Rettet unsere Wälder! - Georg Meister - E-Book

Rettet unsere Wälder! E-Book

Georg Meister

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Beschreibung

Die Deutschen lieben ihren Wald. Sagt man. Doch unsere Wälder sind krank und liegen im Sterben. Georg Meister fordert eine Waldwende: zum Klimaschutz und um den Wald für zukünftige Generationen zu retten.
Seit über 100 Jahren wird ein Waldumbau gefordert. Doch dieser scheitert immer wieder an den Profitinteressen der Holz- und Holzwirtschaftslobby. Die Folge: veraltete Anbauformen und riesige Monokulturen, die anfällig sind für Schädlinge wie den Borkenkäfer. Georg Meister fordert seit Jahren ein Umdenken und den Anbau naturnaher wie nachhaltiger Mischwälder, die als CO2- und Wasserspeicher einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten könnten und die Artenvielfalt fördern. Er zeigt, was zu tun ist und fordert eine nachhaltige Waldwende.

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Seitenzahl: 277

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Ebook Edition

Georg Meister

Rettet unsere Wälder!

Vermächtnis und Forderungen eines visionären Försters

Dieses Buch erscheint in der Reihe Pro Natur. Rudolph L. Schreiber, einer der Pioniere der ökologischen Bewegung, publizierte vor vielen Jahren bereits wichtige und bahnbrechende Bücher zum Thema in seinem Pro Natur Verlag. Diese Reihe soll sein Denken und Arbeiten fortführen und dazu anstiften, sich für den Erhalt unserer Erde einzusetzen.

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN:9-783-86489-776-4

1. Auflage 2023

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Umschlagmotiv: © picture alliance/Westend61/Frank Blum

Redaktion: Dr. Monika Offenberger

Satz und E-Book: Publikations Atelier, Weiterstadt

Illustration Blatt: SilviaNatalia / Freepik

Inhalt

Titel

Widmung

Vorwort von Andreas Georg Meister

Vorwort von Professor Dr. Hubert Weiger

Natürliche Wälder in Deutschland

Bauen, Heizen, Jagen

Von der Eiszeit bis 1800

Von Wäldern zu Baumplantagen

1800 bis 1880

Die Natur schlägt zurück

1880 bis 1945

Waldwende in der Warteschleife

1945 bis heute

Wald im Klimawandel: Jetzt handeln!

Mit gutem Beispiel voran

Acht vorbildlich bewirtschaftete Wälder

Vom Fichtenforst zurück zum Laubmischwald

Revier Schnebling, ein Kommunalwald in Oberbayern

Lebendige Wälder

Der Eichelberg, ein Privatwald in Niederbayern

Naturgemäßer Waldbau rechnet sich

Hochpochten-Masburg, ein staatliches Forstrevier in der Eifel

Wo der Wald sich selbst verjüngt, bringt er hohe Erträge

Ochsenberg, ein Privatwald in Baden-Württemberg

Die Mischung macht’s

Das Pfaffenholz, ein Staatswald in Südthüringen

Naturgemäßer Wald(um)bau gelingt auch auf kleiner Fläche

Forstbetrieb Buchwäldchen, ein Privatwald in Brandenburg

Ein Wald für die Bürger

Der Stadtwald von Lohr am Main, Bayerns drittgrößter Kommunalwald

Mut zur Lücke

Forstrevier Eppelborn, ein Staatswald im Saarland

Danksagung

Anmerkungen

Orientierungspunkte

Titel

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Im Namen meines Vaters Dr. Georg Meister ist dieses Buch allen Menschen gewidmet, die sich selbstlos für den Naturschutz einsetzen. Dazu gehören insbesondere jene, die unsere Wälder nicht als reine Wirtschaftsfläche ansehen, sondern als einen wesentlichen Bestandteil unser aller Lebensgrundlage, und die deshalb zum Aufbau stabiler, artenreicher und naturnaher Mischwälder beitragen. Meinem Vater hätte es gut gefallen, dieses Buch auch seinen Enkeln zu widmen, damit sie sehen können, dass ein altruistisches Eintreten für die Idee der Nachhaltigkeit – selbst gegen brutale Widerstände – zum Erfolg führt. Was ihr in Händen haltet, ist das Vermächtnis eures Großvaters: ein Beweis, dass es sich lohnt, für die Erhaltung unserer Natur zu kämpfen.

Andreas Georg Meister im Sommer 2023

Vorwort von Andreas Georg Meister

Mein Vater Dr. Georg Meister ist am 2. März 2022 nach langer und schwerer Krankheit gestorben. Nach seinem Tod haben wir entschieden, dieses Buch dennoch zu veröffentlichen, weil es einen aus unserer Sicht wichtigen Beitrag zur derzeitigen Debatte um die Zukunft des Waldes im Zusammenhang mit dem menschengemachten Klimawandel liefert. Mein Vater hat bis zuletzt daran gearbeitet. Es war ihm wichtig.

Wir freuen uns deshalb sehr, dass wir Frau Dr. Monika Offenberger, der mein Vater nicht zuletzt aufgrund einer gemeinsamen Veröffentlichung in der Vergangenheit großes Vertrauen entgegenbrachte, dafür gewinnen konnten, seine Arbeit zu Ende zu führen. Aufgrund ihrer fundierten Fachkenntnisse und ihrer journalistischen Erfahrung hätte es keine bessere Wahl geben können.

Mein Vater kam im Laufe von jahrzehntelanger Arbeit als Förster zu der Einsicht, dass stabile, artenreiche und naturnahe Mischwälder nicht nur die wichtigen Schutz- und Erholungsfunktionen des Waldes erfüllen, sondern auch einen enormen Beitrag zur Eindämmung des menschengemachten Klimawandels leisten. Er hat dies durch sein Handeln in der forstwirtschaftlichen Praxis bewiesen und anhand seiner »Zeitsprung-Bilder« in Büchern, Vorträgen und Publikationen dokumentiert.

Professor Dr. Weiger beschreibt in seinem Vorwort zu diesem Buch, wie mein Vater im Laufe seines Lebens von einem »waidgerecht« erzogenen Förstersohn zu einem Vorkämpfer für die naturnahe Forstwirtschaft wurde. Nach dem Krieg nutzte mein Vater die Möglichkeit, ein forstwissenschaftliches Studium zu absolvieren. Bereits damals wurde er von einem seiner Hochschullehrer motiviert, forstwirtschaftliche Entwicklungen mit Fotos zu belegen. Er nahm diesen Hinweis auf und machte die genaue Beobachtung und fotografische Dokumentation natürlicher Prozesse zum Herzstück seiner Arbeit. Daraus wurden im Laufe eines Försterlebens die »Zeitsprung-Bilder«, mit denen er die Entwicklungen ausgewählter Waldbestände über einen langen Zeitraum hin dokumentieren konnte. Nach dem abgeschlossenen Studium begann seine Tätigkeit bei der Bayerischen Staatsforstverwaltung. Dort arbeitete er als »Forsteinrichter«, was bedeutet, dass sein Aufgabenbereich die Erfassung des Waldzustandes und die Planung der künftigen Waldbehandlung umfasste. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt bemerkte er den vielerorts desaströsen Zustand der Wälder. Zahlreiche Förster auf allen Hie­rarchieebenen vernachlässigten die Förderung gesunder, naturnaher Mischwälder zugunsten ihrer Jagdprivilegien.

Aus der von meinem Vater verfassten Familienchronik geht hervor, dass er bereits Mitte der 1950er Jahre die katastrophalen Auswirkungen der Trophäenjagd erkannte. Von da an entwickelte er sich zu einem konsequenten Fürsprecher des Waldes, der die offensichtlichen Schieflagen klar benannte und den Schwerpunkt seiner Arbeit auf den Erhalt und Wiederaufbau von artenreichen, stabilen Mischwäldern legte. Damit machte er sich beruflich allerhand Feinde – zuvorderst die traditionellen Trophäenjäger, aber auch Vertreter der Forstverwaltung und der Politik.

Mein Vater hat durch seine Arbeit, seine Publikationen, seine Vorträge und sein Engagement in Naturschutzverbänden dazu beigetragen, die künftigen Wälder unserer Kinder und Enkelkinder naturnah zu gestalten. In diesem Sinne bildet die Präsentation ausgewählter Beispielbetriebe das Kernstück des vorliegenden Buches. Sie zeigen eindrucksvoll, wie unsere Wälder zukunftsgerecht aufgebaut werden können, um einerseits ihre Schutzfunktionen (wieder) zu erfüllen und andererseits als wirtschaftlich rentabel arbeitende Betriebe die wertvolle Ressource Holz bereitzustellen.

Dies berührt auch den Kernkonflikt in der Wald- und Forstwirtschaft: Auf der einen Seite stehen die traditionellen trophäenorientierten Jäger, die einen möglichst hohen Bestand an Schalenwild, insbesondere an Rehen, Hirschen, Gämsen und Wildschweinen, befürworten. Dadurch erhöht sich nämlich die Wahrscheinlichkeit, Hirsche und Rehböcke mit prächtigen Geweihen zu erbeuten, welche als Trophäen begehrt sind. Viele Jäger sehen in einer möglichst großen Sammlung prächtiger und interessanter Geweihe einen Beweis ihres Geschicks und genießen das gesellschaftliche Prestige, das ihnen auf sogenannten Trophäenschauen, offiziell als Hegeschauen bezeichnet, entgegengebracht wird. Der dafür notwendige hohe Wildbestand verhindert aber durch überstarken Verbiss insbesondere der empfindlicheren Tannen und Laubbaumarten den Aufbau naturnaher und artenreicher Wälder. Mein Vater fand hierfür den treffenden Begriff »Waldsterben von unten«.

Auf der anderen Seite stehen die waldorientierten Jäger, die ihre jagdliche Arbeit am Ziel eines möglichst naturnahen Waldes ausrichten. Sie setzen sich für einen angepassten Wildbestand ein, der das Aufwachsen einer vielfältigen Baumverjüngung zulässt und so einen auch im Klimawandel beständigen Mischwald schafft. Statt Trophäen sind arten- und strukturreiche Wälder, die ohne Schutzmaßnahmen wie Zäune oder den Schutz einzelner Bäumchen aufwachsen können, der sichtbare Beweis für den Erfolg eines Jägers dieser Denkart.

Der seit Jahrhunderten bestehende Konflikt zwischen den beiden Lagern ist bis heute nicht gelöst. Noch immer werden Waldbesitzer und Förster massiv angegangen, wenn sie den dramatisch hohen und für den Zustand unserer Wälder desaströsen Wildbestand als Problem benennen und Lösungen einfordern.

In diesem Buch wollte mein Vater die Entwicklung von den Urwäldern zu den heutigen Monokulturen aufzeigen und dass Forstprofessoren und -praktiker seit dem Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder die fatalen forstlichen und jagdlichen Fehlentwicklungen aufgezeigt und Veränderungen angemahnt haben. Das Wissen war also wie so oft bereits in der Welt, nur wollte keiner hören. Deshalb hat mein Vater auch Forderungen an die politisch Verantwortlichen aufgestellt, die weiter hinten im Buch ausformuliert sind. Sie zeichnen den Weg vor, wie wir flächendeckend unsere Wälder so umbauen können, dass sie ihre Schutzfunktionen deutlich besser erfüllen und wirtschaftlich erfolgreich sind.

Als Forstamtsleiter von Bad Reichenhall hatte mein Vater – und hatten wir als Familie – einen hohen Preis für sein konsequentes Eintreten zu bezahlen: Autos wurden vorsätzlich beschädigt. Wir wurden beleidigt, ausgegrenzt, herabgewürdigt und bis hin zu Morddrohungen angefeindet. Mein Vater wurde in seinem Beruf behindert und schließlich unwürdig in den Ruhestand geschickt. Das ist Teil unserer Familiengeschichte. Alois Glück, der vormalige Fraktionsvorsitzende der CSU im bayerischen Landtag, hat dies als »Hexenjagd« gegen meinen Vater bezeichnet.

Doch seine Beharrlichkeit sollte belohnt werden, denn gegen Ende seines Lebens wurden meinem Vater viel Wertschätzung und etliche Auszeichnungen zuteil. So ehrte man ihn unter anderem mit dem Alpenpreis der Alpenschutzkommission CIPRA Deutschland sowie der Bayerischen Umweltmedaille. Im Schutzwald Weißwand des Forstbetriebs Berchtesgaden gibt es seit dem Sommer 2022 einen »Dr.-Georg-Meister-Weg«. Damit wurde er immerhin posthum von seiner Forstverwaltung als »Visionär« und »Gestalter« rehabilitiert und angemessen gewürdigt.

Die forstwirtschaftliche Arbeit meines Vaters verdeutlicht, dass der Umbau hin zu einem widerstandsfähigen, naturnahen Mischwald möglich ist. Davon zeugen seine »Zeitsprung-Bilder«, seine Buchveröffentlichungen und Vorträge, aber ganz besonders »sein« Wald. So hat zum Beispiel sein Wirken im Sanierungsgebiet Weißwand an der Queralpenstraße zwischen Schneizlreuth und Berchtesgaden dazu geführt, dass lückiger Bergwald, der seine Schutzfunktion für die wichtige Verkehrsader schon lange verloren hatte, in einen artenreichen, gesunden Bergmischwald umgebaut werden konnte. Sogar über Jahrzehnte bestehende Lawinengassen wachsen dort inzwischen wieder zu. Kernelement war auch in diesem Fall die intensive, waldorientierte Jagd.

Der Aufbau robuster, naturnaher, artenreicher Mischwälder muss noch in dieser Generation gelingen. Nicht nur der aktuelle Waldzustandsbericht der Bundesregierung warnt, dass unsere Wälder unter der trockenen und zu warmen Witterung extrem leiden. Bund und Länder stellen zu ihrem Schutz Millionenbeträge zur Verfügung, doch der erfolgreiche Waldumbau meines Vaters und die Beispielbetriebe weiter hinten im Buch zeigen, dass dies nicht notwendig wäre, würden wir unsere Jagdstrategie flächendeckend und nachhaltig ändern.

Wir glauben, dass dieses Buch einen wertvollen Beitrag zur derzeitigen Diskussion um die zukünftige Forstpolitik leisten kann. Eine echte und nachhaltige Waldwende ist dringlicher denn je und muss vor allem jetzt beginnen. Dazu appellieren wir an die Verantwortung gegenüber künftigen Generationen. In den Worten des bayerischen Waldbauprofessors Josef Köstler im Jahr 1950, den sich mein Vater zum Vorbild für sein eigenes Wirken als Förster nahm: »Zur Naturschau […] muß noch ein zweites kommen: das Verantwortungsbewußtsein gegenüber den kommenden Generationen; denn ohne diese charakterliche Seite läßt sich das Nachhaltsprinzip als das Kernprinzip auch des Waldbaus nicht ernstlich verfolgen.«1

Andreas Georg Meister ist der Sohn des Autors und von Kindesbeinen an mit ihm auf die Jagd gegangen. Während seines Studiums war er als Waldarbeiter tätig. Insgesamt hat er für die Bayerischen Staatsforsten und den Deutschen Alpenverein etwa 14 000 Bäume in Steillagen der Hochgebirgswald-Sanierungsgebiete gepflanzt. Er lebt mit seiner Familie bei Landsberg am Lech und bewirtschaftet als Jäger einen kleinen Pirschbezirk bei den Bayerischen Staatsforsten.

Am 1. Juli 2022 enthüllte die bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber gemeinsam mit Andreas Georg Meister (im Bild) eine Gedenktafel, die an seinen Vater erinnert. Zu diesem Anlass bezeichnete Kaniber Dr. Georg Meister als »Visionär, einen Wegbereiter der Sanierung bayerischer Bergwälder. Wir stehen heute in seinem Pilotprojekt und können die Früchte seiner Arbeit sehen. Seine Leistung ist richtungsweisend und Basis für die Arbeit nachfolgender Förstergenerationen. Nicht umsonst wird die Sanierung an der Weißwand Meisterstück genannt«.2 (Bild: Wiebke Meister)

Vorwort von Professor Dr. Hubert Weiger

Unsere Wälder sind unverzichtbar. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Plattitüde, die von Bürgern, Politikern und Fachleuten gern zur Verdeutlichung ihrer Naturnähe gebraucht wird. Der Satz bezieht sich ganz konkret auf den massiven Beitrag der Wälder zum Gemeinwohl in Form des Schutzes vor Hochwässern und Erosion, der Sicherung des Trinkwassers, der CO2-Speicherung, der Erhaltung der Artenvielfalt und schließlich der Erholung. Zudem erfüllen sie eine wichtige wirtschaftliche Funktion, indem sie den Ausgangspunkt für die Herstellung von Baustoffen, Möbeln und Papier, um nur die wichtigsten zu nennen, bilden. Doch sind unsere Wälder für uns heute schon unverzichtbar, dann gilt das für künftige Generationen, deren Lebensgrundlagen angesichts der Klimakrise in der Schwebe hängen, in noch höherem Maße.

Warum gehen also die Ansichten, wie man unsere Wälder retten kann, derart weit auseinander? Um das zu verstehen, muss man weit in die Geschichte zurückblicken. Dann stellt man nämlich fest, dass zwar in deutschen Wäldern seit fast 300 Jahren das Prinzip der Nachhaltigkeit gilt, dieses aber häufig nicht eingehalten, ja geradezu missbraucht wurde, um kurzfristige Eigeninteressen durchzusetzen. Ein solches »Schönreden« würde man neuzeitlich als »Greenwashing« bezeichnen. Die Mächtigen im Staat konnten ihre hochangesehenen Sondernutzungen des Waldes – und dazu zählt die Jagd – mithilfe williger Förster durchsetzen. Und ebendiese Fachleute, die es eigentlich besser wissen sollten, drehten sich um und verkauften die schwerwiegenden Folgen eines derart rücksichtslosen Umgangs mit unseren Wäldern der Öffentlichkeit als »nachhaltig«. Das System hat sich bis heute bewährt und wird immer noch von vielen Wirtschaftsunternehmen bewusst am Leben erhalten.

Wenn wir jetzt angesichts des Klimawandels die Lebensqualität künftiger Generationen sowie die Erhaltung der Artenvielfalt in das Zentrum unserer Bemühungen stellen wollen, müssen wir endlich konsequent handeln. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist eine nüchterne Diagnose des derzeitigen Waldzustandes. Erst danach können wir sinnvoll aufzeigen, worin die forstwirtschaftlichen Herausforderungen der nächsten 30 Jahre bestehen und wie es ihnen zu begegnen gilt. Dazu müssen aber die meisten Fachleute umdenken. Nach meiner Ansicht ist Dr. Georg Meister das beste Beispiel für diesen Prozess. Er hat seine dabei gesammelten Erkenntnisse nicht nur theoretisch ausgeführt, sondern sie trotz größter Schwierigkeiten auch in die Praxis umgesetzt. Daher kann kaum jemand besser und glaubwürdiger erklären, was wir jetzt tun müssen, um unsere Wälder zu retten.

In einem unserer Gespräche fragte ich Georg Meister einmal, was die wichtigsten »Knackpunkte« für dieses Umdenken waren. Er dachte nach und antwortete: »Das war ein langer Prozess. Aber natürlich hat es im Laufe der Jahre immer wieder markante ›Knackpunkte‹ gegeben.« Auf meine Bitte, diese kurz zu schildern, holte er aus: »Ich bin von meinem Vater vom fünften Lebensjahr an ganz hart zu einem hervorragenden Schützen und ›waidgerecht‹ denkenden Jäger erzogen worden. Schon als Jugendlicher hatte ich etliche Wildarten erlegt. Im Januar 1945 war ich mit 15 Jahren Schützenkönig auf einer großen Treibjagd mit vielen hochrangigen Schützen, die weitaus bessere Gewehre besaßen als ich. Als ich im Juli 1945 meine Försterlaufbahn als Forstlehrling begann, war es mein größter Wunsch, in meinem Revier später auch einmal Hirsche mit so großen Geweihen erlegen zu dürfen, wie sie mein Vater erlegt hatte.« Darauf hakte ich nach: «Aber Sie haben dann doch studiert?«, woraufhin er meinte: »Ja, mein erster guter Lehrherr wurde wegen etwas zu früher NSDAP-Zugehörigkeit entlassen und bei meinem zweiten Lehrherrn konnte ich nichts lernen. Deshalb bin ich in die Schule zurück. Nach dem Abitur habe ich ab 1949 begonnen, Forstwissenschaft zu studieren.«

Ich fragte: »War es da immer noch Ihr wichtigstes Ziel, Hirsche mit mächtigen Geweihen zu erlegen?« »Selbstverständlich«, erwiderte er, »denn da hatte ich gelernt, dass die Erlegung von Tieren mit großen Trophäen streng der Rangordnung nach erfolgt. Und einem Forstamtsleiter winken viel größere Chancen als einem Revierförster.« Ich war überrascht. »Hatten Sie da schon mal etwas davon gehört, dass die vorrangige Trophäenjagd negative Folgen auf den Wald hat?« Mit einem Lächeln antwortete er: »Nein – und ich hätte damals jeden für verrückt erklärt, der so einen Unsinn behauptet.«

Deshalb wollte ich wissen: »Und wie sind Sie dann von einem Anhänger der wenig waldfreundlichen Trophäenjagd zu einem überzeugten Vertreter einer betont naturnahen Waldnutzung geworden?« Er gab zurück: »Da war im Jahr 1950 mein erster wildabweisender Zaun im Bayerischen Wald, bei dem ich die Artenvielfalt darin und die Artenarmut außerhalb gesehen und fotografiert habe. Zwei Tage später bat mich der Bodenkunde-Professor Gustav Krauss, Waldentwicklungen fotografisch sichtbar zu machen. Ich fragte ihn: ›Wie soll das gehen?‹ Aber er erwiderte ganz ernst: ›Sie können offenbar gezielt fotografieren und Sie können kritische Fragen stellen. Ich glaube, Sie schaffen das.‹ Und er hatte recht. Diese ›Zeitsprung-Bilder‹ haben mir in den nächsten 71 Jahren mehr über Waldentwicklungen gezeigt als viele Vorträge oder Aufsätze.«

Dieser denkwürdigen Begegnung folgte ein weiteres wichtiges Erlebnis, erzählt mir Georg Meister: »Im Jahr 1952 war ich ganz allein – nur mit vielen großen Gelbhalsmäusen – in einer Hütte und habe 14 Tage lang einen danebenliegenden Urwaldrest für meine Diplomarbeit untersucht. Am Anfang war ich von diesem scheinbar totalen Chaos völlig verwirrt. Aber von Tag zu Tag habe ich den großartigen Kreislauf von ›Werden, Wachsen und Vergehen‹ immer besser verstanden. Der Schlusssatz meiner Diplomarbeit lautete deshalb: ›Auch die Forstwissenschaft kann vom Urwald noch sehr viel lernen.‹«

Naturbeobachtung war aber nicht der einzige »Knackpunkt«. Als noch bedeutender sollten sich Georg Meisters Erfahrungen mit den Forstbehörden erweisen: »Im Jahr 1956 habe ich beobachtet, wie ein prominenter Jagdpächter in der Nacht einen Hirsch im Scheinwerferlicht erlegte, und das als grobe Verletzung des Gesetzes gemeldet. Der zuständige Forstamtsleiter ist gekommen und hat verkündet: ›Herr Meister, Sie sind sofort entlassen. Sie haben einen hochverdienten Jäger falsch beschuldigt.‹ Eine Widerrede wollte er nicht hören. Damit wäre meine Försterlaufbahn beendet gewesen. Zufällig hat ein Student diesen Nachtabschuss aber auch beobachtet. Deshalb durfte ich weiter forstlich lernen. Im Jahr 1963 wurde ich im Forstamt Reit im Winkl beauftragt, mich so weit wie möglich am dringend notwendigen Rotwild-Abschuss zu beteiligen. Dabei ist es mir gelungen, unter sehr schwierigen Umständen in zwei Minuten fünf Stück Kahlwild zu erlegen. Das wurde von vielen Förstern als ›unwaidmännisch‹ angesehen, machte mich aber in der ganzen Staatsforstverwaltung bekannt. 1964 war ich zur Forsteinrichtung im Forstamt Reichenhall-Süd. Dabei werden Fläche und Bonität des Standortes sowie Alter, Holzmenge und Bonität der Wälder möglichst genau aufgenommen und danach eine Planung notwendiger Maßnahmen für die nächsten zehn Jahre erstellt. Dort ist mir der Kontrast von naturnahen alten Mischwäldern und jüngeren Fichten-Monokulturen deutlich aufgefallen.«

Da musste ich mich einschalten: »Ja, das habe ich auch in vielen Gebirgswäldern gesehen. Ich möchte seit Jahren den Grund dafür kennen. Die Behauptung in einer Broschüre der Ministerialforstverwaltung, dass die großen Salinenhiebe dafür verantwortlich sind, ist für mich absolut nicht nachvollziehbar.« Darauf Georg Meister: »Mir ist es genauso ergangen. Deshalb habe ich alle alten Akten studiert und da bin ich auch fündig geworden. Die ›Waldmeister‹ der Saline waren für die Organisation der Holzlieferungen zuständig. Sie besaßen keine präzisen Instrumente, sondern nur ihre Fähigkeit, die Natur möglichst genau zu beobachten. So haben sie erkannt, dass sich ein größeres Loch im Kronendach des Waldes, das etwa durch einen Sturm entsteht, ganz von selbst wieder schließt. Die Natur entwickelt dazu eine 20 bis 30 Jahre andauernde, sehr artenreiche Zwischengeneration. Erst in den letzten Jahren haben wir gelernt, dass man das als ›Resilienz-Zwischengeneration‹ bezeichnen kann. Danach wächst wieder ein naturnah gemischter und gestufter Bergwald auf.«

Ich war begeistert. »Darüber müssen wir bei den künftig geplanten Maßnahmen noch einmal reden. Aber was war der nächste ›Knackpunkt‹?« Er antwortete: »Dann wurde ich von 1965 bis 1967 in das Vorzimmer des Leiters der bayerischen Staatsforstverwaltung versetzt. Dort musste ich die gesamte eingehende Post daraufhin ansehen, ob irgendwelche Besonderheiten zu erkennen sind, und meinen Chef deshalb immer wieder einmal auf ein ›Greenwashing‹ des tatsächlichen Waldzustandes aufmerksam machen. Nach besonders kritischen Beschwerden von Bürgermeistern über extreme Schäden durch Wild aus benachbarten Staatsjagden hat mich der Leiter mit dem Auftrag, mir das selbst anzusehen, hinausgeschickt. Nach meinem Bericht mit Fotos ist auch er hinausgefahren und war arg enttäuscht, wie sehr die Chefs seiner nachgeordneten Behörden den tatsächlichen Waldzustand beschönigt hatten. Im Jahr 1973 musste ich dann als Leiter des Forstamtes Reichenhall-Süd erstmals an einer Trophäenschau in Berchtesgaden teilnehmen. Mein Entsetzen, wie sehr die Leiter der drei Forstämter im Berchtesgadener Raum darum stritten, wer denn die stärkste Hirsch- oder Gams-Trophäe ausstellen durfte, ist mir noch in guter Erinnerung. Ich war damals bereits mit vielen der unbefriedigenden Jungwälder in diesen Forstämtern vertraut. Dadurch habe ich den Zusammenhang der vorrangigen Hege starken Trophäenwildes vor dem Aufbau gemeinwohlorientierter Jungwälder erkannt und beschlossen, dass ich kein Wild mit Trophäen der Klasse I ohne Anlass mehr erlegen werde, obwohl das 24 Jahre vorher noch das Hauptziel meines Forststudiums gewesen war. In meinem Dienstzimmer hingen deshalb keine Jagdtrophäen, sondern Fotos von artenreichen Dauerwäldern.«

Nach einer Pause fuhr mein Gesprächspartner fort: »Da ich allerdings selbst als hervorragender Jäger bekannt war, wurde das von fast allen meiner Vorgesetzten und Kollegen als Provokation angesehen. Ab dem Sommer 1973 sollte ich im Auftrag des Landwirtschaftsministers Dr. Hans Eisenmann den Nationalpark Berchtesgaden planen. Von Anfang an ließen mich alle Förster deutlich spüren, dass sie sich mit allen Mitteln gegen einen Abbau der Vorrangfunktion ›Trophäenjagd‹ zur Wehr setzen werden. Auch der neue Leiter der bayerischen Staatsforstverwaltung ist demonstrativ zur Hirschbrunft 1973 in den geplanten Nationalpark gekommen, um diese Haltung zu unterstützen. Dann wurde das Umweltministerium gegründet. Die dort für Schutzgebiete zuständigen Beamten glaubten, dass ich der bestgeeignete Fachmann für die Planung und den Aufbau eines Gebirgs-Nationalparks bin. Deshalb wurde ich in dieses Ministerium abgeordnet. Der neue Umweltminister Max Streibl war allerdings begeisterter Jungjäger und ließ sich durch eine bösartige Intrige der örtlichen Förster dazu hinreißen, mich falsch zu beschuldigen und von der Leitung der Planungsarbeiten zu entbinden.«

Auf meine Frage, wie es nach dieser Enttäuschung für ihn weiterging, antwortete Georg Meister: »Ab dem Jahr 1978 hat mich Landwirtschaftsminister Dr. Eisenmann zum Leiter des neu gründeten Großforstamtes Bad Reichenhall ernannt. Dort wollte ich die ›Resilienzvegetation‹ wie in der Salinenzeit nachahmen und wieder zielgerechte, artenreiche Dauerwälder aufwachsen lassen. Mein gesamtes forstliches und jagdliches Umfeld war aber nicht bereit, die viel zu hohen Bestände an Rot-, Gams- und Rehwild auf ein waldverträgliches Maß zu reduzieren. Deshalb konnte ich zunächst keine tatsächlich wirksame Sanierung der vielen besonders wichtigen Schutzwälder in die Wege leiten. Ich war verzweifelt und habe erwogen, mich ins Flachland versetzen zu lassen, wo es keine Hirsche oder Gämsen gibt. Aber dann durfte ich dem Landrat Tannen inner- und außerhalb eines Zaunes zeigen. Sein spontaner Kommentar: ›Da muss man ja Mitleid haben‹, hat mich getröstet. Dieser Herr schrieb dann an den Minister. Kurz darauf kam auch der Umweltausschuss des Landtags und man erlaubte mir, die dringende Notwendigkeit einer effektiven Schutzwaldsanierung vorzuführen. Es folgten die ›Bergwaldbeschlüsse‹ des Landtags und wenig später durften wir zusammen mit dem Wasserwirtschaftsamt mit der Planung für die Sanierung der Weißwand oberhalb der Deutschen Alpenstraße beginnen. Dieses Projekt ist der deutlichste Beweis, wie die Sanierung wichtiger Objektschutzwälder selbst unter schwierigsten Bedingungen erfolgreich sein kann. Es muss nur der tatsächliche Wille dazu vorhanden sein. An einigen Stellen ist dort auch zu beobachten, wie eine ›Resilienz-Zwischengeneration‹ mit geringen Kosten funktionieren kann.«

Daraufhin fragte ich Georg Meister: »Ich durfte Ihnen gegen Ende Ihrer Berufslaufbahn die Karl-Gayer-Medaille für Ihre großartigen Verdienste um die Schutzwälder überreichen. Wurden Sie bei Ihrer Pensionierung auch von anderen Stellen geehrt?« Er zurück: »Ja, Landrat und Oberbürgermeister haben meine Leistungen für den Aufbau gemeinwohlorientierter Schutzwälder gewürdigt, Vertreter von Wasserwirtschafts- und Straßenbauamt haben die faire Zusammenarbeit betont, Vertreter des Nichtstaatswaldes haben meine Aufgeschlossenheit für ihre Probleme und die Suche nach praxisorientierten Lösungen gelobt und meine Mitarbeiter haben mich als den ›Letzten Waldmeister von Reichenhall‹ verabschiedet. Von meiner eigenen Verwaltungsspitze aber gab es keinen Dank für meine Taten.«

Gegen Ende des Gesprächs wollte ich noch wissen: »Wie würden Sie nach Ihren Erfahrungen vorgehen, um im Klimawandel mit dem Wald die Lebensgrundlagen unserer Enkel und Urenkel in tragbaren Grenzen zu erhalten?« Die Antwort leuchtete ein: »Dazu brauchen wir die Unterstützung einer breiten Öffentlichkeit. Und dazu müssen wir zunächst alle interessierten Bürger allgemeinverständlich über den Naturwald, die historische Entwicklung unserer Wälder unter dem Einfluss der normalen Landnutzer, aber auch der Mächtigen im Land aufklären. Die Grundvoraussetzung für effektive Vorsorgemaßnahmen ist eine nüchterne Dia­gnose des Waldzustandes, zu der außerdem eine klare Antwort auf die Frage gehört, ob die derzeitigen Schalenwildbestände waldverträglich sind oder nicht. Wenn man dazu aus Rücksicht auf die Folgen bisheriger Privilegien nicht bereit ist, kann man noch so viele Steuergelder in den kranken Wald pumpen. Damit wird man widerstandsfähige, für den Klimawandel gerüstete Wälder höchstens auf kleinen Teilflächen erzielen.« Weiter fragte ich: »Und wie erreichen wir einen anständigen Waldumbau auf der Großfläche?« Er gab zurück: »Das ist im Grunde ganz einfach. Wenn jeder Waldbesitzer, der einen arten- und strukturreichen Mischwald aufgebaut hat, die gleiche Förderung vom Staat bekommt wie ein Landwirt für seinen ökologischen Landbau, dann wird der Anteil von vorbildlichen Wäldern, für die es bereits mehrere positive Beispiele überall in Deutschland gibt, rasch ansteigen.«

Auf meine letzte Frage: »Was werden Sie fordern?«, antwortete Georg Meister: »Ich werde auf Basis meiner Erfahrungen etwa zehn Hauptforderungen erheben und ihre Umsetzung grob beschreiben.« Diese Forderungen bilden neben den Beispielbetrieben das Kernstück des vorliegenden Buches und sind der Grund, warum es so wichtig ist. Denn sie machen Mut und zeigen: Die Rettung unserer Wälder ist nicht nur zwingend notwendig, sondern vor allem möglich.

Professor Dr. Hubert Weiger ist Ehrenvorsitzender des BUND Naturschutz (BN) und Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse. Zu seinen zahlreichen Ämtern gehören eine Honorarprofessur an der Universität Kassel und eine Mitgliedschaft im Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung. Außerdem ist er Mitglied im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks und BN-Vertreter im Obersten Jagdbeirat des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Natürliche Wälder in Deutschland

Der Klimawandel offenbart mit aller Wucht die Schwachstellen in unseren heutigen Wäldern. Zu ihrer Reparatur fordert und gewährt man staatliche Finanzhilfen in bisher unvorstellbarer Größenordnung. Diese werden die Ursachen der Schwachstellen jedoch weiter verschleiern, weil der größte Teil an die Waldbesitzer mit den naturfernsten Forsten geht. Nach allen Erfahrungen von hochgeachteten Forstprofessoren und -praktikern kann man die jetzigen Kalamitäten auf diese Weise nicht bewältigen: Schon vor 140 Jahren appellierte Karl Gayer an die deutsche Forstwirtschaft, »sie müsse ein gutes Stück rückwärts bremsen, bis dahin, wo wir wieder mit der Natur und ihren erprobten Produktionsgesetzen Fühlung bekommen«.3 Und 70 Jahre später forderte Josef Köstler, »daß wir uns mit Ehrfurcht den in den Wäldern wirkenden Kräften zu nähern haben, statt in den Dünkel zu verfallen, die Natur beherrschen zu können«.4 Um zu verstehen, warum unsere Wälder krank sind, müssen wir zunächst ergründen, was einen gesunden Wald ausmacht und wie er sich aus eigener Kraft gegen die vielfältigen Angriffe auf seine Gesundheit zur Wehr setzt. Dieses Verständnis bildet die Voraussetzung dafür, unsere Wälder zu retten und ihre Widerstandskräfte gegenüber dem Klimawandel zu stärken.

Schon nach der letzten Eiszeit haben sich unsere Wälder dem damaligen Wandel des Klimas über viele Generationen hinweg mit immer wieder neuen Lebensgemeinschaften angepasst. Eine solche natürliche Waldgeneration dauert 200 bis 300 Jahre und muss sich laufend erneuern – und zwar unter normalen Bedingungen ebenso wie nach Störungen durch Feuer, Stürme oder infolge massiven Schädlingsbefalls hervorgerufene Erkrankungen. Zur Rettung unserer Wälder ist es daher maßgeblich, die natürlichen Strategien zur Walderneuerung zu studieren und sie so gut wie möglich nachzuahmen. Denn im Zuge des Klimawandels werden noch weitaus mehr Waldstücke durch Kalamitäten wie Windwurf, Trockenheit, Hitzestress und Käferfraß absterben als in der Vergangenheit – weitere große Kahlflächen sind die Folge.

Bei Wäldern handelt es sich um höchst artenreiche Ökosysteme, deren Organismen durch vielfältige Beziehungen in Wechselwirkung treten. Von oben betrachtet formt ein natürlicher Wald ein fast lückenloses Dach aus Blättern. Jeder Baum konkurriert mit seinen Nachbarn, um möglichst viel Licht einzufangen. Gemeinsam bilden sie ein effektives Kraftwerk, das gewaltige Mengen Solarenergie sammelt und verwertet.

Von Natur aus würden in Deutschland ganz überwiegend artenreiche Laub- oder Laubmischwälder aus unterschiedlich alten Bäumen wachsen. Die hellgrünen Laubbäume heben sich deutlich von den dunkleren Fichten, Tannen und vereinzelten Kiefern ab (Bild: Georg Meister).

Der Standort Deutschland mit seinem gemäßigten Klima und überwiegend nährstoffreichen Böden ist hervorragend für Wälder geeignet. In den rund 10 000 Jahren seit der letzten Eiszeit sind diese zu einer in Summe enormen Biomasse angewachsen, welche die Böden unter sich anreichert. So haben sich für uns heute unvorstellbar mächtige, bis einen Meter (etwa 3,5 Fuß) hohe Humusschichten, auch Dammerde genannt, entwickelt. Das belegt ein »Primitives Operat« des Forstamts Tegernsee aus dem Jahr 1852, in dem es heißt: »In Beständen, wo die Streu, die Stöcke und Wurzeln, ja sogar das Abholz der Verwesung anheimfallen, hat sich eine mehrere Fußtiefe Dammerdenschicht angehäuft.«

Von Natur aus wäre Deutschland bis auf die Gewässer und einige wenige Sonderstandorte, etwa in den Hochmooren oder in den höheren Regionen der Alpen, mit Wäldern bedeckt. Nur auf den etwa vier Prozent besonders kalten oder nährstoffarmen Standorten kämen natürliche Fichten- oder Kiefernwälder vor; auf allen anderen Standorten würden Laub- oder Laubmischwälder wachsen.

In unseren Wäldern wachsen etwa 70 heimische Baum- und etwa 100 verschiedene Straucharten sowie eine Vielzahl an Kräutern, die jeweils unterschiedliche Eigenschaften entwickelt haben. Deshalb ist jeder besondere Standort von einer Spezies besetzt, die innerhalb dieser »Ökologischen Nische« die höchste Konkurrenzfähigkeit aufweist. Zum besseren Verständnis der natürlichen Waldzusammensetzung in Deutschland lohnt sich daher ein Blick auf unsere fünf häufigsten Baumarten.

Die Buche gilt hierzulande als die »Mutter des Waldes«. Nach dem Ende der nacheiszeitlichen Klimaperioden etwa um die Zeitenwende bedeckte sie den mit Abstand größten Teil der Waldfläche Deutschlands. Es handelt sich bei ihr um eine ausgesprochene Schattbaumart. Das bedeutet, dass junge Buchen lange im Schatten vegetieren können, um dann bei mehr Licht rasch nach oben zu wachsen. Sie entwickeln ein sogenanntes Herzwurzelsystem, bei dem die Wurzeln relativ weit nach den Seiten, aber zumindest im Mittelteil auch in die Tiefe reichen. Daher können Buchen die meisten Standorte vom Flachland bis in höhere Bergwaldlagen besiedeln. Sie tragen im Abstand mehrerer Jahre viele Früchte, die von Tieren mitunter weit verbreitet werden. Mit einem Gewicht von 200 Gramm je 1 000 Samen erreichen sie eine maximale »Wanderstrecke« – gemeint ist die Geschwindigkeit ihrer Ausbreitung – von etwa 250 Metern im Jahr.

Im Gegensatz zur Buche zählt die Eiche zu den »Lichtbaumarten«, die besonders in der Jugend zum Aufwachsen viel Licht benötigen. Traubeneichen kommen auf eher trockenen Standorten vor, während Stieleichen vorwiegend feuchte Standorte besiedeln. Bäume dieser Art haben für ihre »Wanderung« eine besondere Strategie entwickelt: Sie erzeugen große Früchte, die sehr nahrhaft sind und von manchen Tieren, besonders aber vom Eichelhäher, als Vorrat für den Winter und das folgende Frühjahr weit vertragen werden. So kann die Eiche trotz ihrer schweren Früchte mit einem Gewicht von 2 750 Gramm je 1 000 Samen jährlich maximal etwa 500 Meter wandern. Sie hat ein ausgeprägtes Pfahl- und Herzwurzelsystem entwickelt und ist für ihre große Standfestigkeit und Robustheit berühmt.

Die Fichte ist sehr gut an Kälte angepasst. Sie kommt in Deutschland von Natur aus nur in den Hochlagen der Gebirge sowie im Flachland auf besonders kalten Standorten wie etwa Moorrändern vor. Dort können junge Fichten einige Jahre auch bei wenig Licht überleben. Auf weniger geeigneten Standorten steigt ihr Lichtbedarf allerdings stark an. Die Fichte entwickelt ein flaches Wurzelsystem und ist daher wesentlich stärker durch Sturmwurf gefährdet als andere Baumarten. Als nur rund 7 Milligramm schwere »Leichtgewichte« können die Samen vom Wind weit verbreitet werden. So erreicht dieser Nadelbaum eine maximale »Wandergeschwindigkeit« von etwa 500 Metern im Jahr.

Zwar stellt die Kiefer die geringsten Ansprüche an ihre Umgebung, dafür ist sie den anderen Baumarten jedoch auf den allermeisten Standorten unterlegen. Durch ihre nur 6 Milligramm leichten Samen kann sie mit maximal 1 500 Metern im Jahr etwa dreimal so schnell wandern wie Buchen, Eichen und Fichten. Die Kiefer verfügt über eine meist gut ausgebildete, tief in den Boden reichende Pfahlwurzel, die auf ungünstigen Standorten aber fast so flachgründig ausfällt wie die der Fichte. Sie ist ein ausgesprochener Lichtbaum, dessen Lichtbedürfnis mit der Armut des Standortes steigt.

In Süd- und Mitteldeutschland ist der Buche von Natur aus häufig noch die Tanne beigemischt. Bei ihr handelt es sich ebenfalls um eine Schattbaumart, die oft jahrzehntelang im Schatten höherer Bäume »schläft«. Sobald diese jedoch weichen, können Tannen schnell zu den mächtigsten Bäumen im Wald emporwachsen. Ihr Herzwurzelsystem dringt tief in den Boden ein und bedingt ihre hohe Standfestigkeit. Die Samen der Tanne sind mit 45 Milligramm vergleichsweise schwer, was eine »Wanderstrecke« von maximal 300 Metern im Jahr erlaubt.

Im dichten Wald konkurrieren die Pflanzen vor allem um Licht. Ein Tannensämlig hat seine Chance genutzt und ist auf dem verrottenden Baumstamm einer gefällten Fichte ausgekeimt. Dort bekommt er zum einen genügend Sonnenlicht, zum anderen schützt ihn die erhöhte Lage im Winter vor Bodenfrost (Bild: Georg Meister).

Buchen, Eichen, Fichten, Kiefern und Tannen haben sich mit ihrer Begleitflora über Jahrtausende den natürlichen Standortbedingungen in unterschiedlicher Zusammensetzung angepasst, wodurch vielfältige Wald-Lebensgemeinschaften entstanden sind. Stellten wir jegliche Einflussnahme ein und ließen der Natur freie Hand, so würden sich in Deutschland als »potenzielle natürliche Vegetation« auf 75 Prozent der Fläche Buchenwälder, auf 23 Prozent sonstige Laubwälder und nur auf 2 Prozent Nadelwälder ausbilden.

Unsere Bäume sind aber nicht nur an ihre unmittelbare Umgebung, sondern auch an die unterschiedlichen Jahreszeiten angepasst. Besonders gut kann man das an den Laubwäldern erkennen: Während der etwa von Mai bis Oktober andauernden Vegetationszeit ist es am Waldboden ziemlich dunkel. Deshalb wachsen Bodenpflanzen dort meist nur im Frühjahr, bevor die alten Bäume ihre Blätter bilden. Diese Laubentfaltung erfolgt nicht gleichmäßig: So beginnt sie beispielsweise bei der Birke früher als bei der Buche. Im Sommer müssen die Bäume mit ihren Blättern möglichst viel Sonnenenergie einfangen, um den Kohlenstoff der Luft mit Wasser zu Traubenzucker, dem Grundbaustein des Lebens, zu verbinden. Mit diesem Baumaterial können sie dann im nächsten Jahr einen neuen Gipfeltrieb und viele Seitentriebe und Blätter anlegen.

Im Herbst, gegen Ende der Vegetationszeit, gilt es Vorräte für den Winter und das nächste Frühjahr anzulegen. Die Laubbäume ziehen Mineralien, Vitamine, Nährstoffe und Chlorophyll aus den Blättern zurück, damit diese wertvollen Ressourcen später wieder zur Verfügung stehen. Die daraufhin herbstlich verfärbten Blätter werden abgeworfen. Unsere Wälder nennt man deshalb auch »sommergrüne Laubfallwälder«. Größere Pflanzenfresser wie Rehe und Hirsche finden dort nur im Frühjahr für eine kurze Dauer geeignete Nahrung. In der übrigen Zeit des Jahres tun sie sich damit schwerer, weshalb sie im Wald von Natur aus (!) nur selten vorkommen.