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Dr. Daniel ist eine echte Erfolgsserie. Sie vereint medizinisch hochaktuelle Fälle und menschliche Schicksale, die uns zutiefst bewegen – und einen Arzt, den man sich in seiner Güte und Herzlichkeit zum Freund wünscht. Es war ein typischer Montagmorgen in der Praxis von Dr. Robert Daniel. Die Patientinnen gaben sich buchstäblich die Türklinke in die Hand, und die junge Empfangsdame Gabi Meindl war schier am Verzweifeln, weil die Hälfte der hereinströmenden Damen ohne Termin gekommen war, aber jede Patientin hatte angeblich etwas ganz Dringendes mit dem Herrn Doktor zu besprechen, so daß Gabi sie auch nicht einfach wieder wegschicken konnte. Während das Wartezimmer bereits aus allen Nähten zu platzen drohte, kam dann noch ein alarmierender Anruf aus der Steinhausener Waldsee-Klinik, deren Direktor Dr. Daniel zusätzlich auch noch war. »Bei der Geburt von Frau Heidenraths Baby gibt es Probleme«, erklärte die Stationsschwester der Gynäkologie hastig. »Bitte, Fräulein Meindl, schicken Sie sofort den Herrn Doktor hierher.« »Wie stellen Sie sich das denn vor?« fragte Gabi verzweifelt. »In der Praxis herrscht gerade die reinste Invasion!« »Und hier liegt möglicherweise eine Patientin im Sterben!« entgegnete Schwester Bianca heftiger, als es normalerweise ihre Art war. »Frau Dr. Reintaler ist im OP. Ich brauche Dr. Daniel im Kreißsaal, und das so schnell wie möglich!« Gabi seufzte tief auf. »In Ordnung. Er wird in ein paar Minuten drüben sein.« Sie legte den Hörer auf, hob aber sofort wieder ab und drückte auf den Knopf, der eine direkte Verbindung zum Sprechzimmer herstellte, dann wartete sie, bis Dr. Daniel drüben abnahm. »Herr Doktor, die Waldsee-Klinik braucht Sie dringend. Bei einer Frau Heidenrath gibt es Probleme.« »Das war zu erwarten«, meinte Dr. Daniel. »Ich fahre sofort hin-über.« Gabi nickte ergeben. Sie wußte genau, was das für sie und ihre Kollegin, die
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Seitenzahl: 131
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Es war ein typischer Montagmorgen in der Praxis von Dr. Robert Daniel. Die Patientinnen gaben sich buchstäblich die Türklinke in die Hand, und die junge Empfangsdame Gabi Meindl war schier am Verzweifeln, weil die Hälfte der hereinströmenden Damen ohne Termin gekommen war, aber jede Patientin hatte angeblich etwas ganz Dringendes mit dem Herrn Doktor zu besprechen, so daß Gabi sie auch nicht einfach wieder wegschicken konnte.
Während das Wartezimmer bereits aus allen Nähten zu platzen drohte, kam dann noch ein alarmierender Anruf aus der Steinhausener Waldsee-Klinik, deren Direktor Dr. Daniel zusätzlich auch noch war.
»Bei der Geburt von Frau Heidenraths Baby gibt es Probleme«, erklärte die Stationsschwester der Gynäkologie hastig. »Bitte, Fräulein Meindl, schicken Sie sofort den Herrn Doktor hierher.«
»Wie stellen Sie sich das denn vor?« fragte Gabi verzweifelt. »In der Praxis herrscht gerade die reinste Invasion!«
»Und hier liegt möglicherweise eine Patientin im Sterben!« entgegnete Schwester Bianca heftiger, als es normalerweise ihre Art war. »Frau Dr. Reintaler ist im OP. Ich brauche Dr. Daniel im Kreißsaal, und das so schnell wie möglich!«
Gabi seufzte tief auf. »In Ordnung. Er wird in ein paar Minuten drüben sein.« Sie legte den Hörer auf, hob aber sofort wieder ab und drückte auf den Knopf, der eine direkte Verbindung zum Sprechzimmer herstellte, dann wartete sie, bis Dr. Daniel drüben abnahm. »Herr Doktor, die Waldsee-Klinik braucht Sie dringend. Bei einer Frau Heidenrath gibt es Probleme.«
»Das war zu erwarten«, meinte Dr. Daniel. »Ich fahre sofort hin-über.«
Gabi nickte ergeben. Sie wußte genau, was das für sie und ihre Kollegin, die Sprechstundenhilfe Sarina von Gehrau, bedeutete. Sie hatten jetzt nämlich die undankbare Aufgabe, alle Patientinnen auf den Nachmittag zu vertrösten oder sie warten zu lassen, bis Dr. Daniel wieder zurückkam. Das konnte in diesem Fall allerdings eine ganze Weile dauern.
»Ich weiß nicht, bis wann ich wieder hier sein kann«, erklärte Dr. Daniel auch schon, dann verließ er im Laufschritt die Praxis, stieg in sein Auto und fuhr den kurzen Weg zur Waldsee-Klinik. Hier wurde er auch schon dringend erwartet.
»Eine plötzliche Wehenschwäche«, erklärte die Hebamme Anna Lüder, die inzwischen regelmäßig in der Klinik aushalf. »Ich habe ihr zwar…«
In diesem Augenblick erklang aus dem Kreißsaal ein gellender Schrei.
»Ich schätze, die Wehen sind wieder da«, meinte Dr. Daniel und eilte in den nur schwach erleuchteten Raum. In der Waldsee-Klinik wurde die sanfte Geburt nach Fréderick Leboyer praktiziert – das bedeutete, daß die Babys hier in einen warmen, etwas abgedunkelten Raum hineingeboren wurden. Doch jetzt brauchte Dr. Daniel unbedingt Licht, und Schwester Bianca richtete sofort eine an der Decke installierte Operationslampe auf das Bett.
»Herr Doktor…«, stöhnte Gunilla Heidenrath, während ihr ganzer Körper unter dem heftigen Wehenschmerz, der urplötzlich wieder eingesetzt hatte, erbebte.
»Ganz ruhig, Frau Heidenrath«, versuchte Dr. Daniel sie zu besänftigen. »Wir schaffen das schon.«
Dabei war er sich dessen im Moment gar nicht so sicher. Ähnlich einer Sturzgeburt, wurde das Baby durch die nicht nachlassenden Wehen aus dem Geburtskanal gedrückt. Es ging so schnell, daß Dr. Daniel gar nicht mehr helfend eingreifen konnte. Und durch das nachströmende Blut war er im Moment daran gehindert zu erkennen, ob diese viel zu rasche Geburt bei der Mutter zu irgendwelchen Verletzungen geführt hatte.
Völlig erschöpft lag Gunilla auf dem breiten Bett. Die Hebamme hatte ihr das Baby auf den Bauch gelegt, wie es hier üblich war, und mit einem flauschigen Tuch zugedeckt, doch Gunilla war im Moment zu schwach, um das winzige Wesen auch nur zu berühren.
»Ist es… vorbei?« stammelte sie.
»Ich fürchte, noch nicht ganz«, entgegnete Dr. Daniel, dann ging er daran, das Baby abzunabeln. Auch das war normalerweise nicht üblich, denn man ließ Mutter und Kind etwas Zeit, miteinander zu schmusen, bevor man die Abnabelung vornahm, doch in diesem Fall galten andere Voraussetzungen.
»Schwester Bianca, nehmen Sie das Kind einen Augenblick an sich«, bat Dr. Daniel, während er darauf wartete, daß die Plazenta ausgestoßen wurde.
Währenddessen lag Gunilla noch immer völlig regungslos auf ihrem Bett.
»Ist es… endlich ein Junge?«
Die Frage kam schwach und kaum hörbar, trotzdem hatte Schwester Bianca sie verstanden und kontrollierte nun sehr vorsichtig das Geschlecht des Babys, das sie im Arm hielt.
»Nein, Frau Heidenrath, es ist ein kleines Mädchen«, antwortete sie.
Gunilla schluchzte leise auf. »O Gott… ich habe so gehofft… Helmut wird…« Der Rest des Satzes war nur noch ein unverständliches Gemurmel.
Inzwischen hatte Dr. Daniel die Plazenta auf ihre Vollständigkeit untersucht.
»Es hört nicht auf zu bluten«, flüsterte ihm Anna Lüder zu.
Dr. Daniel nickte. »Das Problem hatten wir schon bei der letzten Entbindung – allerdings nicht ganz so schlimm wie diesmal.« Er wandte sich der Schwester zu. »Bianca, ich brauche dringend eine Ampulle Ergometrin. Schnell.«
Die Hebamme nahm das Baby an sich, während Bianca das Medikament in einer Spritze aufzog und sie Dr. Daniel reichte. Er injizierte die Lösung rasch und geschickt, während Gunilla Heidenrath langsam in eine tiefe Bewußtlosigkeit hineindämmerte.
»Herr Doktor, die Frau stirbt uns weg«, erklärte Bianca mit bebender Stimme, doch Dr. Daniel schüttelte den Kopf.
»Der Blutverlust ist zwar sehr hoch, aber zumindest im Moment habe ich noch alles unter Kontrolle.« Er zögerte einen kurzen Augenblick. »Uns bleibt nichts anderes übrig, als eine Bluttransfusion vorzunehmen. Das Medikament wird zwar rasch wirken und die Blutung zum Stillstand bringen, aber ich fürchte, der Blutverlust ist zu hoch, als daß der Körper ihn allein ausgleichen könnte.«
Im Laufschritt verließ die Krankenschwester den Kreißsaal und kehrte wenig später mit einer Blutkonserve und einer Flasche Kochsalzlösung zurück. Währenddessen hatte Dr. Daniel schon den Zugang gelegt und brauchte nun bloß noch die Infusion anzuschließen.
»Ich glaube, wir haben’s geschafft«, meinte Dr. Daniel, als er sah, daß die Unterleibsblutungen zum Stillstand gekommen waren. Auch bei der Bluttransfusion schien es keine Komplikationen zu geben. »Trotzdem werden wir Frau Heidenrath auf die Intensivstation legen müssen. Im Augenblick kann ich ein nochmaliges Nachbluten nicht ausschließen, und solange die Transfusion läuft, müssen regelmäßig Puls, Blutdruck und Temperatur kontrolliert werden.« Dann wandte er sich der Hebamme zu. »Wie geht’s dem Kind?«
»Auf jeden Fall besser als der Mutter«, meinte Anna Lüder, dann warf sie der noch immer bewußtlosen Gunilla einen kurzen Blick zu. »Sie hätte nach dem vierten Kind schon sterilisiert gehört.«
Dr. Daniel seufzte. »Das ist leider ein Kapitel für sich, Frau Lüder. Ich nehme ja an, daß Sie Herrn Heidenrath kennen.«
»Und ob! Ich kann allerdings nicht sagen, daß ich darüber sehr erfreut bin. Dieser Mann ist ein rücksichtsloser Egoist, der sich den Teufel um seine arme Frau schert. Irgendwann wird er sie damit noch umbringen.«
Dr. Daniel gab der aufgebrachten Hebamme ein Zeichen, nicht mehr weiterzusprechen, weil er bemerkte, daß Gunilla langam zu sich kam. Jetzt setzte er sich zu ihr und griff nach ihrer Hand.
»Nun, Frau Heidenrath, wie fühlen Sie sich?« fragte er besorgt.
»Müde«, murmelte Gunilla schwach, dann sah sie Dr. Daniel an. »Weiß Helmut schon, daß es wieder nur ein Mädchen ist?«
»Was heißt denn ›nur‹, Frau Heidenrath?« entgegnete Dr. Daniel mit einem tadelnden Unterton in der Stimme. »Sie sollten froh sein, daß die Kleine gesund ist. Dabei fällt mir ein…« Er wandte sich Anna Lüder zu. »Rufen Sie bitte den Chefarzt. Er soll die Kleine vorab schon mal untersuchen. Ich werde mich heute gleich mit dem Kinderarzt aus der Kreisstadt in Verbindung setzen.«
Anna Lüder verzog das Gesicht. »Doch nicht dieses eingebildete Ekel.«
»Dr. Bürgel mag vielleicht nicht der sympathischste Mensch sein, aber als Kinderarzt ist er erstklassig.«
»Möglich«, brummelte Anna, obwohl sie ja selbst wußte, was für ein guter Arzt Dr. Bürgel war Aber er war eben leider auch schrecklich arrogant, was der guten Anna überhaupt nicht gefiel.
»Außerdem sollte die Waldsee-Klinik längst über einen eigenen Kinderarzt verfügen«, setzte sie noch hinzu.
»Ich weiß«, entgegnete Dr. Daniel. »Leider kann ich mir keinen aus dem Ärmel schütteln, und wirklich gute Kinderärzte gibt’s auch nicht wie Sand am Meer.« Dann sah er Gunilla wieder an. »Sie machen sich Sorgen wegen Ihres Mannes, nicht wahr?«
Gunilla nickte. »Er wird rasen vor Zorn, weil es wieder kein Junge geworden ist.«
»Ich werde mit ihm sprechen«, erklärte Dr. Daniel ohne zu zögern. Und ihm gehörig die Meinung sagen, fügte er in Gedanken hinzu.
»Danke, Herr Doktor«, flüsterte Gunilla, dann fielen ihr die Augen wieder zu.
Dr. Daniel stand auf.
»Bianca, bringen Sie Frau Heidenrath auf Intensiv«, ordnete er an. »Ich sehe heute nachmittag noch einmal nach ihr. Sollten erneut Unterleibsblutungen auftreten, dann benachrichtigen Sie mich umgehend, ja?«
»Selbstverständlich, Herr Doktor.«
*
Unruhig marschierte Helmut Heidenrath in der Eingangshalle hin und her. Warum dauerte es denn so lange? Mittlerweile sollte Gunilla im Kinderkriegen doch schließlich ein wenig Übung haben! Unwillig sah er auf die Uhr. Seit vier Stunden war er nun schon hier!
In diesem Moment trat Dr. Daniel aus der Gynäkologie in die Eingangshalle und steuerte direkt auf Helmut Heidenrath zu.
»Und? Ist es diesmal endlich ein Junge?« fragte Helmut ohne den Arzt überhaupt zu begrüßen.
»Guten Tag, Herr Heidenrath«, erklärte Dr. Daniel mit Nachdruck und zeigte dabei seine Mißbilligung über Helmuts unhöfliche Art ganz deutlich. »Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Tochter.«
Entsetzt starrte Helmut ihn an. »Tochter?« Dann donnerte er seine rechte Faust gegen die Wand. »Meine Güte, ist diese Frau denn wirklich nicht fähig, mir endlich einen Sohn zu schenken? Vier Gören habe ich schon zu Hause sitzen, und nun…«
»Was fällt Ihnen eigentlich ein, sich hier in der Klinik dermaßen aufzuführen!« fiel Dr Daniel ihm barsch ins Wort. Normalerweise schlug er keinen so groben Ton an, doch das Verhalten, das dieser Mann nun schon seit Jahren an den Tag legte, brachte selbst ihn auf die Palme.
»Ist doch wahr«, knurrte Helmut. »Im Mittelalter wurden die Frauen hingerichtet, wenn sie ihren Männern keine Söhne schenken konnten.«
»Und Sie sind auf dem besten Weg, dasselbe zu tun«, entfuhr es Dr. Daniel. »Im übrigen unterliegen Sie schon rein biologisch einem großen Irrtum. Nicht die Frau, sondern der Mann bestimmt das Geschlecht des Kindes. Also sind Sie es, der anscheinend keine Söhne zeugen kann, wenn man in einem solchen Fall schon eine Schuldzuweisung vornehmen will.«
Sekundenlang blieb Helmut der Mund offen.
»Sagen Sie mal, wie sprechen Sie denn mit mir?« ereiferte er sich dann.
»So, wie Sie es wohl auch verdienen, und vor allen Dingen in der gebotenen Deutlichkeit, denn sanftere Hinweise verstehen Sie ja leider nicht«, entgegnete Dr. Daniel. »Ich habe Ihnen nach Kristins Geburt schon gesagt, daß Ihre Frau kein Kind mehr bekommen solle. Das ist jetzt ein gutes Jahr her, und nun liegt sie schon wieder auf der Entbindungsstation.« Er schwieg einen Moment, dann fuhr er fort: »Heute wäre uns Ihre Frau beinahe weggestorben. Ich sage es Ihnen jetzt also ausdrücklich, Herr Heidenrath: Bei einer weiteren Schwangerschaft könnte ich für das Leben Ihrer Frau nicht mehr garantieren.«
Ungerührt sah Helmut ihn an. »Das haben Sie letzten Mal auch schon angedeutet, und Gunilla hat diese Geburt trotzdem überstanden.« Er schwieg einen Moment. »Ich sage Ihnen jetzt auch etwas in aller Deutlichkeit, Herr Doktor: Ich will einen Sohn und Stammhalter haben – um jeden Preis. Das heißt, daß Gunilla mir so viele Kinder gebären wird, bis sie endlich einen Sohn zustande bringt.« Damit nickte er Dr. Daniel knapp zu, dann verließ er die Klinik.
»Meine Güte, wer war denn das?«
Dr. Daniel drehte sich um und sah sich dem Chefarzt der Waldsee-Klinik, Dr. Wolfgang Metzler, gegenüber.
»Der ist wohl als Relikt aus dem vorigen Jahrhundert übriggeblieben«, urteilte Dr. Daniel ärgerlich. »Der glaubt nämlich immer noch, die Frau sei für das Geschlecht des Kindes verantwortlich. Und mit dieser Einstellung bringt er seine Frau Stück für Stück um. Schon nach der Geburt seines letzten Kindes habe ich auf ihn eingeredet wie auf ein krankes Pferd. Ein Vierteljahr später war seine Frau wieder bei mir in der Praxis zum Schwangerschaftstest. Gerade hat sie ein Mädchen zur Welt gebracht…«
»Das übrigens kerngesund ist«, warf Dr. Metzler dazwischen. »Die Kleine hat beim Apgar-Test zehn Punkte erreicht. Mehr ist bekanntlich nicht drin.«
Dr. Daniel nickte zwar, war mit seinen Gedanken aber offensichtlich ganz woanders. Helmut Heiden-
raths halsstarrige Haltung ging ihm nämlich noch immer nicht aus dem Kopf.
»Er will einen Sohn, und dafür riskiert er sogar das Leben seiner Frau«, fuhr Dr. Daniel fort. »Ich dachte, wenn ich ihm eiskalt und brutal die Wahrheit ins Gesicht sage, dann…« Er zuckte die Schultern. »Es scheint, als wäre es ihm völlig gleichgültig. Seine Frau soll auch weiterhin Kinder zur Welt bringen, bis er seinen langersehnten Sohn hat.«
»Wie schätzt du die Chancen ein, daß das klappen kann?« wollte Dr. Metzler wissen.
Wieder zuckte Dr. Daniel die Schultern. »So etwas läßt sich leider nur schwer vorhersagen, aber Helmut Heidenrath selbst ist der einzige Junge unter elf Mädchen.«
Entsetzt starrte Dr. Metzler ihn an. »Willst du damit sagen, daß seine Mutter zwölf Kinder zur Welt gebracht hat?«
»Fünfzehn«, berichtete Dr. Daniel. »Drei sind kurz nach der Geburt gestorben. Das hat sie mir einmal erzählt, als sie in meiner Praxis war. Inzwischen ist sie leider nicht mehr am Leben. Sie war eine sehr sympathische Frau.« Er seufzte. »Der Vater von Herrn Heidenrath muß allerdings eine ähnliche Einstellung gehabt haben, wie sie jetzt auch sein Sohn an den Tag legt. Herr Heidenrath ist nämlich der Jüngste.«
»Das heißt, daß dieser armen Frau dasselbe Schicksal droht wie schon ihrer Schwiegermutter.«
Doch Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Gunilla Heidenrath wird die nächste Schwangerschaft aller Wahrscheinlichkeit nach nicht überleben. Sie hatte nach dem vierten Kind schon starke Nachblutungen, und diesmal waren sie so schlimm, daß ich ihr Ergometrin spritzen und zusätzlich eine Bluttransfusion geben mußte.«
Fassungslos schüttelte Dr. Metzler den Kopf. »Und das will ihr Mann nicht begreifen?«
»Nein«, antwortete Dr. Daniel und fühlte dabei wieder Wut aufsteigen, weil er einfach nicht verstand, wie ein Mensch nur so verbohrt sein konnte. Irgendwann mußte er seine Frau ja auch geliebt haben oder das noch immer tun. Wie konnte er sie da in Lebensgefahr bringen, nur weil sich sein Wunsch nach einem Sohn erfüllen sollte?
»Kann man denn mit der Frau auch nicht sprechen? Sie muß doch selbst sehen, wie jede Geburt schwieriger geworden ist.«
Dr. Daniel seufzte. »Natürlich weiß sie, daß sie mit jeder weiteren Schwangerschaft zunehmend in Lebensgefahr geraten ist, aber sie wagt es nicht, sich ihrem Mann zu widersetzen. Den Grund dafür habe ich noch nicht herausgefunden. Entweder ist er so jähzornig, daß sie einfach Angst vor ihm hat, oder aber sie wurde noch nach dem Prinzip erzogen, daß die Frau dem Manne untertan ist. Immerhin ist sie nun schon zweiundvierzig. Es könnte also durchaus sein, daß sie eine sehr strenge Erziehung genossen hat oder sogar in der eigenen Familie gesehen hat, daß alle dem Vater ohne Widerspruch gehorchten.«
»Wahnsinn«, murmelte Dr. Metzler, dann sah er seinen Freund an. »Du solltest aber trotzdem noch mal mit ihr sprechen.«
»Worauf du dich verlassen kannst«, bekräftigte Dr. Daniel. »Diesmal wird es mir gelingen, sie wenigstens zur Verhütung zu bewegen. Noch lieber wäre es mir allerdings, sie würde sich sterilisieren lassen, aber da habe ich wenig Hoffnung.« Er überlegte kurz. »Auch mit ihm werde ich noch einmal sprechen. Er kann doch nicht allen Ernstes wollen, daß fünf oder sorgar sechs Kider Halbwaisen werden, nur weil er um jeden Preis einen Sohn in die Welt setzen will.«
*
Als Dr. Daniel kurz nach zwölf Uhr mittags endlich seine Praxis erreichte, wartete dort nur noch eine Patientin auf ihn.
»Alle anderen ließen sich auf den Nachmittag vertrösten, einige sogar auf morgen früh«, erklärte Gabi Meindl. »Aber Frau Scheibler will unbedingt jetzt noch mit Ihnen sprechen.«
»Für Steffi nehme ich mir auch immer Zeit«, betonte Dr. Daniel, dann trat er ins Wartezimmer, so Stefanie Scheibler, die Schwester von Dr. Metzler und Ehefrau des Oberarztes Dr. Gerrit Scheibler, geduldig auf ihn wartete.