Raus aus den Lebensfallen - Eckhard Roediger - E-Book

Raus aus den Lebensfallen E-Book

Eckhard Roediger

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Beschreibung

Das ganze Potenzial nutzen, das in uns steckt „Warum passiert mir das immer wieder?!“ Wenn Sie sich das fragen, dann sitzen Sie vermutlich in einer Lebensfalle. Lebensfallen sind Erlebens- und Verhaltensmuster, die sich seit der Kindheit und Jugend in uns einprägen, unser Bild der Welt verzerren und uns unbewusst nach den alten Regeln handeln lassen. Manche machen so lange „mehr desselben“, bis sie Krankheitssymptome entwickeln. Eine Schematherapie macht diese Muster bewusst und löst „alte Knoten“ auf, sodass wir eine neue Sicht auf die Dinge bekommen und uns freier verhalten können. Erst dann können wir die „Wunden“ heilen, die Krankheitssymptome loslassen und das ganze Potenzial nutzen, das in uns steckt. Auf leicht verständliche Weise stellt die überarbeitete Neuauflage dieses Klassikers (mehr als 35.000 verkaufte Exemplare) das aktuelle Modell und den Ablauf der Schematherapie dar. Sowohl die Schemata als auch das Modusmodell werden ausführlich beschrieben, ebenso die besondere Art der therapeutischen Beziehung und der Ablauf der speziellen erlebnisaktivierenden Techniken.

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Eckhard RoedigerRaus aus den Lebensfallen!Das Schematherapie-Begleitbuch

Über dieses Buch

Das ganze Potenzial nutzen, das in uns steckt 

„Warum passiert mir das immer wieder?!“ Wenn Sie sich das fragen, sitzen Sie vermutlich in einer Lebensfalle. Lebensfallen sind Erlebens- und Verhaltensmuster, die sich seit der Kindheit und Jugend in uns einprägen. Sie verzerren unser Bild der Welt und lassen uns unbewusst nach alten Regeln handeln. Eine Schematherapie macht diese Muster bewusst und löst „alte Knoten“ auf. Mit einer neuen Sicht auf die Dinge werden wir auch freier in unserem Verhalten. Dann können wir die „Wunden“ heilen, die Krankheitssymptome loslassen und das ganze Potenzial nutzen, das in uns steckt. 

Auf leicht verständliche Weise stellt die überarbeitete Neuauflage dieses Klassikers das aktuelle Modell und den Ablauf der Schematherapie dar. Sowohl die Schemata als auch das Modusmodell werden ausführlich beschrieben, ebenso die besondere Art der therapeutischen Beziehung und der Ablauf der speziellen erlebnisaktivierenden Techniken.

Dr. med. Eckhard Roediger ist Neurologe, Psychiater und Arzt für psychotherapeutische Medizin mit Ausbildungen in tiefenpsychologischer und Verhaltenstherapie. Er ist als Dozent und Supervisor für Verhaltenstherapie und Schematherapie tätig, ist Leiter des Instituts für Schema­therapie Frankfurt und Sekretär der Internationalen Gesellschaft für Schematherapie (ISST).

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2010 3., überarbeitete Auflage 2023

Coverfoto: © ChantalS – AdobeStock

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2023

ISBN der Printausgabe: 978-3-7495-0480-0

ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0481-7 (EPUB), 978-3-7495-0482-4 (PDF).

Vorwort

Danke, dass Sie sich für dieses Buch interessieren. Egal, ob Sie wissen wollen, was es mit der Schematherapie auf sich hat, ob Sie sich für eine Therapie vorbereiten möchten oder einfach nur mehr darüber erfahren wollen, wie Menschen seelisch „funktionieren“. Das Buch beschreibt Ihnen die Grundlagen der seelischen Prozesse, wie die Schematherapie sie sieht und wie eine Schematherapie abläuft. Es führt Sie ein in die besondere Beziehungsgestaltung, die speziellen Therapietechniken und die Arbeitsblätter. Wenn Sie bereits über psychologische Kenntnisse verfügen, darf ich Ihnen ergänzend mein Buch Was ist Schematherapie? empfehlen (siehe Literatur).

Heute wollen Menschen sich nicht mehr einfach einer Therapie aussetzen. Sie wollen verstehen, worauf sie sich einlassen, und möchten aktiv mitarbeiten. Viele informieren sich im Internet oder bereiten sich mit Büchern wie diesem auf die Therapie vor. Nicht umsonst spricht man von „mündigen Patientinnen und Patienten“ und einer partnerschaftlichen Beziehungsgestaltung in der Therapie. Tatsächlich können grundsätzliche Informationen darüber, wie seelische Prozesse ablaufen und wie man diese beeinflussen kann, besonders am Anfang einer Therapie sehr hilfreich sein. In der Schematherapie werden alle Dinge offen mit Ihnen besprochen, es gibt keine Geheimnisse. Daher werden Ihnen Ihre Therapeutin oder Ihr Therapeut am Anfang einiges erklären. Dieses Buch unterstützt und entlastet uns als Therapierende bei dieser Wissensvermittlung. Außerdem gibt es einige ganz interessante Erklärvideos (sogenannte Tutorials) auf der Webseite des Frankfurter Schematherapie-Instituts1. Es kann aber sein, dass die Menschen, die Sie behandeln, die Dinge ein klein wenig anders darstellen als in diesem Buch oder in den Videos beschrieben. Das Modell der Schematherapie ist komplex, recht neu und daher noch in Entwicklung, sodass es manchmal im Detail unterschiedliche Auffassungen gibt.

Dieses Buch gibt Ihnen einen Überblick über typische Vorgehensweisen. Aber Schematherapien verlaufen (anders als der Name vielleicht vermuten lassen könnte) nicht „schematisch“, sondern sehr individuell. Das hängt auch von der Persönlichkeit der Therapierenden ab. Möglicherweise wird Ihr Therapeut oder Ihre Therapeutin nicht alle Techniken einsetzen, die in diesem Buch beschrieben sind. Das ist auch gar nicht nötig. Andererseits wird er oder sie vielleicht andere Techniken benutzen. Das kann mit deren speziellem Ausbildungshintergrund zusammenhängen. Die Therapierenden sollen das machen, was sie am besten können und womit sie sich auch selbst am wohlsten fühlen. Wundern Sie sich bitte daher nicht, wenn diese an manchen Stellen anders vorgehen als in diesem Buch beschrieben. Lassen Sie sich einfach darauf ein und machen Sie ein „Verhaltensexperiment“. Nachher sind Sie klüger. Es gibt viele Wege, die nach Rom führen – in diesem Buch ist nur einer davon beispielhaft beschrieben.

Wenn Sie Fragen haben, stellen Sie sie ruhig. Sie können sich darauf verlassen, dass auch kritische Fragen angehört und wohlwollend beantwortet werden. Mehr dazu in Kapitel 5.

Wie gesagt, erklärt dieses Buch das mögliche Vorgehen in einer Schematherapie. Es ist damit in erster Linie kein Selbsthilfebuch (obwohl Sie viel über sich erfahren können), sondern will der Information bzw. der Therapievorbereitung und -begleitung dienen. Diejenigen, die sich mehr über die Hintergründe in einer allgemeinverständlichen Sprache informieren möchten, werden an dem Buch Wer A sagt, muss noch lange nicht B sagen (Roediger 2014) Freude haben. Wenn Sie sich über das hier Gelesene hinaus weiter mit Ihren Schemata auseinandersetzen und damit arbeiten möchten, empfehle ich Ihnen das Buch Sein Leben neu erfinden von Jeffrey Young und Janet Klosko (siehe Literatur). Im Unterschied zu dem Buch von Young und Klosko, das ausschließlich auf dem Schemamodell basiert, beschreibt das Buch, das Sie jetzt in den Händen halten, auch das (neuere) Modusmodell, mit dem heute überwiegend in der Therapie gearbeitet wird. Menschen mit Ängsten oder Depressionen können sich zu diesen beiden Krankheitsbildern umfassend in meinen Ratgebern (siehe Literatur) informieren.

Zur Veranschaulichung begleitet uns eine Beispielpatientin (Susanne) durch das ganze Buch und macht mit uns alle Therapieschritte mit. Ansonsten wurde auf Fallbeispiele verzichtet, weil sich die Menschen doch immer wieder mit diesen Beispielen vergleichen. Dieses Buch will Ihnen aber bei Ihrer individuellen Therapievorbereitung helfen, und jede Therapie ist ein Einzelfall. Sie haben stattdessen die Möglichkeit, die Arbeitsblätter im Anhang für sich selbst auszufüllen. Darüber hinaus finden Sie dort Hinweise auf weiterführende Literatur und Tipps für die Suche nach einem Therapeuten oder einer Therapeutin. Weiteres Informations- und Arbeitsmaterial finden Sie auf der Webseite: http://www.schematherapie-roediger.de unter den Menüpunkten „Materialien“ und „Arbeitsblätter“ bzw. auf der Seite des Frankfurter Schematherapie-Instituts (IST-F), ebenfalls unter Materialien. Dort finden Sie auch die erwähnten Video-Tutorials.

Die Sprache des Buches will anschaulich und plastisch sein. Daher werden oft Bezüge zum Alltagsleben, zu Sprichwörtern und Märchen gezogen, in denen viel Lebensweisheit steckt. Die ist auch in einer Therapie hilfreich. Wenn Ihnen ein Zusammenhang oder eine Abbildung nicht sofort verständlich ist, überspringen Sie getrost diese Stelle und lesen Sie einfach weiter. Vielleicht klappt es bei einem späteren Lesen besser. Sie werden als Leserin und Leser häufig persönlich angesprochen. Bei allgemeineren Aussagen wird im Plural von Therapierenden und Behandelten gesprochen, um die Geschlechterneutralität zu wahren. Ich hoffe, dass durch die Verwendung dieser substantivierten Verben die Lesbarkeit erhalten bleibt. Ich persönlich mag keine Sternchen, Doppelpunkte oder Unterstriche in den Worten und habe daher diesen Weg gewählt.

Seit der zweiten Auflage ist einige Zeit ins Land gegangen und die Dinge haben sich weiterentwickelt. Daher freue ich mich über die Gelegenheit, in dieser nun dritten Auflage den aktuellen Stand der Schematherapie einzuarbeiten. Dazu haben viele Behandelte, Kollegen in der Supervision und Teilnehmende in Fortbildungskursen mit ihren anregenden Fragen beigetragen, deren Beantwortung mein eigenes Verständnis immer weiter vertieften. Aus den vielfältigen Antworten heraus ist dieses Buch entstanden. Dafür bin ich allen dankbar, ohne jemanden namentlich hervorheben zu wollen. Wenn es anschaulich geworden ist, ist das auch der Verdienst all dieser Menschen. Herrn Dr. Dietrich und Frau Carstensen vom Junfermann Verlag danke ich für die immer unkomplizierte Zusammenarbeit und die Bereitschaft, das Buch zu diesem günstigen Preis herauszugeben. Und natürlich danke ich auch Ihnen, dass Sie dieses Buch gekauft haben. Wenn es nicht so viele Leserinnen und Leser gäbe, wäre wohl keine dritte Auflage zustande gekommen.

Ich wünsche mir, dass es Ihnen weiterhilft. Dann hat sich die Mühe des Schreibens gelohnt!

Und nun viel Freude und Anregungen beim Lesen …

1https://www.schematherapie-frankfurt.de/index.php/materialien-3/schematherapie-videos/tutorials

1. Einleitung

Kennen Sie das? Sie fahren Auto, jemand schneidet Sie beim Überholen und Sie merken, wie eine Riesenwut in Ihnen aufsteigt. Sie beschimpfen die Person, die das andere Auto fährt, und Ihr Partner oder die Partnerin fragt: „Warum regst du dich eigentlich so auf?“ Sie versuchen sich zu rechtfertigen und erklären, dass das doch unmöglich sei, so Auto zu fahren! Der Partner oder die Partnerin sagt, das sei ja alles gut und schön, aber doch kein Grund, sich dermaßen aufzuregen. Zunächst denken Sie, dass der Mensch im anderen Auto Ihre Wut ausgelöst hat und dass es normal sei, sich darüber aufzuregen. Aber irgendwann fällt Ihnen auf, dass Ihnen das immer wieder passiert und andere offensichtlich mit der gleichen Situation anders umgehen. Und wenn Sie dann versuchen, sich weniger aufzuregen, merken Sie, dass das gar nicht so einfach ist, denn Sie sitzen in einer „Lebensfalle“. So geht es auch Susanne, deren Geschichte und ihr Ringen um eine Lösung uns durch das Buch begleiten werden:

Susanne ist das ältere Mädchen von zwei Kindern, der Bruder ist knapp zwei Jahre jünger. Die Mutter war kränklich und mit den Kindern überfordert. Der despotische Vater trank häufig Alkohol und hatte dann Wutausbrüche. Er hat die Mutter körperlich misshandelt und Susanne entwertet („Du bist ja nur ein Mädchen, mit dir kann man sowieso nichts Richtiges anfangen. Frauen sind nur gut fürs Bett und den Haushalt!“). Den Bruder zog er dagegen vor. Die schwache Mutter konnte Susanne nicht schützen, sondern erwartete von Susanne als der Älteren, dass sie ihr hilft, was Susanne auch tat, um wenigstens ein bisschen Anerkennung zu bekommen. Den Bruder hat sie, als er noch klein war, in unbeobachteten Momenten „kleingemacht“. Susanne streunte früher oft allein draußen herum und saß stundenlang an einem Bach und schaute träumend ins Wasser.

Heute entwickelt Susanne immer wieder Wutausbrüche, wenn sie sich von ihrem Mann vernachlässigt oder benutzt fühlt. Dadurch bekommt sie eine gewisse Kontrolle über die Situation und ihre Ohnmacht sinkt. Zieht sich der Mann dann zurück, fühlt sie sich allein mit ihrer Wut und trinkt Sekt. Trotzdem fühlt sie sich einsam und schuldig und nähert sich dem Mann in unterwürfiger Weise an, wodurch sie ihr Bindungsbedürfnis wieder befriedigt. Sie kam über Jahre aus dieser „Schuld-Wut-Wippe“ nicht heraus. Jetzt will sie endlich eine Psychotherapie machen.

Lebensfallen sind wie Schubladen, die immer wieder aufspringen, ob man will oder nicht. Das hat einen einfachen Grund: Nur etwa drei Prozent der Nervenendungen im Gehirn führen nach „draußen“ zu den Sinnesorganen. 97 Prozent sind Verknüpfungen zu anderen Nervenzellen. Das „Gehirn ist also überwiegend mit sich selbst beschäftigt“, wie es der Psychiater und Hirnforscher Manfred Spitzer plastisch ausdrückt. Man kann das mit dem Bild einer Klingel vergleichen. Natürlich klingelt es nur, wenn jemand auf den Klingelknopf drückt. Aber ohne einen funktionierenden Klingelknopf und die entsprechenden Leitungen einschließlich der Glocke würde es nicht klingeln. Wir müssen also unterscheiden zwischen dem Auslöser und unseren inneren Voraussetzungen, die die Reaktionen (das Klingeln) wesentlich mit beeinflussen. Die Schematherapie beschäftigt sich mit diesen inneren Voraussetzungen, eben den oben genannten Schubladen. Der Blick ist also weniger nach außen als nach innen auf diese zunächst unbewussten Schubladen gerichtet. In einer Schematherapie lernt man seine eigenen Schubladen kennen und auch, wie sie möglicherweise entstanden sind. Dadurch kann man sich aus Lebensfallen befreien und seine Möglichkeiten als erwachsener Mensch besser nutzen. Nach einer Schematherapie werden Sie vielleicht immer noch einen kurzen Ärgerimpuls spüren, wenn Sie beim Autofahren jemand schneidet, aber Sie können Ihren Ärger als „alte Wut“ erkennen, sie loslassen und als erwachsener Mensch gelassener reagieren. Ihre Mitfahrenden werden es Ihnen danken! Das gleiche Prinzip funktioniert natürlich nicht nur bei solch harmlosen Gelegenheiten, sondern auch bei hartnäckigen und störenden Verhaltensweisen, die zu Krankheiten führen und die die Lebensqualität erheblich mindern können. Wie man das ändert, darum geht es in diesem Buch.

1.1 Wie ist die Schematherapie entstanden?

Um das Besondere der Schematherapie zu verstehen, ist ein kurzer Blick in die Geschichte der Psychotherapie sinnvoll. Die erste Art der Psychotherapie, die es gab, war die Psychoanalyse, die Sigmund Freud vor über hundert Jahren entwickelt hat. Sie ist die „Großmutter“ aller sogenannten „psychodynamischen Verfahren“. Freud war ein begeisterter Forscher und wollte vor allem das Seelenleben der Menschen besser verstehen, besonders die unbewussten Prozesse. Es war nicht sein vorrangiges Ziel, das Verhalten zu beeinflussen. Daher können psychoanalytische Therapien sehr lange dauern. In den verschiedenen psychodynamischen (früher sagte man: tiefenpsychologisch-fundierten) Therapien, die sich inzwischen entwickelt haben, ist das zum Teil ganz anders, sodass es auch psychodynamische Kurzzeittherapien gibt.

Die Psychoanalyse ging schon immer davon aus, dass die Erfahrungen der Kinder in den ersten Lebensjahren prägend für das ganze Leben sein können. Die Psychoanalytiker und Psychoanalytikerinnen versuchen nun, sich in das Erleben der Behandelten in der Gegenwart einzufühlen und Bezüge zu dem vermuteten Kindheitserleben herzustellen. Die Idee war, dass Menschen sich erwachsener verhalten können, wenn sie verstanden haben, wie ihr früheres Erleben unbewusst die Gegenwart beeinflusst. Dann können sie selbst diese „Fixierungen“ auflösen. Da man herausfand, dass Menschen nach einer Psychoanalyse weniger häufig krank wurden, werden Psychoanalysen seit etwa 60 Jahren von der Krankenkasse bezahlt.

Gewissermaßen als „Gegenbewegung“ begannen Mitte der 1950er-Jahre Forschende, das Verhalten der Menschen in Experimenten wissenschaftlich zu untersuchen. Der Zugang war also hier nicht die Einfühlung in die Menschen, sondern das von außen beobachtbare Verhalten und wie es erlernt wurde. Der Zugang war mehr an Experimenten ausgerichtet als interpretierend. Aus den Gesetzmäßigkeiten, wie dieses Verhalten von außen beeinflusst werden konnte, entwickelte sich die Verhaltenstherapie. Mitte der 1970er-Jahre wurde deutlich, dass auch die Gedanken (Kognitionen) das Verhalten wesentlich beeinflussen. Die Forschenden beschäftigen sich seither mehr damit, was in den Köpfen der Menschen vorgeht. So entstand die Kognitive Verhaltenstherapie, die inzwischen auch von den Krankenkassen bezahlt wird. Eine Stärke der Verhaltenstherapie ist ihre Offenheit für neue Entwicklungen. Sie hat im Laufe ihrer Geschichte schon viele neue Elemente mit einer soliden wissenschaftlichen Grundlage integriert. Die Schematherapie führt diese Entwicklung einen Schritt weiter.

Psychoanalyse und Verhaltenstherapie, diese beiden großen Therapieschulen, standen sich in den 1980er-Jahren sehr feindlich gegenüber und behaupteten wechselseitig, die bessere Therapieform zu sein. Um dies auf einer sachlichen Ebene zu klären, beauftragte die deutsche Bundesregierung den Psychotherapieforscher Klaus Grawe, alle verfügbaren Untersuchungen zu analysieren und die Ergebnisse zusammenzufassen. Er konnte nachweisen, dass beide Therapieverfahren wirksam sind. Während die psychoanalytisch orientierten, psychodynamischen Verfahren eher durch ein besseres Verständnis der seelischen Prozesse (sog. Klärungsperspektive) wirken, tun dies die verhaltenstherapeutischen Ansätze durch eine konkrete Verhaltensveränderung (sog. Lösungsperspektive). Grawe schlug vor, sinnvollerweise diese beiden Perspektiven zu kombinieren. Außerdem stellte er fest, dass die Qualität der therapeutischen Beziehung (sog. Beziehungsperspektive) besonders wichtig für einen guten Therapieverlauf ist (siehe Abb. 1).

Abbildung 1: Perspektiven der Psychotherapie

Ohne Klaus Grawe und seine Forschungsergebnisse zu kennen, bemerkte Jeffrey Young in den USA ebenfalls Ende der 1980er-Jahre, dass manche Menschen von einer Behandlung mit der Kognitiven Verhaltenstherapie nicht sonderlich profitierten. Das waren besonders diejenigen, bei denen nicht nur bestimmte Symptome (z. B. Ängste oder Depressionen) vorlagen, sondern bei denen die gesamte Persönlichkeitsstruktur durch negative Lebenserfahrungen beeinflusst war. Er entwickelte daraufhin die Kognitive Verhaltenstherapie zur Schematherapie weiter. Wenn man nun die Forschungsergebnisse und die theoretischen Überlegungen von Klaus Grawe mit dem aus der Praxis heraus entwickelten Schematherapie-Konzept von Jeffrey Young vergleicht, kann man feststellen, dass die Schematherapie im Wesentlichen eine praktische Umsetzung der theoretischen Überlegungen von Klaus Grawe darstellt. Der hier beschriebene schematherapeutische Ansatz verbindet das Modell von Young mit den Ergebnissen von Grawe und der Klärungsorientierten Therapie von Rainer Sachse. Außerdem bezieht es Elemente und Perspektiven der sogenannten dritten Welle der Verhaltenstherapie mit ein, wie z. B. Achtsamkeit bzw. eine innere Beobachterhaltung, um Abstand zum eigenen Erleben zu bekommen und sich neu zu orientieren.

1.2 Was ist das Besondere an der Schematherapie?

Die Schematherapie ist ein integrativer Ansatz, der bewährte Techniken aus verschiedenen Psychotherapieansätzen in ein stimmiges Konzept zusammenführt und dadurch gute Therapieeffekte erzielt. Das konnte inzwischen in einigen hochwertigen Studien sehr deutlich nachgewiesen werden. Konkret verbindet sie die im vorigen Kapitel beschriebene Verstehens-orientierte Klärungsperspektive der psychodynamischen Verfahren mit erlebnisaktivierenden Techniken aus der Gestalttherapie und den gedanklichen (kognitiven) und übenden Maßnahmen der Verhaltenstherapie. Gleichzeitig legt sie sehr viel Wert auf eine gute therapeutische Beziehung, um dadurch den Behandelten Sicherheit und Halt zu geben. Vielen Therapierenden gefällt dieser integrative Ansatz und sie übernehmen einzelne Elemente in ihre therapeutische Arbeit. Um die Schematherapie mit anderen Therapiemethoden vergleichen zu können, wurden sehr genaue Beschreibungen entwickelt, wie die einzelnen Techniken eingesetzt und die therapeutische Beziehung optimalerweise gestaltet werden sollte. Die Therapierenden nehmen an umfangreichen Fortbildungen teil, um Schematherapie in dieser Weise zu lernen. Hierfür erhalten sie ein Zertifikat. Im Rahmen dieser Fortbildung müssen sie ein Video einschicken, damit geprüft werden kann, dass auch wirklich „Schematherapie drinsteckt, wo Schematherapie draufsteht“. Die Übergänge sind allerdings fließend und auch nicht zertifizierte Therapierende können eine gute Arbeit im Sinne der Schematherapie machen.

Das Wichtigste bei der Suche nach einer guten Therapeutin bzw. einem guten Therapeuten ist, dass die Chemie zwischen Ihnen beiden stimmt, Sie das Gefühl haben, dort verstanden und angenommen zu werden und die Form der Therapie Ihren Vorstellungen entspricht. Dann werden Sie sich auch auf Techniken wie Imaginationen und Stühle-Dialoge einlassen können, die Ihnen zunächst etwas fremd erscheinen mögen. Diese Offenheit ist natürlich wichtig, denn sonst können Sie ja keine neuen Erfahrungen machen und sich nicht weiterentwickeln.

1.3 Was sind die Vorteile des Schematherapie-Ansatzes?

Die Schematherapie stellt zwar eine Weiterentwicklung der Verhaltenstherapie dar, aber sie integriert wichtige Elemente und Perspektiven der psychodynamischen Therapien. So geht auch die Schematherapie davon aus, dass die frühen Beziehungserfahrungen die Menschen für ihr ganzes weiteres Leben prägen können, so wie es die Bindungsforschung beschreibt. Inzwischen wissen wir auch aus der neurobiologischen Forschung, dass sich besonders die Hirnrinde der Menschen erst in den Jahren nach der Geburt fertig entwickelt. Das bedeutet, dass die Erlebnisse und Erfahrungen, die kleine Kinder machen, sich direkt in den Aufbau des Gehirns niederschlagen bzw. „einbrennen“, wie es Joseph LeDoux, ein bekannter amerikanischer Hirnforscher, nennt. In den letzten 20 Jahren wurden Untersuchungstechniken entwickelt, mit denen das arbeitende Gehirn untersucht werden kann (z. B. die Kernspintomographie). Dies zeigte zum Beispiel, dass unser Handeln mehr von Emotionen und weniger von Kognitionen gesteuert wird, als die Verhaltenstherapie ursprünglich glaubte. Damit wurden wesentliche Konzepte der Psychoanalyse bestätigt. Der Nobelpreisträger Eric Kandel formulierte das so: „Das Beste, was der Psychoanalyse passieren konnte, waren die bildgebenden Verfahren der neurobiologischen Forschung.“ Konsequenterweise hat Jeffrey Young emotionsaktivierende Techniken in die Verhaltenstherapie einbezogen und großen Wert auf eine gute Beziehungsgestaltung gelegt. Er nennt dies Nachbeelterung bzw. „begrenzte elterliche Fürsorge“ (engl. reparenting). Seine Idee ist, dass in einer Psychotherapie eine ähnliche Beziehungsqualität entstehen soll wie zwischen guten Eltern und ihren Kindern. Die neurobiologische Forschung bestätigt inzwischen, dass durch erlebnisaktivierende Verfahren die gleichen Nervenstrukturen wieder aktiviert werden können, die in der Kindheit angelegt wurden. Diese aktivierten Strukturen können jetzt therapeutisch positiv beeinflusst, sozusagen „umgebaut“, werden. Man könnte das etwas salopp einen „zweiten Bildungsweg für Beziehungserfahrungen“ nennen, der schlechte Erfahrungen aus der Kindheit „nachbessert“. Außer Psychotherapien können übrigens auch vertrauensvolle und verlässliche Liebesbeziehungen die Persönlichkeitsstrukturen von Menschen positiv beeinflussen!

Die Schematherapie geht genauso wie Klaus Grawe davon aus, dass Kinder bestimmte Grundbedürfnisse haben, die im Abschnitt 3.1 genauer beschrieben werden. Werden diese Hausaufgaben nicht befriedigt, geraten die Kinder in einen unangenehm emotionalen Anspannungs- bzw. Stresszustand. Geschieht das häufiger und lange anhaltend, werden diese Erlebnisse in die Nervenstruktur „eingebrannt“: Das nennt man ein Schema. Um die Anspannung wieder zu vermindern, entwickeln Kinder unbewusst sogenannte Bewältigungsreaktionen. Diese werden dann in Anspannungssituationen mehr oder weniger automatisch und starr eingesetzt. Dadurch verformt sich aber ihre Persönlichkeitsstruktur bis hin zu Persönlichkeitsstörungen: Die Menschen machen immer wieder das, was früher wenigstens einigermaßen funktioniert hat. Damit können die betroffenen Menschen ihr Leben lang mehr oder weniger gut klarkommen, aber sie entwickeln sich nicht weiter. Daher nennt Young das eine Lebensfalle, in der man festsitzt. Aber die Menschen merken das selbst oft gar nicht, denn sie kennen es ja nicht anders! Erst wenn sich die Bewältigungsreaktionen im Leben nachteilig bemerkbar machen, steigt die innere Anspannung wieder an und es können bestimmte Krankheitssymptome entstehen (siehe Tab. 7).

In der Regel kommen Menschen wegen dieser Symptome in eine psychotherapeutische Behandlung. Ihr Therapeut bzw. Ihre Therapeutin und Sie müssen dann gemeinsam entscheiden, ob eine symptombezogene Behandlung ausreicht oder ob die dahinterstehende Persönlichkeitsstruktur wesentlich zur Symptomentstehung beiträgt. Dann kann neben den klassischen verhaltenstherapeutischen Maßnahmen eine Schematherapie sinnvoll sein. In der Schematherapie werden zunächst die Bewältigungsreaktionen identifiziert. Getragen von der sicheren therapeutischen Beziehung können die Betroffenen dann diese Reaktionen zurückhalten, wodurch die Spannung erst einmal ansteigt, weil die belastenden emotionalen Schemata wieder aktiviert werden und man wieder mit den unangenehmen Gefühlen aus der Kindheit in Kontakt kommt. Das machen die Betroffenen natürlich nur mit, wenn sie uns Therapierenden wirklich vertrauen. Daher ist der anfängliche Beziehungsaufbau so wichtig! Unter therapeutischer Führung werden jetzt diese Erlebnisse zum Guten gewendet und es entsteht eine sogenannte „korrigierende emotionale Erfahrung“, also das echte, tiefe Erlebnis, dass schwierige Situationen heute besser ausgehen können als früher. Sie haben jetzt wirklich erlebt, wie Sie als „gesunder erwachsener Mensch“ viel mehr tun können als früher als Kind. Dadurch brauchen Sie die alten Bewältigungsreaktionen nicht mehr. Die „Knoten“ (bzw. Fixierungen) sind gelöst und die Lebensqualität kann steigen. Nun sind Sie raus aus den alten „Lebensfallen“. Auch Menschen, die sich sonst schwer auf eine Psychotherapie einlassen können, fühlen sich in dieser Art der therapeutischen Beziehung angenommen und trauen sich, die früher vermiedenen negativen Gefühle im Schutz der Therapie zuzulassen. Erst dadurch können die Erlebnisse neu bewertet und es kann anders reagiert werden. Die Schematherapie ist damit eine sowohl sehr menschlich-einfühlsame als auch wirksame Therapieform.

1.4 Was unterscheidet die Schematherapie von anderen Therapieformen?

Die einzelnen Elemente einer Schematherapie sind nicht neu, aber Jeffrey Young ist es gelungen, diese Elemente sehr gut aufeinander abzustimmen und sie in ein klares, systematisches Konzept zu bringen. Für ihn müssen drei Elemente unbedingt vorhanden sein, damit man von einer Schematherapie sprechen kann. Diese drei Bereiche werden übrigens auch in der Prüfskala beurteilt, mit der die Videobänder der Therapierenden bei der Zertifizierung geprüft werden. Die drei Bereiche sind:

die

therapeutische Beziehungsgestaltung

(begrenzte elterliche Fürsorge);

der Bezug auf das theoretische

Modell der Schematherapie

als Grundlage der Arbeitsbeziehung;

der sachgerechte Einsatz von

erlebnisaktivierenden

Techniken.

Im folgenden Kapitel werden die einzelnen Bereiche genauer dargestellt. Die Beziehungsgestaltung entwickelt die Haltung der Gesprächspsychotherapie von Carl Rogers weiter, indem die Therapierenden nicht nur warm, authentisch und akzeptierend sind, sondern indem sie die Therapie aktiv gestalten und dafür sorgen, dass jede Therapiesitzung möglichst „gut ausgeht“. Sie kommen damit dem Modell von „guten Eltern“ recht nahe.

Eine früh eingesetzte erlebnisaktivierende Technik der Verhaltenstherapie waren die sogenannten Expositionsbehandlungen, in denen sich die Behandelten genau den unangenehmen Situationen aussetzten, die sie zuvor immer vermieden haben. Die Schematherapie greift diesen Expositionsansatz in etwas veränderter Weise auf und bezieht ihn auf die unangenehmen Gefühle, die in Beziehungen auftreten. Daneben werden weitere erlebnisaktivierende Techniken wie Imaginationsübungen (siehe Abschnitt 8.3) und Dialoge auf Stühlen (Abschnitt 9.2) integriert, die überwiegend aus der Hypno- und Gestalttherapie bzw. dem Psychodrama kommen.

Die Schematherapie greift darüber hinaus noch eine neue Entwicklung innerhalb der Verhaltenstherapie auf, die als die „dritte Welle“ beschrieben wird. Mit mehr oder weniger deutlichem Bezug zu einer buddhistischen Grundhaltung wird eine wohlwollende Distanz zum eigenen Erleben