Rack - Geheimprojekt 25: Episode 1 - Ann-Kathrin Karschnick - E-Book

Rack - Geheimprojekt 25: Episode 1 E-Book

Ann-Kathrin Karschnick

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Beschreibung

19. Jahrhundert. Victoria in Großbritannien. Als Rack ein Attentat auf Lady Cunningham verhindert, beauftragt sie den erfolglosen Detektiv, dieses Attentat aufzuklären. Rack gerät durch seine Ermittlungen in den dreckigen Sumpf der Korruption von Victorias Unterwelt. Immer wieder stolpert er dabei über den Namen "The Stick". Doch wer verbirgt sich dahinter? Ein ehemaliger General, ein Detektiv und sein Assistent, eine Diebin und eine Lady. In den phantastischen Episoden führt die mehrfach ausgezeichnete Autorin Ann-Kathrin Karschnick ihre Leser in die düstere Unterwelt der fiktiven Steampunk-Stadt Victoria.

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RACK

Folge 1

 

 

 

Ann-Kathrin Karschnick

 

 

 

 

Weitere Romane der Autorin:

 

Stollenbruch

Phoenix – Aschegeboren (Teslapunk-Dystopie-Krimi, Band 1)

Phoenix – Flammenmeer (Teslapunk-Dystopie-Krimi, Band 2)

Phoenix – Himmelsbrand (Teslapunk-Dystopie-Krimi, Band 3)

Feuerritter – Lauernde Mächte (High Fantasy)

Feuerritter – Kampf um Teinemaa (High Fantasy)

Ein alter Hut (phantastisches Jugendbuch)

Weltenamulett – Das Erbe der Trägerin (Urban/Portal Fantasy)

Weltenamulett – Geister der Vergangenheit (Urban/Portal Fantasy)

Weltenamulett – Gezeitenwinter (Urban/Portal Fantasy)

Splittermond – Jenseits der Seidenstraße (Rollenspielroman)

Assassin’s Wood – Bürokratie kann tödlich sein (FUNtasy)

Im Namen des Ordens – Staffel 1-5 (Paranormal Crime, Hörbuch)

 

 

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 - Rack

Kapitel 2 – Theo

Kapitel 3 – Rack

Kapitel 4 – Theo

Kapitel 5 – Rack

Kapitel 6 – Theo

Kapitel 7 – Rack

Kapitel 8 – Theo

Kapitel 9 – Rack

Kapitel 10 – Theo

Kapitel 11 – Rack

Kapitel 12 – Theo

Kapitel 13 – Rack

 

Rack – Folge 1

 

Kapitel 1 - Rack

 

Die Zahnräder des Chronographen an der Wand schepperten, so hart hatte ich die Tür zugeschlagen. Ich ballte die Fäuste, knirschte mit den Zähnen, wollte am liebsten die ganze Bude abreißen! Wenn ich sowieso rausgeschmissen werde, muss ich das Büro auch nicht mehr pflegen. Ich griff in meine Jackentasche, zog das winzige Etui hervor, in dem ich meine Arznei aufbewahrte und warf eine der winzigen, roten Kügelchen ein und schluckte sie trocken runter.

„Rack, was ist passiert?“, erklang die mir nur allzu bekannte Stimme des kleinen Giftzwergs, der aus dem Mandantenzimmer gestürmt kam. Seine braunschwarzen, krausen Haare wackelten noch, als er vor mir hielt. Die kleine Nervensäge hatte mir gerade noch gefehlt.

„Theo, geh wieder Akten sortieren. Ich komm schon klar!“

Ich wusste sofort an seinem missbilligenden Blick, dass er mir kein Wort glaubte. Seit ich den Jungen vor fast acht Jahren aufgenommen hatte, lernte Theo jede meiner Gefühlsregungen schon im Ansatz zu deuten. Er war der einzige, den ich nicht anlügen konnte, egal wie sehr ich es versuchte. Wahrscheinlich hätte ich weniger Zeit mit ihm verbringen sollen.

„Ernsthaft, Rack.“ Theo stemmte eine Hand in die Hüfte und kam auf mich zu. Er erinnerte mich an ein keifendes Weib aus einem dieser Schmierenkomödien in Josies Bar, direkt neben meinem Büro. „Du willst mir weißmachen, dass Mr. Fallens Besuch gerade eben und seine lautstarke Forderung nach der Miete nichts mit deinem derzeitigen Gemütszustand zu tun hat? Du scheinst zu glauben, dass ich meine Mutter mich mit Pombe gesäugt hat.“

Ich schnaubte und schob ihn beiseite, um zum schweren Eichentresen des Empfangsraums zu gehen. „Deine Mutter starb, als du noch nicht einmal Haare auf dem Kopf hattest. Geh wieder Akten sortieren. Ich komm schon klar.“

Natürlich kam ich nicht klar. Die Miete der letzten drei Monate fehlte. Sie war im Vergleich zu den anderen Wohnungen in Victoria zwar spottbillig, aber die Kundschaft schien etwas gegen mich zu haben. Denn dass es keine Verbrechen mehr gab, glaubte ich nicht im Ansatz. Ich griff hinter den Tresen, schnappte mir den Büroschlüssel und drehte mich wieder zur Tür. Theo stand mir im Weg, aber das war mir egal. Ich musste raus.

„Wie lange arbeiten wir beide schon zusammen?“

„Wir arbeiten nicht zusammen. Du arbeitest für mich. Und jetzt geh mir aus dem Weg, Theodore Williams, sonst ...“

Theo verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Sonst was?“ Der Junge besaß eindeutig zu viel Selbstbewusstsein für seine 16 Jahre.

„Sonst verkauf ich dich an einen der Sklavenhändler in Piratescave“, knurrte ich, obwohl ich genau wusste, dass ich das niemals tun würde.

„Nur weil ich schwarz bin, heißt das nicht, dass ich nen guten Sklaven abgebe. Ich wäre vermutlich der schlechteste Sklave aller Zeiten“, sagte Theo.

„Endlich einmal etwas, auf das wir uns einigen können“, brummte ich und schob den Jungen beiseite. Er war kräftig, aber nicht kräftig genug für mich. „Ich warte immer noch auf den Kaffee von vor zwei Stunden“

„Ach, das ist es. Dir fehlt dein Kaffee. Und ich dachte schon, du bist grundlos ein Arschloch. Entschuldige. Das hätte ich wissen müssen.“ Theo grinste unverschämt, wich meiner geballten Faust aus und sprang hinter den Tresen.

Mir doch egal. Solange er mir aus dem Weg ging, sollte er doch sagen, was er wollte.

Als ich dir Tür hinter mir schloss, wusste ich nicht, wohin ich gehen sollte. Für Josies Bar war es noch zu früh. Außerdem hatte ich kein Geld, um meine noch ausstehenden Drinks zu bezahlen.

Wenn ich nur rauskriegen könnte, warum keine Kundschaft mehr kam. Victoria war ein Moloch an Gesocks, Gesindel und Verrätern an jeder Straßenecke. Selbst in den Villenvierteln Boulevardrealm und Victorius gab es Verbrechen, die meiner Zunft Arbeit beschafften.

Ich mied die knarrenden Stufen, um Mr. Fallen nicht auf mich aufmerksam zu machen, und verschwand aus dem anderthalbstöckigen Stuckhaus. Der Anblick der breiten Straßen von Victoria lösten meine Anspannungen. Sie zeigten mir jedes Mal wieder, dass meine Probleme nur der Dreck unter meinen von den Straßen Victorias verschmutzten Schuhsohlen waren.

Velocars und dampfbetriebene Droschken fuhren vorbei. Menschen ignorierten die Obdachlosen, die sich aus Christopherusturn, dem dreckigsten und ärmsten Viertel mitten in Victoria, heraustrauten, um ihr Glück in den reicheren Vierteln zu suchen. Was sie dann allerdings in Saintgate suchten, erschloss sich mir nicht. Vielleicht erhofften sie sich Mitleid bei denen zu finden, die ähnlich schreckliche Schicksale hatten erleben müssen.

Ich lief an einem der Obdachlosen vorbei, nickte ihm wie jeden Morgen zu und ging zu einem der Obststände an der Ecke. Maria, die Verkäuferin mochte mich und schenkte mir neben einem aufreizenden Lächeln manchmal einen Apfel. Ausgerechnet an diesem Tag stand Maria nicht da.

Natürlich arbeitete sie heute nicht.

Ich ließ mich treiben, ließ meine Füße bestimmen, wohin sie mich führten. Minutenlang wanderte ich ziellos herum, dachte über Möglichkeiten nach, wie ich Werbung für meine Detektei machen konnte, verwarf die meisten Ideen jedoch wieder. Nichts davon würde den umgehenden, finanziellen Erfolg bringen, den ich benötigte.

Ich trat einen angebissenen Apfel beiseite, der auf dem Gehweg lag. Er kullerte auf die Straße und wurde von den Messingrädern eines Dampftransporters beiseite geschossen. Nur wenige Augenblicke später tauchte der Apfel unbeschadet wieder auf und kullerte an den Rand der Straße. Dort blieb er liegen und hielt mir vorwurfsvoll vor, wie man sich erfolgreich aus einem scheinbar aussichtslosen Schlamassel befreite.

Ich schnaubte und ging weiter. Die geistlosen, braunroten Fassaden der Hauptstraße von Saintgate begleiteten mich und meine unproduktive Ideenfindung.

Nichts. Sein Kopf war genauso leer wie die Versprechen der Gilden in Victoria. Weniger Arbeitslose, weniger Müll auf den Straßen, weniger Verbrechen. Dass ich nicht lache. Die Gilden sorgten für eine gewisse Grundsicherung, das musste ich zugeben. Aber mehr auch nicht.

„Rack!“, hörte ich hinter mir.

Ich ignorierte Theo und fragte mich, warum ich ihn bei mir aufgenommen hatte. Weil du es seinem Vater versprochen hast, ermahnte mich eine finstere Stimme in meinem Kopf.

Theo holte mich ein, aber ich rannte ja auch nicht weg. Tief in mir wusste ich, dass Theo inzwischen schneller war als ich, aber daran musste ich ihn nicht ausgerechnet jetzt auch noch erinnern.

„Was machst du denn hier?“, fragte sein Mündel und war nicht einmal außer Atem.

„Anscheinend nicht alleine herumwandern.“

„In deinem Zustand würde ich dich ungern alleine lassen. Denk daran, was das letzte Mal passiert ist.“

Rack verzog den Mund, wusste augenblicklich, was er meinte. Meine Ohren erinnerten sich an die Schreie einer Frau in einer Seitengasse. Für einen Moment stand ich wieder dort, roch die Exkremente, die kurz zuvor in die Rinne gekippt worden waren. Spürte den eisigen Wind in der zugigen Gasse, der sich doch nur wie ein Streicheln angefühlt hatte im Vergleich zu den Schmerzen in meinem Körper. Ich blinzelte die Erinnerung fort. „Das letzte Mal hatte ich keine Kontrolle. Diesmal bin ich einfach nur nachdenklich“, erklärte ich schon deutlich weniger wütend. Ich griff in meine Westentasche und zog den simplen Taschenchronographen hervor. Halb zehn vormittags. Immer noch zu früh für Whiskey.

„Du weißt nicht, ob es noch einmal passiert, und es ist gefährlich. Die Dampfgilde hätte sicher einiges Interesse daran, dich in die Finger zu bekommen. Oder, Gott bewahre, die Wintergilde.“

Theo hatte recht, wie schon ein paar Mal in letzter Zeit. Er entwickelt sich zu einem intelligenten jungen Mann, dachte ich, hütete mich aber, das vor ihm zuzugeben.

„Die wissen nicht, dass es mich gibt. Und ich gedenke, es dabei zu belassen. Schau dich um. Niemand interessiert sich für uns.“

Ich hob die Arme und deutete um mich. Die Straßen waren belebt, keine Frage. Viele Menschen waren unterwegs, um ihre Waren auszuliefern oder Einkäufe zu tätigen. Wir befanden uns an der Ecke zum Schoberweg, in dem einige wenige Lagerhäuser von Saintgate standen. Die meisten Waren, die in meinem Viertel angeboten wurden, dienten nicht der Lagerung, als vielmehr dem Amüsement. Ich blickte in die andere Richtung der zweispurigen Kreuzung. Zwei junge Damen standen in den Fenstern und lächelten den Männern zu, die sie entweder offen anlächelten oder sich verstohlen an die Hutkrempe fassten. So früh am Morgen hatten sie noch nicht viel zu tun. Aber heute Abend, wenn die Gehälter der Tagelöhner ausbezahlt wurden, würden die Mädchen hecheln und keuchen, um den Männern ihr Geld abzuknöpfen.

Direkt daneben gab es einen neumodischen Filmpalast, in dem bewegte Bilder von einem Optikographen abgespielt wurden. Ich schnaubte. Das Gebäude sah von außen mit seinen sauberen, tiefroten Holzlatten und den weißen Fensterrahmen noch recht ansehnlich aus, doch im Innern hausten die Ratten im Keller und knabberten alles an, was ihre Zähne erreichen konnten.

„Ich könnte vermutlich nackt über die Straße rennen und alles, was ich zu hören bekäme wäre der Applaus der Damen. Alle anderen würden mich ignorieren“, erklärte ich Theo und senkte meine Arme wieder.

„Schon gut“, erwiderte er und presste die Lippen aufeinander. Theo lebte seit inzwischen elf Jahren in Victoria und kannte die Stadt beinahe so gut wie ich. Als er vor elf Jahren aus Afrika nach Victoria gekommen war, wusste er nicht einmal, wie die Stadt hieß.

Ein blondes Mädchen, kurz davor eine Frau zu werden, fiel mir auf. Sie stand unbeteiligt an einer Gaslaterne und hatte die Arme verschränkt. Sie war hübsch, wenn auch zu jung und ein wenig zu dünn für mich. Verließen die Huren ihre Häuser inzwischen schon, um die Männer auf der Straße anzusprechen?

„Was hat denn Mr. Fallen gesagt?“, fragte Theo und unterbrach meine Beobachtung.

Früher oder später musste ich es ihm sowieso erzählen. Schließlich wohnte er ebenfalls in dem Büro und landete mit mir auf der Straße. „Wir haben noch eine Woche Zeit, um entweder die Miete der letzten drei Monate zu liefern oder das Büro zu räumen.“

„Eine Woche?“ Theo riss seine Augen weit auf und starrte mich an. „Wie sollen wir das denn schaffen?“

„Aye. Die Frage stelle ich mir auch schon, seit ich es weiß. Wenn du also irgendwelche Ideen hast, immer her damit.“

Die Straße hinunter wurde es lauter. Ein Mann schimpfte über einen kleinen Jungen, der immer wieder unauffällig zu dem blonden Mädchen schaute, das ihren Platz an der Laterne nicht verlassen hatte. Eine Dampfdroschke stand quer auf der Straße. Ich versuchte zu ergründen, was dort los war, während ich auf Theos Antwort wartete.

Der Junge, vielleicht sieben Jahre alt, stand noch immer auf der Straße und rührte sich nicht. Ob er sich verletzt hatte? Der Fahrer der Droschke hingegen schien putzmunter. Er schimpfte und redete auf den Burschen ein. Der verbrannte Gestank von den Gummibremsen der Droschke wehte zu mir herüber, als eine altmodische Kutsche mit Pferden an mir vorbeifuhr.

Wie jedes Mal schlussfolgerte mein Verstand, was wohl passiert sein könnte. Es war wie ein innerer Zwang, den ich nicht ausschalten konnte. Der Junge war also auf die Straße gegangen und hatte die Droschke übersehen. Der Fahrer war ausgewichen und stand nun quer mit seinem Gefährt auf der Straße. Einfach, dachte ich. Dazu hätte ich kein Detektiv sein müssen, um das herauszufinden.

Doch etwas störte mich. Ich schaute noch einmal genauer hin. Wieso rannte er nicht weg? Der Junge blieb wie angewurzelt stehen und hörte sich die Schimpftiraden des Fahrers an. Um die Gruppe sammelte sich eine Menschentraube, die neugierig gafften. Männer lehnten sich auf ihre Stöcke und tuschelten mit ihren Begleiterinnen.

Je mehr Menschen auftauchten, desto nervöser wurde der Junge und seine Blicke zu dem Mädchen wurden offensichtli…

Wo war das Mädchen hin? Ich suchte die Kreuzung nach ihr ab, ging einen Schritt nach vorne, falls sie in die gegenüberliegende Kanalstraße gelaufen war.

„Rack, was ist los?“

„Ich weiß noch nicht.“ Ein mieses Gefühl breitete sich in mir aus. „Etwas stimmt hier nicht.“

Da entdeckte ich die blonden Haare des Mädchens unter der Pferdekutsche. Sie hantierte geschickt mit einem rötlichen Messingkasten, aus dem einige Drähte herausschauten.

„Siehst du das Mädchen?“, fragte ich meinen Assistenten und deutete unter die Kutsche.

Ich nahm Theos Nicken im Augenwinkel wahr. „Was ist mit ihr?“

Mit wenigen Handgriffen saß der Kasten unter einer Querstrebe des Kutschenbodens und das Mädchen rollte wieder hervor, erhob sich, als ob nichts gewesen wäre. Sie schlug sich den Dreck der Straße von ihrer schwarzen Lederjacke und der dunklen Hose und marschierte davon, ohne sich noch einmal umzuschauen. Hätte ich ihre Bewegungen unter der Kutsche nicht gesehen, hätte ich sie vermutlich für eine unbedeutende Passantin gehalten.

Doch die Erkenntnis traf mich wie der Schlag. „Eine Bombe!“, murmelte ich und lief los. „Oi! Schnapp dir das blonde Mädchen!“, brüllte ich Theo über die Schulter zu und sprintete über die Straße auf die Kutsche zu. Sie hatte angehalten, weil sie durch die blockierte Straße nicht weiterfahren konnte.

Es war ein Ablenkungsmanöver. Verdammt, ich hätte es eher sehen müssen. Ich riss die Tür auf.

„Was …?“

„Raus hier!“

Bevor die Frau in der Kutsche noch etwas sagen konnte, riss ich an ihrem Handgelenk und zerrte sie mit aller Kraft nach draußen. Der Saum ihrer gefühlten zehn Lagen Stoff blieb an einem Zahnrad im Türmechanismus hängen. Ich zog umso fester an ihr. Etwas riss und ich verlor das Gleichgewicht, stürzte zu Boden.

Die Frau landete auf mir. Ein betörender Fliederduft umfing mich, benebelte für einen Moment meine Sinne. Lang genug, dass die Frau mit einem schwarzen, absolut nutzlosen, durchschimmernden Sonnenschirm auf mich einschlagen konnte.

„Oi! Aufhören!“, rief ich, hob die Arme zur Verteidigung vor meinen Kopf. Ich sprang auf die Beine, während sie noch mit ihren Röcken kämpfte. „Weg hier!“

Erneut packte ich ihr Handgelenk und zog sie auf die Füße. Sie stolperte hinter mir her, verlor ihren Hut.

„Hilfe!“, brüllte die Frau mit einer Inbrunst, die mich eher an einen Hafenarbeiter, als an eine Lady erinnerte. „Ich werde entführt!“

Ich knirschte mit den Zähnen, während ich die Frau gegen ihren Willen weiterzerrte. Die ersten Männer aus der Gruppe um den Unfall schauten zu uns. Ich wusste nicht, wie gewaltig die Bombe war, deswegen wollte ich so viel Platz wie möglich zwischen mich und die Explosion bringen.

Doch die Lady wehrte sich weiter dagegen, von mir in Sicherheit gebracht zu werden, schlug immer wieder mit dem Schirm auf mich ein. „Verdammt noch mal!“, rief ich und drehte mich zu ihr um. „Unter Ihrer Kutsche ist eine Bombe und ich versuche Sie zu retten!“

Ihre Schläge stoppten abrupt. Ich setzte erneut zum Sprint an, als ein unbändiger Knall meinen Körper in die Luft schleuderte und ich davongerissen wurde. Ich ließ ihre Hand los.

 

Kapitel 2 – Theo

 

„Schnapp dir das blonde Mädchen!“, hörte ich Rack rufen. Mädchen? Welches Mädchen? In dieser Straße gab es mehr Mädchen, als ich zählen konnte.

Dann sah ich, welche er meinte. Sie ging ein bisschen zu auffällig unauffällig an den verunsicherten Passanten vorbei. Ihr Gang war hölzern und gleichzeitig geschmeidig wie der eines Gepards.

Ich wusste nicht, warum oder weshalb, aber ich rannte los, um das Mädchen aufzuhalten. Wie gut, dass ich meine Laufschuhe nach dem morgendlichen Gang zur Post nicht gewechselt hatte.

Das Mädchen trug eine enganliegende Lederjacke, die ihre schmalen Kurven betonte. Genau mein Typ. Aber was wollte Rack mit ihr?

Innerhalb weniger Sekunden rannte ich an einer wartenden Kutsche vorbei und hielt auf die breite Kanalstraße zu. Ich versuchte so leise wie möglich zu laufen, aber kaum rannte ich in die Straße hinein, drehte sich der Blondschopf um und hatte mich damit bemerkt. In ihren Augen lag ein Ausdruck, der mir äußerst bekannt vorkam. Wenn sich Rack in einen Fall verbissen hatte, funkelten seine Augen ebenso glasig und gleichzeitig voller Feuer.

Verdammt. Ich war zu laut gewesen. Sie rannte los, stieß einen Mann mit einem breiten Korb voller Billigfüllfederhalter an. Die kleinen Schreibgeräte fielen zu Boden und übersäten den Gehweg mit den Uhrwerken aus dem aufgeplatzten Innern. Ich wich den Überresten und dem wütenden Mann aus, stolperte aber dennoch über einige von ihnen.

Das Mädchen war schnell. Sie bog in eine schmale Gasse ab, in der normalerweise nur Damen eintreten durften, die einem bestimmten Gewerbe nachgingen. Rack ließ mich normalerweise nicht einmal in die Nähe der Straße. Zumindest wenn er dabei war. Dass ich regelmäßig hier auf meinen morgendlichen Runden hindurch lief, hatte ich ihm verschwiegen. Ich vermutete jedoch, dass er es mir verzeihen würde, wenn ich ihm von meinem Besuch in der Straße der Damen berichtete. Solange ich die Blonde fangen konnte.

„Bleib stehen!“, rief ich ihr hinterher.

Das Mädchen reagierte nicht.

---ENDE DER LESEPROBE---