Reich heiraten - Lilli Beck - E-Book

Reich heiraten E-Book

Lilli Beck

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Beschreibung

Es ist nie zu spät, nochmal neu anzufangen - oder: Wie ich mit 58 meine Hippie-Ideale über Bord warf ...

Betty Singer blickt auf ein buntes Leben als Hippie und Kommunen-Bewohnerin zurück. Aber die wilden Jahre liegen weit zurück, denkt jedenfalls Betty. Bis sich plötzlich alles auflöst wie eine Reinigungstablette für dritte Zähne: Sie verliert ihren Job als Feng-Shui-Beraterin, der hypochondrische Lebensgefährte geht ins Kloster und ihr wird die Wohnung gekündigt. Doch so leicht lässt sich eine selbstbewusste Frau nicht unterkriegen. Betty fasst einen Entschluss, zukunftsorientiert und als Lösung aller Probleme: Sie will endlich heiraten – und zwar Reich heiraten!

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Über Lilli Beck

Lilli Beck lebt zurzeit in München. Ihr größter Traum ist es jedoch, im Alter selbst einmal in einer rosa Villa am See zu wohnen. Mit dem Gesetz ist sie aber noch nicht in Konflikt geraten. Im Aufbau Taschenbuch Verlag sind ihre Romane »Liebe auf den letzten Blick«, »Liebe verlernt man nicht« und »Geld oder Liebe« lieferbar. Mehr zur Autorin unter www.lilli-beck.de

Informationen zum Buch

Es ist nie zu spät, nochmal neu anzufangen …

Betty Singer blickt auf ein buntes Leben als Hippie und Kommunen-Bewohnerin zurück. Aber die wilden Jahre liegen weit zurück, denkt jedenfalls Betty. Bis sich plötzlich alles auflöst wie eine Reinigungstablette für dritte Zähne: Sie verliert ihren Job als Feng-Shui-Beraterin, der hypochondrische Lebensgefährte geht ins Kloster und ihr wird die Wohnung gekündigt. Doch so leicht lässt sich eine selbstbewusste Frau nicht unterkriegen. Betty fasst einen Entschluss, zukunftsorientiert und als Lösung aller Probleme: Sie will endlich heiraten – und zwar reich heiraten!

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Lilli Beck

Reich heiraten!

oder Wie ich mit 58 meine Hippie-Ideale über Bord warf

Roman

Inhaltsübersicht

Über Lilli Beck

Informationen zum Buch

Newsletter

1. Der Duft von Patina

2. Alles Karma, oder sind die Götter neidisch?

3. Ein Sonnenbrillentag

4. Samstags-Blues

5. Milchmädchenrechnung

6. Die kreative Abrissbirne

7. Zwei Schulmädchen

8. Eine lausige Pferdeflüsterin

9. Die alten Hippie-Ideale

10. Ein neues Leben

11. Eine Frage der Perspektive

12. Nicht ein unnötiges Wort!

13. Nudeln machen auch glücklich

14. Verführerinnen

15. Die Asiatin in mir

16. Kein Millionär weit und breit

17. Reiche Männer zum Aussuchen!

18. Das Rad der Zeit

19. Konkurrenz im Badetuch

20. Durchstarten

21. Neue Perspektiven

22. Schicksal & Co.

23. Aufarbeitung

24. Ärger im Paradies

25. Vollmond und Freitag der 13te?

26. Ach du heiliges Feng-Shui!

27. Grausames Karma

28. Das schlechte Karma umgelenkt!

29. Der Himmel im Fluss

Impressum

Love and Peace

1. Der Duft von Patina

Wenn ich schlechte Laune habe, stelle ich erst mal meine Möbel um. Das verändert den Blickwinkel. Anstatt Tabletten zu schlucken oder zu einem Seelenklempner zu gehen, würde ich mir eher ein neues Möbelstück kaufen. Andere Frauen kaufen Schuhe, ich kaufe Einrichtungsgegenstände. Seit vielen Jahren auch beruflich.

Besonders glücklich machen mich die Aufträge, bei denen ich nicht aufs Geld achten muss. Ich liebe es nämlich, Geld auszugeben. Mein eigenes, und das meiner Auftraggeber.

Meine Arbeit ist aber nicht zu verwechseln mit der einer Innenarchitektin. Ich gestalte nicht am Computer, sondern am Objekt.

Deshalb stehe ich im Moment bei Art déco, einem der edelsten und teuersten Antiquitätengeschäfte Berlins, und atme den Duft von Patina ein. Ich bin auf der Suche nach einem repräsentativen Esstisch für die Zehn-Zimmer-Villa von Frau Gehlen, meiner neusten Kundin.

»Kann ich behilflich sein?«

Ein elegant gekleideter Mann, mit glänzenden dunklen Haaren, tritt mir entgegen. Sein Blick wirkt etwas irritiert, als er mich von oben bis unten mustert. Ich kenne das, mein Aussehen kommt eben nicht bei allen Leuten gut an. Dabei sehe ich heute doch völlig normal aus. Jedenfalls soweit eine verwaschene Jeans mit Umschlag, verstaubte rote Turnschuhe, ein pinkfarbenes T-Shirt mit Che-Guevara-Porträt und ein übergroßes Jackett normal sind für eine Frau mit achtundfünfzig, die einige Pfunde zu viel und langes graumeliertes Haar hat.

»Könnte sein«, sage ich lächelnd und gebe dem Dandy meine Visitenkarte aus rotem, extra teuren Karton:

Betty SingerFeng-Shui-Einrichtungsberatung

Oft ist die Karte der Beginn eines langen Gesprächs über Feng-Shui. Der asiatische Trend ist zwar nicht mehr ganz neu, aber es gibt immer noch Menschen, die hinter diesem Namen eine Kampfsportart oder ein Sushi-Röllchen vermuten.

Der Dandy liest die Karte und deutet eine höfliche Verbeugung an. »Pierre Pötsch. Ich bin der Inhaber.«

Eine angenehme Überraschung, denn wegen seines jugendlichen Aussehens hatte ich ihn für einen Angestellten gehalten. Doch attraktiv wie er ist, könnte er auch ein Schauspieler ohne Engagement sein. Sein blendendes Aussehen, der wache Blick und der Waschbrettbauch, den ich unter seinem weißen Hemd vermute – ein klassischer Held, der allein mit seiner körperlichen Präsenz jede Bühne füllen würde. Ein Mann mit Stil und Klasse, der gut zu seinen Möbeln passt.

Ich beginne das Gespräch mit einem Kompliment über die ausgesucht schönen Stücke in seinem Laden. Das ist durchaus ernstgemeint; Möbel, die mir nicht gefallen und die ich nicht auch selbst gerne besitzen würde, schaue ich mir nämlich gar nicht erst an.

»Vielen Dank, Frau Singer, sehr freundlich.« Er ist sichtlich geschmeichelt. »Darf ich Sie herumführen?«

In seiner Begleitung schlendere ich durch drei große, ineinander übergehende Räume, streichle liebevoll über Tische, Stühle und Schränke, bewundere Lampen und Spiegel und frage nach der Herkunft der Stücke, die mir besonders auffallen. Später erzähle ich ihm von meinem Großauftrag. Interessiert hebt er die Augenbrauen. Er scheint zu ahnen, dass sich mein Besuch für ihn lohnen könnte. Aber ich weiß, wie Preise zustande kommen, und auch wie man sie herunterhandelt. Dieses Mal spielt Geld allerdings keine Rolle, was selten vorkommt. Bei reichen Leuten spielt Geld nämlich meistens eine wichtige Rolle, sonst wären sie nicht reich. Ich vereinbare mit meinen Auftraggebern daher gerne Festpreise. Und je günstiger ich dann einkaufe, umso mehr Gewinn bleibt für mich. Ich bin aber nicht geldgierig. Ist ein Möbelstück genau das, was ich suche, kümmert es mich nicht, ob der Preis mein Honorar schmälert. Geld hat man, oder man hat es nicht. Und wenn ich welches habe, gebe ich es sowieso schnell wieder aus. Das ist eine alte Gewohnheit aus meiner Hippiezeit. Und ich bin nach wie vor der Meinung, Geld muss in Umlauf gebracht werden, damit es wieder zurückkommen kann.

Nachdem ich so gut wie jedes Stück im Laden angefasst habe, eröffnet Herr Pötsch den Handel.» Und? Ist etwas dabei, das in die Villa Ihrer Kundin passen würde?«, erkundigt er sich gespannt.

»Ja …, ich denke doch«, sage ich verheißungsvoll. Er merkt, dass ich wirklich interessiert bin und hört sicher schon die Kasse klingeln. Die beste Voraussetzung für einen erfolgreichen Handel!

Herr Pötsch scheint das wohl auch so zu sehen und fragt: »Darf ich Ihnen vielleicht eine Tasse Kaffee anbieten?«

Ich nehme dankend an.

Er entschuldigt sich für einen Moment und verschwindet hinter einem schwarz-goldenen Brokatvorhang mit ägyptischen Motiven. Ich setze mich an einen riesigen Tisch, der mit seiner schwarzlackierten Oberfläche und den Stahlrohrbeinen gut in die Villa passen würde.

Nach einigen Minuten kommt Herr Pötsch mit einem silbernen Tablett zurück, auf dem er zwei Espressotassen, ein Milchkännchen und eine Zuckerdose aus schlichtem weißem Porzellan balanciert.

Während ich den köstlichen Kaffee genieße, gebe ich etwa zwanzigtausend Euro aus. Theoretisch jedenfalls. Meine Auswahl steht nämlich fest.

»Sie werden sicher verstehen, dass ich nichts kaufen kann, ohne es mit meinen Auftraggebern abzusprechen. Feng-Shui ist schließlich keine Überraschungsshow.«

Seinem Schmunzeln entnehme ich, dass er diese TV-Sendungen, in denen ahnungslose Menschen von Freunden oder Verwandten mit Komplettrenovierungen überrascht werden, auch kennt. Ich fotografiere also die in Frage kommenden Stücke und kündige für übermorgen meine Entscheidung an.

Mit meiner Auftraggeberin bin ich zum Mittagessen in der Villa verabredet. Das Anwesen liegt im vornehmen Grunewald, Berlins Geldkiez. Da ich kein Auto habe – ja nicht mal einen Führerschein besitze –, leiste ich mir ein Taxi. Eigentlich sollte ich lieber sparen, denn in letzter Zeit läuft es mit den Aufträgen eher mies. Für die Schönen und Reichen scheint der Feng-Shui-Trend nämlich abgenutzt wie ein alter Besen. Und bekanntlich braucht es einen sehr heißen Trend-Besen, damit man bei den Reichen durchkehren darf. Es gab nochmal einen kurzfristigen Boom, als eines dieser Boulevardmagazine schrieb, Nicole Kidman würde einen eigenen Feng-Shui-Berater beschäftigen. Doch inzwischen zieht der Promi-Bonus auch nicht mehr. Durchaus möglich, dass ich mir bald einen neuen Job suchen muss. Wäre nicht das erste Mal.

In meiner Hippiezeit haben wir immer wieder nach kreativen Möglichkeiten gesucht, Geld zu verdienen.

Als Andy Warhol beispielsweise anfing, alles um sich herum mit einer Polaroidkamera zu fotografieren, griffen wir Frauen die Idee auf und knipsten uns gegenseitig beim Stillen unserer Babys. Oder beim Schlafen auf der großen Gemeinschaftsmatratze (ich meine den Schlaf, bei dem man sich in Morpheus Armen fallenlässt). Oder wir fotografierten unsere schönste Mitbewohnerin, die scharfe Tuti, mit nackten Brüsten am Kochtopf. Aus diesen Bildern gestalteten wir dann Collagen oder ließen Poster drucken und veranstalteten in einer Galerie ein Happening samt Ausstellung. Die Vergrößerungen von den Jungs auf dem Klo – inspiriert von Frank Zappa – wurden uns förmlich von den Wänden gerissen. Und einer von Tutis Bekannten, ein Werbefachmann, verkaufte das Ganze auch noch an eine große Münchener Boulevardzeitung. Die Aktion brachte immerhin ein paar Monatsmieten ein!

Für Frauen in meinem Alter herrschen derzeit aber eher trübe Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Würde ich heute aufs Arbeitsamt gehen, bekäme ich wahrscheinlich nur ein mitleidiges Lächeln und ein »Nicht vermittelbar« auf meine Akte gestempelt.

Frau Gehlen erwartet mich bereits ungeduldig. Mit ihrem Gemahl habe ich bisher nur telefoniert. Der Stimme nach zu urteilen, ist er aber nicht so jung wie seine Frau. Scheint eine dieser Ehen zu sein, in der der Mann das Geld nach Hause bringt, das die Frau dann ausgibt. Das stelle ich mir im Prinzip sehr amüsant vor. Allerdings kann ich da nicht wirklich mitreden, ich war noch nie verheiratet.

»Haben Sie etwas Passendes gefunden?«, fragt Frau Gehlen neugierig, als ich ihr auf dem Weg in die neurenovierte Küche von meinem Besuch bei Art déco erzähle. Zwischen Feldsalat und Pasta mit Trüffeln präsentiere ich ihr dann die Polaroids auf dem vom Schreiner nach Maß gefertigten Birkenholztisch.

»Wunderschön! Gefällt mir alles, ausnahmslos«, ruft sie begeistert beim Anblick der Fotos.

Das bestätigt mich in der Einschätzung, dass wir in Geschmacksfragen übereinstimmen. Die mintgrüne Küche im modernen Landhausstil hätte ich auch ausgesucht. Mein Job würde mir keinen Spaß machen, wenn ich endlose Diskussionen über Design, Blumen oder Streifen führen müsste. Obwohl ich da natürlich flexibel bin. Wer im Laura-Ashley-Stil wohnen möchte, der kriegt ihn auch. Nur bei den Feng-Shui-Regeln bleibe ich unnachgiebig. Ich würde nie einen Schreibtisch so positionieren, dass man mit dem Rücken zur Tür sitzt. Oder ein Bett in ein Durchgangszimmer stellen. Da rast das positive Chi dann durchs Zimmer wie ein Rennwagen auf der Teststrecke. Dass so ein zugiges Plätzchen die Ursache für unkonzentriertes Arbeiten oder unruhigen Schlaf ist, wollen diese Menschen oft nicht glauben. Ich empfehle ihnen dann, Katzen oder Hunde zu beobachten. Bei denen funktionieren die Instinkte noch. Kein Tier würde sich freiwillig an so einem Platz schlafen legen. Seltsamerweise suchen die Menschen doch auch geschützte Ecken, wenn sie zum Beispiel ein Lokal betreten. Schon merkwürdig, dass sie zu Hause ihren Instinkten manchmal misstrauen.

Frau Gehlen dagegen vertraut den ihren.

Sie stößt einen Entzückensschrei aus, als ich ihr versichere, dass es sich bei dem Esstisch um ein Einzelstück handelt. Ich schätze, sie kann es sich leisten, grundsätzlich nur für Einzelstücke in Begeisterung auszubrechen. Dafür sorgt schon das prallgefüllte Konto ihres Gatten. Ihr karamellfarbenes Designerkleidchen wird da vermutlich der kleinste Posten im Budget gewesen sein. Diese elegante Frau mit dem dunklen Teint, den blitzenden Augen und der perfekten Figur würde aber auch noch in jeder Kittelschürze traumhaft aussehen. Was dem Gatten allerdings weniger gefallen dürfte. Man weiß ja, was Männer mögen. Und soweit ich mich erinnere, gehören Kittelschürzen nicht dazu. Für mich ist aber eigentlich nur wichtig, dass ihm gefällt, was ich aus seiner Villa mache, schließlich soll er die Verwandlung ja bezahlen.

»Wollen Sie die Fotos ihrem Mann zeigen und mir dann Bescheid geben?«, frage ich deshalb, als wir beim Cappuccino angelangt sind.

»Nicht nötig«, antwortet Frau Gehlen mit der Sicherheit einer Frau, die weiß, was ihrem Mann gefällt. Ganz sicher aber weiß sie, was sie tun muss, damit es ihm gefällt.

Mir fehlt dieses Talent ja völlig. Vielleicht habe ich es aber auch nie kultiviert, weil es ziemlich anstrengend sein muss, einen vermögenden Mann von etwas zu überzeugen, was er gar nicht haben möchte. Das ist jedoch auch kein Thema, über das ich groß nachdenken müsste. Mein Lebensgefährte ist zwar kein Sozialfall, wird es aber nie zu großem Reichtum bringen. Uwe spielt ja nicht mal Lotto. Aber immerhin wohnen wir nicht mehr in einer großen Kommune, sondern in einer eigenen Wohnung. Zur Miete, versteht sich.

Nach dem Essen begutachten Frau Gehlen und ich noch den momentanen Stand der Renovierungsarbeiten im Haus. Die meisten Zimmer sind bereits leergeräumt und frisch gestrichen – daher das Essen in der Küche. Und bis auf den Schlafzimmerschrank, ein Eichenmonstrum aus den achtziger Jahren mit Albtraumgarantie, wurden die alten Möbel bereits entsorgt. Die gesamte Villa war vollgestopft mit Chippendale und Eiche rustikal. Frau Gehlen gestand mir verschämt, das würde alles aus einem anderen Leben ihres Mannes stammen. Ich nehme an, es waren die Reste einer früheren Ehe.

Leere Räume, nur von Licht durchdrungen, haben etwas Magisches. Ich kann fühlen, wie sie auf ihre Verwandlung warten, wie sie nach der Entrümpelung aufatmen und die Wände nach frischer Farbe lechzen. Ich finde es immer wieder faszinierend, was man aus einem Raum alles machen kann. In einem Loriot-Film heißt es: »In lila Sitzgruppen bringen sich die Leute um.« Bei mir nicht! Mit Feng-Shui und den richtigen Begleitfarben entferne ich aus jeder Sitzgruppe das Selbstmordrisiko. Auch aus einer lilafarbenen. In meiner Kommune war die Küche stets lila gestrichen. Schon damals fanden wir das kreativ.

Frau Gehlen bremst meinen stillen Nostalgieanfall aus und fragt: »Wie schnell kann der Antiquitätenhändler denn liefern?«

Ich freue mich über ihre Ungeduld. Ist sie doch eine Bestätigung meiner Arbeit. Ich versichere ihr, dass alles fertig sein wird, wenn sie und ihr Mann aus dem New-York-Urlaub zurückkommen. Während ihres zweiwöchigen Ausflugs in die ihrer Meinung nach »aufregendste Stadt der Welt« lasse ich die Schlafzimmereiche inklusive der rustikalen Albträume abholen. Maler werden dann die alte Strukturtapete von den Wänden ablösen und die beiden letzten Räume streichen. Für das endgültige Dekorieren bleibt mir dann noch eine Woche Zeit.

Am Ende eines jeden Auftrags betrachte ich mein Werk oft mit einem zufriedenen Kribbeln im Bauch. Und manchmal bin ich von dem Endergebnis so begeistert, dass ich mir wünsche, die Hausherrin zu sein. Der dazugehörige Reichtum würde mich kein bisschen stören. Im Gegenteil, so richtig reich zu sein wäre mal eine ganz neue Erfahrung. Doch mit normaler Arbeit ist noch niemand zu Reichtum gekommen. Und wenn ich Frau Gehlen so ansehe, ist reich Heiraten der direkteste Weg dorthin. Diesen Zug habe ich aber wohl verpasst. Es sei denn, ich schicke Uwe in die Wüste, falle in einen Jungbrunnen und finde einen reichen Mann, der sich in mich verliebt.

2. Alles Karma, oder sind die Götter neidisch?

Eigentlich bin ich ja nicht abergläubisch. Doch sobald zwei ungute Dinge zusammenkommen, fange ich an zu grübeln.

Die Gehlen-Villa ist mittlerweile fertig, doch als ich bei der Abnahme mein Honorar kassieren wollte, konnte Herr Gehlen sich plötzlich nicht mehr an die Summe erinnern. Heute würde doch alles online laufen, witzelte er in seinem grässlich grauen Anzug, in dem er mit seinen grauen Augen und den grauen Haaren wie ein ergrauter Schneemann aussah. Seine schöne junge Frau wirkte neben ihm wie ein frischgeschlüpfter Schmetterling. Aber kann man mit Schmetterlingen über Schnee reden?

Ich habe Gehlen dann erklärt, dass ich seine Villa ja auch nicht online eingerichtet hätte. Nun soll ich in den nächsten Tagen in sein Büro kommen, damit wir alles regeln können.

Bis vor zwei Minuten hatte ich Gehlens Zahlungsmoral erfolgreich verdrängt. Doch dann wollte ich Tee kochen, und der Wasserkocher ging kaputt. Siebzehn Jahre nicht der kleinste Mucks, und plötzlich gibt er den Geist auf! Karma? Oder sind die Götter neidisch? Dann muss ich mir überlegen, wie ich sie täuschen könnte. So wie es die chinesischen Bauern früher versucht haben, um bei der Geburt eines Sohnes den Neid der Götter abzuwenden. Aus Angst, die Übermächtigen könnten das Neugeborene sterben lassen, verhüllten die Bauern das Kind mit einer Decke, gingen damit aufs Feld und jammerten: Es gäbe keinen Grund, neidisch zu sein, wo es doch nur ein Mädchen sei und noch dazu so hässlich, dass man es verhüllen müsse.

Nun habe ich tatsächlich eine Tochter. Verhüllen ist also unnötig. Außerdem ist meine Greta längst erwachsen und hoffentlich raus aus der Gefahrenzone.

Aber die Götter scheinen es im Moment nicht gut mit mir zu meinen. Jetzt zerstören sie sogar schon meinen Wasserkocher! Na gut, dann muss ich in nächster Zeit eben mit dem alten Pfeifkessel zurechtkommen. Es ist ein sentimentales Erinnerungsstück aus meiner Münchener Kommune K5. Ich glaube Patchouli hat das gute Stück in die WG gebracht. Susanne, wie sie eigentlich heißt, ist heute noch meine beste Freundin, aber leider sehen wir uns viel zu selten. Sie ist in München geblieben, während ich nach Berlin ging.

Wenn ich an sie denke, rieche ich sofort dieses Duftöl und die Räucherstäbchen, die damals Tag und Nacht in ihrem Zimmer brannten. Susanne ließ nur Männer und Patchouli an ihre Haut – was ihr irgendwann diesen Spitznamen einbrachte. Eigentlich müffelt das Zeug ja nach nassem Hund und alten Socken. Damals fiel das aber niemandem auf. Und bei einem Badezimmer für teilweise zwanzig Mitbewohner bleibt dem Einzelnen wenig Zeit zur gründlichen Körperpflege.

Bei der Erinnerung an die Kommune werde ich ganz melancholisch. Vielleicht sollte ich schnell ein paar Möbel umstellen, um auf andere Gedanken zu kommen!

Tische und Stühle bleiben aber vorerst stehen, weil Uwe unerwartet früh nach Hause kommt. Es ist noch nicht mal sechs Uhr abends! Normalerweise kommt er nie so früh. Uwe ist Journalist. Seit kurzem schreibt er zwar nur noch freiberuflich, bleibt aber dennoch mit seinem Beruf verheiratet. Das hat mich noch nie besonders gestört: Wer sich nicht ständig auf der Pelle sitzt, streitet sich weniger. Aber seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, könnte sich das in Kürze ändern.

»Ich werde sterben!«, ruft er theatralisch aus, als er mich erblickt.

Uwe stirbt monatlich. Seit er ohne festen Job ist und reichlich freie Zeit hat, füllt er diese mit einem neuen Hobby: Hypochondrie. Vor vier Wochen war es eine Darmverschlingung, weil er einen Kirschkern verschluckt hat. Es hat mich viel Energie gekostet, ihn zurück ins Leben zu holen. Aber heute passt es mir gar nicht.

»Geht’s ausnahmsweise mal etwas weniger dramatisch?«, knurre ich genervt und halte ihm den verbeulten Pfeifkessel hin. »Der elektrische Wasserkocher ist nämlich kaputtgegangen.«

Uwe rauscht beleidigt ab, ins Bad. Bevor ich ihm folge, um ihn ausgiebig zu bemitleiden, setze ich noch Wasser auf. So schnell wird er ja wohl nicht sterben.

Als ich ins Bad komme, steht er mit hängenden Schultern vor dem Spiegel und starrt entsetzt hinein. Er sieht tatsächlich ziemlich käsig aus, was aber vor allem an der Beleuchtung liegt. Unser weißgefliestes Bad hat nämlich kein Fenster und somit kein natürliches Tageslicht. Stattdessen leuchtet eine Speziallampe so gleißend hell, dass man jederzeit eine Notoperation vornehmen könnte. Uwe bestand hartnäckig auf dieser OP-Beleuchtung, und es war das einzige Mal, dass wir uns zwei Tage lang stritten. Andere Paare streiten übers Geld, wir über die Beleuchtung. Es endete mit einem Kompromiss: Ich akzeptierte das Licht und installierte es sogar – Uwe hat nämlich zwei linke Hände. Dafür toleriert er seitdem meine Angewohnheit, Möbel umzustellen – auch wenn er die nach wie vor als krankhaft bezeichnet. An den morgendlichen Lichtschock habe ich mich allerdings nie gewöhnen können. Deshalb setze ich an manchen Tagen morgens als Erstes eine Sonnenbrille auf. Gleich nach dem Aufstehen dunkle Augenringe präsentiert zu kriegen ertrage ich einfach nicht.

Uwe braucht dieses Licht angeblich, um Veränderungen an seiner Haut beobachten zu können. Über jedes Pünktchen führt er penibel Buch – könnte ja der gefürchtete Schwarze Hautkrebs sein. Und sobald eines die Größe einer Staubmilbe erreicht hat, wird es wöchentlich vermessen und zusätzlich mit einem Vergrößerungsglas beobachtet. Um ihn zu beruhigen, versichere ich ihm regelmäßig, dass es nur Altersflecken sind. Ich weiß, wovon ich spreche. Doch meine Flecken sind natürlich nur Sommersprossen.

Ich setze mich also auf den Badewannenrand und ziehe die Augenbrauen zusammen. Das ergibt ein paar wirkungsvolle Sorgenfalten, die aus mir eine mitfühlende Partnerin machen. Ich habe diese Mimik lange vor dem Spiegel einstudiert.

»Na, dann erzähl mal, woran du sterben wirst.«

Ich kenne inzwischen mehr tödliche Krankheiten als jede Pathologin. Auch solche, für die es noch gar keinen Namen gibt. Uwe stöhnt nämlich stets so lange herum, bis ich mir anhöre, was ihn ins Grab bringen wird. Mit meiner Frage kürze ich das Ritual lediglich ab. Er beschreibt dann diverse, nicht genau zu lokalisierende Symptome, woraufhin ich verschiedene Analysevorschläge liefere und am Ende versuche, das Wetter dafür verantwortlich zu machen. Seit seinem Sechzigsten vor drei Jahren ist Uwe nämlich auch noch wetterfühlig. Was für ein Glück, dass hierzulande das Wetter so wechselhaft ist. Überraschenderweise kommt er heute aber direkt zur Diagnose:

»Prostatakrebs!«

»Nein!«

»Doch!«

Die Wetter-Methode wird jetzt wohl nicht ausreichen – die Götter scheinen stinksauer auf mich zu sein!

Als habe er seinen baldigen Tod bereits akzeptiert, lässt sich Uwe erschöpft auf dem Klodeckel nieder und erklärt mit schwacher Stimme: »Ich war bei einem Spezialisten!«

»Du warst beim Arzt?«

Ich bin ehrlich überrascht. Uwe gehört nicht zu der Spezies Hypochonder, die von Arzt zu Arzt rennen. Er hat Angst vor Ärzten. Sie könnten ihm sagen, dass er kerngesund ist und uralt werden kann. Sein Wissen über todbringende Krankheiten bezieht er lieber aus dem Internet.

»Und der Arzt hat also Prostatakrebs festgestellt?«

Uwe nickt und schüttelt gleichzeitig den Kopf. Seine dramatischen Bewegungen sind so heftig, dass sein spärliches graublondes Haar flattert und die Schuppen fliegen. Als ich nachfragen will, was der Spezialist nun tatsächlich gefunden hat, pfeift der Wasserkessel.

Uwe verdreht stöhnend die Augen. »Ich sterbe, und du willst Tee kochen.«

»Ich verspreche dir, du stirbst nicht sofort. Und bevor es so weit ist, mache ich uns noch eine Tasse Tee, ja?«

Unwillig folgt er mir in die Küche, die immer penibel aufgeräumt ist. Dies ist nämlich sein Reich, in das er vor zehn Monaten ein kleines Vermögen für neue Geräte und eine supermoderne Profikochinsel investiert hat. Dieses Hightech-Center aus gebürstetem Edelstahl mit schwarzer Granit-Arbeitsfläche war dermaßen teuer, dass für neue Schränke kein Cent mehr übrig war. Deshalb sieht unsere Wohnküche mit den vanillegelben Achtziger-Jahre-Einbauschränken jetzt aus, als wäre ein Raumschiff darin gelandet. Vor allem, wenn die Lichter der darüberschwebenden Dunstesse leuchten und sämtliche Gasflammen unter Uwes Töpfen brennen. Er kocht leidenschaftlich gerne. Und wenn er kocht, vergisst er sogar seine Wehwehchen. Seit ich das erkannt habe, animiere ich ihn, sooft es geht, dazu. Dann muss ich auch nicht länger die Krankenschwester spielen. Kochen ist quasi meine Therapie für ihn. Meine nächste Frage ist also genauso berechnend wie unausweichlich:

»Würde es dich stören, wenn ich uns noch schnell ein paar Käsebrote mache, während du mir erzählst, was der Arzt gesagt hat?«

Angewidert verzieht er den Mund. »Käsebrote?«

Natürlich weiß ich, dass Käsebrote weit unter seiner Würde sind.

»Ich werde uns etwas Richtiges kochen«, verkündet er.

Na bitte, wer sagt’s denn! Essen hält eben Leib und Seele zusammen. Essen hält aber auch eine Beziehung zusammen, wenn das wärmende Anfangsfeuer längst erloschen ist! Unglücklicherweise ist jede von Uwes Köstlichkeiten aber gleichzeitig auch eine Attacke auf meine Kleidergröße. Ein unangenehmer Nebeneffekt, den ich jedes Mal verfluche, wenn wieder eines meiner heißgeliebten Einzelstücke aus meiner Hippiegarderobe kneift. Vielleicht platze ich irgendwann oder wälze mich eines Nachts über ihn, und das könnte dann wirklich tödlich für ihn enden.

Schon beim Umbinden der Kochschürze – eine von diesen schicken schwarzen, die von der Taille bis zu den Füßen reichen – verändert Uwe sich. Und kaum hat er den stets gutgefüllten Kühlschrank geöffnet und die Zutaten fürs Abendessen herausgenommen, entspannt sich seine Körperhaltung. Seine sonst eher harten Gesichtszüge werden weich, die fahle Haut färbt sich leicht rosa und lässt ihn frisch und gesund aussehen. Kochen als Wunderdroge! Objektiv betrachtet, ist Uwe kein wirklich attraktiver Mann, doch beim Hantieren mit Kochtöpfen und Pfannen wirkt er beinahe sexy. Uwe war der erste Mann, der sich nach meinen Jahren als fürsorgliche Kommunenmutter mal um mich gekümmert hat. Damals lechzte ich nach Aufmerksamkeit wie eine ausgedörrte Topfrose nach Wasser. Abgesehen von seinen Kochkünsten, hat Uwe sich in den letzten Jahren aber völlig verändert. Heute kümmert er sich nur noch um den Kühlschrank, den Wein im Keller und um seine Krankheiten.

Eine Stunde später – das Raumschiff blitzt bereits wieder – sitzen wir vor leckeren Straußensteaks an würzigem Knoblauchspinat. Dazu gibt’s spanischen Rotwein.

Nachdem Uwe sein Fleisch in mundgerechte Happen zerschnitten hat, erfahre ich endlich, was wirklich los ist.

»Du kennst doch meinen Kollegen Zielinsky, mit dem ich beim Abendblatt zusammengearbeitet habe?«

Ich kann mich zwar nicht erinnern, nicke aber, um Zeit zu sparen.

»Er liegt im Krankenhaus. Prostatakrebs! Die Ärzte geben ihm nicht mehr lange. Und ich habe genau die gleichen Symptome! Verstehst du? Ganz genau die gleichen!«, keucht er, und leert sein zweites Glas Wein in einem Zug.

Tja, wie das eben so ist bei den Jungs: Was der eine hat, will der andere auch haben. Das beginnt schon im Sandkasten mit Prügeleien um Schaufel und Bagger. Mit dem Führerschein in der Tasche geht’s dann so lange um Autos oder Frauen, bis die Testosteronwerte wieder abfallen. Und sobald der Haaransatz zurückweicht, die Autos anfangen zu rosten und der Körper schlappmacht, werden Krankheiten ausgetauscht.

»Du warst also schon bei einem Spezialisten?«, frage ich nun und verleihe meiner Stimme die entsprechende Besorgnis. Doch Uwe braucht erst noch ein Glas Rotwein, bevor er antwortet. Sein Fleisch dagegen ist längst kalt geworden und bleibt unberührt.

»Vorerst hat er zwar nur eine Verhärtung festgestellt«, murmelt er dann. »Aber er hat mir unglaublich viel Blut abgenommen, für ein großes Blutbild. Verstehst du? Ein großes Blutbild! Du weißt, wie Ärzte sind? Die tun doch immer so, als sei alles in Ordnung, und dann zapfen sie dir gleich fünf Ampullen ab. Verstehst du? Fünf Ampullen sind ein Anzeichen für eine lebensbedrohliche Erkrankung!«

»Soweit ich weiß, ist eine Verhärtung aber ganz normal in deinem Alter«, sage ich so beiläufig wie möglich und hoffe, ihn damit zu beruhigen. Viel lieber würde ich ihm sagen, dass der eigentliche Grund für die Blutabnahme wahrscheinlich seine private Krankenkasse ist. Wäre er so ein lausiger Kassenpatient wie ich, hätte er sein Blut sicher behalten dürfen.

»NORMAL!?« Uwes Stimme wird jetzt schrill.

Ich vergaß, dass Normal ein Unwort für einen Hypochonder ist, und ernte einen strafenden Blick.

»Dir ist wohl egal, ob ich sterbe oder nicht«, klagt er aufgebracht.

Es folgen intensives Stirnrunzeln und die üblichen Beteuerungen meinerseits, wobei ich jedes Mal denke, er müsste doch merken, dass er den Wortlaut meiner Leier bereits kennt. Heute kann ich aber zu seiner Beruhigung noch etwas Neues hinzufügen: »Warum warten wir nicht das Ergebnis der Blutuntersuchung ab? Und wenn du dann immer noch stirbst, gehen wir einen hübschen Sarg kaufen und suchen ein nettes Grab auf einem sonnigen Hügel«, sage ich bewusst launig und hoffe, das Thema damit endlich beenden zu können, denn inzwischen ist es Mitternacht. Ich bin müde, mir gehen die Argumente aus, und ich will endlich ins Bett. Ich verspreche ihm also seinen Lieblingswein als Grabbeigabe und überlege, ob ich ihm noch versöhnlich über den Kopf streicheln soll, als er aufspringt und lautstark verkündet: »Mir reicht’s. Ich habe genug von deinen unsensiblen Witzeleien. Ich werde heute im Büro schlafen!«

»Na, wenn Büroschlaf nicht wieder bedeutet, dass du zu deiner Exfrau gehst, wie schon mal …«

Für den Kommentar gibt’s einen zu Tode beleidigten Blick. Kurz darauf höre ich, wie Uwe die Wohnung verlässt und die Tür hinter sich zuknallt.

3. Ein Sonnenbrillentag

Ich habe schlecht geschlafen und wache schweißgebadet auf. Mein Kopf fühlt sich dumpf und schwer an, als hätte ich mit den Füßen zur Tür gelegen. Was natürlich nicht der Fall ist. Das Bett steht Feng-Shui-technisch an einem idealen Platz, wo mich das positive Chi wie ein feinmaschiges Moskitonetz umhüllen sollte. Es ist das einzige Möbelstück in unserer Wohnung, das ich nie verrücken werde.

Der Wecker zeigt auf neun, die Betthälfte neben mir ist die Nacht über leergeblieben, und in der Wohnung ist es verdächtig still. Ob Uwe noch lebt?

Ich greife als Erstes zu meiner Sonnenbrille. Meinem Kopfbrummen nach werde ich sie heute auch den ganzen Tag auflassen. Vielleicht hätte ich den Wein nicht trinken sollen.

Ich strecke mich ausgiebig und fahre noch einige Minuten Luft-Fahrrad. Danach fühle ich mich etwas besser. Diese kleine Morgengymnastik, die das Blut ins Gehirn pumpt, mache ich aber nur, wenn Uwe nicht da ist. Nicht, dass ich mich genieren würde – nach über fünfzehn Jahren Beziehung ist nichts mehr peinlich –, aber ich möchte Uwe keinen Anlass für einen Vortrag zum Thema »Sport ist Mord« geben. Der beginnt bei Bandscheibenvorfällen, behandelt sämtliche Gelenke und Muskeln, die man sich ausrenken oder zerren kann, und endet bei tödlichen Verletzungen. Wo sonst?

Mit meiner schicken dunklen Brille marschiere ich erst mal ins Bad. Doch Uwe ist weder beim Fleckenabmessen noch in seinem Arbeitszimmer. Aus dem fehlenden Laptop schließe ich, dass er heute Morgen aber bereits hier war und jetzt sicher schon wieder »Chandler« spielt. Er hat nämlich ein kleines Hinterhofbüro in Kreuzberg angemietet. Und dort sitzt er dann an einem verkratzten Fünfziger-Jahre-Schreibmaschinentisch mit seitlichem Rollladenfach und versucht sich an einem Krimi im Raymond-Chandler-Stil. Denn trotz meines Versprechens, dass sein Arbeitszimmer tabu für meine Umstellaktionen bleibt, behauptet er: unsere Wohnung hätte eine unkreative Atmosphäre!

In der Küche finde ich einen Zettel: Bin weg, U. Es ist ziemlich lange her, dass unter seinen Nachrichten noch Küsschen oder wenigstens Schönen Tag! stand.

Ich beschließe, mir nach dem Gehlen-Auftrag einen freien Tag zu gönnen, den blöden Streit mit Uwe zu vergessen und erst mal ausgiebig zu baden. Das macht eh mehr Spaß, wenn Uwe nicht da ist. Dann kann ich bei sanft schimmerndem Kerzenlicht lautstark meine Lieblings-CD von Johnny Cash hören. Uwe nennt das nämlich abfällig: »Verdunkeltes Einweichen bei schwuler Cowboymusik.« Mal abgesehen davon, dass er keine Countrysongs mag, hat er auch eine generelle Aversion gegen Musik. Die würde ihn beim Denken stören. Sogar beim Nicht-Denken. Als ich ihm mal empfahl, Stress mit Musikhören zu bekämpfen, setzte Uwe sich den Kopfhörer auf und legte eine unbespielte CD ein.

Mit frischgewaschenen Haaren und nach Limonen duftend, mache ich mich später mit einer Tasse Milchkaffee ans Schreibtisch-Aufräumen, bevor mir wieder Uwes Prostata dazwischenkommt. Nach einer weiteren Tasse habe ich mein Zettelchaos beseitigt und rufe endlich Gehlen an, um zu hören, wann ich mein Honorar kassieren kann. Doch der ist bereits ins Wochenende. Freitag um elf Uhr! Ich muss also bis nächste Woche auf mein Geld warten. Beim Blick in meinen Terminkalender sehe ich mit Entsetzen, dass ich am Nachmittag bei meiner Frauenärztin angemeldet bin. Den Termin hätte ich glatt vergessen.

Im Gegensatz zu meinem Lieblingshypochonder hänge ich aber gerne bei Ärzten rum – wegen der kostenlosen Presse. Und meine Gynäkologin scheint sogar meine Leidenschaft für Möbel und Einrichtungen zu teilen, denn sie hat einige sehr teure Wohnzeitschriften im Sortiment. Ich gehe also gerne früher hin, um ausgiebig in House and Garden zu blättern, mich von Wohnungen, Gärten und Herrschaftshäusern inspirieren zu lassen und davon zu träumen, selbst einmal in einer Villa mit Garten zu wohnen.

Doch ich habe mich zu früh gefreut. Im Wartezimmer sitzen drei Patientinnen und lesen meine Zeitschriften! Eigentlich ein Grund, sofort wieder zu gehen. Es handelt sich sowieso nur um eine unbedeutende Nachbesprechung.

Vierzig Minuten und drei medizinische Fachzeitschriften später bin ich endlich dran. Dr. Radke, eine drahtige Brünette mit dekorativer Silbersträhne, begrüßt mich vergnügt mit der üblichen Floskel: »Na, wie geht’s uns denn?«

»Danke, gut.« Ob diese dämliche Standardfrage zum Medizinstudium gehört?

Dr. Radke vertieft sich in meine Karteikarte. »Irgendwelche Beschwerden?«

»Nein, alles prima«, antworte ich wahrheitsgemäß, denn seit ich meine Tage nicht mehr bekomme, geht’s mir prächtig. Aber das habe ich ihr schon vorletzte Woche bei der jährlichen Routineuntersuchung gesagt.

Ein mildes Lächeln huscht über ihr gebräuntes Gesicht. Ihre weiße Bluse lässt die Urlaubsfarbe noch dunkler erscheinen.

»Tatsächlich?«, erkundigt sie sich und entfaltet den Laborbericht. »Sehr ungewöhnlich, wo Ihre Hormonwerte so extrem abgefallen sind.« Sie sieht mich prüfend an. »Keine Schweißausbrüche? Depressionen? Sexuelle Unlust? Nicht mal Stimmungsschwankungen oder Schlafstörungen? Den Werten nach sind Sie jedenfalls in den Wechseljahren.«

Mist! Das klingt nicht gerade so, als handle es sich lediglich um eine vorübergehende Unpässlichkeit. Vielleicht war es doch ein Fehler, hierzubleiben. Wenn Uwe von diesen Symptomen erfährt, wird er vermutlich sofort selbst zu schwitzen beginnen. Denn dass auch Männer in die Wechseljahre kommen, weiß er bestimmt schon längst.

Für Frau Dr. Radke gehört mein Schweigen wohl zum Alltagsgeschäft. Zufrieden legt sie meine Karteikarte zur Seite.

»Wir machen eine Hormonersatztherapie! Das beseitigt die unangenehmen Begleiterscheinungen«, verspricht sie voller Zuversicht und hört sich dabei an wie in einem Werbespot für ein neuentwickeltes Sprühmittel zum Hormonspiegel-Putzen.

»Auch den Flaum auf meiner Oberlippe?«, frage ich zweifelnd. Denn zwei Wörter gefallen mir überhaupt nicht: Wir! und Ersatz! »Wir« bedeutet, dass sie das Teufelzeug verschreibt und ich es einnehmen muss. Und das Wort »Ersatz« konnte ich noch nie leiden. Und erst recht nicht, wenn man davon zunimmt und auch wieder Monatsblutungen bekommen kann, wie sie ganz nebenbei ankündigt. Da lasse ich mich lieber von Uwe bekochen und denke mir Namen für neue Krankheiten aus.

Auf dem Nachhauseweg komme ich ins Grübeln: Das Alter ist grausam wie ein schleichendes Gift. Mitte vierzig fängt es beinahe unmerklich mit einer Lesebrille an. Dann beginnen die Oberarme zu schlabbern. Bald darauf überfällt die Cellulitis die anderen Körperteile, die Lachfalten heißen plötzlich Krähenfüße, und am Ende erwartet einen das »Tannenbaumsyndrom«. So nennen die Mediziner es, wenn am Rücken die Haut in breiten Falten nach unten hängt. Das stand in einer dieser schlauen Fachzeitschriften, die ich bei Dr. Radke im Wartezimmer notgedrungen lesen musste.

Nach diesem frustrierenden Arztbesuch hängt meine Laune so tief wie die Hautfalten einer Hundertjährigen. Weder das Vogelgezwitscher noch das milde Frühlingslüftchen kann mich erfreuen. Ja, nicht mal Stühle rücken in Uwes Büro würde mich jetzt noch aufheitern.

Zeit für einen großzügigen Frustkauf!, denke ich, als mich aus einer exklusiven Brillenboutique ein orangerotes Designergestell von Prada anlacht. Der Preis ist weniger erheiternd, er entspricht in etwa zehn neuen Wasserkochern. Aber dieses schicke Gestell wird meine Krähenfüße weit besser verdecken als jeder Wasserkocher! Nach dem Kauf bessert sich meine Laune, und ich besorge noch zwei Stück Schwarzwälder Kirschtorte. Eines gegen meine aufkommenden Wechseljahrbeschwerden und eins für Frau Zweiglein, die bei mir einmal die Woche putzt. Das heißt, eigentlich sind es mittlerweile eher ausgiebige Kaffeeklatschrunden, wenn sie da ist.

Bei Earl Grey und Kuchen tausche ich mich mit ihr über die Wechseljahre aus. Frau Zweiglein ist Mitte sechzig und »längst durch«, wie sie das nennt. Überhaupt klingt alles, was sie über dieses vielbeschworene »Ende der Gebärfähigkeit« sagt, als sei es lediglich eine Fahrt durch einen dunklen Tunnel.

»Bitte, Frau Singer, nehmen S auf keinen Fall Hormone«, beschwört sie mich in ihrem charmant österreichischen Singsang und berichtet von ihrem Leidensweg. »Sie glauben ja gar nicht, wie lang das dauert, bis man die richtigen Pillen gefunden hat. Und wenn’s dann endlich helfen, ist man total verseucht und verspürt mehr Nebenwirkung als Wirkung. Bis heute weiß ja keiner, ob dieses Zeug nicht doch nur einen Krebs füttert«, schimpft sie und lässt sich die Sahnetorte schmecken.

»Wie lange haben Sie die Pillen denn genommen?«, frage ich verwundert.

»Ein ganzes Jahr hab ich rumprobieren müssen. Stellen S’ sich vor, mir sind doch tatsächlich die Haare ausgefallen. Und bevor ich noch ganz glatzert geworden wäre, hab ich das Zeug in den Mistkübel geworfen. Jetzt mache ich halt das Fenster auf, wenn’s mir heiß wird. Das ist auf jeden Fall gesünder.«

Klein und kräftig wie sie ist, passt Fenster-Aufmachen viel eher zu ihr als die Chemiekeule. Doch dank ihrer Experimente erfahre ich beim Kaffeeklatsch mehr über Hormonpräparate, als meine Ärztin mir wahrscheinlich jemals verraten würde. So ein Stückchen Sahnetorte ist also letztlich viel effektiver als jede Hormonpille. Und dick wird man schließlich von beiden.

4. Samstags-Blues

Uwe und ich sitzen bei einem späten Samstagsfrühstück in der Küche. Er in seiner Wochenend-Jeans und seinem karierten Lieblingshemd (beides unförmig und verwaschen), ich in meinem rosa-weiß-gestreiften Flohmarktmorgenmantel. Wir lesen Zeitung. Er den politischen Teil, ich das Feuilleton.

Alles ist wie immer. Abgesehen davon, dass ich am offenen Fenster sitze und unterschwellig auf Hitzewallungen warte. Doch die Wallungen bleiben aus. Oder sind vielleicht diese melancholischen Wir-sind-ein-langweiliges-altes-Paar-Gedanken ein Symptom der Wechseljahre? Eine heftige Stimmungsschwankung sind sie aber garantiert.

Nach einer Kanne schwarzen Kaffee verschwindet Uwe im Bad. An den Geräuschen kann ich hören, dass zumindest bei ihm alles unverändert ist. Den Prostatakrebs scheint er überwunden und unseren kleinen Streit vergessen zu haben. Beruhigt räume ich den Tisch ab und das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine – wie Millionen andere Frauen an Samstagen. Normalerweise frustriert mich das auch nicht, aber heute würde ich das Geschirr am liebsten gegen die Wand donnern. Es will einfach nicht in die Maschine passen! Noch während ich entnervt alles wieder rausnehme, höre ich Uwe aus dem Flur »Bis später!« rufen und gleich darauf die Tür hinter sich zuschlagen. Uwe Chandler geht spielen. Zur Sportschau wird er zurück sein und anschließend etwas kochen. Was für ein überschaubares Leben. Mindestens so überschaubar wie unser Sexleben, wobei es da gar nichts zu überschauen gibt. Mein letzter verwegener Annäherungsversuch (ganz verrucht in neuen schwarzen Dessous!) ist Jahre her. Damals meinte Uwe trocken, der Alltagsstress hätte seine Triebenergie aufgerieben, optische Reize würden ihn nicht mehr stimulieren. Als ich vorschlug, die kneifenden Strapse in das gerade auf den Markt gekommene Viagra umzutauschen, erntete ich nur einen mitleidigen Blick. Mein kleines verzweifeltes Späßchen konnte ihm nicht mal ein Grinsen entlocken. Bei dem Gedanken an diese demütigende Situation bin ich immer noch wütend. So wütend, dass mir meine Lieblingstasse aus der Hand fällt und auf dem Kachelboden zersplittert. Keine Ahnung, wie sich eine Depression anfühlt, aber ich glaube, ich kriege gleich eine. Immerhin passt das Geschirr jetzt problemlos in die Spülmaschine.

Na bitte! Vielleicht sollte ich es mal mit Porzellanzerschlagen statt mit Möbelverrücken probieren.

Nur für meine Tasse brauche ich dringend Ersatz. Ich könnte mal wieder über einen der zahlreichen Trödelmärkte schlendern. Früher habe ich ja jedes Wochenende auf Flohmärkten verbracht, auch um ein wenig Geld zu verdienen. Aber das war zu einer Zeit, als Greta noch ganz klein war und ich keine Arbeit hatte, kein Einkommen und Bob …, nein, an den will ich jetzt gar nicht denken. Für meine gerade überwundene schlechte Laune wäre das eine Frischzellenkur.

Der Trödelmarkt an der Straße des 17. Juni empfängt mich mit dem typischen Flohmarktgeruch. Diese »Trödelpatina« ist eine Duftmischung aus Würstchen, Zuckerwatte und dem Staub der Vergangenheit, bei der ich nach wenigen Minuten unweigerlich Appetit bekomme. Ich beginne mit einer Currywurst, lasse mir danach eine Zimt-Zucker-Crêpe schmecken, genehmige mir noch ein Erdbeereis und schütte eine Cola obendrauf. Anschließend ist mir schlecht – was bei einem Flohmarktbesuch unbedingt dazugehört. Nach einer sauren Gurke geht’s dann wieder, und ich kann mich auf die Jagd nach kalorienfreien Objekten begeben.

Aber wieso fange ich auf einmal so stark zu schwitzen an? So heiß ist es doch noch gar nicht. Hoffentlich sieht man noch keine Schweißflecken unter meinen Armen! Wenn das so weitergeht, werde ich in Zukunft nur noch Schwarz tragen müssen, darauf sieht man keinen Schweiß.

Neben einem Stand mit Hausrat fällt mir ein hübscher junger Mann mit dunklen Locken und fröhlichen Augen auf. Direkt aus der Heckklappe seines Kombis heraus verkauft er etwas, das mir helfen könnte: Fächer! In allen Regenbogenfarben. Ich kaufe drei. Rot. Orange. Pink. Während ich bezahle, fällt mein Blick auf einen dicken weißen Buddha, mit goldenen Ohrringen, auf dessen Schoß ein ganz kleines rotes Handy ruht. Amüsiert betrachte ich das absurde Arrangement.

»Gefällt Ihnen der Dicke?«, fragt der Verkäufer, als er mir das Wechselgeld zurückgibt.

Mich erinnert die weiße Figur an das Calendula,