Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Rainer Frieden ist mit seinem Leben sehr zufrieden. Er hat einen guten Job und lebt mit einer wundervollen Frau, die ein Familiengeheimnis verbirgt, in einer WG. Als er seinen Dienstort wechselt, gerät er in einen Strudel von Ereignissen, die sein gesamtes Weltbild zerstört. Gegen seinen Willen muss er die Frage beantworten: -Was weißt Du über Magie?- und stolpert auch noch in einen Konflikt zweier Wesen, die nicht von seiner Welt stammen. Plötzlich ist er der entscheidende Faktor in der Pattsituation dieser Wesen. Wie wird er sich entscheiden? Von unerwarteter Seite erhält er Hilfe, die mehr als einmal sein Leben rettet.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 600
Veröffentlichungsjahr: 2017
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Ich bedanke mich bei
Charlotte, Gesa und Christoph
für ihre Unterstützung.
Der Aufbruch
Machdat – einige Zeit vorher
Joshua, der ‚Tauscher‘
Bernie
Maksim
Der ‚Schnüffler‘
Die ‚Wissenden‘
Rainer Frieden
Das Erwachen
Schlotter
Nora
Im Wald
Die Krönung
Die Abschiebung
Silvia Anker
Prinz ‚Xavier‘
Bylle
Das Tagebuch
Das Amulett
Die Wahrheit
Der Pakt
Der Goldene
Freiheit
Leonora
Die Rückkehr
Die Vorbereitung
Prof. Melbar
Eine unerwartete Hilfe
Endlich
Epilog
Charlotte ging mit schnellen Schritten zum Badezimmer. Sie öffnete die Tür und sagte: „Rainer, es wird langsam Zeit. Du solltest Dich beeilen.“ Rainer drehte sich um und antwortete: „Bin fast fertig.“
Charlotte und Rainer lebten schon eine ganze Weile zusammen. Sie waren ein perfekt eingespieltes Team, seit sie vor langer Zeit beschlossen, gemeinsam eine Wohnung zu mieten.
Mehr oder weniger hatten sie sich durch Zufall kennengelernt. Rainer war zu der Zeit noch auf der Polizeischule und kam ohne eigenes Verschulden in eine scheinbar ausweglose Situation.
Wie zu dieser Zeit üblich, machte er einen Spaziergang. An diesem recht frischen Abend hatte er seinen sandfarbenen Trenchcoat an. Da die Gürtelschnalle schon länger entzwei war, hatte er den Gürtel einfach mit einem Knoten geschlossen.
Den Mantelkragen hochgeschlagen und tief in seinen Gedanken versunken, schlenderte er dahin. Bis er im letzten Augenblick bemerkte, dass unter seinem erhobenen Fuß Hundekot auf dem Gehsteig lag.
Nun, er wollte auf gar keinen Fall mit seinem Schuh darauf treten und warf sich deshalb mit Schwung zur Seite. Er hatte Glück, dass er nicht hinfiel.
Ein Drahtzaun hatte ihn aufgefangen. Eigentlich war er dagegen, dass Leute ihre Grundstücke mit so etwas eingrenzten. Aber in diesem Fall war er sehr erfreut und erleichtert darüber.
Nach einem kurzen Moment des Verschnaufens wollte er seinen Weg fortsetzen. Er wollte sich vom Zaun lösen und weitergehen. Doch etwas hinderte ihn daran. Er hatte nicht bemerkt, dass der Draht des Zaunes an einer Stelle entzwei war und der Bindegürtel seines Trenchcoats sich darin verfangen hatte.
Durch den Versuch weiterzugehen, zog sich dummerweise der Knoten des Gürtels fest zu und übte gegenwärtig einen unangenehmen Druck auf seinen Bauch aus. Das Vorhaben, diesen Knoten zu lösen, musste er nach mehreren Anläufen aufgeben. Der Knoten war jetzt einfach zu fest und der Gürtel zu eng um seinen Körper. Rainer beschloss schweren Herzens, den Gürtel zu zerschneiden.
Nach einiger Anstrengung erreichte er seine Hosentasche und griff nach seinem Taschenmesser. Jetzt wurde er bitter enttäuscht. Er hatte es in seinem Zimmer auf der Polizeischule liegen gelassen. Normalerweise hatte er es immer bei sich. Nur heute nicht. Er fluchte und versuchte, sich mit Gewalt vom Zaun zu lösen.
Er riss und zerrte in jeder Richtung. Doch jeder Versuch machte es noch schlimmer. Den Gürtel konnte er leider nicht zerreißen. Dafür war das Material einfach zu stabil. Rainer musste sich eingestehen, dass er für den Moment an dem Zaun gefesselt war und sich aus eigener Kraft nicht befreien konnte.
So hing er eine Weile fest und dachte darüber nach, wann ihm das letzte Mal so etwas Dummes passiert war. Weit musste er in seiner Erinnerung nicht zurück blättern, denn schnell wurde ihm der Morgen bewusst, wo er mit einer Schlaufe seines Morgenmantels an der Türklinke hängengeblieben war. Es ist aber auch zu blöd, dass die Schlaufen des Morgenmantels genau auf Höhe der Türklinke angebracht waren.
Schon damals fragte er sich: „Was war zuerst da? Die Türklinke oder die Schlaufen am Mantel? Ist ja eigentlich egal. Dass was als zweites entstanden war, sollte eine andere Höhe haben. Das wäre ein weiterer Schritt um Unfälle im Haushalt zu vermeiden.“
„Wie war ich da aus dieser fiesen Situation gekommen?“, überlegte Rainer, „Den Mantel hatte ich einfach ausgezogen! War nicht so einfach, aber es ging.“
Nur hier und jetzt konnte er den Mantel nicht ausziehen, er konnte weder in die Hocke noch in die Höhe. Rainer fing an sich zu bedauern, als er eine junge Frau bemerkte, die ganz langsam näherkam.
Als sie auf seiner Höhe war, sprach er sie an: „Entschuldigen Sie, aber können Sie mir vielleicht helfen?“ Die junge Frau, es war Charlotte, antwortete: „Ich gebe grundsätzlich nichts.“ Sie wollte weitergehen.
„Bitte“, sagte Rainer, „Ich hänge hier fest und komme alleine nicht frei.“ Charlotte hielt mit ihren Schritten inne und kam zurück. „Wie, Sie hängen hier fest?“, fragte sie nach. „Schauen Sie doch mal. Mein Gürtel hat sich in diesem blöden Zaun verfangen und ich komme einfach nicht frei.“
Charlotte schaute es sich näher an und fing an zu lachen: „Mann, Sie sind aber ein Unglücksrabe. Wie ist das denn passiert?“
„Das erkläre ich Ihnen später. Machen Sie mich bitte erst einmal los.“ Gemeinsam versuchten sie den Gürtel vom Zaun zu lösen.
Doch auch zu zweit ging es nicht. „Es wird mir nichts anderes übrigbleiben, als den Gürtel zu zerschneiden.“, sagte bald darauf Charlotte. „Dann tun Sie es, und bitte, machen sie es schnell.“ Charlotte öffnete ihre Handtasche und holte ein Nageletui daraus hervor.
In diesem Etui befand sich eine Nagelschere. Mit dieser Schere gelang es dann endlich, ihn zu befreien. Rainer, glücklich darüber, wieder frei zu sein, ging auf Charlotte zu und wollte sich mit einem Handschlag für ihre Hilfe bedanken. Dabei hatte er den Hundekot, der noch immer auf dem Gehsteig lag, vergessen und übersehen.
Im allerletzten Moment warf er sich mit Schwung über den Haufen hinweg, geradewegs auf Charlotte zu. Sie ging sofort in eine Abwehrstellung und stieß Rainer von sich. Dabei machte er einige Schritte nach hinten, auf den Kot zu.
Er trat mit ganzer Fußsohlenlänge darauf und kam ins Rutschen. Einen winzigen Augenblick später lag er in Charlottes Armen, die ihn aufgefangen hatte. Natürlich hatte sie sofort Rainers Misere erfasst und lachte lauthals los.
„Haben Sie immer solches Pech?“, fragte sie nach, als sie sich etwas beruhigt hatte. Rainer, immer noch von Charlottes Armen umschlossen, sagte: „Nein, wirklich, sowas ist mir noch nie passiert. Wie kann ich mich bei Ihnen für die wiederholte Rettung bedanken?
Zweimal haben Sie mir nun geholfen.“
Charlotte entließ Rainer aus ihren Armen und sagte: „Ist schon gut. Das habe ich gerne getan.“
Rainer wollte den Kot von seiner Schuhsohle entfernen. „Womit?“, überlegte er sich und sein Blick erfasste den zerschnittenen Gürtel, der noch immer am Zaun hing. Den holte er sich mit etwas Geduld und Geschick.
Dann setze er sich auf die Bordsteinkannte, zog den Schuh aus und reinigte die Sohle mit dem Gürtel. Nachdem das erledigt war, zog er den Schuh wieder an und stand auf. In seiner Hand hielt er den Gürtel mit Kot daran.
„Was mach ich damit?“, fragte sich Rainer. Er hasste die Menschen, die ihren Unrat auf der Straße entsorgten und wollte es auf keinen Fall nachmachen. Er war geneigt, diesen nun übelriechenden Gürtel in seine Manteltasche zu stecken.
Unfähig ihren Weg fortzusetzen, hatte Charlotte das Geschehen mit Staunen beobachtet und stoppte ihn. „Machen Sie das nicht!“, rief sie hastig. „Hier…“, sagte sie weiter und kramte eine Plastiktüte aus ihrer Handtasche, „...sowas sollte jeder, immer dabeihaben. Man weiß ja nie, für was das gut ist.“
Dankbar nahm Rainer die Tüte an und steckte den Gürtel da rein. Um den intensiven Gestank einzuschließen, machte er einen Knoten in die Tüte. Den nun sicher gutverpackten Gürtel steckte er in seine Manteltasche. „Darf ich sie zu einem Abendessen einladen?“, fragte er.
Charlotte betrachtete sich Rainer etwas genauer und stellte fest, dass er ein gewisses Etwas ausstrahlte. Es war etwas sehr Vertrautes. Etwas, was sie lange vermisste.
Sie dachte darüber nach und hatte das Gefühl es jeden Moment zu wissen. Aber dann gelang es ihr doch nicht. Auf jeden Fall gefiel ihr dieser Mann und deshalb sagte sie sofort zu.
Unterwegs zu einem Restaurant kamen sie an einer Restmülltonne vorbei. Rainer öffnete den Deckel und schmiss die Tüte mit dem darin eingeschlossenen Gürtel hinein. Sie hatten sich auf das Steakhaus geeinigt und verbrachten dort einen gemütlichen Abend.
So lernten sie sich kennen. Für Charlotte war es von der ersten Sekunde an klar, dass Rainer unbedingt einen Schutz brauchte. Bei seinem Pech würde er sonst das Leben nicht lange genießen können.
Nun war Rainer Frieden mittlerweile Kriminalkommissar und recht gut in seinem Beruf. In dieser Stadt war die Kriminalitätsrate ungewöhnlich hoch. Einige Kollegen hatten das schon am eigenen Leibe zu spüren bekommen. Charlotte bangte jeden Tag aufs Neue um Rainers Leben.
Eines Tages kam Rainers Vorgesetzter zu ihm und sagte: „In Machdat wird dringend ein neuer Kommissar benötigt. Wäre das nichts für Sie? Anders als hier können Sie dort Karriere machen. Na, überlegen Sie sich das und sagen Sie mir bis Ende der Woche Bescheid.“
Noch am selben Tag besprach er sich mit Charlotte. Nachdem sie sich mit Hilfe des Internets über die Stadt Machdat informiert hatten, überlegte Charlotte nicht lange und sagte: „Rainer, dieses Angebot solltest Du unbedingt annehmen.“ „Ich weiß nicht…“, begann Rainer.
Sie besprachen sich fast den ganzen Abend, es ging hin und her. Schließlich war Rainer bereit diese neue Stelle anzutreten.
Das ihn Charlotte nicht sofort in die neue Stadt begleiten wollte, gefiel ihm gar nicht. „Rainer, Du weißt doch, dass ich hier noch einiges zu erledigen habe. Wir haben uns schon mehrmals darüber unterhalten, dass es für mich wichtig ist, nach Boro zu fahren.“
„Was ist so wichtig? Du kannst doch etwas später dahinfahren, wenn wir uns in Machdat eingelebt haben.“, antwortete Rainer. „Auf dieser Insel muss ich mich unbedingt um eine Familienangelegenheit kümmern. Glaube mir, das ist ganz entscheidend für unsere Zukunft. Mehr kann ich Dir im Augenblick nicht sagen, aber ich komme so schnell wie möglich nach, versprochen.“, sagte sie. Dann drehte sie sich um und ging zu einem Schrank, machte die Tür auf, nahm ein Kästchen aus dem Fach und hielt es ihm hin.
Rainer nahm das Kästchen und öffnete es. Ein Kristall lag darin, in Samt eingebettet. Er schaute hoch und blickte Charlotte an: „Warum gibst Du mir das?“
„Rainer, ich gebe Dir diesen Kristall, weil Du der einzige bist, dem ich vertraue. Behüte ihn gut. Verliere ihn nie. Dieser Kristall ist das Wertvollste was ich besitze und es soll für Dich die Sicherheit sein, dass ich wirklich nachkomme.
Er soll Dich immer an mich erinnern. Du musst mir versprechen, ihn mit Deinem Leben zu verteidigen!“ „Ja, ja“, stotterte er. Weiter sagte sie: „Eines Tages jedoch, wird einer kommen der wiedergeboren ist. Er wird diesen Kristall von Dir fordern. Ihm musst Du den Kristall geben. Das ist ganz wichtig!“
Bis er erscheint oder wir uns wiedersehen, musst Du mir versprechen, sehr gut auf den Kristall aufzupassen.“
„Wer außer Dir, könnte den Kristall von mir haben wollen?“, fragte Rainer nach. „Zur gegebenen Zeit wirst du es erfahren. Für den Augenblick muss es genügen.“
Rainer machte das Kästchen zu und legte es in seinen Koffer. Das war gestern Abend im Wohnzimmer.
Heute war der Tag seiner Abreise. Er musste zum Bahnhof und in einen Zug steigen, der ihn nach Machdat bringen würde.
„So, Charlotte ich bin soweit. Wieviel Zeit habe ich noch? Kann ich noch etwas frühstücken?“, rief Rainer aus dem Bad. Charlotte antwortete: „Es ist noch genug Zeit.“
Wie immer hatte Charlotte alles bis ins Kleinste geplant und durchgeführt. So war der Küchentisch mit leckeren Sachen bestückt. Alles roch herrlich und erweckte schon alleine deshalb seinen Appetit.
Gemeinsam setzten sie sich an den Tisch. Während Rainer mit dem Frühstück begann, ging Charlotte noch einmal alles durch. Mit dem Frühstück fertig, wurde es Zeit sich zu verabschieden.
Rainer zog sich an und nahm den Koffer in die Hand. Damit ging er, begleitet von Charlotte, zur Wohnungstür. „Du bist sicher, dass Du mich nicht zum Bahnhof begleitest?“, fragte Rainer nach. Charlotte sagte: „Du weißt, wie ich Abschiede hasse.“
Schweren Herzens machte sich Rainer alleine auf den Weg. Am Bahnhof angekommen, vergewisserte er sich nochmal, zu welchem Bahnsteig er musste. Ein Blick auf seine Uhr zeigte ihm, dass er noch etwas Zeit hatte. Er überlegte, sich noch ein Getränk zu kaufen. In der Bahnhofshalle gab es mehrere Geschäfte. Blumenläden, Supermarkt, Ramschladen, Sparkasse, Juwelierladen, Getränkestand, Würstchenbude und mehr.
Als Rainer an dem Schmuckladen vorbeikam, hatte er spontan die Idee, sich für den Kristall eine Kette zu kaufen. In dem Laden fand er die richtige Kette mit ausreichender Länge. Er nahm das Kästchen aus seinem Koffer, entnahm den Kristall, fädelte die Kette durch die Ose und hängte sich beides um seinen Hals.
Der Verkäufer hatte Interesse an dem Kästchen und bat darum es sich näher anschauen zu dürfen. „Es ist ein ungewöhnlich schönes Stück. Verkaufen Sie es mir?“, fragte er nach. „Nein...“, sagte Rainer, „...ist nicht zu verkaufen.“ Damit nahm er das Kästchen wieder an sich und verstaute es in seinem Koffer.
Er verließ den Laden, ging er zum Getränkestand, kaufte sich dort ein warmes Getränk und ging mit dem Pappbecher in der einen und dem Koffer in der anderen Hand zum Gleis. Dort wartete er darauf, dass der Zug, der ihn nach Machdat bringen sollte, eintraf.
Rainer stellte den Koffer ab und trank aus dem Becher. Erneut fühlte er in seiner Innentasche nach dem Fahrschein. Er musste sich noch mal vergewissern, ob er ihn auch tatsächlich dabeihatte. Als er den geleerten Becher in einen Abfallkorb entsorgte, ließ er den Koffer für einen Augenblick aus den Augen.
Da bemerkte er, wie sich ein Mann nach dem Koffer beugte und zugreifen wollte. Rainer dachte: „Nicht mit mir!“ Er öffnete den Mund, um den Mann darauf aufmerksam zu machen, dass es sein Koffer war.
Doch dazu kam er nicht. Sein Fuß hatte sich am Abfallkorb verfangen und brachte ihn fast zu Fall. Um sein Gleichgewicht zu halten, wedelte er mit seinen Armen und haute ausversehen dem Fremden seine Hand in den Nacken.
Vor Schreck über diese schnelle Reaktion, ließ der Kerl den Koffer los, richtete sich auf und rannte davon. Rainer, der sich mittlerweile wieder gefangen hatte, schaute dem davoneilendem hinterher. „Wollte der etwa meine Koffer stehlen?“, fragte er sich.
Da fuhr der Zug ein und verdrängte weitere Überlegungen. Denn jetzt musste er sich konzentrieren und sein Abteil in dem Zug suchen. Dort angekommen, stellte er mir Freuden fest, dass er dieses Abteil erst einmal für sich alleine zu haben schien.
Als sich der Zug dann endlich in Bewegung setzte, schaute Rainer auf seine Armbanduhr. Er wollte erfahren, ob die Reise pünktlich begann. Nun würde es ein paar Stunden dauern, bis er in Machdat ankam.
Roswitha wurde von alleine wach. Sie hatte sich zwar wie üblich den Wecker gestellt, ihn aber noch nie benötigt. An diesem Morgen war sie innerlich im Zwiespalt. Am liebsten hätte sie weitergeschlafen. Ihr war aber bewusst, dass sie heute einen anstrengenden Tag vor sich hatte. Noch etwas schlaftrunken, quälte sie sich aus dem Bett.
Roswitha war ca. ein Meter achtzig groß. Auch wenn sie selber von sich meinte, dass ihr Bauch zu dick sei, hatte sie eine gut durchtrainierte Figur. Ihre langen Haare und Beine gaben ihr das Aussehen eines perfekten Models. Sie selber sah das natürlich anders. Jeden Tag konnte sie an ihrem Körper Stellen finden, die sie für zu fett hielt. Deshalb sah sie sich ungerne nackt und vermied jeden Blick in einem Spiegel.
Roswitha nahm ihren flauschigen Morgenmantel vom Stuhl und zog ihn an. Anschließend schlurfte sie durch den langen Flur in Richtung Küche.
Schon beim Betreten des Raumes konnte Sie, durch das vorhanglose Fenster, die grauen und tiefhängenden Wolken am Himmel erkennen. Regentropfen prasselten mit Wucht auf die Fensterbank. Die trommelnden Geräusche, die dabei entstanden, hatten ihre eigene Melodie: „Warum bin ich bei diesem Sauwetter nicht im Bett geblieben?“
Die Äste der wenigen Bäume auf den Gehsteigen flatterten wild hin und her. Gebeutelt durch einen starken Wind, der aus allen Richtungen zu kommen schien. Das Wetter zeigte sich nicht gerade von seiner schönsten Seite. Das fehlende Sonnenlicht und der Regen gaben dem ganzen Anblick ein schauriges Aussehen.
Schon bei der Vorstellung, sie würde bei diesem Wetter unterwegs sein, kletterte eine Kälte ihre nackten Beine hinauf. Unwillkürlich fing Roswitha an zu frieren und zog ihren Morgenmantel enger um sich zusammen. „So ein Mistwetter.“, dachte sie, schüttelte sich kurz und ging zum Kühlschrank. Sie öffnete die Tür und entnahm das bisschen Milch, das sie darin finden konnte. Viel mehr hatte dieser Kühlschrank nicht zu bieten und musste dringend gefüllt werden.
Sie nahm ein Glas aus ihrem Schrank und kippte die Milch hinein. In einer Dose im Regal befand sich noch ein Rest Müsli. Das konnte sie zu sich nehmen. Sie ergriff dafür eine kleine Schüssel, die auf der Küchenarbeitsplatte für solche Zwecke verfügbar stand. Nachdem sie alles zu sich genommen hatte, ging es ihr ein wenig besser.
Während sie sich mit ihrer morgendlichen Routine „zurecht“ machte, eine Halskette mit einem Amulett, dass schon ihre Großmutter getragen hatte, um den Hals legte, überlegte sie sich, den für heute geplanten Großeinkauf lieber auf morgen zu verschieben. Für heute wollte sie sich nur eine paar Kleinigkeiten besorgen.
Bei diesen Gedanken fühlte sich Roswitha stark genug, sich diesem Wetter zu stellen. Sie ging zum Flur und nahm ihren Mantel vom Hacken. Kurz entschlossen schlüpfte sie hinein. Mit ihrer Handtasche bewaffnet, machte sie sich auf den Weg.
Die Handtasche hatte sie bei einem Flohmarkt Besuch mit ihrer Freundin Bylle erstanden.
Die Tasche hatte allerlei Verzierungen, Glasperlen und einen Stern, auf der vorderen und hinteren Seite. Durch einen Zufall entdeckte Roswitha, als sie die Festigkeit der Verzierungen prüfte, dass sich hinter einem Stern, ein Geheimfach an der Rückseite der Tasche befand.
Sie schloss die Wohnungstür hinter sich zu und sauste durch das miese Wetter los, zum Laden an der Ecke, ein paar Straßen weiter. Roswitha besorgte sich das nötigste und war froh, als sie wieder in Ihren eigenen vier Wänden zurück war.
Plötzlich verspürte Roswitha ein Unbehagen um den Hals und dachte bei sich: „Das Amulett ist heute Morgen sehr unangenehm auf der Haut.“ Mit der Absicht die Kette später erneut anzulegen, legte sie sie ab. Um sie bei sich zu haben, verstaute sie die Kette mit dem Amulett in das Geheimfach ihrer Handtasche.
Sie beschloss noch ein wenig zu ruhen, da sie sich müde und ausgelaugt fühlte. Also begab sie sich zu ihrem Sofa und machte es sich bequem. Sie schloss ihre Augen und war Augenblicke später eingeschlafen.
Erschreckt riss sie ihren Oberkörper hoch, als sich das Telefon richtig aufdringlich bemerkbar machte. Hastig stand sie auf und eilte zum Telefon.
Ihre Freundin Bylle war am Apparat und begrüßte sie mit einem: „Hi Süße, guten Morgen! Na, hast Du gut geschlafen?“
„Wieso..., Bylle, sag mal, wie spät ist es?“. „Es ist noch früh am Tag. Warst du gestern beim Supermarkt?“
„Gestern? Da wollte ich heute hin, aber bei diesem Sauwetter habe ich eigentl...“, Roswitha unterbrach sich selber, denn ihr Blick hatte sich zum Fenster gerichtet und sie konnte einen Sonnentag erkennen.
Bylle lachte und sagte: „Süße, ich weiß was passiert ist! Du hast das Schmuddel Wetter einfach verpennt.“ „Hm, das könnte tatsächlich passiert sein. Ich bin auf meinem Sofa eingeschlafen und bin erst durch Deinen Anruf wach geworden.“
Erneut lachte Bylle. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, fragte sie: „Was machst Du heute?“. Roswitha ärgerte sich darüber einen Tag verschlafen zu haben. So was war ihr noch nie passiert. „Ich werde wohl nachher zum Supermarkt fahren müssen.“ „Kannst du mich ein Stück mitnehmen? Ich möchte meine Mutter besuchen.“ „Klar, mach ich. Ich finde Dich an der gleichen Stelle?“ „Ja, ...und lass mich nicht zu lange warten.“ „Ein wenig wird es noch dauern. Ich muss erst mal unter die Dusche.“, sagte Roswitha. „Das plane ich ein. Tschüss und bis gleich!“
Nachdem das Gespräch beendet war, sah sie in den Kühlschrank und der zeigte noch immer eine, für hungrige Menschen, undenkbare Leere. „Merkwürdig, Ich war doch extra zum Laden an der Ecke. Habe ich mir da nichts gekauft?“, fragte sich Roswitha.
Sie schüttelte den Kopf und öffnete die meisten Fenster zum morgendlichen Lüften. Ein leichter Wind brachte eine kühle unverbrauchte Luft herein. Sie setzte sich an einen Tisch und schrieb zum ersten Mal einen Einkaufszettel. Bei den letzten Einkäufen hatte sie festgestellt, dass sie immer Sachen eingekauft hatte, die nicht unbedingt nötig waren. Das wollte sie ändern.
Sie schaute sich um und überlegte wo sie dieses Papier vorübergehend ablegen konnte. Sie entschied sich für Ihre Kommode und legte den Zettel auf die freie Eckfläche. Damit das Blatt nicht vom Durchzugswind weggeweht wird, stellte sie eine Parfümflasche, die sie eigentlich zum Badezimmer bringen wollte, darauf.
Jetzt wurde es Zeit sich reisefertig zu machen. Ein paar schöne Sachen die sie anziehen konnte, waren schnell gefunden. Damit eilte sie zum Bad, legte die Kleidung sorgfältig über einen Stuhl und ging unter die Dusche. Nach dem duschen fühlte sie sich deutlich wohler.
Obwohl ihr der Bauch ein wenig dicker erschien als sonst. Und sie fand ihre Brüste immer noch ein bisschen zu groß. Mit einem Seufzer zog sie ihre Kleidung an, ging zu einem Spiegel und war einigermaßen zufrieden mit dem, was sie darin sah. Nur mit den Fältchen unter den Augen war sie gar nicht einverstanden. Für sie machte es den Eindruck, als hätte sie die ganze Nacht durchgezockt! Aber mit ein wenig Schminke konnte alles prima kaschiert werden. Dann war auch das geschafft.
Nun machte sie eine Runde durch ihre Wohnung und schloss die Fenster, mit der Absicht, sich nun auf den Weg zu machen, um den Einkauf zu erledigen. Roswitha hob die Parfümflasche an und nahm den Einkaufszettel von der Kommode. „Buh...“, dachte sie und wedelte mit ihrer Hand über das Blatt, „Das Papier hat wohl eine Winzigkeit des Parfüms abbekommen.“
Einen Moment lang überlegte sie, ob sie diesen Zettel überhaupt noch benutzen sollte. Schließlich steckte sie ihn ein, da sie keine Lust hatte, alles neu zu schreiben.
Jetzt wurde es Zeit sich auf den Weg zu machen. Sie überprüfte zum wiederholten Mal, ob die Kaffeemaschine ausgeschaltet war. Leider war nur Kaffee zum Frühstück dagewesen. Ansonsten hatte sie nichts.
„Warum eigentlich nicht, ich war doch gestern im Laden? Ach, egal.“, dachte Roswitha, „aber der Kaffee hatte wenigstens noch für eine Kanne voll gereicht.“
Schnell überprüfte sie, ob sie alles dabeihatte, Handtasche, Hausschlüssel etc. Danach verließ sie die Wohnung und zog die Tür hinter sich zu. Mit flotten Schritten ging sie die Treppen herunter und trat aus dem Haus. Sie nahm ihren Autoschlüssel in die Hand, eilte zu Ihrem Wagen und öffnete die Tür. Die Handtasche legte sie auf den Rücksitz und stieg ein. Mit einem geübten Handgriff zog sie die Wagentür zu, startete das Auto und fuhr los!
Auf dem Weg zum Supermarkt für Extra-Leckereien musste sie allerdings einen kleinen Umweg machen. Ihre Freundin Bylle hatte ja vorhin angerufen und gefragt, ob sie ein Stück mitfahren kann.
Bylle wollte zu Ihr Mutter. Die wohnt ganz in der Nähe des Supermarktes. Bylle ist von Beruf „Künstlerin“ und hatte sich ihre Fertigkeiten selbst erarbeitet.
Eigene Gemälde hatte sie schon in einer Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert. Es war ein großer Erfolg gewesen. Sie malte wann immer sie Lust dazu verspürte und auf Bestellung.
So bemalte sie als Beispiel, Garagentore mit Motiven aus Kinderbüchern. Hin und wieder übernahm sie Töpferarbeiten und schneiderte sich ihre Kleidung gelegentlich selbst. Bylle war handwerklich sehr geschickt und zeigte es an ihren Werken.
Sie war eine Winzigkeit kleiner als Roswitha und wurde deshalb oft von ihr gehänselt. Bylle hatte dunkelbraune halblange Haare, die ihr knapp bis zu den Schultern reichten. Um eine braune Hautfarbe zu bekommen, brauchte sie sich nicht stundenlang von der Sonne bescheinen zu lassen. Roswitha sagte einmal: „Bylle, du wirst ja schon braun, wenn du nur einmal durch den Garten rennst.“
Bylle fand, dass sie fast einen perfekten Körper hatte und hielt sich mit Joggen fit. Gerne betrachtete sie sich im Spiegel und hatte viele davon in ihrer Wohnung verteilt. Sie nahm das Leben wie es kam. Das einzige, was sie ein wenig belastete, war die Sorge um ihre Mutter. Ansonsten fühlte sie sich recht wohl und war immer in guter Stimmung.
Roswitha kennt keinen weiteren Menschen, der eine so tolle Handschrift besaß, wie Bylle. Jeder, der die Gelegenheit und das Glück hatte, einen Blick auf etwas Selbstgeschriebenes von Bylle zu erhaschen, war sogleich über die Ästhetik, die diese Runen ausstrahlten, entzückt.
Am Treffpunkt angekommen, fuhr Roswitha in eine Parklücke und stoppte den Wagen. Bylle kam heran und machte die Beifahrertür auf.
Sie steckte den Kopf ins Wageninnere und gab ein fröhliches: „Guten Morgen, Liebes“ von sich.
Sie stieg ein und zog die Autotür zu. »
Ein intensiver Geruch erreichte ihre Nase: „Sag mal, hast Du es heute Morgen nicht leicht mit Deinem Parfüm übertrieben?“
„Das liegt nicht an mir!“, antwortete Roswitha, „das liegt am Einkaufszettel! Der hat ein bisschen was vom Parfüm abbekommen und riecht stark danach“
„Na, so schlimm ist das jetzt auch nicht, warum schmeißt Du den Zettel dann nicht weg? Du hast doch noch nie einen Einkaufszettel nötig gehabt!“
„Weist Du, ich möchte mal probieren, ob ich mit dem Einkaufszettel disziplinierter einkaufen kann. Aber jetzt wo Du das ansprichst, möchte ich diesen Zettel doch gerne loswerden. Kannst Du nicht schnell den Einkaufszettel abschreiben und ihn dann dort vorne in die Mülltonne werfen?“, Roswitha hielt den Zettel hoch und zeigte aus dem Autofenster auf die Tonne.
Bylle nahm den Zettel an sich und sagte: „Klar, mach ich! Einen Stift habe ich ja immer dabei, aber Papier, hm, das habe ich nicht! Hast Du etwas, worauf ich schreiben kann?“
Roswitha überlegte und wollte schon sagen: „Hab auch nichts“, da viel ES ihr ein.
„Hatte ich nicht gestern Morgen in dem Laden an der Ecke, ein paar Straßen von ihrer Wohnung entfernt, ein wunderbaren Schreibblock gekauft?“
„Seltsam“, dachte Sie, „warum habe ich das nur vergessen? Was habe ich gestern überhaupt gemacht, nachdem ich aus dem Laden zurück war? Ich war müde und wollte mich noch ein bisschen hinlegen... und bin heute Morgen wachgeworden, weil das Telefon so penetrant laut geklingelt hat!“
„Ich habe meine Handtasche vom Sofa genommen und..., Moment mal, wieso war die Handtasche mit auf dem Sofa und wieso habe ich die Tasche den ganzen Morgen nicht mehr aus den Augen gelassen? Alles sehr sonderbar. Ha, ich hab’s, der Schreibblock aus dem Laden ist in meiner Handtasche!“
Nun erinnerte sie sich, wie sie bei dem gruseligen Wetter in den Laden an der Ecke ging. Ihr ist gleich der Tisch in der Nähe der Zeitschriften aufgefallen. Auf dem lagen mehrere Papierblöcke in verschiedenen Farben übereinander, die sie sofort in ihren Bann schlug.
Ein Schild war zu sehen, auf dem stand in Großbuchstaben geschrieben „SONDERANGEBOT - NUR FÜR KURZE ZEIT“
Roswitha konnte sich erinnern: „Davon musste ich unbedingt einen haben.“
„Äh“, dachte sie, „wieso kaufte kein anderer Kunde davon? Die Schreibblöcke rochen doch so angenehm, so dass alle Sinne nach dem Papier verlangten! He, da war doch jemand, der sich dafür interessierte! Ein junger Mann, mit einem knackigen Hintern..., Roswitha, jetzt konzentriere dich!!!
Der wollte auch etwas vom Tisch nehmen, er steuerte den Tisch in mehreren Versuchen an, aber irgendetwas hielt ihn davon ab, nach einem Block auf den Tisch zu greifen. Der Typ war in Begleitung, vielleicht eines Freundes.
Der schien ein Lexikon verschluckt zu haben, denn der redete pausenlos, nicht zu fassen!
Nach dem sie den gut duftenden Block bezahlt hatte und den Laden verlassen wollte, bekam sie noch mit, wie der Vielredner dem Verkäufer eine verbeulte leere Getränkedose zum Tausch gegen eine Tüte Kartoffelchips anbot.
Es war dem Verkäufer anzusehen, dass der sehr gierig auf diese blöde Dose war und sie unbedingt in seinen Besitz bringen wollte.
Na, Sie ging das ja alles nichts an. Sie würde jedenfalls für so eine Dose gar nichts geben. Aber, weiter! Was, habe ich denn noch gekauft?“ Verblüfft stellte sie fest: „Nichts! Uii, deshalb war auch nichts zum Frühstück da! Das alles war doch höchst merkwürdig!“
„Roswitha, HALLO, Roswitha, wo bist DU, Liebes?“, drängelte Bylle.
„Ist ja schon gut, bin ja da. Ich habe einen Block in der Handtasche!“, sagte Roswitha leise, noch ganz in Gedanken und dachte: „Warum habe ich das alles nur vergessen?“
Ohne Worte nahm Bylle, Roswithas Handtasche an sich und kramte darin. Als sie den Block zwischen ihren Fingern fühlte, nahm sie ihn heraus.
Dann griff sie nach ihrem eigenen Stift und schrieb den Einkaufzettel ab.
„He“, sagte sie anschließend, „das ist aber ein feines Papier, das wäre was für mich, kann ich den Block behalten?“
Roswitha merkte wie ihr Blut in Wallung geriet und wollte den Block wütend an sich reißen. „Der gehört mir“, dachte sie. Mit ein wenig Willenskraft gelang es ihr, sich von dieser Stimmung zu lösen und meinte: „Klar doch, bin froh den Block wieder loszuwerden!“
Denn der war Ihr nicht länger geheuer, damit stimmte irgendetwas nicht.
Nachdem Bylle den Einkaufzettel kopiert hatte, riss sie die beschriebene Seite von dem Block ab und steckte schnell den Rest in ihre eigene Tasche. „Nicht, dass Roswitha sich das noch anders überlegt“, dachte sie bei sich. Bylle gab Roswitha den neuen Einkaufszettel und stieg aus dem Wagen. Dann entsorgte sie den alten Zettel. Zurück, startete Roswitha das Auto, achtete auf den Verkehr und fuhr los.
Kurz vor dem Supermarkt für Extra-Leckereien hielt sie an. Bylle verabschiede sich, verließ das Gefährt und ging eiligen Schrittes davon, nicht ohne sich noch einmal umzudrehen und zu winken.
„Und jetzt, ab zum Supermarkt“, dachte sich Roswitha und fuhr los. Sie wollte jetzt unbedingt den Einkauf hinter sich bringen. Um nichts auf der Welt wollte sie sich je von dem Einkaufszettel, mit der perfekten Schrift von Bylle trennen!
Das Blatt war alles, was ihr vom Schreibblock, geblieben war.
„Hätte ich den Block doch nur behalten“, dachte sie wehmütig, „aber, ist doch komisch..., seit ich diesen Block weggegeben habe, bin ich nicht mehr so benommen“.
Bald darauf fuhr sie auf den riesigen Parkplatz beim Supermarkt für Extra-Leckereien und parkte den Wagen ein.
***
In einem Kellergewölbe, vor dem selbst streunende Hunde und Katzen zurückschrecken würden, hätten sie einen Zugang gefunden, standen zwei Männer und warteten. Sie zuckten sichtlich zusammen als eine Stimme in ihren Köpfen eindrang: „Sie hat es jetzt lange genug und die Spur führt direkt zu ihr. Bringt mir das Amulett!“ Die beiden antworteten: „Wir holen es!“ Zügig machten sie sich auf den Weg und verließen diesen Ort. Als die Männer nicht mehr zu sehen waren, schälte sich im Kellergewölbe aus dem Halbdunkel eine vermummte Gestalt. Sie wartete schon sehr lange an dieser Stelle und wusste, -nun beginnt es!
So genau in der Hälfte der Strecke zwischen Roswithas Wohnung und dem Supermarkt für extra Leckereien, wohnte Joshua. Der hatte dort ein Zimmer bei einem älteren Ehepaar und war recht glücklich damit.
Joshua hatte kurzes blondes Harre, bei denen der Eindruck entstand, dass sich jedes einzelne Haar in eine andere Richtung auf der Kopfhaut verteilte.
Seine Sommersprossen gaben Ihm das Gesicht eines sympathischen Lausbuben. Seine Hose war Ihm viel zu groß und hielt nur, weil Joshua sie mit einer Kordel um die Hüften festhielt.
In jungen Jahren verlor er seine ganze Familie und alle Verwandten bei einem Zugunglück. Die Eltern, Großeltern, Tanten und Onkel wollten einmal gemeinsam einen Urlaub, in einem weit entfernten Land machen.
Er überlebte nur, weil er an Masern erkrankte. Seine Mutter hatte ihn schweren Herzens bei einer Nachbarin, deren 2 Söhne die gleiche Krankheit aufwiesen, in Pflege gegeben.
Er wuchs bei diesen Nachbarn auf, die ihre Söhne eindeutig bevorzugten. Mit zwölf Jahren kam sich Joshua schon ziemlich erwachsen vor und hielt es nicht länger aus. Da er sich sehr unglücklich fühlte, beschloss er diese Familie zu verlassen. Als die Gelegenheit günstig war, kletterte er aus dem Klofenster und rannte davon.
Von dem Tag an lebte er auf der Straße, wo er schnell lernte, dass Menschen, wenn er nur verständlich mit Ihnen redete, zu jedem Tausch bereit waren. So kam er ohne Geld aus.
Sollte er versehentlich doch einmal Geld in Händen halten, etwa, weil er es gefunden hatte und er grundsätzlich alles was er fand, mitnahm, tauschte er es sofort gegen etwas Nützlicheres ein.
Das brachte ihm den Spitznamen ‚Tauscher‘ ein. Bald war sein wirklicher Name bei vielen vergessen und sie kannten ihn nur noch unter seinem Spitznamen.
Joshua, der ‚Tauscher‘ konnte morgens mit einer Briefmarke losgeschickt werden, mit dem Auftrag bis abends ein kaltes Büffet, für eine Party zu besorgen.
Joshua zog dann los und tauschte, tauschte und tauschte und war dann eine halbe Stunde vor der ausgemachten Zeit mit dem Gewünschten wieder da.
Und keiner, wirklich keiner, mit dem er getauscht hatte, fühlte sich betrogen oder über den „Tisch gezogen“. Im Gegenteil alle waren glücklich und zufrieden, endlich das zu besitzen, was sie schon immer besitzen wollten.
‚Tauscher‘ konnte echt für ein Leben lang überzeugend sein. Er konnte jedem vermitteln, dass diese Dinge unbedingt nötig sind. Und keiner konnte sich der neu gewonnenen Überzeugung entziehen!
Eines Tages traf er bei einer Tauschaktion seinen Vermieter und konnte ein Zimmer eintauschen. Seitdem wohnte Joshua dort. Immer wenn die Miete fällig wurde, hatte Joshua etwas, das sein Vermieter lieber haben wollte, als die Miete.
An diesem Morgen, an dem Roswitha sich anschickte zum Supermarkt für extra Leckereien zu fahren, stellte Joshua fest, dass er etwas zum Essen brauchte und bei der Gelegenheit noch andere nützliche Dinge eintauschen könnte.
Und das geht auf dem Parkplatz vom Supermarkt für extra Leckereien recht gut.
Er nahm ein Haargummi, dass er zufällig gefunden hatte, das aber sehr sauber und ordentlich aussah und nicht ausgeleiert zu sein schien, zwei Eintrittskarten vom Zoo, die hatte er bei seiner letzten Tauschaktion erworben und einen Bleistift. Diese Dinge verstaute er sorgfältig in seinen Taschen.
Er nahm sein Handy vom Tisch, griff nach seiner Jacke und verließ das Haus. Nach einem längeren Fußweg erreichte er den Supermarkt. Er ging gerne über die Gehwege der Stadt, da er sehr oft nützliche Dinge fand, die jemand verloren oder weggeschmissen hatte.
Am Markt angekommen, ging er gleich über den Parkplatz Richtung Supermarktgebäude, stellte sich hin und lies seinen Blick in die Runde wandern.
Eine ganze Weile später, sah er einer älteren Frau zu, die ihren Einkauf hinter sich hatte und die sich offensichtlich über Ihre Haare ärgerte. Er konnte es ihrem Gesichtsausdruck ansehen, wenn sie mit den Fingern ihrer rechten Hand die Haare aus dem Mund zog und der Wind sie aber immer wieder aufs Neue dahin wehten.
Er ging zu ihr und meinte: „Entschuldigung, dass ich Sie so einfach anspreche. Aber ich habe durch Zufall sehen können, dass ihnen Ihre wunderschönen Haare Probleme zu bereiten scheinen.“
„Was gehen Sie meine Haare an und ob mich da was stört?“, antwortete die Frau.
„Nun, ich habe mitbekommen, dass einige Strähnen ihres dichten Haares immer den Weg zu ihren Mundwinkeln finden und dort verweilen. Ich habe darüber nachgedacht und bin zu der Erkenntnis gelangt,hätte ich dieses Problem, wäre mir das sehr unangenehm. Und da fiel mir ein, dass ich Ihnen vielleicht helfen könnte. Deshalb habe ich es gewagt Sie überhaupt anzusprechen, und ich bitte vielmals dafür um Entschuldigung. Ich werde dann mal wieder gehen und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag“, sagte Joshua.
„Halt, so bleiben sie doch stehen“, sagte die Frau hastig, „wie wollen Sie mir denn helfen können?“
Joshua der sich gerade umdrehen wollte, stoppte die Drehung und erwiderte: „Zufällig habe ich ein Haargummi, das ich mit meinen kurzen Haaren nicht wirklich gebrauchen kann, das könnte ich Ihnen geben. Damit könnten sie Ihre Haare zusammenbinden, was, wenn ich es mir erlauben darf, Ihr makelloses Gesicht auch besser aussehen lässt“
Die Frau schaute ihn misstrauisch an und fragte: „Was wollen Sie dafür haben?“
„Ich sehe zwei Paar braune Schnürsenkel in Ihren Einkaufswagen und wenn ich ein Schnürsenkel haben könnte, gebe ich Ihnen dafür das Haargummi. Damit würden sie mir auch helfen.“
„Nun, denn“, dachte die Frau, „der Tausch geht in Ordnung und wenn ich Ihm auch noch helfen kann? Ein Haargummi käme mir sehr gelegen.“
Laut sagte sie dann schließlich: „Gut, Sie können einen Schnürsenkel haben“, sie griff in den Wagen, trennte das Paar Senkel auseinander, nahm einen davon in die Hand und hielt den Joshua entgegen.
Joshua nahm den Schnürsenkel dankbar an und gab der Frau das Haargummi.
Die Frau dachte, dass heute ihr Glückstag sei und dass das Haargummi gerade zur rechten Zeit auftauchte. Sonst hätte sie sich ihr schönes langes Haar, da hatte der nette junge Mann recht, womöglich abschneiden lassen. Dankbar über das Gummi verabschiedete sich die Frau und zog mit einem zufriedenen Gesicht davon.
Mit dem Schnürsenkel bewaffnet ging Joshua zum Café, gleich links neben dem Eingang zum Supermarkt. Dort angekommen, ging er zu einem Mann, der an einem Tisch saß und sprach ihn an: „Guten Morgen, ich habe zufällig mitbekommen, wie Ihr Schnürsenkel gerissen ist, als Sie den Schuh versuchten fester zu binden. Eventuell kann ich ihnen helfen“.
Der Mann schaute auf, sprach mit langsamer Geschwindigkeit, mit einer rauchigen, und etwas trauriger Stimme: „Morgen, das ist sehr nett, aber wie willst Du mir helfen?“
„Ich habe einen Schnürsenkel, der genau zu Ihrem braunen Schuh passt und der so wie der noch heile Senkel aussieht, den könnte ich Ihnen geben.“
Der Mann blickte ihn ganz verdattert an und murmelte, so dass Joshua Mühe hatte ihn zu verstehen: „Und was willst Du dafür?“
„Nicht viel, ich habe bemerkt, dass sie Ihre Zeitung schon ausgelesen haben. Vielleicht könnte ich die haben?“ „So, so, die Zeitung möchtest Du haben, Jungchen. In Ordnung, die habe ich schon ausgelesen und habe keine Verwendung mehr dafür, nimm sie Dir!“
Joshua gab dem Mann den braunen Schnürsenkel und nahm die Zeitung auf.
„Heute muss mein Glückstag sein“, dachte der Mann, „hab echt „Schwein“ gehabt, diesen Schnürsenkel zu bekommen. Nun muss ich mich nicht ins Gewühle stürzen, um welche zu kaufen. Zumal das hier immer voller wird.“
Unter der Zeitung liegend, erblickte Joshua eine Brieftasche aus feinstem Leder, er nahm sie auf und sprach den Mann nochmals an: „Gehört die Ihnen?“
Der Mann war gerade im Begriff zu gehen. Er schaute Joshua nur flüchtig an und sagte: „Ne, habe damit nichts zu tun.“, und ging davon.
In diesem Moment stürzte eine aufgeregte männliche Person ins Café und kam zu dem Tisch gelaufen. Er sah die Brieftasche in Joshuas Hand. „Das ist meine Brieftasche“, keuchte er, ganz außer Atem vom schnellen laufen, „Mensch, ich habe nicht gedacht, dass ich die je wiedersehen würde. Kann ich sie zurückhaben?“
„Aber selbstverständlich, wenn das Ihre Brieftasche ist, dann sollen Sie die auch bekommen!“, antwortete Joshua. „Ich kann beweisen, dass das meine ist, denn da müsste eine große Summe Geld drin sein!“
Er nannte Joshua die Summe. Der schaute sofort nach und meinte: „Stimmt genau, also ist es Ihre und bitte schön.“ Er reicht dem Mann die Tasche. Freudestrahlend griff er zu, schaute kurz alle Fächer durch und schien zufrieden. „Ihnen stehen zehn Prozent der Summe als Finderlohn zu, die gebe ich Ihnen jetzt!“, damit wollte er sich bedanken
„Nein“, hielt Joshua dagegen, „mir reicht es, wenn Sie mir ein Kaffee und ein belegtes Brötchen spendieren!“ Daraufhin drehte der Mann sich um und rief der Bedienung zu: „Alles was dieser junge blonde Mann hier verzehrt, bezahle ich!“
Er zeigte dabei auf Joshua und setzte sich zu ihm an den Tisch.
„Ich heiße übrigens Polanz, Erwin Polanz und hier haben Sie meine Visitenkarte. Falls sie jemals Probleme haben sollten, scheuen Sie sich nicht, mich aufzusuchen.“, sagte der Mann freundlich zu Joshua und dachte bei sich, „heute muss mein Glückstag sein. Hätte nicht gedacht, die Geldbörse mit all dem vielen Geld je wieder zu bekommen. Es gibt ja viel zu wenig ehrliche Menschen auf der Welt. Ob, ich die zurückgegeben hätte?“
Er war jetzt auf jeden Fall in Bombenstimmung und konnte sich endlich auf die Verabredung mit seiner Kollegin freuen. Vor einigen Monaten war er ihr das erste Mal begegnet und konnte sie nicht mehr vergessen. Auf der „Konferenz der Wissenden“, die in dieser Stadt vor ein paar Tagen stattgefunden hatte, war er ihr nach langer Zeit wieder begegnet und hatte sich mit ihr für den heutigen Abend verabredet.
Joshua nahm die Visitenkarte artig an und steckte sie so gleich in seine linke Jackentasche. Nachdem Joshua mit dem frühstücken fertig war und sich bei dem Mann dafür bedankte, dass der alles Bezahlte, verließ er mit der Zeitung unter dem Arm, das Café.
Sofort fiel ihm der Einkaufswagen auf, der ein paar Meter weiter Herrenlos dastand. Er marschierte zu dem Wagen, nahm ihn an der rechten Hand und schob ihn an seinem vorgesehenen Platz.
Nun mit der Kette festgemacht, sprang ein Chip in seine Hand und diesen stecke er sofort ein.
Er dachte: „Nanu, heute ist hier aber viel los. Das ist ja im Moment der letzte Einkaufswagen, den jemand zum Einkaufen benutzen könnte.“ Joshua stellte sich ein wenig rechtsseitig und schaute sich um.
***
Roswitha fuhr auf den Parkplatz des Supermarktes, parkte den Wagen ein und steuerte sofort nach verlassen Ihres Autos, den Standort der Einkaufswagen an. Denn sie wollte heute viel einkaufen und brauchte deshalb einen Wagen.
Schon aus der Ferne stellte sie fest, dass nur noch ein einziger Wagen, auf dem ganzen Gelände übriggeblieben war.
Bei diesem angekommen, langte Sie in Ihre Handtasche und nahm die Geldbörse heraus. Mit einem schnellen Blick stellte sie fest, dass sie kein passendes Geldstück zum Lösen des letzten Einkaufswagens hatte, die wie immer an einer blöden Kette gefesselt sind.
Sie blickte sich um, ob sie jemand entdeckte, der ihr vielleicht das Geld passend wechseln konnte. Ihr Blick fiel dabei auf einen jungen blonden Kerl. Er stand nur ein paar Meter von ihr entfernt und konnte durch rufen leicht erreicht werden.
„Hallo, Sie“, rief Roswitha, „können Sie mir vielleicht helfen? Ich brauche den Einkaufswagen.“ Sie zeigte dabei auf den verbliebenen Wagen, „leider habe ich aber kein passendes Geldstück, um den, von der Kette zu befreien. Können Sie mir vielleicht dieses Geldstück wechseln?“
Der junge Mann, es war Joshua, antwortete: „Nein, tut mir leid.“
Er langte in seine rechte Jackentasche und als er die Hand daraus hervorholte, enthielt die einen Chip, der für die Befreiung des Einkaufswagens genauso gut diente, wie ein Geldstück.
Er hielt den Chip hoch und kam näher: „Sie können aber diesen Chip haben, wenn sie mir etwas Anderes dafür geben!“, sagte er.
Roswitha sah sich den Knaben genauer an und dachte bei sich: „Der kommt mir doch bekannt vor. Wo und wann bin ich dem nur begegnet?“
Laut sagte sie: „Dann nehmen sie bitte dieses Geldstück und geben mir den Chip.“
Joshua erwiderte: „Nein, nein, Geld kann ich nicht gebrauchen, da bekomme ich nichts für, denn, das haben ja alle, mehr oder weniger. Aber, haben sie nichts Anderes?“
Nun war Roswitha verblüfft: „Für das angebotene Geldstück konnte jeder fünf von den Chips kaufen und der Typ will das nicht?“
Sie wollte sich schon nach jemand anderes umschauen, der Ihr vielleicht helfen konnte. Da bemerkte sie in der Ferne eine Menschenmenge, die sich alle in ihre Richtung bewegten und womöglich ein passendes Geldstück für den Einkaufswagen hatten.
„Also gut“, sagte Roswitha und durchsuchte aufgeregt Ihre Handtasche, dabei die Menschenmenge im Auge behaltend, die immer näherkamen.
Es war aber nichts zu finden, was sie hätte anbieten können. Da dachte sie an ihren Ohrring in ihrer Manteltasche. Von dem Paar hatte sie vor wenigen Tagen einen verloren. Auch das Einzelstück war sehr wertvoll, also konnte sie den ruhig zum Tausch anbieten.
Sie griff in ihre Manteltasche um den Ohrring heraus zu holen und als sie die Hand aus der Tasche zog, fiel dabei der Einkaufszettel aus ihrer Manteltasche und segelte langsam zu Boden.
Joshua bückte sich schnell und griff sich den Einkaufszettel. Als er den zwischen seine Finger spürte, dachte er: „Mensch, ist das ein angenehmes Gefühl. Das würde ich nehmen. Und dann noch eine so schöne Handschrift. Ja, den würde ich annehmen.“
„Den Zettel hier, den würde ich nehmen und Ihnen dafür den Chip geben!“, sagte er. „Nein!!!“, dachte Roswitha mit Erschrecken, „den gebe ich niemals her!“ In Panik schaute sie dabei auf die Leute, die jetzt schon ganz nah waren.
Sie überlegte: „Ich möchte mich eigentlich nicht von diesem Einkaufszettel trennen, aber was soll ich machen? Gleich sind die anderen da und schnappen mir den letzten noch verbliebenen Einkaufswagen vor der Nase weg. Und dann muss ich unter Umständen lange warten, bis ein anderer Wagen zur Verfügung steht. Und einkaufen kann ich auch ohne Zettel, das habe ich bis heute immer gemacht.“
Mit schweren und gemischten Gefühlen sagte sie schließlich: „Also gut, dann behalten sie diesen Zettel und geben mir endlich diesen Chip“.
Nachdem der Chip den Besitzer gewechselt hatte, konnte sie sich endlich diesen Einkaufswagen krallen. Irgendwie war sie erst unglücklich, den Einkaufszettel hergegeben zu haben. Dann aber wurde sie sehr glücklich und war siegesgewiss, den letzten Einkaufswagen zu besitzen. Sie ging mit dem Wagen sofort Richtung Markteingang und verschwand schließlich durch die sich selbständig öffnenden Türen, ins Innere des Gebäudes.
Joshua konnte sich im Gegensatz zur Roswitha sofort an sie erinnern und hatte die Frau heimlich mit seinem Handy fotografiert. Er beschloss gleich bei seinem Freund vorbeizugehen, um ihm von dieser Begegnung zu erzählen. Denn sein Freund hatte sich in diese Frau ganz gehörig verguckt.
Er überlegte sich gerade: „Macht das noch Sinn länger hier zu bleiben? Ich muss unbedingt Maksim von dieser Begegnung berichten.“ Da sprach ihn ein abgehetzter Mann an: „Guten Morgen, entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, wo es hier einheimische Tageszeitungen zu kaufen gibt?“
„Ja, am Kiosk, gleich neben dem Café. Die Zeitschriften und Zeitungen sind aus dem Supermarkt ausgelagert worden und deshalb dort nicht mehr zu kriegen.“, sagte Joshua, „aber sie können auch die unter meinem Arm haben, sie ist von heute und schon gelesen.“, sagte er weiter.
„Oh, das ist sehr freundlich von Ihnen, die nehme ich sehr gerne. Was kann ich denn für sie tun?“, fragte der Mann
„Verstehen sie was von Autos?“, fragte Joshua laut, denn er hatte gesehen, dass dort, nicht weit von seinem jetzigen Standort, ein Mann Problemen mit seinem Wagen zu haben schien.
„Aber ja“, sagte der Mann, „ich bin zufällig Automechaniker“
Er bat den Mann ihn zu begleiten und ging mit ihm zu dem armen Autofahrer der offensichtlich mit seinem Fahrzeug Schwierigkeiten hatte.
„Guten Morgen“, sagte Joshua und fragte laut, „haben sie Probleme mit ihrem Wagen?“
Der Fahrzeughalter, durch die plötzlich zu hörende Stimme erschreckt, zuckte zusammen, hob den Kopf und stieß damit unter die geöffnete vordere Motorhaube. „Aua, Mist“, schimpfte er und schaute herüber, „was, sagten sie?“
„Können wir ihnen helfen? Was tut’s denn nicht an ihrem Auto?“
„Ich weiß nicht, ob sie mir helfen können, ich weiß nur so viel, dass dieser Wagen einfach nicht anspringen will!“
Jetzt zeigte Joshua auf seine Begleitung und sagte: „Dieser Mann ist zufällig Automechaniker und kann ihnen eventuell behilflich sein, das Auto wieder flott zu machen.“
„Dann machen sie mal. Ich glaube nicht, dass sie was erreichen, hab selber schon alles probiert und er will trotzdem nicht anspringen.“, antwortete der Autobesitzer.
Der freundliche Automechaniker nahm das Auto zehn Minuten unter die Lupe und wühlte unter der Motorhaube im Motorenblock herum.
„So!“, sagte er schließlich, „starten sie mal!“
Der Autofahrer startete den Wagen und wirklich, der Motor lief an und die Welle drehte ruhig ihre Runden. „Danke, vielen Dank“, rief er vor Freude, ganz außer sich, „wie kann ich mich dafür bedanken?“
„Danken sie nicht mir, sondern dem jungen Mann hier, der hat mir schon gegeben was ich suchte.“, er drehte sich um und ging davon.
„Und, wie kann ich ihnen danken?“, fragte der Autofahrer.
Joshua erwiderte darauf: „Können sie mich vielleicht ein Stück mitnehmen?“
„Wohin wollen sie denn?“ „Ich will zur Körnerstraße einen Freund besuchen.“
„Hm, mal überlegen? Die Körnerstraße also? Hm, ja, gibt es da nicht an der Ecke einen Laden? Da war ich schon mal. Das liegt ja genau auf meiner Strecke. Also kann ich sie mitnehmen. Steigen sie ein, ich nehme sie mit!“
„Heute habe ich aber echt Glück gehabt, dass die Zwei zur Stelle waren. Zur Körnerstraße muss ich zwar einen kleinen Umweg fahren, aber das ist es mir wert.“, dachte der Fahrer.
Joshua hatte für sich entschieden zu seinem Freund den „Musikanten und Träumer“ zu fahren. Bei dem würde es bestimmt ein gutes Mittagessen geben und außerdem wollte er noch eine CD bei ihm eintauschen. Er hatte jetzt das richtige für den Tausch. Ein Bild und den Einkaufszettel von der „schönen Unbekannten“.
Gierige Blicke verfolgten Roswitha auf dem Weg in den Supermarkt. Bernhard, auch Bernie genannt, war ein Langfinger und hatte Roswithas Handtasche sogleich mit seinem geübten Blick gesehen und als wertvoll beurteilt. Die wollte er sich holen.
„Dafür bekomme ich bestimmt einen Batzen Geld“, dachte er sich.
Bernie holte sich seinen Monatslohn immer von anderen und wurde fieberhaft von der Polizei gesucht. Aber so einfach konnte Bernie nicht gefangen werden, denn er war geschickt und vom Glück und Zufall beschützt. Natürlich wurde es manchmal eng.
Einmal, das war in einem Bus, bemerkte er eine Frau, die die Busfahrt Bar bezahlte. Nach dem entrichten des Fahrpreises, steckte sie die Geldbörse in ihre Handtasche zurück und vergaß sie zu verschließen.
Das war natürlich für Bernie optimal. Er machte sich an die Arbeit und es dauerte nicht lange, da hatte er die Börse für sich.
Doch, wie Frauen so sind, kam Ihr wohl der Gedanke die Handtasche zu verschließen. Sie bemerkte sofort, dass ihre Geldtasche fehlte. Hastig sah sie sich um und betrachtete alle Fahrgäste, ob sie den Dieb erkennen konnte? Nein, so leicht war es nicht.
Sie schlängelte sich zum Busfahrer zurück und sagte aufgebracht: „Können sie nicht mal anhalten, meine Geldbörse wurde mir hier im Bus gestohlen!“
Das ärgerte den Busfahrer: „In meinem Bus wird nicht geklaut! Den Dieb werde ich fangen, der muss noch im Bus sein.“
Zufällig machte er auf der Straße zwei Polizisten bei einer Verkehrskontrolle aus. Er hielt den Bus an, öffnete die vordere Bustür und schickte die bestohlene Frau zu den Streifenpolizisten. Die Frau kam Augenblicke später mit den zwei Beamten zurück und die übernahmen sofort die Untersuchung.
Bernie hatte alles genau beobachtet und die Geldbörse, einer in seiner Nähe stehenden Frau, unbemerkt in die Manteltasche geschoben.
Nun musste jeder Fahrgast aussteigen und wurde genau untersucht. Es ging sehr schnell, da wurde die Geldbörse bei einer Frau in der Manteltasche entdeckt.
Die Frau war nicht weniger fassungslos über den Fund, wie alle anderen Fahrgäste auch und beteuerte Ihre Unschuld. Aber wie Menschen so sind, gab es Zeugen, die gesehen haben wollten, dass sich die Diebin in die Nähe des Opfers geschoben hatte, dass die Verbrecherin Ihre Hand ausstrecke!
...und aber nein, direkt gesehen, dass die Person die Börse aus der Tasche fischte, hatte natürlich niemand.
Die vermeintliche Diebin sagte zu den Beamten: „So glauben sie mir doch, ich habe nichts gestohlen. Das muss mir jemand in die Tasche gesteckt haben! Ich bin unschuldig“
Ein Polizist antwortete mit einem Grinsen: „Ja, ja, das haben wir schon hundertmal gehört und klar doch, sie sind auch nur ein Opfer, was?“
Der Beamte gab der Bestohlenen Ihre Geldbörse zurück, wünschte eine gute Weiterfahrt. Zu der Frau, die er am Arm festhielt, sagte er: „Und sie kommen jetzt erst einmal mit!“ Dann gingen sie davon.
Ja, so ist das in dem Beruf der Langfinger, immer haarscharf an einer Entdeckung vorbei.
Bernie folgte Roswitha in den Supermarkt und beobachtete wo seine zukünftige Handtasche sich hinbewegte. Immer in der Hoffnung, dass bald eine Gelegenheit entstand, sich die begehrte Tasche zu holen.
Es ging im Supermarkt durch verschiedene Gänge, rauf und runter, hin und her. Da sah Bernie einen Mann, der sich über einen Tisch mit Sonderangeboten beugte und dem aus der hinteren rechten aufgenähten Hosentasche, eine Geldtasche ein Stückchen herausragte.
Das war eine Versuchung, der Bernie nicht widerstehen konnte. Er machte sich sogleich auf, um sich das Verlockende zu holen. Er ging ganz dicht an dem Mann vorbei und griff sich, geschickt und gekonnt, die Geldtasche.
„Die Tasche kann ich leer machen und irgendwo in einem Regal verschwinden lassen“, überlegte sich Bernie. Doch plötzlich spürte er einen harten Griff im Nacken und zuckte zusammen. Heute war wohl doch nicht sein Tag!
Denn, wie sich später herausstellte, hatte er versucht, ausgerechnet Kommissar Krämer zu bestehlen. Der war erst vor einigen Monaten in diese Stadt versetzt worden und hoffte hier einmal Hauptkommissar zu werden.
Bernie versuchte sich vom festen Griff des Herrn Krämers zu befreien. Doch ehe er sich versah, hatte Krämer ihm die Arme auf den Rücken gebogen und Handschellen angelegt.
Das hatten viele Besucher des Supermarktes mitbekommen und es entstand eine große Unruhe unter den Leuten.
Krämer hielt Bernie mit einem starken Griff fest und zückte seinen Ausweis. Er hielt ihn hoch, so dass er gut sehen war und sagte, „Alles in Ordnung, beruhigen sie sich. Es gibt keinen Grund zur Aufregung! Ich bin Kommissar Krämer, von der Polizei und habe alles unter Kontrolle.“
Nun hatte Herr Krämer seine erste eigenständige Verhaftung in dieser Stadt durchgeführt. Er brach seinen Einkauf ab und verlies mit Bernie den Supermarkt, um Ihn direkt zur Polizeiwache zu bringen.
Maksim, der Name kommt aus dem russischen und bedeutet Glück im Leben haben. Er war etwa 176 cm groß, von normaler schlanker Statur, hatte schulterlanges dunkles Haar und war mit seinen 25 Jahren noch immer ein „Musikant und Träumer“.
Als kleines Kind hatte er, sehr zum Entsetzen seiner Eltern und Geschwister, mit allen möglichen Gegenständen, die als Schlagstöcke zu verwenden waren, auf verschiedene Einrichtungen wie Dosen, Blecheimer, Kochtöpfe und ähnliches, herumgeschlagen.
Fragte man Maksim, was er mal werden wollte, sagte er schon als kleiner Junge: „Ich werde Musiker!“
Er probierte Verschiedenes aus. Drums, Klavier und Saiteninstrumente waren seine bevorzugten Instrumente. Eine Schule, etwa eine Musikhochschule, das war nichts für ihn. Er fand, die Melodie des Schullebens war zu langweilig, obwohl er in fast allen Fächer immer sehr gute Noten hatte.
Eines Tages lernte er ‚Tauscher‘ kennen. Er half Maksim bei einer Veranstaltung, als plötzlich eine Gitarrensaite riss und ‚Tauscher‘ sehr schnell für einen Ersatz sorgte. Dafür bedankte sich Maksim mit einem Essen.
Das war die Gelegenheit sich näher kennen zu lernen. Schnell stellten beide fest, dass sie sich sehr sympathisch fanden. Von da ab trafen sie sich öfter und unternahmen viel zusammen.
Sein Freund ‚Tauscher‘ war fast jeden Tag da und wollte heute wieder vorbeikommen.
Vor zwei Tagen hatte Joshua bei ihm übernachtet und als Maksim ihm am Morgen seine selbstproduzierte CD vorspielte, war ‚Tauscher‘ richtig süchtig nach der Musik. Er wollte davon eine CD haben und war bereit, einiges dafür zu geben.
Leider verhinderte die Türklingel das Geschäft. Maksim ging zur Tür und öffnete sie. Es war der Postbote, der an der Tür klingelte. Er hatte ein Paket, für den Mitbewohner aus der unteren Etage. Da dort niemand die Tür aufmachte, wollte er das Paket bei Maksim abgeben. Maksim schaute sich das Paket an.
Auf dem Paket stand, „Schreibblöcke – Sonderangebot“, und war wirklich sehr groß und schwer. Maksim sagte zum Postboten: „Herr Moto ist im Laden unten an der Ecke und sicher können sie das Paket dort abgeben. Er arbeitet dort.“
Der Postbote hatte keine Lust das schwere Paket wieder die Stufen herunter zu tragen und fragte deshalb: „Kann ich das Paket nicht doch bei Ihnen lassen?“
„Nein, vielleicht wartet Herr Moto auf das Paket“, antwortete Maksim.
Nun entwickelte sich ein Rededuell zwischen Maksim und dem Postboten. Schließlich gab der Postbote auf, griff sich murrend das Paket und schleppte es mühsam die Treppenstufen herunter.
Es war noch früh am Tag und das Wetter war grauenvoll. Nichts als Regen und starker Wind. Da kam Maksim auf eine Idee: „Vom Laden unten an der Ecke, könnten wir uns einen Snack besorgen. Was meinst Du?“. Joshua war natürlich sofort dafür.
Auf dem Wege dorthin nahm ‚Tauscher‘ eine verbeulte leere Getränkedose an sich, die über den Gehweg, von einer Windböe getrieben, rollte. Für Joshua waren alle weggeschmissenen Dinge eine Schande. Das Meiste davon konnte er zum Tauschen verwenden.
Nachdem sie zurück waren, machten sie es sich mit Kaffee und Snack gemütlich. Dabei schwärmte Maksim von der Frau, die in dem Laden nur einen Schreibblock von dem Tisch gekauft hatte.
„Tolle Figur und lange Beine“, meinte Joshua, „Ich steh auf lange Beine.“ Maksim sagte: „Als ich sie erblickte und sie mich kurz ansah, traf es mich wie ein Blitz. Diese Frau muss ich unbedingt wiedersehen! Ich glaube ich habe mich in sie verliebt! Wie alt die wohl ist?“ „Dürfte so in unserem Alter sein“, gab Joshua zurück.
Sie sprachen sehr lange darüber. Aber bald hatte Joshua keine Lust mehr, dieses Thema weiter zu vertiefen. Er verabschiedete sich und kündigte für heute an, wieder vorbei zu kommen.
Nachdem Maksim alleine war und noch immer über die Begegnung mit der schönen Frau nachdachte, fiel ihm ein: „Warum habe ich mir bloß keinen von den Schreibblöcken, die auf dem Tisch neben den Zeitschriften lagen, gekauft?“. Das wollte er nun nachholen und kam enttäuscht zurück. Es waren keine von diesen Schreibblöcken mehr da.
In der Nacht lag Maksim in seinem Bett lange wach und konnte nicht so richtig einschlafen. Permanent musste er an die „schöne Unbekannte“ denken und hatte unter anderem, intensiv darüber nachgedacht, wie er sie wiedersehen könnte.
Doch eine brauchbare Möglichkeit wollte Ihm nicht so recht einfallen und so wartete er jetzt voller Ungeduld auf Tauscher. Vielleicht hatte der eine gute Idee. Er hoffte, dass es nicht so lange dauerte, bis er kommt.
„Es ist fast schon Mittag!“, dachte Maksim und klappte den Deckel seiner Taschenuhr auf und warf einen Blick auf das Ziffernblatt, „Wo bleibt er nur?“ Die Uhr hatte er von seinem Großvater geerbt und trug sie mit Stolz immer bei sich.
In der Körnerstraße angekommen, schlängelte sich Joshua aus dem Auto. Er bedankte sich bei dem netten Fahrer für das mitnehmen und drückte die Beifahrertür zu. Der Fahrer blickte ihn an, nickte kurz, sah dann zur Straße, betätigte das Gaspedal und fuhr davon.
Joshua überquerte die Straße und ging zum Haus, in dem Maksim wohnte. Gleich darauf ging er die zwei Vorplatzstufen hinauf, durch die offenstehende weiße Haustür, die hellbraun geflieste Treppe hinauf, bis zum zweiten Stock und drückte zweimal auf die Schelle, die sich links neben der Wohnungstür befand.
Maksim öffnete die Tür und war sehr erfreut, endlich ‚Tauscher‘ begrüßen zu können. Er gab ihm zur Begrüßung die Hand und zog ihn gleich darauf am Ärmel in die Wohnung.
Nach einer Standardbegrüßung, bei der eigentlich keiner eine Antwort erwartete, „Hallo“, und, „wie geht’s?“, wollte er ihm unbedingt sofort seine Gedanken bezüglich der „schönen Unbekannten“ mitteilen.
Doch Joshua ergriff sofort die Initiative und erzählte von der Begegnung mit der „schönen Unbekannten“, auf dem Parkplatz beim Supermarkt für extra Leckereien.
Nach dem Bericht griff er in seine Jackentasche und holte sein Handy heraus. Maksim schaute sich das Foto an und rief erfreut: „Ja, das ist sie!“ Dann holte Joshua den Einkaufszettel hervor, hielt ihn Maksim hin und sagte: „Den habe ich von deiner Unbekannten, der gehörte Ihr!“
Maksim wollte das Foto und den Zettel unbedingt haben und fragte: „Gibst du mir beides?“ Er bot dafür seine CD an.
„Okay!“, sagte Tauscher, denn genau darauf hatte er es abgesehen. Diese CD wollte er gerne haben und so war der Handel perfekt.
Maksim nahm das Schriftstück schnell an sich. „Dieser Zettel riecht aber angenehm.“, sagte er. Joshua griff nach dem Papier und roch daran: „Ich rieche nichts. Bist du sicher, dass dieser Zettel duftet?“ „Aber ja, riech doch mal. Ist das nicht angenehm?“ „Also ehrlich, ich rieche nichts“, sagte Joshua und dachte: „Maksim ist aber ganz schön verknallt, wenn er sich schon einbildet, dass dieser Zettel duftet, nur, weil der von der ‚schönen Unbekannten‘ stammte.“
Nun in der tiefen Überzeugung, dass der Zettel von der „Schönen Unbekannten“ stammt, entzückt von der schönen Handschrift, begeistert von all den leckeren Sachen die auf dem Zettel standen und berauscht vom Duft, dem das Papier anhaftete, machte sich der ‚Musikant und Träumer‘ ans Werk und schrieb, nach einem kurzen Moment des Nachdenkens, einen Brief.
Meine Liebste Unbekannte,
Ich muss Euch mitteilen, nachdem ich Euch das erste Mal begegnete, dass ich jetzt ein liebliches, da durch Eure Handschrift verschöntes, Schriftstück mein Eigen nennen darf. Die Freude, die ich beim Lesen des schönen Stücks empfand, ist von einer großen Schönheit und erzeugt in mir zuweilen ein Lächeln, ein Träumen und ein Nachdenken. Die, mit Eurer eigenen Lockerheit formulierten Worte rauben