Rassismus und kulturelle Identität - Stuart Hall - E-Book

Rassismus und kulturelle Identität E-Book

Stuart Hall

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Beschreibung

Band 2 erörtert zwei gegensätzliche Formen der Kulturpolitik "schwarzer" Bewegungen. Hall verbindet dabei eine Präsentation historischen Materials und theoretischer Strömungen mit begrifflicher Arbeit an Kategorien wie "Kultur", "Identität", "Differenz". Der Autor: Stuart Hall, 1932 in Kingston, Jamaica, geboren, lebt sei 1951 in England. Als eine der führenden Personen in der "Neuen Linken" war er der erste Herausgeber der New Left Review, 1964 baute er an der Universität Birmingham das Centre for Contemporary Cultural Studies mit auf, dessen Direktor er bis 1979 war. Bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1997 war er Professor für Soziologie an der Open University. Stuart Hall ist nicht nur einer der wichtigsten Begründer der Cultural Studies. Sein Einfluss ist vor allem deshalb so entscheidend, weil er sich immer neuen theoretischen und politischen Fragen stellt, Grenzen überschreitet und dabei am Anspruch festhält, das unlösbare Spannungsverhältnis zwischen Theorie und Praxis aufrechtzuerhalten. Denn Theorie ist für ihn immer eingreifende Theorie im Interesse der Befreiung. "Geht dieses Spannungsverhältnis verloren, kann man zwar eine hervorragende intellektuelle Arbeit leisten, aber man verliert die intellektuelle Praxis, die Politik."

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Stuart Hall

Rassismus und kulturelle Identität

Ausgewählte Schriften 2

Herausgegeben und übersetzt von Ulrich Mehlem, Dorothee Bohle, Joachim Gutsche, Matthias Oberg und Dominik Schrage unter Mitarbeit von Britta Grell und Dominique John mit einer Bibliografie der Werke Stuart Halls von Juha Koivisto

Lektorat: Michael Haupt

Stuart Hall – Ausgewählte Schriften bei Argument:

Ideologie, Kultur, Rassismus (Schriften 1)

Rassismus und kulturelle

Identität (Schriften 2) Cultural Studies (Schriften 3)

Ideologie, Identität, Repräsentation (Schriften 4)

Populismus, Hegemonie, Globalisierung (Schriften 5)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Neuausgabe 2012 mit leicht geändertem Satzbild,

Paginierung gegenüber früheren Ausgaben geringfügig abweichend

Alle Rechte der deutschen Fassung vorbehalten

© Argument Verlag 1994

Glashüttenstraße 28, 20357 Hamburg

Telefon 040/4018000 – Fax 040/40180020

www.argument.de

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018

ISBN 978-3-86754-850-2

Sechste Auflage 2016

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Einleitung

Umkämpfte Identitäten – neue Politiken der Repräsentation

Neue Ethnizitäten

Kulturelle Identität und Diaspora

Das Lokale und das Globale: Globalisierung und Ethnizität

Alte und neue Identitäten, alte und neue Ethnizitäten

Rassismus, westliche Dominanz und Globalisierung

›Rasse‹, Artikulation und Gesellschaften mit struktureller Dominante

Der Westen und der Rest: Diskurs und Macht

Die Frage der kulturellen Identität

Juha Koivisto

Stuart Hall – Bibliografie seiner Schriften

Literaturverzeichnis

Drucknachweise

Einleitung

Imagination

creates the situation

and, then, the situation

creates imagination.

It may, of course,

be the other way around:

Columbus was discovered

by what he found.

James Baldwin

Mit seinen Beiträgen zum Thema »Rassismus und kulturelle Identität« interveniert Hall in ein Feld, das auch in der bundesdeutschen Debatte um Multikulturalismus und neuen Nationalismus heftig umkämpft ist. So dient der Begriff der kulturellen Identität im Diskurs einer multikulturellen Gesellschaft nicht nur dazu, das Recht der Eingewanderten auf Bewahrung ihrer eigenen Kultur zu begründen, sondern wird auch als Bereicherung für die Angehörigen der Mehrheit gefasst: ob diese eher als Vielfalt in der Konsumkultur oder als ökonomische Kosten-Nutzen-Rechnung (so z.B. Cohn-Bendit/Schmid 1992) erscheint, die Toleranz der Einheimischen soll sich immer lohnen. Dagegen reklamieren die ›Neue Rechte‹ und eine bis in den Konservatismus reichende Strömung denselben Ausdruck zur Verteidigung einer bedroht geglaubten nationalen Identität.

Die radikale Rassismuskritik hat den Begriff aufgrund dieser Ambivalenz daher schon früh aufgegeben, da er von den ökonomischen und institutionellen Aspekten des Rassismus ablenke. Auch eine Position, die eine Politik rechtlicher und staatsbürgerlicher Gleichstellung in den Vordergrund stellt, sieht in der Konzeption der multikulturellen Gesellschaft

»eine Ideologie zur Differenzmarkierung entlang ethnischer Unterscheidungen mit der Tendenz der unendlichen Verschärfung von Gruppenkonflikten, die im Ergebnis deren Unlösbarkeit bedeuten muss« (Radtke 1993, 99).

An ihre Stelle soll das »Lob der Gleichgültigkeit« treten (Radtke 1991).

In Taguieffs Dekonstruktion des Antirassismus (1987) taucht der Begriff der kulturellen Identität in widersprüchlicher Weise auf. Zunächst wird er zur Kennzeichnung einer gemeinschaftlich traditionellen Form des Antirassismus gefasst als

»das Recht auf kulturelle, ethnische, ja rassische Differenz (›Négritude‹, ›Jüdischsein‹): als das Recht der Völker, auf ihren eigenen Traditionen zu beharren, das Ideal der Bewahrung von Gruppenidentitäten (bis zur Pflicht der Völker, sie selbst zu bleiben) …« (18)

Das ›Recht auf Differenz‹ erscheint hier als absolute Abgrenzung, als Zwang zur Bewahrung einer Essenz; Taguieff rückt diese Position damit in die Nähe des Rassismus selbst. In seiner Polemik gegen eine Unterstellung von ›Menschen ohne Wurzeln und Bindungen‹ rekurriert er in genau entgegengesetzter Weise auf den Begriff:

»Man findet bei Sartre das Lob des Bastards, das ›antirassistische‹ Lob der Tugenden der Vermischung als den großen Auslöscher einer definierten kulturellen Identität, oder des Einwanderers ohne zuschreibbare nationale Identität als Bild (seiner selbst zum Trotz) der absoluten Unschuld, von dem das okzidentale schlechte Gewissen umfassend Gebrauch gemacht hat.« (171)

Hier dient kulturelle oder nationale Identität als ein gewissermaßen positives Gegenbild zu intellektuellen Positionen von Hybridität, die als Phantasmen und gefährliche Illusionen zurückgewiesen werden. Es bleibt für Taguieff unvorstellbar, dass gerade Mischlinge und Hybride ein Konzept kultureller Identität für sich reklamieren könnten, das auf jede Vorstellung eines Wesens und geschichtlichen Ursprungs verzichtet. Er steht hier für viele, die sich in einer binären Kette von Dichotomien verfangen haben und nur eine Alternative als politischen Ausweg denken können: entweder das Beharren auf ›erfundenen Traditionen‹ (Hobsbawm und Ranger 1983) und imaginären ›Wurzeln‹ einer ›vorgestellten Gemeinschaft‹ (Anderson 1988) oder die Selbstauslöschung in der Assimilation und Homogenisierung.

Leben und Werk des 1932 auf Jamaika geborenen und seit Anfang der fünfziger Jahre in England lebenden Stuart Hall1 stehen für eine theoretische, politische und gelebte Alternative zu diesem ausweglosen Entweder-Oder der (Selbst-) Unterwerfung. Wer zwischen den Kulturen aufwuchs und lernen musste, mit verschiedenen Identitäten zu leben und verschiedene kulturelle Sprachen zu sprechen, dem bietet sich die Chance der Übersetzung, des Brücken-Bauens. Was er über die Übersetzer sagt, gilt auch und ganz besonders für ihn selbst:

»Sie tragen die Spuren besonderer Kulturen, Traditionen, Sprachen und Geschichten, durch die sie geprägt wurden, mit sich. Der Unterschied ist, dass sie nicht einheitlich sind und sich auch nie im alten Sinne vereinheitlichen lassen wollen, weil sie unwiderruflich das Produkt mehrerer ineinandergreifender Geschichten und Kulturen sind und zu ein und derselben Zeit mehreren ›Heimaten‹ und nicht nur einer besonderen Heimat angehören. Menschen, die zu solchen Kulturen der Hybridität gehören, mussten den Traum oder die Ambition aufgeben, irgendeine ›verlorene‹ kulturelle Reinheit, einen ethnischen Absolutismus, wiederentdecken zu können.« (vgl. unten)

In allen hier vorgelegten Texten ist Halls Bindung an die Karibik, an seine Heimat Jamaika unübersehbar, so wie die scharfsinnige Ironie, mit der er seine andere Heimat Britannien beschreibt, die eine intime Vertrautheit mit der britischen Kultur in ihrer ganzen Vielfalt verrät. Die Abneigung gegen Absolutismen jeder Art führte ihn nach dem Ungarnaufstand 1956 zur britischen New Left, einer aus unzufriedenen Kommunisten und Labour-Linken bestehenden Gruppierung, wo seine Fähigkeit zum (theoretischen) Übersetzen ihn zum gefragten Redner und schließlich ersten Herausgeber des New Left Review werden ließ. Seine Fähigkeit, theoretische und politische Brücken zu bauen, lässt sich vom 1967/68 mit Raymond Williams und Edward P. Thompson verfassten May Day Manifesto bis zum entscheidend von ihm mitbestimmten Manifesto for New Times (1989) als Vorschlag für eine postfordistische Linke verfolgen. Als Mitarbeiter und später Direktor des Centre for Contemporary Cultural Studies in Birmingham erhob er die Übersetzung zwischen verschiedenen theoretischen Traditionen und empirischen Methoden als eine Arbeit kritischer Rekonstruktion zum Programm. Zur Übersetzung zwischen Theorie und Politik trug er durch seine einflussreichen Analysen des Thatcherismus sowie durch zahlreiche Interventionen in Zeitschriften wie Marxism Today bei. Heute überbrückt er unterschiedliche Wissenskulturen als Professor an der interdisziplinär orientierten Open University, wo unabhängig von Klassenzugehörigkeit, Alter und Schulabschluss studiert werden kann.

In einem seiner ersten Aufsätze zum Rassismus (›Rasse‹, Artikulation und Gesellschaften mit struktureller Dominante) diskutiert Hall die Verankerung rassistischer Strukturen am Beispiel Südafrikas. Er knüpft hier an Konzepte des französischen Marxisten Louis Althusser und seiner Schule eines strukturalistischen Marxismus2 an und bezieht deren Begriffe der Produktionsweise, der Gesellschaftsformation und der Artikulation auf die Debatten der siebziger Jahre um Entwicklung und Unterentwicklung. Damit kann Hall gegen die dominierende ökonomistische Tendenz das Weiterbestehen sogenannter vorkapitalistischer Produktionsweisen und gesellschaftlicher Organisationsformen unter Bedingungen eines mehr oder weniger entwickelten Kapitalismus denken. In der neueren Rassismusdebatte wird zwar das Verhältnis von Zentrum und Peripherie als konstitutiv für verschiedene Rassismen berührt, weitere Resultate der damaligen Forschungen bleiben jedoch heute unberücksichtigt. Hall übersetzt hier auch zwischen marxistischen und linksweberianischen Erklärungen des Verhältnisses von ›Rasse‹ und Klasse. Er betont die historische Spezifik rassistischer Stratifikationen und die analytische Notwendigkeit, von den materiellen Existenzbedingungen auszugehen, ohne dabei in den Ökonomismus zurückzufallen oder die Produktionsverhältnisse in eine Vielfalt heterogener Konflikte aufzulösen.

Auch der Beitrag des italienischen Marxisten und Theoretikers Antonio Gramsci für das Verständnis des Rassismus, den er in einem späteren Aufsatz weiter ausgeführt hat (1986a, dt. in 1989a), wird hier erstmals skizziert: mit seinem Begriff der Hegemonie könne gleichzeitig die Gesellschaft als einheitlicher Wirkungszusammenhang begriffen und die Nichtreduzierbarkeit politischer und ideologischer Auseinandersetzungen auf ökonomische Strukturen gedacht werden. Anders als im Funktionalismus, den Hall auch Althusser vorwirft, oder in verschiedenen systemtheoretischen Ansätzen, dürfe diese Einheit nicht immer schon vorausgesetzt, sondern müsse als eine Aufgabe begriffen werden, diese erst ökonomisch, ideologisch und politisch herzustellen. Während etwa zur gleichen Zeit die Regulationstheoretiker in Frankreich beginnen, diese Frage an ökonomischen Problemen zu untersuchen, nimmt Hall dieselbe Problemstellung zum Ausgangspunkt für seine Studien über die diskursive Konstruktionsweise und Bedeutung kultureller Identität.

Auch bei diesen Analysen am Beispiel kultureller Praktiken wie Film, Musik, Fotografie und Stil, auf die in den meisten Texten Bezug genommen wird, bildet Althusser mit seinem Beitrag zur Ideologietheorie einen Ausgangspunkt. Der Begriff des Subjekts, das sich erst durch die Anrufung einer ideologischen Macht als handlungsfähiges konstituiert und gleichzeitig einer ideologischen Struktur unterwirft, mit der es sich identifiziert, ist für Halls Überlegungen zentral: Praxis findet immer als Praxis von Subjekten statt, d.h. unter einer Ideologie und damit partiell im Medium des Imaginären (Althusser 1977).

Hall entwickelt dieses Konzept weiter, indem er die Techniken der Identifikation und ihre Kombination aufzeigt, durch die sich das empirische Subjekt der ideologischen Struktur, dem universalen Subjekt, unterwirft. In diesem Prozess spielt Repräsentation eine entscheidende Rolle, die nicht mehr als nachträgliche Vor- oder Darstellung außersprachlicher Sachverhalte, sondern als ihre Konstitution im Modus der Bedeutung selbst begriffen werden muss. Analog zu den Wahrheitsregimes, die bei Foucault als institutionelle Arrangements die Entscheidung darüber präformieren, was unter bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen als wahr zu gelten hat und was nicht (…), arbeitet Hall mit dem Begriff des Repräsentationsregimes, das zulässige Formen der kulturellen Sinnproduktion von ausgegrenzten und verdrängten unterscheidet. Die Kämpfe marginalisierter Akteure, um die es Hall geht, werden daraufhin untersucht, wie sie in die herrschenden Repräsentationsregimes intervenieren.

Den engen Zusammenhang zwischen Rassismus und seinem Konzept kultureller Identität zeigt Hall am Beispiel schwarzer Emanzipations- und Bürgerrechtsbewegungen der sechziger und siebziger Jahre, die die negative Symbolik der Farbe Schwarz umkehrten und zur Quelle eines neuen Selbstbewusstseins machten. Das Afrika der ›Wurzeln‹ wurde zum symbolischen Ort einer neuen Identität, die die Aufarbeitung der Geschichte von Verschleppung, Sklaverei und Unterdrückung aus einer eigenen Perspektive überhaupt erst möglich machte. Auch wenn diese Gegenidentifikation dem herrschenden Repräsentationsregime noch in der Umkehrung verhaftet bleibt, gegen das wesenhaft weiße Subjekt der Herrschaft ein wesenhaft schwarzes setzte, sieht Hall in ihr so lange einen unverzichtbaren Ausgangspunkt schwarzer Identitätspolitik, wie diese mit rassistischen Strukturen der Ausschließung und Marginalisierung konfrontiert sind. Im Gegensatz zu Taguieff, der in Césaires Négritude und Fanons Rebellion der ›Verdammten dieser Erde‹ nur einen schwarzen Gegenrassismus sehen konnte (1991, 239–41), begreift Hall auch diese Formen noch in ihrem historischen Zusammenhang. Deshalb nimmt er überall dort, wo es um die schwarze Erfahrung geht, emphatisch auf Fanon Bezug, der wie er aus der Karibik stammt, aber in der französischen Metropole und als Unterstützer des algerischen Unabhängigkeitskrieges einen anderen Weg einschlug.

Halls entscheidende Intervention ist also, dass der Begriff der kulturellen Identität ebenso wenig wie der der Ethnizität aufgegeben werden muss, um den Kampf für umfassende individuelle und gesellschaftliche Emanzipation führen zu können. Im Gegenteil: ein solcher Kampf zwingt jede/n Akteur/in dazu, einen Standpunkt zu beziehen, den Ort zu bestimmen, von dem aus er/sie spricht, d.h. sich zu positionieren. Bei diesem Akt des Positionierens bleiben die Herkunft, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die sprachlichen und kulturellen Codes, über die er/sie verfügt, unverzichtbare Ressourcen: Elemente der Ethnizität.

Dennoch kann kulturelle Identität – spätestens seit der Zäsur von 1968 und dem Aufstieg neuer sozialer Bewegungen, in denen die Strategien der Identifikation selbst zum ersten Mal und über die traditionellen Grenzen des politischen Raums hinaus zum Gegenstand der Politik wurden – nicht mehr als Bewahrung eines Wesens oder einer ursprünglichen Essenz gedacht werden. Sie muss in den Kontext eines neuen Globalisierungsschubs des Weltkapitalismus gestellt werden, durch den Interdependenz und Zeit-Raum-Verdichtung ausgeweitet wurden und – für die hier behandelten Fragen zentral – die internationale Migration eine neue Qualität erlangte. Hall sieht diesen Umbruch im Zusammenhang mit dem Ende des fordistischen Akkumulationsregimes (vgl. z.B. das Manifesto for New Times, Hall 1989e). Die Bindekraft ›absolutistischer‹ Anrufungen durch ›große‹ kollektive Subjekte wie Nation oder Klasse lässt nach, das individuelle Subjekt wird ›fragmentiert‹ und ›zerstreut‹ (dislocated). Hall weiß allerdings, dass diese Erfahrung von Anfang an auch zur Moderne gehört und dass die Erzählungen des (männlichen, weißen, englischen) ›großen Subjekts‹ nie völlig beherrschend waren. Deswegen spricht er zumeist von ›Spät‹- statt von ›Postmoderne‹. Er zeigt, wie Theoretiker der Postmoderne an ihre Vorläufer anknüpfen, die bereits mitten in der Moderne mit der Dezentrierung des Subjekts begannen: Althusser verweist auf Marx, Lacan auf Freud, Derrida auf Saussure; zu einer Zeit, als die Disziplinen der Ökonomie und des Rechts noch fraglos vom Individuum als Subjekt seiner Handlungen ausgingen, arbeitete die Soziologie bereits am Problem der Sozialisation; in der Literatur und den bildenden Künsten war eine feste Vorstellung vom Ich und seinem Ort in der Gesellschaft, seiner Verankerung im Raum und in der Zeit, schon längst gesprengt worden. Auf der ideologischen Ebene bleibt daher auch in dieser neuen Form der Globalisierung das amerikanische Modell kapitalistischer Vergesellschaftung dominant, das Michel Pêcheux im Gegensatz zur staatszentrierten ›Festung‹ als ›paradoxalen Raum‹ mit ›offenen Rändern‹ beschrieben hat (Pêcheux 1983, 382f). Dieses Modell hat aus dem Widerstand der Ränder (den antikolonialen Bewegungen und den Protestbewegungen in den Metropolen selbst) gelernt und eine Vielfalt von Differenzen in seinen Rahmen integriert, die als Material der Verfeinerung und des Genusses einer wesentlich okzidentalen und an bestimmte Milieus gebundenen Yuppie-Kultur dienen. Als privilegierter Ort der modernen Kunst, als exotische Formen der Küche, der Sprache, des Lebensstils werden so die Marginalisierten reintegriert, alles, was an den Differenzen auf Widersprüche und Kämpfe verweist, dagegen ausgelöscht (vgl. unten).

In einer solchen Konzeption, in der sich unschwer auch gewisse Formen des Multikulturalismus wiedererkennen lassen, bleibt der reiche kapitalistische Westen weiterhin das Zentrum gegenüber einem ›Rest‹. Diese Beziehung wird nach Hall immer noch in Begriffen eines Diskurses gedacht, der von der Entdeckungsgeschichte vor allem der beiden Amerikas geprägt ist. Hall veranschaulicht dieses ›Wahrheitsregime‹ am Beispiel der dichotomisierenden Stereotype des edlen und des menschenfressenden Wilden und ihren Wirkungen in der Gesellschaftstheorie der Aufklärung bis zu Marx und Weber.

Gibt es unter diesen neuen Verhältnissen des Globalen noch Widerstand, Möglichkeiten für eine Politik des Lokalen zwischen ›Fundamentalismus‹ und dem Aufgehen in der kulturellen Homogenisierung? Diese Frage führt Hall zur Beschreibung einer neuen Identitätspolitik, deren Entstehen er im thatcheristischen England und den karibischen Bewegungen der siebziger Jahre beobachtet. Es handelt sich um hybride, kreolische Formen der Identitätsbildung, deren Voraussetzung gerade die Entwurzelung, die Diaspora, die Zerstreuung und Auflösung fester Zusammenhänge ist.3 Im neuen schwarzen Film und in der Literatur führt diese zu einer Bearbeitung sozialer, politischer, kultureller und geschlechtsspezifischer Widersprüche in den Immigrant/innen-communities selbst. Ihr Paradigma ist die karibische Kultur, für die es noch nie eine essenzielle Einheit und Homogenität gab, da sich in ihr drei Präsenzen – ein afrikanischer Ursprung, die europäische Kolonialherrschaft und die Verpflanzung auf ein amerikanisches, entvölkertes Territorium – von Anfang an durchdrangen.

Die Aufgabe, die sich diesen Bewegungen stellt, ist eine Konstruktion von Identität durch Differenz, die als Positionierung dem unabschließbaren Prozess der sprachlichen Sinnproduktion unterworfen ist, den Hall mit Derridas Kategorie der différance theoretisch zu fassen sucht. Dennoch kann an die Stelle der Identität kein endloses Spiel der Differenzen treten, weil soziale Akteure, um Selbstbewusstsein zu erlangen, handeln und Widerstand leisten zu können, sich in den Auseinandersetzungen positionieren müssen.

In der Dezentrierung des spätmodernen Subjekts liegt für Hall, bei aller Gefahr von Seiten eines Kapitalismus à la Benetton, aber auch eine Chance politischer Veränderung. Diese Chance kann nur dann wahrgenommen werden, wenn die politischen und theoretischen Veränderungen begrifflich erfasst und gedacht werden, wenn es gelingt, auf die neue Situation angemessen zu reagieren. Sie besteht darin, die Geschichtlichkeit und Veränderbarkeit dessen, was die Moderne »Subjekt« nannte, und seine Positionierung in den Repräsentationsregimes als etwas Gewordenes und Veränderbares zu begreifen, ohne dass dadurch die Machtverhältnisse, die diese Positionierung bestimmen, in einer angenommenen Kontingenz der Sprachspiele unsichtbar werden.

Hall verknüpft daher Derridas Gedanken der différance mit Gramscis Konzeption des Stellungskrieges (vgl. unten), den dieser – in Abgrenzung zu Lenins Oktoberrevolution – als Metapher für neue Möglichkeiten sozialistischer Politik in den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften gebrauchte: als Kampf um Positionen in allen gesellschaftlichen Bereichen, als ein Ringen um die Hegemonie, durch die eine Vielfalt verschiedener sozialer Kräfte unter Wahrung ihrer Differenzen zu einem gemeinsamen Projekt zusammengeführt werden sollen. Die Bemühungen der organischen Intellektuellen, das widersprüchlich zusammengesetzte Alltagsbewusstsein kohärent zu machen, können mit Hall nicht als Versuche der Vereinheitlichung gefasst werden, sondern am ehesten als solche der Übersetzung.

Unter den Kampffeldern einer neuen Politik des Lokalen ist auch in Britannien die Frage der Bürgerrechte wieder aktuell geworden (vgl. Hall 1989e, 173–188). Hier bietet sich die Möglichkeit, gegen einen extrem verengten Begriff englischer Identität, wie er im Thatcherismus deutlich wird, eine neue, Differenzen integrierende Politik sozialer Menschen- und Bürgerrechte in Gang zu setzen. Deren Basis könnten gerade hybride Identitäten bzw. eine gegen das Konzept des Staatsbürgers gerichtete und dadurch geradezu desidentifikatorisch wirkende Identität als Menschenrechtsträgerin werden,

»indem sie aufgrund deren innerer Dynamik … (nicht nur) auf die noch nicht allgemein zugestandenen Menschen- und Bürgerrechte (etwa der sog. 2. und 3. Generation) verweist, sondern auch immer … auf die Frage, wer noch, wenn schon ich, als TrägerIn von Menschen- und Bürgerrechten zu ›erklären‹, anzuerkennen ist.« (Wolf 1994, 13)

Diese Problematik verweist zurück auf das Problem der nationalen Identität, die traditionell als Gegenbegriff par excellence gegenüber jeder Vorstellung von Mischkultur gilt. Hall gelingt es (in Die Frage der kulturellen Identität), die Herausbildung nationaler kultureller Identitäten selbst als Hybridbildung zu fassen, in der heterogene ethnische, kulturelle, sprachliche, soziale und regionale Elemente zu einer widersprüchlichen Einheit gewaltsam zusammengefügt wurden; das Vergessen dieser gewaltsamen Ursprünge war die Voraussetzung für die Entstehung und Verbreitung eines ›Nationalbewusstseins‹ in breiten Teilen der Bevölkerung. Erst der Niedergang dieser Identitäten (und die Verbissenheit, mit der sie vom Thatcherismus beschworen und kriegerisch in Szene gesetzt werden, ist gerade ein Zeichen dieser – gefährlichen – Agonie) macht sichtbar, dass sie selbst, auch in ihrer höchsten Machtentfaltung (z.B. als das viktorianisch geprägte Englischsein der Jahrhundertwende) nichts anderes als Ethnizitäten darstellen.

In seiner Wendung gegen einen ideologischen Begriff von nationalstaatlich gefasster kultureller Identität kann dieses Konzept eine geradezu subversive Kraft entfalten: es desartikuliert Fragen der Herkunft, der territorialen und gruppenbezogenen Bindungen von ihren herrschaftsförmigen Besetzungen. Ethnizität bleibt unverzichtbarer Teil auch einer neuen Politik der Repräsentation, da ohne sie eine Positionierung in und gegen herrschende Repräsentationsregimes nicht denkbar ist. Gerade in der Reklamation auch ihrer britischen Komponente durch Schwarze afrokaribischer oder asiatischer Abstammung zeigt sich, dass eine Identitätspolitik des Hybriden keinen Verlust politischer Handlungsfähigkeit bedeuten muss.

Die Auswahl der Beiträge orientierte sich am Schwerpunktthema, das seit etwa zehn Jahren in den Arbeiten Halls immer mehr in den Vordergrund tritt. Der Band versteht sich als Ergänzung zum ersten von Nora Räthzel im Argument Verlag herausgegebenen Band (1989a), der einen Querschnitt über verschiedene Arbeitsschwerpunkte in dem außerordentlich reichhaltigen und vielseitigen Werk Stuart Halls gab.

Der erste Teil: Umkämpfte Identitäten – neue Politiken der Repräsentation beginnt mit dem Vortrag Neue Ethnizitäten (1988e), der am Beispiel des neuen schwarzen britischen Films alle zentralen Aspekte des Themas der kulturellen Identität schon einmal umreißt. Ihm folgt ein Beitrag, den Hall auf einer Tagung der linken Filmzeitschrift Framework hielt (1989f, später unter dem Titel Kulturelle Identität und Diaspora nochmals in leicht gekürzter Fassung veröffentlicht [1990f]) und der – diesmal unter Bezugnahme auf den karibischen Film und die Arbeiten von Fotografen – das Thema der kulturellen Identität weiter entfaltet. Die beiden in einem Reader zu Kultur, Globalisierung und Weltsystem enthaltenen Vorträge Das Lokale und das Globale – Globalisierung und Ethnizität sowie Alte und neue Identitäten, alte und neue Ethnizitäten (Hall 1991a) geben ein übergreifendes Bild konkurrierender Modelle kultureller Identitäten, sowohl aus der Perspektive einer globalen kapitalistischen Massenkultur als auch vom Standpunkt der lokalen Gegenkräfte aus. Hier finden sich am englischen Beispiel erste Ausführungen zum Thema der nationalen kulturellen Identität.

Der zweite Teil: Rassismus, westliche Dominanz und Globalisierung vertieft die zuletzt genannten Aspekte. Der in einem Reader der UNESCO veröffentlichte Aufsatz ›Rasse‹, Artikulation und Gesellschaften mit struktureller Dominante (1980g) zeigt – am Beispiel von Diskussionen über die ökonomischen, politischen und ideologischen Grundlagen des Apartheidregimes – Halls Interventionen in verschiedene Debatten marxistischer Theorie, auf die in den Kerntexten zur kulturellen Identität nicht mehr explizit Bezug genommen wird. Hier stehen Fragen der ökonomischen Struktur im Vordergrund. Dagegen analysiert The West and the Rest (1992c) – ein Einführungstext für den Reader Formations of Modernity, der einem Seminar der Open University zugrunde lag – Diskurse des Westens über die anderen Teile der Welt, ohne die weder das Phänomen des Rassismus noch die Zwänge einer schwarzen Identitätspolitik begriffen werden können. Der Band schließt mit einem ebenfalls für ein Seminar der Open University (Modernity and its Futures) konzipierten Text (Die Frage der kulturellen Identität, 1992g), in dem noch einmal, diesmal mit stärker historischen und theoriegeschichtlichen Bezügen und wiederum unter Einbeziehung aktueller Tendenzen in der globalen Entwicklung, die Zerstreuung der modernen Identitäten und die kulturell hybride Form sogar der nationalen kulturellen Identitäten im Mittelpunkt stehen.

Dieser Text schließt mit einem Zitat Salman Rushdies, der seinen Roman Die Satanischen Verse ein ›Liebeslied an Bastarde wie uns‹ nennt. Hall selbst arbeitet an einer politischen Theorie für Bastarde, zu denen sich alle die zählen können, die ohne die Gewissheiten großer kollektiver Identitäten noch linke Politik machen wollen.

August 1994

Die Herausgeber

1 Zu genaueren Angaben zur Biografie und wissenschaftlichen Tätigkeit Halls vgl. das Vorwort zu Hall 1989a von H. Gustav Klaus sowie die Interviews mit Hall in Gulliver (Hall 1977g) und in Argument 118 (Hall 1979b). (Alle Werke Halls sind im Anhang in der Bibliografie von Juha Koivisto aufgeführt, die auch Hinweise auf vorliegende deutsche Übersetzungen enthält.)

2 Vgl. hierzu die in Hall 1989a übersetzten Texte 1977f und 1988b, sowie die Arbeiten über Marx (1974a, 1977c), die ebenfalls auf Althussers Ansatz zurückgreifen.

3 Ansätze einer ähnlichen Konzeption kultureller Identität finden sich bei Auernheimers Studie über Jugendkulturen der Immigrant/innen in Deutschland (1988). Er gehört zu den wenigen Vertreter/innen eines Konzepts der interkulturellen Erziehung (Auernheimer 1990), die mit einem differenzierten Begriff von kultureller Identität arbeiten.

Neue Ethnizitäten*

Meine Ausführungen konzentrieren sich auf den Versuch, eine signifikante Verschiebung in der schwarzen Kulturpolitik festzustellen und zu charakterisieren. Diese Verschiebung ist nicht bestimmbar in dem Sinne, dass es zwei klar unterscheidbare Phasen gibt – eine in der Vergangenheit, die nun zu Ende ist, und eine neue, die gerade beginnt –, welche wir sorgfältig gegeneinanderstellen können. Vielmehr sind es zwei sich beständig überschneidende und ineinander verwobene Phasen derselben Bewegung. Beide stehen in demselben historischen Kontext und haben ihre Wurzeln in der antirassistischen Politik und der Erfahrung der Schwarzen im Nachkriegsbritannien. Dennoch können wir zwei verschiedene ›Momente‹ identifizieren, deren Unterschied signifikant ist.

Es ist schwierig, diese Momente genau zu charakterisieren, doch würde ich sagen, dass Ersterem eine spezifische politische und kulturelle Analyse zugrunde lag. Politisch betrachtet ist es das Moment, in dem der Begriff ›schwarz‹ als Bezugspunkt für die gemeinsame Erfahrung von Rassismus und Marginalisierung in Britannien geprägt wurde. Für Gruppen und Gemeinschaften1 mit tatsächlich sehr unterschiedlichen Geschichten, Traditionen und ethnischen Identitäten wurde ›schwarz‹ zu einer organisierenden Kategorie für eine neue Politik des Widerstands. ›Die schwarze Erfahrung‹ beruht auf der Bildung einer gemeinsamen Identität über ethnische und kulturelle Differenzen zwischen unterschiedlichen Gemeinschaften hinweg. Sie gewann als ein einziger und vereinheitlichender Rahmen die Hegemonie über andere ethnische/›rassische‹ Identitäten, obwohl Letztere dadurch natürlich nicht verschwanden. Kulturell betrachtet war diese Analyse in ihrer eigenen Formulierung eine Kritik an der Weise, wie Schwarze als sprachlos und unsichtbar gemachte Andere in den vorherrschenden weißen ästhetischen und kulturellen Diskursen positioniert wurden.

Diese Analyse bezog sich auf die Marginalisierung der Erfahrung von Schwarzen in der britischen Kultur; sie hatte ihren Platz an den Rändern der Gesellschaft. Sie war nicht zufällig, sondern die Konsequenz einer Reihe von ganz spezifischen politischen und kulturellen Praktiken, die die repräsentativen und diskursiven Räume der englischen Gesellschaft regulieren, beherrschen und ›normalisieren‹. Diese Praktiken formten die Existenzbedingungen einer Kulturpolitik, die entworfen wurde, um sich den herrschenden Repräsentationsregimes zu widersetzen, sie in Frage zu stellen und wenn möglich zu transformieren – zuerst in Musik und Stil2, später in der Literatur und den visuellen Medien. In diesen Räumen waren die Schwarzen typischerweise die Objekte, selten jedoch die Subjekte der Repräsentationspraktiken. Der Kampf um die Einflussnahme auf die Repräsentation wurde ausgehend von einer Kritik an dem Grad der fetischisierten, objektivierenden und negativen Gestaltung geführt, die die Repräsentation des schwarzen Subjekts so sehr prägen. Es ging nicht einfach nur um das Fehlen und die Marginalität der Erfahrung von Schwarzen, sondern um ihre vereinfachte und stereotype Darstellung.

Die sich aus der Kritik entwickelnden kulturellen Politikformen und Strategien hatten viele Facetten, ihre hauptsächlichen Ziele waren die beiden folgenden: Erstens, die Frage des Zugangs zum Recht auf Repräsentation durch schwarze Künstler und Kulturproduzenten selbst. Zweitens, der Kampf gegen die Marginalität, gegen die stereotype Qualität und die fetischisierte und naturalisierte Art der Bilder über die Schwarzen, durch die Entgegensetzung einer ›positiven‹ schwarzen Bildersprache. Grundsätzlich zielten die Strategien auf eine Veränderung dessen, was ich die ›Repräsentationsverhältnisse‹ nennen würde.

Ich habe den sicheren Eindruck, dass wir gerade dabei sind, in eine neue Phase einzutreten. Doch müssen wir uns absolut darüber im Klaren sein, was wir mit einer ›neuen‹ Phase meinen. Sobald wir von einer neuen Phase sprechen, denken viele sofort daran, dass dies zu einer Ersetzung der einen Art von Politik durch eine andere führt. Ich rede aber gerade nicht von einer derartigen Verschiebung. Politik entwickelt sich nicht notwendigerweise aus einer solchen Abfolge von Gegensätzen und Umkehrungen, obwohl einige Gruppen und Individuen Angst davor haben, die Frage in dieser Weise auf die ›politische Bühne‹ zu bringen. Die ursprüngliche Kritik an den ›Rassen‹- und Repräsentationsverhältnissen und die sich daraus entwickelnden Politikformen sind nicht verschwunden und können möglicherweise auch nicht verschwinden, solange die sie verursachenden Bedingungen – kultureller Rassismus und seine Dewsbury-Form3 – unter dem Thatcherismus nicht nur weiterbestehen, sondern neue Blüten treiben. Es ist nicht denkbar, dass die neue Phase der Kulturpolitik von Schwarzen die alte einfach ersetzen könnte. Wenn dennoch der Kampf vorwärtsgeht und neue Formen annimmt, so zerstreut, reorganisiert und repositioniert er allmählich die unterschiedlichen kulturellen Strategien im Verhältnis zueinander. Wenn dies als ›Bürde der Repräsentation‹ gefasst werden kann, würde ich Folgendes sagen: Schwarze Künstler und Kulturproduzenten haben heute nicht an einer, sondern an zwei Fronten zu kämpfen. Das Problem ist, wie man diese Verschiebung charakterisiert, wenn wir darin übereinstimmen, dass es tatsächlich eine solche Verschiebung gegeben hat und immer noch gibt und dass die Sprache der binären Oppositionen und Substitutionen nicht länger ausreichend ist.

Die Verschiebung kann am besten als ein Übergang vom Kampf um die Repräsentationsverhältnisse zu einer Politik der Repräsentation selbst beschrieben werden. Es wäre nützlich, eine solche ›Politik der Repräsentation‹ in ihre unterschiedlichen Elemente aufzugliedern. Wir alle benutzen heutzutage das Wort Repräsentation, doch wie wir wissen, ist dieser Begriff nur schwer zu fassen. Der Begriff kann einerseits einfach als eine andere Möglichkeit benutzt werden, darüber zu sprechen, wie man sich eine Wirklichkeit vorstellt, die ›außerhalb‹ der Mittel existiert, durch die die Sachen repräsentiert werden: eine Konzeption, die auf einer mimetischen Theorie der Repräsentation basiert. Andererseits kann der Begriff ebenso eine sehr konsequente Verschiebung dieser unproblematischen Vorstellung von Repräsentation bedeuten. Meiner Ansicht nach haben Ereignisse, Verhältnisse und Strukturen ihre Existenzbedingungen und realen Effekte außerhalb der diskursiven Sphäre; aber nur innerhalb des Diskursiven, und vorbehaltlich seiner spezifischen Umstände, Grenzen und Modalitäten, haben sie Bedeutung oder können innerhalb eines Bedeutungsrahmens konstruiert werden. Auch wenn wir den räumlichen Anspruch des Diskursiven nicht unbegrenzt erweitern wollen, spielen die Repräsentation von Sachen, die Kulturindustrien und kulturellen Repräsentationsregimes eine konstitutive und keine bloß reflexive, erst nach dem Ereignis auftretende Rolle. Das gibt den Fragen der Kultur und Ideologie und den Repräsentationsszenarien – Subjektivität, Identität, Politik – einen gestaltenden und nicht lediglich einen expressiven Charakter bei der Konstitution von sozialem und politischem Leben. Es ist der Schritt hin zu dieser zweiten Bedeutung von Repräsentation, der gerade stattfindet und die Repräsentationspolitik der schwarzen Kultur transformiert.

Dieses komplexe Phänomen ist erstens der Effekt einer theoretischen Begegnung zwischen schwarzer Kulturpolitik und den Diskursen einer eurozentrischen, zum großen Teil weißen kritischen Kulturtheorie, die in den letzten Jahren in so vielen Analysen die Repräsentationspolitik in den Mittelpunkt gestellt hat. Eine solche Begegnung ist immer extrem schwierig, wenn nicht sogar gefährlich. (Ich denke besonders an die Schwarzen, die auf die poststrukturalistischen, postmodernistischen, psychoanalytischen und feministischen Diskurse stoßen.) Zweitens markiert es das, was ich nur als ›das Ende der Unschuld‹ oder das Ende einer unschuldigen Vorstellung vom wesenhaften schwarzen Subjekt bezeichnen kann. Auch dieses Ende des wesenhaften schwarzen Subjekts ist etwas, das viele verstärkt debattieren, ohne dass sie mit dem ganzen Ausmaß der politischen Konsequenzen gerechnet haben dürften. Es geht hier um die Anerkennung der außerordentlichen Verschiedenheit der Subjektpositionen, der sozialen Erfahrungen und kulturellen Identitäten, welche zusammen die Kategorie ›schwarz‹ bilden – um die Anerkennung der Tatsache, dass ›schwarz‹ eine wesentlich politisch und kulturell konstruierte Kategorie ist, die nicht auf einem Ensemble von festen transkulturellen oder transzendentalen ›rassischen‹ Kategorien gründet und deshalb auch keine Garantien in der Natur findet. So wird die Erkenntnis der immensen Mannigfaltigkeit und Differenzierung der historischen und kulturellen Erfahrungen schwarzer Subjekte ins Spiel gebracht. Unvermeidlich führt dies zur Abschwächung und zum allmählichen Verschwinden der Vorstellung, dass ›Rasse‹ oder einige mit dem Begriff ›Rasse‹ verwandte Vorstellungen von schwarz entweder die Wirksamkeit von kulturellen Praktiken garantieren oder in letzter Instanz ihren ästhetischen Wert bestimmen.

Wir sollten es so klar wie möglich sagen: Filme sind nicht notwendigerweise deshalb gut, weil Schwarze sie machen. Sie sind nicht notwendigerweise ›in Ordnung‹, weil sie sich mit der schwarzen Erfahrung befassen. Wer erst einmal in eine Politik einsteigt, die vom Ende des wesenhaften schwarzen Subjekts ausgeht, stürzt kopfüber in den Strudel einer durchgehend kontingenten politischen Auseinandersetzung und Debatte, die ohne letzte Garantien auskommt: eine kritische Politik, eine Politik der Kritik. Wir können schwarze Politik nicht länger mit der Strategie eines simplen Musters von Umkehrungen machen, indem auf den Platz des bösen alten, wesenhaft weißen Subjekts das neue, wesentlich gute, schwarze Subjekt gesetzt wird. Diese Formulierung könnte als Drohung erscheinen, ein geschlossenes politisches Weltbild zerstören zu wollen. Sie könnte aber auch mit besonderer Erleichterung begrüßt werden, weil jetzt etwas verschwindet, was einmal als eine notwendige Fiktion erschien. Dass nämlich entweder alle Schwarzen gut oder dass wirklich alle gleich sind. Schließlich ist es doch eine Kernaussage des Rassismus, dass ›man die Unterschiede nicht erkennen kann, weil alle gleich aussehen‹. Das macht es nicht viel leichter, sich vorzustellen, wie eine Politik entwickelt werden kann, die mit den Unterschieden und durch sie arbeitet, die imstande ist, solche Formen von Solidarität und Identifikation aufzubauen, die einen gemeinsamen Kampf und Widerstand ermöglichen, ohne jedoch die reale Heterogenität der Interessen und Identitäten zu unterdrücken. Eine Politik, die wirkungsvoll politische Grenzlinien zieht, ohne welche die politische Auseinandersetzung unmöglich ist, aber dabei die Grenzen nicht verewigt. Für schwarze Politik hat dies eine Bewegung zur Folge, die Gramsci den Übergang vom ›Bewegungskrieg‹ zum ›Stellungskrieg‹ nannte, den Kampf um Positionierungen. Die Schwierigkeit, ein solches Politikkonzept zu entwerfen (und die Versuchung, dabei in eine Art von endlos gleitenden liberal-pluralistischen Diskursen hineinzuschlittern), sollte uns aber nicht von der Aufgabe entbinden, eine solche Politik zu entwickeln.

Das Ende des wesenhaften schwarzen Subjekts führt auch zu der Erkenntnis, dass die zentralen Themen der ›Rasse‹ historisch immer in einer Artikulation und Formation mit anderen Kategorien und Spaltungen erscheinen und sich beständig mit den Kategorien von Klasse, Geschlecht und Ethnizität überkreuzen. (Ich mache hier eine Unterscheidung zwischen ›Rasse‹ und Ethnizität, auf die ich später zurückkomme.) Filme wie Territories4, Passion of Remembrance5, My Beautiful Laundrette6 und Sammy and Rosie Get Laid7 zeigen für mich ganz deutlich, dass dieser Wechsel bereits eingetreten ist und dass die Frage nach dem schwarzen Subjekt nicht ohne den Bezug auf die Dimensionen von Klasse, Geschlecht, Sexualität und Ethnizität dargestellt werden kann.

Differenz und Auseinandersetzung

Eine weitere Konsequenz dieser Politik der Repräsentation ist die langsame Erkenntnis von der tiefen Ambivalenz der Identifikation und des Begehrens. Gewöhnlich stellen wir uns Identifikation als einen einfachen Prozess vor, der um ein fixiertes ›Ich‹ strukturiert ist, das wir entweder sind oder nicht sind. Das Spiel mit Identität und Differenz, das den Rassismus konstruiert, erhält nicht nur dadurch seine Macht, dass Schwarze in die Position einer untergeordneten Spezies gebracht werden, sondern gleichzeitig auch durch unaussprechlichen Neid und Begehren. Dies anzuerkennen, verschiebt unsere bisherigen stabilen politischen Kategorien grundsätzlich, weil es einen Prozess von Identifikation und Anderssein impliziert, der viel komplexer ist, als wir ihn uns bisher vorstellten.

Natürlich operiert der Rassismus mit der Konstruktion von unüberschreitbaren symbolischen Grenzen zwischen ›rassisch‹ konstituierten Kategorien, sein typisch binäres Repräsentationssystem markiert, fixiert und naturalisiert unaufhörlich die Differenz zwischen Zugehörigkeit und Anderssein. Entlang dieser Grenzen entsteht das, was Gayatri Spivak (1987) die ›epistemische Gewalt‹ der Diskurse über den Anderen nennt – die imperialistischen, orientalistischen, exotischen, anthropologischen und folkloristischen Diskurse, und die über die Kolonisierten und die Primitiven. Konsequenterweise beruhte der antirassistische Diskurs oft auf einer Strategie der bloßen Umkehrung, indem er die ›manichäische Ästhetik‹ des kolonialistischen Diskurses auf den Kopf stellte. Die epistemische Gewalt ist jedoch, wie Fanon uns häufig erinnert hat, gleichzeitig Außen und Innen und funktioniert durch einen Aufsplitterungsprozess auf beiden Seiten der Teilung – drinnen wie auch draußen. Aus diesem Grund ist es nicht nur eine Frage von ›schwarzer Haut und weißer Haut‹, sondern von ›schwarzer Haut und weißen Masken‹ – der Internalisierung des Selbst als Anderes. So wie Männlichkeit immer Weiblichkeit in Form eines Doppels konstruiert – gleichzeitig Heilige und Hure – so konstruiert der Rassismus das schwarze Subjekt: edler Wilder und gewalttätiger Rächer. In dieser Dopplung vertreten sich Furcht und Begehren gegenseitig, spielen durch die Strukturen des Andersseins hindurch und verkomplizieren ihre Politik.

Neulich las ich mehrere Artikel über die fotografischen Texte von Robert Mapplethorpe, insbesondere über seine Darstellung der nackten, schwarzen Männlichkeit, die alle von schwarzen Kritikern oder Kulturproduzenten verfasst waren.8 Diese Abhandlungen beginnen korrekterweise damit, in Mapplethorpes Arbeit den bildlichen Ausdruck von Fetischisierung, die Fragmentierung des Bildes vom Schwarzen sowie seine Verobjektivierung als Formen der Aneignung durch den weißen schwulen Blick zu identifizieren. Bei der Lektüre wurde mir jedoch klar, dass sowohl bei der Produktion als auch beim Lesen der Texte noch etwas anderes passiert. Die anhaltende Beschäftigung mit der Arbeit von Mapplethorpe erschöpft sich nicht darin, dass er als weißer, fetischistischer, schwuler Fotograf gefasst werden konnte; dies deshalb nicht, weil seine Arbeit auch durch die heimliche Rückkehr des Wunsches geprägt ist – jene tiefe Ambivalenz der Identifikation, welche die Kategorien extrem problematisch macht, die wir eben angedacht und im Zusammenhang von schwarzer Kulturpolitik und schwarzen Kulturtexten diskutiert haben. Dies bringt die unerfreuliche Tatsache ans Licht, dass ein großer Teil schwarzer Politik, der sich direkt im Zusammenhang mit den Fragen von ›Rasse‹ und Ethnizität entwickelte, unter der Annahme formuliert wurde, dass die Kategorien von Geschlecht und Sexualität die gleichen bleiben würden, dass sie festgeschrieben und für immer abgesichert seien. Die neue Politik der Repräsentation stellt sie in Frage, sie überkreuzt die Fragen von Rassismus unwiderruflich mit Fragen der Sexualität. Dies ist es, was für viele unserer festen politischen Gewohnheiten an dem Film Passion of Remembrance so beunruhigend ist. Diese doppelte Brechung beinhaltet eine andere Weise von Politik, da sich radikale schwarze Politik häufig um bestimmte Konzeptionen von schwarzer Männlichkeit stabilisiert hat, die erst jetzt von schwarzen Frauen und schwarzen schwulen Männern in Frage gestellt werden. Auch in der Klassenfrage wurde schwarze Politik an bestimmten Punkten durch eine tiefe Abwesenheit oder, noch typischer, durch ein ausweichendes Schweigen untermauert.

Ein anderes, in die neue Politik der Repräsentation eingeschriebenes Element hat mit der Frage nach Ethnizität zu tun. Ich bin mir all der Gefahren bewusst, die mit dem Konzept der Ethnizität zusammenhängen, und habe mich selbst über die Tatsache geäußert, dass Ethnizität in Form einer kulturell konstruierten Bedeutung von Englischsein und einer besonders geschlossenen, ausschließenden und regressiven Form von englischer nationaler Identität einer der Kernbestandteile des heutigen britischen Rassismus ist (Hall 1978c). Ich bin mir auch sehr wohl darüber bewusst, dass sich antirassistische Politikformen oft im Widerstreit zur ›Multiethnizität‹ und zum ›Multikulturalismus‹ entwickelt haben. Andererseits denke ich, so wie sich die Politik der Repräsentation des schwarzen Subjekts verändert, werden wir einen erneuerten Streit über die Bedeutung des Begriffs ›Ethnizität‹ selbst erleben.

Wenn das schwarze Subjekt und die schwarze Erfahrung nicht durch die Natur oder andere wesenhafte Garantien stabilisiert werden, dann müssen sie historisch, kulturell und politisch konstruiert sein – der Begriff, der dies bezeichnet, ist der der ›Ethnizität‹. Dieser Begriff erkennt den Stellenwert von Geschichte, Sprache und Kultur für die Konstruktion von Subjektivität und Identität an, sowie die Tatsache, dass jeder Diskurs platziert, positioniert und situativ ist und jedes Wissen in einem Kontext steht. Repräsentation ist nur deshalb möglich, weil jede Ausdrucksweise immer innerhalb von Codes produziert wird, die eine Geschichte und eine Position innerhalb der diskursiven Formationen eines bestimmten Raumes und einer bestimmten Zeit haben. Die Zerstreuung der im ›Zentrum‹ stehenden westlichen Diskurse hat die Infragestellung ihres universalistischen Charakters und ihres übergreifenden Anspruchs, für alle zu sprechen, zur Folge, während sie selbst überall und nirgends sind. Die Tatsache, dass diese Begründung von Ethnizität mit Differenz im rassistischen Diskurs als ein Mittel entwickelt wurde, um die Realität von Rassismus und Unterdrückung zu leugnen, kann nicht bedeuten, dass wir es zulassen, dass dieser Begriff auf Dauer kolonisiert bleibt. Diese Aneignung wird erkämpft werden müssen, der Begriff wird von seiner Position im ›Multikulturalismus‹-Diskurs desartikuliert und umcodiert werden müssen, so wie wir eben erst den Begriff ›schwarz‹ von seinem Platz im System negativer Gleichsetzungen herauslösen mussten. Die neue Politik der Repräsentation setzt daher auch einen ideologischen Streit über den Begriff ›Ethnizität‹ in Gang. Um jedoch diese Bewegung weiter zu verfolgen, werden wir das Konzept der Differenz neu theorisieren müssen.

Es sieht so aus, als ob wir jetzt in den verschiedenen Praktiken und Diskursen schwarzer Kulturproduktionen damit beginnen würden, genau solche neuen Konzeptionen von Ethnizität zu sehen: eine neue kulturelle Politik, die Differenzen eher unterstützt als unterdrückt und die zum Teil von der kulturellen Konstruktion neuer ethnischer Identitäten abhängig ist. Differenz ist ebenso schwierig zu fassen wie Repräsentation und daher ein umkämpfter Begriff. Es gibt die ›Differenz‹, die eine radikale und unüberbrückbare Trennung verursacht. Und es gibt eine ›Differenz‹, die positional, konditional und konjunkturell ist und eher Derridas Begriff der différance entspricht, obwohl wir, wenn wir daran interessiert sind, Politik zu machen, den Begriff nicht ausschließlich durch ein endloses Gleiten des Signifikanten bestimmen können. Wir haben immer noch eine Menge Arbeit vor uns, um den Begriff Ethnizität, so wie er im herrschenden Diskurs funktioniert, von seinen Äquivalenzen mit Nationalismus, Imperialismus, Rassismus und dem Staat zu entkoppeln, die die Anknüpfungspunkte sind, an denen eine charakteristische britische oder (genauer gesagt) englische Ethnizität gebildet worden ist. Trotzdem denke ich, dass ein solches Projekt nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist. In der Tat ist die Entkopplung der Ethnizität von der Gewalt des Staates in einigen neuen Formen kultureller Praktiken enthalten, wie sie zum Beispiel in Filmen wie Passion und Handworth Songs9 vorkommen. Wir beginnen darüber nachzudenken, wie eine weniger zwangsförmige und stärker differenzierte Konzeption von Ethnizität repräsentiert werden kann, um diese gegen die befestigte, hegemoniale Konzeption des Englischseins zu setzen, die unter dem Thatcherismus so vieles in den dominanten politischen und kulturellen Diskursen stabilisiert hat und die sich, da sie hegemonial ist, überhaupt nicht als Ethnizität darstellt.

Dies markiert eine reale Verschiebung des Gegenstandes der Auseinandersetzung, da es nicht mehr nur noch um den Streit zwischen Antirassismus und Multikulturalismus geht, sondern um die Vorstellung von Ethnizität selbst. Damit hängt die Aufteilung des Begriffs der Ethnizität zusammen: einerseits in die dominante Vorstellung, welche diesen mit Nation und ›Rasse‹ verknüpft, andererseits in die, von der ich denke, dass sie der Anfang einer positiven Konzeption von Ethnizität an den Rändern und in der Peripherie ist. Das ist sozusagen die Anerkennung dessen, dass wir alle von einer bestimmten gesellschaftlichen Position aus sprechen, aus einer bestimmten Geschichte heraus, aus einer bestimmten Erfahrung, einer bestimmten Kultur, ohne durch diese Position wie ein ›ethnischer Künstler‹ oder Filmemacher eingeschränkt zu werden. In diesem Sinne sind wir alle ethnisch verortet, unsere ethnischen Identitäten sind für unsere subjektive Auffassung darüber, wer wir sind, entscheidend. Doch diese Erkenntnis schließt ein, dass eine solche Ethnizität nicht, wie es das Englischsein war, dazu verdammt ist, nur durch Marginalisierung, Enteignung, Verdrängung und das Vergessen anderer Ethnizitäten zu überleben. Dies ist genau eine Politik der Ethnizität, die auf Differenz und Verschiedenheit basiert.

Der letzte Punkt, von dem ich denke, dass er in dieser neuen Repräsentationspolitik enthalten ist, hat mit dem Bewusstsein zu tun, dass die Erfahrung der Schwarzen eine Erfahrung der Diaspora ist und dass dies Konsequenzen für den Prozess des Durcheinanderwerfens, des Wiederzusammensetzens, der Hybridisierung und des ›Schneidens und Mixens‹, kurz, einen Prozess der kulturellen Diasporaisierung (um einen hässlichen Begriff zu prägen) mit sich bringt. Im Falle des hier diskutierten jungen schwarzen britischen Films und seiner Filmemacher/innen wird die Erfahrung der Diaspora sicherlich grundsätzlich gespeist und gestärkt durch die Herausbildung des Dritte-Welt-Films, die afrikanische Erfahrung, die Verbundenheit mit der afrokaribischen Erfahrung und das tiefverwurzelte Erbe komplexer Repräsentationssysteme und ästhetischer Traditionen der asiatischen und afrikanischen Kultur. Doch trotz dieser reichen kulturellen ›Wurzeln‹ arbeiten die neuen kulturellen Politikformen auf neuem, recht unterschiedlichem Terrain – insbesondere, was die Auseinandersetzung darüber angeht, was es heißt, ›britisch‹ zu sein. Die Verbindung dieser kulturellen Politikformen zur Vergangenheit, zu ihren unterschiedlichen ›Wurzeln‹ ist weitreichend, doch komplex. Sie kann nicht einfach oder unvermittelt sein. Wie uns das der Film Dreaming Rivers ins Gedächtnis ruft, ist sie durch Erinnerung, Phantasie und Verlangen komplex vermittelt und umgeformt; oder ihre Verbindung ist, wie uns sogar ein explizit politischer Film wie Handworth Songs klar verdeutlicht, intertextuell – vermittelt durch eine Vielfalt anderer ›Texte‹. Daher kann es auch keine einfache ›Wiederkehr‹ oder ›Wiederentdeckung‹ einer ursprünglichen Vergangenheit geben, die nicht durch die Kategorien der heutigen Zeit hindurch erfahren wird: Es gibt für kreative Aussagen keine Basis in einer einfachen Reproduktion von traditionellen Formen, die nicht durch neue Technologien und Identitäten der Gegenwart transformiert sind. Das wurde durch einen Film wie Blacks Britannica schon früh und kürzlich durch Paul Gilroys wichtiges Buch There Ain’t no Black in the Union Jack (1987) erneut signalisiert. Vor fünfzehn Jahren haben wir uns oder zumindest ich mich nicht darum gekümmert, ob im Union Jack schwarz vorkommt. Nun tun wir es nicht nur, wir müssen es auch tun.

Übersetzt von Joachim Gutsche und Dominique John

* Dieser Artikel basiert auf einem Vortrag auf der Konferenz Black Film, British Cinema im Februar 1988, die vom Institute of Contemporary Arts in London organisiert wurde.

1 Der Begriff Community bezeichnet im Englischen eine Gemeinschaft, die sich räumlich auf den gemeinsamen Stadtteil oder die Nachbarschaft beziehen kann. Gleichzeitig verweist er darüber hinaus auf einen sozialen, kulturellen und/oder politischen Zusammenhang. Siehe zum Beispiel die Black oder Gay Community. Im Folgenden wird der Begriff im Deutschen mit Gemeinschaft übersetzt, ein Ausdruck, der immer noch besser als Gemeinde, Gemeinwesen oder Stadtteil für die Wiedergabe des Englischen geeignet ist. (A. d. Ü.)

2 Der Begriff des Stils stammt aus der Subkulturforschung des CCCS (vgl. Clarke u.a. 1979). Die verschiedenen subkulturellen Jugendstile, von den Teds und Mods bis zu den Skinheads und Punks, »wurden als symbolische Lösungen für das Problem der Generationen- und Klassenherrschaft und als ein Mittel interpretiert, einen kulturellen Raum für Jugendliche zu markieren und zu erobern.« (Willis 1991, 110) Stilschöpfung bedeutet in diesem Kontext die Aneignung und Neukodierung von Alltagsgegenständen, Symbolen und Waren, die von den Jugendgruppen zur Konstruktion eigener Stile verwendet wurden (Kleidung, Sprache, Musik), und die Verbindung der aktiven »Organisation von Objekten mit Aktivitäten und Ansichten, welche eine organisierte Gruppen-Identität in Form einer kohärenten und eigenständigen Daseinsweise in der Welt produzieren.« (Clarke u.a. 1979, 104f.) (A. d. Ü.)

3 Die Stadt Dewsbury in Yorkshire geriet ins Zentrum der nationalen Aufmerksamkeit, als weiße Eltern ihre Kinder aus einer öffentlichen Schule mit hauptsächlich asiatischen Schüler/innen nahmen, mit der Begründung, dass ›englische‹ Kultur nicht mehr länger auf dem Lehrplan stehe. Der Auseinandersetzung um multikulturelle Erziehung von Seiten der Rechten lagen auch die Kontroversen um den Bradforder Direktor Ray Honeyford zugrunde (Gordon 1987).

4 Buch und Regie: SANKOFA (the Black Film and Video Group), GB 1984/85, vgl. das Interview mit Isaac Julien in Framework 26/27 (1985), 2–9 (A. d. Ü.)

5 Buch und Regie: SANKOFA, GB 1986, vgl. das Interview mit der Gruppe und den Artikel von Martina Attille in Framework 32/33 (1986), 92–103 (A. d. Ü.)

6 Buch: Hanif Kureishi, Regie: Stephen Frears, GB 1985 (deutsche Fassung: Mein wunderbarer Waschsalon) (A. d. Ü.).

7 Buch: Hanif Kureishi, Regie: Stephen Frears, GB 1987 (deutsche Fassung: Sammy und Rosie tun es) (A. d. Ü.)

8 Mercer (1987), vgl. auch mehrere Artikel in der Zeitschrift Ten.8, Nr. 22/1986 zu dem Themenschwerpunkt ›Black Experiences‹, herausgegeben von David A. Bailey.

9 Buch und Regie: The Black Audio Collective, GB 1986, vgl. das Interview mit der Gruppe und den Artikel von R. Auguiste: Some Background Notes in Framework 35/1988, 4–18. (A. d. Ü.)

Kulturelle Identität und Diaspora

Ein neuer karibischer Film ist im Entstehen, der das Genre des ›Dritte-Welt-Films‹ ergänzt. Er ähnelt den pulsierend-lebendigen Filmen und anderen Formen visueller Repräsentation afrokaribischer (und asiatischer) ›Schwarzer‹ – den neuen postkolonialen Subjekten – in der Diaspora des Westens, und doch unterscheidet er sich von ihnen. Alle diese kulturellen Praktiken und Formen der Repräsentation rücken das schwarze Subjekt in ihr Zentrum und stellen das Thema der kulturellen Identität in Frage. Wer ist dieses sich entwickelnde, neue Subjekt des Films und von wo aus spricht es? Tätigkeiten der Repräsentation schließen immer Positionen ein, von denen aus wir sprechen oder schreiben: Positionen der Artikulation (enunciation). Während wir meinen, sozusagen in ›unserem eigenen Namen‹, von uns selbst und unserer eigenen Erfahrung zu sprechen, legen neue Artikulationstheorien nahe, dass der Sprechende und das Subjekt, über das gesprochen wird, niemals identisch sind und niemals exakt den gleichen Platz einnehmen. Identität ist weder so vollkommen transparent noch so unproblematisch, wie wir denken. Statt Identität als eine schon vollendete Tatsache zu begreifen, die erst danach durch neue kulturelle Praktiken repräsentiert wird, sollten wir uns vielleicht Identität als eine ›Produktion‹ vorstellen, die niemals vollendet ist, sich immer in einem Prozess befindet und immer innerhalb – nicht außerhalb – der Repräsentation konstituiert wird. Diese Sichtweise hinterfragt die Autorität und Authentizität, die der Begriff der ›kulturellen Identität‹ für sich beansprucht.

Wir versuchen hier, einen Dialog, eine Untersuchung zum Thema kulturelle Identität und Repräsentation zu eröffnen. Selbstverständlich muss auch das ›Ich‹, das hier schreibt, selbst als ein ›artikuliertes‹ gedacht werden. Wir alle haben einen bestimmten Ort, eine bestimmte Zeit, eine spezifische Geschichte und Kultur, von denen aus wir schreiben und sprechen. Was wir sagen, steht immer ›in einem Kontext‹ und ist positioniert. Ich wurde in Jamaika geboren und verbrachte dort meine Kindheit und Jugend in einer Familie der unteren Mittelschicht. Als Erwachsener habe ich in England, im Schatten der schwarzen Diaspora – ›im Bauch der Bestie‹ – gelebt. Ich schreibe vor dem Hintergrund einer lebenslangen Beschäftigung mit Cultural Studies. Wenn der Eindruck entsteht, der vorliegende Text sei von den Erfahrungen der Diaspora und von ihren Erzählungen über Verschleppung bestimmt, dann sollten wir uns daran erinnern, dass jeder Diskurs ›platziert‹ ist, und somit auch das, woran das eigene Herz hängt, seine Gründe hat.

Es gibt mindestens zwei unterschiedliche Wege, über ›kulturelle Identität‹ nachzudenken. Die erste Position bestimmt ›kulturelle Identität‹ im Sinne einer gemeinsamen Kultur, eines kollektiven ›einzig wahren Selbstes‹, das hinter vielen anderen, oberflächlicheren oder künstlich auferlegten ›Selbsten‹ verborgen ist und das Menschen mit einer gemeinsamen Geschichte und Abstammung miteinander teilen. Nach dieser Definition reflektieren unsere kulturellen Identitäten die gemeinsamen historischen Erfahrungen und die gemeinsam genutzten kulturellen Codes, die uns als ›einem Volk‹, unabhängig von den sich verändernden Spaltungen und Wechselfällen in unserer aktuellen Geschichte, einen stabilen, gleichbleibenden und dauerhaften Referenz- und Bedeutungsrahmen zur Verfügung stellen. Diese ›Einheit‹, die allen anderen oberflächlicheren Differenzen zugrunde liegt, ist die Wahrheit oder das Wesen des ›Karibischseins‹ bzw. der schwarzen Erfahrung. Es ist diese Identität, die von einer karibischen oder schwarzen Diaspora entdeckt, ausgegraben, ans Licht gebracht und durch filmische Repräsentation ausgedrückt werden muss.

Ein derartiges Konzept kultureller Identität spielte in allen postkolonialen Kämpfen, die unsere Welt so tiefgreifend umgestaltet haben, eine entscheidende Rolle. Es stand schon zu Beginn des Jahrhunderts im Zentrum der Vision von Dichtern der ›Négritude‹, wie Aimé Césaire und Léopold Senghor1 und im Zentrum der Vision des panafrikanischen politischen Projektes. Es ist weiterhin eine äußerst machtvolle und kreative Kraft für die sich entwickelnden Repräsentationsformen heute marginalisierter Völker. In den postkolonialen Gesellschaften ist die Wiederentdeckung dieser Identität, wie Frantz Fanon es einmal nannte, zum Objekt einer »leidenschaftlichen Suche« geworden, die

»von der geheimen Hoffnung genährt und geleitet wird, jenseits der gegenwärtigen Misere, dieser Selbstverachtung, dieser Abdankung und Selbstverleugnung, eine schöne und leuchtende Ära zu finden, die uns sowohl vor uns selbst als auch vor den anderen rehabilitiert.« (Fanon 1981, 178)

Neue Formen kultureller Praxis in diesen Gesellschaften richten sich zu Recht an diesem Projekt aus, denn nach Fanon

»gibt sich [der Kolonialismus] nicht damit zufrieden, das Volk in Ketten zu legen, jede Form und jeden Inhalt aus dem Gehirn des Kolonisierten zu vertreiben. Er kehrt die Logik gleichsam um und richtet sein Interesse auch auf die Vergangenheit des unterdrückten Volkes, um sie zu verzerren, zu entstellen und auszulöschen.« (Ebd.)

Mit seiner Beobachtung stellt Fanon die Frage nach der Natur dieser ›tiefgehenden Suche‹, die die neuen Formen visueller und filmischer Repräsentation antreibt. Geht es nur um die Erschließung dessen, was die koloniale Erfahrung begraben und überlagert hat, darum, die versteckten Kontinuitäten ans Licht zu bringen, die von der kolonialen Erfahrung unterdrückt worden sind? Oder erfordert diese Forschung eine gänzlich andere Praxis, nicht die Wiederentdeckung, sondern die Produktion von Identität, nicht eine Identität, die sich in der Archäologie, sondern in der Wieder-Erzählung der Vergangenheit finden lässt?

Wir sollten jedoch zunächst nicht die Bedeutung dieses Aktes der imaginären Wiederentdeckung unterschätzen oder vernachlässigen, die mit dem Konzept einer wiederentdeckten, wesenhaften Identität verbunden ist. ›Verborgene Geschichten‹ haben in der Entwicklung der wichtigsten sozialen Bewegungen unserer Zeit eine bedeutende Rolle gespielt: im Feminismus, im Antikolonialismus und im Antirassismus. Die fotografischen Arbeiten einer Künstlergeneration von Jamaikaner/innen und Rastafaris wie z.B. Armet Francis (ein in Jamaika geborener Fotograf, der seit seinem achten Lebensjahr in Britannien lebt) sind Zeugnis für die anhaltende kreative Macht dieser Identitätskonzeption innerhalb der entstehenden Repräsentationspraktiken. Francis’ Fotografien von Menschen des Schwarzen Dreiecks, die in Afrika, in der Karibik, in den USA und im Vereinigten Königreich aufgenommen worden sind, versuchen »die tiefe Einheit der schwarzen Menschen, die durch Kolonisierung und Sklaverei über die afrikanische Diaspora verteilt wurden«, in visueller Form zu rekonstruieren. Seine Arbeit ist ein Akt imaginärer Wiedervereinigung.