Ready for Love - Gemeinsam für immer - J. L. Berg - E-Book

Ready for Love - Gemeinsam für immer E-Book

J. L. Berg

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Beschreibung

Was sich neckt, das liebt sich

Der alleinerziehende Vater Jackson Reid hat schon genug damit zu tun, seinem Sohn den Umzug in eine neue Stadt schmackhaft zu machen. Da braucht er nicht auch noch das verrückte Benehmen seiner offenherzigen, freigeistigen und etwas zu gutaussehenden Nachbarin. Liv Prescott macht ihn verrückt - in mehr als einer Hinsicht. Aber als sein Sohn in Schwierigkeiten gerät, ist es Liv, die ihm hilft und an seiner Seite ist. Je mehr Zeit die beiden miteinander verbringen, desto weniger können sie die Anziehungskraft, die zwischen ihnen herrscht, verleugnen.

"Eine unglaublich süße, liebevolle und zugleich sexy Geschichte, die dich ins Schwärmen bringt, während dein eReader durch die unglaubliche Anziehung, die zwischen den Protagonisten herrscht, anfängt zu schmelzen." Good Reads Review

Band 4 der Ready-for-Love-Reihe

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Seitenzahl: 408

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Inhalt

TitelZu diesem BuchProlog123456789101112131415161718192021222324252627282930EpilogDie AutorinDie Romane von J. L. Berg bei LYXImpressum

J. L. BERG

Ready for Love

Gemeinsam für immer

Roman

Ins Deutsche übertragen von Sonja Häußler

Zu diesem Buch

Der alleinerziehende Vater Jackson Reid hat schon genug damit zu tun, seinem Sohn den Umzug in eine neue Stadt schmackhaft zu machen. Da braucht er nicht auch noch das verrückte Benehmen seiner freigeistigen, offenherzigen und etwas zu gutaussehenden Nachbarin. Liv Prescott macht ihn verrückt – in mehr als einer Hinsicht. Aber als sein Sohn in Schwierigkeiten gerät, ist es Liv, die ihm hilft und an seiner Seite ist. Je mehr Zeit die beiden miteinander verbringen, desto weniger können sie die Anziehungskraft, die zwischen ihnen herrscht, verleugnen.

Prolog

Zwanzig Jahre zuvor

Ich stand auf der riesigen Bühne und beugte mich vor, um die winzigen Falten aus meinem hübschen rosa Taftkleid zu streichen. Der Stoff glitzerte und schimmerte, als ich mich im hellen Rampenlicht bewegte. Eine schlichte Satinschleife steckte in meinem Haar, dunkle Löckchen fielen mir über den Rücken und erinnerten mich an all die Prinzessinnen, von denen mir mein Vater vor dem Schlafengehen immer erzählte.

Als ich mich aufrichtete und auf das riesige Publikum in dem überfüllten Saal schaute, lächelte ich unwillkürlich.

Jetzt war ich wohl selbst so etwas wie eine Prinzessin.

»Hör auf herumzuzappeln, Olivia«, flüsterte meine Mutter neben mir.

Ihre blassrosa Jacke passte zu meinem Kleid, war aber nicht annähernd so hübsch. Sie sah darin alt und spießig aus. Mir hatte es besser gefallen, als sie noch Shorts und Sandalen getragen und mit mir im Wasserschleier des Rasensprengers getanzt hatte, wenn es zu heiß und stickig gewesen war, um im Haus zu bleiben.

Ich hörte, wie gegen ein Mikrofon geklopft wurde, das daraufhin mit einem lauten Knacken zum Leben erwachte. Meine Aufmerksamkeit richtete sich auf den vorderen Teil der Bühne, als die Menge in tosenden Applaus ausbrach.

Lächelnd beobachtete ich, wie mein Daddy grinsend und winkend hinter dem Vorhang hervortrat, vorbei an einem Meer aus Rot, Weiß und Blau. Schilder mit seinem Bild und seinem Namen hüpften in der Menge auf und ab und schon bald ertappte ich mich dabei, wie ich mir die Ohren zuhielt, um den donnernden Applaus nicht mehr zu hören. Schlanke, gepflegte Finger griffen nach meinen Händen und zogen sie wieder nach unten. Ich blickte auf und bemerkte, dass meine Mutter sich Tränen aus den Augen tupfte. Sie umarmte mich fest und trocknete dann auch die salzigen Spuren auf ihren Wangen.

»Er gehört jetzt nicht mehr uns allein. Ab jetzt wird alles anders werden«, sagte sie.

Ich blickte wieder zu meinem Vater, der jetzt vor dem Podium aus Holz stand. Nachdem er allen Anwesenden gedankt hatte, drehte er sich um und winkte uns zu sich. »Ich wäre nichts und niemand, ohne diese beiden Frauen an meiner Seite – meine wunderbare Frau June und meine entzückende Tochter Olivia.«

Die Menge jubelte und unwillkürlich lächelte ich und wurde ein wenig rot.

Ich fühlte mich tatsächlich wie eine Prinzessin – oder zumindest wie die Tochter eines Senators.

Was immer das war.

Mein Vater sagte immer, dass Senator zu sein eine große Sache wäre. Ich wusste nur, dass jetzt überall auf Plakaten sein Gesicht zu sehen war, und schon bald würde er in der Stadt im Kapitolgebäude arbeiten. Ich war schon mal auf einem Schulausflug dort gewesen. Es hatte ausgesehen wie das Weiße Haus und alle hatten gesagt, dass es sehr alt war.

»Das ist nur der erste Schritt. Wir werden Bewegung nach Virginia bringen, meine Damen und Herren! Heute Abend der Sieg, morgen schon die Veränderung!«, rief er ins Mikrofon.

Das Publikum brach erneut in Jubel aus, als er die Arme um uns legte. Die Tränen meiner Mutter flossen weiter, während ich zu all den Leuten hinunterlächelte, die meinem Vater zujubelten.

Sie irrte sich.

Daddy war nicht anders. Er fühlte sich noch genauso an und sah auch immer noch wie der liebevolle Dad aus, der mich abends zudeckte und mir Lieder über Dinosaurier und Prinzessinnen vorsang, die zusammen Tee tranken. Es war nur ein Job. Kara war eine meiner Schulfreundinnen, und ihr Vater hatte auch einen neuen Job angenommen. Das Einzige, was sich in Karas Leben geändert hatte, war, dass sie jetzt in einem größeren Haus in unserer Straße wohnte.

Wir hatten schon ein großes Haus.

Wieder blickte ich zu meinem Daddy auf, der mich noch fester an sich drückte und der Menge zuwinkte.

Nichts würde sich ändern.

Er würde immer mein Held sein.

1

Liv

Zu spät.

Ich kam immer zu spät.

Ich hatte keine Ahnung, wie andere ihr Leben so mühelos managten, vor allem, wenn sie außer sich selbst noch andere Verpflichtungen hatten wie etwa einen Ehemann, Kinder und ein paar Zimmerpflanzen.

Ich musste nur mich selbst managen, und doch rannte ich im letzten Augenblick immer herum wie ein aufgescheuchtes Huhn und versuchte zum Beispiel zu entscheiden, ob die blaugrünen oder die braunen Sandalen besser zu meinem Kleid passten.

»Blaugrün. Eindeutig blaugrün«, murmelte ich, als ich in den bodenlangen Spiegel starrte, der an meiner Schlafzimmertür hing.

Nachdem die Schuh-Entscheidung getroffen war, legte ich noch einen Gang zu, streifte Armreifen und einen Schal über, bevor ich alles mit einem Spritzer meines nach Lavendel duftenden Lieblingsparfüms abrundete.

Ich eilte die Treppe hinunter und blieb abrupt stehen, als ich die Haustür erreichte.

»Braun!«, schrie ich, auch wenn niemand da war, und hastete wieder nach oben, um zum zehnten Mal die Schuhe zu wechseln.

Ich rannte wieder ins Erdgeschoss meines kleinen historischen Hauses und schnappte mir Schlüssel und Handtasche, bevor ich aus der Haustür stürmte. Gerade hatte ich den Schlüssel im Schloss gedreht, als ich den riesigen Umzugswagen bemerkte, der die ganze Straße blockierte.

»Was soll das, verdammt?«, murmelte ich und sah mich leicht verwirrt um.

Mein kleiner blauer Prius war von diesem roten Monstrum von Umzugswagen vollkommen zugeparkt.

Mike’s Movers prangte auf der Seitenfläche und zwei große, muskelbepackte Männer trugen gerade eine große blaue Kommode langsam die Rampe herunter.

»Entschuldigen Sie!«, rief ich und marschierte zu den Männern hinüber, die bullig wie Quarterbacks waren.

»Ja?«

»Ist Ihnen klar, dass Sie mit Ihrem Möbelwagen die ganze Straße blockieren?«, fragte ich; dabei versuchte ich zu ignorieren, wie schrill meine Stimme klang und wie sich meine Hand wie von selbst in die Hüfte stemmte.

Ich kam rüber wie eine Zicke.

Aber ich bin wütend!

Bulliger Typ Nummer eins zog amüsiert eine Augenbraue nach oben. Zweifellos fand er meine Verärgerung niedlich und entzückend.

»Tut mir leid, Süße. Das hier ist eine schmale Straße und die Seitengassen sind nicht breit genug. Wir arbeiten so schnell es geht.«

»Hören Sie mal, Süßer«, erwiderte ich; sein träges Lächeln geriet dadurch ein wenig ins Stocken. »Ich bin spät dran und muss wirklich unbedingt aus meiner Einfahrt herauskommen. Wenn Sie also so nett wären, und mit Ihrem fetten Möbelwagen ein klitzekleines Stückchen vorfahren würden, um mich herauszulassen, wäre ich Ihnen wirklich sehr verbunden.«

Offenbar hatte meine Höflichkeit mit einem Hauch von Südstaatencharme nicht gezogen. Nicht das geringste bisschen.

Der Mann sah mich verdutzt an, dann wischte er sich mit dem Ärmel seines verschwitzten Oberteils die Nase ab. »Tut mir leid, aber wir stehen unter Zeitdruck, Lady.«

»Och!«, rief ich frustriert. »Gibt es zu all dem Krempel auch einen Besitzer?«

»Ja, aber der ist im Moment nicht da. Der steht wohl auf der I-95 im Stau. Ich glaube, er zieht aus dem Süden hierher«, schwafelte er.

»Na toll.«

Ich warf einen letzten Blick auf den Transporter, der meinem Auto den Weg auf die Straße versperrte – die Straße, die zum Haus meiner besten Freunde Mia und Garrett Finnegan führte.

Ich würde wieder mal zu spät kommen.

***

Eine Stunde später startete ich den Wagen und brauste so schnell wie möglich die Straße entlang in Richtung Garretts und Mias Haus, endlich auf dem Weg zur Party.

Sämtlichen Ärger mit neuen Nachbarn und Umzugsfirmen ließ ich dabei sofort hinter mir.

Mein kleiner Patensohn wurde heute ein Jahr alt.

Es erstaunte mich immer noch, sagen zu können, dass ich ein Patenkind hatte.

Als meine beste Freundin Mia Emerson vor vier Jahren plötzlich vor meiner Tür gestanden hatte, war sie nur noch die Hülle ihres früheren Selbst gewesen. Obwohl sie sich äußerlich kaum verändert hatte. Auch wenn sie älter und weniger naiv wirkte als das letzte Mal, als ich sie gesehen hatte, hatte ihr Ich in ihren hellblauen Augen aufgeblitzt – oder zumindest ein Teil davon. Den anderen Teil hatte sie acht Jahre zuvor hinter sich gelassen, als sie gebrochen und voller Scham von hier weggegangen war. Als sie dann Garrett auf dem Wochenmarkt wiederbegegnet war, hatte das ihre ganze Welt wieder zurechtgerückt.

Auf beiden Seiten hatte es Zeit und eines langen Heilungsprozesses bedurft, aber am Ende hatten sie den Weg zurück zueinander gefunden.

Und dann hatten sie Asher, meinen wundervollen kleinen Patensohn, gefunden.

Nach einer Fehlgeburt, die schiefgegangen war, konnte Mia keine eigenen Kinder mehr bekommen. Nach ihren ersten Ehejahren hatten sie und Garrett beschlossen, ein Kind zu adoptieren und eine Familie zu gründen.

Zu sehen, wie meine beiden besten Freunde Eltern wurden, war eine Freude, die ich kaum beschreiben konnte, und es hatte mir den Glauben daran geschenkt, dass alles möglich war.

Außer der Möglichkeit, dass ich es je rechtzeitig irgendwohin schaffen würde.

Ich funkelte die Ampel an, die schon eine gefühlte Ewigkeit auf dem ätzenden Rotton verweilte, und versuchte insgeheim, sie durch die Kraft meines Willens dazu zu zwingen, auf Grün umzuschalten. Irgendjemand muss in diesem Augenblick Mitleid mit mir gehabt haben, denn die Ampel schaltete genau da wundersamerweise um, und ich fuhr rasch die letzten paar Blocks bis zu dem reizenden kleinen renovierten Haus, in dem Garrett und Mia seit deren Rückkehr nach Richmond wohnten. Seit Garrett eingezogen war, hatte das Haus mehrere Verbesserungen erfahren, und jetzt war es das Vorzeigestück des ganzen Blocks. Seine frische Farbe und die gelungene Gartengestaltung machten es zu einem der begehrtesten Anwesen dieser Gegend. Doch bis der kleine Asher mehr Platz für sich beanspruchte oder sie einen weiteren Familienzuwachs planten, würden die Finnegans bestimmt an Ort und Stelle bleiben.

Ich klopfte gar nicht erst, sondern öffnete einfach die Haustür und rief: »Hallo?«

Mias Golden Retriever Sam kam durch den Flur gerast. Mehrere Kleinkinder waren ihm dicht auf den Fersen.

Ich begrüßte ihn und die Kinder ausgiebig und ging dann in die Küche, wo sich die Mehrheit der Erwachsenen um die Vorspeisen scharte.

»Hallo zusammen. Tut mir leid, dass ich zu spät komme.« Ich stellte die Gemüse- und Hummusplatte auf die Theke neben eine riesige Schüssel Obstsalat.

»Kein Problem«, sagte Mia und grinste,

»Was ist?«, fragte ich, weil ich den Schalk in ihren Augen bemerkte.

»Na ja, wir sind inzwischen irgendwie daran gewöhnt.«

Ich warf ihr ein Geschirrtuch an den Kopf, und sie brach in Gelächter aus.

»Halt die Klappe«, murmelte ich. »Du hast Mehl im Haar.«

Sie riss die Augen auf, während ihre Hand zu ihren langen braunen Haaren hinaufschoss und den weißen Puder, der sich auf ihren Scheitel gelegt hatte, wegwischte.

»Ich weiß nicht, wir du es schaffst, jeden Morgen pünktlich zur Arbeit zu erscheinen, wo du doch zu allem anderen zu spät kommst, Liv.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich will meinen Boss nicht verärgern.« Ich zwinkerte, was alle zum Lachen brachte. »Wo ist mein …«, begann ich, und genau da drehte das Babyfon durch.

Rote Lichter leuchteten auf, während ein schrilles Geheul den Raum erfüllte.

»Oh, da ist er ja«, sagte ich grinsend.

»Er hat ein extra langes Mittagschläfchen gemacht«, erklärte Garrett.

Mia machte eine Bewegung zur Treppe hin.

»Lass mich das machen«, sagte ich. »Ich will ihn knuddeln.«

Mein blaugrüner Rock flatterte hinter mir, als ich die Küche verließ und die Treppe hinaufrannte. Ich ging durch den Flur, vorbei am Schlafzimmer, bis zu Ashers Kinderzimmer. Ich stieß die Tür zu dem schwach beleuchteten Raum auf und ging hinein.

Das sanfte Licht des Zimmers dämpfte die meisten der bunten Farben, sodass nur noch gedeckte, trübe Töne zu sehen waren. Das Gelb der Wände war kaum wahrzunehmen, weil die schwarzen Jalousien fest geschlossen waren, aber ich konnte gerade noch die kleinen Sterne erkennen, die ich Monate, bevor Asher hier eingezogen war, auf die Wände gemalt hatte. Mein kleiner Liebling stand in seinem Bettchen, über seine Pausbacken liefen Tränen. Sobald er mich sah, flogen seine kleinen Arme fordernd nach oben, während er das letzte bisschen Geduld, das er noch hatte, verlor.

»Okay, okay.« Ich musste lachen. »Ich befreie dich«, gurrte ich. Dann hob ich ihn aus seinem Bettchen und drückte ihn an mich.

Er duftete nach Babyshampoo, so sauber und frisch. Wer immer diesen speziellen Duft erfunden hatte, war ein Genie. Ich hatte zwar nicht vor, in absehbarer Zeit ein Baby zu bekommen, aber nur ein Hauch von diesem Duft sorgte dafür, dass sich sogar meine angeketteten Eierstöcke ein kleines bisschen zusammenzogen.

Nachdem ich rasch seine Windel gewechselt hatte, brachte ich Asher nach unten zum Rest der Familie. Seine griesgrämige Laune war vollkommen vergessen, als er seine Geburtstagstorte entdeckte. Sie war blau, mit braunen und weißen Punkten und einer riesigen Kerze in Form einer Eins. Nachdem ich das zappelnde Kind in den Hochstuhl gesetzt hatte, sangen wir alle, und Mia stellte den Kuchen vor ihm ab. Asher machte vor Freude ganz große Augen, während Mia sich vergeblich bemühte, ihn davon abzuhalten, seine kleinen Finger in den Tortenguss zu bohren. Sie und Garrett halfen, die Kerze auszupusten, und schnitten dann ein kleines Stück Kuchen für das Geburtstagskind ab. Alle sahen in einer Mischung aus Begeisterung und Horror zu, wie Asher den Kuchen zerstörte und sein Gesicht und den Hochstuhl mit Tortenguss und Schokokuchen beschmierte.

»Er hat eine Riesensauerei gemacht!«, sagte Lily zu ihrer Mutter Leah.

Es folgte ein Prusten und Leah antwortete: »Baby, das hast du auch gemacht. Ich habe noch tagelang Schokolade aus deiner Nase geholt.«

Leah warf mir ein rasches Grinsen zu und ich lachte. Ich mochte Leah. Wir standen uns nach all den Jahren inzwischen ziemlich nahe und ich betrachtete sie als eine meiner besten Freundinnen. Sie war die beste Freundin von Garretts Schwester Clare Matthews.

Irgendwie war ich in diese verrückte Familie hineingezogen worden und war jetzt eine von ihnen.

Die Finnegans definierten Familie nicht nach Nachnamen oder Blutlinie. Zu ihr gehörten alle geliebten Menschen, und alle in diesem Raum – egal ob sie mit Nachnamen Finnegan, James, Matthews oder gar Prescott hießen, so wie ich – wurden als zur Familie gehörig betrachtet.

Es war die einzige Familie, die ich seit Jahren hatte.

Jackson

»Gütiger Himmel, die Tapete hatte ich ja ganz vergessen«, murmelte ich, als ich am Badezimmer vorbeikam. Ich stellte einen weiteren Karton in dem Zimmer ab, das Noah bei unserem ersten Rundgang zu seinem erklärt hatte.

»Irgendwie mag ich die Tapete in der Toilette, Dad«, sagte er.

Sein junges Lachen erfüllte den Flur, als er sich gegen die Tür lehnte, die in das schreckliche Badezimmer führte.

»Sie ist furchtbar. Wem gefällt so etwas?« Mein Blick wanderte über die Tapete, die vom Boden bis zur Decke reichte und älter als ich zu sein schien. Früher war sie wohl mal schneeweiß gewesen, inzwischen war sie zu einem schmuddeligen Beige verblasst. Die daraufgedruckten Motive – alte, antike Toiletten – rangierten von Blassblau zu Gusseisenfarben und beherrschten den ganzen Raum.

»Uroma«, erwiderte Noah. »Ganz eindeutig.«

»Ja. Sie muss das wohl für eine gute Idee gehalten haben … anno 1955.«

Wieder lachte er, und ich verwuschelte seine Haare. Er duckte sich weg und verdrehte die Augen. Dann tat er das, was ich nur als Justin-Bieber-Haarschwenk bezeichnen konnte, um seine sandfarbenen Haare wieder in Ordnung zu bringen. Ich hatte alles versucht, ihm diesen albernen Haarschnitt auszureden.

Und hatte verloren. Die Frisur war cool, und ich war der, der das einfach nicht kapieren wollte.

Kinder in der Frühpubertät musste man einfach lieben.

Noah steckte gerade in diesen ganz speziellen Entwicklungsjahren, in denen er hin- und hergerissen war zwischen dem einfachen Leben eines Kindes und der verlockenden Komplexität eines Teenagers.

Mein Sohn kam demnächst in die sechste Klasse. Ich wusste nicht so recht, was in den letzten paar Monaten auf der Grundschule mit ihm passiert war, aber es war, als hätte ihn der Gedanke an die Mittelschule oder die Vorfreude darauf plötzlich vollkommen umgekrempelt.

Entweder das, oder Aliens hatten meinen echten Sohn entführt und das hier war nur ein Double. Darüber war ich mir immer noch nicht ganz im Klaren. Er war dauernd launisch, schwankte von einem Extrem ins andere. Im einen Moment fand ich ihn in seinem Zimmer vor, wo er mit Legosteinen spielte und vor sich hinsang. Im nächsten Moment brüllte er mich an, ich solle ihn nicht behandeln wie ein Baby.

Früher hatten wir über alles geredet, von Gefühlen bis hin zur Sesamstraße und alles, was dazwischenlag. Jetzt schrie er mich an und knallte mir die Tür vor der Nase zu.

Lag es an mir? Verwöhnte ich ihn zu sehr? Oder waren es tobende Hormone, die plötzlich seinen Körper befielen, und er konnte sie einfach nicht im Zaum halten?

Ein Teil von mir fragte sich immer, ob dies daran lag, dass er keine Mutter in seinem Leben hatte.

Was, wenn ich nicht genügte?

Ich versuchte immer, alles zu sein, was er brauchte, aber egal wie gut mir das gelang – eine Mutter konnte ich nicht ersetzen.

Ich stand im Flur und sah ihm nach, als er auf sein neues Zimmer zuschlurfte, zweifellos auf der Suche nach seinem Handy oder seinem iPod, und ich schüttelte einfach nur den Kopf. Ich hatte keine Zeit, um über Fragen zu brüten oder zu grübeln, auf die ich keine Antworten hatte.

Dieser blonde, blauäugige Junge war das Einzige, was ich auf dieser Welt hatte.

So oder so musste ich genügen.

Liv

Ich war angenehm überrascht, meine Straße leer und frei von Umzugswagen vorzufinden, als ich ein paar Stunden später nach Hause zurückkehrte – randvoll mit Essen und high vom Geruch von Ashers Babyshampoo. Er war meine Droge. Ich liebte dieses kleine Monster. Wie immer hatten Mia und Garrett ihn mir entreißen müssen.

Ich war achtundzwanzig und hatte nicht vor, in absehbarer Zeit zu heiraten – wenn überhaupt. Hin und wieder mein Patenkind in den Armen zu halten minimierte die Neigung, mir ein Kind zu wünschen. Man mochte vielleicht einen gewissen Lebensplan haben und fest entschlossen sein, sich daran zu halten, aber das hieß nicht, dass die Hormone dabei mitspielten.

Ich war nicht grundsätzlich gegen das Heiraten und hatte auch keine schreckliche Vorgeschichte, um dies zu untermauern. Ich glaubte einfach nur nicht, dass ich das spezifische Gen hatte, das es einem Menschen erlaubte, sich ein Leben lang mit einem anderen zusammenzutun.

Ein einziger Kerl – für immer?

Das klang so endgültig.

Nur einen auszusuchen wäre ja, als würde man sich für immer und ewig für ein einziges Schmuckstück entscheiden.

Ich hatte da diesen herrlichen türkisfarbenen Anhänger. Ich hatte ihn auf dem Markt gekauft, von einem Schmuckverkäufer, der nur einzigartige Designs herstellte. Der Anhänger war sofort zu meinem Lieblingsschmuckstück geworden. Das ziselierte Silber und das dunkle Türkis passten perfekt zu fast allem in meinem Schrank. Ich hatte ihn so oft getragen, dass meine Freunde schon vergessen hatten, wie ich ohne ihn aussah. Der Anhänger und ich waren eins geworden – bis ich eine Amethyst-und-Rosenquarz-Halskette gefunden hatte, die den türkisfarbenen Anhänger in jeder Hinsicht ausstach. Ich trug den Türkis zwar immer noch, aber er war nicht mehr annähernd so besonders.

Ist es mit Männern nicht auch so – der, mit dem man gerade zusammen ist, ist wie der Türkisanhänger, bis ein Besserer daherkommt?

Daher hatte ich schon vor langer Zeit beschlossen, eine sehr große Schmucksammlung zu haben.

Ich wandte dieselbe Logik bei den Männern an, mit denen ich ausging – lustig und zwanglos, solange es andauerte, aber nichts Dauerhaftes.

Das Leben war zu kurz, um sich festzulegen.

Ich parkte mein Auto am Straßenrand vor meinem Haus, dann sah ich kurz in den Rückspiegel und versuchte, einen Blick auf meinen neuen Nachbarn zu erhaschen.

Solange ich denken konnte, hatte ich neben Mrs Reid gewohnt. Sie war eine süße, großmütterliche Frau.

Sie hatte jeden Sonntag Cookies gebacken, bis täglich Pflegekräfte ins Haus gekommen waren und das mit den Cookies aufgehört hatte. Sie war kein großer Fan meiner Bio-Cookie-Versionen. Ich hatte ihr einen Teller Chocolate-Chips-Cookies präsentiert und damit angegeben, dass ich dafür Apfelmus statt Öl verwendet hatte. Zögernd hatte sie in einen hineingebissen und die Nase gerümpft.

»Cookies benötigen Fett, Liebes«, hatte sie zu mir gesagt.

Ich hatte gelacht und war nicht im Mindesten verletzt gewesen.

Sie hatte hinten im Garten Gemüse und Rosen angepflanzt, bis sie nicht mehr ohne Hilfe gehen konnte, und ab da hatte ich mich um ihren Garten gekümmert. Mit Ende achtzig war Mrs Reid schließlich verstorben.

Als ich aus dem Wagen stieg, und mein Blick auf die Blumenbeete zwischen unseren beiden Häusern fiel, schnappte ich nach Luft.

»Wer macht so etwas?«, flüsterte ich, als ich auf die traurigen Überreste der geköpften Pflanzen hinuntersah. Wo einst wunderschön bunte, mehrjährige Blumen geblüht hatten, war die Erde jetzt von Fußstapfen aufgewühlt.

Wutentbrannt starrte ich auf die Lichter im Haus. Im oberen Stock, dort wo Mrs Reids Schlafzimmer gewesen war, zeichnete sich ein Schatten im Fenster ab.

Ich trat einen Schritt vor, bereit, hinüberzumarschieren, den neuen Nachbarn kennenzulernen und ihm gründlich die Meinung zu sagen.

Eine starke Brise bauschte den Vorhang auf und plötzlich verdichtete sich der Schatten zum schönsten nackten Rücken, den ich seit Jahren gesehen hatte. Er war gebräunt, breit und so muskulös, dass man auch noch im Stockwerk darunter die klaren Umrisse der Muskeln erkennen konnte. Harte, schlanke Arme griffen in einen Karton und zogen ein T-Shirt heraus, während ich flehte, er möge sich umdrehen – bis mein Blick auf seinen Hintern fiel.

Gütiger Himmel.

Mein neuer Nachbar war heiß – zumindest von hinten.

Dreh dich um, dreh dich um, flehte ich innerlich.

Das Wetter nutzte diesen Moment aus, um mich an seine Unberechenbarkeit zu erinnern, und sandte einen Windstoß zwischen unseren beiden Häusern hindurch. Der Vorhang fiel zurück an seinen Platz und wieder sah ich seine Gestalt nur noch schemenhaft.

Als die ersten Regentropfen das drohende Gewitter ankündigten, blickte ich auf den einst perfekten Garten hinunter, den ich zu Ehren meiner langjährigen Freundin und Nachbarin mühsam am Leben gehalten hatte. Ich spürte, wie meine Wut wieder an die Oberfläche brodelte.

Heiß hin oder her – mein neuer Nachbar war ein Blumen zertrampelnder Volltrottel, und wenn ich morgen von der Arbeit käme, würde ich dafür sorgen, dass er das auch erfuhr.

Außerdem würde ich mir einen Moment Zeit nehmen, um zu sehen, ob sein Gesicht zu seinem perfekten Rücken und zu seinem perfekten Hintern passte.

Jetzt hör aber auf, Liv.

2

Jackson

»Du bringst mich wohin?«, fragte Noah wieder, seine Stimme hatte wieder dieses gereizte Nörgeln angenommen, das ich inzwischen hasste.

»Zu jemandem, mit dem du reden kannst – abgesehen von mir«, sagte ich schulterzuckend.

»Eine Therapeutin, Dad? Du hast vorhin Therapeutin gesagt.«

Ich seufzte. »Ja, okay. Sie ist Therapeutin, aber eine sehr gute. Keine Psychotante und keine Ärztin. Sie ist einfach mal jemand anderes als dein Dad. Hör mal, ich weiß, dass gerade auch außer dem Umzug und der neuen Schule eine Menge abgeht. Das war für keinen von uns einfach, vor allem nicht für dich. Ich dachte einfach, es wäre eine gute Idee, wenn du jemanden Neutrales hast.«

»Jemand Neutrales?«, fragte er und zog dabei verwirrt die Augenbrauen zusammen.

»Ja, weißt du, jemanden, der nicht zusammenzuckt, wenn du sagst, dass du deine Haare so tragen möchtest wie dieser kindliche Sänger … oder wenn du über Mädchen reden willst.«

»Das ist keine Bieber-Frisur, Dad!«, schnaubte er.

Der Hauch eines Lächelns überkam ihn und ich musste unwillkürlich lachen.

»Es ist ein Skater-Schnitt«, fügte er hinzu.

Geschlagen hob ich die Hände. »Also gut. Es ist ein Skater-Schnitt. Er ist cool.« Zweifelnd sah er mich an und ich grinste. »Echt wahr.«

»Wie ist sie?«, fragte er, als wir zur Haustür hinaus und zum Wagen gingen.

»Das weiß ich nicht so genau. Nachdem du gestern Abend schlafen gegangen bist, habe ich ein wenig recherchiert und sie wurde auf einigen Foren wärmstens empfohlen. Heute Morgen habe ich dann angerufen, und normalerweise dauert es Wochen, aber ich bekam trotzdem einen Termin für dich, weil zufällig jemand abgesagt hatte.«

»Hmm«, war alles, was ich an Antwort darauf bekam. Er zog die Knie an die Brust und beugte seinen Kopf über sein Handy.

Als ich beschlossen hatte, dass wir von unserer Heimatstadt Charleston nach Richmond umziehen würden, war ich am Ende eingeknickt und hatte ihm ein Handy gekauft. Ich hatte gewusst, dass er seine Freunde zu Hause vermissen und eine Möglichkeit brauchen würde, in Kontakt mit ihnen zu bleiben. Mir war nur nicht klar gewesen, wie sehr Kinder heutzutage in Kontakt blieben. Ich war überrascht, dass ihm nicht längst vor Überbeanspruchung die Finger abgefallen waren.

Außerdem hätte ich mir am liebsten die Pulsadern aufgeschnitten, weil mir soeben ein Wort wie heutzutage durch den Kopf geschossen war.

Gott, ich fühlte mich verdammt alt.

Elf Jahre als alleinerziehender Vater hatten mich erstaunlich altern lassen, sodass ich jetzt viel älter aussah, als ich eigentlich war. Ich war vierunddreißig, fühlte mich aber an den meisten Tagen gut zehn Jahre älter, und das obwohl ich regelmäßig joggte und ins Fitnessstudio ging.

Vielleicht war dieser Neuanfang in einer fremden Stadt genau das, was ich jetzt brauchte.

Ich parkte vor einem kleinen Praxisgebäude und stellte den Motor ab. Dann las ich das Schild, auf dem Familien- und Kindertherapeutin stand, und hoffte, dass dies genau das wäre, was wir beide brauchten.

»Das sieht voll hippiemäßig aus«, stellte Noah missmutig fest, als wir uns auf den Weg zur Tür machten.

»Was weißt du schon über Hippies?«, fragte ich, während ich die Windspiele aus Holz und den Zinnbrunnen hinten in einem gepflegten kleinen Garten betrachtete. Es war die fröhlichste Praxis, die mir je untergekommen war. Das musste ich Noah lassen.

»Ich weiß nicht, aber Jakes Mom hat immer gesagt, dass ihre Nachbarn Hippies sind, und die hatten auch diese komischen Holzdinger auf der Veranda.«

Ich verdrehte die Augen. »Das sind einfach nur Windspiele. Hör nicht auf die engstirnigen Eltern deine Freunde.«

»Du bist mit ihr ausgegangen«, rief er mir ins Gedächtnis, als wir die Stufen zur Haustür hinaufgingen.

»Erinnere mich bloß nicht daran.« Ich schauderte. »Komm, lass uns reingehen.«

Die beiden Wochen waren die schlimmsten meines Lebens gewesen, und das wollte etwas heißen.

Jake war Baseballspieler, und ein guter noch dazu. Seine Mutter, Helen, war eine stolze Südstaaten-Mama. Es schien nur zwei Themen zu geben, von denen sie etwas verstand – na ja, vielleicht auch drei – Jake, Baseball sowie Jake und Baseball zusammen.

Wie die meisten Männer hatte ich schon meinen Anteil an Sport gesehen, einschließlich Baseball. Seit diesen zwei Wochen war ich nicht mehr in der Lage gewesen, ein Spiel zu sehen, ohne trocken zu würgen.

Das war echt eine Schande, denn Helen war mächtig gut im Bett – wenn sie erst mal aufgehört hatte zu reden. Ich konnte den Klang ihrer Stimme nur genießen, wenn sie meinen Namen hinausschrie.

Nach einigen höllischen Dates war ich schließlich zu dem Schluss gekommen, dass kein Sex auf der Welt dies wert war. Ihre mit Tränen gefüllten Augen voller Enttäuschung und Schmerz hatten mich außerdem zu der Erkenntnis gebracht, dass ich nicht mit den Müttern der Freunde meines Sohnes anbändeln sollte.

Es war zu kompliziert.

Das war jetzt zwei Jahre her.

Neben hin und wieder zufällig aufgegabelten Frauen war mein Dating-Leben ein wenig verdorrt. Eigentlich schon saharamäßig verdorrt.

Vielleicht würde ich hier, in dieser neuen Stadt, endlich jemanden finden, der nicht verrückt oder herzlos war, jemanden, der sich nicht um Baseball scherte und jemanden, der Noah genauso liebte wie ich.

Herrgott, momentan würde ich mich mit jemandem zufriedengeben, der einfach normal wäre.

»Normal« war das genaue Gegenteil von dem, was ich sah, als ich den Kopf drehte und Miss Prescott gegenüberstand. Sie trug ein langes, fließendes Kleid, das wie ein indischer Sari aussah, und ihre dunklen Haare hingen ihr in einem losen Zopf über den Rücken. Mir fielen Noahs Worte von vorhin wieder ein und unwillkürlich musste ich grinsen, weil mir das Wort Hippie durch den Kopf schoss.

»Hi, Sie sind wohl …«

»Jackson«, stellte ich mich vor und streckte die Hand aus.

Sie trat vor, ihr bunter Rock raschelte, als sie sich bewegte. Die vielen Armreifen an ihrem schmalen Handgelenk klirrten, als sie meine Hand ergriff. Sie sah mir aus ihren schokoladenbraunen Augen warm und einladend ins Gesicht und lächelte.

Sie ist umwerfend.

»Ich muss mich entschuldigen. Meine Sprechstundenhilfe musste ganz plötzlich nach Hause gehen – Lebensmittelvergiftung. Das war nicht schön. Deshalb habe ich absolut keine Ahnung, was läuft und wer kommt. Eine Freundin ist auf dem Weg, um mir zu helfen, aber bis sie hier ist, dauert es noch ein paar Minuten. Es wäre schön, wenn sie all die Verwirrung mit mir durchstehen würden.«

Ihr Blick schweifte zu Noah hinüber, der auf dem grünen Plüschsofa Platz genommen hatte. Sein Handy lag in seinem Schoß, doch seine Aufmerksamkeit galt der Frau, die vor uns stand.

»Und wer bist du?«, fragte sie, während sie vortrat, um sich neben ihn zu setzen.

»Noah«, sagte er.

»Schicke Frisur, Noah. Ziemlich cool.«

»Danke«, erwiderte er. Seine Wangen röteten sich ein wenig, während ein winziges Lächeln um seine Mundwinkel zuckte.

»Sollen wir ein wenig abhängen?«, fragte sie.

»Äh …« Sein Blick schweifte umher und er sah mich zögernd an.

»Mach dir keine Sorgen. Heute verbringen wir nur etwas Zeit miteinander. Wir können tun, was immer du willst – nur du und ich. Ich habe eine Xbox in meiner Praxis. Willst du sie mal sehen?«

»Echt?« Sein Gesichtsausdruck wandelte sich in pure Bewunderung.

Das Hippie-Girl hatte alle möglichen Trümpfe im Ärmel.

Liv

Die Xbox zog immer.

Ich sah auf meinen neuen jungen Klienten hinunter und lächelte. Er war süß mit seinem sandfarbenen Haar und den hellblauen Augen, die beim Sprechen aufleuchteten. Sein Dad sah auch nicht schlecht aus.

»Ja. Geh doch schon mal hinein und bereite alles für uns vor. Ich komme gleich nach«, schlug ich vor.

Noah sprang von der Couch und machte sich auf die Suche nach der Spielkonsole, auf seinem jungenhaften Gesicht zeichnete sich eindeutig Erleichterung ab. Wahrscheinlich hatte er Angst gehabt, ich würde ihm eine Stunde lang bohrende Fragen stellen.

Das war nicht mein Stil, vor allem nicht bei Kindern.

Ich begab mich gerne auf ihre Ebene und hing mit ihnen ab. Wenn sie sich dann wohlfühlten, so richtig wohlfühlten in der Umgebung, die ich für sie geschaffen hatte, dann öffneten sie sich auf völlig natürliche Weise. Nichts machte Menschen verschlossener, nichts zog ihre Mauern schneller hoch, als wenn man sie dazu zwang, Informationen preiszugeben.

»Xbox, also, was?«, sagte Jackson, während er vor mir auf den Fersen nach hinten wippte.

Sein Akzent war stärker als für Virginia typisch, er war voll und üppig, und das Wort Südstaatencharme schoss mir durch den Kopf, als ich ihn sprechen hörte.

»Ja, das scheint zu helfen – den Jungs zumindest«, sagte ich. »Ich habe auch noch ein halbes Dutzend Puppen und andere Dinge da drin, falls die Xbox versagt, aber normalerweise ist sie so ziemlich der Publikumsliebling.«

Er nickte schweigend, dann sagte er: »Ich bin hier, weil ich wissen will, warum …«

Rasch hob ich die Hände. »Stopp«, rief ich.

Er neigte den Kopf zur Seite, und ich beobachtete, wie sich seine linke Augenbraue nach oben zog. Das war ziemlich süß, und ich musste gegen ein Grinsen ankämpfen.

Verdammt. Es war nicht süß. Es war sexy.

Jackson – wie auch immer er mir Nachnamen hieß – war heiß.

Ich hasste es, wenn die Dads gutaussehend waren. Es fiel mir dann so viel schwerer, mich zu konzentrieren. Rasch blickte ich nach unten und bemerkte, dass er keinen Ring an der Hand trug.

Verdammt noch mal. Ich hasste es auch, wenn sie Single waren.

»Ich will an dieser Stelle noch gar nichts wissen. Ich gehe gern blind in so eine Sache«, sagte ich.

»Was?«

»Ich lasse Sie den ganzen Papierkram ausfüllen, während Sie auf uns warten. In der ersten Sitzung möchte ich gern nur mit ihrem Sohn Zeit verbringen, um ihn kennenzulernen und aus seiner Perspektive etwas über sein Leben erfahren. Wenn Sie mir schon vorab Informationen über ihn geben, bin ich voreingenommen. Im Moment ist er für mich wie ein weißes Blatt Papier, und das soll wenigstens für heute auch so bleiben. Lernt man auf diese Art nicht auch andere Leute kennen?«

»Ah. Aber ist das nicht gefährlich?« Er verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust.

Sein frisches grünes Hemd spannte hübsch darüber und ich fragte mich, was genau sich unter all diesen Knöpfen befand.

Er ertappte mich dabei, wie ich meinen Blick schweifen ließ, und grinste.

»Inwiefern gefährlich?«, fragte ich und blickte auf in seine silberblauen Augen.

»Was, wenn es ein bestimmtes Wort gibt, bei dem er total überschnappt? Oder was, wenn er auf der Stelle Anfälle bekommt, wenn er einen Clown im Fernsehen sieht?«

Ich warf ihm einen zweifelnden Blick zu. »Trifft eines dieser Dinge auf Noah zu?«

»Nein.« Er lächelte.

»Na, dann ist ja alles gut. Außerdem kommen zu mir keine Kinder und Familien, die schwere Fälle sind. Wer sich zu einer Kugel zusammenrollt, sobald er das Wort Tiger hört, sollte wahrscheinlich besser einen Arzt aufsuchen.«

Ich dachte, er würde gleich zurückflirten, doch da bimmelte das Glöckchen an der Tür und Mia trat ein.

»Hey«, flüsterte sie und ging auf Zehenspitzen hinter die Rezeption.

»Das ist die angekündigte Vertretung«, sagte ich. »Sie gibt Ihnen die Formulare. Ich gehe jetzt Xbox spielen.«

Ich spürte, dass sein Blick noch auf mir ruhte, als ich mich abwandte.

»Taugen Sie etwas?«, fragte er.

Lächelnd wirbelte ich herum. »Das werden Sie ja dann sehen.«

Jackson

Nachdem ich eine unglaubliche Menge an Formularen ausgefüllt hatte, schüttelte ich meine verkrampfte Hand und ging zurück zur Rezeption, um den Stapel abzugeben.

»Sie sind also eine Freundin, ja?«, sagte ich.

Die Frau nahm die Papiere und fing an, sie in verschiedene Ablagekörbe einzusortieren.

»Ja, genau.« Sie lächelte. »Ich heiße Mia. Manchmal helfe ich in den Sommermonaten aus, wenn sie zusätzlich jemanden braucht. Die wichtigen Dinge überlasse ich den Profis, aber ich kann Formulare sortieren und Telefonate führen. Das liefert mir einen guten Vorwand, aus dem Haus zu gehen.«

»Hausfrau und Mutter?«, riet ich ihrer erschöpften Miene nach.

»Fast.« Sie lachte. »Das Jahr über bin ich Lehrerin, aber ja, den Sommer über bin ich Hausfrau und Mutter. Wer hätte gedacht, dass es zehnmal anstrengender ist, auf ein einziges Kleinkind aufzupassen als ein Klassenzimmer voll Kinder im Zaum zu halten?«

Ich gluckste und lehnte den Arm auf die Theke. »Na ja, ich habe nie unterrichtet, aber mit Kleinkindern habe ich so meine Erfahrung gemacht, und da hat es Tage gegeben, an denen ich hätte schwören können, dass ich ein ganzes Jahrtausend durchschlafen könnte.«

Ein leises Kichern kam ihr über die Lippen und sie hob die Hand, um ein Gähnen zu verbergen. Ich ging im Zimmer umher und sah mir die Kunstwerke an den Wänden an, dann nahm ich mir eine Zeitschrift.

»Wie lange macht sie das schon?«

»Wer? Liv – ich meine, Miss Prescott?«

Ich nickte und nahm wieder auf dem Sofa Platz.

»Nun ja, ich glaube, sie ist seit etwa zwei Jahren selbstständig.«

Ich fing an, in einer Angelzeitschrift zu blättern, schenkte ihr aber kaum Aufmerksamkeit, weil ich Mia zuhörte.

»Davor war sie Familienberaterin in einer großen Organisation im Stadtzentrum.«

»Wie kam es, dass sie dort aufgehört hat?«, fragte ich, weil ich schmutzige Details über die Frau erfahren wollte, die gerade mit meinem Sohn Computerspiele spielte.

»Das war schon immer ihr Traum gewesen, und am Ende hatte sie genug Geld gespart, um ihn zu verwirklichen.« Sie zuckte mit den Schultern.

Die Tür ging auf und Noah und Miss Prescott erschienen wieder.

»Hey, Dad!«, begrüßte mich Noah.

»Hey«, erwiderte ich, erstaunt über seinen Enthusiasmus.

»Liv hat jede Menge Spiele – sogar Grand Theft Auto. In der ersten Runde hat sie mich total geschlagen, aber das zweite Spiel habe ich gewonnen.«

Ich war ein, zwei Sekunden völlig baff, dann sammelte ich mich wieder. »Fantastisch«, erwiderte ich, während ich zu Miss Prescott aufblickte, um zu sehen, wie sie reagierte.

Die Arme vor der Brust verschränkt stand sie im Türrahmen. Sie lächelte entzückt auf Noah hinunter, als hätte sie gerade mit ihrem eigenen Kind Zeit verbracht und nicht mit einem zahlenden Patienten.

»Geh doch noch mal rein und spiel ein paar Minuten weiter, okay? Dann habe ich ein bisschen Zeit, um deinen Vater kennenzulernen.«

»Okay!« Noah verschwand wieder in dem Zimmer hinter ihr.

Ich beobachtete, wie sie vortrat, ihre langen, schlanken Beine lugten aus dem Schlitz in ihrem Kleid hervor.

»Warum gehen wir nicht ein Stückchen?«, schlug sie vor. »Ich habe hinter dem Haus einen kleinen Garten, in dem man sitzen kann.«

Plötzlich hatte ich eine Vision davon, wie wir zwei im Garten saßen, Händchen hielten und sangen.

Das werden wir jetzt aber nicht tun, oder?

Ein wenig zögernd sah ich sie an.

»Nur reden.« Sie lachte und hob kapitulierend die Hände. »Es muss wohl an den langen Kleidern liegen oder am Tattoo, aber immer wenn ich einen Mann mit Südstaatenakzent hier habe, schaut er mich plötzlich an, als würden mir gleich Flügel wachsen.«

Moment mal, hatte sie da gerade Tattoo gesagt?

Wie konnte ich das übersehen?

»Wir sind gleich wieder da, Mia«, sagte sie und ließ im Vorbeigehen ihre Fingernägel auf der Theke klappern.

Als ihr blumiger Duft an mir vorbeiwehte, sah ich es – ein lebhaftes indisches Blumenmotiv voller Farben verlief über ihre linke Schulter und verschwand unter dem Stoff ihres Kleides.

Wie weit reichte es nach unten?

Ich holte sie ein, und wir gingen schweigend nebeneinanderher, um das Gebäude herum, über einen schmalen Weg, der zu einem kleinen Garten führte, der zwischen den Bürogebäuden eingezwängt war.

»Der Zahnarzt nebenan dachte, ich wäre verrückt, als ich ihm sagte, dass ich hier einen Garten anlegen will, aber ich glaube, jetzt gefällt es ihm. Ab und zu ertappe ich ihn dabei, wie er hier seine Mittagspause verbringt.«

Ich blickte mich um und bewunderte, wie sie Weinranken dazu gebracht hatte, an dem Gebäude hinaufzuranken, wodurch eine intime Atmosphäre entstanden war, die mich beinahe vergessen ließ, wo ich war.

»Das ist großartig«, sagte ich.

Sie deutete auf einen Stuhl und ich nahm Platz; dann beobachtete ich, wie sie sich ebenfalls setzte. Mein Fuß fing an, wie ein Presslufthammer auf und ab zu wippen, weil ich so gespannt war, was sie zu sagen hatte.

Stimmte etwas nicht mit Noah?

Hatte ich alles falsch gemacht?

Mist, ich bin ein schrecklicher Vater.

Ich spürte ihre Hand auf meinem Knie und hielt still.

»Sie sehen aus, als würden Sie gleich explodieren«, sagte sie.

»Tut mir leid, ich bin nervös.«

Sie lächelte. »Sie haben keinen Grund, nervös zu sein, Jackson. Noah ist ein großartiger Junge, ein völlig normales Kind.«

Ich stieß den Atem aus, den ich wahrscheinlich schon seit Monaten angehalten hatte. »Sind Sie sicher?«

Sie nickte. »Ja. Eltern neigen dazu zu vergessen, dass Kinder auch unter Stress leiden können, genau wie Erwachsene. Umziehen, seine Freunde zurücklassen, die Pubertät – das ist ganz schön viel für einen kleinen Jungen. Er ist nur verwirrt und lebt sich aus.«

»Das sage ich mir auch die ganze Zeit, aber ich habe mir solche Sorgen gemacht …«

»Dass sie allein nicht genug sind?«

»Das hat er Ihnen erzählt?«, fragte ich.

Sie lächelte warmherzig. »Man braucht kein Genie zu sein, um dahinterzukommen, dass seine Mom schon eine ganze Weile abwesend ist. Er hat sie kein einziges Mal erwähnt.«

»Sie ist kurz nach seiner Geburt weggegangen und seitdem nicht mehr zurückgekommen.«

Sie sagte nicht das tut mir leid und warf mir auch nicht wie die meisten Leute einen dieser Blicke zu – diese traurigen Blicke, von denen die Leute immer glauben, dass sie mitfühlend wirken, die aber in Wirklichkeit einfach nur jämmerlich sind. Stattdessen lehnte sie sich einfach auf ihrem Stuhl zurück.

»Glauben Sie niemals, dass Sie nicht gut genug wären. Sie machen das großartig.«

»Wollen Sie damit sagen, dass er gar keine Therapie braucht?«, fragte ich.

Sie lachte. »Ich will damit sagen, dass Noah einfach nur gestresst ist, und wie jeder Stress wird auch dieser vorbeigehen. Er muss lernen, wie er sich durch ihn hindurcharbeitet. Ob Sie nun beschließen, dass ich ihm dabei helfen soll oder nicht, das ist Ihre Entscheidung, aber ich würde Sie niemals zu einer Therapie drängen.«

Ich sah sie zweifelnd an. »Sie verkaufen sich aber nicht gut, Miss Prescott.«

»Wenn ich das für Geld tun würde, wäre ich Psychiaterin geworden. Aber dann hätte ich wohl kaum diesen Garten, oder?« Sie hob die Arme und neigte den Kopf den Sonnenstrahlen entgegen, die zwischen den Gebäuden hereinfielen.

Diese New-Age-Beraterin sah aus wie eine griechische Göttin, und sie hatte hinter ihrem Büro einen Garten angepflanzt. Womit würde mich diese Frau heute noch überraschen?

3

Liv

In Anbetracht der Tatsache, dass mein letzter Patient erst spät gegangen war, überrascht es mich nicht, als Sekunden, nachdem ich an diesem Abend durch meine Haustür trat, mein Handy klingelte.

»Hi, Mia«, sagte ich, während ich die Taschen mit Lebensmitteln in meinen Armen verlagerte.

»Du hast nicht mal auf die Anrufererkennung geschaut, oder?«, hakte sie nach.

Ich nahm einen Hauch von Lachen in ihrer Stimme wahr.

»Nee.« Ich stellte die Stofftaschen an der Theke ab und rieb mir dann die Handgelenke, wo die Henkel eingeschnitten hatten.

»Bin ich wirklich so berechenbar?«, fragte sie.

Ich starrte auf die Taschen, auf denen in grellen, fettgedruckten Lettern die Worte Ich recycle, ich bin toll prangte. »Mmm … ja«, erwiderte ich. »Aber ich mag dich trotzdem.«

»Nun, wenn ich wirklich so berechenbar bin, weshalb rufe ich dann an?«

»Wegen dem heißen Dad«, sagte ich trocken.

»Verdammt!«, schrie sie und brachte mich damit zum Lachen. »Ich bin tatsächlich berechenbar. Och, na ja, damit kann ich leben.«

»Womit kannst du leben?«, fragte eine tiefe männliche Stimme im Hintergrund.

»Damit, dass ich berechenbar bin«, sagte sie und beantwortete damit Garretts Frage.

»Was du letzte Nacht gemacht hast, war alles andere als berechenbar«, hörte ich ihn im Hintergrund sagen, seine Stimme war ganz rau geworden.

Mias schrilles Lachen gellte aus dem Hörer, und ich zog das Handy kurz von meinem Ohr weg.

»Ähm … kommt schon! Ich bin praktisch anwesend!«, flehte ich, als ein Knurren durchs Telefon drang.

Echt jetzt? Ein Knurren?

»Platz, Junge.« Sie lachte. »Lass mich mit Liv reden. Ich lege in ein paar Minuten auf, Garrett!«

»Fünf Minuten.«

Diese beiden Worte waren so voller Hitze, dass ich mir fast Luft zufächeln musste.

Glückliches Miststück.

»Okay, danach gehöre ich ganz dir«, sagte Mia schließlich atemlos.

Ich lachte. »Du hast mich angerufen, erinnerst du dich?«

»Was? Ach ja, klar! Der heiße Dad!«

»Ja. Was ist mit ihm?«, fragte ich bemüht lässig.

»Was mit ihm ist? Er war umwerfend, und er konnte die Augen nicht von dir lassen.«

Echt?

»Wahrscheinlich hat er mich angestarrt, wie jemand einen seltenen Vogel im Zoo anstarren würde. Ich war einfach nur exotisch und anders.«

»Das spielte eindeutig auch mit rein. Ich bin daran gewöhnt, dass dich Leute so anschauen, aber nein, dieses Mal war es anders. Er stand auf dich – oder fühlte sich zumindest von dir angezogen.«

»Ist das nicht das Gleiche?«, fragte ich.

»Nein, absolut nicht. Man kann sich von jemandem angezogen fühlen, aber muss deshalb nicht unbedingt auf ihn stehen. Der sexy Promi auf der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift People? Ja, er ist attraktiv, aber ich stehe nicht auf ihn.«

Unbedingt merken: Zurück in den Laden gehen und die People kaufen.

Ich ertappte mich dabei, dass ich nickte, obwohl sie mich gar nicht sehen konnte. »Okay, schon kapiert. Aber das alles spielt keine Rolle. Ich date meine Patienten nicht.«

»Die meisten deiner Patienten sind ja auch unter achtzehn«, spottete sie.

»Du weißt, wie ich das meine. Keine Verstrickungen. Das ist unmoralisch.«

»Ja, ja«, erwiderte sie. »Aber du musst zugeben, dass er heiß war.«

Ein verruchtes Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus. »Noch nie ist etwas durch meine Tür gekommen, das so verdammt sexy war«, räumte ich ein.

»Gut. Na ja, wenigstens hast du jetzt eine Zeit lang etwas fürs Auge.«

Außer einem unverbindlichen »Mmm« erwiderte ich nichts.

Mia hatte eine Geheimhaltungsvereinbarung unterschrieben, um in meiner Praxis zu arbeiten. Sie wusste, dass das, was in meiner Praxis passierte, auch dort blieb, dennoch behielt ich alle persönlichen Angelegenheiten meiner Patienten für mich. Ob Jackson und Noah noch einmal wiederkommen würden, stand in den Sternen, aber wenn ich das Mia erklärte, würde ich mehr Informationen über Noah preisgeben als ich wollte.

»Hey, du hast mir noch gar nicht von deinen neuen Nachbarn erzählt«, sagte sie; offensichtlich hatte sie mein Schweigen richtig gedeutet.

»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich habe sie noch nicht getroffen. Aber das werde ich nachholen – und zwar bald.«

»Das klingt ja ominös.«

Frustriert stieß ich den Atem aus. »Sie haben Mrs Reids Blumengarten zwischen unseren Häusern zerstört.«

»Den, den du für sie gepflegt hast?«, fragte sie.

»Ja.«

»Das ist ja schrecklich. Wer macht denn so was? Was willst du jetzt unternehmen?«

»Meine Lebensmittel aufräumen. Schön entspannt zu Abend essen und dann rübermarschieren und diesem Arschloch den Marsch blasen.«

»Blasen?«, fragte sie

»Ach, vergiss es.«

Jackson

Ich werde nie wieder umziehen – nie wieder.

In diesem kleinen alten Haus mit dieser gruseligen Tapete mit Toilettenmotiv und dem schäbigen Teppich werde ich alt und fett sterben. Ich bewege nie wieder meinen Hintern von hier weg.

Wie kommt es, dass zwei Menschen so viel Mist ansammeln?

Immer wenn ich glaubte, eine ordentliche Menge Kisten ausgeräumt zu haben, drehte ich mich um und fand noch mehr, die auf mich warteten. Vermehrten sie sich?

»Hey, Noah! Kannst du mir hier mal helfen, Junge?«, brüllte ich die Treppe hinauf, während ich meinen steifen, schmerzenden Rücken streckte.

Keine Antwort.

»Noah!«

»Was ist?«, schrie er zurück.

So war das Leben in unserem Haus geworden – man brüllte sich etwas von einem Stockwerk zum anderen zu.

»Komm runter und hilf mir, ein paar von diesen Kisten auszupacken!«

Wie durch ein Wunder erschien er oben an der Treppe, das Handy in der Hand. »Muss ich?«

»Nein, war nur so ein Vorschlag. Mach ruhig weiter«, bemerkte ich sarkastisch.

Er verdrehte die Augen und kam die Treppe heruntergetrottet.

»Tu mir einen Gefallen und leg mal für zehn Minuten das Handy weg. Meinst du, du schaffst das?«

»Ja, okay«, erwiderte er und schwang sich die dunkelblonden Haare aus den Augen.

»Na, wie war denn dein Treffen mit Miss Prescott?«, fragte ich, während ich einen weiteren Karton mit der Aufschrift Wohnzimmer aufschnitt.

»Es war okay.« Er setzte sich neben mich und fing an, einen Karton zu durchstöbern.

Kinder erklären immer so ausführlich.

»Okay? Nur okay? Du bist so federnden Schrittes dort hinausgehüpft, dass man meinen konnte, du hättest gerade eine Xbox-Convention besucht.«

»Es macht Spaß, mit ihr abzuhängen. Man kann sich gut mit ihr unterhalten, finde ich.«

»Worüber hat sie denn mit dir geredet?«, hakte ich nach, während ich Dekoklimbim aus Papiertüchern auswickelte und auf den Kaminsims stellte.

»Weiß nicht. Zeug halt.«

»Zum Beispiel?«

»Zum Beispiel einfach Zeug, Dad, okay?« Mit einem Ruck stand er auf und steckte die Hände in die Hosentaschen.

Kapitulierend hob ich die Hände, um ihn zu beruhigen. »Okay, keine weiteren Fragen mehr. Tut mir leid.«

»Ich gehe dann mal wieder nach oben«, murmelte er.

Ich nickte und fühlte mich geschlagen, während ich der schlaksigen Gestalt nachsah, die aus meiner Gegenwart floh. Ich holte tief Luft und rief mir ins Gedächtnis, was Miss Prescott vorhin gesagt hatte. Jeder ging anders mit Stress um – auch Kinder. Ich musste daran glauben, dass er wieder zu sich kommen und ich endlich wieder einen Blick auf den sorglosen Jungen erhaschen würde, den ich einst kannte.

Ich war gerade dabei, den Karton zu zerlegen, den ich gerade ausgepackt hatte, als die Türklingel durchs Haus schallte. Noch etwas auf der Liste der Dinge, die repariert werden mussten.

Meiner Großmutter hatte eine Standardklingel nicht ausgereicht, nicht einmal eine dieser normalen, die dingdong machten. Nein, sie war aufs Ganze gegangen und hatte sich die nervigste Türklingel angeschafft, die je hergestellt wurde. Jedes Mal, wenn der kleine Knopf gedrückt wurde, erschallte aus dem winzigen elektrischen Lautsprecher eine klassische Sinfonie. Wenn Mozart gewusst hätte, dass seine Musik eines Tages so schrecklich klingen würde, hätte er wahrscheinlich jedes einzelne Blatt Notenpapier, das er besessen hatte, verbrannt.

»Ich komme«, rief ich und schob die Klinge im Teppichmesser zurück. Ich legte es auf das Sofa und rannte zur Tür, als gerade wieder Stille das Haus erfüllte.

Ich griff nach der verschnörkelten Klinke, riss die Tür auf und fand mich einem Arm voller Blumen gegenüber – und Beinen, die zum Himmel reichten.

»Haben Sie irgendeine Ahnung, wie viel Zeit ich darauf verwendet habe?«, schrie eine schrille, aber irgendwie vage bekannte Stimme hinter den Blumen.

»Ähm …«

»Haben Sie denn gar keinen Respekt gegenüber der früheren Besitzerin dieses Hauses?«, fragte sie.

Das erweckte mein Interesse. »Was meinen Sie damit?« Ich streckte die Hand aus und senkte die Blumen, um herauszufinden, was für ein Gesicht zu den langen Beinen gehörte, die ich so bewundert hatte.