Radikale Nachfolge -  - E-Book

Radikale Nachfolge E-Book

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Beschreibung

Dietrich Bonhoeffer, die Vikare und jungen Pfarrer im Predigerseminar der Bekennenden Kirche in Finkenwalde lebten eine neue Form christlicher und theologischer Existenz. Zugleich war es die Zeit der staatlichen Verfolgung christlicher Kirchen durch das nationalsozialistische Regime Adolf Hitlers. Die täglichen Briefe Winfrid Krauses aus dem Predigerseminar Finkenwalde an seine Verlobte und spätere Frau Friedegard vermitteln einen lebendigen Eindruck von der christlichen Bruderschaft, die sich gegen eine totalitäre Staatsregierung zur Wehr setzte, Solidarität mit den verfolgten Brüdern zeigte und die "Nachfolge" Bonhoeffers ernst nahm. Sie sind ein authentisches Zeugnis des letzten Finkenwalder Seminarkurses.

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Seitenzahl: 267

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Dietfrid Krause-Vilmar (Hg.)

Radikale Nachfolge

Briefe des Vikars Winfrid Krause an seine VerlobteFriedegard Vilmar aus dem Predigerseminar derBekennenden Kirche in Finkenwalde 1937

unter Mitwirkung von Gernot Gerlach

VANDENHOECK & RUPRECHT

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2025 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe

(Koninklijke Brill BV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)

Koninklijke Brill BV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Brill Wageningen Academic, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Winfrid Krause (© Dietfrid Krause-Vilmar)

Umschlaggestaltung: Stephan von Borstel

Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

EPUB-Erstellung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-647-99279-2

Inhalt

Vorwort

Einführung

Die Briefe

Nachwort

Themen in den Briefen

Namensregister

Zur Edition

Literatur

Dank

Vorwort

Mein Vater Winfrid Krause war Theologe und Hilfsprediger der Bekennenden Kirche. Er starb am 7. August 1943 als junger Mann im Marburger Lazarett. Ab September 1939 war er Soldat gewesen, im Westen und im Osten. Ich bin am 14. Oktober 1939 in Marburg geboren. Meine beiden später geborenen Geschwister und ich hatten daher kaum Gelegenheit, ihn kennenzulernen, und meine schwache Erinnerung an ihn vermischt sich mit den erhaltenen Fotos und den Erzählungen meiner Mutter.

Als mir seine Briefe in die Hand fielen, die er als 26-jähriger Vikar im »illegalen« Predigerseminar in Finkenwalde bei Dietrich Bonhoeffer an seine Verlobte Friedegard Vilmar, seine spätere Frau und meine Mutter, täglich schrieb, öffnete sich mir erstmalig und in eindrücklicher Weise seine Persönlichkeit. Das Leben und Denken meines Vaters, der gemeinsam mit seinen »bekennenden« Brüdern auf Gehalt und feste Anstellung verzichtet hatte, weil er zu einem Kompromiss mit den nationalsozialistischen Machthabern nicht bereit gewesen war, findet in den Briefen vielfältigen und überzeugenden Ausdruck. Es war eine besondere Situation in seinem Leben, als er sich in Finkenwalde im Jahre 1937 sowohl im gemeinschaftlichen Versuch der Erneuerung der Kirche als auch mitten im Überlebenskampf der Bekennenden Kirche (BK) befand. Im Sommer hatte Dietrich Bonhoeffer seine grundlegende Schrift »Nachfolge«1 fertiggestellt. Im September setzte der SS-Führer Heinrich Himmler als Reichsinnenminister die polizeiliche Schließung des Predigerseminars durch. Der radikale Flügel der Bekennenden Kirche sah sich mächtigen Bedrohungen gegenüber: Zum einen und ersten dem NS-Staat, der mit dem neu geschaffenen Reichskirchenministerium institutionell die BK illegalisierte und unterdrückte, zum zweiten den Inhaftierungen zahlreicher Mutiger durch die Gestapo, und drittens den Sirenenklängen der »intakten« Konsistorien, die mit dem Brotkorb winkten. Die Briefe sind ein authentisches Zeugnis des letzten (fünften) Seminarkurses, bevor das Predigerseminar geschlossen werden musste. Ich sehe in ihnen ein Zeugnis der Bewährung, eine Haltung und Botschaft in die Zukunft, die Gültigkeit beanspruchen kann. »Keine Phase in Bonhoeffers Wirken scheint heute verschlossener, abweisender zu sein als die Finkenwalder Zeit. Sie mobilisiert in nicht wenigen Lesern Widerspruch. Der akademische, der ökumenische, der politische Bonhoeffer ist vielen, die sich seinem Werk zuwenden, wohl willkommener als der Bonhoeffer, der uns hier begegnet: der herausfordernd kirchliche, der radikal biblische, der folgerichtig fromme.«2

1Bonhoeffer: DBW 4

2Bonhoeffer: DBW 14, 989.

Einführung

Zur Bekennenden Kirche

Die Bekennende Kirche (BK) entstand als evangelische Bewegung gegen das Eindringen der Nationalsozialisten mit Hilfe der »Deutschen Christen« (DC) in ihre Landeskirchen. Mitglieder der DC besetzten Positionen in einzelnen Kirchenleitungen. Finkenwalde bei Stettin gehörte zur Kirche der altpreußischen Union. Seit dem 4. August 1933 war Ludwig Müller (NSDAP und DC) Landesbischof der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union. Die Landeskirche der altpreußischen Union war die größte der 21 Landeskirchen und umschloss die Kirchenprovinzen der neun politischen Provinzen des preußischen Staates: Brandenburg, Ostpreußen, Pommern, Posen, Rheinland (mit Hohenzollern), Sachsen, Schlesien, Westfalen und Westpreußen. Am 5. September 1933 beschloss die Altpreußische Generalsynode (die sogenannte »Braune Synode«) ein Kirchengesetz, wonach Geistlicher nur noch sein konnte, wer »rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat und die Deutsche Evangelische Kirche« eintrat und arischer »Abstammung« war.3

Am 27. September 1933 trat auf Reichsebene der »Deutschen Evangelischen Kirche« eine »Nationalsynode« in Wittenberg zusammen und wählte Ludwig Müller zum »Reichsbischof«.

Gegen diese politische Entwicklung stellten sich zahlreiche Pfarrer und Kirchengemeinden. Die Bekennende Kirche hatte in vielen Gemeinden eine ausgesprochen breite Basis. Im Mai 1934 kam es in Barmen zur Synode der Bekennenden Kirche, in der die Theologie der »Deutschen Christen« als Irrlehre gebrandmarkt wurde. Und im Oktober 1934 berief der Reichsbruderrat der Bekennenden Kirche (BK) – die sich von nun an in Bruderräten organisierte – eine Reichsbekenntnissynode nach Berlin-Dahlem ein. Sie beschloss unter anderem Folgendes:

»Die Männer, die sich der Kirchenleitung im Reich und in den Ländern bemächtigen, haben sich durch ihr Handeln von der christlichen Kirche geschieden. […] Wir fordern die christlichen Gemeinden, ihre Pfarrer und Ältesten auf, von der bisherigen Reichskirchenregierung und ihren Behörden keine Weisungen entgegenzunehmen und sich von der Zusammenarbeit mit denen zurückzuziehen, die diesem Kirchenregiment weiterhin gehorsam sein wollen.«4

Mit dieser Aufkündigung des Gehorsams war die Errichtung einer eigenen Kirchenleitung verbunden. Die logische Folge war auch die Einrichtung eigener Fakultäten beziehungsweise kirchlicher Hochschulen und einer Vikarsausbildung durch eigene Predigerseminare der Bekennenden Kirche.

»Gerade diese Seminare sollten schon nach kurzer Zeit eine ungeahnte Bedeutung bekommen. Sie konnten trotz mancher Schwierigkeiten relativ ungestört bis zum Sommer 1937 ein volles theologisches Programm leisten. Keine andere Institution der Bekennenden Kirche dürfte so tief in die Gestalt kirchlichen Lebens eingewirkt haben. Zwischen Kirchenleitung, Pfarrern, Kandidaten, Presbyterien und Gemeinden wuchs ein Vertrauen, das Kirche zu einer großen Bruderschaft werden ließ und das Leben in ihr zu einer dankbar erfahrenen Freude«.5

Eines dieser zahlreichen BK-Predigerseminare entstand unter der Leitung von Dietrich Bonhoeffer in Finkenwalde bei Stettin. Am fünften Kurs dieses Seminars vom 18. April bis 11. September 1937 nahm Winfrid Krause teil.6 Von Finkenwalde aus entstand der Briefwechsel mit Friedegard Vilmar, seiner Verlobten.

In den Briefen wird eine Sicht des täglichen Lebens im Predigerseminar aus der Wahrnehmung eines jungen Vikars in einer ganz besonderen Zeit deutlich. Es war eine Situation der täglichen Bedrohung durch den nationalsozialistischen Staat. Im Vordergrund stand die Ausbildung in Seminaren, Vorträgen und Übungen, eingerahmt von einer Tagesstruktur mit gemeinsamem Beten, Singen und Lesen der Bibel.7 Bonhoeffer war der theologisch geachtete und persönlich geschätzte »Chef«, der das Gespräch suchte, offenbar auch Einspruch und Widerspruch zuließ. Sehr grundsätzliche Fragen um Gegenwart und Zukunft christlicher Existenz, oft an exegetischen Kontroversen entstanden, waren präsent und wurden eingehend erörtert. Wie künftig angesichts der Hitler-Diktatur sich verhalten, zum Beispiel wenn einem der Staat »die Kinder wegnimmt«? Auch die Rolle der Frau in der Kirche wurde kontrovers und leidenschaftlich diskutiert. In Berlin war Regina Jonas in jenen Jahren als erste Rabbinerin berufen worden. Die Frage stand im Raum: Durften evangelische Frauen ein Pfarramt bekleiden, gar Bischöfin werden?

Winfrid Krause und Friedegard Vilmar (bis 1937)

Friedegard Vilmar ist als drittes Kind des Philologen Dr. Wilhelm Vilmar und Elisabeth geb. Riese am 21. Oktober 1912 in Frankfurt am Main geboren. Ihre beiden älteren Schwestern waren Hildegard und Irmingard, ihr jüngerer Bruder Eckbert.

Wilhelm Vilmar (1870–1942) entstammte einer kurhessischen Pfarrersfamilie; Elisabeth Riese (1884–1971) kam aus einer Frankfurter Kaufmannsfamilie.

Ostern 1919 wurde Friedegard, gemeinsam mit dem letzten privaten Vorschuljahrgang in Berlin, im Bismarckgymnasium eingeschult, es folgte die Studienanstalt, und 1927 wechselte sie an das von ihrem Vater geleitete Grunewaldgymnasium in Berlin, wo sie 1932 das Abitur ablegte. Vom Wintersemester 1932/33 bis zum Sommersemester 1937 studierte sie Theologie, Leibesübungen und Latein. Im Wintersemester 1935 studierte sie an der Universität Basel; sie hörte Vorlesungen von Karl Barth und Eberhard Thurneysen. Im Juli 1937 bestand sie ihr Erstes Staatsexamen in Marburg.

Im Anschluss daran unterzog sie sich mehre Monate lang einer »hauswirtschaftlichen Ausbildung« – mit Blick auf ihre künftige Tätigkeit als Pfarrfrau – im Hause des pommerschen Pastors Will Völger und seiner Frau Hilde Völger in Katzow/Pommern.

Winfrid Krause entstammte einer alten pommerschen Pastorenfamilie. Er ist am 5. Oktober 1910 in Ückermünde als erstes Kind des Pastors und späteren Superintendenten Bruno Krause (1880–1967) und seiner Ehefrau, der Norwegerin Sigrid geb. Solberg geboren. Bruno Krause amtete später in Spantekow, einem Dorf im Kreis Anklam. Winfrid folgten als Geschwister die Brüder Gerhard (1912–1982), Bruno (1913–1999) und Hartmut (1920–2013).

Seine überwiegende Schulzeit verbrachte er auf dem Pädagogium in Putbus, die letzten Jahre am Staatlichen Gymnasium in Demnin, wo er im Jahr 1931 das Abitur machte.

1931 bis 1935 studierte er Theologie in Bethel, Basel, Greifswald, Berlin und in Marburg.

Im Wintersemester 1934/35 begegneten sich Friedegard Vilmar und Winfrid Krause erstmals »bei den Studierenden der Bekennenden Kirche« in Marburg. Er war Studentensprecher der Marburger BK-Studierenden. Beide hörten hier Vorlesungen von Rudolf Bultmann, Hans von Soden und Erich Dinkler, die der Bekennenden Kirche nahestanden.

Am 4. Oktober 1935 legte Winfrid die Erste Theologische Prüfung vor dem Prüfungsamt der Bekenntnissynode der evangelischen Kirche in Pommern ab.

Von November 1935 bis Oktober 1937 war er Vikar, zunächst bei Pastor Werner de Boor in Stettin, einem jungen BK-Pfarrer, dann bei Dietrich Bonhoeffer im Predigerseminar in Finkenwalde.

Im Juni 1936 hatten Friedegard Vilmar und Winfrid Krause sich in Marburg verlobt (siehe Abbildung 1).

Abb. 1: Winfrid Krause und Friedegard Vilmar im Sommer 1938

Zu den Briefen8

Der Widerstand gegen die Repressionen des NS-Staates ergab sich zunächst aus einer zurückweisenden Verweigerung der – später sogar eidesstattlich – zu leistenden Treueverpflichtung gegenüber dem Hitler-Staat.

Winfrid wusste, dass das Mitglied in der NSDAP

»die staatliche Totalität nicht nur auf Leib und Leben, sondern auf Gewissen, Seele, Geist anerkennt. Und der Unterschied von 1933 und 37 ist der, dass wir eben wissen, wie der Staat diese Totalität verstanden sehen will.« (Brief 10)

Zum Berliner Pastor Martin Niemöller – er und Winfrid wollten, dass er das Vikariat ursprünglich bei ihm in Berlin-Dahlem machen solle; der pommersche Bruderrat entschied anders9 – bestand eine vertrauensvolle persönliche Beziehung.10

Winfrid erfuhr mehrfach in seinem Lebensumfeld die Praxis des nationalsozialistischen Staates, beispielsweise bei der Inhaftierung eines jungen Pastors:

»Ein junger Pastor in F. […] ist ausgewiesen und musste sein Haus im Laufe einer Nacht räumen, das heißt spät abends wurde es ihm mitgeteilt (darauf große Gemeinde Gebetsstunde in seinem Haus), morgens stand der Möbelwagen vor der Tür. Er: captum est. Auf die Bitte, noch einige Tage bei seiner Frau bleiben zu dürfen, die ihr erstes Kind erwartete, wurde ablehnend geantwortet. Es krampft sich bei solchen Berichten einiges in einem zusammen, und man muss sehr bedacht sein, nicht verbittert zu werden.« (Brief 32)

Und als der Vater von Fritz Onnasch – einem Mitglied des Finkenwalder Bruderhauses – sich in der pommerschen NS-Presse unter dem Titel »Evangelische Kirche im Bunde mit Moskau« vorgeführt sieht, weil die Familie des Verstorbenen, die als Mieter im Haus Onnaschs wohnte, ihn um seine Anwesenheit gebeten hatte. Der Vater war von der Gestapo auf dem Friedhof fotografiert worden. Winfrid:

»Und dagegen wird es keine Möglichkeit der Berichtigung geben. Wie soll das bestehen, was auf so viel Unwahrheit aufgebaut ist?« (Brief 30)

Winfrid erlebte auch eine öffentliche SA-Trauung, von der angekündigt wurde, dass man zeigen wolle, dass es auch ohne Pastor ginge.

»Im festlich geschmückten kommunalen Gemeindesaal saß unter Fahne, Hitlerbüste und Lorbeerbäumen das Paar, nachdem die standesamtliche Trauung gewesen war. BdM und HJ und Frauenschaft waren außer der SA offiziell abgeordnet, dazu ein Teil mittlerer SA-Führer. Ein Standartenführer hielt die Traurede. Sehr hilflos und inhaltlich hätten wir die Sache (von deren Standpunkt aus gesehen) noch besser und wesentlicher machen können. Im Gegensatz zu denen, die ›Dir, Dir, Jehova …‹ sängen und den Judengott anbeteten, hätte die SA den marxistischen Klassenhass niedergerungen. Ebenso würde der konfessionelle Klassenhass bezwungen werden. Wer das Braunhemd anzieht, ist nicht mehr Katholik, Protestant, deutschgläubig, sondern für Deutschland. Das ist unser religiöser Impuls. Kurzer Lebensabriss des Paares. War nicht viel mitzuteilen. Musik. Übergabe von ›Mein Kampf‹. Auf dem Buch nahm der Standartenführer den Ringwechsel vor sich. Nationalhymne und ›Gruß an den Führer‹. Manches recht ungeschickt, aber Ziel und Art ist ja klar: die neue Religion. Kaiserkult im Altertum. […] Die Getrauten können einem leidtun.« (Brief 94)

Kirche neu beleben

Es ging den Finkenwaldern um eine neue evangelische Kirche, eine von Grund auf in der Nachfolge Jesu begründete Glaubensgemeinschaft, die es zu entwickeln und einzurichten galt. Nicht restauratio, sondern reformatio stand auf der Tagesordnung.

»Die meisten Christen aber meinen noch: Es wären nur gewisse Mängel abzustellen, und die Kirche könne wieder friedlich und als angesehener Faktor im öffentlichen Leben existieren. Nein, der Schaden ist ein totaler, der offene und geheime Abfall.« (Brief 69)

Nicht nur in Finkenwalde, sondern auch in Berlin-Steglitz, Bloestau, Naumburg am Queis, Wuppertal-Elberfeld und in Bielefeld-Siecker waren Predigerseminare der BK begründet worden.

Auf eine Kirche zu warten, zu der das gesamte Volk ja sagen kann, war für Winfrid ein Hirngespinst. Denn dies könne nur eine Kirche sein,

»die ein verweltlichtes Evangelium anbiete, eine Kirche, in der grundsätzlich jeder seinen eigenen Weg gehen kann, eine Kirche, die nichts Entscheidungsvolles fordert, eine Kirche, in der die Welt und das Evangelium wie friedliche Brüder beisammen wohnen mit dem Erfolg, dass die Welt der ältere, mächtigere, tonbestimmende Bruder sein wird. Es wird also keine christliche Kirche sein.« (Brief 37)

Nach Winfrids Berichten erfreuten sich etwa die BK-Gottesdienste auch noch im Jahre 1937 in verschiedenen Gemeinden eines sehr guten Zuspruchs. Pfarrer [Hans] Christian Assmann musste den Sonntagsgottesdienst zweimal hintereinander halten, da die Kirche bereits vorzeitig gut gefüllt war (Brief 2). Auch die Demonstration für Martin Niemöller in Berlin-Dahlem am 8. August 1937 hatte eine breite Basis:

»Am Sonntag ist in Dahlem etwas passiert, wie es Berlin seit ’33 wohl nicht erlebt und es nur die kirchlichen Demonstrationen in Franken und Bayern ’34 zur Parallele hat. Der Bittgottesdienst für Niemöller am Sonntag war verboten. Die (gesamte?!) Dahlemer und Steglitzer Polizei hatte ab 16.00 Uhr (um 18.00 Uhr sollte der Gottesdienst sein) die Jesus Christus Kirche abgesperrt. Doch sammelte sich eine riesige Gemeinde, die Choräle sang; dann von der Polizei ›Weitergehen, weitergehen‹ in die Thielallee geschoben wurde. Immer wachsend. Schließlich teilte die Polizei die Menge. Dann ›Vater unser‹ und Glaubensbekenntnis der einzelnen großen Haufen und immer wieder Gesang. Plötzlich waren beide Haufen etwa am Dahlemer Gemeindehaus zusammen. Viel Gestapo, ein Polizeimajor leitete die Aktion. Die Polizei völlig nervös, hilflos, aufgeregt, die Menge sehr ruhig. Allmählich begannen die Verhaftungen […].« (Brief 83)

Nachfolge

Der erste Satz des Vorworts in der »Nachfolge«, die Dietrich Bonhoeffer während des 5. Seminarkurses abschloss und veröffentlichte, lautet:

»Es stellt sich in Zeiten der kirchlichen Erneuerung von selbst ein, dass uns die Heilige Schrift reicher wird. Hinter den notwendigen Tages- und Kampfparolen der kirchlichen Auseinandersetzung regt sich ein stärkeres Suchen und Fragen nach dem, um den es allein geht, nach Jesus.«11

Erster und letzter Bezugspunkt für Winfrid war die Heilige Schrift, von der er grundsätzlich und in allen wichtigen Fragen des Lebens ausging. Auch Friedegard und Winfrid lasen täglich bestimmte Kapitel und verständigten sich gelegentlich in den Briefen, wie weit er oder sie zum Beispiel in einem bestimmten Paulusbrief gerade gekommen waren.

Diese an der Bibel und damit an Gottes Wort gebundene Haltung kennzeichnete Winfrids Auffassung – bis hin zur Beratung Friedegards in ihrem Kindergottesdienst:

»Es ist natürlich schwer, den ›Mehrwert‹ eines geistlichen über einen heidnischen Wochenspruch klarzumachen. Man müsste vielleicht anführen, dass einmal Gott zu uns spricht und einmal der Mensch. Das ist der Unterschied. Darin liegt nicht der Mehrwert, sondern (bei äußerlich gleicher Form) der radikale Unterschied. Ich würde die Kinder fragen:

a)Empfindet ihr einen Unterschied? (Vielleicht sagt auch nur einer: Ja.)

b)Worin besteht der Unterschied?

Und dann gewissermaßen sie selber finden lassen. Ich würde mit ihnen sodann öfter und immer wieder darüber sprechen. Gott redet hier – der Mensch da. Was bedeutet das?« (Brief 19)

Insbesondere die in 1. Timotheus 1,18 ff. behandelte Frauenfrage war mehrfach Anlass für kontroverse und leidenschaftliche Gespräche im Seminar – und auch mit Friedegard. (vgl. Brief 13, 16, 19 und mehrere weitere Briefe).

Auf Martin Luthers und August Friedrich Christian Vilmars Bibelverständnis stützend diskutierten Friedegard und Winfrid auch eingehend über die theologische Rede vom Teufel (z. B. Brief 28 und Brief 32).

Unbedingtheit und Kompromisslosigkeit

Im Predigerseminar in Finkenwalde fanden sich Vertreter der Bekennenden Kirche ein, die zu keinem Kompromiss mit der weiter bestehenden Deutschen Evangelischen Kirche bereit waren. In einigen Landeskirchen hatten selbst einzelne BK-Mitglieder und BK-Gemeinden – zum großen Schmerz Bonhoeffers – ihren Frieden mit der etablierten Kirche gemacht. Während die Finkenwalder und andere BK-Seminare in der »Illegalität« eine neue Kirche einzurichten suchten, blickten sie enttäuscht und voller Unverständnis auf die »Intakten«, die den Weg der Bekennenden Kirche mitzugehen nicht bereit waren.12

Ein Kirchenwahlaufruf aus Kurhessen-Waldeck vom März/April 193713 wird von Winfrid scharf zurückgewiesen:

»Die Entwicklung wird auch über ihn (Hans Schimmelpfeng) und seine jetzigen intakten Pläne hinweggehen. Rein stilistisch finde ich die erste Seite viel zu langatmig. Die Gegenüberstellung ist gut (Seite 2 und 3). Der Gesamttenor aber: feige. Zwar Bibel und Bekenntnis, aber nicht den Mut von Bekennender Kirche zu reden, das ist ja nicht politisch genehm. Welchen Grund könnte es sonst geben, ihr Dasein zu verschweigen? […] Bei Schimmelpfeng ist der Kardinalfehler der Ansatz. Er setzt bei der Welt an und endet bei der Bibel. Umgekehrt müsste es sein. Na, gefällt mir nicht. Das Gesicht – um nicht zu sagen: Grimasse – konfessioneller Intaktheit sieht mich an, und ich kann es nicht gut besehen. Sich ›Der Wahldienst‹ unter so einem Flugblatt zu nennen, ist auch furchtbar geschmacklos und unkirchlich. Spricht er im Namen der Kirche, was muss er denn so eine neutral-imaginäre Größe darunter setzen wie: Wahldienst? Horror!« (Brief 25)

Und an anderer Stelle schrieb er:

»Aber an einem Punkte behafte [?] ich die Intakten immer, und solange das nicht anders ist, kann ich nur schwer sie als einen Mitträger des Ringens ansehen: dass sie in ihren Häusern und öffentlich im Gemeindegottesdienst für die bedrängten und verfolgten Brüder bitten und sich solidarisch mit ihnen erklären. (Es ist übrigens wieder eine riesenlange Liste!) Solange sie sich diesem simpelsten Gebot der Brüderlichkeit entziehen und damit die Verfolgten zu politisch Verfolgten machen, ist mir ihre Intaktheit eine unchristliche. Darum geht es nur: Sie sollen oder brauchen keine Bruderräte, wenn sie ordentliche Kirchenregimente haben, aber sie sollen sagen, ob ein Bunke oder Asmussen oder Mebus oder all die anderen (Karl Jenner Redeverbot) ihre Brüder sind, das sollen sie in ihren Hausandachten sagen und vor der Gemeinde. Sonst klingt [ihre] seichte Bekenntnisrede nicht überzeugend.« (Brief 28)

Bewusstsein von der eigenen Gefährdung

In den Briefen gibt es zahlreiche Äußerungen, aus denen die persönliche Bedrohung des radikalen Flügels der BK durch den nationalsozialistischen Staat hervorgeht. Vom »bellum ecclesiae« ist die Rede, und davon, dass erneut wieder einer der Brüder »captum est«. Ständig wurden Pastoren verhaftet, verhört und Tage oder Wochen in Haft gehalten. Am 1. September 1937 waren in Preußen 111 Pastoren inhaftiert (Brief 105). Von einem Pastor wird berichtet, dass er in das KZ Buchenwald bei Weimar gebracht wurde. Dass die Finkenwalder sich spätestens ab Frühjahr 1937 der politischen Gefährdung ihres Lebens und Wirkens bewusst waren, verdeutlicht nichts klarer als die Vergegenwärtigung eines historischen Zitats von August Friedrich Christian Vilmar aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Vilmar formulierte dies aus ganz anderem historischen Kontext; die Aktualität drängte sich den Finkenwaldern gleichwohl auf.

Erstmalig stieß ich in Winfrids Postkarte vom 20. Mai 1937 (Brief 31) auf diesen Text:

»Gestern hatte ich im Collegium Biblicum ›Neues Testament 1‹ eine herrliche Stelle gefunden. Schlag mal schnell auf: letzten Absatz zu Matthäus 5,43–48, Seite 110.«14

Die Aktualität dieses Vilmar-Wortes aus dem 19. Jahrhundert könnten die Finkenwalder im Jahre 1937 der übertragenen Aktualität wegen im dritten Satz besonders deutlich wahrgenommen haben:

»Es kommt die Zeit heran, in welcher Jeder, welcher den lebendigen Gott bekennt, um dieses Bekenntnisses willen nicht allein ein Gegenstand des Hasses und der Wut sein wird – denn so weit sind wir so ziemlich schon jetzt gekommen – , sondern wo man ihn bloß um dieses Bekenntnis willen aus der ›menschlichen Gesellschaft‹, wie man dies nennt, ausschließen, von Ort zu Ort jagen, wo man leiblich über ihn herfallen, ihn misshandeln und nach Umständen töten wird. Es nahet eine allgemeine Christenverfolgung, und das ist eigentlich der rechte Sinn aller Bewegungen und Kämpfe unserer Tage«.15

Winfrid und die Seminaristen hatten ihre Verlobten beziehungsweise Ehefrauen von dieser Gefährdung ausdrücklich in Kenntnis gesetzt. Es spricht eine Nachricht dafür, dass die Wahl der Partnerin auch diese beidseitige Gefährdung einschloss.

»[…] und jeder muss wissen, wie viel er seiner Frau zutrauen kann und wie viel nicht. Aber man kann an dieser Sache ja blitzartig sehen (die Verhaftung der Frau Pfarrer Asmussens), was es um Frau eines BK-Pfarrers in Zukunft sein wird, und wie sie wirklich neben und mit ihm ganz fest stehen muss, und vielleicht auch einmal stellvertretend für ihn ins Gefängnis gehen. Aber es ist eine schwere Sache darum. Und der Gedanke an eine solche Möglichkeit zeigt ja klar, ein wie unerhört großes Maß brüderlich-geistlicher Nähe zwischen Mann und Frau herrschen muss, solche Dinge zu ertragen und zwar freudig zu ertragen.« (Brief 57)

Kennzeichnend für Finkenwalde war der immer wieder auftauchende zentrale Begriff der Bruderschaft.

»Die Abendgebete von Bonhoeffer sind immer besonders ernst und fein. Immer die Fürbitte für die Brüder im Amt, ›die aus diesem Haus ausgegangen‹ [sind] – diese Bruderschaft, für die verfolgten und bedrängten Brüder. Es wäre schön, wenn Du dies einmal mitmachen könntest.« (Brief 9)

Und gleichzeitig gab es in Finkenwalde einen Alltag. Die Briefe zeugen von ihm. Wie lebten, was dachten, was beschäftigte die Vikare in ihren persönlichen Gesprächen miteinander? Viele von ihnen waren verlobt und planten die Hochzeit und eine gemeinsame Zukunft mit ihrer Frau. Friedegard zum Beispiel ging auf Anraten Winfrids nach ihrem Examen im Sommer 1937 für eine bestimmte Zeit in ein pommersches Pfarrhaus (in Katzow), um sich nicht zuletzt auch hauswirtschaftlich auf ihre Rolle als künftige Pfarrfrau vorzubereiten. Auch über eine besonders schöne Krawatte von Winfrid wurde gesprochen. Das Frühstück bei einer Exkursion wurde gelobt. Und der Badestrand an der Nordsee war nicht weit.

»Der Gedanke: In einem leeren Pfarrhauszimmer einen Tischtennistisch zu haben und zwischendurch einen kleinen Match zu machen, hat mich in der Tat sehr begeistert und ist kolossal.« (Brief 26)

3Bethge et al. (Hg.): Bonhoeffer, Bilder aus seinem Leben, 110.

4Bethge et al. (Hg.): Bonhoeffer, Bilder aus seinem Leben, 135.

5Bonhoeffer: DBW 14, 4. – Das Vorwort der Herausgeber Otto Dudzus und Jürgen Henkys gibt einen guten Überblick über das Predigerseminar in Finkenwalde: DBW 14, 1–32.

6Bonhoeffer: DBW 14, 980.

7Bonhoeffer: DBW 14, 16–22.

8Da es sich bei den Briefen um historische Dokumente handelt, können Rechtschreibung und Grammatik im Vergleich zu heutigen Schreibweisen abweichen.

9Friedegard Krause: Ein Blick zurück in den Spiegel meiner Erinnerung. Unveröffentl. Ms. Darmstadt 1990, S. 54: »Winfrid hatte inzwischen sein Erstes Examen gemacht, war nicht, wie es sein und [Martin] Niemöllers Wunsch war, zu ihm als Vikar gekommen. Der Bruderrat hielt es für tunlich, ihn nach Stolp zu einem sehr guten jungen Bekenntnispfarrer, [Werner] de Boor, zu schicken. Er saß also im spartanischen Pfarrhaus mit einer großen Familie und hatte sich auf seinen Beruf umzustellen, war ziemlich allein.«

10Im Mai 1943 erinnerte sich Winfrid Krause an den »Kreis der Menschen«, die ihn umgaben, darunter auch an Dietrich Bonhoeffer, Hans von Soden, Rudolf Bultmann und Edi [Eduard] Schweizer. »Meinem Leben die eigentliche Wendung hat aber in jener Zeit die Begegnung mit Martin Niemöller gegeben. […] Was bis dahin kein Professor auf der Universität und auch sonst kein Mensch fertiggebracht hatte, habe ich in der persönlichen Begegnung mit ihm erfahren: dass er mir einfach die Tore zur Kirche aufgestoßen hat, während ich bis dahin zu den vielen gehörte, die in unserer Zeit vor der Kirche stehen. […]. Es wird zu den glücklichsten Augenblicken meines Lebens gehören, als ich ihn später einmal nach Marburg holte und an seiner Seite durch den großen mit Studenten überfüllten Saal zum Rednerpult gehen konnte und in einer kurzen Ansprache ihn begrüßte« (Winfrid Krause, Nachgelassene Texte. Familienbesitz Krause-Vilmar, Kassel).

11Bonhoeffer: DBW 4, 21.

12»›Bewegung‹, ›Gruppe‹ oder ›Anliegen‹ waren die Titel, die man in Kreisen der Neutralen und der sogenannten ›Intakten‹ lutherischen Landeskirchen der BK gab, um damit dem Anspruch der Synoden von Barmen und Dahlem auszuweichen« (Bonhoeffer: DBW 14, 597 f.). Grundlegend hierzu der Aufsatz Bonhoeffers über »Fragen zur Kirchengemeinschaft« (Bonhoeffer: DBW 14, II/19., 655–680).

13Vgl. Kirche im Widerspruch, Bd. II, Teilbd. 2, 54–61.

14Müller (Hg.): Collegium Biblicum, 110.

15Es handelt sich hier um ein Zitat, das sich wortwörtlich nicht nur im »Collegium Biblicum« findet, wo es Winfrid Krause im Rahmen seiner Studien zu A. F. C. Vilmar gerade als »herrliche Stelle« entdeckte, sondern auch im 23. Rundbrief aus Finkenwalde, der am 26. August 1937 versandt wurde (Bonhoeffer: DBW 14, 396 f.).

Die Briefe

Auszüge aus den Briefen von Winfrid Krause an seine Verlobte Friedegard Vilmar (18. April – 8. September 1937), geschrieben während seiner Teilnahme am 5. Kurs in Finkenwalde, vorwiegend theologische, kirchenpolitische und das Finkenwalder Predigerseminar betreffende Fragen und Ereignisse wiedergebend.

1

18. April 1937 [Sonntag], z. Zt. Stettin, Braunsfelde16

In aller Ruhe kann ich Dir jetzt schreiben, Gerhard [Krause] ist fort mit seinen Jungens, während draußen am dunkelblauen Himmel der Donner rollt und gleichzeitig von der anderen Ecke des Himmels die Sonne hier auf das Blatt scheint, will ich Dir von gestern und heute erzählen.17 Gestern Vormittag [habe ich] gepackt und [am] Nachmittag [bin ich] abgefahren, beladen mit zwei schweren Koffern und dem alten blauen Trenchcoat über dem Arm.18

In Finkenwalde nahm ich von wegen der Koffer und der Entfernung bis zur Waldstraße (17–20 Minuten) eine Taxe. Das Zimmer, in das ich gekommen [bin], teile ich mit einem kleinen dicken Brandenburger, [Gerhard]19 Kuhrmann, der aber noch nicht da ist. Ich bin überhaupt der erste. Es liegt zu ebener Erde und hat ein großes, dreigeteiltes langes Fenster, ist mit gelblich brauner Leinenfarbe gestrichen. Zwei Betten, zwei Schränke (die wir uns je zur Hälfte teilen müssen), zwei Tische und ein Stuhl, zwei winzige Nachttischchen (!). Eine Art Sofa. Alles recht spartanisch, schadet auch nicht. Vielleicht machte auch das kahle Zimmer einen etwas drückenden Eindruck. Vorfand ich – stell Dir vor – neben einer Vormeldung, dass ich zum 20. 4. wahrscheinlich eingezogen würde, neben Drucksachen und einem Brief von Dr. Beer (der in der »D.Z.« über Volk-Staat-Kirche geschrieben [hat] und worauf ich doch geantwortet [habe]),20 Deinen Brief. Ich war glücklich.

Ehe ich auspacken konnte, stellte mich Fritz Onnasch gleich an, zu tippen. Schließlich kam ich zum Auspacken. Der zur Verfügung stehende Raum ist äußerst gering! Meine Bücher habe ich zum Teil gar nicht auspacken können, die anderen oben auf dem einen Schrank. Keine Bücherrücken. Man darf ja nicht vergessen, dass von dem Mobiliar ja quasi das meiste aus Stiftungen zusammengekommen [ist] und dass man kein Geld für Anschaffungen hatte. Es wird auch so gehen.

Mit meinem Amt ist nicht – wie ich zuerst meinte – die Telefonbedienung verbunden. Sondern nur das Klingeln zur Andacht, Arbeitsstunden und Essen und das abendliche Abschließen des Hauses. Das geht also. Bettenmachen und Wasserholen und Ausgießen, sowie Stiefelputz wird von dem Kandidaten selbst getätigt!

Auf dem Plan steht bereits, dass ich am 6. Mai – Himmelfahrt – predigen muss.

Was das Äußere anlangt, wird es etwas primitiver als bisher, aber dafür wird das Innere dann hoffentlich zunehmen. Jetzt sind nur die Leute aus dem Bruderhaus dort, wirkliche »Männergesellschaft«.

Heute Morgen [nach Stettin] hereingefahren. Um 10.30 Uhr hatte [Hans] Asmussen Gottesdienst. Von wegen der Züge war ich schon um 9.45 Uhr da und bekam einen guten Platz. Um 10 Uhr war das Hauptschiff besetzt. Drei Emporen hat die Kirche. Alles füllte sich, im Mittelgang standen die Leute vom Altar bis zur Tür. Auch in den anderen Kirchen war es überfüllt. Man hatte ca. 90.000 Handzettel in Stettin verteilt. Der Besuch war natürlich kolossal. Man merkte geradezu viele, die nie sonst zur Kirche kommen. Und dann hat Asmussen über 1. Korinther 15,20–28 gepredigt. Wenn eine Predigt einen so richtig getroffen hat, dann ist’s ja sehr schwer, was darüber zu sagen.

Er fing etwa damit an: Christus führt seine Gemeinde, die Kirche immer so, dass er scheinbar der Welt den Triumph über sie lässt. – Und diesen Gedanken führte er anhand des Textes durch. Er hat ja etwas wirklich Vorletztes in seiner Art zu reden und den Hörer wirklich unter das Kreuz zu schleifen, so dass man ihm nicht durch die Finger entwischen kann. Wie er immer wieder sagte: Ein einzelner mit Christus ist die Mehrzahl gegenüber der Masse und der vielen ohne Christus. Eine große ruhige Gewissheit klang in aller Not aus der Predigt. Und das andere: Nur durch Leiden werden die Christen vollkommen. Und dass uns sicher diese Leiden nicht erspart bleiben [werden], und dass die Frage nur ist: Wo stehen wir dann?

Es war sehr eindrücklich und eben ein biblisches Zeugnis für den heutigen Menschen. Kann man etwas Höheres und Besseres von einer Predigt sagen?

Danach fuhr ich zu Gerhard [Krause] hinaus. Wurde mit ihm kurz zu seinen Bekannten zu Mittag geladen. Begrüßte dann [Martin] Franke und [Edo] Osterloh und dessen Frau, (Osterloh [hat] heute vormittags in der [Heinrich] Rendtorffschen Kirche gepredigt) und schreibe jetzt, um nachher [Karl Ferdinand] Müller in der Lindenallee zu besuchen und heute Abend in eine Kirche mit Gerhard [Krause] zu gehen, wo [Hugo] Hahn-Dresden und [Hans] Asmussen sprechen.

Nun aber Deine Briefe. Vorher zweierlei: Das Lateinheft – hurra! – war in Finkenwalde; Du bekommst es mit dem Bultmann, Glaube und Verstehen, in [den] nächsten Tagen. Die NT Theologie [Bultmanns], ja, an die komme ich nun nicht heran. Tatsächlich dumm, dass wir das nicht vorher bedachten. Vielleicht kann ich es Mutter klar machen, wo es steht. Aber Verlass ist nicht darauf, obwohl es natürlich herrlich wäre, wenn Du daraus in etwa ersehen könntest, was Bultmann verlangt, zumal er da ja ausführlich übers AT geredet hat.

Ferner: Sprich, so voll Du kannst, gegen diese angebliche neue Leitung unter [August] Marahrens. Ganz böse Sache der Mitte. Der abwartende Instinkt der weiblichen »Helfer« gereicht ihnen nur zur Ehre. Osterloh, der ja [Hans] von Soden liebt und schätzt, schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als ich ihm erzählte, dass [Hans] von Soden für diese »Leitung« [sei]. Dieses Gremium hat die Landeskirchenführerkonferenz (also die Mitte, die Kriegsgewinnler des Kirchenkampfes) herausgestellt. Man hat vorher kein Wort mit der V. K. L. verhandelt. Die Folge ist, dass sich die V. K. L. – sprich BK – nicht daran beteiligt, sondern ein klares Wort dagegen gesagt [hat], warum dieser Weg unmöglich [ist]. Asmussen [hat] gesagt: Das ist keine vorläufige Leitung, sondern eine nachläufige! Ich verstehe [von] Soden wahrhaftig nicht. Das erste Wort, dass diese »nachläufige« hat bekannt geben wollen, ist beschlagnahmt. Das also zur Aufklärung.21

[…]

Mit der Auswahl im Kindergottesdienst sei nicht zu ängstlich. Ob eines berühmten Ausgelassenen (christologische Kämpfe der ersten Jahrhunderte) passiert Dir nichts, wenn Du die große Linie kennst. – Was heißt »in kirchlichen Kreisen besseres Weltkind?«22 Asmussen [hat] heute gesagt: Die letzte Frage ist nicht die, ob Du zur Bekennenden Kirche gehörst, sondern die, ob Du Christus gehörst oder nicht (1. Kor 15,23). Was wohl aus der Studentenevangelisation wird?

[…]

Mit dem Lesen des exegetischen Teiles der Morgenwache, also dem schwarz-weißen Buch, bin ich lässig.23 Ich gestehe es. Lasse mich aber von Dir zur Ordnung rufen. Danke. Will mich nun wieder bessern. Muss mal sehen, wie es jetzt im Seminar wird, wo wir ja morgens und abends zusammen lesen. Mit den Psalmen sind wir, glaube ich, verschieden weit. Ich bin am Montag bei 119,73–96. Du auch oder [bist du] schon weiter? Schreib’s, wie wir wieder zusammenkommen.

Friedegard hatte ihm am 16. April 1937 geschrieben:

Du, ich freue mich so für Dich, dass Du es so ruhig hast und zu so viel kommst. Briefe und Fotos. Wirklich. Deine Briefe sind auch so schön still.