Rausch - Gernot Rücker - E-Book
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Gernot Rücker

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Beschreibung

»Wir haben dem Rausch viel zu verdanken«, sagt Dr. Gernot Rücker, denn ohne die Entdeckung von Rauschmitteln hätte sich die Menschheit nicht entwickeln können. Unser erstes Rauschmittel ist der Zucker und damit wird schon klar, dass wir alle uns berauschen – die einen etwas mehr und die anderen etwas weniger. Wirkliches Wissen darüber, welches Rauschmittel uns in welchen Zustand versetzt, existiert aber nicht. Stattdessen weichen wir auf das legale und leider fatalste aus: den Alkohol. Dr. Gernot Rücker, Anästhesist und Notfallmediziner, plädiert für eine Rauschmündigkeit und die Legalisierung weiterer Rauschmittel – damit wir als Gesellschaft und Individuen weiterhin vom Rausch profitieren können.

In Rausch zeigt er, warum Alkohol so tödlich ist aber dennoch legal, Cannabis illegal aber eigentlich das harmloseste Rauschmittel ist, und wie eine Zukunft mit einer Bandbreite legaler Drogen aussehen könnte.

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Seitenzahl: 385

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Buch

»Wir haben dem Rausch viel zu verdanken«, sagt Dr. Gernot Rücker, denn ohne die Entdeckung von Rauschmitteln hätte sich die Menschheit nicht entwickeln können. Unser erstes Rauschmittel ist der Zucker, und damit wird schon klar, dass wir alle uns berauschen – die einen etwas mehr und die anderen etwas weniger. Wirkliches Wissen darüber, welches Rauschmittel uns in welchen Zustand versetzt, existiert aber nicht. Stattdessen weichen wir auf das legale und leider fatalste aus: den Alkohol. Dr. Gernot Rücker, Anästhesist und Notfallmediziner, plädiert für eine Rauschmündigkeit und die Legalisierung weiterer Rauschmittel – damit wir als Gesellschaft und Individuen weiterhin vom Rausch profitieren können.

In Rausch zeigt er, warum Alkohol so tödlich ist, aber dennoch legal, Cannabis illegal, aber eigentlich das harmloseste Rauschmittel ist und wie eine Zukunft mit einer Bandbreite legaler Drogen aussehen könnte.

Autoren

Dr. Gernot Rücker ist Anästhesist und Notfallmediziner und einer der führenden Experten für Freizeitdrogenkonsum in Deutschland. Er leitet das Notfallausbildungszentrum der Uniklinik Rostock und klärt z.B. auf großen Musikfestivals deutschlandweit über Drogen und ihre Zusammensetzung auf.

Lisa Bitzer schreibt, seitdem sie denken kann. Als Autorin, Ghostwriterin und Agentin begleitet sie Buchprojekte aller Art. Ihre Droge sind Worte, und wenn sie dieser Sucht nicht frönt, bereist sie die Welt.

Dr. Gernot Rücker

mit Lisa Bitzer

RAUSCH

Was wir über Drogen wissen müssen und wie ihr Konsum sicherer werden kann

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden vom Autor und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe Juni 2023

Copyright © 2023 Mosaik Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: Sabine Kwauka

Umschlagmotiv: © shutterstock / Undrey

© shutterstock / Undrey, Ton Photographer 4289

Redaktion: Martha Wilhelm

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

GS ∙ CB

ISBN 978-3-641-30103-3V001

www.mosaik-verlag.de

Inhalt

Anstelle eines Aperitifs: Vorwort

1 Im Rausch der Zeit

2 Das Reich des Rausches

3 Anatomie des Rausches

4 Der Feind in meinem Bett: C2H5OH

5 Des Rausches Untertan

6 Lösung für den Umgang mit der liebsten Lösung

Anstelle eines Digestifs: Nachwort

Erste Hilfe: was im Notfall wichtig ist

Danksagung

Interessantes und Wissenswertes

Endnoten

Sachregister

Anstelle eines Aperitifs: Vorwort

Zu manchen Zeiten tun Menschen verrückte Dinge. An Fasching oder am Herrentag beispielsweise. Der 40. Tag der Osterzeit ist eigentlich ein religiöser Feiertag und als Christi Himmelfahrt bekannt. Über die Zeit wurde er dann zum Vatertag, und weil das all die Männer diskriminierte, die keine Väter waren, wurde er zum Herrentag umbenannt. Nicht ganz unschuldig an der Umdeutung des Feiertages waren Berliner Brauereien gegen Ende des 19. Jahrhunderts, die neue Absatzmärkte suchten und dabei ebendiesen Feiertag erwählten. Seither ziehen Väter und andere Männer mit alkoholbepackten Bollerwagen durch die Botanik oder Siedlungen und geben sich die Kante.

Stellen Sie sich nun bitte folgende Szene vor. Sie sind am Tag nach dem besagten Herrentag unterwegs zum Bahnhof, es ist halb sechs am Morgen, in der Luft liegt der säuerliche Geruch von verschüttetem Bier. Als Sie an einem Busch vorbeilaufen, fährt Ihnen der Schreck in die Glieder. Denn unter dem Blattwerk ragen zwei Schuhe hervor, die Sohlen in Richtung Himmel zeigend, und noch viel schlimmer, in den Schuhen stecken auch noch zwei Füße. Sie sind sofort in Alarmbereitschaft, kennen Sie doch solche Anblicke aus vielen Tatort-Sendungen und CSI-Serien. Sie wissen: Wer auf dem Bauch in einem Busch liegt, kann eigentlich nur ins Gras gebissen haben. Weil Sie außerdem wissen, dass Sie bei einem Todesfall besser keine Schuhabdrücke in der Erde neben dem Verblichenen hinterlassen sollten, wählen Sie pflichtbewusst den Notruf, woraufhin Rettungswagen, Notarzt und Polizei anrücken. Alle rechnen mit dem Schlimmsten.

Der Notarzt nähert sich dem Mann und greift ihm ans Handgelenk. Die Sekunden verrinnen, dann plötzlich ruft der Arzt: »Er lebt!« Nun wird es etwas hektischer.

Rettungskräfte ziehen den Körper unter dem Busch hervor, was ringsum allgemeines Murmeln verursacht. Denn der Mann ist teilentkleidet, wie es im späteren Einsatzbericht heißen wird. Mit »Teil« ist dabei »Hose« gemeint, besser gesagt »oberer Teil der Beinbekleidung samt Unterwäsche«, was darauf hindeutet, dass der Mann beim Pinkeln im Stehen einschlief, umkippte und schließlich in dem bedauerlichen Busch, der Zeuge des Ganzen wurde, seinen Rausch ausschlief.

Geschichten wie diese amüsieren und bleiben uns im Gedächtnis. Das weiß ich deshalb, weil wir in der Notfallmedizin so etwas immer wieder erleben, und diese Anekdoten dann gern im Kollegenkreis und auf Partys zum Besten gegeben werden. Manche dieser Begebenheiten schaffen es sogar in die Medien und lockern die Flut der negativen Meldungen auf, die ständig auf uns einströmen. Es kommt vor, dass wir uns bei der Lektüre derlei Geschichten fragen, was in Gottes Namen demjenigen in den Sinn kam, der diese Verrücktheit begangen hat. Nicht umsonst spricht man dann auch von einer Schnapsidee. Fakt ist, dass Alkohol häufig zumindest beteiligt ist, wenn sich wieder mal irgendwo ein Mensch zum Affen macht. Wenn ich es mir recht überlege, ist Alkohol überhaupt an vielem (Dummen) beteiligt, was Menschen tun.

Man muss häufig schon sehr genau hinschauen, um seinen Einfluss zu entdecken. Auf den ersten Blick bemerkt man den Zusammenhang zwischen den Geschehnissen in der Republik und dem Alkohol möglicherweise gar nicht. Erst bei genauerem Hinsehen offenbart es sich: Wir sind ein Volk der Säufer.

Allein Verkehrsunfälle liefern hierfür einen deutlichen Beweis – denn ein Großteil davon geschieht vor allem am Wochenende und unter Alkoholeinfluss. Es gibt kaum eine Veranstaltung, die ohne alkoholische Getränke auskommt, vielleicht abgesehen vom Jahrestreffen der Anonymen Alkoholiker. Auch vor Kindergarteneinweihungen macht der Alkohol nicht halt, und selbst Sportfeste werden von Herstellern alkoholischer Getränke gesponsort. Ganz zu schweigen von randalierenden Fußballfans und allerlei Straftaten, die vorwiegend unter dem Einfluss von Alkohol begangen werden. Wenn man die Tageszeitung aufschlägt und gezielt auf die »alkoholischen« Meldungen hin studiert, fragt man sich zwangsläufig: Warum in drei Teufels Namen rühren wir Alkohol überhaupt an, wenn die Folgen für Gesellschaft und Individuum so desaströs sind?

Die Antwort ist simpel: Es ist der Rausch, der es uns angetan hat. Benebelt, beduselt, beschwipst, beruhigt oder benommen lassen wir sämtliche Hemmungen fallen. Denn die Welt verlangt viel von uns. Wir sollen effizient, vernünftig und gemäßigt sein, kurzum: Unser regulierter Dauermodus bedeutet ein hohes Maß an Selbstkontrolle. Wie herrlich, ja wie geradezu erleichternd ist es, diese Disziplin bewusst und sozial vollkommen anerkannt aufzugeben! Zumindest für einen Abend, ein Wochenende oder eben einen Feiertag.

Loslassen, den Kopf ausschalten, sich den Gefühlen hingeben. Kaum ein anderes Rauschmittel eignet sich, so scheint es, für diesen selbst gewählten Kontrollverlust so gut wie der Alkohol. Das jahrtausendealte Rauschmittel, das der Menschheit offensichtlich viel Freude, aber mindestens genauso viel Ärger und Elend beschert, hat längst alle Bereiche unserer Gesellschaft durchdrungen. Still und heimlich haben sich die alkoholisierten Rituale in sämtliche Belange des Lebens von der Kirche über Firmenfeste bis in die Politik eingeschlichen. Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren. Ist doch so! Oder? Aber wie voll ist so ein Gläschen? Wann trinken wir es? Und wie oft? Jede Woche? Jeden Tag? Jede Stunde? Dank der Omnipräsenz des Alkohols haben wir den Blick dafür verloren, in welchem Ausmaß die Substanz unser Leben bestimmt.

In diesem Buch möchte ich mich deshalb dem Faszinosum Rausch im Allgemeinen und dem Alkohol im Speziellen zuwenden. Ich will Ihnen aufzeigen, weshalb es dem Menschen in die Wiege gelegt ist, sich der Maßlosigkeit immer wieder hinzugeben. Ein guter Rausch ist nichts, wofür man sich schämen sollte – im Gegenteil, wir haben ihm viel zu verdanken. Ohne aufputschende, beruhigende oder halluzinogene Substanzen würden wir heute noch in Höhlen hocken und aufs Feuer starren (das haben wir ohne Alkohol entdeckt, immerhin). Ohne Bier hätte es keine Städte oder Pyramiden gegeben. Denn der Mensch berauscht sich, seitdem es ihn gibt: an Pflanzen, Getränken, Pulvern, Pillen, Sex, Extremsport, Bungee-Jumping, Sonnenuntergängen und vielem mehr. Wir haben dem Rausch einiges zu verdanken. Ohne Rausch keine Zivilisation.

Doch wenn es um Rauschmittel geht, wird bei uns wie fast überall auf der Welt mit zweierlei Maß gemessen. Es gibt die erlaubten und die verbotenen Substanzen. Leider ist diese Einteilung willkürlich und nur wenig wissenschaftlich. Die Dosis macht das Gift? Stimmt. Es wird dabei aber gern ignoriert, dass viele (verbotene) Rauschmittel nur wenig giftig sind und andere (legale) Rauschmittel die höchsten Sterberaten der Konsumenten auf ihrem Konto verbuchen. Würden wir es nicht ignorieren, wären in den Supermarktregalen und Tankstellenshops sicher keine Schnapsflaschen und Bierkästen mehr zu finden. Von diversen Pharmazeutika, die von einem Tag auf den anderen aus den Apotheken verschwinden müssten, mal abgesehen.

Auf den kommenden Seiten werde ich Ihnen veranschaulichen, wie insbesondere beim Alkohol die Grenze zwischen Genuss- und Rauschmittel verschwimmt und inwieweit Parallelen zu anderen Rauschmitteln bestehen. Diese Betrachtung ist von ausgesprochen aktueller Relevanz, denn sie relativiert die Diskussion über die Liberalisierung anderer psychoaktiver Substanzen wie beispielsweise Cannabis. Erst wenn wir verstehen und bewusst wahrnehmen, wie omnipräsent Alkohol in unserem Leben ist, können wir auch unser Konsumverhalten anpassen. Denn wir haben es selbst in der Hand, auf welches Rauschmittel wir uns in welchem Maße einlassen.

Meine Hoffnung ist, durch Aufklärung einen Diskurs anzustoßen, der die Selbstverständlichkeit infrage stellt, mit der Alkohol in unserer Gesellschaft konsumiert wird. Der durchschnittliche Deutsche trinkt 12,8 Liter reinen Alkohol im Jahr.1In Bier, Wein und Schnaps »übersetzt« ist das fast eine Badewanne voll. Weltweit befinden wir uns damit in der Oberliga.

Es wäre völliger Unfug, Alkohol generell zu verbieten. Das ginge aus zahlreichen Gründen auch gar nicht. Es ist jedoch ebenso völliger Unfug, (fast) alles andere zu verbieten. Was wir brauchen, ist ein genereller bewusster Umgang mit rauschauslösenden Substanzen – auch mit Drogen, die schon längst legalisiert sein sollten, da viele davon weit weniger gefährlich sind als Alkohol. Vor allem aber möchte ich klarmachen: Wir brauchen den Rausch. Allerdings ist Alkohol dabei eine denkbar schlechte Wahl. Er schädigt nicht nur den Einzelnen, sondern auch die Gesellschaft. Etwa 200.000 Straftaten werden jährlich unter Alkoholeinfluss verübt2; das ist alle zweieinhalb Minuten eine Straftat in Deutschland. Über 31.000 Unfälle im Straßenverkehr passieren jedes Jahr aufgrund von Alkohol.3 Und während der Bund durch die Alkoholsteuer mehr als drei Milliarden Euro einnimmt, bleibt der Steuerzahler auf über 40 Milliarden Euro direkter und indirekter Kosten durch alkoholbedingte Krankheiten sitzen. Übrigens auch diejenigen, die sich als abstinent bezeichnen. Das sind allerdings nur ein paar Prozent, denn laut Alkoholatlas Deutschland 2022 haben innerhalb des Umfragemonats 77 Prozent der Männer und 68 Prozent der Frauen im Alter zwischen 18 und 59 Jahren Alkohol getrunken4. Damit dürften sage und schreibe geschätzte 95 Prozent aller Deutschen zwischen 18 und 59 Alkohol zumindest ab und an konsumieren. Diese Zahlen sind ausgesprochen besorgniserregend. Zwar wird Alkohol im Rahmen der allgemeinen Inflation zunehmend teurer, ist jedoch nach wie vor problemlos zugänglich – auch für Jugendliche.5

Mit diesen verheerenden Folgen kann kein anderes Rauschmittel der Welt mithalten, nicht einmal die schlimmsten Vertreter der Heroin-Liga, Gemische aus von alten Autokatalysatoren gekratzten Ablagerungen6 oder Produkte aus der Hinterhofküche. Denn diese Drogen haben, so schrecklich sie auch sind, eines gemein: Man kann sie nicht im Supermarkt an der Kasse im praktischen 20-ml-Fläschchen erwerben. Für Kräuterschnaps, Wodka und Obstler gilt das allerdings schon.

Oh nein!, denken Sie sich nun. Der Rücker will mir den Alkohol verbieten. Keine Sorge, mir ist bewusst, wie wenig man mit Verboten erreichen kann – das hat die Geschichte der Rauschmittel eindrucksvoll bewiesen. Ich werde Ihnen die Mon-Chéri-Pralinen also nicht madig machen, genauso wenig das Glas Bier, das Sie sich nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag zur Entspannung gönnen. Allerdings möchte ich Ihnen reinen Wein einschenken und verdeutlichen, warum es so problematisch ist, vergleichsweise harmlose Drogen zu verteufeln, während Alkohol zu einem Abendessen so selbstverständlich dazugehört wie der Hopfen zum Malz. Das bedeutet zwangsläufig, dass wir uns mit dem Rausch als solches, aber auch mit Fakten rund um den Alkohol beschäftigen werden, die dem einen oder anderen vielleicht sauer aufstoßen.

Doch trösten Sie sich: Auch der schlimmste Kater ist nicht der letzte, sondern ein Beweis für eine ziemlich bald einsetzende Ernüchterung.

In diesem Sinne: Prost!

1 Im Rausch der Zeit

Seitdem es den Menschen gibt, knallt er sich irgendwas hinter die Binde, egal ob es geheimnisvolle Beeren, merkwürdige Pilze, duftende Kräuter oder vergorene Getreidekörner sind. In diesem Kapitel wollen wir uns auf eine Reise durch die menschlichen Kulturen und Jahrhunderte begeben und herausfinden, woran sich der Mensch seit Anbeginn der Zeit berauscht. Von den indigenen Völkern bis zu den alten Römern und der modernen Zivilisation: Warum ist der Rausch für die Menschheit wichtig? Welche Auswirkungen hat er auf die Gattung Homo sapiens? Verdanken wir ihm vielleicht sogar einige wichtige Erfindungen und Entdeckungen? Was hat der Rausch mit der Götterwelt zu tun? Und welche unheilige Allianz sind Rauschmittel und Kriege in der Vergangenheit bereits eingegangen? Finden wir es heraus.

Am Anfang war … die Frucht

Sie werden bald schon feststellen, dass, wann immer in der Geschichte der Menschheit etwas Großes vonstattenging, Rauschmittel ihren Einfluss darauf hatten. Die längste Zeit über waren derlei Substanzen deswegen auch nicht verpönt, wie es heute der Fall ist, sondern gehörten zum alltäglichen Leben dazu. Können Sie sich vorstellen, dass man noch bis vor einhundert Jahren in jeder deutschen Apotheke Heroin gegen Husten und Heiserkeit erwerben konnte?7 Kokain gegen Zahnschmerzen einsetzte? Und Crystal Meth an Soldaten verteilt wurde? Aber lassen Sie uns an den Anfang gehen.

Schuld an allem ist, wenn man es ganz genau nimmt, die Botanik, aus der die Menschen seit den Anfängen der Zeit ihre Heil- und Genuss-, aber eben auch Rauschmittel gewinnen.

Die terrestrische Pflanzenwelt bildete sich vor mindestens 475 Millionen Jahren8 in Form von Algen im Wasser und Moosen an Land und entwickelte sich rasch zu Farnen, Samenpflanzen und allerlei weiterem Grünzeug weiter. Die Flora fühlte sich auf diesem jungen Planeten irgendwo in der Milchstraße pudelwohl, denn sie fand ideale Bedingungen vor: Sauerstoff, Wasserstoff, eine Atmosphäre, die sie vor den UV-Strahlen der radioaktiven Sonne schützte, und gleichzeitig so viel Wärme und Licht, dass sich die Fotosynthese entwickeln konnte. Kein Wunder, dass sich die Landpflanzen rasant auf der blauen Erdkugel ausbreiteten und dabei aus evolutionärer Sicht durchaus raffiniert vorgingen, um sich die gefräßigen tierischen Mitbewohner vom Leib zu halten. Einige entwickelten Abwehrmechanismen wie Stacheln, bittere Inhaltsstoffe oder giftige Substanzen, um die Fressfeinde abzuwehren. Andere machten sich die hungrigen Lebewesen hingegen zunutze. So brachten sie Honig produzierende Blüten hervor, welche Insekten dazu veranlassten, die Pollen großflächig zu verteilen. Oder sie ließen schmackhafte Hüllen um ihre Kerne entstehen, um gefressen, verdaut und an einem anderen Ort wieder ausgeschieden zu werden und so das eigene Fortbestehen und die Ausbreitung zu sichern. Wir kennen diese schmackhaften Hüllen heute unter dem Namen Früchte. Nicht nur wären ohne sie jede Menge Tiere vor Abermillionen Jahren verhungert, und die Pflanzenwelt hätte sich viel langsamer verbreitet. Wir wären auch nie in den Genuss eines Chianti, eines Hefeweizens oder eines Obstlers gekommen und hätten folgerichtig vermutlich auch auf Pyramiden, Städte, Kunstwerke und vielerlei mehr verzichten müssen.

Aber der Reihe nach.

Tier- und Pflanzenwelt stehen in einer engen Verbindung zueinander. Nicht nur, weil Tiere Pflanzen essen, sondern eben auch, weil einige Pflanzen das Gefressenwerden wie beschrieben nutzen, um ihre Samen zu verteilen. Die Samen mancher Früchte werden sogar erst nach der Darmpassage aktiviert und beginnen zu keimen. Unrühmliches Beispiel für diesen ökologischen Zusammenhang zwischen Flora und Fauna ist die Ausrottung des entenähnlichen Dodo-Vogels auf Mauritius, der im 17. Jahrhundert ein sehr behagliches Leben auf der Insel führte, weil er über keine Fressfeinde verfügte. Bis der Mensch kam. Infolge der Jagd und Vernichtung des Vogels kam es zu einem erheblichen Artensterben in der Botanik, da die ansässigen Pflanzen die vorherige Darmaktivierung zur Keimung benötigten. Kein Dodo, keine Botanik – armes Mauritius.

Aber wo wir schon mal in Äquatornähe sind: Erinnern Sie sich an Die lustige Welt der Tiere von Jamie Uys aus dem Jahr 1974? Ein Marulabaum spielt in diesem Dokumentarfilm eine zentrale Rolle, genauer gesagt, seine Früchte. Die fallen nach dem Reifeprozess nämlich zu Boden und fangen an zu gären. Die Tiere der Region, angelockt durch die süßlichen Ausdünstungen des gärenden Zuckers, pilgern zum Baum und fressen die vergorenen Früchte. Anschließend zeigen sie deutliche Zeichen von Trunkenheit und taumeln in die Savanne zurück. Nicht anders als auf jedem anständigen deutschen Schützenfest, möchte man meinen.

Dass sich auch Tiere regelmäßig berauschen, weiß man aus allen Teilen der Erde. Das Baumspitzhörnchen beispielsweise, das in Asien lebt, gilt als »kleinster potenzieller Alkoholiker der Welt«9 und betrinkt sich Nacht für Nacht am fermentierten Nektar der Bertram-Palme, der immerhin einen Alkoholgehalt von bis zu 3,8 Volumenprozent aufweist (mehr als das berühmte Leichtbier, welches man in Schweden in den Supermärkten kaufen kann, das hat nämlich maximal 3,5 Volumenprozent). Seidenschwänze in Kanada und Skandinavien konsumieren im Herbst die vom Frost fermentierten Vogelbeeren, allerdings gibt es unter den Vögeln ähnliche Probleme wie bei den Menschen: Die jüngeren Artgenossen wissen oft nicht, wann sie genug vom hauseigenen Eiswein haben, weshalb sie »buchstäblich nicht mehr geradeaus fliegen«10 können, was mitunter zu tödlichen Kollisionen führt. In einigen kanadischen Städten haben die Behörden deswegen Hamsterkäfige für die alkoholisierten Vogel-Teenager aufgestellt – als Ausnüchterungszellen. Rentiere, die an Fliegenpilzen naschen und halluzinieren, Delfine, die so lange auf Kugelfischen herumkauen, bis sie high sind,11 Lemuren, die sich mit dem Gift von Tausendfüßlern einreiben, um in Trance zu geraten:12 Wenn man sich in der Tierwelt so umguckt, könnte man glatt meinen, sich auf ein Hippie-Festival in den Siebzigern verirrt zu haben. Einige Igel in Großbritannien haben Experten zufolge sogar ein »massives Alkoholproblem«13, da sie sich an den sogenannten Bierfallen laben, die englische Hobbygärtner eigentlich gegen die Nacktschnecken aufstellen. Weil Nacktschnecken allerdings des Igels Leib- und Magenspeise sind, machen sich die Stacheltiere über die Fallen her und sind danach betrunken wie eine Horde englischer Fußballfans nach dem Lokalderby in London.

Initialzündung der Menschheit

Von Pflanzen, die Alkohol hervorbringen, bis zu betrunkenen englischen Fußballfans ist es ein weiter Weg, mehrere Zehntausend Jahre, um genau zu sein. Die Evolution hatte also alle Hände voll zu tun, musste sie doch erst einmal den Menschen mit ein wenig mehr Verstand ausstatten, damit er Gesellschaften bilden und sesshaft werden konnte. Vor etwa 70.000 Jahren setzte die sogenannte kognitive Revolution ein. Aus affenartigen »Wilden« wurden Menschen, die in komplexen Strukturen zusammenlebten, erstmals Schmuck und Waffen herstellten, Sprache entwickelten und im Umgang miteinander so etwas wie ein Sozialverhalten manifestierten. All diese Verhaltensänderungen sorgten dafür, dass sich der Mensch effektiver organisieren und im Kollektiv komplexer handeln konnte.

Dann kam es zu dem, was ich die sprichwörtliche Initialzündung der Menschheit nenne: Der Homo sapiens entdeckte das Feuermachen und beförderte sich damit binnen weniger Jahrtausende an die Spitze der Nahrungskette. Nie zuvor und niemals danach ist es einem Lebewesen dieses Planeten gelungen, innerhalb so kurzer Zeit alle lebenden und nicht lebenden Strukturen der Erde zu dominieren und sich zum Chef-Raptor zu mausern.

Als geneigter Betrachter fragt man sich: Warum dieser plötzliche und so große Schritt? Dazu gibt es wie immer viele Theorien, die sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner einigen können. Eine der plausibelsten stellt die Nutzung des Feuers in den Mittelpunkt. Das hält nicht nur warm und wilde Tiere ab, sondern ist die Voraussetzung zum Backen, Grillen und Kochen. Feuer verlieh der Steinzeitküche eine völlig neue Dimension. Stark Erhitztes verfügt nämlich über weniger Keime und Parasiten. Damit konnte die Lebenserwartung und -erfahrung des Menschen steigen. Viel wichtiger aber war die Energiedichte des Fleisches, das fortan häufiger auf dem Teller landete. Verbrachten unsere Urahnen noch Stunden mit dem drögen Herumkauen auf Wurzeln, stellte das Steinzeit-Barbecue in kürzester Zeit nie da gewesene Energie für den Organismus bereit. Mit dieser Umstellung ging höchstwahrscheinlich ein Umbau des Verdauungstraktes einher, der ein immenses Hirnwachstum nach sich zog – evolutionär betrachtet, ausgesprochen vorteilhaft. So konnten sich Fähigkeiten rasant weiterentwickeln, und die Menschen wurden zu der Spezies, die wir heute kennen.

Wer Hanf sät, wird Hasch ernten

Nicht nur für den Rausch wurden Pflanzen genutzt, es ist auch davon auszugehen, dass sich die Menschheit bereits ziemlich früh verschiedener Arzneipflanzen bedient hat. Wir alle kennen die wohltuende Wirkung eines in der Hand zerriebenen frischen Pfefferminzblattes bei Erkältung. Ähnlich wird es auch den frühen Menschen ergangen sein. Heilpflanzen lindern Übelkeit, Durchfall und Erbrechen, lindern Symptome bei Infekten, dienen als Wundauflage, stillen Schmerzen, helfen beim Abführen und wirken psychoaktiv.

Der Hanf gilt als eine der ältesten Heil- und Nutzpflanzen überhaupt. Über Jahrhunderte wurde er äußerst vielfältig in der Medizin, aber auch im alltäglichen Leben eingesetzt. In einer Höhle in Georgien fand man Hanffasern, die auf ein Alter von 30.000 Jahren geschätzt wurden. Die Fasern des Hanfs gelten als ausgesprochen widerstandsfähig und überstehen selbst widrigste Bedingungen. Mittelalterliche Bogen besaßen Hanfsehnen, die für ihre zur damaligen Zeit sensationellen Spannkräfte bekannt waren. Seefahrt wäre ohne Segeltücher und Seile aus Hanf lange Zeit nicht denkbar gewesen. Und was die wenigsten wissen: Wenn Gutenberg seine berühmte Bibel nicht auf Hanfpapier gedruckt hätte, wäre sie bis heute zu Staub zerfallen. Auch die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 wurde auf Hanfpapier verewigt.

Darüber hinaus liefert die Pflanze wohlschmeckende Samen, was den frühen Menschen nicht entgangen sein dürfte. Als Nahrungsmittel enthalten sie eine Unmenge an Proteinen, Kohlenhydraten und Fetten, die sich in der modernen Küche in Form von Hanföl als wertvolles Speisemittel erwiesen haben. Aus all diesen Gründen waren Hanfpflanzen über Jahrtausende äußerst begehrt – wenn auch allem Anschein nach nicht gleich als Rauschmittel. Zumindest von einigen prominenten Kiffern wissen wir aber: In William Shakespeares Pfeifen, die bei Ausgrabungen seines Wohnhauses in London gefunden wurden, stellte man im Labor Reste von Cannabis fest.14 Auch Alexandre Dumas, George Washington und Königin Victoria von England schworen allem Anschein nach auf die Wirkung des grünen Krauts.

Bei dem vielfältigen Potenzial des Hanfs ist es übrigens vollkommen irrational, dass die Pflanze in ihrer Nutzform als industrieller Rohstofflieferantin in einen solchen Misskredit geraten ist. Ihr THC-Gehalt liegt bei unter einem Prozent und macht sie damit als Rauschmittel völlig ungeeignet. Aber dazu kommen wir später noch.

Die Magie der Pilze

Es wäre viel zu kurz gedacht, die Rauschmittel der damaligen Zeit auf zufällig entdeckten Alkohol und ein wenig Hanf zu reduzieren. Dank Malereien im Westen der Sahara aus der Zeit um 12.000 v. Chr. wissen wir von den »Bienenmännern« (sie heißen so wegen einer Art wabenartiger Maske auf dem Gesicht). Dabei handelt es sich um menschenartige Figuren, die unsere Vorfahren an die Wände ihrer Höhlen pinselten. Im Gegensatz zu anderen Zeichnungen, die ebenfalls gefunden wurden, verfügen diese Gestalten jedoch über pilzartige Auswüchse, die ihren ganzen Körper übersäen und vor allem auf dem Kopf thronen, wie eine Art skurrile Krone. Bemerkenswert ist, dass die Pilze nicht nur in Afrika als Malereien auftauchen, sondern auch in Papua-Neuguinea, Sibirien, Spanien, Guatemala und Indien an Statuen oder anderen Artefakten gefunden wurden – also über die ganze Welt verteilt.

Nun könnte man sagen, ja gut, unsere Urahnen mochten eben Pilze und verspeisten sie regelmäßig. Warum sie nicht in Kunstwerken für die Nachwelt festhalten? Die Sache ist die: Es wurden nicht irgendwelche Pilze gezeichnet und an Statuen verewigt. Sondern Fliegenpilze, die in geringer Dosierung eine halluzinogene Wirkung haben. Und Kahlköpfe, die man heute meist anders nennt: Magic Mushrooms. Mit denen kann man alles Mögliche anstellen, aber für ein köstliches Schwammerlgulasch oder ein Pilzrisotto eignen sie sich weniger gut. Sie wurden demnach nicht aus Gründen der Sättigung vertilgt, sondern um sich an ihnen zu berauschen.

Man geht heute davon aus, dass die Pilze anlässlich von Kulthandlungen und Ritualen eingenommen wurden, zubereitet von den Schamanen, konsumiert vom ganzen Stamm, um einen kollektiven Drogenrausch zu erleben, der die losen Gemeinschaften zusammenschweißte und für scheinbar übernatürliche Erlebnisse sorgte. Diese »göttlichen« Erfahrungen waren für die Menschen der damaligen Zeit so prägend, dass sie sie in ihren Malereien und Statuen, genauer gesagt in Form der Bienenmänner, für die Nachwelt festhielten. Im Rausch kam die Menschheit in Kontakt mit dem Göttlichen, und aus ebenjenem Grund wurde dem Rausch auch eine so große Bedeutung beigemessen – er war der Katalysator für die Spiritualität, aus der später Religionen wurden.

Nicht nur Pilze halfen unseren Vorfahren, die weltlichen Abgründe für einen Moment zu verlassen, um in höhere Sphären zu reisen. Da der Mensch ein findiges Wesen ist, lutschte er auch an Kakteen, rauchte Kräuter und knabberte an Baumrinden. An all jenen Orten auf der Welt, wo halluzinogene Pflanzen wuchsen, erblühten der Schamanismus und später Glaubensrichtungen, ergo auch Religionen. Egal ob Pilze, Wein, Opium oder Weihrauch: Nahezu alle kultischen oder religiösen Handlungen fanden in Verbindung mit Rauschmitteln statt, die eine Art Stairway to Heaven zu sein scheinen.

Es ist übrigens gut möglich, dass sich der frühe Mensch den Konsum der vergorenen Früchte und stimulierenden Pflanzen von den Tieren abgeschaut hat. Man geht beispielsweise davon aus, dass Schamanen vor vielen Tausend Jahren im Amazonas Jaguare dabei beobachteten, wie sie die Blätter einer Lianenart zerkauten und sich danach völlig stoned über den Dschungelboden wälzten. Die Lianenart heißt Banisteriopsis caapi, und das wird Ihnen nun erst einmal nicht viel sagen. Vielleicht haben Sie aber schon den anderen Namen dieser Pflanze gehört: Ayahuasca. Genau, den Konsum haben wir uns von den Wildkatzen abgeguckt.15

Um die Entdeckung des Kaffees hat sich ebenfalls eine hübsche Legende gebildet: Kaldi, ein äthiopischer Ziegenhirte, bemerkte vor langer, langer Zeit, wie manche seiner Tiere putzmunter und quietschfidel nach einem langen Tag über die Weide hüpften, wohingegen er selbst und andere Ziegen müde durchhingen. Ihm fiel außerdem auf, dass manche aus der Herde von einem ihm unbekannten Gewächs mit dunkelgrünen Blättern und kirschroten Früchten aßen, dem Kaffeebaum. Genau wie die Tiere fing Kaldi an, an den Blättern zu knabbern. Und siehe da: »Die belebende Wirkung der grünen Blätter war so stark, dass Kaldi das Gefühl hatte, nie wieder müde oder schlecht drauf zu sein.«16 (Eine andere Version besagt, dass die Kaffeekirschen so entsetzlich schmeckten, dass Kaldi sie ins Feuer spuckte, wo sie ganz herrlich zu duften anfingen. Damit war das Rösten erfunden.)

Ob die Legende wahr ist? Vermutlich nur im Kern. Doch sie zeigt uns zwei Dinge deutlich: 1. Die meisten Dinge werden zufällig entdeckt, oder wir schauen sie uns von anderen Tieren ab. 2. Der ursprüngliche Rausch ist eine Art Belohnung für das Lebewesen, welches die Blätter, Früchte oder Samen eines bestimmten Gewächses verzehrt und an anderer Stelle wieder ausscheidet. Die Pflanze selbst erhält durch die Bereitstellung von rauschauslösenden Substanzen einen evolutionären Vorteil, da sie sich rascher und weitläufiger verbreitet. Ziemlich clever, oder?

Zurück zum Alkohol, dem meistkonsumierten Rauschmittel der Welt. Früchte beinhalten also Zucker, um gegessen zu werden. Dieser reagiert jedoch mit Hefekulturen, die es quasi überall auf dem Planeten gibt – und wird zu Alkohol. Und ebenjener sorgt für bestimmte Rauschzustände bei allen möglichen Tierarten, darunter auch dem Menschen.

Doch nicht nur Alkohol in Früchten ist in der Lage, einen Rauschzustand auszulösen. Zahlreiche Pflanzen produzieren psychoaktive Substanzen, sehr zum Leidwesen unserer umherziehenden Vorfahren, die die meisten Gewächse, denen sie so über den Weg liefen, auf ihre Essbarkeit hin überprüft haben dürften. Sicher ging das nicht immer gut.

Aber wie soll man sonst herausfinden, dass rote Beeren köstlich und bunte Pilze mit weißen Punkten mitunter tödlich sind? Wie viele fatale Zusammenstöße zwischen Pilz und Mensch benötigte es wohl, bis unserem Urahnen klar wurde, dass ein brauner Pilz mit weißen Punkten (Pantherpilz) ins Jenseits führt, eine Kostprobe der roten Version (Fliegenpilz) aber für einen mentalen Spaziergang auf den Ringen des Saturns sorgt?17 Wir werden es nie erfahren.

Aus dieser Zeit der frühen Menschheit ist nämlich nur sehr wenig bekannt. Verantwortlich dafür ist die einfache Lebensweise der Humanoiden dieses Zeitalters, aber auch die fehlende Schrift zur Übermittlung von Wissen und Erinnerungen. Lediglich ein paar einfache Malereien und Verzierungen sind uns geblieben, und bislang wurden keine Tausendfüßler oder Kugelfische darauf erkannt, die aus Gründen des Rausches abgeleckt oder zerkaut wurden. Wenn wir also herausfinden wollen, seit wann und vor allem wie sich die Menschheit berauscht, müssen wir uns zuerst einmal bewusst machen, dass wir auf unserer Recherche in einen langen, dunklen Tunnel hineingehen, aber nur eine Handvoll Kerzen dabeihaben. Genau das macht die Rekonstruktion der Rauschgeschichte des Homo sapiens so unerhört schwierig – aber nicht unmöglich.

Bierbrauer aus Versehen

Etwa zehntausend Jahre vor Christus zogen Menschen in lockeren Verbänden durch die Welt, jagten und sammelten. Man lebte mal hier und mal dort, wo die Beute eben leicht zu fangen und die Jahreszeit angenehm war.

Und dann, auf einmal, wurden die Nomaden sesshaft. Stiegen von Zelten auf solidere Behausungen um und richteten sich einen hübschen Vorgarten ein. Warum? Wir wissen es nicht genau. Fakt ist jedoch, dass die Sesshaftwerdung in mehreren Regionen der Welt mal wieder gleichzeitig erfolgte.18 Möglicherweise waren klimatische Rahmenbedingungen dafür verantwortlich. Mit dem Ende der Eiszeit verschwanden beispielsweise Großtiere wie Mammuts. Die Vegetation erfuhr einen Wandel, dem sich die Tierwelt anpasste und neue, kleinere Arten hervorbrachte, die man leichter fangen und einsperren konnte. Vielleicht lag es am Überangebot der neuen Vegetation, dass sich Sesshaftigkeit lohnte, denn dank dieses Überangebots war es möglich, längere Zeit an einem Ort zu verweilen, Felder zu bestellen, Vorräte anzulegen – und eines Tages aus Versehen Bier zu brauen. 

Belegt wird dies durch Funde, die bis ins Jahr 12.000 v. Chr. datiert werden können. So fand sich in der heutigen Türkei bei Ausgrabungen eine neolithische Anlage, die die Wissenschaft in helle Aufregung versetzte. Die Tempelanlage Göbekli Tepe kann als erster Festplatz der Welt bezeichnet werden. Man geht davon aus, dass sie von umherziehenden Stämmen als Event Location benutzt wurde. Denn in Göbekli Tepe fanden sich Pötte, in denen sich auch nach all diesen Jahren noch Spuren von Getreide nachweisen ließen. Mittels aufwendiger Analysen waren Archäologen in der Lage, das Alter der Spuren zu bestimmen. Und dabei stellte man etwas Erstaunliches fest.

Urgetreide enthielt unter dem Samenstand eine von der Natur angelegte Sollbruchstelle. Diese diente dazu, dass das reife Samenkorn abbrach und im wahrsten Sinne des Wortes vom Winde verweht wurde. In diesen Pötten aber fanden sich Samenkörner ohne diese Sollbruchstellen. Warum soll das interessant sein?, fragen Sie. Nun, die fehlenden Stellen gelten als Beleg dafür, dass sich die Getreide-Urformen bereits in Kultivierung befanden, da sie so länger an der Pflanze verblieben, um eine ertragreichere Ernte zu gewährleisten und dann abgeschlagen, also gedroschen zu werden, wenn der Mensch es wollte. Keine Sollbruchstelle bedeutete demnach mehr Ausbeute.

Um diese Ausbeute aber auch einfahren zu können, war Sesshaftigkeit die Voraussetzung. Und diese wiederum verlangte nach Bevorratung von Nahrungsmitteln, weil der Mensch ansonsten nämlich verhungert wäre, während er auf die Ernte wartete. Eine Bevorratung, ebenso wie die Überproduktion, ist Grundlage allen Handels, denn der Besitz über den eigenen Verbrauch hinaus macht den Tausch von Waren überhaupt erst sinnvoll. Der Handel wiederum verlangt Gefäße und Wege für den Transport. Das ist mit ein Grund dafür, dass fast alle menschlichen Siedlungen an Flüssen gegründet wurden. Flüsse sind nicht nur ein hervorragendes Transportmedium, sondern erlauben auch die Bereitstellung einer größeren Menge an Wasser, die sowohl für die Landwirtschaft als auch für Mensch und Tierzucht benötigt wird. Leider aber auch für Unrat, den man im Gewässer schnell und unkompliziert entsorgen kann, bis heute übrigens.

Wenn Getreide in tönernen Gefäßen gelagert wird, befinden sich an diesen zahlreiche Mikrosporen. Und wenn dann auch noch irgendwo ein Krug Wasser umkippt, es reinregnet oder der Inhalt des Pottes auf andere Art mit Flüssigkeit in Berührung kommt, geht es los mit der Gärung. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich beim ersten Bier um ein reines Zufallsprodukt gehandelt hat, wie bei den meisten Entdeckungen – denken Sie nur mal an das Penicillin oder Amerika.

Aus diesem Grund habe ich Ihnen von der Sollbruchstelle des Weizenkorns, von der Sesshaftwerdung der Nomaden und der Vorratshaltung erzählt: weil durch all diese Faktoren zufällig die Bierproduktion in Gang gesetzt wurde. Die gekeimten, gegorenen Getreidesamen wurden dann offensichtlich zu einem nahrhaften Brei verrührt, welcher der heutigen Maische ziemlich ähnelt. Damit wurde, wenn man es denn so sehen will, das Urbier vom Anbeginn der Zivilisation zu einem Begleiter der Menschheit – und zu einem echten Verkaufshit.

Der Siegeszug des Bieres, das sich ab seiner Entstehung in sämtlichen Jahrhunderten als favorisiertes Getränk in nahezu allen Gesellschaftsschichten herauskristallisierte, hat sicherlich auch mit der Tatsache zu tun, dass Bier im Gegensatz zu reinem Wasser weitgehend keimarm, gut lagerbar und darüber hinaus sehr nahrhaft ist. Getreide kann schimmeln oder von Ungeziefer befallen werden, Wasser kann brackig oder voller Keime sein – allein Bier scheint allen Einflüssen von außen zu trotzen und schmeckt dazu den meisten Menschen auch noch ausgesprochen gut.

Sauf like an Egyptian

Während der menschlichen Besiedlung einer mondsichelförmigen Region vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf wurde die Verbreitung des Alkohols vorangetrieben. In Mesopotamien kannte man bereits 3.000 v. Chr. über zwanzig verschiedene Biersorten. Das belegen Tontafeln und Abbildungen. Aus der Zeit von 1.700 Jahren v. Chr. ist sogar eine Bierschankordnung überliefert. Im Codex Hammurapi, einer babylonischen Sammlung von Rechtssprüchen aus dem 18. Jahrhundert v. Chr., wird ausgeführt, dass die Schankwirtin zu ertränken sei, wenn sie minderwertiges Bier ausschenke. Bierpanscher sollten entweder in ihren Fässern ertränkt oder so lange mit Bier vollgegossen werden, bis sie erstickten – eine altertümliche Art des Waterboardings, und nein, dass anstelle von Wasser Bier verwendet wurde, macht die Sache nicht besser. Solche drakonischen Strafen konnte es freilich nur geben, wenn genug Bier für die Bestrafung übrig war.

Im alten Ägypten galten die verschiedenen Biersorten als Grundnahrungsmittel aller Bevölkerungsschichten. Brot und Bier waren die Bezahlung der Arbeiter auf den großen Pyramidenbaustellen. Auch Staatsbedienstete wurden dergestalt bezahlt. Bier war in diesen Zeiten so wichtig, dass es dieselbe Hieroglyphe wie Brot bekam, nämlich die für Nahrung.

Den Pharaonen kam der Gerstensaft gerade recht. Durch den niedrigen Alkoholgehalt waren die Untertanen nicht sternhagelvoll, sondern lediglich von angenehmer, schmerzfreier Glückseligkeit erfüllt, was, wie gesagt, den Bau der Pyramiden, aber auch den riesiger Städte der damaligen Zeit enorm erleichterte. Darüber hinaus fühlte sich das Volk von seinen Herrschern gut versorgt, weshalb es zu keinen Aufständen oder Revolutionen kam. So erblühte das ägyptische Reich über eine bemerkenswert lange Zeit in Frieden. Bier, da sind sich die Wissenschaftler heute sicher, spielte dabei eine entscheidende Rolle. Das wussten jedoch nicht nur die Pharaonen, sondern auch die Herrscher von Mesopotamien und anderen Kulturen, und alle machten es sich im gleichen Maße zunutze.

Ähnlich wie mit dem Bier dürfte es sich übrigens mit dem Wein verhalten haben. Wilde Weinreben gibt es schon seit Millionen von Jahren, wie fossile Funde belegen. Frühe Sammler haben diese sicherlich auch konsumiert. Aber erst mit der Sesshaftigkeit wurden die Voraussetzungen geschaffen, einen kultivierten Anbau zu betreiben und herauszufinden, dass man aus Trauben alkoholhaltigen Rebensaft herstellen kann.

Der Anbau von Weinreben und damit die Produktion von Wein begann etwa 6.000 v. Chr., und danach verbreitete sich das schmackhafte Getränk schnell. Im Grab von Skorpion I., der um 3.200 v. Chr. lebte, befanden sich 400 Weinkrüge mit einem Gesamtfassungsvermögen von 4.000 Litern. Man kann sich vorstellen, welche immense Bedeutung der Wein gehabt haben muss, wenn eine solche Menge als Grabbeigabe geordert wurde.

In der Antike wurde der Wein dann zunehmend bei religiösen Ritualen verwendet. Bacchus war als römischer Gott des Weines das, was für die Griechen Dionysos war. Die Römer waren es denn auch, die den Wein auf ihrem Eroberungszug nach Europa brachten. So zogen Jahrhunderte des Weinanbaus und der Bierbraukunst dahin, und es wurde fröhlich gepichelt und gebechert.

Auch unter Julius Cäsar bekamen Soldaten eine Tagesration Bier. Denn bei der Eroberung der restlichen Welt und in fast allen Kriegen zu allen Zeiten spielten haltbare Nahrungsmittel eine entscheidende Rolle. Man kann sich leicht vorstellen, dass ein Schiff, das mehrere Wochen, vielleicht sogar Monate unterwegs war, nach kürzester Zeit Probleme mit der Trinkwasserversorgung bekam. In den Behältnissen der damaligen Zeit verwandelte sich Wasser, gerade bei Hitze und in Holzfässern, schnell in eine trübe, jauchige Brühe. Da kam es gelegen, dass alkoholische Getränke für damalige Verhältnisse praktisch unbegrenzt lagerbar waren. Dieser Umstand erst lieferte die Grundlage, größere Touren auf dem Meer zu absolvieren.

Einen heben auf den Herrn

Wenn es schon in der Antike hoch herging in Sachen Rauschmittel, legten die Menschen des Mittelalters richtig los. Bier schwang sich zum wichtigsten Getränk aller Bevölkerungsgruppen auf. Allein in Hamburg gab es 1376 über 450 Brauereien, und die brauchte es auch. Man geht heute nämlich davon aus, dass der Pro-Kopf-Verbrauch an Bier damals bei zwei- bis dreihundert Litern im Jahr lag.19 Das entspricht dem Konsumverhalten von ein bis zwei Liter Bier täglich. Man muss bei dieser Größenordnung des Konsums tatsächlich vom größten Besäufnis aller Zeiten ausgehen, wenn auch das Bier nicht so viel Alkoholgehalt wie heute gehabt haben dürfte. Schnell war klar, dass bei diesem ausschweifenden Verbrauch hohe Steuereinnahmen erzielt werden konnten. In der Tat war Bier eine der wichtigsten Steuereinnahmequellen im Mittelalter. Dazu wurden Regularien erlassen, zum Beispiel von den bayerischen Herzögen Wilhelm IV. und Ludwig X., die 1516 die Inhaltsstoffe für Bier mit Gerste, Hopfen und Wasser beschlossen, was bis heute als Bayerisches Reinheitsgebot gilt.20

Bei ärmeren Bevölkerungsschichten war es als nahrhaftes und kalorienspendendes Lebensmittel äußerst beliebt. Viele Klöster unterhielten Brauereien, und es ist anzunehmen, dass auch hier regelmäßig Gelage stattfanden. Es gibt Berichte darüber, dass Mönchen pro Tag bis zu fünf Liter Bier zustanden.21 Im Hochmittelalter gab es geschätzte fünfhundert Klosterbrauereien. Von einer Nürnberger Klosterbrauerei wird berichtet, dass sie eine Jahresproduktion von 300.000 Litern hatte. Unglaublich, was da los gewesen sein muss.

Nur nebenbei erwähnt sei, dass man auch Messwein benötigte. Die Kirche avancierte damit zu einer bedeutenden Institution in der Produktion alkoholischer Getränke. Aber nicht nur wegen des guten Geschmacks und der rauschhaften Fähigkeiten, sondern auch wegen der desinfizierenden Wirkung des Alkohols. In größeren Städten gab es kaum keimfreies Wasser, da aller mögliche Unrat aus dem Fenster geworfen oder in Flüsse geschüttet wurde. Frische Quellen waren nicht allerorten verfügbar, und so blieben neben Regenwasser eigentlich nur Bier und Wein als keimarme Getränke übrig. Selbst Kindern schenkte man deshalb reichlich ein.

Man könnte nun einwerfen, dass sich die Menschen bei einem solchen übermäßigen Alkoholgenuss doch hätten zu Tode saufen müssen. Der Einwand ist berechtigt, aber die durchschnittliche Lebenserwartung lag beispielsweise vom Mittelalter bis tief ins 19. Jahrhundert nur bei 35 bis 40 Jahren. Heute wird man – zumindest statistisch – als Mann 78,5 Jahre und als Frau 83,4 Jahre alt, hat also doppelt so viel Zeit, sich mithilfe von Alkohol ins Jenseits zu befördern.22 Nur nebenbei bemerkt: Wegen der geringen Lebenserwartung gab es viele Krankheiten wie Diabetes, Herzinfarkt oder Krebs noch gar nicht in der Häufigkeit, wie wir sie heute sehen.

In dieser Zeit der Menschheitsgeschichte, der zweiten wichtigen Epoche nach der europäischen Antike, in der die Wissenschaft florierte und die Entwicklung des alltäglichen Lebens vorantrieb, vertieften sich auch die Erkenntnisse über die Heilwirkungen der Pflanzen. Sogenannte Alchimisten experimentierten mit der Botanik, stellten Arznei- und Heilmittel aus jedem Kraut am Wegesrand her und erprobten die Wirkung am lebenden Objekt, manchmal mit tödlichem Ausgang. Heute verdanken wir den neugierigen Geistern dieser Zeit die Narkose, die der Chirurgie der damaligen Epoche und den Patienten buchstäblich das Leben rettete. Bevor man nämlich die alten Weisheiten aus der Antike wieder ausgrub, wurden Operationen narkosefrei durchgeführt, was nicht selten mit dem bedauerlichen Ableben des Erkrankten endete.

Es überrascht wenig, dass die katholische Kirche mit Argwohn auf all jene hinabsah, die ihnen in die Suppe spuckten. Wer also kein Mönch war und von Gottes Gnaden die Klostermedizin vorantrieb, aber trotzdem wusste, wie man aus dem Grünzeug Salben, Tinkturen und Arzneien, vor allem aber auch Gifte herstellte, wurde im Nullkommanichts als Hexer oder Hexe deklariert und auf den Scheiterhaufen verfrachtet. Da war man mit Bier und Wein dann eben doch auf der sicheren Seite.

Apropos sichere Seite: Mit der Entdeckung der Welt begann der globalisierte Drogenhandel der Menschheit. Denn die Weltreisenden brachten allerlei Unbekanntes aus der Terra incognita mit, darunter Kokain, Opium, Kaffee und sogar Cannabis. Ich lehne mich also nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage: Das Mittelalter war drogentechnisch ein ziemlicher Sündenpfuhl, zumindest aus heutiger Perspektive.

Smoke on the water

So erreichte auch der Tabak unsere Breiten. Bereits ein paar Hundert Jahre vor Christus rauchten Maya-Priester nachweislich Tabak. Dieser wurde nicht nur zu rituellen Anlässen, sondern auch als Medikament zur Behandlung ganz verschiedenartiger Erkrankungen benutzt. Mit Christoph Kolumbus gelangte die Laubblattpflanze 1492 nach Europa. Schnell verbreitete sich der Genuss der Blätter über ganz Europa und dann mit den Jahrhunderten über die ganze Welt. Der Siegeszug ist vorwiegend dem in der Pflanze enthaltenen Alkaloid Nikotin zuzuschreiben, das sie produziert, um Fressfeinde mit Nervensystem abzuwehren, die über einen nikotinischen Acetylrezeptor verfügen.

Das Nikotin erhielt seinen Namen übrigens vom französischen Botschafter in Portugal, Jean Nicot de Villemain, der im Jahre 1560 den Samen des Virginischen Tabaks (Nicotiana tabaceum) an den französischen König schickte und seine medizinische Verwendung propagierte.

Innerhalb eines Jahrhunderts avancierte es zum Allgemeingut, und jeder, der es sich leisten konnte und etwas auf sich hielt, rauchte. Rauchen galt nämlich keineswegs als gesundheitsschädlich, sondern als förderlich, man behandelte Patienten sogar mit Tabakrauch, um Erreger abzutöten.23 Weil Tabak so beliebt war, aber in Europa schlecht angebaut werden konnte, fuhren die ersten Siedler über das Meer Richtung Westen nach Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Tatsächlich fanden sie zwar sehr viel Ackerfläche vor, die man hervorragend bebauen konnte, aber ganz so unbegrenzt waren die Möglichkeiten der Bewirtschaftung eben doch nicht, weil Arbeitskräfte fehlten. Unter anderem auch deshalb importierte man flugs Sklaven aus Afrika, die neben der Baumwolle und dem Zuckerrohr auch Tabak anpflanzten und ernteten. Allein dieses Beispiel zeigt, welche immense Bedeutung den Rauschmitteln bis heute zugeschrieben werden muss: Sie veränderten nicht nur einmal das Weltgeschehen.

Opium fürs Volk

Im ersten Opiumkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts beispielsweise zoffte sich England mit China wegen des Opiums, weil die Krone zuerst kleine Mengen einführte, bald darauf jedoch gigantische Massen in das 2000 Jahre lang abgeschottete Land importierte, um die Opiumhöhlen und damit Millionen von Chinesen mit dem begehrten Stoff zu versorgen. Dem wollte das Reich der Mitte entgegenwirken. England gewann den Krieg am Ende jedoch und zwang China, den Opiumhandel im eigenen Land zu erlauben.24

Ein paar Tausend Jahre vorher gingen die Phönizier etwas raffinierter vor. Sie kultivierten den Schlafmohn und vertrieben das daraus gewonnene Opium in den sogenannten Bilbil-Vasen an andere Völker des Mittelmeerraums, vorrangig diejenigen, die sich gerade im Krieg miteinander befanden. Und während sich die übrigen Parteien bei militärischen Auseinandersetzungen und voll auf Droge eins auf die Mütze gaben, wuchs und gedieh das alte Phönizien und profitierte zudem von den Abhängigkeiten seiner Junkies. Der erste Drogenhandel der Welt war geboren – wenn auch noch lange nicht der letzte.

Auch im sagenhaften Krieg um Troja soll Opium den Griechen zum Sieg verholfen haben, und Alexander der Große zog angeblich nie ohne einen ordentlichen Vorrat an Opium in die Schlacht, ließ den Schlafmohn sogar unterwegs anbauen, damit seine Reserven niemals ausgingen (übrigens ein Grund, warum man die Pflanze heute vor allem in Afghanistan und Indien findet). Denn Opium lässt die Schmerzen vergessen, berauscht und betäubt – und ist deshalb die ideale Kriegsdroge nach der Schlacht.

Opium wird aus Schlafmohn gewonnen, und zwar schon seit mindestens 6.000 Jahren v. Chr. Gefäße aus dieser Epoche, die man bei Ausgrabungen fand, enthielten auf ihrer Banderole Zeichnungen von Mohnkapseln. In den bereits erwähnten Bilbil-Vasen aus der Bronzezeit konnten sogar opiumhaltige Bestandteile nachgewiesen werden.

Abbildung 1: Durch Anritzen der unreifen Schlafmohnkapsel (Papaver somniferum) tritt Mohnsaft aus, der sich nach Autoxidation in Rohopium verwandelt. Rohopium enthält Morphium, eines der wichtigsten Medikamente der Welt, das als unverzichtbar in der Medizin gilt. © Gernot Rücker

Der Schlafmohn hat sehr viel Gutes, aber auch einige verheerende Konsequenzen für die Menschheit gebracht. Nach Anritzen der noch grünen Mohnkapsel tritt Milchsaft aus und gerinnt (das sogenannte Rohopium). Er ist ausgesprochen schmerzstillend, lindert Husten und wirkt psychoaktiv. Doch bevor wir näher auf das Opium und seine Derivate eingehen, müssen wir die Geschichte des Bieres weitererzählen.

Bier überschwemmt die Welt

Mit dem Beginn der industriellen Revolution Mitte des 18. Jahrhunderts nahm der Alkoholkonsum weiter Fahrt auf. In England trat der Gin seinen unglaublichen Siegeszug an.

Politische Querelen führten dazu, dass jeder Engländer seinen Schnaps selbst herstellen konnte. Man kann es kaum glauben, aber im Jahr 1750 trank jeder erwachsene Londoner im Schnitt 36 Liter Gin pro Jahr.25 In Deutschland stieg Anfang des 19. Jahrhunderts in manchen Metropolen der Schnapsverbrauch auf über 40 Liter pro Erwachsenem und Jahr. Die Schnapsbrennerei war ein direktes Resultat des industriellen Booms, der es erlaubte, die Produktion stetig hochzufahren. Dabei war und blieb gerade Bier wegen seiner Sättigung und Nahrhaftigkeit über weite Strecken bis ins 19. Jahrhundert ein tägliches Nahrungsmittel. Mancherorten galt es als respektables Familienfrühstück in dünnen Zeiten. Es etablierten sich riesige Bierbrauereien. In London platzte 1814 in einer Brauerei ein Bottich bei der Bierherstellung, und durch eine Kettenreaktion ergossen sich fast 1,5 Millionen Liter Bier sturzflutartig durch die Straßen, wobei acht Menschen starben. Das Ereignis ging als Londoner Bierüberschwemmung in die Geschichte ein.26 Unerträgliche Arbeitsbedingungen taten ihr Übriges. Der Kalorienlieferant sorgte nicht zuletzt auch dafür, dass sich das unterdrückte Proletariat nur wenig wehrsam zeigte, was den Industriellen der damaligen Zeit gerade recht gekommen sein dürfte – also beinahe wie im antiken Ägypten ein paar Jährchen früher. Schließlich verlangte man vollen Arbeitseinsatz von morgens bis tief in den Abend. Bezeichnend für die Bedeutung des Alkohols ist, dass in Deutschland am 11. Juli 1836 der legendäre erste Zug, der Adler, nach mehreren Erprobungsfahrten auf der Strecke von Nürnberg nach Fürth als erste Fracht zwei Fässer Bier einer Brauerei transportierte. Noch immer werden auf Modellen des Adlers von den Miniaturmodelleisenbahn-Herstellern gern die zwei Fässer gezeigt.

Natürlich alles chemisch

Mit dem Anfang des 19. Jahrhunderts und dem technologischen Fortschritt, der sich auch auf die Naturwissenschaften auswirkte, wurden in den Laborküchen der Welt unzählige synthetische Rauschmittel gebraut. So gelang beispielsweise 1804 durch einen chemischen Prozess erstmals die Isolation des Opium-Hauptwirkstoffes, des Morphiums, nicht zu Unrecht nach dem griechischen Gott der Träume Morpheus benannt.