicht einmal probierte, die Menschen davon zu überzeugen, dass man sich in seiner Nähe auch wohl fühlen konnte. Dass er sich nicht freiwillig ausgrenzte, sondern es für ihn geradezu eine Zwangshandlung war.

»Das Angebot steht auf jeden Fall«, setzte Jonas nach. »Falls du dich umentscheidest.«

Zum Glück musste Rin nicht antworten, da im selben Moment mit dem Gong der Rest der Klasse eintrudelte und sich auf ihre Sitze verteilte. Rin begrüßte sie alle einsilbig und widmete sich wieder dem Handy in seinem Schoß.

[Rin]: Danke, Kai. Momentan will ich vieles, aber reden gehört definitiv nicht dazu

[Kaito]: Verstanden :) Dann heute Abend nur Gametalk

[Rin]: Genau

Um ehrlich zu sein hasste Rin seine Lehrer ein bisschen dafür, ihn in den Pausen dazu zu drängen, das Klassenzimmer zu verlassen. Frische Luft schnappen, an sozialen Interaktionen teilhaben, bla bla bla. Was er wollte, war es, einen Rückzugsort zu haben, an dem er sich vor Blicken schützen konnte. An dem nicht jedem sofort auffiel, dass er alleine war. Wenn es nur so simpel wäre, wie Lehrkräfte, die Schulleitung und Eltern es sich vorstellten.

Die Argumentation, einfach mal auf Leute zuzugehen, war in etwa so sinnig, wie ein Lehrer, der eine Gruppe Musikanten dazu aufforderte, den Fußballspieler doch auch mal ein paar Bahnen schwimmen zu lassen. Kein Sinn vorhanden. Weit und breit nicht.

Vielleicht funktionierte das bei Kindergartenkindern und Grundschülern, darüber konnte Rin sich kein Urteil erlauben. Aber in Schulen bildeten sich Grüppchen. In Schulen existierten Hierarchien wie an jedem anderen Ort auch, an dem Menschen aufeinandertrafen. Es gab die Coolen, die Mobber, die Gemobbten, die, die ab und an beides waren, und den Rest.

Rin war der Rest.

Obwohl viele aus seiner Klasse oder sogar der ganzen Schule mit Sicherheit dachten, dass er sich für etwas Besseres hielt und deshalb nicht mit ihnen in Kontakt trat, war genau das Gegenteil der Fall. Die Chance, Bekanntschaften zu machen, war bereits nach den ersten paar Tagen auf dieser Schule vergangen. An ihm vorbei gezogen, während er noch dabei gewesen war, sich zu akklimatisieren.

Rin hatte keine Ahnung, wie andere Leute es schafften, sich konstant und immer wieder aufs Neue mit fremden Menschen anzufreunden. In ein paar Monaten würde er auf eine andere, weiterführende Schule wechseln und der Horror würde erneut beginnen. Der erste Eindruck zählte, und das war das verdammte Problem.

Am liebsten würde er jeden Tag einen neuen ersten Eindruck machen. Sich am Abend entscheiden können, was für ein Mensch er am Tag darauf sein wollte. Aber so funktionierte das Leben nicht. Der erste Eindruck entschied darüber, in welcher Schublade Rin sich ab diesem Zeitpunkt befinden würde. Und aus dieser herauszukommen, erschien ihm so gut wie unmöglich.

Er hatte nicht viel Hoffnung, dass sich in der Zukunft etwas an seiner Denkweise ändern würde, aber den Funken Hoffnung, den er hatte, versuchte er vorm Erlöschen zu bewahren.

Die Pause war reibungsloser und schneller vergangen, als Rin es erwartet hatte. Beim Läuten der Pausenglocke hatte er sich in der nach draußen drängenden Menge versteckt und sich im Pausenhof auf eine Bank in der Sonne gesetzt. Kein Wunder, dass dort niemand saß. In der Mittagshitze war es kaum auszuhalten.

Da er aber nicht näher an andere Schüler heranwollte, entschied er sich dafür, eine Schicht seines schützenden Panzers – seinen Hoodie – abzulegen, anstatt sich einen anderen Platz zu suchen. Lieber schwitzte er, als im Pausenhof herumzutigern und damit noch neugierige Blicke auf sich zu ziehen.

Mit dem zusammengefalteten Kapuzenpullover im Schoß spielte Rin ein Spiel auf seinem Handy und knabberte dabei an einem Onigiri.

Er musste unbedingt daran denken, sich bei seiner Mutter nochmal dafür zu bedanken. Es war absolut zweitrangig, ob sie es aus Mitleid getan hatte oder nicht – Fakt war, dass sie ihm eine Freude hatte machen wollen und es ihr gelungen war. Unabhängig davon, welches Gefühl dabei mitschwang.

Noch bevor der Gong das Ende der Pause ankündigen konnte, zog Rin sich wieder seinen Hoodie über und verschwand nach drinnen. So streiften ihn zwar mehr Blicke, weil die meisten Schüler erst ihren Platz aufsuchten, wenn es unbedingt nötig war, aber er hasste dieses stressige Herumgewusel beim Ertönen der Pausenglocke.

Er wollte gerade um die Ecke zur Treppe biegen, da wurzelte es ihn am Boden fest. Die zwei hellblauen Stiefel, die in seinem Sichtfeld aufgetaucht waren, konnten nichts Gutes verheißen.

»Hey.«

Hatte er sich verhört? Hatte Amy ihn gerade tatsächlich angesprochen? Wenn ja … warum?

Er hob seinen Kopf und sah sie etwas irritiert an. »Hey?«

Pünktlich zur für Rin wohl denkbar unangenehmsten Konfrontation seines bisherigen Lebens, gongte es. Und damit begann das Gedränge.

Rin wollte einfach nur weg.

»Sprechen wir jetzt gar nicht mehr miteinander?«, fragte Amy und friemelte sich den Pony mit ihren Fingern wieder in Position.

»Ich dachte, man kann mit mir nicht reden.«

Uh, der war unangenehm. So kam er nicht nur bockig rüber, sondern auch gekränkt. Aber im Grunde genommen war es nur die Wahrheit. Sie hatte ihn mit ihren Worten verletzt, und da machte es keinen Unterschied, ob er für ihre Gefühle Verständnis hatte oder nicht.

»Ich … Also …«, stammelte Amy unbeholfen. »Ich hab es nicht so hart gemeint, wie es rübergekommen ist.«

Ein herzliches Dankeschön an den Trottel, der Rin im selben Moment fast über den Haufen rannte und ihn damit in Amys Richtung drückte. Scotty, beam mich bitte hoch, verdammte Scheiße.

»Alles gut«, entgegnete Rin, ohne eine Miene zu verziehen.

Auch Amys Gesichtsausdruck ähnelte dem Gestrigen ungemein. War das … Enttäuschung? Frustration? Wut? Was zur Hölle erhoffte sie sich davon denn nun? Sie hatte mit ihm Schluss gemacht, also warum noch nachtreten?

»Du bist also nicht mal traurig?«

Wie … Wie bitte?

Das Gespräch an sich wäre für Rin schon kräftezehrend genug gewesen, um seine Belastungsgrenze zu übersteigen. Dazu kam allerdings noch, dass Amy genau den Treppenaufgang ihrer Schule zum perfekten Ort für diese Unterhaltung auserkoren hatte, anstatt einfach an ihm vorbeizugehen. Sie musste doch verdammt nochmal wissen, wie unangenehm ihm das war?

Nach dem nächsten Anrempeln seiner Schulter hielt Rin es nicht mehr aus. »Ich muss weiter«, murmelte er, drehte sich zur Seite und reihte sich in die Masse an Leuten ein. Sofort friemelte er sein Handy aus der Hosentasche und nahm direkt zwei Treppenstufen auf einmal, um dieser Situation so schnell wie möglich zu entfliehen. Er hoffte inständig, dass er nicht im nächsten Moment noch über seine Schnürsenkel fallen würde.

[Rin]: Okay, Frage.

Ja, eigentlich wollte er nicht reden. Aber er war so dermaßen verwirrt und fühlte sich so missverstanden, dass er unbedingt seine Gedanken loswerden musste. Und es gab da eine Person, wenn auch nicht physisch, die für ihn da war.

[Kaito]: Schieß los.

[Rin]: Was bedeutet es, wenn dich deine Ex, nachdem sie dich abserviert hat, fragt, ob du denn nicht traurig bist?

[Kaito]: Oh shit.

[Kaito]: War das die Sache von gestern?

[Rin]: Die Abfuhr? Vielleicht …

[Kaito]: Okay, ähm … Also ich weiß nicht, was davor vorgefallen ist, aber … Vielleicht wollte sie hören, dass du die Trennung nicht willst?

[Rin]: Das weiß sie.

[Kaito]: Hast du ihr das gesagt?

[Rin]: Ja.

[Kaito]: Sicher?

[Rin]: Was soll das denn bitte heißen?

[Kaito]: Versteh das nicht falsch Rin, aber du bist nicht unbedingt ein Mann der vielen Worte

[Rin]: Was macht das für einen Unterschied? Während sie mit mir Schluss gemacht hat, hab ich ihr gesagt, dass ich das nicht will, aber es ihre Entscheidung ist, was sie tut.

Faszinierend. Er nahm an, dass Leute, die ihn nur einmal fragten, wie es ihm ging, ihre Frage nicht ernst meinten, konnte seiner Freundin aber nicht öfter als einmal sagen, dass er diese Trennung nicht wollte. Warum galten seine kopfgemachten Regeln für alle, außer für ihn selbst?

Rin ließ sich in seinem Klassenzimmer angekommen auf seinen Stuhl fallen und widmete sich weiter dem Gespräch mit Kaito. Das Getratsche der Menschen um ihn herum blendete er völlig aus.

[Kaito]: Ich sag’s mal so, an sich hast du schon Recht, aber vielleicht hat sie mehr hören wollen?

[Rin]: Der Fakt, dass ich mit ihr zusammen war, sollte doch Beweis genug dafür sein, dass ich das wollte? Ich versteh’s nicht.

[Kaito]: Meinst du denn, das würde nochmal was werden mit euch? Willst du das überhaupt?

[Rin]: Ich denk nicht. Wir sind einfach zu verschieden. Ich hab’s ja versucht

[Kaito]: Mach dir keinen Stress, ist auch nicht alles im Leben

[Rin]: Mhm. Bin jetzt wieder im Unterricht. Bis später.

[Rin]: Und danke.

Gerade als Rin sein Handy wegstecken wollte, ploppte eine weitere Nachricht auf.

[Amy]: Können wir nochmal reden? Ich will nicht, dass es so zu Ende geht.

Langsam aber sicher war er nur noch verwirrt. Gestern war er von Amy abserviert worden, und das nicht gerade schonend. Da hatte er sich noch anhören dürfen, dass man mit ihm nicht reden konnte und nun wollte sie genau das? Reden?

Rin hatte einfach keinen Nerv, darauf zu antworten. Auch wenn es erst ein paar Stunden her war, seit sie sich getrennt hatten, versuchte er mit der Situation zurechtzukommen. Immer wieder mit Amy konfrontiert zu werden, erschwerte die Sache erheblich.