Rabenschwarze Intelligenz - Josef H. Reichholf - E-Book

Rabenschwarze Intelligenz E-Book

Josef H. Reichholf

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Beschreibung

Kolkraben und ihre Verwandten, die Raben-, Nebel- und Saatkrähen, Dohlen, Elstern und Eichelhäher, sind so intelligent, dass sie es mitunter sogar mit der Intelligenz von Primaten aufnehmen können. Reichholfs Studien über freilebende und von Hand aufgezogene Rabenvögel belegen, dass die ungeliebten Vögel fähig sind, ihre tierischen und menschlichen Partner sowie alle anderen Vögel im Schwarm genau zu erkennen, unfreundliche Lebewesen zu bestrafen, ihre Konkurrenz beim Verstecken von Aas zu täuschen oder Wölfe gekonnt in Schach zu halten. Im Boden versteckte Walnüsse finden Rabenkrähen auch nach Monaten mühelos wieder. In Japan kann man sogar beobachten, dass Krähen Nüsse bei Rot an Ampelanlagen vor Autos platzieren, um sie in der nächsten Rotphase frisch geknackt wieder abzuholen. Kaum ein Mensch hätte dem ungeliebten "schwarzen Gesellen" solche Findigkeiten zugetraut. Tut sich der Mensch mit den Rabenvögeln vielleicht gerade wegen ihrer unglaublichen Intelligenz so schwer? Der Erfolgsautor Josef H. Reichholf hat auch auf diese Frage überzeugende Antworten gefunden.

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Seitenzahl: 332

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© 2022 Langen Müller Verlag GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Sabine Schröder

Umschlagmotiv: shutterstock

Redaktion: Daniela Wilhelm-Bernstein

Satz und E-Book-Konvertierung: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

ISBN 978-3-7844-8400-6

www.langenmueller.de

Inhalt

Vorwort

Vorstellung der Rabenvögel

Die »Schwarzfedrigen« und die Intelligenz

Was sind Rabenvögel?

Von Krähen und Menschen

Die Rabenkrähe Tommy

Der Kolkrabe Mao

Landkrähen

Regulierungsversuche von Landkrähen

Kolkraben im Flachland

Winterkrähen

Stadtkrähen

Großstadtrevier

Die Attraktivität der Städte

Intelligenz der Krähenvögel

»Nusskrähen«

Rabenschwarze Intelligenz weltweit

Rabenmythen

Sagenhafte Rabenvögel

Unglücksraben

Ausblick

Nachwort zur 4. Auflage

Zuschriften und Rückblick

Bildteil

Literaturhinweise

Vorwort

Meine erste nähere Bekanntschaft mit den Rabenvögeln machte ich mit einer Dohle. Damals war ich gerade zehn Jahre alt. Ein älterer Junge hatte seit dem Jahr davor eine »Dachl«, wie die Dohlen im Niederbayerischen hießen. Einen frei fliegenden Vogel zu besitzen, beeindruckte mich so sehr, dass ich unbedingt auch eine Dohle haben wollte. Auf mein Bitten und Drängen hin verriet er mir schließlich, wie man an eine junge Dohle kommt. In die Spitze unseres Dorfkirchturms müsse man zur rechten Zeit im Mai steigen. Ganz oben sind ihre Nester! Eine Treppe im gemauerten Turm und dann Steiggriffe am zentralen Balken führen dort hinauf.

An einem ruhigen Tag in den Pfingstferien riskierte ich es. Die Treppen hoch, das ging sehr schnell. Schwieriger wurde es in der engen Turmspitze, weil ich bald nicht mehr aufwärts schauen, sondern nur noch tasten konnte. Zudem war es stickig heiß und sehr staubig. Die Dohlen nisteten seit Jahrhunderten in diesem Turm. Sie bauten die Nester auf den Sparren und Streben alljährlich Schicht um Schicht höher, bis so ein Nestturm zu hoch wurde und abstürzte.

Die Bestandteile der Nester voller Kotreste, mit viel Staub und Mumien von Jungvögeln, die nicht zum Ausfliegen kamen, landeten in der Tiefe auf der oberen Plattform des gemauerten Turms, wo sie der Mesner alle Jahre wieder einmal entfernen musste. Beliebt waren sie daher nicht, die kleinen schwarzen Dohlen mit ihren silbrig grauen, irgendwie »klug« wirkenden Köpfen und den stahlblauen Augen. Aber man duldete sie, weil es schon immer so gewesen war, dass sie in der Turmspitze lebten. Wenn die Glocken geläutet wurden, kamen sie aus allen Luken mit lautem Geschrei hervor, umschwärmten flatternd den Turm, beruhigten sich wieder und verschwanden darin.

Mindestens 50 Dohlenpaare hausten damals im Kirchturm. Die meisten hatten Junge, als ich die Kolonie erreichte. Daher war es leicht, einen passend erscheinenden Jungvogel aus einem der Nester zu holen, die in Griffweite waren. Ziemlich verdreckt von all dem Zeugs, das auf mich niederging, weil ich unweigerlich an alte Nester stieß, aber mit einer schreienden Jungdohle als Beute, die ich unter dem Hemd versteckt hielt, kehrte ich zurück und schlich mich wie ein Dieb aus der Kirche.

Ein schlechtes Gewissen hatte ich nicht, denn mit zwei bis drei Jungen pro Nest und somit sicherlich über 100 Jungvögeln allein in jenem Jahr schien mir der Verlust einer Dohle vertretbar. Zudem sollte diese ja nicht umkommen, sondern großgezogen werden und frei fliegen. Vielleicht würde sie auch wieder zur Kolonie zurückkehren – was sie später tatsächlich tat. Denn ich hatte nicht bedacht, dass die so muntere, schon richtig keck um sich schauende Jungdohle viel zu alt gewesen war, um auf Menschen geprägt zu werden. Sie fraß, schien unersättlich, wuchs heran, lernte von selbst das Fliegen und als sie so richtig schön groß geworden war, flog sie davon, zurück zu den Ihrigen. In den knapp zwei Monaten, die sie unter meiner Fürsorge aufwuchs, hatte ich viel gelernt.

Am eindrucksvollsten war, wie genau sie mich kannte und von allen anderen Menschen unterschied. Egal, wie ich gekleidet war, sie irrte sich niemals. Als sie fliegen konnte, streifte sie ums Haus herum, lernte die Umgebung kennen und verflog sich nicht ein einziges Mal. Die Leute im Dorf beeindruckte ich mit meiner Dohle sehr. Denn wenn ich sie »Hansi« rief, so hatte ich sie genannt, antwortete sie mit »da, da« und kam auch meist sogleich angeflogen. Gern saß sie auf meiner Schulter, knabberte dabei am Ohrläppchen und quatschte mir unentwegt auf Dohlisch ins Ohr.

Die Stunden, die ich in die Schule musste, mochte sie nicht. Da blieb sie im Haus eingesperrt. Nachmittags gingen wir »fliegen«. Gemeinsam suchten wir dann auf der Wiese nach Insekten. Da war sie natürlich viel besser als ich. Als die Sommerferien begannen und ich den ganzen Tag Zeit für sie gehabt hätte, verließ sie mich. Sie verstand offenbar die Rufe ihrer Artgenossen. Leider hatte ich sie nicht beringen können, weil die Ringe aus Plastik, die unsere Hühner trugen, für ihre dünnen Beine zu groß waren. Deshalb weiß ich nicht, wie es ihr bei den Dohlen im Kirchturm weiter erging.

Die kleine Dohle hatte ein Interesse erweckt, das nachwirkte. Fünfzehn Jahre später zog ich eine Rabenkrähe auf. Diese war klein genug. Sie hatte die Augen noch geschlossen und als sie sich öffneten, mich als erstes Lebewesen erblickt. Da hielt sie sich selbst für meinesgleichen und blieb. Über Jahre bekam ich mit dieser Krähe höchst ungewöhnliche Einblicke in das Leben von Rabenvögeln. Besonders Spannendes kam hinzu, als ein Freund den intelligentesten aller Vögel, einen Kolkraben, erhielt. Dieser Rabe lernte auch mich und einen kleinen Freundeskreis individuell kennen.

Jahrzehnte der Forschung an frei lebenden, »wilden« Rabenkrähen, Elstern und Dohlen folgten. Mein Interesse an dieser »Rabenschwarzen Intelligenz« ist nach einem halben Jahrhundert Beschäftigung mit den Krähenvögeln ungebrochen. Aus allen Teilen der Erde kommen immer wieder neue Entdeckungen und die erstaunlichsten Berichte über ihre Fähigkeiten.

Bei uns werden sie hingegen alljährlich zu Zehntausenden abgeschossen. Ist die Bekämpfung der Krähenvögel gerechtfertigt und sinnvoll? Warum ist unser Verhältnis zu ihnen so zwiespältig? Das habe ich mich früher oft gefragt. Ich meine, einige Antworten dazu geben zu können, warum ausgerechnet die intelligentesten Vögel am wenigsten beliebt sind.

Vorstellung der Rabenvögel

© Wilhelm Busch »Hans Huckebein«, 1867

Die »Schwarzfedrigen« und die Intelligenz

Raben, Krähen und dergleichen

Wer mag sie schon, die Raben und die Krähen? Sie prunken nicht mit schönem Gefieder. Ihr Rabenschwarz passt für »schwarze Tage« besser. Im Flug mangelt es diesen Vögeln an Eleganz. Zu Fuß wirken sie einfältig, mitunter richtig komisch. Sie können weder klettern noch schwimmen. Selbst ganz jung sehen sie schon alt aus. »Alte Krähe« ist ein Schimpfwort der üblen Sorte. »Verrückte Hühner« sind jung und vergleichsweise weniger schlimm. Krähen singen nicht, sie krächzen. Das passt zwar zu ihnen, allerdings nicht zu ihrer Verwandtschaft, den Singvögeln. Dass sie mit der Nachtigall näher verwandt sein sollen als mit Hühnern oder Tauben, wird man ohne nähere Erklärung kaum für möglich halten. Und bei ihrem Gekrächze immer noch nicht so recht glauben wollen! Verwirrung gibt es schon bei den Namen. Wer ist »Rabe«, wer »Krähe« und wer »Rabenkrähe«? Selbst Vogelkundler werden, um Klarstellung befragt, leicht verlegen. Raben sind die Großen, Krähen die Kleineren und Dohlen die kleinen Schwarzen unter den schwarz gefiederten Rabenvögeln. Oder heißt es Krähenvögel?

Dem Familiennamen zufolge wäre »Rabenvögel«, Corvidae, richtig, weil Corvus lateinisch Rabe bedeutet. Doch die »Schwarzen« sind in ihrer Familie, die 115 verschiedene Arten umfasst, klar die Minderheit. Zur Gattung Corvus gehören 40 Arten weitgehend oder ganz schwarz gefiederter Raben und Krähen. Die mehr oder weniger bunten wie die altrosafarbenen heimischen Eichelhäher, die blauen amerikanischen Blauhäher, die Elstern, die prächtigen ostasiatischen Kittas und einige weitere Vertreter dieser Vogelgruppe stellen mit 75 Arten fast zwei Drittel der Familie. Also doch lieber Krähenvögel?! Wie’s beliebt, lautet die Antwort. Denn nicht einmal innerhalb der »Schwarzen« lassen sich die (kleineren) Krähen von den (größeren) Raben klar genug trennen. Mit unserer west- und mitteleuropäischen Rabenkrähe haben wir den Kompromiss vor uns: Rabe und Krähe in gleichsam Einem; nicht zu klein und nicht zu groß. Viele meinen diese Art, wenn sie von »den Raben« sprechen, und nicht ihren viel größeren Verwandten, den Kolkraben. Verglichen mit diesem geradezu »edlen« Raben sind sie aber wieder gemeine Krähen; Rabenkrähen eben. Was sie eint bei aller Vielfalt in der Familie, das ist nicht von außen sichtbar. Man muss es erlebt haben, um es glauben zu können. Intelligenz ist ihre gemeinsame Stärke! Eine »rabenschwarze Intelligenz«! Ich habe sie erlebt und kann das Erlebte immer noch kaum fassen!

Intelligente Rabenvögel?

Wir Menschen halten uns für intelligent. Das ist wohl im Großen und Ganzen richtig, auch wenn die menschliche Intelligenz häufig genug sehr zu wünschen übrig lässt. Entrüsten wir uns über mangelnde Intelligenz von Mitmenschen, muss oft die Tierwelt für geeignete Schimpfwörter herhalten. »Blöder Hund« passt für Hunde und Menschen. Statistisch gesehen wird es häufiger auf Menschen angewandt als auf Hunde. Das spricht für die Intelligenz der Hunde. Zumeist erfüllen sie unsere Erwartungen. Bei der menschlichen Intelligenz setzen wir höhere Erwartungen an. Zu hohe offenbar. Dem Hund sind wir viel wohlwollender zugetan, sodass wir ihn für überdurchschnittlich intelligent halten, zumal wenn es der eigene ist. Da es die meisten Hunde irgendwie geschafft haben, sich einen Besitzer anzueignen, erfreuen sie sich fast allesamt überdurchschnittlicher Intelligenz in der Einschätzung seitens der Menschen. Diese Betrachtungsweise macht die Spezies Hund gescheiter, als sie ist. Ein »dummer Hund« fällt auf, obgleich Hunde nun mal dumm sein dürfen, weil sie nicht alles wissen können, was von ihnen erwartet wird. Vom Menschen hingegen wird von vornherein mehr erwartet, viel mehr. Auf diese Weise senkt sich der Durchschnitt der anderen Menschen scheinbar ganz erheblich unter das eigene Niveau der Intelligenz, von dem selbstverständlich ausgegangen wird. Das lässt unsere Spezies im Gegensatz zum Hund dümmer erscheinen, als sie ist.

Mit diesem automatischen Vorurteil müssen wir uns herumschlagen, wenn wir »objektiv« sein (oder werden) möchten. Das kleinste Zeichen von Intelligenz beim Hund wird freudig vermerkt, während kleine Unachtsamkeiten von Menschen dagegen gleich als Ausdruck von Dummheit gewertet werden. Intelligenz hat daher fast immer mit Voreingenommenheit zu tun. Greifen können wir die Intelligenz ohnehin nicht und begreifen nur schwer, weil wir dabei auf die eigene, mehr oder weniger ausgeprägte angewiesen sind. Wie groß oder wie schwach die »Ausprägung« ist, wissen wir deshalb nicht, weil uns die eigene Intelligenz nur so weit hilft, wie sie reicht.

Mit der Intelligenz geraten wir in Schwierigkeiten, wo immer wir sie definieren wollen. Ist es ein Zeichen von Intelligenz, wenn sich die Katze schlafend stellt und auf unseren Zuruf nicht reagiert, oder einfach Ausdruck ihrer momentanen, meist viele Stunden anhaltenden Faulheit? Ist der Esel, weil er sich weit umfänglicher den Menschen und ihrem Ansinnen widersetzt, intelligenter als das folgsame Pferd?

Eine genaue, für andere kritische Intelligenzen hieb- und stichfeste Begriffsbestimmung der Intelligenz will ich deshalb vermeiden. Abgrenzungen lassen sich kaum jemals in der Klarheit vornehmen, die sie vortäuschen, weil in der Natur die Übergänge fließend sind. Besser ist es, die Befunde, das Erlebte direkt darzustellen. Darüber kann dann jeder nachdenken und sich seinen Reim darauf machen. Am irgendwie intelligenten Verhalten von Tieren ändert die nachträgliche menschliche Deutung ohnehin nichts. Es war so, wie es war; die Experimente hatten diese oder jene Ergebnisse. Deute sie, wer das kann!

Sicher ist, dass wir Menschen die Intelligenz nicht für uns alleine reservieren können. Tiere sind keine Automaten, die ein vorprogrammiertes Verhalten abspulen, weil es gerade durch diesen oder jenen Anreiz ausgelöst worden ist. Wäre dem so, und könnten Tiere nicht auch in irgendwie ähnlicher Weise wie wir Menschen denken, müssten wir auch uns selbst die Intelligenz absprechen. Denn sie bedeutet mehr als Einsicht oder Voraussicht. Der lateinische Wortursprung drückt das aus: Dazwischen, nämlich zwischen den Zeilen des Geschriebenen oder den Sätzen des Gesprochenen, lesen zu können, darin äußert sich Intelligenz. Das können mit Sicherheit unsere nächsten biologischen Verwandten, die Menschenaffen. Bei den großen Übereinstimmungen in Bau und Funktionsweise ihres und unseres Gehirns und beim hohen Grad der Verwandtschaft nimmt das nicht wunder. Unterscheiden wir uns von den Schimpansen doch nur in wenig mehr als einem Prozent im Erbgut (Genom).

Aber nicht nur die Menschenaffen allein äußern intelligentes Verhalten. Wir staunen über Leistungen ganz anderer Säugetiere wie zum Beispiel der Delfine. Sie verständigen sich unter Wasser mit Ultraschall. Wie weit sie sich dabei in grundsätzlich ähnlicher Weise austauschen wie wir Menschen mit der Sprache, wissen wir nicht, weil der Code der (möglichen) Delfinsprache bisher nicht geknackt worden ist. Ihre schwache, kaum erkennbare Gesichtsmimik verrät uns zu wenig über Stimmungen und Wirkungen von Verhaltensweisen. Aber wenn etwa ein Delfin beim Training den Ball 20- oder 30-mal mit der Schwanzflosse an den Rand des fünf Meter über dem Becken angebrachten Basketballkorbes geschleudert, jedoch nicht in den Korb getroffen hatte, mutet es schon wie eine Neckerei an, die er sich mit dem Trainer erlaubt, wenn er sofort absolut sicher trifft, weil dieser sagt »du bist heute zu blöd, ich mag nicht mehr und hör auf!«.

Was mag in jenem Weißwal im Duisburger Zoo vorgegangen sein, als sich der Direktor vor dem Becken (zu) lange mit einem Kollegen und mir unterhalten hatte und ihm der Wal urplötzlich ein Maul voll Wasser über den Kopf schüttete? Oder als sich in der völligen Freiheit einer Lagune im mexikanischen Niederkalifornien Grauwale in der Abenddämmerung auf ihren Schwanzflossen im Flachwasser abstützten, den Kopf übers Wasser emporreckten und den Sonnenuntergang ansahen?

Verwirrende bis rührende Geschichten können auch die meisten Hundehalter von ihren Lieblingen erzählen. Manches, allzu viel mitunter, mag vom Menschen hineininterpretiert worden sein. Aber im Grundsatz ist und bleibt klar, dass Empfindungen und Verhaltensweisen bei Tieren vorkommen, die doch sehr »menschlich« wirken.

Drei Gruppen von Tieren trauen wir dabei am meisten zu: unseren nächsten Verwandten, den Primaten, vor allem den Menschenaffen. Unserem treuesten Haustier, dem Hund. Und schließlich den Säugetieren ganz allgemein, so weit es sich um sehr lernfähige Arten handelt, die sozial leben. Daher wird man auch Ratten und Mäusen Intelligenz zubilligen müssen, nicht nur Hunden und Affen. Bei anderen Säugetieren wissen wir zumeist zu wenig von ihrem Leben, weil uns ihre Welt, wie bei Walen und Delfinen, zu verschlossen ist. Als Faustregel gilt, wer ein großes Gehirn hat, kann intelligent sein. Ein Elefantengehirn macht ein Elefantengedächtnis möglich. Wer seine Beute aktiv suchen und jagen muss, wird intelligenter sein als andere Arten ähnlicher Größe, die von Gras leben.

Intelligenz könnte also so etwas wie der Spiegel der Anforderungen sein, die Leben und Umwelt für die betreffende Art mit sich bringen. Dem Biber, der Dämme baut und den Wasserabfluss in einem von ihm gestauten See reguliert, wird man mehr Intelligenz zubilligen als den Wühlmäusen, mit denen die Biber entfernt verwandt sind. Sie graben Löcher in die Dämme, ohne Rücksicht auf die Folgen, während die Biber Löcher so rasch wie möglich verschließen, um den Wasserstand zu halten. Die im Rudel gemeinsam jagenden Löwinnen oder Wölfe sind gewiss intelligenter als ihre Beute, die Büffel und Antilopen oder die Elche und Rehe.

Wir Menschen sind Säugetiere und Angehörige der Ordnung der Primaten. Insofern passt bei uns alles gut zusammen: Primaten sind besonders intelligent, die uns nächstverwandten Menschenaffen am intelligentesten. Der Hund gehört als Abkömmling des Wolfes zu den sozial in Gruppen lebenden und jagenden Raubtieren, die im Hinblick auf ihre Herausforderungen sehr intelligent sein müssen. Unter den Nagetieren haben Ratten, Mäuse und Biber ein hoch entwickeltes Sozialverhalten mit individuellem Kennen und Erkennen der Mitglieder ihrer Gruppen. Auch das setzt ein entsprechend hohes Maß an Intelligenz voraus. Die weitaus meisten Beispiele für intelligentes Verhalten und Forschungsergebnisse, die sich mit Experimenten darauf beziehen, stammen aus diesen Gründen von diesen Säugetieren. Sie passen mit ihrem unterschiedlichen Grad an Intelligenz und Verwandtschaft recht gut zu uns.

Doch wo soll sich eine Intelligenz von Rabenvögeln einordnen? Vögel haben keine großen Köpfe mit schwergewichtigen Gehirnen. Sie leisten viel und höchst Erstaunliches mit ihren Flügen, die sich über den ganzen Globus erstrecken können. Aber wenn es um »Klugheit« in der Vogelwelt geht, taucht in unserer Vorstellung eher das Bild der »weisen Eule« auf als das des klugen Raben. Ein Trugbild ist es, denn die Befiederung der Eule täuscht einen großen, mit den Rundungen Klugheit versprechenden Kopf vor. Zu den Intelligentesten unter den Vögeln gehören die Eulen gewiss nicht. Die »Eule der Athene« hatte der Göttin nichts zu sagen; ganz im Gegensatz zu »Hugin« und »Munin«, den beiden Raben des Germanengottes Wotan. Sie sorgten dafür, dass er über das, was die Menschen so anstellten, auf dem Laufenden blieb, ohne dass sich der Gott mit der Menschenwelt unter ihm allzu viel Mühe machen musste. Die alten Germanen hatten die Intelligenz der Raben sehr wohl gekannt und das Rabenpaar zu Göttervögeln gemacht. Die Christianisierung der Heiden stürzte mit Wotan auch die beiden klugen Raben und degradierte sie zu Totenvögeln. Intelligent blieben sie dennoch. Die Intelligentesten der Vogelwelt überhaupt und eine echte Konkurrenz für Primaten; mitunter auch für jenen Primaten, der sich selbst »der Weise (oder Kluge)« nennt – den Homo sapiens. Sogar mit ihrer kleineren Ausgabe, den Rabenkrähen, kommt so mancher Zeitgenosse im grünen Rock nicht klar. Die Antwort der Gekränkten ist der tödliche Schuss.

Was sind Rabenvögel?

Die volkstümliche und die zoologische Sicht

Es war schon spät, so gegen 22 Uhr, als das Telefon in meinem Arbeitszimmer in der Zoologischen Staatssammlung klingelte. Warum wohl mochte der Anrufer annehmen, dass ich noch arbeiten würde? Aus dem Hörer drang Wirtshauslärm. Die Frage aber kam klar und eindeutig: »Gehören nun die Krähen, Herr Doktor, zum Raubzeug oder zu den Singvögeln?« Eine Diskussion unter Jägern war also im Gang. Meine Antwort fiel ebenso klar und eindeutig aus: »Zu den Singvögeln, Raubzeug werden sie nur in der Jägersprache genannt.« Zurück kam ohne Groll ein »Dank schön, aber jetzt habe ich gerade einen Kasten Bier verloren!«. Da der Hörer eingehängt wurde, konnte ich meinen Vermittlungsvorschlag nicht mehr anbringen, nämlich dass beide auf ihre Weise recht gehabt hatten.

Aus der Sicht der Jäger fasst der Ausdruck »Raubzeug« die drei markantesten Vertreter der Krähenvögel, Krähen, Elstern und Eichelhäher, zusammen. Zoologisch, und damit rechtlich im Hinblick auf die Europäische Vogelschutzrichtlinie, um die es bei obiger Frage in der Wirtshausdiskussion gegangen war, weil 1979 alle Singvögel unter Schutz gestellt worden waren, stimmte allerdings die Einstufung als Singvögel. Mich hatte damals der Verdacht beschlichen, dass bei der parlamentarischen Abstimmung über die Vogelschutzrichtlinie möglicherweise niemand unter den jagenden Abgeordneten im Europaparlament zugegen war, der wusste, dass auch die Raben Singvögel sind. Daher gerieten die Rabenvögel unter die Decke des Vollschutzes, ohne dass dies so für sie vorgesehen gewesen war. Umgekehrt dürften sich einige Informierte unter den Abgeordneten ins Fäustchen gelacht haben über diesen Handstreich. Als solcher wurde er von zahlreichen Jägern angesehen, als das Geschehen ruchbar geworden war. Da hatte man doch glatt das »Raubzeug«, die schlimmsten Feinde der Singvögel, diesen armen, schützenswerten Vögelchen gleichgestellt und in Schutz genommen. Folglich durften sie auch nicht mehr, wie bisher, abgeschossen und reguliert werden. »Wer schützt uns nun vor diesen Räubern«, ließ eine Jagdzeitung entsetzte Singvögel in einer Karikatur fragen. Das Ende der Singvögel schien mit dieser Unterschutzstellung angebrochen. Viele Freunde der Singvögel und Vogelschützer konnten es auch nicht fassen: Krähen, Elstern und Eichelhäher sind doch wie die Katzen die Feinde der Singvögel!

Die alte Ordnung, die auch die Vogelwelt in Gut und Böse einteilte, war infolge der zoologischen Klassifizierung zusammengebrochen. Für die Jäger schien das sogar besonders schlimm, weil Krähen und Elstern aus ihrer Sicht auch als Feinde der Bodenbrüter, wie Fasan und Rebhuhn oder Wildente, und der Junghasen unbedingt kurz gehalten werden mussten. Mit Erfolg, dank ihres hohen politischen Einflusses und des passionierten Jägers Franz Josef Strauß, erwirkten sie zunächst in Bayern eine Ausnahmeregelung, die ihnen (die allerdings höchst unbeliebten) »Einzelabschüsse« ermöglichte. Eine zumindest teilweise Rettung von Niederwild und Singvögeln war damit gewährleistet. An der zoologischen Einstufung des »Raubzeugs« änderte dies allerdings nichts. Der Ausdruck entschwand nach und nach. Er war so auch nicht mehr zeitgemäß.

Die Krähen

Es gibt andere Probleme. Während »die Elster« oder »der Eichelhäher« eindeutige Bezeichnungen sind, ist das bei »den Krähen« nicht so. Die Bezeichnung umfasst nämlich drei verschiedene »Formen«, von denen zwei einander zwar sehr ähnlich sehen, aber artverschieden sind, während die dritte deutlich anders aussieht, aber nur eine Unterart (Subspezies) darstellt. Die Rede ist von Rabenkrähe, Nebelkrähe und Saatkrähe. Raben- und Saatkrähe sind ganz schwarz, schon auf mäßige Entfernungen täuschend ähnlich, aber zwei eindeutige Arten, die sich nicht miteinander vermischen. Die Nebelkrähe hingegen, »zweigeteilt« grau und schwarz gefiedert, ist der Rabenkrähe so nahe verwandt, dass sich beide, allerdings auf höchst merkwürdige Weise, in einem schmalen Streifen, der sich quer über Europa von der Ostsee zum Mittelmeer hin zieht, untereinander vermischen. Sie gelten daher als zwei Unterarten einer größeren Gemeinschaft, die Aaskrähe genannt wird und den wissenschaftlichen Namen Corvus corone trägt. Die westliche, ganz schwarz gefiederte Unterart davon ist »unsere« Rabenkrähe Corvus corone corone, die zu ihrer Kennzeichnung als Subspezies den dritten Namensteil corone hinzugefügt bekommen hat, während die östliche und südöstliche Unterart auch allgemein als Nebelkrähe bekannt und wissenschaftlich Corvus corone cornix bezeichnetist. Dieses merkwürdige Paar wird in anderem Zusammenhang noch genauer behandelt. Zunächst geht es darum, im nötigen Umfang klarzustellen, wer unter den Raben- oder Krähenvögeln wer ist und wohin er/sie gehört.

Rabenkrähe Corvus corone corone, schlanke Beine ohne abstehendes Gefieder (»Hosen«) und schwarzes Gefieder mit wenig Glanz

© Piotr Rydzkowski/Dreamstime.com

Saatkrähe Corvus frugilegus, Altvogel mit weißgrindiger Schnabelwurzel, stark glänzendem Gefieder und »Federhosen«

© Wolfgang Alexander Bajohr/www.natur-5seenland.de

So verursacht die große Ähnlichkeit der beiden »Schwarzen«, der Raben- und der Saatkrähe, immer wieder Missverständnisse und Fehleinschätzungen, vor allem, wenn es um die Häufigkeit »der Krähen« geht. Denn in der Lebensweise unterscheiden sich beide Arten weitaus stärker als in ihrem Äußeren. Wenn im Winter Zehn- oder Hunderttausende Saatkrähen als Gäste aus dem Osten zu uns kommen, bedeutet dies eben nicht, dass sich die heimischen Rabenkrähen im letzten Sommer explosiv vermehrt hätten und die nächste Brutzeit der Singvögel und Feldhühner von Schwadronen schwarzer Nesträuber heimgesucht würden. Und weil es sich um Wintergäste handelt, die im Frühjahr wieder abziehen, besagen ihre Schwärme auch nichts über die Brutbestände der Saatkrähen in Deutschland. Als Brutvögel sind sie tatsächlich so selten, dass sie zu den gefährdeten Arten gehören und vielerorts völlig fehlen. Wer aber eine Brutkolonie von Saatkrähen vor dem Fenster oder im nahen Park hat, wird eher geneigt sein, das Gegenteil, eine Überhandnahme, anzunehmen. Weil Saatkrähen in Kolonien brüten, die als »Nesträuber« verschrienen Rabenkrähen jedoch nicht. Die Rabenkrähen brüten streng einzeln und verteidigen ihr Brutrevier gegen Artgenossen. Die Saatkrähen suchen als Koloniebrüter wie die gleichfalls in Kolonien und noch enger beisammen nistenden Dohlen gemeinsam auf den Fluren nach Nahrung. Daran sollte man sie gleich erkennen können. Bei den kleinen Dohlen mit dem grauen Kopf ist das auch in der Tat einfach. Nicht aber bei den Saatkrähen, weil es zur Brutzeit auch Schwärme von Rabenkrähen gibt, die umherstreifen und gemeinsam nach Nahrung suchen.

Dieser komplizierte Sachverhalt ist leider so wichtig, dass er später genau dargelegt werden muss. Denn es macht in der Tat einen großen Unterschied, ob es sich während der Fortpflanzungszeit der Vögel und des Niederwildes bei einem Krähenschwarm um Saatkrähen oder um Rabenkrähen handelt. Dummerweise haben die ausgeflogenen jungen Saatkrähen auch noch einen befiederten Schnabelansatz und nicht das »grindige« Gesicht der Altvögel, sodass sie den Rabenkrähen noch ähnlicher sehen. Kein Wunder also, dass die Jäger vereinfachend von »den Krähen« und zusammengefasst mit den unverkennbaren Elstern vom »Raubzeug« gesprochen hatten. Leicht machen sie es uns wirklich nicht, die Krähen. Aber das liegt eindeutig an uns. Denn untereinander täuschen sie sich überhaupt nicht. Sie sehen einfach viel besser als wir Menschen; so gut sogar, dass sich die Partner und Nachbarn der Raben- wie auch der Saatkrähen untereinander persönlich erkennen, obgleich sie für uns völlig gleich aussehen.

Vieles hängt eben von der Sichtweise ab, wie gut sie entwickelt ist oder wie begrenzt und von Vorurteilen belastet sie ausfällt. Bei den Krähen treffen für uns Begrenzung und Vorurteile ganz besonders zu, weil wir Buntes und Niedliches emotional bevorzugen, mit Schwarzem aber Schwierigkeiten haben zurechtzukommen. Auch davon später mehr.

Bleiben wir bei der Zuordnung und ihren Problemen. Wer zu den Singvögeln gehört, wird nicht von den Gesangsqualitäten bestimmt und was ein Krähenvogel ist, hängt nicht von seinem Äußeren ab. Die Zuordnung »Krähe« stimmt jedoch besser, als man vermuten würde, wenn wir die globale Verbreitung der Krähenvögel berücksichtigen. Schwarze Vögel von Größe und Aussehen »einer Krähe« gibt es mit Ausnahme von Südamerika auf allen Kontinenten und vielen Inseln. Mit sechs verschiedenen Arten aus der Gattung Krähe/Rabe Corvus sogar besonders viele in Australien! Fünf Arten leben in Afrika und sieben in Eurasien, der größten Kontinentalmasse. Insgesamt umfasst die Gattung Corvus 40 verschiedene Arten. Unsere vier Arten, der Kolkrabe Corvus corax, die Aaskrähe Corvus corone, die Saatkrähe Corvus frugilegus und die Dohle Corvus monedula, stellen also gerade zehn Prozent des globalen Artenspektrums der »Krähen«, die Raben eingeschlossen.

Diesen wurde seit alters die Bezeichnung »Rabe« zuteil, weil bei uns die Kolkraben mit ihren 64 Zentimetern Länge von der Schnabel- bis zur Schwanzspitze auch deutlich größer als die Raben-, Nebel- und Saatkrähen mit nur 47 bis 48 Zentimetern sind. Der Größenunterschied äußert sich nicht nur in Flugbild und Körpermasse (Gewicht), sondern insbesondere auch in der Wuchtigkeit des Schnabels. Der Kolkrabenschnabel übertrifft sogar den des ungleich »mächtiger« erscheinenden Steinadlers. Der Längenunterschied zwischen Kolkraben und den »Krähen« von einem Viertel bedeutet im Gewicht aber eine Verdopplung bis Verdreifachung. Große Kolkraben wiegen mehr als 1,5 Kilogramm, Krähen aber nur um die 0,5 Kilogramm. Das Gewicht schwankt in Abhängigkeit von Alter, Jahreszeit und Kondition, aber das Verhältnis bleibt bestehen. Erheblich größer als bei den Krähen fällt daher auch die Flügelspannweite der Raben aus. Beim (europäischen) Kolkraben erreicht sie bis 1,5 Meter; bei den nordamerikanischen Artgenossen fällt sie etwas geringer aus. Dennoch ist das eine eindrucksvolle Flügelspannweite, die durchaus der von Greifvögeln in Bussardgröße entspricht.

Der direkte Größenvergleich mit dem Steinadler (links) zeigt, wie mächtig der Schnabel des Kolkraben ist (Balgpräparate).

© Josef H. Reichholf

Hier in Europa und Nordasien wie dort in Nordamerika sind die nordischen Raben stets deutlich größer als die weiter südlich vorkommenden. Als Regel gilt, je weiter im Norden sie auftreten, desto größer werden sie – und umgekehrt. Kolkraben sind sehr weit verbreitet. Ihr Areal reicht von Westeuropa und fast ganz Nordafrika über Nord- und große Teile von Zentralasien bis in den Fernen Osten und hinüber nach Nordamerika, wo sie südwärts bis Mexiko und Mittelamerika vorkommen. Sogar die Küsten Grönlands und Islands sowie zahlreiche kleine nordatlantische Inseln sind vom Kolkraben besiedelt. Sein Areal zählt damit zu den größten einer Singvogelart überhaupt – und er ist der größte Singvogel! Darin drückt sich der Erfolg des Raben aus.

Würde die Aaskrähe in Nordamerika nicht durch vier eigene, nahe verwandte Krähenarten, die Amerikanerkrähe Corvus brachyrhynchos, die Fischkrähe Corvus ossifragus, die Sundkrähe Corvus caurinus und die Mexikanerkrähe Corvus imparatussowie auf den Antilleninseln von fünf weiteren Arten von Inselkrähen ersetzt, nähme sie ein fast genauso großes Areal ein wie der Kolkrabe. In Europa und Nordasien ist es offenbar nicht zu so starker Isolierung der Vorkommen der Aaskrähen gekommen, als das Eis während der Eiszeiten vorrückte wie in Nordamerika, sodass sich keine eigenständigen Arten, sondern nur Unterarten ausbildeten. Weiter im Süden Asiens, in Indien und Südost- sowie in Ostasien, breitete sich jedoch eine eigene Art, die Haus- oder Dschungelkrähe Corvus macrorhynchus, überall dort aus, wo der Kolkrabe ganz oder weitestgehend fehlt. Von dieser Krähe wird noch Erstaunliches zu berichten sein.

Die Saatkrähe hingegen hat kein direktes Gegenstück in Nordamerika. Von Westeuropa aus reicht ihr Areal über Vorder- und Zentralasien bis ins Amur-Gebiet und in große Teile von Nord- und Zentralchina. Unter den Krähen bildet sie eine Besonderheit, weil sie regelmäßig mehr oder weniger weite Wanderungen von den nördlichen Brutgebieten in südlicher und südwestlicher (in Europa) gelegene Winterquartiere durchführt und dabei in großen Schwärmen unterwegs ist, die auf ihren Zugrouten traditionelle Übernachtungsplätze aufsuchen und auch im Winterquartier allabendlich Schlafplatzflüge durchführen. Gebietsweise schließen sich Dohlen an, die auch aus den nördlicheren, im Winter zu kalten und zu schneereichen Gebieten in mildere Regionen wandern.

Die meisten Krähen sind allerdings mehr oder weniger sogenannte Standvögel. Sie bleiben das ganze Jahr über in ihren Brutgebieten und verlassen oftmals ihr Revier gar nicht, es sei denn, ein ungewöhnlich harter Winter zwingt sie dazu. »Unsere« Krähen müssen wir daher im größeren Rahmen ihrer kontinentweiten Vorkommen und ihrer näheren Verwandtschaft betrachten, wenn wir ihre Lebensweise verstehen möchten.

Krähennahrung

Die nahe liegende Frage, warum nur die Krähen und nicht alle Rabenvögel ein schwarzes, höchstens ein teilweise graues Gefieder tragen, stellen wir noch etwas zurück, bevor wir uns einen Überblick über die weitere Verwandtschaft verschafft haben. Etwas anderes ist wichtig. Die »Krähen« ernähren sich sehr vielseitig. Aber das, was sie verzehren, ist ergiebig und qualitativ hochwertig. Nicht um einfache Pflanzenkost handelt es sich, wonach sie suchen, sondern um proteinhaltige und kohlenhydratreiche Nahrung. In ihrer Zusammensetzung entspricht sie weitgehend unserer eigenen Ernährung! Es gereicht ihnen zum Vorteil, dass sie auch noch Tierkadaver und verwesendes Fleisch, etwa von Müllhalden, unbeschadet verwerten können, von denen wir uns Vergiftungen mit Leichengiften zuziehen würden. Die früher nicht unübliche »Entsorgung« von menschlichen Leichen auf Schädelstätten und Tierkadavern, die in Burggräben geworfen wurden, zog diese schwarzen Vögel an wie bis in die Gegenwart die Abfälle unserer Überflussgesellschaft. So wurden sie zu »Totenvögeln«, und zwar noch mehr als manche Greifvögel, denen wir es nachsehen, dass sie sich von Kadavern ernähren, weil sie wie die Adler ja dem »Adel« der Vogelwelt angehören und deshalb »edler« als die Krähen und Raben sind.

Mit diesem Hinweis schränke ich jedoch schon wieder zu sehr auf die europäischen (und nordamerikanischen) Verhältnisse ein, wo Geier heutzutage oder auch in früheren Zeiten keine größere Rolle in der Beseitigung von Kadavern von Tieren und Menschen gespielt haben. In den Subtropen und Tropen ist das anders. Dort werden die Raben allenfalls lästig für die großen Abfallverwerter, die mit mehr als doppelt so großen Flügeln und kräftigen Geierschnäbeln die Raben und Krähen an den Rand drängen, bis sie selbst sich von den Kadavern einverleibt haben, was sie zu sich nehmen können. Die Reste bleiben dann für die Kolkraben und ihre tropischen Verwandten sowie für die kleinen Dschungelkrähen in Südasien und die Kapkrähen Corvus capensis oder die schwarzweißen Schildraben Corvus albus in Afrika südlich der Sahara. Vielseitigkeit bedeutet für die Krähen und Raben auch Auswahl. Sie sind wählerisch und nehmen nur, was ihren Qualitätsansprüchen genügt.

Im Idealfall ist das ein frisch totes Tier einer Körpergröße, die ihre eigene nicht sehr wesentlich übertrifft. Dann müssen sie nicht teilen oder darauf gefasst sein, dass größere, konkurrenzkräftigere Arten sie davon verdrängen. Ein hinreichend großer Kadaver lohnt dagegen wieder, weil sich so eine Masse von Proteinen, wie sie etwa ein dem nordischen Winter oder den Wölfen zum Opfer gefallener Elch beinhaltet, allein gar nicht verwerten lässt. Da haben Artgenossen auch viel davon, ohne zu konkurrieren. Mehrere Raben können sich durchaus erfolgreich Füchse vom Leib und vom Kadaver fernhalten. Auch mancher Steinadler zögert, ob er sich auf die Auseinandersetzung mit einer Gruppe von Raben einlassen soll oder doch lieber selbst einen Schneehasen jagt. Diese Zusammenhänge sowie Menge und Verfügbarkeit der Nahrung im Jahreslauf gewinnen gleichfalls an Bedeutung, wenn sie später vertieft behandelt werden. Hier soll festgehalten werden, dass die Bezeichnung »Allesfresser«, wie sie für Krähen und Raben oft verwendet wird, missverstanden werden kann. Denn auch die pflanzliche Nahrung, wie sie vor allem die Saatkrähe in erheblichem Anteil im Spektrum ihrer Ernährung nutzt, muss entsprechend reich an Proteinen sein. Das ist bei Saatgut oder frisch keimendem Getreide der Fall, nicht aber bei Gras von Wiesen und Fluren. Davon können weder Saatkrähen noch Dohlen geschweige denn die großen Raben leben. Sie entsprechen vielmehr auch hinsichtlich ihrer Pflanzenkost recht genau dem, was wir Menschen als vegetarische Kost oder Zukost verwerten.

Konkurrenz und Konkurrenzvermeidung

Wie es Raben und Krähen bei so ähnlicher Ernährung dennoch schaffen, neben- und miteinander auszukommen, gehört gleichsam zu den Lehrstücken der Ökologie. Sie sortieren sich vor allem der Größe nach, der Körpergröße nämlich, und dann gegebenenfalls in der Wahl des Lebensraumes (und der Art der Fortpflanzung), wenn es in der Körpergröße eine zu starke Überschneidung gibt. So kommen Kolkrabe, Rabenkrähe und Dohle deshalb ohne größere Konkurrenz miteinander zurecht, weil sie sich in der Körpergröße so stark voneinander unterscheiden. Der Kolkrabe wiegt, wie schon ausgeführt, gut das Doppelte verglichen mit der Raben- oder Nebelkrähe und diese sind mit ihrem um die 500 Gramm schwankenden Gewicht gleichfalls gut doppelt so schwer wie die Dohlen mit ihren 200 bis 250 Gramm.

Die »ökologische Größenregel« besagt, dass sich Vogel- und Säugetierarten, die im selben Lebensraum vorkommen und sich im Wesentlichen von der gleichen Nahrung ernähren, sich jeweils um gut das doppelte Gewicht unterscheiden sollten. Das ist die erfolgreich trennende ökologische Mindestdistanz. Fällt diese geringer aus oder kommt es zu starken Überschneidungen im Körpergewicht, sind die einander ähnlichen Arten in aller Regel auf andere Weise einander buchstäblich aus dem Weg gegangen, nämlich durch die Wahl anderer Hauptlebensräume.

Bei Aas- und Saatkrähe trifft dies zu. Während die weitgehend territorial in Einzelrevieren lebenden Aaskrähen Waldränder und kleinflächig offenes Gelände bewohnen, ist die offene Feldflur, ursprünglich die Steppe, der Hauptlebensraum der Saatkrähen. Da Bäume und Baumgruppen in der Natur- wie in der Kultursteppe rar (gewesen) sind und auch von den die Flüsse in der Steppe begleitenden Auenwälder aus weite Flüge ins offene Land hinaus vonnöten waren, gaben die Saatkrähen das territoriale Einzelbrüten auf. Sie schlossen sich zu Kolonien zusammen, die sie auch gemeinsam gegen Feinde, vor allem gegen Greifvögel, verteidigen. Die Nahrung suchen sie zusammen im lockeren Schwarm draußen in der offenen Landschaft, wo gleichfalls die Gruppe mehr Schutz für den einzelnen Vogel bietet, wenn ein Greifvogel einen Angriff fliegt.

Bei den Dohlen können wir den Übergang vom Einzelbrüten zum Koloniebrüten ganz unmittelbar noch mitverfolgen. In lichten Wäldern mit Naturhöhlen in den alten Bäumen brüten sie einzeln, in der weithin offenen Agrarlandschaft in Kolonien. Ein offenes Brüten wie die Saatkrähen können sich die kleinen, viel schwächeren Dohlen auch in der Kulturlandschaft nicht leisten, obwohl sie sogleich mit viel Geschrei selbst zum Angriff übergehen, wenn ein Mitglied ihres Schwarms etwa von einem Habicht gegriffen wird. Sie sind dem Schutz von Höhlen verbunden geblieben und in Türme von Kirchen oder Burgen ausgewichen. Wo sie konnten, haben sie sich auch selbst Löcher in weiches Material von hohen Steilwänden an Flussufern und ähnlichen Stellen gegraben.

Diese Hinweise auf Formen der Lebensweise und das Verhältnis zu Konkurrenten und Feinden sollen gleichfalls später bei entsprechenden Themen erweitert und vertieft werden. An dieser Stelle helfen sie, unsere Krähenvögel in den größeren Zusammenhang einzuordnen, der für die weitere Entwicklung des Themas benötigt wird.

Kurzcharakterisierung unserer Krähenvögel

Kurz zusammengefasst besagen diese Befunde: Unsere Krähen und Raben setzen sich aus mehreren verschiedenen Arten mit klar voneinander unterscheidbarem Lebensstil zusammen. »Die Krähe(n)« gibt es nicht. Wir müssen unterscheiden, worum es geht, wenn über die Krähen diskutiert werden soll. Die bei uns vorkommenden Vertreter der Gattung der Krähen/Raben (Corvus) repräsentieren einen Teil des globalen Artenspektrums dieser Vogelgruppe. Der Kolkrabe ist der größte Singvogel mit einem so riesigen Verbreitungsgebiet auf der ganzen Nordhemisphäre der Erde, dass daraus zwangsläufig höchst unterschiedliche Lebensanforderungen und Lebensweisen zu folgern sind. Raben- und Nebelkrähe bilden ein Zwillingspaar, das sich geografisch aus dem Weg geht, aber miteinander noch weiterhin fruchtbare Nachkommen zeugen kann. Saatkrähe und Dohle sind eigenständig in ihrer Lebensweise und im Gegensatz zu Kolkrabe, Raben- und Nebelkrähe ausschließlich oder in weitaus überwiegendem Maße Koloniebrüter. Beide Arten wandern aus den nördlicheren Verbreitungsgebieten im Herbst und Frühwinter südwärts in wärmere Gebiete. Sie sind demzufolge in Teilen ihres Gesamtvorkommens Zugvögel. Auch die Nebelkrähe kann in weniger deutlicher Weise südwestwärts ziehen, verlässt dabei aber merkwürdigerweise das Artareal kaum oder gar nicht und dringt damit auch nicht nennenswert in das mittel- und westeuropäische Areal der Rabenkrähe ein.

All diese Arten stellen, was den Gehalt an Proteinen und energiereichen Kohlenhydraten betrifft, (sehr) hohe, unserer menschlichen Ernährung vergleichbare Ansprüche an die Nahrung. Sie »Allesfresser« zu nennen, würde sie abqualifizieren und ihren Ernährungsansprüchen nicht gerecht werden. Dass sie sich damit aber gleichsam ihrer Natur nach für das Eindringen in die Menschenwelt qualifizierten, liegt nun auf der Hand. Denn diese neue Welt der Menschen enthält oder produziert großflächig genau das, was die Raben/Krähen benötigen. Dieses Neue zu nutzen, setzt allerdings auch eine entsprechende Intelligenz voraus, selbst wenn es nur um Abfälle aus dieser Menschenwelt geht.

Mit diesen Feststellungen sollte die Bühne bereitet sein für die nähere Behandlung von Aspekten aus dem Leben der Rabenvögel. Zuvor verdient auch ihre nähere Verwandtschaft, in die Betrachtungen mit einbezogen zu werden, auch wenn sie gemeinhin nicht als Angehörige der Krähenvögel angesehen werden. Sie gehören dennoch dazu – und was sie als Kontrastprogramm zeigen, verbessert den Zugang zu den Geheimnissen der »schwarzen Gesellen« aus der Vogelwelt.

Elstern, Häher und weitere Krähenvögel

Elstern gehören auch zu den Krähenvögeln, obwohl sie so markant schwarz-weiß gefiedert sind und einen auffällig langen, bezeichnenden Schwanz tragen. Die Häher hingegen entsprechen nun nicht mehr dem Schema »Krähe«. Ohne Kenntnis ihrer tatsächlichen verwandtschaftlichen Zusammenhänge würde man sie wohl eher noch den Singvögeln zugesellen als die Krähen im engeren Sinne. Irgendwie verbinden wir mit Singvogel Buntheit und Gesang, zumindest wohltönende Rufe.

Damit qualifizieren sich unsere beiden mitteleuropäischen Häherarten, der Eichel- Garrulus glandarius und der Tannenhäher Nucifraga caryocatactes allerdings ganz und gar nicht. Ihr Krächzen und Rätschen, von dem lautmalerisch vielleicht auch ihr deutscher Name stammt, zumindest aber dazu passt, lässt, wie bei den Krähen (»krächzen«) auch, so ziemlich alles Melodische vermissen. Gleiches gilt für die »tjschak«- oder »schräck-ek-ek«-Rufe der Elster. Nur wenn sie leise vor sich hin »quatschen«, mischen sich auch »bessere«, nicht mehr bloße Geräusche darstellende Töne ins Repertoire.

Was sie können könnten, deuten insbesondere die Eichelhäher an, wenn sie im Wald den miauenden Ruf des Mäusebussards so täuschend ähnlich nachmachen, dass die Vogelbeobachter unwillkürlich den Kopf hochreißen und den Blick nach oben richten, um den Rufer zu suchen. Die Stimme verrät uns also, wie bei den Raben und Krähen, zunächst nichts über ihre Zugehörigkeit zu den Singvögeln. Als Vogelkundler drängt sich sogar das Gefühl auf, diese Singvögel seien einfach zu groß geworden für gute Gesänge, denn all die wirklich tollen Sänger wie Nachtigallen und Grasmücken oder entsprechend großartige Sänger in der Vogelwelt anderer Kontinente sind viel kleiner.

Lassen wir also die Stimme beiseite und betrachten wir das Gefieder. Und da wird es schon bei der Elster metallisch schillernd auf den verlängerten Schwanzfedern und in markanter Weise »bunt« beim Eichelhäher. Die kleinen, höchst bezeichnend schwarz, blau und weiß quergezeichneten Deckfedern auf den »Schultern« des Eichelhähers sind sicherlich bekannter als der Vogel selbst. Wer sie im Wald findet, nimmt sie mit und nicht nur Jäger stecken sich so eine »Häherfeder« gern an den Hut. Wer weiß schon, was sie (am Vogel) bedeuten? Auffällig präsentiert werden sie beim Imponiergehabe. Mit Balz und Geschlechtsreife scheinen sie wenig oder nichts zu tun zu haben, weil schon die jungen Eichelhäher diese auffälligen Federn in nahezu der gleichen Ausprägung wie die Altvögel tragen. Dass sie rein zufällig so sind, wie sie sind, darf ausgeschlossen werden. Aber wozu sie wirklich dienen, entzieht sich noch weitgehend unserer Kenntnis. Ein häufiger und weitverbreiteter Vogel gibt uns in dieser Hinsicht ein geradezu ins Auge stechendes Rätsel auf. Vielleicht sehen wir bloß nicht, was die Häher selbst sehen, weil unser Sehvermögen nicht in den kurzwelligen Bereich des Ultraviolettlichtes reicht. Beim Schillern der Schwanzfedern der Elstern erfassen wir womöglich gerade einen Teil dessen, was für die Vögel selbst von Bedeutung ist. Denn Licht, das von feinsten Strukturen der Feder reflektiert wird, erfasst die Federqualitäten auch präziser. Wie bei der Frage, warum die Raben/Krähen schwarz sind, kommen wir vorerst nicht weiter. Wir stellen also auch das Schillern der Elsterfedern und das bayerische Weiß-Blau des Eichelhähers zurück für spätere Betrachtungen in passenderem Zusammenhang.

Meisterflieger im stürmischen Bergwind, die Alpendohle Pyrrhocorax graculus. Kennzeichnend ist ihr gelber Schnabel.

© Wolfgang Alexander Bajohr/www.natur-5seenland.de