Lilablasspink - Nina Linz - E-Book

Lilablasspink E-Book

Nina Linz

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  • Herausgeber: tredition
  • Kategorie: Erotik
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Shadow ist in vielerlei Hinsicht erfolgreich. Sie hat einen wundervollen Freundeskreis, führt eine gut besuchte Bar am Stadtrand und lebt in ihrem eigenen Appartement. In der Liebe hat sie jedoch wenig Glück, obwohl sie sich so sehr nach Verbindlichkeit sehnt ... Auf einmal tritt allerdings eine junge Frau in Shadows Leben, die alles auf den Kopf stellt. Der pinkhaarige Wirbelwind tanzt sich sofort in ihr Herz, sprenkelt den Weg hinter sich mit Glitzer. Ehe Shadow sich versieht, sucht sie immerzu die Nähe der frechen Frohnatur. Und als ihr bewusst wird, dass ihr Verlangen nach Zuneigung das einer Freundschaft weit übersteigt, bleibt nur ein Gedanke zurück: Ist das noch Neugier oder ... schon weitaus mehr? »Egal ob du einen Minirock oder einen Anzug trägst, ich bin verrückt nach dem Du, in dem dein Lächeln am meisten strahlt.« TW: Rückblicke auf sexuelle, physische und häusliche Gewalt [Vor den relevanten Szenen findest du eine gesonderte Triggerwarnung] Dieses Buch enthält außerdem explizite, sexuelle Handlungen, welche ausschließlich mit Konsens eingegangen werden.

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Seitenzahl: 569

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Lilablasspink

© 2023 Nina Linz

TW: Rückblicke auf sexuelle, physische und häusliche Gewalt, Kindesmissbrauch [Vor den relevanten Szenen findest du eine gesonderte Triggerwarnung]

ISBN: 978-3-384-00586-1

Druck und Distribution im Auftrag: tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag , zu erreichen unter:

Nina Linz

c/o IP-Management #20924

Ludwig-Erhard-Str. 18

20459 Hamburg

Umschlaggestaltung: Copyright © 2023 by Nina Linz

Alle Rechte vorbehalten

LILABLASSPINK

Inhaltsverzeichnis

Cover

Halbe Titelseite

Urheberrechte

Titelblatt

Kapitel 1: SHADOW

Kapitel 2: BEST FRIENDS

Kapitel 3: EIN ENDE OHNE SCHRECKEN

Kapitel 4: NEW BEGINNINGS

Kapitel 5: MISAKI

Kapitel 6: PLANÄNDERUNG

Kapitel 7: PINK

Kapitel 8: OUTING

Kapitel 9: Heisse SCHOKOLADe UND ROSA SAHNEHÄUBCHEN

Kapitel 10: EINE MÜTZE SCHLAF

Kapitel 11: WEIBLICHE INTUITION

Kapitel 12: LEICHTIGKEIT

Kapitel 13: FINGER WEG

Kapitel 14: TIEFE GESPRÄCHE

Kapitel 15: WELLNESS

Kapitel 16: EIN UNVERGESSLICHER NACHMITTAG

Kapitel 17: VOREILIGE SCHLÜSSE

Kapitel 18: VÄTERLICHE RATSCHLÄGE

Kapitel 19: WAHRHEITEN

Kapitel 20: HEMMUNGSLOS

Kapitel 21: AB IN DEN SÜDEN

Kapitel 22: MANN ÜBER BORD

Kapitel 23: VERSCHNAUFSPAUSE

Kapitel 24: SANFTER TSUNAMI

Kapitel 25: CHAOS

Kapitel 26: NOTFALL

Kapitel 27: KUSCHELN ZUM FRÜHSTÜCK

Kapitel 28: UMKLEIDE

Kapitel 29: GEDANKEN

Kapitel 30: VERMISSUNG

Kapitel 31: MITTERNACHTSSNACK

Kapitel 32: FRÜHSTÜCK

Kapitel 33: GEISHA

Kapitel 34: SÜSSE

Kapitel 35: COCONUT KISS

Kapitel 36: GIRLFRIEND

Kapitel 37: GLÜCKSGEFÜHLE

Kapitel 38: ALLIES

Kapitel 39: DÖNERDOPPELDATE

Kapitel 40: GET NAKED

Kapitel 41: INNERER FRIEDEN

Kapitel 42: GEBURTSTAGE UND EINLADUNGEN

Kapitel 43: WEIL ICH DICH LIEBE

Epilog

Charaktervorstellung

Lilablasspink

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Kapitel 1: SHADOW

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Kapitel 1

SHADOW

Mit einem Putzlappen in der Hand sah Shadow ihrem Kumpel Ayden dabei zu, wie er sich mit Blick in den Spiegel die weißen, schulterlangen Haare zu einem Zopf zusammenband. Einmal war ihm das Haargummi vor Nervosität schon runtergefallen. Shadow stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Bartresen vor sich ab, dessen Oberfläche sie gerade gründlich geputzt hatte, und lächelte Ayden selig an.

»Hibbelig wie vorm ersten Date«, seufzte sie, woraufhin Aydens eisblaue Augen ihre über die Spiegelung fanden.

»Erwischt«, entkam Ayden ein gehauchtes Lachen. Er zupfte sein weißblau gestreiftes Leinenhemd zurecht und drehte sich zu Shadow um, ehe er sie durch seine dichten Wimpern anblickte. »Benehmen wir uns albern?«

Shadow riss alarmiert die Augen auf und schüttelte vehement den Kopf. »Kein bisschen!«, stellte sie klar und strich sich den schwarzen, seitlichen Pony aus dem Gesicht. »Ich liebe es, dass ihr regelmäßig auf Dates geht.«

»Ich mein eher …« Ayden lehnte sich an die Theke in seinem Rücken – nachdem er sich darüber vergewissert hatte, dass nichts darauf sein gutes Hemd versiffen würde – und zuckte mit den Achseln. »Dass Nate und ich nicht einfach zusammen losfahren, sondern uns erst dort treffen.«

»Ich find eure Erklärung dazu mehr als sinnig«, entgegnete Shadow. »Ihr lebt in einem Haus, verbringt jeden Tag zusammen und nehmt euch extra Tage, an denen ihr euch füreinander hübsch macht und dann an einem Ort trefft. Was genau soll daran albern sein? Als ich dich letztes Mal vorm Kino abgesetzt und Nates Blick gesehen hab, musste ich fast heulen, weil er so verliebt aussah.«

Weil er so verliebt aussah und weil sie sich wünschte, dass sich jemand mal so freuen würde, sie auf ein Date auszuführen.

Ayden entkam ein verträumtes Seufzen, das von einem sanften Lächeln begleitet wurde. »Ich hoffe, er weiß, dass ich genauso verliebt in ihn bin«, hauchte er. »Aber was anderes. Du bist dir sicher, dass ich dich heut Abend allein lassen kann?«

Auf diese Frage erhielt Ayden von Shadow nur ein spöttisches Grunzen. »Das hier ist meine Bar, mein Lieber!«, stellte sie hocherhobenen Hauptes klar. »Ich hab’s auch vor deiner Anstellung alleine geschafft!«

Ayden nickte zustimmend und ging um den Tresen herum auf Shadow zu. »Dein bester Freund würde jetzt sowas sagen wie: ›Geschafft schon, aber wie ist die Frage?‹«

»Gut, dass Nate nicht hier ist«, lachte Shadow und grinste frech, »sondern mein herzallerliebster Barkeeper, der sich davor hüten wird, mir Lebensratschläge oder Tadel über meine beschissene Work-LifeBalance zu geben.«

»Verdammt richtig«, stimmte Ayden ihr amüsiert zu. »Wollen wir dann los?«

»Klaro, ab geht’s!«, rief Shadow und warf den Putzlappen über ihre Schulter in die Spüle – okay, fast. Eigentlich landete er auf dem Boden, aber cool sah ihr Wurf trotzdem aus. Daraufhin zog sie sich den Autoschlüssel mit einem Klimpern aus der Hosentasche ihrer Baggypants und folgte Ayden.

Nachdem sie Ayden, welcher selbst keinen Führerschein besaß, zu dessen Date mit seinem Ehemann und gleichzeitig Shadows bestem Freund Nate kutschiert hatte, machte sie sich auch schon wieder auf den Weg zurück zu ihrer Bar. Sie ließ ihre Gedanken schweifen, während ihr bei heruntergelassenem Fenster und ausgestreckter Hand der warme Sommerwind durch die Finger sauste.

Sie war 24 Jahre alt, älter als Ayden und Nate, und weit davon entfernt, eine stabile Beziehung, geschweige denn Ehe zu führen. Und langsam fragte sie sich, ob sich das in naher Zukunft überhaupt ändern würde?

Seit fünf Jahren betrieb sie eine Bar am Waldrand und wohnte im Appartement darüber, welches sie mit ihren besten Freunden Nate und Finn aus einer Scheune gezaubert hatte. Das alles war kein Kinderspiel gewesen und hatte einiges an Tränen und Schweiß gekostet. Letztendlich gelang es ihnen aber, ihr eine Bleibe zu zimmern, in der sie seither alleine lebte. Jeder einzelne Holzbalken in ihrem Appartement erzählte eine Geschichte und erinnerte sie tagtäglich daran, wie wundervoll es sich angefühlt hatte, gemeinsam etwas zu erschaffen. Gemeinsam zu lachen, zu schimpfen, sich nach einem besserwisserischen ›also das hättest du schon sauberer streichen können‹ den Mittelfinger zu zeigen.

Sie war eine zielstrebige und hart arbeitende Frau, die in ihrer Bar großen Wert auf Ordnung legte, im Privaten allerdings das pure Chaos verkörperte. Es gab einen Grund, weshalb sie sich ihre ellenlangen, schwarzen Haare immer zu einem hohen Zopf am Hinterkopf zusammenband – bei so viel Chaos im Kopf, brauchte sie nicht auch noch Chaos auf dem Kopf. Aufgrund ihrer lilafarbenen Haarsträhnen könnte man diese Aussage unter Umständen anzweifeln, aber was auch immer. Sie war eine offenherzige Frau, die jedem Menschen gute Ratschläge geben konnte, aber gleichzeitig nicht in der Lage dazu war, ihren eigenen Beziehungsstatus zu definieren.

Seit Monaten befand sie sich in irgendeinem Verhältnis mit Riko – Nates Türsteherkollege und Teil des Freundeskreises –, benennen konnte sie aber nicht wirklich, was zwischen ihnen lief. Allerdings war es nicht so, dass Riko sie hinhielt oder nicht ehrlich zu ihr war, im Gegenteil. Er hatte von Anfang an deutlich gemacht, dass er aufgrund negativer Erfahrungen in einer früheren Beziehung etwas Zeit brauchte, ihr zu vertrauen. Aber ab wann war etwas Zeit zu viel?

Shadow mochte Riko, sehr gerne sogar. Sie war vor allem zu Beginn bis über beide Ohren verliebt gewesen und fühlte sich in seiner Nähe sehr, sehr wohl. Auf Nates und Aydens Hochzeit war er damals für die Fotos zuständig und lichtete auch Shadow seitdem immer mal wieder ab, setzte sie gekonnt in Szene und gab ihr auch dabei ein gutes Gefühl.

Was sie allerdings zunehmend störte, war die Tatsache, dass sie sich wie ein Geheimnis fühlte. Sie hatten keine Dates in der Öffentlichkeit, sie knutschten nicht im Club miteinander herum, sie kannte nicht seine Eltern, seinen Bruder. Alles, was Shadow außerhalb seiner Persönlichkeit, Arbeit und Hobbys in Erfahrung bringen konnte, war die Farbe seiner Bettwäsche.

Im Prinzip war es für sie völlig in Ordnung, dass Riko mehr Zeit brauchte, mit seinen Problemen klarzukommen. Denn das war allemal besser, als seine Unsicherheiten an ihr auszulassen. Was Shadow aber leider nicht so optimistisch betrachtete, war die Bewältigung dieser Unsicherheiten und die Vereinbarkeit ihrer Lebensstile auf lange Sicht.

Riko war eifersüchtig. Und das wäre in Ordnung, mit Kommunikation und Selbstreflexion zu meistern. Aber genau das war es, woran es haperte. Riko war zwar reflektiert genug, um zu wissen, wo sein Problem lag, aber … er kommunizierte nicht. Nicht genug, um ihr Vertrauen ineinander wachsen zu lassen.

Wenn Shadow ihre zwei besten Freunde Nate und Finn umarmte, dann war das für Riko zwar mittlerweile in Ordnung, aber es gelang ihm dennoch nicht, vollkommen über seinen Schatten zu springen. Sie bekam öfter die kalte Schulter, als es ihnen beiden lieb war. Riko wollte das nicht, das hatte er einige Male versichert, und Shadow glaubte ihm. Aber er kam nach wie vor nicht damit zurecht, wie sie ihre Freundschaften pflegte.

Shadow befand sich an einem Punkt, an dem sie sich fragte, ob es Riko, dem hübschen Braunhaarigen mit den dunklen Augen und dem niedlichen, schiefen Eckzahn, jemals gelingen würde, Umarmungen zwischen Shadow und ihren besten Freunden als bloße, freundschaftliche Zuneigung anzusehen. Und ob sie die Kraft dazu hatte, diese Diskussionen immer und immer wieder zu führen.

Sie musste mit ihm sprechen. Daran führte kein Weg vorbei. Aber da sie das schon vor ein paar Wochen versucht hatte, wollte sie sich zuvor noch einmal einen Rat von ihren besten Freunden einholen.

Vielleicht hatten sie ja die zündende Idee.

Kapitel 2

BEST FRIENDS

»Ey, so spricht niemand über meine beste Freundin!«, fiel Nate ihr ins Wort. »Du bist klug, hübsch, hast Style-«

»Aber nicht das Geld.«

»Shadow!«, jammerte Nate, konnte seinen hochzuckenden Mundwinkel aber nicht verbergen, als Shadow laut lachte. »Du hast dein eigenes Business, Humor für zehn und bist liebenswürdig!«

Shadow schnaufte kraftlos und ließ den Kopf auf die Rückenlehne ihres Sofas fallen. »Ich weiß nicht.«

Nate, der sich gerade ein Eis holen wollte und deshalb in Richtung Küche gegangen war, machte auf dem Absatz kehrt, stellte sich hinter das freistehende Sofa und stemmte sich mit den Händen auf die Lehne. Aus seiner Position heraus sah er Shadow von oben herab an, seine orangen Zotteln nicht wie sonst in seinem Gesicht und der Cut in seiner linken, schwarzen Augenbraue dadurch besser sichtbar.

Eigentlich trug Nate immer ein Lächeln auf den Lippen. Zusammen mit seinen Sommersprossen und dem orangen Haar war er einfach der lebendig gewordene Sonnenschein. Doch im jetzigen Moment war sein Blick ernst, sogar ein wenig traurig.

»Wieso zweifelst du an dir?«

Shadow ließ ihren Kopf zur Seite rollen und drückte sich mit der Stirn an Nates Handgelenk. Nach einem tiefen Atemzug fragte sie: »Spricht Riko manchmal über mich?«

Nate entkam ein fast grunzendes Lachen. »Dauernd.«

Überrascht drehte Shadow ihren Kopf wieder gerade und blinzelte Nate an, der ihren Blickkontakt hielt. »Wirklich?«

»Mhm«, brummte Nate bekräftigend. »Schlimmer als ich bei Ayden, möcht ich fast meinen.«

»Niemand ist im Schnulzen schlimmer als du, mach dir keine Hoffnungen«, kicherte Shadow. »Wenn ich nicht wüsste, dass du bi bist, würd ich sagen, deine Sexualität heißt Ayden.«

»Er ist das schönste, süßeste, attraktivste, schlauste und durchtriebenste Wesen auf diesem Planeten, change my fucking mind.«

»Okay, aber-«

»Yo, yo, yoooo!«, kündigte Finn sich im nächsten Moment lautstark an, als er die Wendeltreppe zu Shadows Wohnung hinaufstampfte. »Papa ist da!«

»Bro!«, rief Nate erfreut, marschierte auf Finn zu und schlug brüderlich mit ihm ein, ehe sie sich in eine Umarmung zogen. »Du hättest hier fast noch das Wichtigste verpasst!«

»Pff, kann nicht sein«, entgegnete Finn, legte seinen Rucksack auf der Kochinsel ab und ließ sich ächzend neben Shadow aufs Sofa plumpsen. »Mit mir kommt das Wichtigste ja erst!«

Finns selbstironisches Grinsen zauberte auch eines auf ihr Gesicht. Der junge Mann mit den freundlichen, grünen Augen war 26 Jahre alt, ungebundener Junggeselle und Geschäftsführer eines Baubüros. Ein humorvoller und doch sanfter Rambo, der mehr als glücklich damit war, Single zu sein, ein großes Herz besaß und noch größere Freude daran hatte, herumzualbern. Wenn er und Nate sich zusammen in einem Raum und zusätzlich außer Sichtweite befanden, löste das bei Shadow das Gefühl aus, das Mütter überkam, wenn die eigenen Kinder auf einmal verdächtig ruhig waren. Stille war in dieser Kombination nie ein gutes Zeichen.

Als Finn sich zu ihr auf die Couch setzte und den Arm um sie legte, woraufhin er sich Shadow an die Brust zog, lachte sie fröhlich. Aber nicht lange.

»URGH!«, rief sie angeekelt. »Gott, stinkst du nach Schweiß!« »Entschuldigung!?«, quäkte Finn entrüstet. »Manche von uns müssen eben auch arbeiten!«

»Ich hab heute meinen einzigen Ruhetag!«, verteidigte Shadow sich empört. »Den IHR mir aufgezwungen habt!«

»Tjahaaa, und wenn du den nicht hättest, würdest du die Zusammenkunft der heiligen Dreifaltigkeit verhindern, und das würdest du doch niemals wollen!« Nate, endlich mit seinem Eis in der Hand, machte es sich auf dem Sofa gemütlich und legte die Beine auf Shadows Oberschenkel.

»Deine Füße stinken auch, du Esel!«, schimpfte Shadow und schob sie sogleich von sich in Richtung Boden.

»Will sie überhaupt, dass wir hier sind?«, fragte Nate daraufhin in Finns Richtung.

»Jaaaa, will sie«, jammerte Shadow, griff wieder nach Nates Beinen und hievte sie zurück auf ihre Oberschenkel. »Ich bin einfach schlecht drauf.«

»Woran liegt’s?«, fragte Finn besorgt. »Wer braucht ’ne Lektion?«

»Ich selbst?« Shadow sah zu Finn auf, dessen grüne Augen Irritation und Sorge widerspiegelten. Dann runzelte Shadow die Stirn. »Warst du beim Friseur? Dein Afro-«

»Wie sie jetzt schon vom Thema ablenken will, Wahnsinn«, unterbrach Nate sie und stupste mit dem Fußballen gegen die Innenseite ihres Oberschenkels. Dann guckte er Finn an. »Aber wirklich, coole Frisur. Egal, zurück zum Thema. Es geht um Riko.«

»Wieso, was ist mit ihm?« Finn ließ den Blick über Shadows Gesicht wandern. »Ist irgendwas passiert?«

Shadow schüttelte den Kopf. »Seine Eifersucht …«, murmelte sie gesenkten Hauptes und zupfte sich ein bisschen Spliss aus den Längen ihrer pechschwarzen Haare.

»Du hast’s ihr erzählt?«, fragte Finn in Nates Richtung.

Shadow wurde daraufhin hellhörig. »Was erzählt?« Dann wechselte ihr Blick zu Nate. »Wovon spricht er?«

»Normal bin ich der Trottel, der nichts schnallt, aber diesmal hast du’s verkackt, Bro.« Nate fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht und nahm einen tiefen Atemzug. »Riko hat uns letztens zur Seite genommen und uns gefragt, ob wir nicht … na ja, aufhören können, mit dir zu tanzen.«

Shadow rutschte im selben Moment vor Enttäuschung das Herz in die Hose. »Was?«

»Das war die Frühjahrsparty, da haben wir doch so rumgealbert und zu irgendwelchen bescheuerten 90er-Hits getanzt, als Riko noch nicht da war. Ayden hat davon ’nen kurzen Ausschnitt aufgenommen und auf deinem Bar-Account hochgeladen, weißt du doch, oder?«

»Ja, hab ihn ja drum gebeten, bisschen was auf dem Account hochzuladen«, erinnerte Shadow sich an ihre Abmachung mit Ayden. Und auch an das Video, das Ayden veröffentlicht hatte, auf dem sie tanzend mit ihren Freunden zu sehen war. Wohlgemerkt bei einem dusseligen Tanz, der im Netz sehr beliebt war, welchen sie zuvor bereits einstudiert hatten.

»Riko hat’s wohl vor seiner Ankunft schon online gesehen und mit uns gesprochen, bevor er dich begrüßt hat«, erzählte Nate weiter. »Wir wollten kein großes Ding draus machen und haben ihm gesagt, dass er das mit dir klären soll, weil unser Stand ist, dass du uns gesagt hast, wir sollen so sein, wie wir eben sind.«

»Deshalb wart ihr den restlichen Abend immer woanders …«, murmelte Shadow und war schon dabei, sich gedankenverloren einen Finger an den Mund zu führen, als Finn ihre Hand jedoch abfing.

»Nicht Nägelkauen, Madame.«

Sofort legte Shadow ihre Hände ineinander und starrte in ihren Schoß. »Danke …«, flüsterte sie. Diese Neuigkeiten wühlten sie so sehr auf, dass sie, wie immer in stressigen Situationen, unbewusst wieder der Versuchung nachgab, an ihren Nägeln zu kauen. Obwohl sie sich mittlerweile schon besser im Griff hatte, gelang es ihr nicht immer, sich davon abzuhalten. Aufgrund dessen hatte sie Finn das Okay gegeben, sie immer darauf aufmerksam zu machen und ihr zur Not auch die Hand wegzuziehen, wenn es ihm auffiel.

»Riko war nicht unfreundlich oder so«, sprach Nate sie wieder an. »Aber wir wollten keine schlechte Stimmung und dachten uns, ihr klärt das … Deshalb sind wir seinem Wunsch nachgekommen.«

Shadow verstand einfach nicht, wie sie Riko begreiflich machen konnte, dass sie ihn toll fand. Ihn. Nicht Nate, Finn oder wen auch immer. Die beiden waren seit Jahren ihre besten Freunde, Jahre bevor sie Riko überhaupt kennengelernt hatte. Und in all der Zeit war nie etwas zwischen ihnen gelaufen. Keine romantischen Gefühle, keine Küsse, kein Flirten, nichts davon.

Ja, es hatte mal einen Moment gegeben, relativ zu Anfang ihrer Freundschaft, an dem Shadow sich gefragt hatte, wie es wohl wäre, mit Nate in einer Beziehung zu sein. Aber das war eine schwere Zeit in ihrem Leben gewesen, in der sie all ihre Beziehungen reflektiert hatte. Und sie war zu dem Entschluss gekommen, dass Nate für sie immer ihr bester Freund bleiben würde. Natürlich konnte man Gefühle, die man empfand, nicht einfach rational wegwerfen und aus dem Speicher löschen, aber sie hatte Nate oder Finn gegenüber nie Schmetterlinge verspürt, sondern stattdessen sehr tiefe, aufrichtige Verbundenheit. Sie waren Familie. Egal ob ihr das jemand glauben wollte oder nicht. Da war nicht mehr.

»Ich glaube nicht, dass Riko mir absichtlich wehtun würde, aber … Ich hab so Angst davor, dass es schmerzhaft wird. Dass wir einander verletzen, weil wir nicht auf derselben Wellenlänge sind.« Shadows Stimme flackerte wie ein brennendes Streichholz im Wind, so sanft und fragil. »Ich schaff das nicht nochmal.«

»Es ist so scheiße, dass euch nur diese blöde Eifersucht im Weg steht«, brummte Finn und nahm Shadow noch ein wenig fester in den Arm.

»Es ist nicht nur das«, erwiderte Shadow. »Ich weiß, dass er nicht erst mit 30 Kinder haben will, aber ich weiß nicht, ob ich das überhaupt möchte. Er spricht über 5-Jahres-Pläne, übers Investieren, darüber, was er nach seinem Studium machen möchte, und ich … Ich bin hier.«

Nate und Finn guckten sie aufmerksam an, unterbrachen sie nicht. Sie hatten zwar mitbekommen, dass die beiden sich trafen und es nicht so wirklich voranging – was aber alles dahinter steckte, erzählte Shadow zum ersten Mal detaillierter.

»Er ist so lieb, echt. Er macht mir dauernd Komplimente, wir gucken die dämlichsten Filme und lachen trotzdem die ganze Zeit. Fotografiert hat er mich auch schon und ich seh ihm an, dass er mich mag. Aber dann kommt irgendwas, womit er nicht umgehen kann, und ich höre tagelang nichts mehr von ihm … Und je länger ich darüber nachdenke, desto weniger sehe ich eine Zukunft, in der das aufhört. In der er meine Art, mit anderen Menschen oder der Zukunftsplanung umzugehen, einfach … mag. Nicht nur duldet.«

Nate und Shadow waren sich in jenem Punkt sehr ähnlich, Menschen mit körperlicher Zuneigung trösten zu wollen. Deshalb setzte er sich aus seiner Liegeposition auf und legte seine Hände auf ihre. Dabei sprang ihr sofort wieder der tätowierte Ehering ins Auge, den Nate auf der Haut trug.

»Ich brauch einen Ayden«, hauchte Shadow und blickte zu Nate auf, der sie traurig anlächelte. »Er versteht doch auch, dass wir Freunde sind.«

»Rikos Exfreundin hat ihn mit seinem besten Freund betrogen, ellenlang«, rief Nate ihr wieder ins Gedächtnis. »Das ist eine andere Ausgangslage als die von Ayden, der davor noch nie eine Beziehung hatte.«

Shadow nickte zustimmend. »Ja, das stimmt. Ich wünschte einfach, meine Worte würden auch mal bei ihm ankommen.«

»Riko hat am Anfang ja mit mir und Finn über seine Erfahrungen und sein Interesse an dir gesprochen«, sagte Nate. »Es ging auch um Eifersucht und ich hab ihm gesagt, wie sich das bei Ayden und mir verhält, und er hat das auch verstanden. Deshalb nimmt er sich ja die Zeit. Er weiß, er hat kein Recht, dir zu sagen, wie du deine Freundschaften zu führen hast. Aber ganz ehrlich? Das zwischen euch geht jetzt schon ein Jahr so und ich weiß nicht, ob das auf Dauer gut ist …«

»Und wenn wir nochmal mit ihm sprechen?«, klinkte Finn sich wieder ein.

»Bro, das ist nicht unsere Baustelle«, widersprach Nate ihm. »Außerdem haben wir das ja schon. Er weiß es ja. Er kann’s nur nicht umsetzen, gerade mit schlechten Erfahrungen im Hinterkopf.«

»Ich versteh’s ja auch«, nuschelte Shadow in Finns Schulter, an der sie lehnte, worauf die beiden jungen Männer sie aufmerksam anblickten. »Kommt schon, welcher Typ wär fein damit, dass seine Freundin, oder was auch immer ich für ihn bin, zwei männliche beste Freunde über Nacht in ihrer Wohnung hat, die zudem auch nicht unbedingt hässlich sind.«

»Nicht unbedingt hässlich«, spottete Nate brüskiert. »Ich glaub’s nicht!«

»Heute tritt sie wirklich nach unten aus«, bekräftigte Finn Nates Entsetzen, grinste dann aber belustigt.

»Das war nicht der Punkt, ihr Blitzbirnen«, lachte Shadow und schubste Nate an der Schulter an, dass er mit dem Rücken wieder aufs Sofapolster fiel. »Ich versteh ihn sehr gut und fühl mich deshalb noch beschissener, weil ich einfach nicht weiß, was ich noch tun soll. Ich finde es ja fair, dass man seinen Lebensstil auch dem Partner ein wenig anpasst und Kompromisse eingeht.«

»Ist es auch«, stimmte Nate ihr zu. »Die Frage dabei ist nur, ob man das will. Für keinen Menschen vor Ayden hätte ich mich so selbstverständlich eingeschränkt, ohne, dass es sich so anfühlt, als würde ich mich einschränken. Ich lebe nicht mehr alleine, ich verbringe nicht mehr jeden zweiten Tag in der Bar, ich penne nicht mehr zwei Mal die Woche bei meiner besten Freundin …«

»Das soll jetzt was heißen?«

Nate verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah zur Decke. »Ich denke, das bedeutet, dass es entweder einen Menschen gibt, bei dem du das ganz selbstverständlich machst, weil du es von dir aus möchtest, oder ein Kompromiss ist für dich keine Option, und dann funktioniert es aber auch nicht, weil es ein ewiger Kampf wäre. Du musst ihm ja die Frage stellen: Was löst die Zeit mit meinen Freunden für ein Gefühl in dir aus und was können wir beide tun, dass du damit umgehen kannst?«

»Genau die Frage hab ich ihm schon mehrere Male gestellt«, murmelte Shadow. »Die Antwort ist und bleibt, dass es ihm immer noch nicht gut dabei geht, die Frau, für die er sich interessiert, so nah mit anderen Männern zu sehen. Ich hab ihn ja sogar zu einem Abend wie heute schon öfter eingeladen, aber das will er auch nicht. Und was wir beide dann tun könnten: Er braucht mehr Zeit und ich müsste mich einschränken. Und ich … ich will das nicht.«

»Tut mir leid, Große, aber das hört sich nicht gut an.« Nate verzog niedergeschlagen den Mund und guckte sie mitfühlend an. »Ihr habt euch beiden Zeit gegeben, mehr als genug. Aber wenn’s so weiterläuft, führt das zu Vermeidung, Ignorieren, Runterschlucken von blöden Gefühlen, was auch immer. Es führt zu nichts Gutem, für keinen von euch.«

Nate steckte manchmal mit dem Kopf in den Wolken, was aufgrund seiner fast 1,90 Meter tatsächlich kein Wunder wäre, allerdings sprach er hier klar und deutlich aus, was wohl der Realität entsprach. Man musste für Kompromisse bereit sein, und so traurig es Shadow machte, sie war nicht bereit dazu, sich einzuschränken. Vielleicht waren ihre Gefühle für Riko nicht stark genug, vielleicht war sie sich selbst zu wichtig, aber was es auch war, änderte nichts daran, dass das die Wahrheit war.

Über ein Jahr lang hatte sie es versucht. Hatte sich einreden wollen, dass es schon werden würde, mit etwas mehr Zeit, etwas mehr Gesprächen. Und womöglich hatte sie auch deshalb den Großteil ihrer Gedanken für sich behalten, weil sie wusste, was ihre Freunde sagen würden. Erst am heutigen Tag war sie wirklich bereit dazu gewesen, sich die Meinung ihrer besten Freunde anzuhören und sie anzunehmen.

Doch jetzt wartete der schwierigste Teil auf sie. Das Gespräch mit Riko.

Kapitel 3

EIN ENDE OHNE SCHRECKEN

Das Gespräch mit Nate und Finn hatte Shadow geholfen, sehr sogar. Denn jetzt war sie sich klarer darüber, was sie wollte. Und vor allem darüber, was sie nicht wollte.

Sie hatte schon eine Beziehung hinter sich, die sie ausgebrannt zurückgelassen hatte. Sie hatte einen Jungen geliebt, der sie immer wieder voller Liebe lichterloh brennen ließ, um sie einen Tag später ausbrennen zu lassen. Heiße Flammen, eisiges Wasser. Sengende Glut, kalte Asche. Heiß, kalt. Hoch, tief. An, aus. Eine Kindergartenbeziehung, die doch so viel in ihr zerstört hatte. Er hatte sie sich so wertlos fühlen lassen, dass sie über alles froh gewesen war, was er ihr an Aufmerksamkeit entgegenbrachte. Und wenn es nur das lüsterne ›geiler Ausschnitt heute, Shay‹ oder ›die mit dem geilen Arsch und den fetten Titten ist meine Perle!‹-Geprahle vor den Freunden war, dann trug sie dieses Outfit öfter. Sie wollte gefallen. Nicht sich oder anderen, sondern nur dem Jungen, der so stolz auf ihre Ästhetik war und ihr immer wieder versicherte, dass er sie doch liebte. Dass er das Beste für sie wollte, nicht so wie all die anderen notgeilen Idioten. Shadow lernte, sich selbst nichts mehr wert zu sein. Bis sie Nate kennenlernte.

Als sie 15 Jahre alt war, begegnete sie Nate erstmals nachts auf einem Spielplatz. Zwei verlorene Seelen, die sich nach Beständigkeit und Rückhalt sehnten. Nate begleitete sie ein Jahr später durch ihre Trennung, war an ihrer Seite, als sie brach. Und er war es, der sie wieder zusammensetzte. Ihre Freundschaft zu ihm und Finn, den sie etwa zwei Jahre später gemeinsam kennenlernten, war ihr von da an heilig.

Es war für Shadow keine Frage, ob man sich am Ende für Familie oder Freunde entschied, denn jedes Leben verlief anders. Der größte Traum mancher Menschen war es, eine eigene Familie zu gründen. Und dann gab es da Freunde, die sich über diesen Traum lustig machten, sich darüber echauffierten, dass die Person mehr Zeit mit ihrer Beziehungsperson verbringen wollte. Diese Menschen verstanden nicht, dass Zeit keine unausschöpfbare Ressource war, sondern sie nach Priorität aufgeteilt werden musste. Irgendwo waren Abstriche nun mal von Nöten. Und das war in Ordnung.

Nates Prioritäten hatten sich, nachdem Ayden in sein Leben getreten war, auch verschoben, und das hatte nichts damit zu tun, dass Shadow oder ihre anderen Freunde ihm weniger wichtig waren. Aber Ayden war sein Partner. Sein Lebenspartner. Shadow würde auch ihr Leben lang für Nate da sein, aber Ayden war seine große Liebe. Nate hatte dieses Leben verdient. Bedingungslose Liebe, einen Partner, der neben ihm aufwachte, ihn vor Spinnen und anderem Ungeziefer beschützte.

Und sie verdiente das auch. Sie verdiente einen Menschen an ihrer Seite, der ihr vertraute. Der ihr glaubte, dass sie wusste, wer ihr Herz innehielt. Wenn es Riko nach einem Jahr nicht gelang, ihr dieses Vertrauen entgegenzubringen, dann würde es diesen Moment vielleicht auch nie geben.

»Hey, Sonnenschein«, hieß Riko sie willkommen, als Shadow in seine Wohnung eintrat. Umgehend begrüßte sie Rikos Hündin und seine Katze, ehe sie sich wieder aufrichtete und von Riko in einen Kuss gezogen wurde, den Shadow trotz ihrer Gefühlslage gerne erwiderte. »Hast du deine Strähnen nachgefärbt?«

»Aufmerksames Auge«, kicherte Shadow und fuhr sich mit der Hand durch ihren pechschwarzen, mit lilafarbenen Strähnen durchzogenen Pferdeschwanz. Sogar hoch am Hinterkopf sitzend wie jetzt, reichte dieser ihr bis unter die Brust.

»Hast du Hunger?«, fragte Riko, schon auf dem Weg in die Küche.

»Können wir davor kurz reden?«, quetschte Shadow noch heraus, ehe Riko vollkommen in der Küche verschwinden konnte. Er machte ein paar Schritte rückwärts, die Hand noch am Türrahmen, und sah sie direkt an. Mit einem Blick, der Shadow schlucken ließ.

Riko senkte den Kopf, ein wissendes, trauriges Lächeln auf den Lippen. »Es ist so weit, hm?«

Shadow presste die Lippen zusammen, um sich vom Weinen abzuhalten. Dass Riko schon wusste, was jetzt kam, machte den Kloß in ihrem Hals noch deutlicher spürbar.

»Ich will nur reden …«, hauchte sie.

Riko fuhr sich durch die aufgestellten, braunen Haare und deutete mit dem Kopf in Richtung seines Wohnzimmers. Shadow folgte ihm wortlos und setzte sich im Schneidersitz neben ihn aufs Sofa, der Körper ihm zugewandt. Gefangen von innerer Unruhe spielte sie mit den Fransen der Decke, die zwischen ihnen lag, und zupfte ein paar Katzen- und Hundehaare davon ab.

»Hast du eine Lösung für unsere Situation?«, fragte Shadow leise in den Raum.

Riko, der Kopf auf einer Hand abgestützt, strich sich über den dunklen Dreitagebart, bis er sich Shadow leicht zuwandte.

»Du willst etwas Offizielles, richtig?«, fragte Riko.

»Du nicht?«

Ein Seufzen seinerseits. »Natürlich will ich das, aber ich schaff’s nicht. Der Gedanke daran, dich meine Freundin zu nennen und dann hintergangen zu werden-«

»Aber ich würde dich nicht hintergehen«, führte Shadow ihm einfühlsam vor Augen.

»Du bist perfekt«, flüsterte Riko und griff nach ihrer Hand. »Du bist so stark und zielorientiert, dass ich weiß, du kriegst alles, was du willst. Und wenn das irgendwann nicht mehr ich bin …«

»Aber ich wollte dich doch die ganzen letzten Monate!«, flehte Shadow, schluckte ihre Tränen hinunter. »Siehst du das denn nicht?«

»Ich seh dich mit deinen Freunden tanzen. Ich seh dich über eine Nachricht lachen, die Finn dir geschickt hat. Ich seh dich mit Nate ins Lager gehen und weiß, was er sonst da drin veranstaltet. Ich seh in meinem Job im Club zig Leute, die vergeben sind, mit ihren Freunden oder Fremden rummachen und nach Hause gehen, als wär nichts gewesen.«

Weil Riko mittlerweile die Tränen kamen, fing auch Shadows Unterlippe an zu zittern. Nicht weinen. Jetzt nicht weinen.

»Siehst du denn nicht, dass ich dich beim Tanzen angucke, wenn du da bist? Dir die Nachricht mit dem Meme zeige, das Finn mir geschickt hat? Denkst du nicht daran, dass Nate und ich Freunde sind und er noch dazu einen Mann hat? Siehst du mich in den Clubs mit anderen rummachen?«

Riko wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, atmete tief ein und schüttelte resigniert den Kopf. »Ich weiß das alles. Ich weiß es. Aber ich krieg’s nicht in meinen Kopf rein. Ich verstehe ja zum Beispiel auch nicht, wie Rin zwei Menschen lieben kann und noch weniger, dass du das verstehst. Ich wünschte, ich könnt’s nachvollziehen, weil ihr alle glücklich wirkt. Aber ich kann nicht anders, als jedes Mal ein komisches Gefühl zu haben, wenn ich etwas sehe, was ich selbst nie tun würde. Ich komm nicht über den Punkt hinaus.«

Die Person, auf die Riko sich hier bezog, war Rin, der Jüngste und Ruhigste ihrer Freundestruppe. Er war mit 21 Jahren in einer polyamoren Beziehung mit Roxy und Kaito, die ebenso zum Freundeskreis gehörten. Zusammen mit ihnen lebte er in einem Haus, nicht weit vom Standort der Bar entfernt, die Shadow ihr Eigen nannte. Seit ein paar Monaten waren sie ein Dreiergespann, und Riko hatte es wahnsinnig verunsichert, dass Shadow dieses Beziehungsmodell einfach so annahm. Dass Rin mit Roxy und mit Kaito zusammen war, letztere aber keine romantische Beziehung zueinander führten, hatte bei Riko für enorme Verwirrung gesorgt. All das war für ihn ein großes Fragezeichen, noch immer.

»Aber du verstehst doch auch, dass Nate mit einem Mann zusammen ist, obwohl du das nie selbst tun würdest«, sagte Shadow, versuchte Riko mit Vernunft und Logik zu begegnen.

»Ja«, stimmte Riko ihr zu. »Und dann hab ich dich in der Bar gesehen, dich sofort toll gefunden, und ab dem Zeitpunkt war in meinem Kopf nur: ›Nate ist bi. Er kann, wenn er will‹.« Frustriert legte Riko sich die Hand in den Nacken und schüttelte erneut den Kopf. »Ich denke nicht, dass er Ayden betrügen würde, und ich denke auch nicht, dass du mich hintergehen würdest, aber ich kann nicht anders, als der Angst zu folgen, Shadow. Ich kann es nicht. Und ich weiß, dass du eine On-Off-Beziehung nicht verdient hast. Du hast mehr verdient, so viel mehr.«

»Riko …«

Lächelnd legte Riko ihr die Hand auf den Oberschenkel und atmete tief durch. »Es wird mich zerreißen, aber ich möchte euch alle wieder als Freunde sehen, nicht als Feinde. Ich will mit euch feiern und lachen und Nate und Finn nicht als potenzielle Rivalen sehen, weil das so oder so Schwachsinn ist. Und ich will, dass du glücklich wirst. Mit jemandem, der … einfach besser zu dir passt. Ich begegne bestimmt auch irgendwann einer Frau, die in die Vorstadt ziehen will und die Welt vielleicht durch meine Augen sieht, so engstirnig diese Sicht auch sein mag.«

»Das stimmt nicht«, widersprach Shadow ihm und führte seine Hand an ihren Mund, um sie zu küssen. »Es ist okay, sich eine Vorstadtfamilie zu wünschen und ein traditionelles Rollenbild gut zu finden, wenn das beide möchten.«

»Aber du möchtest das nicht«, hauchte Riko hoffnungslos.

»Nein«, stimmte Shadow ihm zu. »Ich möchte das nicht. Ich möchte über meiner Bar wohnen, das Zentrum meiner Freunde sein und wenn es die irgendwann woanders hin verschlagen sollte, ist das vielleicht der Moment, an dem ich mir Gedanken darüber mache, wie’s weitergeht. Ich will nicht über die Vergangenheit nachdenken oder in die Zukunft planen. Vielleicht ist deine Sicht zu engstirnig, vielleicht ist meine zu naiv. Aber ich brauch diese Freiheit. Und bevor ich alleine ende, zieh ich mit Finn in eine WG, ob er will oder nicht.«

Das Lachen, das Rikos Brust emporkroch, war zwar etwas traurig, aber auch aufrichtig. »Bei seinen ganzen Frauengeschichten?«

»Da mach ich mir dann ’nen Spaß draus und spiel die nichtsahnende Ehefrau, die ihn beim Fremdgehen erwischt«, kicherte Shadow. »Hat Nate schonmal in der Gay-Edition auf ’nem Festival mit ihm abgezogen. Finn war sooo angepisst, das war super.«

»Vielleicht bin ich mit 50 dann ja auch mal schlauer und wär bereit dazu, über einer Bar zu wohnen«, lachte Riko. »Darf ich mich dann nochmal melden?«

»Streunende Katzen nehm ich immer auf«, witzelte Shadow. Beim Blick in Rikos wässrige Augen, drehte sich ihr jedoch wieder der Magen um. »Du bist wundervoll, Riko. Du hast genau die Liebe und Beziehung verdient, die du dir wünschst.«

»Du auch, Sonnenschein«, flüsterte Riko. Sein Blick war auf ihre Lippen gerichtet, doch auch Shadow spürte das unsichtbare Band, welches sie in seine Richtung zog. »Darf ich dich ein letztes Mal-«

»Ja«, schoss es aus Shadow heraus, ehe sie sich an seinen Schultern in seinen Schoß zog, die Arme um seinen Nacken legte und ihn küsste. Riko öffnete sofort den Mund und erwiderte ihren Kuss.

Vielleicht war es nicht unbedingt ratsam, dass es an diesem Abend nicht bei einem Kuss blieb, sondern bei einer letzten, gemeinsamen Nacht. Aber ihr war es nicht wichtig, was rational ratsam oder schlau war. Sie wollte Riko noch einmal so nah sein, wie sie es nie wieder sein würde.

Kapitel 4

NEW BEGINNINGS

Mit dem Versprechen, dass Riko am folgenden Abend in der Bar auftauchen und sie sich in Zukunft nicht wie Fremde behandeln würden, verließ Shadow seine Wohnung und begab sich auf direktem Weg zu Nates und Aydens Containerhaus. Sie war zwar eine harte Nuss und relativ schwer aus der Fassung zu bringen, aber an einem solchen Tag konnte sie wirklich eine feste Umarmung von ihrem besten Freund gebrauchen.

Ihren Lieferwagen parkte sie am Rande des Waldwegs auf der Anhöhe, an der sich das Haus ihrer Freunde befand. Ayden und Nate lebten mitten im Wald in einem Containerhaus mit Blick aufs Tal, abgeschottet von der Zivilisation. Passte zu den beiden wie die Faust aufs Auge.

Bevor Shadow ausstieg, betrachtete sie sich im Rückspiegel. Ihr Kajalstrich saß nicht mehr da, wo er eigentlich sitzen sollte, ihre braunen Augen wirkten trüb und leblos und ihr schwarzes Haar glänzte nicht aufgrund der tollen Pflege, sondern wegen weniger angenehmer Gründe. Angstschweiß war der Grund. Denn wenn Shadow vor einer Sache wirklich Angst hatte, dann vor der Einsamkeit.

Glücklicherweise, und das war dem Verlauf der letzten Monate und des letzten Abends zu verdanken, saß sie hier nicht mit vollkommen gebrochenem Herzen. Sie hatte es kommen sehen und sich, so weit das möglich war, seelisch darauf vorbereitet. Dass es jetzt wirklich Realität war, löste noch mal ganz anderen Schmerz in ihr aus, aber es war auszuhalten. Eine schöne kleine Romanze ohne Happy End.

Nicht jede Beziehung im Leben eines Menschen war für die Ewigkeit gemacht. Riko und sie waren im Leben des jeweils anderen ein Abschnitt, eine angenehme Erinnerung. Und für Shadow war es sogar auf gewisse Weise heilsam, dass der Fall am Ende so weich gewesen war. Sie hatten Liebe und Zuneigung füreinander übrig, aber sie waren nicht ihre jeweilige Endstation. Sie waren ein Zwischenstopp auf einer längeren Reise.

In dem Zug bis zur Endstation, wenn es die denn jemals geben würde, war sie aber zu keinem Zeitpunkt alleine gewesen. Manchmal musste man umsteigen, manchmal wurde ein Waggon abgekuppelt und fuhr erst einige Zeit später hinterher, aber sie war nie alleine. Nur deshalb verlor sie nicht die Nerven. Ihre Freunde waren da. Würden bleiben. Auch wenn eine Person wie Riko, die in diesem imaginären Zug eine Zeit lang direkt neben ihr gesessen hatte, sich umsetzte oder bis zur nächsten Haltestelle den Ersatzbus nehmen musste, um ein wenig Abstand zwischen sie zu bringen, dann war deshalb nicht der ganze Zug leer, in dem sie sich befand.

Klopf klopf.

Shadow riss den Kopf herum und erblickte auch schon Nate, der mit zusammengedrückter Schweinchennase an ihrem Autofenster hing. Da war nichts zu machen, der Lachanfall war vorprogrammiert.

»Du bist so ein Trottel«, giggelte Shadow, während sie die Autotür aufwarf, nachdem Nate zur Seite getreten war.

»Gerne doch«, entgegnete Nate grinsend und breitete auch schon die Arme aus. »Komm her.«

Shadow protestierte nicht, sondern hüpfte vom Fahrersitz und umklammerte auch schon Nates Taille, um sich von ihm in die Arme nehmen zu lassen. Sie weinte nicht, schimpfte nicht über die Ungerechtigkeit der Welt, bemitleidete sich nicht selbst. Sie ließ sich einfach nur von ihrem besten Freund umarmen, der einer der Hauptgründe dafür war, dass sie so für sich einstand, wie sie es tat.

»Ein bisschen weniger Muskeln würden dir echt nicht schaden«, quengelte Shadow. »Ist ja mal so gar nicht kuschlig.«

»Ey, setz ihm keine Flausen in den Kopf«, hörte Shadow Ayden humorvoll schimpfen, der von der Veranda auf sie zukam und sich neben Nate stellte. »Ich mag das.«

»Du magst das?«, spottete Nate pikiert. »Du liebst das.«

»Okay, ich steh auf deinen Körper«, brummte Ayden. »Ist das jetzt ’ne Schande?«

»Es ist eine Schande, dass dieser stählerne Körper nicht mehr gewürdigt wird!«

Ayden entkam nur ein leises, höhnisches Lachen. »Oh, ich glaube, ich hab deinen Körper heut morgen sehr wohl-«

»Ich liebe euch«, platzte es aus Shadow heraus, woraufhin es um sie herum still wurde. Sie merkte nur, wie sich Nates Umarmung intensivierte, öffnete aber nicht die Augen.

Wenn Nate und Ayden so miteinander interagierten, sie sich neckten und triezten und es dennoch für Ayden selbstverständlich war, dass sie seinen Ehemann dabei voller Zuneigung umarmte, dann war sie glücklich. Nichts davon bedeutete, dass es nicht in Ordnung wäre, andere Abmachungen in einer Beziehung zu haben, aber Shadow liebte die Leichtigkeit in dem Freundeskreis, den sie sich aufgebaut hatte.

»Wir dich auch«, sagte Nate und setzte ihr einen Kuss auf den Kopf. »Wir sind immer an deiner Seite, ja?«

Shadow nickte, da spürte sie auch schon Aydens unverkennbar kalte Hand an ihrer Schulter.

»Soll ich die Bar heute übernehmen, obwohl ich weiß, dass du’s natürlich schaffen würdest?«, fragte Ayden, hilfsbereit wie er war.

»Bloß nicht«, antwortete Shadow und öffnete die Augen. Sie klopfte Nate auf den Rücken, woraufhin er sie aus seiner Umarmung entließ. »Ich brauch die Arbeit, die macht mir gute Laune.«

Nate nickte verstehend und strich ihr fürsorglich über den Kopf. »Willst du uns erzählen, was passiert ist?«

Shadow summte bejahend und ließ sich anschließend von Nate und Ayden ins Haus führen, in dem ihr Hund Boy schon schwanzwedelnd auf sie zutapste und sich erstmal durch das lange, bunte Fell wuscheln ließ.

Nachdem Shadow die beiden auf den neusten Stand gebracht hatte, brach Nate auch schon zu Riko auf. Sie arbeiteten zusammen in der Stadt als Türsteher, waren aber auch außerhalb der Arbeit gute Freunde, weshalb Nate es sich nicht nehmen ließ, nach ihm zu sehen.

Da Ayden als Barkeeper in Shadows Bar arbeitete und sie an diesem Abend sowieso Betrieb hatten, machten sie sich diesmal etwas früher auf den Weg dorthin. Der knuffige Vierbeiner Boy begleitete sie natürlich und würde den Abend wie immer in Shadows Appartement verbringen, bis Rin ihn mit nach Hause nahm.

Nate und Ayden ›teilten‹ sich ihren Hund mit Rin, Roxy und Kaito. Sie wechselten sich meistens wöchentlich ab, je nachdem, bei wem es gerade besser in die Schichten oder die generelle Wochenplanung passte. Und Boy war ein leibhaftiger Abenteurer, liebte die Abwechslung und wusste ganz genau, dass jeder im Freundeskreis auf irgendeine Weise sein Zuhause war.

Wenn die Bar geschlossen hatte, durfte Boy selbstverständlich im Erdgeschoss umherflitzen. Er hechtete jedes Mal schwanzwedelnd zur Tür, wenn einer der Freunde vor offizieller Öffnung die Bar betrat und freute sich wie irre. So auch heute.

Das Bellen hallte durch den Raum, als Rin in typisch schwarzer Klamotte durch die Tür trat. Er ging in die Hocke, um Boy zu begrüßen, während Kaito und Roxy um ihn herum Richtung Tresen marschierten. Zusammen mit Finn, der direkt nach ihnen die Bar betreten hatte.

»Hey!«, rief Shadow ihnen erfreut zu. »Naaa, Roxy! Dein letztes Video ist ziemlich viral gegangen, hab ich richtig gesehen, oder?«

Roxy, die Musikerin der Truppe, nickte Shadow mit strahlend blauen Augen zu. »Mhmm, hab ich nur Rin zu verdanken!«

»Das hab ich gehört und widerspreche«, ertönte nun Rins typisch monotone, unaufgeregte Stimme hinter Roxy. »Ich hab das Video nur geschnitten.«

»Okay, okay«, lenkte Roxy ein und zog Rin zwischen die zwei Barhocker, auf denen Roxy und Kaito saßen. »Du hast mir geholfen. Besser?«

»Besser.«

Shadow bekam auch hier beim Zusehen das Lächeln nicht aus dem Gesicht. Wie viele Tränen und Strapazen es Rin gekostet hatte, sich öffentlich mit seinen zwei Beziehungsmenschen zeigen zu können, hatte Shadow mitbekommen. Und dafür bewunderte sie den stillen Kämpfer, denn in irgendeiner Weise im Mittelpunkt zu stehen war so gar nicht Rins Naturell. Zwangsläufig wurde das Scheinwerferlicht aber für gewisse Zeit auf ihn gelenkt, denn ein Jahr lang hatte Rin allein mit Roxy eine Beziehung geführt. Bis sein verlorengegangener bester Freund Kaito – Shadows Lieblingspunk mit moosgrünen Haaren und ein paar Piercings im Gesicht – vor ein paar Monaten aus Japan zurückkam und alles auf den Kopf stellte.

All diese Geschichten und unterschiedlichen Charaktere zeigten Shadow abermals auf, was ihr diese Truppe voller Chaoten bedeutete. Das hier war ihr Zuhause. Sie sehnte sich auch nach einem Hafen, einer festen Bezugsperson neben ihren Freunden, das stand außer Frage. Aber sie war nicht versessen darauf, auf Biegen und Brechen jemanden zu finden, dessen Lebensstil sich am Ende nicht mit ihrem vereinbaren ließ.

Passend zu diesem Gedanken trafen in dieser Sekunde Nate und Riko ein. Die beiden Männer lachten im Moment des Eintretens noch über irgendetwas und es wäre eine schamlose Lüge, zu behaupten, der Blickkontakt mit Riko hätte ihr nicht einen Stich versetzt. Shadows Blick hing an ihm, während er sich mit Nate auf den Tresen zubewegte, hinter dem Shadow stand und dabei war, Rin einen Orangensaft einzuschenken.

»Hey«, entkam Shadow eine Begrüßung, hauchdünn und etwas unsicher.

»Hey.« Riko nahm auf dem Barhocker neben Kaito Platz und sah selbst etwas unbeholfen aus. Aber er wirkte … normal. Es machte nicht den Anschein, als hätte er die Nacht durchgeweint oder sähe keine Zukunft ohne Shadow darin.

»Wie geht es dir?«, fragte Shadow zaghaft und leise, um die anderen nicht auf ihr etwas ungewöhnliches Gespräch aufmerksam zu machen. Riko kam zwar auch sonst nie angesprungen und knutschte sie in aller Öffentlichkeit ab, aber ein bisschen Geflirte war immer drin gewesen.

»Okay soweit«, gab Riko ihr alle Antworten, die sie brauchte. Sie beide lächelten geknickt, weil sie den Schmerz des anderen spüren konnten, aber es war, wie Riko sagte: okay. Es war okay. »Mein Kopf weiß, dass das besser ist. Mein Herz muss nur hinterherkommen.«

Shadow nickte zustimmend. »Ja, versteh ich. Aber jetzt ist’s für uns beide eindeutiger, was wir sind.«

»Genau«, stimmte Riko ihr zu. »Und du bist scheinbar keine sehr gute Barkeeperin, so wie du den Orangensaft verschüttest.«

Shadow runzelte erst die Stirn, sah aber dann an sich hinab und schrak quietschend auf, als sie realisierte, dass das Glas Orangensaft wohl schon seit einer Weile voll war. Die große Glasflasche in ihrer Hand war jedenfalls leer und die Theke bedeckt von orangegelber Flüssigkeit.

»So ein Dreck«, zischte Shadow. »Wieso lenkst du mich auch so fies ab?!«

Jetzt entkam Riko wirklich ein ehrliches, heiteres Lachen. »Wir haben nur geredet!«

Ehe Shadow sich versah, tauchte Ayden neben ihr auf und wischte mit einem nassen Lappen den ausgelaufenen Saft in Richtung Spüle.

»Ich mach das schon«, sagte Ayden und warf ihr ein versicherndes Lächeln zu.

»Danke dir«, entgegnete sie, wischte die Außenseite des sehr vollen Glases Orangensaft ab, ließ einen Strohhalm hineingleiten und platzierte es vor Rin.

»Leute, ich hätte noch eine kleine Ankündigung zu machen«, meldete sich auf einmal Kaito zu Wort. Wie auf Knopfdruck drehten ihm alle Anwesenden den Kopf zu.

»Schieß los!«, sagte Shadow, warf sich das Spültuch über die Schulter und stützte einen Arm auf ihre zur Seite gekippte Hüfte.

»Meine kleine Schwester Misaki kommt nächste Woche aus Japan an und ich würde sie gerne am Abend hier herbringen, weil sie euch alle kennenlernen möchte«, verkündete Kaito.

Nate und Roxy gaben erfreute Laute von sich, und auch Shadow klatschte begeistert in die Hände.

»Sie ist ein ziemliches Energiebündel, hast du gesagt, richtig?«, meinte Shadow, worauf Kaito die Augenbrauen hob und langsam nickte.

»Das ist untertrieben«, lachte er. »Aber sie ist toll. Ich freu mich, dass sie kommt.«

»Ach ja«, klinkte Roxy sich ein. »Wir wollten noch fragen, ob uns jemand von euch vielleicht ein Auto ausleihen kann? Rin muss mich genau um die Zeit zum Bahnhof fahren, deshalb braucht Kai ein anderes Auto.«

»Ich kann dich fahren!«, bot Shadow sofort ihre Hilfe an. »Am Nachmittag hab ich Zeit, Ayden kann die Theke auch alleine vorbereiten.«

Den besorgten Blick aus Nates Richtung ignorierte Shadow gekonnt. Sie wusste, was in seinem Kopf vorging.

Wenn sie etwas zu verarbeiten hatte, dann stürzte sie sich in alles, was sie ablenkte. Sie bot jedem von ihnen gerne ihre Hilfe an und war lieber unter Dauerstress, als alleine. Oft wurde ihr schon Meditation vorgeschlagen, um zu lernen, auch mal abzuschalten und die Stille und Ruhe auszuhalten. Und das half sicher vielen Menschen, aber ihr nicht. Sie wurde dabei unruhig, fühlte sich gefangen und alleine gelassen. Und sie hatte es wirklich oft probiert.

Natürlich konnte sie alleine sein. Sie lebte seit Jahren alleine, war das gewohnt. Aber das bedeutete nicht, dass es sich gut anfühlte oder sie sich nicht wünschte, dass es anders wäre. Wenn ihre Freunde bei ihr übernachteten, dann fühlte sie sich am wohlsten. Sie mochte Menschen um sich herum und wusste auch, woher dieses Bedürfnis nach Beschäftigung und Interaktion kam. Aber das war nichts, worüber sie sich im Moment Gedanken machen wollte.

»Und das wirft nicht deine Tagesplanung durcheinander?«, versicherte Kaito sich darüber, dass Shadow sich nicht mehr auflud, als sie tragen konnte.

»Nein, nein«, winkte sie ab. »Ich würd mich freuen, wenn ich mitkommen darf. Noch eine Frau mehr bei uns kann definitiv nicht schaden und wenn sie mich als Erstes kennenlernt, weiß sie, womit sie’s bei uns zutun hat.«

»Stimmt«, bestätigte Finn. »Besser sie lernt gleich die Schlimmste von uns kennen.«

»Du ARSCH!«, schimpfte Shadow, knüllte ihr Spültuch zusammen und warf es Finn an den Kopf. »Sie wird mich lieben, nur dass du’s weißt!«

»Das ist nicht schwer«, sagte Kaito und lächelte mit einem Hauch von Melancholie im Blick. »Als ich das erste Mal vor … ich glaub, viereinhalb Jahren hier war, hab ich mich auch sofort wohl gefühlt.«

»Kann ich nur zustimmen«, warf Rin ein, der es eigentlich vorzog, wenig zu sprechen, dabei aber viel zu sagen. »Bei meinem ersten Mal hier hast du mir sofort ein Getränk spendiert und zu Nate gesagt, seine Freunde wären auch deine Freunde. Und dann durfte ich mich in deiner Wohnung zurückziehen, obwohl du bis dahin nur ein paar Worte mit mir gewechselt hast.«

Shadow blickte lächelnd auf den Boden, drehte sich dann aber von ihren Freunden weg und beschäftigte sich mit der Anordnung der Spirituosen an der Rückwand der Bar. Sie sollten nicht sehen, wie sehr sie diese Worte berührten.

»Jetzt hört auf, ihr Schleimer«, rief sie über ihre Schulter und sah die Konversation damit als beendet an. Ayden hatte jedoch andere Pläne.

»Mich hast du als Barkeeper aufgenommen und nach ein paar Tagen verarztet, als mich dieser Typ attackiert hat. Du hast nicht gesehen, was passiert ist, und hast mich sofort in Schutz genommen. Danach durfte ich bei dir schlafen und hätte das noch öfter gedurft, wenn ich gewollt hätte.«

»Das ist doch selbstverstä-«

»Ist’s nicht, Shadow«, fiel Finn ihr ins Wort. »Egal wie oft du’s sagen willst.«

Shadow nahm einen tiefen Atemzug, um sich zu sammeln, ehe sie sich zu ihren Freunden umdrehte. »Okay, danke. Ihr seid süß. Können wir dann jetzt darüber sprechen, was wir nächste Woche für ’ne Party für Misaki schmeißen? Was ist das Motto?«

»Pink«, sagte Kaito.

»Pink?«

Kaito nickte. »Bei ihr ist alles pink. Alles. Vom Klopapier über den Kochlöffel bis zum Kuchenteig.«

»Geil«, rief Shadow erfreut. »Ich liebe Frauen, die zu ihrer Vorliebe für Pink stehen. Dann haben Kyla und ich ja damals genau die richtige Farbe gewählt, als wir dir hier die Haare gefärbt haben!«

»Hat Misaki gut gefallen, ja«, bestätigte Kaito und hielt den Daumen in die Höhe. »Ich bleib aber doch lieber beim Grün.«

»Dann zieh ich mir zur Feier des Tages nächste Woche ’ne pinke Cap an, dass sie sich direkt zuhause fühlt!«, verkündete Shadow und legte sich im Kopf schon ein passendes Outfit für die Abholung am Flughafen zurecht.

Die pinke Cap stand schonmal. Und weil Shadow nichts darauf gab, wie man Farben am besten kombinierte, sondern einfach nach Gefühl ging, wählte sie dazu gedanklich ein senffarbenes Crop-Top und eine luftige, waldgrüne Palazzohose, gepaart mit ihren liebsten, weißen Sneakern. Es war ja schließlich Ende Mai und damit warm genug, um die knapperen Outfits herauszukramen.

»Sie tut’s schon wieder.«

Shadow blinzelte sich aus ihren Gedanken und glotzte Nate gedankenverloren an. »Hm?!«

»Du scannst deinen Kleiderschrank«, erläuterte Nate seine Unterstellung und traf damit leider genau ins Schwarze.

»Hör auf, mich so gut zu kennen«, nölte Shadow mit gekünstelter Genervtheit. »Hört alle auf, mich so in den Fokus zu nehmen! Was hab ich denn getan, dass das so ist?« Die Menschen vor ihr schoben unwissend die Unterlippe vor oder zuckten mit den Achseln. »Okay, dann: Finn, Riko, Nate, holt mir bitte drei Kästen Spezi aus dem Lager. Ayden, sind Limetten auf Vorrat geschnitten?«

»Ist erledigt, Chefin«, bestätigte Ayden.

»Perfekt, dann bitte noch das Eis auffüllen. Roxy, du überlegst dir Lieder, die du auf der pinken Party singen kannst, geht das?«

Roxy salutierte mit einem Grinsen und strahlend blauen Augen. »Mit größtem Vergnügen!«

»Rin, Kai, euch brauch ich zur Planung«, sprach sie die beiden an, die ihr gegenüber auf den Barhockern saßen – gut, Kaito hing mehr an Rins Hals, aber das waren Kleinigkeiten – und ihr zunickten. »Rin plant besser als jeder von uns und kann mir sicher schnell einen schönen Beitrag für mein Barprofil zaubern, dass den Gästen klar ist, dass nächste Woche ein Motto ansteht?«

Rin deutete nur mit dem Kopf in Richtung Kasse, weil in der Schublade darunter ihr Tablet verstaut war, das sie immer nutzte, um Werbebeiträge und Promoaktionen auf den Social-Media-Profilen ihrer Bar hochzuladen. In den meisten Fällen nahm Rin ihr diese Arbeit ab, weil er sehr viel versierter in diesem Bereich war und es ihn nur ein paar Klicks kostete, bis er einen Beitrag erstellt hatte. Shadow ließ sich bei Arbeiten wie diesen viel zu leicht ablenken und hatte selbst nach zwei Stunden noch nichts Zufriedenstellendes zustande gebracht.

»Einlass 18 Uhr, Motto Pink, eine pinke Sache sichtbar am Körper tragen«, fasste Rin zusammen. »Passt so, oder?«

»Du bist ein Schatz«, sagte Shadow und atmete erleichtert aus, froh über eine Aufgabe weniger. »So, jetzt zu dir, Kai. Hast du dann am Mittwoch vormittags noch Zeit, Sachen zu besorgen? Pinke Ballons, pinkes Konfetti-«

»Das müssen wir alles wieder saubermachen«, brummte Ayden, wenig begeistert von der Idee des Konfettis.

»Für was bezahl ich dich denn, du Muffel?!«

Ayden kniff ein Auge zusammen. »Ich Muffel?!«

»Egal«, winkte Shadow ab. »Du musst das Konfetti nicht zusammenfegen, aber-«

»Natürlich feg ich es zusammen«, unterbrach Ayden sie. »Ich sag nur, Konfetti ist ein dummes Arschloch und ich werde fluchen und mich beschweren.«

»Verständlich«, murrte Rin nickend.

»Das ist okay, ich hör einfach nicht hin«, entgegnete Shadow und legte den Arm um den mehr als zehn Zentimeter kleineren Ayden. Shadow war mit ihren 1,75 Metern nicht die Kleinste, aber dass Nate mit fast 1,90 Metern so viel Größenunterschied zu Ayden hatte, ließ sie immer wieder breit grinsen.

»Ich kann am Vormittag, Shadow«, beantwortete Kaito ihre vorherige Frage.

»Sehr gut.« Als Finn, Nate und Riko mit den Getränkekästen aus dem Lager hinter den Tresen marschierten, klatschte Shadow gerade in die Hände. »Dann wird jetzt geplant, und nächste Woche gibt’s ’ne richtig nice, pinke Party. Für euch gilt das Motto übrigens auch. Wer nicht mindestens eine pinke Sache an sich hat, kommt hier nicht rein!«

»Nur über meine Leiche«, knurrte Rin und blickte Shadow durch seinen pechschwarzen Pony an, der Kopf fast vollständig unter seiner schwarzen Kapuze versteckt und die Fingernägel im selben Farbton lackiert.

»Es war sogar dein Vorschlag für den Beitrag?!« Rin brummte ablehnend. »Ein pink lackierter Finger?«, versuchte Shadow ihn ein wenig in die richtige Richtung zu schubsen. »Oder das pinke Band von Kais Smartwatch?«

»Mit dem Band kann ich leben«, willigte Rin ein und schlürfte dann auch schon zufrieden durch seinen Strohhalm an seinem Orangensaft.

Wie ein Haufen Kinder. Ein Haufen süßer, chaotischer Kinder, den Shadow über alles auf der Welt liebte.

Kapitel 5

MISAKI

Jetzt war es endlich so weit. Misaki konnte nicht glauben, dass die letzten Wochen doch so schnell an ihr vorbeigezogen waren und sie sich wieder in Deutschland befand. In dem Land, in dem sie zehn Jahre lang aufgewachsen war, bis sie vor fünf Jahren zurück nach Japan zogen.

Wie auch ihr großer Bruder Kaito, hatte Misaki immer vorgehabt, wieder zurückzukehren. Nach Deutschland. Und nun hatte sie die Oberschule abgeschlossen, war seit ein paar Monaten 18 Jahre alt und bereit für die Uni. Und diese wollte sie in der Stadt besuchen, in der ihr Bruder seit einem halben Jahr lebte.

Der Abschied – wenn auch nur für ein paar Monate – von ihrem Bruder und gleichzeitig bestem Freund Kaito in Japan war hart gewesen. Sie wusste immer, dass Kaito nach seiner Ausbildung zurück nach Deutschland wollte, unter anderem auch wegen Rin. Doch weil Kaito und Rin über die letzten Jahre keinen Kontakt gehabt hatten und es auch nicht so ausgesehen hatte, als würde sich das so schnell ändern, nahm Misaki an, Kaito würde mit ihr zusammen aus Japan auswandern, sobald sie die Schule abgeschlossen hatte.

Doch dann ging alles ganz schnell.

Rin meldete sich nach Jahren der Funkstille bei Kaito, sie sprachen sich aus, und drei Wochen später ließ Kaito Japan hinter sich. Zugegeben, Misaki steckte das damals nicht besonders gut weg. Sie fühlte sich von ihrer engsten Bezugsperson verraten, alleine gelassen. Ihre kleine Schwester Momo hatte sie zwar noch, aber das Verhältnis zu ihren Eltern war so angespannt gewesen, dass Misaki einfach nur raus wollte.