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Mit Achtsamkeit zu mehr Resilienz Bewundern Sie Menschen, die Krisen scheinbar spielerisch meistern und stressige Situationen mühelos wegstecken? Dann entdecken Sie das Geheimnis innerer Widerstandkraft und stärken Sie sich selbst. Lernen Sie, wie Sie Krisen mit Achtsamkeit überwinden können - und das ganz praktisch mit vielen Übungen. Dazu Sie müssen kein Buddhist werden. Denn Achtsamkeit und Resilienz lassen sich in Ihrem Alltag jederzeit und ganz einfach miteinander verbinden. Und sehr bald werden Sie Belastungen mit mehr Leichtigkeit und Gelassenheit angehen, Selbstsicherheit gewinnen und optimistischer werden.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 176
Dr. Christian Stock
1. Auflage 2019
20 Abbildungen
Resilienz ist in aller Munde: Eltern, Lehrer, große Unternehmen, alle wollen die Resilienz ihrer Kinder und Mitarbeiter stärken, sodass diese mit dem zunehmenden Stress in der heutigen Welt besser fertigwerden. Achtsamkeit ist ebenfalls beliebt, ja fast zur »Mode« geworden. Beide Ansätze wollen Glück maximieren und unnötiges Leiden minimieren. Resilienz ist eher ein westliches Konzept, Achtsamkeit eher ein östliches. Im Zeitalter der Globalisierung nähern sich die beiden Konzepte aber immer mehr an, und sie können sich bei allen Unterschieden gegenseitig bereichern. Denn wer achtsam lebt, der steigert seine Resilienz wie von selbst.
Ich möchte Sie in diesem Übungs- und Reflexionsbuch einladen zu einer gemeinsamen Reise. Sie werden nacheinander die verschiedenen Komponenten der Resilienz kennenlernen. Zu jedem werden passende Achtsamkeitsübungen und Reflexionen vorgestellt. Hier verbinden sich zwei Konzepte zu einem lohnenden Ganzen. Sie können ganz konkret selbst ausprobieren, wie es ist, sich über seine Werte und Ziele klar zu werden. Oder was es bedeutet, Selbstliebe und Gleichmut zu trainieren.
Sie müssen kein Buddhist werden, um aus diesem Buch Ihren Nutzen zu ziehen. Die Achtsamkeitsübungen, wie wir sie heute kennen, sind von ihrem religiösen Ursprung abgekoppelt und haben Einzug gefunden in die moderne westliche Psychotherapie. Sie benötigen nur etwas Neugier und Offenheit – übrigens zwei Resilienzeigenschaften. Ich wünsche Ihnen viel Freude dabei!
Christian Stock
Titelei
Liebe Leserin, lieber Leser,
Teil I Resilienz und Achtsamkeit
1 Was ist Resilienz?
1.1 Risiko- und Schutzfaktoren
1.2 Resilienzfaktoren
1.3 Resilienztest
2 Was ist Achtsamkeit?
2.1 Achtsamkeit und Achtlosigkeit
2.2 Achtsamkeitstest
3 Verbindungen und Unterschiede
Teil II Resilienz mit Achtsamkeit üben
4 Die zehn Resilienzfaktoren
4.1 Die Verbindung zur positiven Psychologie
4.2 Die Resilienzfaktoren im Überblick
5 Selbstreflexion als Wachstumschance
5.1 Selbstreflexion mithilfe von Achtsamkeitsübungen
5.2 Reflexion: Bestandsaufnahme
5.3 Übung: Achtsamkeit auf den Atem und die richtige Sitzposition
5.4 Übung: Achtsamkeit auf den Körper (Bodyscan)
5.5 Übung: Achtsamkeit auf Empfindungen und Gefühle
5.6 Übung: Beobachten der Gedanken
5.7 Übung: die fünf Hindernisse
6 Akzeptanz von Veränderung
6.1 Reflexion: No-Gos und Einflussmöglichkeiten
6.2 Übung: nicht reagieren ohne Thema
6.3 Übung: nicht reagieren mit Thema
6.4 Übung: Schmerzen
6.5 Übung: Ängste
6.6 Übung: Affirmationen
7 Krisen als beherrschbar einstufen
7.1 Weisheit
7.2 Sittlichkeit
7.3 Meditation
7.4 Reflexion: Stressresistenz
7.5 Reflexion: Kohärenz von Stresssituationen
7.6 Übung: Blätter
7.7 Übung: Busbahnhof
8 Den Überblick bewahren
8.1 Reflexion: es geht alles vorbei
8.2 Reflexion: Timeline
8.3 Übung: Gefühle benennen und klar trennen
8.4 Übung: Kinotechnik
8.5 Übung: Gefühl als Objekt
9 Proaktiv sein und handeln
9.1 Reflexion: Vermeidung
9.2 Übung: Gedankenbeobachtung
9.3 Übung: den Denkprozess herunterbrechen
9.4 Übung: Gefühle und Gedanken im Wechsel
9.5 Reflexion: die Vorbereitung des achtsamen Handelns
10 Zielstrebig agieren
10.1 Reflexion: intelligente Ziele
10.2 Reflexion: Werte klären
10.2.1 Familie
10.2.2 Partnerschaft
10.2.3 Kinder
10.2.4 Freundeskreis
10.2.5 Beruf
10.2.6 Persönliche Entwicklung
10.2.7 Erholung/Freizeit
10.2.8 Spiritualität
10.2.9 Umwelt/Gemeinwohl
10.2.10 Gesundheit
10.2.11 Geld
10.3 Reflexion: Priorisieren
10.4 Übung: Gehmeditation
11 Ein positives Selbstbild fördern
11.1 Reflexion: Selbstmitgefühl entwickeln
11.2 Reflexion: Gedanken
11.3 Reflexion: nett zum Körper sein
11.4 Reflexion: mit Gefühlen Freundschaft schließen
11.5 Reflexion: andere Menschen
11.6 Reflexion: Spiritualität
11.7 Reflexion: Selbstschädigung unterbrechen
11.8 Übung: Selbstmitgefühl
12 Selbstfürsorge betreiben
12.1 Reflexion: Bestandsaufnahme – Gesundheit und Lifestyle
12.1.1 Gewicht
12.1.2 Ernährung
12.1.3 Sport
12.1.4 Entspannung
12.1.5 Bildung
12.1.6 Drogen
12.2 Übung: Metta-Meditation (Herzensgüte)
13 Optimistisch bleiben
13.1 Reflexion: die drei Prinzipien des Optimismus anwenden
13.2 Reflexion: das Prinzip der Selbstwirksamkeit anwenden
13.3 Übung: drei positive Dinge
13.4 Übung: Gleichmut
13.5 Übung: Linsen
13.6 Übung: Genügsamkeit
14 Netzwerke und soziale Unterstützung
14.1 Bindungen als Quelle für Resilienz
14.2 Mensch und Umwelt
14.3 Reflexion: das soziale Netz
14.4 Reflexion: achtsam kommunizieren
14.5 Übung: Mitgefühl für andere Lebewesen und die Umwelt
14.6 Übung: achtsam zuhören und sprechen
15 Das Zehn-Wochen-Programm
16 Epilog
17 Service
17.1 Internetadressen:
17.2 Bücher:
Autorenvorstellung
Sachverzeichnis
Impressum
1 Was ist Resilienz?
2 Was ist Achtsamkeit?
3 Verbindungen und Unterschiede
Arbeit und Alltagsstress setzen uns unter Druck. Resilienz und Achtsamkeit können uns helfen, dem zu begegnen.
Resilienz, die Eigenschaft, mit widrigen Umständen und Belastungen fertigzuwerden, ist keine magische Fähigkeit und kein Mysterium. Sie ist erklärbar – und auch für jeden erlernbar!
Resilienz bezeichnet die Widerstandskraft eines Menschen oder auch seine Fähigkeit, mit Widrigkeiten und hohen Belastungen umzugehen. Ein Mensch, der resilient ist, kann sich positiv und gesund entwickeln, obwohl er ungünstigen Bedingungen ausgesetzt ist. Er oder sie kann dauerhaft Stress gut bewältigen und sich auch schnell von krisenhaften Situationen erholen.
Die bekannteste wissenschaftliche Untersuchung dazu stammt von der amerikanischen Forscherin Emmy Werner (1929–2017). In der sogenannten Kauai-Studie (veröffentlicht ab 1977) begleitete sie den gesamten Geburtsjahrgang 1955, insgesamt 689 Menschen, auf einer hawaiianischen Insel über einen Zeitraum von 40 Jahren.
Ein Drittel der Untersuchten lebte mit einer hohen Risikobelastung in einem negativen familiären und sozialen Umfeld. Erwartungsgemäß entwickelten zwei Drittel dieser Personen Verhaltensauffälligkeiten. Interessanterweise gelang es dem verbleibenden Drittel, sich positiv zu entwickeln. Die Betreffenden konnten »gesunde« Beziehungen eingehen, waren optimistisch, fanden Arbeit, hatten eine geringere Sterberate, weniger Gesundheitsprobleme und eine niedrigere Scheidungsrate.
Emmy Werner leitete daraus die sogenannten »Schutzfaktoren« ab, die zu erhöhter Resilienz geführt hatten: mindestens eine emotionale Bezugsperson, ein stabiler Familienzusammenhalt, hohe Sozialkompetenz und eine positive Selbstwirksamkeitserwartung.
Wie genau kommt Resilienz zustande? Man geht davon aus, dass eine Wechselwirkung von Risiko- und Schutzfaktoren besteht, die zu Resilienz oder ihrem Gegenteil führt, je nachdem, welche Seite überwiegt.
Risikofaktoren begünstigen Krankheiten und hemmen die Entwicklung eines Kindes. Beispiele sind:
chronische Erkrankungen
schwieriges Temperament, zum Beispiel Ablenkbarkeit, Impulsivität
geringes Intelligenzniveau, Minderbegabung
unsichere Bindung im Elternhaus
Disharmonie unter den Eltern
psychische Erkrankung eines Elternteils
beengte Wohnverhältnisse
Alkoholismus oder Kriminalität im Umfeld
chronische Armut
häufige Wohnortwechsel
Mobbing durch Gleichaltrige
Die Liste der möglichen Faktoren ist noch wesentlich länger. Zudem spielt es eine Rolle, ob ein Risikofaktor über längere Zeit anhält (wie Armut) oder zeitlich begrenzt ist (zum Beispiel der Tod eines Angehörigen). Entscheidend ist auch das Timing, also wann der Risikofaktor sich bemerkbar macht. Kinder sind in bestimmten Lebensabschnitten anfälliger für Belastungen (zum Beispiel beim Übergang vom Kindergarten in die Schule oder in der Pubertät). Treten mehrere Risikofaktoren gleichzeitig auf, verstärkt sich die Problematik. Auch das Geschlecht spielt eine Rolle. Jungen sind im Allgemeinen in der Kindheit anfälliger, Mädchen in der Pubertät. Belastungen werden auch unterschiedlich erlebt. So kann die Trennung der Eltern für ein Kind eine Erleichterung sein, da die anhaltenden Spannungen dadurch beendet werden. Ein anderes kann dies als großen Verlust erleben.
Kommen wir nun zum »Gegenmittel«, den Schutzfaktoren. Sie verhindern das Auftreten einer Entwicklungsstörung und/oder Verhaltensauffälligkeit oder mildern sie zumindest ab. Zu den persönlichen Ressourcen gehören:
ein positives Temperament des Kindes
soziale Kompetenz
der Zusammenhalt in der Familie
eine harmonische Beziehung der Eltern
konstruktive Kommunikationsmuster in der Familie
ein positives Netzwerk aus Verwandten, Freunden und Nachbarn
In den Bildungsinstitutionen wie Schule und Kindergarten spielen eine Rolle:
positive Freundschaften
ein wertschätzendes Klima
klare Regeln
kompetente fürsorgliche Erwachsene (zum Beispiel Lehrer, kommunale Angebote wie Sportvereine oder Gemeindearbeit usw.)
Wenn diese Faktoren vorhanden sind, hat ein Kind gute Chancen, positive Erfahrungen zu machen und zu lernen, mit Belastungen umzugehen. Je mehr dieser Einflussgrößen, desto wahrscheinlicher ist eine günstige Entwicklung. Eine Garantie dafür gibt es aber nicht, denn jeder Mensch reagiert auf seine Weise.
Als Nächstes betrachten wir die sogenannten Resilienzfaktoren, also diejenigen Eigenschaften, die die Resilienz erhöhen. Je mehr man davon hat und je ausgeprägter sie sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass man schwierige Lebensumstände bewältigt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) benannte 1994 in diesem Zusammenhang zehn sogenannte »Life Skills«, die als besonders hilfreich gelten:
Selbstwahrnehmung
Empathie
kreatives Denken
kritisches Denken
Entscheidungsfähigkeit
Problemlösefähigkeiten
effektive Kommunikationsfähigkeit
interpersonale Beziehungsfertigkeiten
Gefühlsbewältigung
Stressbewältigung
Die Forscher Karen Reivich und Andrew Shatté arbeiteten sieben Einflussgrößen heraus, die die Resilienz verbessern:
Akzeptanz
Optimismus
Lösungsorientierung
Selbstregulierung
Übernahme von Verantwortung (das Verlassen der Opferrolle)
Netzwerkorientierung
Zukunftsplanung
Das Team um Emmy Werner erarbeitete über die Jahre sogar 15 Einflussgrößen. Die American Psychological Association (auf die wir uns noch beziehen werden) benennt zehn Faktoren.
In den verschiedenen Katalogen gibt es Überschneidungen, Doppelnennungen, Ähnlichkeiten sowie Faktoren, die man nicht beeinflussen kann (wie zum Beispiel das erste Kind in der Geburtsreihenfolge zu sein). Die sechs wichtigsten Einflussgrößen, die sich durch die gesamte Forschungsliteratur ziehen, sind:
eine angemessene Selbsteinschätzung und Einschätzung von anderen
die Überzeugung, Anforderungen bewältigen zu können
Selbststeuerung (Regulation von Gefühlen und Gedanken)
soziale Kompetenz (sich selbst behaupten, Unterstützung annehmen, Konfliktfähigkeit)
die Fähigkeit, Probleme zu erkennen, einzuschätzen und zu lösen und sich Ziele zu setzen
die Fähigkeit zu bewerten, ob man einer Aufgabe gewachsen ist oder nicht (und sich Unterstützung holen muss), das heißt letztlich auch die Kenntnis eigener Stärken und Schwächen
Möchten Sie herausfinden, wie es um Ihre Resilienz bestellt ist? Dazu gibt es mehrere Tests. Am bekanntesten ist die Resilienzskala von Wagnild und Young aus dem Jahr 1993, die es in einer Lang- und Kurzform gibt.
Im folgenden Selbsttest kreuzen Sie auf einer Skala von 1 bis 5 an, ob die Aussage auf Sie zutrifft oder eben nicht. Eine 1 entspricht einem Nein (also stimmen Sie nicht zu). Eine 5 entspricht einem Ja (Sie stimmen also völlig zu). Dazwischen gibt es Abstufungen.
Die Auswertung ist relativ einfach, ein hoher Punktwert entspricht einer eher höheren Resilienz und umgekehrt.
Die gute Nachricht: Man kann die persönliche Resilienz steigern. Machen Sie den Test daher ruhig in einem Monat noch einmal und vergleichen Sie die Ergebnisse. Nehmen Sie es auf keinen Fall schwer, wenn Sie nur einen niedrigen Durchschnittswert erzielt haben. Der Test ist nur ein Anhaltspunkt. Umgekehrt heißt ein hoher Wert nicht, dass Sie sich auf Ihren Lorbeeren ausruhen können. Die nächsten Herausforderungen kommen bestimmt. Es lohnt sich also auf jeden Fall, sich vorzubereiten!
Test: Wie resilient bin ich?
1. Ich lasse mich nicht so schnell beirren und halte Rückschläge gut aus.
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2. Ich habe meistens genug Energie, um meine Aufgaben zu bewältigen.
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3. Ich bin mit mir zufrieden.
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4. Ich muss nicht von allen gemocht werden.
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5. Es ist für mich okay, wenn auch mal etwas schiefgeht.
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6. Ich bleibe an meinen Zielen dran, auch wenn es lange dauert.
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7. Ich bekomme das meiste irgendwie hin.
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8. Ich habe schon so manche schwierige Situation gemeistert.
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9. Ich lasse die Dinge auf mich zukommen.
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10. Ich kann mich auch zu Arbeiten überwinden, die ich nicht so toll finde.
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Achtsamkeit ist ein Konzept, das aus der östlichen Kultur nach Europa gekommen ist – es bezeichnet die Fähigkeit, ganz im Hier und Jetzt präsent zu sein.
Es gibt viele Definitionen von Achtsamkeit. Die, die mir persönlich am besten gefällt, ist:
»Wahrnehmung des gegenwärtigen Augenblicks mit Akzeptanz.«
Achtsamkeit bedeutet, im jetzigen Moment präsent zu sein, ohne sofortige Reaktionen, ohne Gedanken an die Zukunft oder Vergangenheit und ohne die Situation abzulehnen.
Die historischen Aufzeichnungen zum Thema sind mehr als 2500 Jahre alt, aber nach wie vor aktuell bzw. »zeitlos«. Der historische Buddha sprach ursprünglich von den vier Grundlagen der Achtsamkeit, nämlich Achtsamkeit auf den Körper, auf Gefühle und Empfindungen, auf den mentalen Zustand und auf die sogenannten Geistobjekte, also alles, was man mit den Sinnen wahrnimmt, und alles, was einem im übertragenen Sinne »durch den Kopf geht«.
In den 1970er-Jahren interessierten sich einige westliche Psychologen für die Achtsamkeitstechniken und führten erste wissenschaftliche Untersuchungen damit durch. Relativ schnell wurde klar, dass Achtsamkeitsübungen im medizinischen und psychologischen Bereich einsetzbar sind, um zum Beispiel Menschen mit Depressionen, Ängsten oder Schmerzen zu helfen. Auch in Unternehmen werden zu Stressbewältigung, Entspannung und Verbesserung der Kommunikation inzwischen Achtsamkeitsseminare angeboten.
Dank einer Vielzahl von Meditationslehrern, die in den 1960er-Jahren nach Amerika und Europa gekommen sind und dort Achtsamkeitstechniken gelehrt haben, ist das Wissen darüber inzwischen allgemein zugänglich. In fast jeder größeren Stadt findet man Zentren für Achtsamkeitsmeditation und im Internet kann man sich Lehrreden und Unterweisungen von hoher Qualität ansehen. Allerdings hat dies zur Kommerzialisierung und auch zu einer gewissen Beliebigkeit geführt; Achtsamkeit ist quasi Teil der Popkultur geworden.
Buddhismus und westliche Psychologen und Ärzte haben gemeinsam: Sie wollen unnötiges Leiden mildern. Das Hauptziel des Buddhismus ist sogar das völlige Beenden des Leidens. Ziel ist es, durch Meditation und eine gesunde Lebenseinstellung zu einer Geisteshaltung zu finden, die mit den Begriffen Wohlwollen, Mitgefühl, Freude und Gelassenheit beschrieben wird.
Grundprinzipien der Achtsamkeit sind:
nicht beurteilen
Geduld
Offenheit/Neugier
Präsenz in der Gegenwart
nicht festhalten/klammern
Akzeptanz
Loslassen
Tatsächlich sind wir im Alltag oft das genaue Gegenteil von achtsam, nämlich »achtlos«. Denken Sie einmal an Ihren eigenen Alltag – sicher fallen Ihnen Beispiele ein. Wie oft stößt man sich, fällt einem etwas herunter, vergisst man etwas, hastet man von einer Aktivität zur nächsten, ohne sich ganz darauf zu konzentrieren?
Das liegt daran, dass unser Verhalten hochgradig automatisiert und unbewusst ist. Viele unserer täglichen Tätigkeiten erledigen wir »im Schlaf«, weil wir sie schon zigmal gemacht haben. Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten unbeholfenen Fahrstunden? Heute fahren Sie im wahrsten Sinne des Wortes auf »Autopilot« und können sich beim Fahren noch unterhalten oder Radio hören.
Automatisiertes, unbewusstes Verhalten ist also nicht grundsätzlich schlecht, weil es uns den Alltag erleichtert. Es kann jedoch auch dazu führen, dass wir den Kontakt zu uns selbst verlieren und nur noch »funktionieren«, eben wie ein Automat. Durch mangelndes Bewusstmachen der Situation, in der wir sind, fehlt uns oft die Distanz, diese wertfrei zu beurteilen, was zu Stress, Negativität und entsprechenden Folgeerscheinungen führt. Anstatt bewusst zu agieren, fühlt man sich den Situationen eher ausgeliefert. Achtsamkeit schützt uns dagegen.
Zudem gehören auch schlechte Gewohnheiten zum automatisierten, unbewussten Verhalten, wie falsche Ernährung, wenig Bewegung, Konsum von schädlichen Substanzen oder negative Verhaltensmuster wie Aggressionen, Schüchternheit, übertriebener Egoismus usw. Solchen Gewohnheiten kann mit mehr Achtsamkeit begegnet werden.
Auch wenn sich in unserem Leben etwas ändert (zum Beispiel ein Jobwechsel), müssen die Automatismen neu angepasst und überprüft werden, wir benötigen mehr Achtsamkeit und müssen uns eventuell von alten Gewohnheiten trennen. Das heißt jedoch nicht, dass man sich in ruhigeren Lebensphasen entspannt zurücklehnen kann – vielmehr sollte man sie nutzen, um sich in puncto Achtsamkeit weiterzuentwickeln und zu üben, um für die nächste Krise gewappnet zu sein.
Achtsamkeit hilft uns, in uns selbst einzutauchen und uns über uns selbst bewusster zu werden. Sie bewirkt eine tiefere Einsicht in unsere Persönlichkeit und unsere Lebensumstände, die zu einer Neuausrichtung und generell zu einem tieferen Verständnis unseres Lebensweges führen und im Idealfall eben zu einem Leben mit weniger Leiden.
Hier habe ich (ähnlich wie oben) einen kleinen Achtsamkeitstest für Sie. Kreuzen Sie auf einer Skala von 1 bis 5 an, ob die Aussage auf Sie zutrifft oder eben nicht. Eine 1 entspricht einem Nein (also stimmen Sie nicht zu). Eine 5 entspricht einem Ja (Sie stimmen also völlig zu). Dazwischen gibt es Abstufungen.
Die Auswertung zeigt auch hier nur einen Trend. Je höher der Punktwert, desto wahrscheinlicher ist es, dass Sie sich im Autopilotmodus befinden, und Achtsamkeit würde bedeuten, bewusst, gelassen und ruhig an eine Situation heranzugehen, voll in der Gegenwart zu sein, ohne große Bewertung und Kritik. Sie würden es unterlassen, sofort in den »Problemlösemodus« zu verfallen, sondern eine Situation zunächst auf sich wirken lassen.
Achtsamkeit kann unterschiedlich intensiv geübt werden. Das Spektrum reicht vom täglichen Innehalten für nur ein paar Minuten über die bewusste Pause und/oder einmal in der Woche Yoga bis hin zum täglichen Üben von 15 bis 45 Minuten oder intensiver Meditation auf einem Wochenendlehrgang. Unterschiedlich tief sind dann auch die Effekte. Es beginnt mit bloßer Entspannung, kann aber mit zunehmender Übung in unser tägliches Verhalten ausstrahlen, sodass man nicht mehr automatisch und impulsiv reagiert, sondern die Distanz behält. Die wertende, urteilende und (selbst-)kritische Grundhaltung nimmt ab, die Akzeptanz nimmt zu. Man ist öfter bei sich selbst und weniger abgelenkt. Körperbewusstsein und Intuition wachsen.
Geht man noch weiter, entwickelt sich das sogenannte »Beobachterbewusstsein«. Man erforscht seine Innenwelt unter dem Vergrößerungsglas und wird Zeuge der Wechselhaftigkeit von Stimmungen und Gedanken. Bei tiefer Meditation kann man beobachten, wie sich die Gedanken aneinanderreihen, auftauchen und wieder verschwinden. Wir werden Zeuge, wie unser Gehirn aus unseren Sinneseindrücken unsere Erfahrungen konstruiert und zusammensetzt. Unsere Vorstellung von uns als eine fixe Persönlichkeit mit festen Charaktereigenschaften wird dabei relativiert und gelockert. Wir erkennen unsere Veränderbarkeit und können über die Geschichten, die das Gehirn uns über uns und die Welt erzählt, herrlich schmunzeln.
Der amerikanische Forscher Jon Kabat-Zinn, der durch sein Acht-Wochen-Schulungsprogramm MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction – Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion) in den 1980er-Jahren bekannt wurde, hat die Achtsamkeitsübungen kombiniert mit Yoga von ihrem philosophischen und religiösen Hintergrund abgekoppelt und die Übungen ganz pragmatisch bei psychosomatischen Patienten eingesetzt. Man muss also kein Buddhist werden, um Achtsamkeitsübungen zu praktizieren. Wer Interesse hat an dem philosophischen Hintergrund der Übungen, ist natürlich frei, dem weiter nachzugehen.
Wie achtsam bin ich?
1. Ich erledige meinen Alltag oft gehetzt und unter Zeitdruck.
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2. Ich mache viele Pläne und denke viel über die Zukunft nach.
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3. Ich versuche unangenehmen Situationen eher auszuweichen.
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4. Ich kann Situationen nicht so lassen, wie sie sind, und habe den Impuls einzugreifen.
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5. Ich erledige viele Aufgaben ganz automatisch und »funktioniere« nur.
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6. Es fällt mir schwer, mit den Gedanken bei einer Sache zu bleiben.
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7. Ich bin sehr kritisch und sehr streng mit mir.
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8. Ich bin in Gedanken viel in der Vergangenheit.
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9. Im Nachhinein würde ich gerne Situationen noch nachträglich ändern.
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10. Ich bin oft total gelangweilt, weil »nichts« passiert.
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Achtsamkeit und Resilienz sind Konzepte, die sich keinesfalls ausschließen – sie können vielmehr in eine gesunde Wechselwirkung gebracht werden.
Wo liegen nun die Gemeinsamkeiten, wo die Abweichungen der beiden Konzepte? Man könnte nach dem bisher Gesagten vermuten, dass sich Resilienz durch Achtsamkeit verbessern lassen müsste. Umgekehrt wäre auch zu erwarten, dass resiliente Menschen achtsamer mit sich und ihrer Umwelt umgehen. Gehen wir dem nach.
Die Forschung in diesem Bereich ist noch relativ jung, aber rege. Während es im Jahr 2000 insgesamt nur 21 Studien zum Thema gab, waren es in 2013 schon rund 550. Forschung gab und gibt es zum Beispiel bei Angestellten im Gesundheitsbetrieb (Ärzte, Krankenschwestern, Sozialarbeiter), die durch Achtsamkeit und Selbstmitgefühl u. a. ihren Schlaf (Mitarbeiter in diesem Bereich leiden oft unter Schlafstörungen) und ihre Resilienz verbesserten. Weitere Untersuchungen bei Studenten, bei Lehrern und Schülern stellten zum Beispiel ein durch Achtsamkeit verbessertes Selbstwertgefühl und eine verbesserte Lernfähigkeit fest.
Weitere Studien untersuchten die durch Achtsamkeitsmeditation erworbene Resilienz bei Feuerwehrleuten und bei Soldaten, die oft durch ihre Einsätze traumatisiert werden. Bei Letzteren wurde u. a. neben den bereits genannten Faktoren auch der Aspekt der Akzeptanz untersucht (da sie oft in Situationen kommen, die sie nicht mehr ändern können). Schließlich gibt es natürlich auch Studien in Unternehmen, in denen Arbeits- und Organisationspsychologen untersuchten, wie Achtsamkeit die Resilienz, die psychische Gesundheit und das Arbeitsengagement beeinflusst.
Alle Studien zeigen positive oder ermutigende Ergebnisse durch Achtsamkeitsmeditation im kognitiven, sozialen und psychologischen Bereich. Beispiele sind Verbesserungen der Aufmerksamkeit und Konzentration, im Lernverhalten (Schüler und Studenten), im Sozialverhalten (Umgang miteinander), in der Emotionsregulierung (Gefühlsbeherrschung) und im Bereich des Selbstwertgefühls bzw. des Selbstbewusstseins. Psychische Belastungsfaktoren wie Ängste, Stress und Ermüdung nahmen deutlich ab.
Gesichert ist wissenschaftlich u. a., dass Achtsamkeit Ängste und Depressionen reduziert, die kognitive Leistung verbessert, eine bessere Körperwahrnehmung und Selbstannahme schafft und Ablenkungen reduziert. Es ist inzwischen nachgewiesen, dass sich nach einem achtwöchigen MBSR-Training sogar Hirnstrukturen und Aktivitäten im Gehirn positiv verändern. Hirnareale, die für die Emotionsregulation, Perspektivenwechsel, die Neubewertung einer Situation, Lernen und Gedächtnis sowie für die Selbstwahrnehmung zuständig sind, verändern sich.