Regency Faerie Tales – Der Mantel des Elfenlords - Olivia Atwater - E-Book

Regency Faerie Tales – Der Mantel des Elfenlords E-Book

Olivia Atwater

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Beschreibung

Einen Pakt mit einem Elf schließen, um die Liebe zu finden? – Welch unerhörte Idee!

Effie hat sich Hals über Kopf in den umwerfenden Mr Benedict Ashbrooke verliebt. Dummerweise ist Effie eine Bedienstete – einen adligen Gentleman zu heiraten ist für sie keine Option. Doch dann begegnet sie am Rande eines Balls Lord Blackthorne, der ihr anbietet, dafür zu sorgen, dass genau das möglich wird. Effie kennt die Gerüchte über jene, die sich auf einen Pakt mit einem aus dem Elfenvolk einlassen. Aber für die Liebe ihres Angebeteten ist sie bereit, selbst ihre unsterbliche Seele zu riskieren. Und so hat sie nun hundert Tage, um Mr Ashbrooke dazu zu bringen, ihr einen Antrag zu machen – falls dank Lord Blackthorne nicht doch noch alles in einem enormen Skandal endet ...
Die magische Regency-Romance-Reihe der Bestseller-Autorin – voller Charme, Witz und zauberhafter Romantik.

Die Bände der Regency-Faerie-Tales -Reihe:
Regency Faerie Tales – Die Lady und der Lord Magier (Band 1)
Regency Faerie Tales – Der Mantel des Elfen-Lords (Band 2)
Regency Faerie Tales – Das Duell mit dem dunklen Magier (Band 3 – erscheint im Frühjahr 2025)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 402

Veröffentlichungsjahr: 2024

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OLIVIA ATWATER

REGENCY

FAERIE TALES

DER MANTEL

DES ELFEN-LORDS

Aus dem kanadischen Englisch

von Doris Attwood

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

© 2023 der deutschsprachigen Ausgabe

cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Die deutsche Erstausgabe erschien zunächst unter dem Titel:

»True Crown – Der Mantel des Elfen-Lords«

© 2020 Olivia Atwater

Die englische Originalausgabe erschien 2022

unter dem Titel: »Ten Thousand Stitches«

bei Orbit, einem Imprint der Verlagsgruppe Little, Brown, London

Übersetzung: Doris Attwood

Covergestaltung: Emily Bähr

Covermotive: Shutterstock.com (JerryCreative7, detchana wangkheeree, tomertu), Freepik (coz1421, user21908677)

MP• Herstellung: UK

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN 978-3-641-33250-1V001

www.cbj-verlag.de

Prolog

Euphemia Reeves war eine äußerst reizbare junge Frau.

Die meisten der anderen Bediensteten in Hartfield wären durchaus überrascht gewesen, das zu erfahren. Tatsächlich hätte die hochgeschätzte Haushälterin, Mrs Sedgewick, auf Nachfrage wohl sogar erklärt, Effie sei ein nahezu perfektes Dienstmädchen. Soweit Mrs Sedgewick es beurteilen konnte, zeigte Effie sich niemals pflichtscheu und verhielt sich stets angemessen.

Mrs Sedgewick wäre daher schockiert gewesen, die Worte zu hören, die Effie im Augenblick über die Lippen kamen.

»… kein bisschen Rücksicht, nicht die geringste!«, zischte Effie leise, während sie zum dritten Mal an diesem Tag den Holzboden am Eingang wischte. Die Dielen waren dank des garstigen Wetters erneut völlig verdreckt, nachdem die Herren des Hauses einer nach dem anderen von draußen hereingestapft waren. »Es sollte gegen das Gesetz sein, Reiten zu gehen, wenn überall Matsch liegt!«

Lord Culver und sein jüngerer Bruder, Mr Edmund Ashbrooke, waren sich der recht spektakulären Sauerei, die sie hinterlassen hatten, wohl kaum bewusst. Effie hingegen hätte sich eine ordentliche Standpauke anhören dürfen, wenn sie mit derart dreckigen Stiefeln ins Haus marschiert wäre, aber Lord Culver – der über fünfzehn Jahre älter war als sie und es eigentlich besser wissen sollte – war so daran gewöhnt, dass jeglicher Dreck wie von Zauberhand wieder verschwand, dass er nie die Notwendigkeit sah, sich die Stiefel auszuziehen, bevor er in sein Zimmer hinauftrampelte. Und nun musste zudem irgendeine arme Wäschemagd seine komplette Kleidung sauber scheuern, sobald er sie abgelegt hatte.

»Es hat keinen Sinn, wütend zu werden«, hatte Effies Mutter sie immer ermahnt. »Damit bringst du dich nur selbst in Schwierigkeiten. Du kannst so viele wütende Gedanken haben, wie du willst, aber sie müssen in deinem Kopf bleiben!«

»Dreckige, aufgeblasene eitle Fatzkes, alle miteinander!«, grummelte Effie also ihrer Bürste zu. »Ehrlich, da sind Vögel ja noch schlauer, stimmt’s? Wenigstens machen die ihre Federn selber sauber!« Heute sprudelten die Worte nur so aus Effie heraus, anstatt in ihrem Kopf zu bleiben. Tut mir leid, Mum, dachte sie entschuldigend. Mir ist mal wieder der Geduldsfaden gerissen.

Wenn Effie so erzürnt war, suchte sie normalerweise rasch nach irgendetwas, das sie flicken konnte. Sie hatte Näharbeiten schon immer als unglaublich beruhigend empfunden. Doch die Ashbrookes wollten am morgigen Abend erneut einen Ball veranstalten und das gesamte Personal wuselte wie wild durchs Haus, um alles vorzubereiten. Lady Culver hatte Lord Culver erst im vergangenen Jahr in London geheiratet, und seit er mit ihr nach Hartfield zurückgekehrt war, war sie wild entschlossen gewesen, den kompletten Haushalt von da an nach ihren Vorstellungen zu führen.

Unglücklicherweise schienen Lady Culvers Vorstellungen jedoch hauptsächlich darauf zu basieren, sämtliche Bediensteten zu entlassen, die ihr aus irgendeinem Grund missfielen, und sich zu weigern, sie anschließend zu ersetzen.

So, wie Lady Culver sich aufführt, muss sie glauben, sie hätte einen Haufen Zauberer angeheuert und keine normalen Dienstboten, dachte Effie erschöpft. Sie sollte es in ihre nächste Annonce schreiben – vielleicht taucht dann ja der Hofmagier hier auf und kümmert sich um ihre Wäsche!

Doch natürlich machte dieser Gedanke Effie nur umso wütender. Sie seufzte tief und versuchte, sich an einen Kinderreim zu erinnern. Die Köchin behalf sich mit Kinderreimen, um die Zeit bei der Zubereitung des Essens im Auge zu behalten, während Effie es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, notfalls eins der Gedichte aufzusagen, um ihre Nerven wieder zu beruhigen. Sie kniff die Augen zusammen und zischelte die Worte des Kinderreims dem Fußboden zu.

»Wickle die Spule auf,

wickle die Spule auf.

Zieh, zieh, zack, zack, zack.

Wickle sie wieder ab …«

Die Monotonie der Worte milderte die endlose Frustration des Tages etwas und auch die Anspannung in Effies Schultern löste sich ein wenig. Sie hatte mit der Strophe gerade wieder von vorne angefangen und begann voll neuer Energie zu schrubben, als sie plötzlich unterbrochen wurde.

»Lydia! Bist du hier, Lydia?«, erklang Mrs Sedgewicks dünne, näselnde Stimme schneidend im Flur hinter Effie. »Himmel noch mal, hat irgendjemand Lydia gesehen? Ich habe keine Zeit, sämtlichen Dienstmädchen in diesem Haushalt nachzulaufen!«

Effie atmete tief ein, um Ruhe zu bewahren und den finsteren Blick aus ihrem Gesicht zu verbannen, als Mrs Sedgewick auch schon um die Ecke gerauscht kam. Die strenge alte Haushälterin steuerte entschlossen auf Effie zu, wobei die Holzsohlen ihrer Halbstiefel ein resolutes Klappern von sich gaben. Mrs Sedgewick bot heute eine besonders makellose Erscheinung: Ihr dunkles Haar war oben auf dem Kopf zu einem straffen Knoten zusammengefasst und sie trug – selbstverständlich – ihr schwarzes, seidiges Haushälterinnenkleid. Sie war über Gebühr stolz auf das gute Stück und präsentierte sich praktisch nie in anderer Aufmachung.

»Effie!«, rief Mrs Sedgewick. »Hast du Lydia gesehen? Ihre Ladyschaft wünscht, dass das Pianoforte im Ballsaal noch einmal abgestaubt wird. Sie sagt, sie kann noch immer den Staub darin hören.«

Effie zuckte bei dieser ungeheuerlichen Behauptung zusammen. Wir haben dieses verflixte Pianoforte schon zweimal gesäubert, dachte sie mürrisch. Vielleicht sollte jemand Ihre Ladyschaft einem Hörtest unterziehen, nur für den Fall, dass sie langsam taub wird. Doch tatsächlich erwiderte Effie: »Mr Allen hat Lydia aufgetragen, ein weiteres Gästezimmer zu lüften, Mrs Sedgewick.«

In den Augen der Haushälterin blitzte Verärgerung auf. »Mr Allen?«, fragte sie frostig. »So, so. Und seit wann führen die Dienstmädchen hier Anweisungen des Butlers aus?«

Effie schluckte einen frustrierten Seufzer hinunter. Mrs Sedgewick stand mit dem neuen Butler, Mr Allen, auf Kriegsfuß, seit er seinen Dienst in Hartfield angetreten hatte. Lady Culver hatte den alten Butler, Mr Simmons, entlassen, aber da Hartfield ohne einen Butler definitiv nicht auskam, hatte die Familie darauf bestanden, dass Mr Allen die Position übernahm. Er war in London einer der angesehensten Butler gewesen, bevor er sich dazu herabgelassen hatte, die neue Stelle in Hartfield anzutreten. Alle wussten, dass er es nur auf den ausdrücklichen Wunsch eines adligen Verwandten der Familie hin getan hatte. Mr Allens unverzügliche Neuorganisation des Haushalts hatte Mrs Sedgewick jedoch furchtbar erzürnt. Sie war daran gewöhnt gewesen, mit Mr Simmons zusammenzuarbeiten und hatte nicht das Geringste für diesen Eindringling und seine modernen Neuerungen übrig.

Gott allein wusste, wem wirklich die Schuld für die Fehde zwischen dem Butler und der Haushälterin zuzuschreiben war – aber die Rivalität der beiden war im Laufe der Wochen immer schlimmer geworden, bis sich schließlich sogar die Stallburschen gezwungen gesehen hatten, sich für eine der beiden Seiten zu entscheiden.

»Viel mehr weiß ich auch nicht, Mrs Sedgewick«, versicherte Effie. »Aber Lydia müsste oben sein, wenn Sie sie dort suchen wollen.« Effie schrubbte einen Matschfleck vom Boden und hielt den Blick dabei weiter stur nach unten gerichtet.

»Jetzt auch noch die Dienstmädchen herumzukommandieren!«, schnaubte Mrs Sedgewick. »Oh, dieser furchtbare Mann muss wohl größenwahnsinnig geworden sein! Lady Culver wird davon erfahren, das kann ich dir versprechen!«

Diesmal erwiderte Effie nichts, auch wenn sie sich sicher war, dass Mrs Sedgewick genau das wollte. Sie hatte jedoch inzwischen gelernt, dass die Haushälterin, wenn Effie nicht auf deren dramatische Ankündigungen reagierte, es schließlich aufgab und sich eines der tratschfreudigeren Dienstmädchen suchte.

»Wenn Mr Allen so weitermacht, wird er noch den ganzen Ball in Gefahr bringen«, fügte Mrs Sedgewick grummelnd hinzu. »Und ich kann dir versichern, dass ich nicht zögern werde, ihm auch die Schuld dafür zu geben, falls es zum Äußersten kommen sollte.«

»Ja, Mrs Sedgwick«, murmelte Effie gehorsam.

Die Haushälterin verzog die Lippen zu einer dünnen Linie. »Also wirklich«, sagte sie, »ich ertrinke in Arbeit. Da kann ich nicht noch den ganzen Tag hier herumstehen und mit irgendwelchen Dienstmädchen plaudern.« Mrs Sedgewick ließ es klingen, als hätte Effie sie in ein Gespräch verwickelt, nicht umgekehrt.

»Ja, Mrs Sedgewick«, wiederholte Effie vorsichtig. Dennoch zuckten ihre Mundwinkel vor Verärgerung und sie wagte es nicht, den Blick zu heben, aus Angst, ihr Zorn könnte sich auf ihrem Gesicht abzeichnen.

Mrs Sedgewick machte auf dem Absatz kehrt und rauschte wieder den Flur hinunter, das hölzerne Klipp-klapp ihrer Stiefel allmählich hinter ihr verhallend. Sobald sie verschwunden war, atmete Effie langsam und ermattet aus.

»Natürlich hat keiner von uns Zeit für ein Plauderstündchen«, grummelte Effie ihrer Bürste zu. »Man stelle sich das nur mal vor! Zeit!« Sie blickte zu dem Eimer Wasser neben sich, seufzte tief und rappelte sich auf. Jetzt musste sie noch einmal frischen Sand über den Eingangsbereich verteilen und –

Die Haustür schwang urplötzlich auf.

Effie taumelte mit einem überraschten Kreischen rückwärts, ihr Fuß blieb dabei an dem Wassereimer hängen und sie kippte nach hinten.

»Guter Gott!«, rief eine Männerstimme aus. Ein starker, fester Arm schlang sich gerade noch rechtzeitig um Effies Taille, um zu verhindern, dass sie zu Boden stürzte.

Zwei warme braune Augen blinzelten auf sie herab. Ein angenehmer, kräftiger Geruch umhüllte sie. Sandelholz, dachte Effie, und ein Hauch von draußen. Sie errötete, als sie Mr Benedict Ashbrookes markante, attraktive Züge wiedererkannte.

»Oh!«, keuchte Effie. »Ich … Es tut mir so leid!«

Mr Benedict blickte sie unverwandt an. Sein dunkles Haar war wunderbar zerzaust und vom Nieselregen gesprenkelt. Benedict war der jüngste der Ashbrooke-Brüder. Schon bevor er vor ein paar Jahren aufgebrochen war, um den Kontinent zu bereisen, hatte Effie stets gesagt, dass er auch der attraktivste Bruder war – oder zumindest hatte sie es im Stillen gedacht. Und als er nun mit diesem schüchternen Lächeln auf sie herabblickte und sie fest in seinen starken, warmen Armen hielt, konnte Effie ihn nur vollkommen sprachlos anstarren. Er war wieder zurück!

»Nicht doch, keine Sorge«, erwiderte Benedict. »Eigentlich sollte ich mich bei Ihnen entschuldigen.« Er richtete Effie vorsichtig wieder auf, auch wenn seine Hände mit einem Anflug von Besorgnis auf ihren Schultern verharrten und er sie stirnrunzelnd betrachtete. »Ich könnte schwören, dass ich Ihr Gesicht von irgendwoher kenne, Miss. Sind wir uns schon einmal begegnet? Sie sind nicht womöglich Gast hier im Hause, wegen Lady Culvers Ball?«

Effie blinzelte verwirrt. Wegen des Balls?, dachte sie. Was um alles in der Welt meint er denn damit?

»Ich würde durchaus vermuten, dass Sie mich kennen, ja!«, antwortete Effie. Eigentlich hätte sie es niemals wagen dürfen, so kess zu sein – aber ihr Herz raste noch immer und ihr Kopf fühlte sich dank seiner unmittelbaren Nähe ganz warm und durcheinander an.

»Wusste ich es doch«, erwiderte Benedict reuevoll. »Ich kann mir Namen wirklich furchtbar schlecht merken, wissen Sie? Für gewöhnlich kann ich mich jedoch entschieden besser daran erinnern, wenn ein so hübsches Gesicht dazugehört.«

Effie riss die Augen auf. Ich habe keine Ahnung, was hier gerade passiert, dachte sie.

»Benedict, gute Güte!«, schallte Lady Culvers Stimme von der Treppe herab und Effie blickte zu ihr hinauf. Die Herrin des Hauses war kaum älter als Effie selbst, doch dank der furchtbar finsteren Miene, die im Augenblick auf ihren feinen, aristokratischen Zügen lag, wirkte sie eher wie die alte Mrs Sedgewick. »Dann bist du also von deiner Reise zurück?«, fragte Lady Culver ungehalten. »Warum hat mir denn niemand gesagt, dass wir dich erwarten dürfen? Und wo wir schon dabei sind: Warum tauschst du ganz offensichtlich Höflichkeiten mit einem Dienstmädchen aus?«

Benedict legte erneut die Stirn in Falten. Er sah wieder Effie an, die vor Verlegenheit unter seinem Blick in sich zusammensank. Dabei fiel ihr die alte, ausgefranste Spitze am Halsausschnitt ihres Kleids ins Auge.

Ich trage eins von Lady Culvers abgelegten Kleidern, wurde Effie erst jetzt bewusst. Aber, ganz ehrlich, niemand mit auch nur einem bisschen gesunden Menschenverstand würde mich deswegen für eine feine Dame halten.

»Oh«, sagte Benedict. »Verstehe.« Er schenkte Effie ein weiteres hilfloses Lächeln. »Nun«, fügte er dann hinzu, »ich schätze, ich habe uns beide in Verlegenheit gebracht. Verzeihen Sie mir, Miss.«

»Selbstverständlich verzeihe ich Ihnen«, flüsterte Effie. Es war das Einzige, was ihr in diesem Moment einfiel.

Benedict räusperte sich und blickte wieder die Treppe hinauf zu Lady Culver. »Ich hatte Thomas einen Brief geschickt, der meine Rückkehr ankündigt«, erklärte er ihr. »Aber ich vermute, er hat wohl vergessen, die Neuigkeit weiterzugeben?«

Lady Culver kniff die Augen zusammen. »In der Tat«, bestätigte sie. »Nun, Benedict, du kannst von Glück sagen, dass wir die Gästezimmer frisch gelüftet haben. Das Cottage ist im Augenblick unbewohnbar, aber hier im Haus finden wir gewiss noch ein Plätzchen für dich, trotz der Nachlässigkeit meines Mannes.« Sie schwieg einen Moment. »Allerdings veranstalten wir morgen Abend einen Ball. Du wirst mit ein paar der jungen Damen tanzen müssen – man würde es uns noch ewig vorhalten, wenn du es nicht tust.«

Darüber lachte Benedict. Es hatte einen warmen, natürlichen Klang, der es Effie furchtbar schwer machte, es zu ignorieren. »Ich tanze gerne«, versicherte er Lady Culver. »Es macht mir also nicht das Geringste aus.«

Benedict wandte sich ab, um die Treppe hinaufzugehen, hielt dann jedoch nachdenklich inne und schaute auf seine Füße hinunter. Er trat vorsichtig wieder einen Schritt zurück und streifte seine matschigen Stiefel ab.

»Es ist wirklich nicht nötig, dass ich Ihnen noch mehr Arbeit mache, nicht wahr?«, sagte er entschuldigend zu Effie. Dann stieg er die Treppe hinauf, bevor sie die Sprache wiederfand und irgendetwas darauf erwidern konnte.

Während er aus ihrem Blickfeld verschwand, traf Effie eine entsetzliche Erkenntnis.

»O weh«, sagte sie. »Ich glaube, ich habe mich gerade verliebt.«

Kapitel 1

Selbst Mr Allen ist der Meinung, Lady Culver sollte mehr Personal einstellen, weil wir die viele Arbeit, die sie uns aufträgt, kaum bewältigen können«, stöhnte Lydia und stach mit einer Nadel auf die Socke in ihrem Schoß ein. Sie und Effie saßen auf den schmalen Betten in ihrem gemeinsamen Zimmer im Dachgeschoss und widmeten sich vor dem Schlafengehen einigen kleinen Flickarbeiten. »Ich habe gehört, wie er sich bei George darüber beschwert hat – ich stand hinter der Ecke, deshalb konnte er mich nicht sehen. Und Mr Allen hat auch gesagt, dass es einem Verbrechen gleichkommt, wie wenig sie uns bezahlt!«

Effie schüttelte besorgt den Kopf. Ihr Bruder George arbeitete als einer der Diener im Haushalt und war oft viel geschwätziger, als gut für ihn war. »George und Mr Allen sollten lieber nicht lauthals so daherreden«, erwiderte Effie, während sie einen Riss in dem seidenen Saum zusammennähte. »Nicht einmal Mr Allens schicke Referenzen werden ihn noch retten können, wenn Lady Culver erfährt, dass er auch nur mit einer Silbe schlecht über sie gesprochen hat.«

»Na ja, aber Mr Allen hat schließlich recht, oder?«, beharrte Lydia ungeduldig. »Schau uns doch nur mal an, Effie! Es ist nach Mitternacht, und wir haben jetzt erst Zeit, unsere eigenen Sachen zu flicken!« Sie betrachtete Effie mit einem Stirnrunzeln. »Aber … nein, Effie, was ist denn das? Es kann doch unmöglich Mrs Sedgewicks Kleid sein! Ich dachte, du hättest es erst vor ein paar Wochen geflickt!«

Effie seufzte schwer. »Es ist Mrs Sedgewicks Kleid«, bestätigte sie. »Sie will, dass es für den Ball in bestem Zustand ist, nur für den Fall, dass einer der Gäste einen Blick auf sie erhascht. Mrs Sedgewick vertraut niemandem sonst, es ordentlich zu machen.«

»Und du hast dich natürlich freiwillig gemeldet, hab ich recht, Effie?«, warf Lydia ihr vor. Sie rümpfte angewidert die Nase. »Weißt du, was du bist, Effie? Du bist chronisch hilfsbereit. Das ist regelrecht krankhaft. Wir sollten einen Arzt für dich rufen.«

Effie wusste zwar nicht, was das Wort chronisch bedeutete, aber sie war sich sicher, dass Lydia es erst vor Kurzem irgendwo aufgeschnappt haben musste. Das andere Dienstmädchen mochte interessante Wörter und pflückte sich häufig neue Begriffe aus den Unterhaltungen heraus, die sie während der Arbeit zwangsläufig mit anhörte.

»Ist es denn etwas Schlechtes, chronisch hilfsbereit zu sein?«, murmelte Effie. »Tut das wirklich irgendjemandem weh?«

»Es ist schrecklich«, erklärte Lydia ihr unverhohlen. »Du weist nie jemanden ab, niemals. Alles, was andere tun müssen, ist, laut zu verkünden, was für ein Problem sie haben – und schon versuchst du, es für sie zu lösen. Und genau darum darfst du auch immer die Sachen aller anderen flicken, Effie, selbst wenn sie durchaus dazu in der Lage wären, es selbst zu tun.«

Effie presste die Lippen zusammen. Vor einigen Stunden, direkt nach ihrem eigenartigen Zusammentreffen mit Mr Benedict, hatte sie ein paar wundervolle Minuten lang das Gefühl gehabt, durch das stattliche Herrenhaus zu schweben. Doch nachdem sie den Rest des Tages atemlos hin und her geeilt war, war das leichte, erhebende Gefühl wieder zu ihrer üblichen, jämmerlichen Frustration zusammengeschrumpft.

»Ich kann Mrs Sedgewick nicht einfach abweisen«, seufzte Effie. Es kostete sie einige Mühe, ihren Ärger hinunterzuschlucken, doch nach ein paar weiteren Nadelstichen hatte sie sich wieder ein wenig gefangen, auch wenn das Nähen nicht wirklich gegen die immer stärker werdenden, dumpfen Kopfschmerzen hinter ihren Augen halfen. »Falls Mrs Sedgewick oder Ihre Ladyschaft beschließen, dass sie mich loswerden wollen, dann muss ich wieder nach Hause und esse an Mutters Tisch mit – und das kann sie sich nicht leisten.«

Lydia gab ein erzürntes Schnauben von sich. »Oh, und dafür würden sie dich entlassen, nicht wahr?«, murmelte sie. »Erinnerst du dich noch, wie die arme Lucy schwanger wurde und sie sie ohne Umschweife auf die Straße gesetzt haben? Ich habe gehört, Lady Culver hat Lucy nicht einen roten Heller bezahlt – noch nicht mal eine Kutsche nach Hause!« Lydia schüttelte den Kopf, als wollte sie die unschöne Erinnerung vertreiben. »Wie dem auch sei … Stell dir nur mal vor, wie es wäre, Haushälterin zu sein! Dann könnten wir die anderen Bediensteten die ganze Arbeit machen lassen, stimmt’s? Ich wette, Mrs Sedgewick schläft bereits tief und fest in ihrem Bett, während du ihre Röcke flickst!«

Dabei flammte erneut Wut in Effie auf. Sie beugte sich über das Kleid und spannte den Kiefer an. Es nützt nichts, wütend zu werden, erinnerte sie sich selbst. Ich kann ohnehin nichts daran ändern, und wütend zu werden, bringt mich nur in Schwierigkeiten.

»Es ist die Mühe nicht wert, sich darüber zu beschweren«, murmelte Effie. »Komm, lass uns über etwas Schöneres reden. Hast du gesehen, dass Mr Benedict heute nach Hause zurückgekehrt ist?«

Lydia runzelte die Stirn. »Ist das schöner?«, fragte sie. »Er ist auch nur ein weiteres Familienmitglied, das uns bei den Vorbereitungen für einen weiteren schrecklichen Ball in die Quere kommt.«

Effie errötete. »So schlimm ist er gar nicht«, erwiderte sie. »Und wenigstens ist er hübsch anzusehen, hab ich recht?«

Lydia grinste. »O-oh«, säuselte sie. »Du hast wohl ein gewisses Tendre für ihn, was, Effie?« Effie hatte das Wort »Tendre« noch nie zuvor gehört, aber so, wie Lydia es betonte, war sie sich ziemlich sicher, zu wissen, was es bedeutete.

»Habe ich nicht«, log Effie steif. »Das wäre schließlich furchtbar töricht von mir, nicht wahr?«

Lydia zuckte mit den Schultern und legte ihre Socke beiseite. »Ich weiß nicht«, entgegnete sie. »Manchmal ist es schön, zu träumen – und selbst wenn uns mal wieder keine Zeit zum Schlafen bleibt, können wir trotzdem unseren Tagträumen nachgehen.«

Effie starrte auf das Kleid in ihrem Schoß hinunter. »Ja«, erwiderte sie leise, »ich schätze, da hast du wohl recht.«

Kurz darauf war die einsame Kerze auf ihrem Tisch heruntergebrannt und Effie gezwungen, das Kleid beiseitezulegen. Sie schloss die Augen und versuchte einzuschlafen, ertappte sich jedoch dabei, wie sie von warmen braunen Augen und einem freundlichen Lächeln träumte, das ihr Herz zum Flattern brachte.

Doch Effie konnte nicht lange träumen.

Nur allzu schnell war es wieder sechs Uhr morgens – und Lydia rüttelte Effie unsanft an der Schulter und zischte, es wäre Zeit für die Kamine. Die beiden versuchten in mürrischer Stimmung, ihre täglichen Pflichten so rasch wie möglich zu erledigen, waren sich jedoch bewusst, dass die letzten Vorbereitungen für den Ball ihre Arbeit den ganzen Tag ständig unterbrechen würden. Und tatsächlich rief Lady Culver schon bald nach einem Dienstmädchen, damit es half, ihr das Haar zu frisieren, während Mrs Sedgewick Effie in den Ballsaal schickte, um die Spiegel dort noch ein letztes Mal zu polieren.

Als Lydia sich zu Effie gesellte, um ihr mit dem Blumenschmuck zu helfen, hatte es keine von ihnen geschafft, zu frühstücken oder wenigstens einen kleinen Happen zu Mittag zu essen. Schon kurz darauf trafen die ersten Gäste ein und ihnen blieb noch immer keine Zeit, sich ein wenig auszuruhen.

Mrs Sedgewick huschte durch eine Seitentür in den Ballsaal und packte Lydia und Effie an den Schultern. »Würde eine von euch bitte nach Cookie sehen?«, wies die Haushälterin sie kurzatmig an. »Und wo sind bitte die Punschtabletts?«

Lydia schloss die Augen und stöhnte kaum hörbar. Effie schluckte ihre spontane Erwiderung hinunter – Vielleicht hat man sie genauso vergessen wie unser Frühstück! – und setzte ein höfliches Lächeln auf. »Ich gehe nachsehen, Mrs Sedgewick«, sagte sie stattdessen mit einer Geduld, die sie nicht wirklich empfand. Vielleicht kann ich mir wenigstens etwas zu essen holen, wenn ich sowieso in der Küche bin, hoffte sie.

Effie schlüpfte durch die Seitentür und eilte die Flure entlang, die nach unten führten. Aufgeregtes Lachen drang aus dem Eingangsbereich zu ihr, wo die Gäste miteinander plauderten. Sie fühlte einen seltsam sehnsüchtigen Stich in ihrer Brust, als sie sich vorstellte, sie selbst stünde in dem Foyer anstatt im Dienstbotentrakt darunter.

Vielleicht befand sich auch Benedict dort oben und mischte sich bereits unter die Gäste. Wenn Effie wirklich die vornehme Dame gewesen wäre, für die er sie gehalten hatte, würde sie nun mit ihm dort plaudern, in ihre beste Abendrobe gekleidet – oder besser gesagt: in Lady Culvers einstige beste Abendrobe. Effie stellte sich vor, sie trüge ein bezauberndes cremefarbenes Kleid, mit überbordender Spitze und wunderschönen dekorativen Stickereien. Benedict würde sie lächelnd betrachten und fragen, ob er sie um einen Tanz bitten dürfe und –

»Aus dem Weg, Effie!«, zischte eine Stimme hinter ihr. Ihr Bruder George schubste sie von hinten, und Effie wurde bewusst, dass sie mitten in den engen Dienstbotengängen stehen geblieben war, um den von oben zu hörenden Festgeräuschen zu lauschen.

Effie eilte hastig weiter, knallrot vor Verlegenheit. »Es tut mir leid!«, murmelte sie. »Ich bin derart müde, George, ich kann schon gar nicht mehr geradeaus denken.«

»Geht uns das nicht allen so?«, grummelte ihr Bruder. Effie öffnete die Küchentür, ging hindurch und trat zur Seite, um ihm Platz zu machen. George hustete bellend und schniefte. Effie musterte ihn stirnrunzelnd.

»Das klingt ja übel«, bemerkte sie. »Geht’s dir gut?«

»Bestens«, versicherte George ihr. »Bin nur müde.« Effie kramte nach ihrem Taschentuch und bot es ihm an, aber George schüttelte den Kopf und holte sein eigenes hervor. »Ich hab eins«, brummte er. »Deins ist so hübsch bestickt, ich will es nicht ruinieren.«

Effie seufzte schwer. »Du solltest dich ausruhen«, fand sie.

»Vielleicht sollte ich das«, erwiderte George spöttisch. »Vielleicht sollte ich auch besser bezahlt werden. Und wenn wir schon dabei sind. Vielleicht sollten sie weniger Bälle veranstalten. Denkst du, ihre Ladyschaft wäre bereit, bei einer Tasse Tee mit mir darüber zu diskutieren?«

»Du musst wirklich aufpassen, was du sagst, George«, mahnte Effie ihn erschöpft. »Du weißt, was Mum dir sagen würde.«

»Mum ist aber nicht hier«, entgegnete George barsch. »Ich bin die ganze letzte Woche bei Sonnenaufgang aufgestanden und erst um Mitternacht ins Bett gegangen, Effie. Es wäre ein Wunder, wenn ich mich deswegen nicht wenigstens ein bisschen beschweren würde.« Er schubste sie erneut, energischer diesmal. »Und jetzt halt mich nicht weiter auf. Ich will diesen schrecklichen Abend einfach nur hinter mich bringen.«

Effie wich in die Küche zurück, und George huschte davon, bevor sie ihn noch weiter zur Rede stellen konnte.

Die Köchin des Hauses – von allen liebevoll Cookie genannt – war gerade dabei, kalten Braten und Brötchen auf Platten zu verteilen. Effie entdeckte die Punschtabletts auf der anderen Seite der Küche und schnappte sich schnell eines von ihnen. »Ich bringe es nach oben!«, rief sie der armen überlasteten Köchin zu. Cookie bedachte sie mit einem kaum merklichen Nicken, aber es genügte als Zustimmung. Effie verließ die Küche wieder und eilte in den Ballsaal hinauf.

Die Gäste hatten sich inzwischen in den Räumlichkeiten verteilt. Eine der feinen Damen saß am Flügel und spielte beinahe beiläufig eine verspielte Melodie. Effie bahnte sich mit dem Punschtablett einen Weg durch die Gäste und hielt den Blick dabei starr Richtung Boden gerichtet. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, war, vor Müdigkeit über ihre eigenen Füße zu stolpern und Punsch über eine besonders bedeutende Dame zu schütten.

»Oh, ich möchte einen, bitte.« Eine blonde Frau in einem blauen Kleid streckte ihre Hand aus, um sich ein Glas vom Tablett zu nehmen. Ihr Haar war kunstvoll mit einer eingeflochtenen goldenen Kette geschmückt und ihre Wangen waren mit Rouge zartrosa geschminkt.

»Ich glaube, ich auch«, hörte Effie Benedict auf ihrer anderen Seite – und beim Klang seiner Stimme erstarrte sie völlig. Er nahm sich ein Glas vom Tablett und Effie schaute zu ihm hinauf. Er war ebenso elegant gekleidet wie all die anderen Gäste: in eine edle goldene Weste und ein schwarzes Jackett. Auf seinem Gesicht strahlte ein warmes Lächeln, und Effie ertappte sich dabei, dass sie ihren Blick nicht von ihm wenden konnte.

Ihr Herz raste. Einen Moment lang, als sein Blick zu ihr huschte, war Effie zwischen Tagträumen und Wirklichkeit gefangen. Ein verwegener Wunsch überkam sie: Benedict hatte sie bestimmt wiedererkannt! Würde er sie nun um einen Tanz bitten, hier und jetzt?

»Duntham!«, rief Benedict da mit fröhlicher Stimme. Seine Augen waren auf jemand hinter Effies Schulter gerichtet. »Wie lange ist das inzwischen her?« Er schlängelte sich lachend an Effie vorbei … und ihr Herz zerschellte zu ihren Füßen.

Was hatte ich auch anderes erwartet?, dachte sie matt. Schließlich halte ich diesmal ein Tablett in den Händen und damit bin ich schließlich so gut wie unsichtbar.

Als Dienstmädchen war Effie daran gewöhnt, übersehen zu werden. Tatsächlich galt übersehen zu werden als entscheidende Fähigkeit für jemanden in ihrer Position – die feinen Herrschaften zogen es im Allgemeinen vor, wenn ihre Bediensteten so inexistent wie möglich erschienen. Aus irgendeinem Grund versetzte es ihr jedoch einen unerwarteten Stich, von diesem speziellen feinen Herrn übersehen zu werden. Wenn Benedict doch bloß nicht so charmant zu mir gewesen wäre, dachte sie, dann wäre ich niemals auf die törichte Idee gekommen, ich könnte vielleicht einmal etwas Besseres sein.

Eine schreckliche Niedergeschlagenheit gesellte sich zu ihrer Erschöpfung. Das Gefühl wanderte von Effies Magen bis hinauf in ihre Kehle und bildete dort einen steinharten Kloß. Heiße Tränen brannten in ihren Augenwinkeln und sie taumelte, überwältigt von Enttäuschung.

»Oh, Lydia!«, brachte sie atemlos hervor. »Kannst du mir bitte das Tablett abnehmen?«

Lydia ließ die Schultern sinken. »Du hast es doch eben erst nach oben gebracht, Effie!«, flüsterte sie ihr mit klagendem Tonfall zu. »Kannst du nicht noch ein bisschen länger Getränke servieren?«

»Ich breche gleich in Tränen aus«, gestand Effie ihr, so ruhig sie konnte. »Ich brauche frische Luft, sonst bezweifle ich, dass ich je wieder aufhören werde zu weinen.«

Lydia nahm ihr das Tablett mit einem wissenden Seufzen ab. »O weh«, sagte sie. »Na, dann mach schon, verschwinde. Gut möglich, dass ich genauso zu heulen anfange, wenn dieser Abend endlich zu Ende ist.«

Effie rauschte an Lydia vorbei durch die Seitentür und hinunter in die Dienstbotenräume. Unterwegs brachen sich die Tränen schließlich Bahn und Effie heulte vor Wut und Scham hemmungslos.

Heulanfälle waren unter den Angestellten derzeit an der Tagesordnung, aber Effie verspürte dennoch nicht das geringste Bedürfnis, dabei ertappt zu werden. Deshalb schlich sie sich nach draußen, zum Eingang des großen Heckenlabyrinths, das sich hinter dem Herrenhaus erstreckte.

Normalerweise hätte das Labyrinth zumindest einer Handvoll Gäste eine unterhaltsame Abwechslung geboten, doch aufgrund des Matschs und Schnees hatte es an diesem Abend seinen Reiz verloren. Und so hatte Effie die Bank davor ganz für sich alleine. Sie sank darauf nieder, wischte sich das Gesicht ab und rieb sich die Arme. Die kalte, klare Luft linderte ihr Elend ein wenig, und sie atmete mehrmals tief durch, um die Fassung wiederzuerlangen.

Die sanfte Melodie des Pianoforte drang leise durch die Fenster an ihr Ohr. Die Gäste haben zu tanzen begonnen, dachte Effie. All die gut aussehenden Herren würden schon bald all die bezaubernden Damen in ihren ebenso bezaubernden Kleidern auf die Tanzfläche bitten. Benedict forderte wahrscheinlich just in diesem Moment eine der jungen Ladys auf.

»Das spielt wohl kaum eine Rolle, oder?«, murmelte Effie vor sich hin. »Warum sollte irgendetwas eine Rolle spielen, das er tut? Ganz sicher wird mich sowieso nie jemand zum Tanzen auffordern.« Sie blinzelte ein paarmal und presste ein gezwungenes Lachen hervor. »Ha! Allein der Gedanke!«

»O weh«, vernahm Effie zu ihrer Rechten eine sanfte Stimme – und erstarrte vor Schreck. »Ist das wirklich ein so abwegiger Gedanke? Dann fühle ich mich jetzt nur umso mehr genötigt, Sie zu fragen: Würden Sie gern tanzen, Miss?«

Effie sprang auf und wandte sich dem Mann zu, der sie angesprochen hatte … und war nur umso verwirrter.

Der Herr war groß, schlank und in einen eleganten schwarzen Samtgehrock gewandet. Sein Haar war ebenso schwarz wie die Jacke und ein wenig zerzaust. Seine Augen waren von einem geradezu schockierenden Smaragdgrün, wie knospende Blätter im Frühling, und leuchteten auf eine Weise sanft von innen, die sie im Mondlicht hervorstechen ließ. Er trug keine Krawatte, wie Effie bemerkte, sondern hatte sich stattdessen die Ranke eine aufblühenden Rose um den Hals gelegt, die scheinbar den gleichen Zweck erfüllen sollte.

»Ich … Es tut mir leid, Sir«, brachte Effie hervor. »Ich wäre niemals nach hier draußen gekommen, wenn ich geahnt hätte, dass ich jemanden stören würde –«

»Oh, aber ich fühle mich nicht im Geringsten gestört!«, unterbrach der Mann sie aufrichtig. Er lächelte Effie an, und ihr schmerzendes Herz krampfte sich ein wenig zusammen, als ihr der Gedanke kam, wie attraktiv er dabei aussah, selbst im Halbdunkel. Seine Züge wirkten sehr elegant, die Wangenknochen so scharf konturiert, dass man meinte, sich daran in den Finger schneiden zu können. »Tatsächlich bin ich äußerst erfreut, Sie kennenzulernen«, fuhr er fort. »Wie aufregend das doch alles ist!«

Effie schluckte und faltete die Hände vor ihrem Körper. Die Art, wie der Mann mit ihr sprach, hatte etwas sehr Eigentümliches an sich, aber sie kam nicht darauf, woran das lag. »Sir«, sagte sie zögernd, »Euch ist doch … bewusst, dass ich hier als Dienstmädchen arbeite?« Sie verspürte nicht den Wunsch, noch einmal dieselbe Enttäuschung zu erleben wie bei ihrer Begegnung mit Benedict am Tag zuvor.

»Tun Sie?«, fragte der Mann. Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß und seine Augen leuchteten. »Meine Güte, das tun Sie!« Er schien angesichts dieser Enthüllung nur umso enthusiastischer zu sein. »Welch erfreulich perfekte Fügung. Bitte, würden Sie mir Ihren Namen verraten?«

Effie blinzelte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann zum letzten Mal ein so feiner Herr nach ihrem Namen gefragt hatte. »Ähm … also, mein Name ist Euphemia Reeves, Mylord«, antwortete sie. »Aber eigentlich nennen mich alle Effie.«

»Was für ein zauberhafter Name!« Der feine Herr strahlte sie mit solcher Begeisterung an, dass Effie sich bei der Frage ertappte, ob er wohl überhaupt schon jemals in seinem Leben über irgendetwas Missfallen empfunden hatte. »Nun«, sagte er, »ich bin Lord Blackthorn. Und ich sollte meine Frage wiederholen: Würden Sie gern tanzen, Miss Euphemia?« Er bot ihr seine Hand an und Effie begriff, dass er sich wirklich wünschte, dass sie sie ergriff.

Das ist keine gute Idee, dachte sie. Jenseits der Tatsache, dass sie nicht mit Gästen tanzen sollte, war ihr auch nicht entgangen, dass Lord Blackthorn ein wahrlich eigenartiger Gentleman war – und davon abgesehen hatte Effie auch noch nie von einer Grafschaft namens »Blackthorn« gehört.

Doch Effies Körper schien ihrem Verstand vorausgeeilt zu sein, denn sie musste feststellen, dass sie seine Hand bereits ergriffen hatte. Lord Blackthorns Finger waren lang und feingliedrig und ihn umgab seltsamerweise der Duft von frischen Rosen an – mitten im Februar.

»Ich glaube, ich kenne diesen Tanz!«, sagte Lord Blackthorn erfreut. »Ha, Lady Hollowvale hat ihn mir erst letzte Woche beigebracht!« Er umfasste Effies Taille, während sie noch versuchte, sich daran zu erinnern, ob sie schon einmal von einem Ort namens »Hollowvale« gehört hatte oder nicht. Lord Blackthorn wirbelte sie herum, und sie schnappte vor Schreck leise nach Luft, als sie tollpatschig über ihre eigenen Füße stolperte. »Gut, Miss Euphemia«, sagte der Herr dann freundlich, als hätte sie ihm nicht gerade beinahe die Schuhe ruiniert. »Ich muss Ihnen nun eine sehr wichtige Frage stellen: Würden Sie sagen, dass Sie machtlos sind?«

»Ich – was?«, fragte Effie verwirrt. Sie stolperte erneut, obwohl sie sich beinahe panisch bemühte, im Takt zu bleiben. Doch Lord Blackthorn schien ihre Schwierigkeiten kaum zu bemerken. Ich habe das dumpfe Gefühl, als ziemte sich diese Frage nicht, dachte Effie. Da sie jedoch nicht darauf kam, was genau an der Frage ungebührlich war, antwortete sie: »Ich weiß wirklich nicht, was Ihr damit meint, Mylord.«

»Nun«, erwiderte Lord Blackthorn nachdenklich, »wenn Sie sich entscheiden müssten, würden Sie dann sagen, dass Sie eher mächtig oder eher machtlos sind?«

Er wirbelte sie erneut herum und Effie wurde allmählich schwindlig. Ich glaube nicht, dass das die richtigen Tanzschritte sind, dachte sie. Erst dann begriff Effie wirklich, was er sie gefragt hatte, und ihr Temperament ging mit ihr durch. »Ich muss doch sehr bitten!«, echauffierte sie sich. »Ich bin zumindest mächtig genug, um Euch auf die Zehen zu treten, falls Ihr Euch irgendwelche Freiheiten herausnehmen solltet, Sir!«

Lord Blackthorn betrachtete Effie mit zur Seite geneigtem Kopf, allem Anschein nach völlig verdutzt. Dabei erkannte sie, dass seine Ohren oben leicht spitz zuliefen.

Effies Herz hüpfte vor Angst bis in ihre Kehle hinauf.

Ein Elf!, dachte sie panisch. Oh, Gott steh mir bei, ich tanze mit einem Elf!

»Habe ich Sie beleidigt, Miss Euphemia?«, fragte Lord Blackthorn. »Oh, das war wirklich nicht meine Absicht! Wissen Sie, ich habe die englischen Werte in letzter Zeit sehr intensiv studiert. Ich dachte, es ginge dabei allein um schicke Stiefel und teure Jacken – äußerst ermüdend, wie Sie mir sicher zustimmen werden, nicht wahr? Lady Hollowvale hat mir jedoch erklärt, dass es in Wahrheit darum geht, freundlich zu den Machtlosen und grausam zu den Mächtigen zu sein. Darum war ich seither auf der Suche nach dem einen oder anderen, um dieses Konzept persönlich in der Praxis zu erproben!«

Effie riss erstaunt die Augen auf. »Ich bin alles andere als mächtig, Sir!«, versicherte sie ihm hastig. »Sondern vielmehr äußerst machtlos!«

Lord Blackthorn lachte erfreut. »Welch glückliche Fügung!«, sagte er. »Ich habe mich schon gefragt, wie lange ich wohl suchen muss – aber hier sind Sie! Noch dazu direkt vor meiner Haustür.« Er wirbelte Effie noch einmal herum, aber sie konnte sich nicht mehr dazu überwinden, seine Hand danach wieder zu ergreifen. Stattdessen stürzte sie stolpernd in den Matsch und wimmerte verängstigt.

Kalter, nasser Schlamm klebte an ihren Händen und sickerte an den Knien durch den Stoff ihres Rocks. Unter anderen Umständen wäre sie entsetzt gewesen, weil sie für noch mehr dreckige Wäsche gesorgt hatte. Aber die Angst, die sie im Augenblick empfand, überstieg sogar die schreckliche Aussicht auf einen zusätzlichen Waschtag. Effies Mutter hatte ihr zahlreiche warnende Geschichten über das Volk der Elfen erzählt und fast in jeder dieser Geschichten hatte die zufällige Begegnung mit einem Elf dem ahnungslosen Bäcker, Schuster oder Milchmädchen ein grauenvolles Ende beschert. Tatsächlich endeten viele dieser Geschichten damit, dass die arme Hauptfigur versehentlich ihre eigene Seele verkaufte.

Lord Blackthorn lachte, als hätte Effie sich einen Spaß erlaubt und wäre absichtlich im Dreck gelandet. Er bot ihr seine Hand an, aber sie starrte ihn nur vom Boden aus an. Als sie standhaft schwieg, beugte er sich nach unten, packte sie unter den Armen, hob sie mit verstörender Leichtigkeit hoch und stellte sie wieder auf ihre Füße, bevor er vorsichtig den Dreck von ihrem Kleid zu wischen versuchte. Natürlich hatte er keinen Erfolg damit, den Stoff zu säubern.

»Oh, ausgezeichnet!«, befand Lord Blackthorn. »Sie haben Ihr Kleid beschmutzt! Gewiss wird Ihnen dies schreckliche Umstände bereiten. Möchten Sie, dass ich Ihnen dabei helfe, es wieder zu reinigen?«

Effie presste hilflos die Lippen aufeinander. Die Leute in den Elfengeschichten geraten meist deshalb in Schwierigkeiten, weil sie das Falsche sagen, dachte sie. Wenn ich einfach schweige, verschwindet er vielleicht wieder.

Lord Blackthorn blinzelte mit seinen viel zu grünen Augen. »Haben Sie sich wehgetan?«, erkundigte er sich. »Ich fürchte, dann kann ich Sie nicht heilen. Derartige Kräfte übersteigen meine Fähigkeiten. Aber«, er schlug mit einer plötzlichen Eingebung eine behandschuhte Faust in seine Hand, »ich könnte das Körperglied entfernen, das Ihnen Beschwerden bereitet, und durch ein neues ersetzen!«

Effie riss vor blankem Entsetzen die Augen auf. »Nein!«, stieß sie aus, bevor sie den Schrei unterdrücken konnte. »Nein, nein, nein, das wäre … zu großzügig! Bitte, denkt noch nicht einmal daran!«

Lord Blackthorn blinzelte irritiert. »Aber es wäre keineswegs großzügig«, erwiderte er. »Ich müsste dafür eine Bezahlung von Ihnen fordern, ganz gleich, wie sehr ich mir auch wünsche, dem wäre nicht so. Ich fürchte, wir Elfen können diese Dinge nicht anders handhaben.«

Effie zwang sich zu einem zittrigen Lächeln und knetete nervös ihre Finger. »Ich bin arm«, gestand sie. »Ich könnte Euch noch nicht einmal bezahlen, wenn ich es wollte, Euer Lordschaft. Ich fürchte, Ihr müsst jemand anderen finden, dem Ihr helfen könnt.«

Lord Blackthorn legte nachdenklich die Stirn in Falten. »Ich benötige kein Geld«, entgegnete er. »Ich könnte stattdessen vielleicht Ihre glücklichste Erinnerung nehmen – oder einen kleinen Teil Ihres Namens. Eine oder zwei Silben würden Sie gewiss kaum vermissen.«

Lieber Gott, betete Effie stumm, bitte, lass mich diesem Elfenmann unbeschadet entkommen, dann werde ich an diesem Sonntag sogar zweimal den Zehnten bei der Kollekte entrichten. »Das ist so freundlich von Euch«, erwiderte sie zaghaft. »Aber ich ziehe es vor, meine Probleme selbst zu lösen. Meine Mum hat mir immer erklärt, das formt den Charakter.«

Lord Blackthorn wirkte so zutiefst niedergeschlagen, dass er Effie beinahe leidtat. »Ich war mir so sicher, dass ich mein Vorhaben mit Ihnen perfekt in die Tat würde umsetzen können«, seufzte er. »Ich war überzeugt, Sie hätten irgendein fürchterliches Problem, das ich für Sie lösen könnte. Aber …« Seine Augen funkelten neugierig. »Wenn ich Sie das fragen darf … Weswegen haben Sie denn geweint, Miss Euphemia?«

Effie schluckte. Sie war sich sicher, dass es ihr nichts Gutes bescheren würde, einem Elf von ihren Sorgen zu berichten. Aber diese seltsamen grünen Augen bohrten sich förmlich in sie, sodass die Worte ihre Kehle hinaufsprudelten und aus ihr heraus. »Ich habe mich verliebt«, gestand Effie heiser. »Es war furchtbar töricht von mir. Und heute Abend wurde ich daran erinnert, dass er meine Liebe niemals erwidern könnte.«

Effie verfluchte ihr verräterisches Mundwerk. Ich wollte das überhaupt nicht sagen!, dachte sie. Ob er mich bereits mit einem Zauber belegt hat?

»Wie schrecklich«, stieß Lord Blackthorn hervor, doch er sagte es auf eine Weise, die Effie zweifeln ließ, ob er wirklich mit ihr fühlte oder nicht stattdessen gar erfreut darüber war. »Aber warum kann er Ihre Liebe nicht erwidern, Miss Euphemia? Sie scheinen mir ein absolut bezauberndes menschliches Wesen zu sein. Sie haben eine vollständige Seele und sind noch immer im Besitz all Ihrer ursprünglichen Finger!«

Wieder versuchte Effie, nichts darauf zu erwidern. Doch Lord Blackthorn hatte die einzelnen Silben ihres Namens auf seltsame Art in die Länge gezogen und der eigenartige Klang ihres Namens schien an ihrer Seele zu zerren und zwang eine Antwort über ihre Lippen.

»Er ist der Sohn eines Barons, Euer Lordschaft«, platzte sie heraus. »Und ich bin nur ein Dienstmädchen. Der Sohn eines Barons würde niemals ein Dienstmädchen heiraten. Das schickt sich einfach nicht.« Lord Blackthorn wirkte aufrichtig perplex, daher fügte Effie hinzu: »Das wäre, als … als würdet Ihr mir einen Gefallen erweisen, ohne dass ich dafür bezahle.«

Bei ihrer Erklärung leuchteten die Augen des Elfenmanns auf und er nickte wissend. »Ich verstehe«, murmelte Lord Blackthorn. »Ah, welch ein Problem. Welch ein außergewöhnliches Problem!« Er lächelte strahlend. »Genau jene Art von Problem, die zweifellos auch die außergewöhnlichste Art von Lösung erfordert!«

»Ich glaube nicht, dass es dafür irgendeine Lösung gibt«, widersprach Effie ihm vorsichtig. »Wirklich, es ist schon gut. Ich fühle mich ohnehin schon viel besser, Euer Lordschaft.«

Lord Blackthorn schüttelte den Kopf. »Aber die Angelegenheit ist denkbar simpel!«, versicherte er ihr. »Sagt mir, Miss Euphemia: Wen würde der Sohn eines Barons für gewöhnlich heiraten?«

Erneut verspürte Effie das überwältigende Bedürfnis, ihm zu antworten. Sie presste die Lippen zusammen und konzentrierte sich angestrengt darauf, die Worte zu unterdrücken … aber sie platzten trotzdem aus ihr heraus. »Er würde jemanden von seinem Stand heiraten, Euer Lordschaft«, sagte sie mit atemloser Hast. »Vielleicht die Tochter eines anderen Barons oder – o weh!«

Es war ihr Name, wurde Effie zutiefst bestürzt bewusst. Sie hatte diesem verflixten Elfenmann ihren Namen genannt! Effie konnte sich vage daran erinnern, dass Elfen schreckliche Dinge anstellen konnten, wenn man ihnen seinen Namen verriet. Ich habe schon längst etwas Falsches gesagt, dachte sie mit wachsender Panik. Aber wie ungerecht das ist! Anfangs konnte ich schließlich nicht wissen, was er ist!

Lord Blackthorn lächelte bei Effies Antwort. »Welch eine Erleichterung!«, sagte er. »Das wird mir nicht die geringsten Schwierigkeiten bereiten, Miss Euphemia. Ich kann Sie einfach in die Tochter eines Barons verwandeln, und dann können Sie den Mann heiraten, den Sie lieben!«

Effie klappte so abrupt den Mund zu, dass ihre Zähne laut klack machten.

Für einen Augenblick schien sich angesichts dieser Aussicht all ihre Furcht – all ihr nasses, matschverdrecktes Elend – in Luft aufzulösen.

»Ihr … Ihr könntet das wirklich tun?«, flüsterte Effie. Sie wusste, dass sie diesmal nicht nur etwas erwiderte, weil er ihren Namen auf diese seltsame Art ausgesprochen hatte.

»Das könnte ich in der Tat«, bestätigte Lord Blackthorn. Sein Eifer war schmerzlich offensichtlich, nachdem er endlich etwas gefunden hatte, das tatsächlich ihr Interesse geweckt zu haben schien. Er ergriff ihre Hand und tätschelte sie beinahe zärtlich. »Ich könnte Sie in jede gewünschte Art einer englischen Adligen verwandeln, wenn es Ihnen beliebt – solange es der Lösung Ihres Problems dient, wollte ich damit sagen. Tatsächlich könnte ich es jetzt sofort tun! Würden Sie gerne selbst auf diesem Ball tanzen, der dort hinter uns stattfindet?«

Effies Mund fühlte sich mit einem Mal ganz trocken an. Beinahe schnürte sich ihr erneut die Kehle zu. Sie riss ihre Hand aus dem Griff des Elfenmanns und presste sie verzweifelt gegen ihre Brust.

Noch vor wenigen Minuten hatte Effie in den Gängen unter dem Ballsaal gestanden und genau diesen unmöglichen Traum geträumt. Dieselben Bilder strömten nun in einer gewaltigen Flut erneut über sie herein – leuchtender und verlockender als je zuvor. Doch diesmal war der Traum zum Greifen nahe. Alles, was sie tun musste, war Ja zu sagen, dann könnte sie Hartfield als Ebenbürtige betreten statt als Bedienstete.

Ja. Ja, bitte. Die Worte lagen ihr auf der Zunge. Doch Effie besann sich gerade noch rechtzeitig und kniff entschlossen die Augen zusammen.

»Wenn das Wörtchen wenn nicht wär«, rezitierte sie leise, »wär mein Vater Millionär.«

Sie machte die Augen wieder auf und sah, dass Lord Blackthorn sie mit verdutzter Miene betrachtete. Er war ihr noch immer so nahe, dass sie mit jedem Atemzug den Duft von frischen Rosen einsog.

»Ich verstehe nicht, Miss Euphemia«, sagte er. »Sprechen Sie einen Wunsch aus?«

»Nein«, antwortete Effie leise. »Ich erinnere mich nur selbst daran, dass Wünschen sinnlos ist.« Sie schlang fröstelnd die Arme um ihren Körper. »Ich fürchte, ich muss wieder zurück ins Haus, Euer Lordschaft. Eigentlich sollte ich auf diesem Ball arbeiten. Wenn ich zu lange hierbleibe, müssen andere meine Arbeit verrichten, und das wäre nicht fair.«

Lord Blackthorn zog, offensichtlich betroffen, die Stirn in Falten. »Ich verstehe«, seufzte er. »Den Machtlosen zu helfen ist entschieden schwieriger, als ich es mir vorgestellt hatte. Es sollte mich nicht wundern, dass englische Werte sich so selten finden lassen, nehme ich an.« Er schenkte Effie ein mildes Lächeln, so als hätte er ihre Worte ganz anders verstanden, als sie sie gemeint hatte. »Aber das spielt keine Rolle! Ich werde nicht gleich die Flinte ins Korn werfen, Miss Euphemia. Da Sie so freundlich waren, mir Ihren Namen zu nennen, werde ich Ihnen im Gegenzug auch den meinen verraten. Mein richtiger Name ist Juniper Jubilee. Sollten Sie jemals irgendetwas brauchen, ganz gleich, was es ist, dann müssen Sie diesen Namen nur dreimal nacheinander laut aussprechen und ich werde sofort zurückkehren, um Ihnen zu helfen.«

Effie blinzelte unwillkürlich. »Juniper Jubilee?«, wiederholte sie, bevor sie sich auf die Zunge beißen konnte. »Was für ein eigenartiger Name!«

Lord Blackthorn – Nein, Mr Jubilee, dachte Effie – strahlte sie an, als hätte sie ihm ein Kompliment gemacht. »Oh, vielen Dank, Miss Euphemia«, erwiderte er. »Ich habe den Namen selbst ausgewählt. Auch ich bin noch immer sehr davon angetan.«

Effie schüttelte langsam den Kopf. »Äh, nun … Mr Jubilee«, brachte sie hervor. »Es macht Euch wirklich nichts aus, dass ich zurück an die Arbeit muss? Ihr fühlt Euch deswegen nicht beleidigt, will ich damit sagen?«

Lord Blackthorn lächelte wieder. »Wie könnte mich das beleidigen?«, fragte er. »Sie haben mir Ihre wertvolle Zeit und diese Unterhaltung geschenkt, Miss Euphemia. Und Sie waren sogar so reizend, mit mir zu tanzen.«

Effie wich vor seinen überirdisch grünen Augen zurück. Hätte irgendein Mensch je Derartiges zu ihr gesagt, sie hätte sich womöglich geschmeichelt gefühlt.

Aber diese Augen hatten irgendetwas an sich, das sie daran erinnerte, wie gefährlich jedes einzelne Wort aus seinem Mund sein konnte. Unbehaglich senkte sie den Blick.

»Dann … dann gehe ich jetzt, Euer Lordschaft«, sagte Effie.

Doch als sie den Blick wieder hob, war der Elf bereits verschwunden.

Kapitel 2

Hätte der Dreck nicht immer noch an ihren Röcken geklebt, Effie hätte sich vielleicht selbst einreden können, dass ihre Begegnung mit Lord Blackthorn nur ein Tagtraum gewesen sei. Dennoch fragte sie sich, ob sie sich nicht doch den Kopf gestoßen oder vor Erschöpfung zu halluzinieren begonnen hatte. So oder so, sie durfte Lydia gegenüber das Geschehene mit keinem Wort erwähnen. Als Effie ins Haus zurückkehrte, musste sie sich zuallererst ein sauberes Kleid von einem der anderen Dienstmädchen ausleihen, um wieder in den Ballsaal zurückeilen und den Gästen Getränke servieren zu können. Der Rest des Abends zog sich so endlos lange und erschöpfend dahin, dass ohnehin keiner der Bediensteten Zeit hatte, über irgendetwas anderes zu sprechen als über Punschgläser, die verschiedenen Gänge des Abendessens oder eine ebenso unangekündigt wie ungelegen aufgetauchte Cousine von Wemauchimmer, für die dringend ein Platz am Tisch gefunden werden musste.

Als Effie in dieser Nacht endlich ins Bett fiel, waren sämtliche Gedanken an seltsame Elfen aus ihrem Kopf verschwunden. Sie wurde nur wenige Stunden später wieder geweckt, als Lydia wegen der Kamine grummelte. Selbst am Morgen nach einem Ball warteten stets die Kamine.

»Sie wird uns noch alle umbringen«, murmelte Lydia, als sie sich gemeinsam nach oben schleppten, um das Feuer in den Kaminen zu entfachen. »Lady Culver, meine ich. Das kann nicht ewig so weitergehen, Effie.«

»Wir sollten unsere Energie nicht mit Klagen verschwenden«, ermahnte Effie sie. »Ich bin heute so müde, ich glaube nicht, dass ich dafür die nötige Kraft habe.«

Wenigstens hatten die Bediensteten an diesem Morgen Zeit, unten zu frühstücken, da die Familie oben noch selig schlief. Doch das Frühstück bescherte ihnen eine neue, unschöne Überraschung.

»Lady Panovar hat ihr französisches Dienstmädchen gestern Abend mindestens ein Dutzend Mal erwähnt«, teilte Mrs Sedgewick der gesamten Belegschaft etwas verschlafen mit. »Lady Culver war am Ende des Abends wutentbrannt. Sie hat darauf bestanden, dass ich sofort ein paar französische Dienstmädchen für sie finde.«

Lydia klappte der Unterkiefer herunter, dann lachte sie. »Was?«, fragte sie. »Einfach so? Und bei dem Lohn, den sie zahlt? Sind französische Mädchen nicht recht teuer?«