Richter Gottes - Eva Müller - E-Book

Richter Gottes E-Book

Eva Müller

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Beschreibung

Wenn Priester zur Vernehmung bitten Für hunderttausende Angestellte der katholischen Kirche, für Lehrer, Ärzte und Kindergartenleiter, gilt bis heute: Wer katholisch getraut ist und eine neue Beziehung eingeht, riskiert seinen Job. Der einzige Ausweg, den die Kirche bietet: einen »Ehenichtigkeitsprozess«. Die einstigen Partner müssen dort beweisen, dass ihre erste Eheschließung nicht den Ansprüchen der katholischen Kirche genügt hat und deshalb nie gültig war. In aufwendigen Verfahren werden die Gläubigen von Kirchenrichtern vernommen, Freunde, Nachbarn oderFamilienmitglieder als Zeugen befragt und Psychologen und Priester um Gutachten gebeten. 22 Kirchengerichte gibt es in Deutschland. So gut wie nichts dringt über sie an die Öffentlichkeit, denn alle Verfahrensbeteiligten werden zur Geheimhaltung verpflichtet – auch, was ihre zweite heikle Aufgabe betrifft: die Ahndung von sexuellem Missbrauch in der Kirche.Eva Müller konnte vertrauliche Akten einsehen, sprach mit Richtern, Gutachtern, Priestern und mit Paaren, deren Existenz vom Urteil eines Kirchengerichts abhängt. Ihr Buch zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie die katholische Kirche jenen begegnet, die ihr Leben nicht so gestalten, wie sie es vorsieht.

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Eva Müller

Richter Gottes

Die geheimen Prozesse der Kirche

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Eva Müller

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Einleitung1. Kapitel Ungültig verliebt2. Kapitel »Manche sind nicht einverstanden mit dem, was wir machen«3. Kapitel »Wir führen sehr intensive Gespräche«4. Kapitel Bis der Tod euch scheidet5. Kapitel Irrtum, Täuschung, Totalsimulation6. Kapitel Kirchlich verheiratete Sportlehrerin gesucht7. Kapitel »Wenn die dich dann einstellen, machen wir das …«8. Kapitel »Es ist schwierig, aber nicht unmöglich«9. Kapitel »Haben Sie Ihre Tagebücher dabei?«10. Kapitel Wenn Priester über Priester richten11. Kapitel Die Sünde gegen das sechste Gebot12. Kapitel Zwei Stunden im Pfarrbüro13. Kapitel Gutachter mit christlicher Weltsicht14. Kapitel »Das dürfen die nicht!«15. Kapitel »Solange es niemand mitbekommt …«16. Kapitel Du sollst eigentlich nicht scheitern17. Kapitel »Das wünsch ich sehr, dass immer einer bei mir wär …«
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Einleitung

Er sieht nicht glücklich aus, dachte sie und verliebte sich. Dabei war das kein Ort zum Verlieben. Der Wirt hatte die Musik gerade wieder aufgedreht. Karnevalsmusik. Die Schminke war bei den meisten nicht mehr frisch. Sie schaute zur Tanzfläche.

Es ist ungewöhnlich, den Partner fürs Leben ausgerechnet an Karneval kennenzulernen. Schon die Verkleidung sagt: Das bin ich nur heute Abend. Der Karneval hat etwas Flüchtiges. Nicht in ihrem Fall. »Dass ich die Initiative ergriffen und mich getraut habe, das passiert eben auch nur an Karneval.« Elke Rogosky lacht. Peter Otten ist der Richtige, das weiß sie schnell. Was sie für ihre Liebe tun wird, weiß sie damals noch nicht.

Elke Rogosky wird sich in den nächsten Jahren verstecken. Sie wird Begegnungen mit den Nachbarn vermeiden und ihren Namen nicht mit aufs Klingelschild der gemeinsamen Wohnung schreiben, weil es die Beziehung zwischen Peter Otten und ihr in den Augen der katholischen Kirche nicht geben darf. Schließlich wird sie einen Prozess führen. Nicht vor einem staatlichen Gericht, sondern vor einem Gericht der katholischen Kirche in Deutschland.

Im Frühjahr 2015 sitzt Peter Otten in einem Café in der Kölner Innenstadt. Seit Tagen regnet es. Die Gäste an den Nachbartischen kommen vom Einkaufsbummel, wollen sich nur kurz aufwärmen und wieder los. Peter Otten hat Zeit, er wartet auf einen Brief, auf das Urteil des Kirchengerichts.

Peter Otten hat sich als Angestellter der katholischen Kirche, als Pastoralreferent des Erzbistums Köln, in Elke Rogosky, eine geschiedene Frau, verliebt und mit ihr eine Beziehung begonnen. Damit begehen sie in den Augen der katholischen Kirche eine schwere Sünde, die »Unzucht«. Mehr noch: Peter Otten ist ein Ehebrecher, denn er bricht Elke Rogoskys erste Ehe, die – staatlich längst geschieden – vor Gottes Augen immer noch besteht. Für die Kirche undenkbar, unlebbar, auch heute noch. Jeder Katholik, der es trotzdem tut, bleibt von den Sakramenten, wie der Kommunion im Gottesdienst, ausgeschlossen. Wer, wie Peter Otten, für die Kirche arbeitet, kann entlassen werden.

Dass es aus diesem Unglück einen Ausweg gibt, wissen die wenigsten: einen Prozess – vor einem katholischen Kirchengericht. Nimmt man die katholische Lehre ernst, kann dieser Schritt eine legale, zweite Beziehung im Leben eines Katholiken ermöglichen. Die einstigen Ehepartner müssen dazu in einem kirchlichen Gerichtsverfahren beweisen, dass ihre erste Eheschließung nicht den Ansprüchen der katholischen Kirche genügt hat und deshalb auch niemals gültig war. Sie hat schlicht nie existiert.

Es ist das Reizthema der katholischen Kirche: Jede dritte Ehe in Deutschland wird geschieden. Doch statt mit dieser Realität umzugehen, verweist die Kirche auf die Justiz – auf die eigene. 22 katholische Kirchengerichte gibt es in Deutschland, die sich fast ausschließlich mit dem Eherecht befassen, das die evangelische Kirche nicht kennt. 2015 führten sie gut 1200 Prozesse in drei Instanzen. Über diese Verfahren dringt so gut wie nichts an die Öffentlichkeit. Alle Beteiligten werden zur Geheimhaltung verpflichtet. Weltweit sind es alljährlich rund 72000 Prozesse, im Jahr 2013 wurden auf diesem Weg 47000 Ehen rückwirkend für ungültig erklärt.

»Ich habe erst gedacht, es ist eine Art von skurrilem Spiel.« Peter Otten sieht müde aus. Müde wie jemand, der genug Schlaf hat, aber wenig Kraft. »Ich habe mich gefragt, ob die nicht merken, wie absurd das ist.«

»Haben Sie Ihre Ehe vollzogen, Geschlechtsverkehr gehabt? Haben Sie dabei Verhütungsmittel benutzt?« Diese und andere Fragen haben Elke Rogosky und ihr Exmann vor den Kölner Kirchenrichtern beantwortet. Ihr Bruder, zwei Freundinnen, ein befreundeter Pfarrer und eine Kirchenmitarbeiterin wurden als Zeugen befragt. Darauf hat Elke Rogosky sich eingelassen, als sie sich entschied, den Prozess zu führen. »Nur um meinen Job zu retten«, sagt Peter Otten und fährt sich mit den Händen durchs Gesicht. Er möchte gern die ganze Geschichte erzählen. Die Kirche sei für ihn nur noch ein leeres Haus, sagt Peter Otten. Er wisse nicht, wohin mit seiner Wut.

Cäcilia Giebermann ist Richterin am größten deutschen Kirchengericht in Köln. Zwei Fälle wie der von Elke Rogosky kommen hier jede Woche an, zweimal in der Woche beginnt ein neuer Ehenichtigkeitsprozess.

Die Verfahren sind aufwendig: Kirchliche Vernehmungsrichter befragen Zeugen unter Eid, prüfen Beweise. Briefe, Tagebucheinträge. Bände von Akten werden gefüllt. In einigen Fällen kommen Psychologen und Psychiater hinzu, die die einstigen Ehepartner begutachten. Kirchenrichter wie Cäcilia Giebermann fällen schließlich die Urteile. »Es ist ein sehr intensives Verfahren«, erklärt Cäcilia Giebermann. »Nach langen Gesprächen habe ich mir hoffentlich ein umfassendes Bild von dieser Ehe bilden können, und dann entscheiden wir, ob die Ehe am Anfang ungültig geschlossen wurde.«

Sie kann nichts Schlechtes an den Prozessen finden. Im Gegenteil: »Ich glaube, den meisten Menschen geht es darum, den Neuanfang zu machen, und unsere Aufgabe ist es, ihn zu ermöglichen.« Das sei eine einmalige Chance, sagt sie, leider kaum bekannt.

Erst Ende 2015 hat Papst Franziskus verfügt: Die kirchlichen Eheverfahren sollen vereinfacht werden, damit sie öfter in Anspruch genommen werden; die katholische Kirche setzt auf die Prozesse. Und auf das Gerichtspersonal, das seit 2010 in Deutschland auch noch eine weitere Aufgabe ausführt: die Ahndung von sexuellem Missbrauch innerhalb der Kirche.

Dieses Buch gibt zum ersten Mal einen Einblick in die Welt der deutschen Kirchengerichte. Es zeigt, welche Prozesse dort geführt werden und wer dort richtet. Prozessbeteiligte sprechen ausführlich über die Verfahren. Richter und psychologische Gutachter stellen sich kritischen Fragen. Die Betroffenen berichten von ihren Vernehmungen.

Über allem steht die Frage, wie die katholische Kirche jenen begegnet, die ihr Leben nicht so gestalten, wie sie es vorsieht.

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1. KapitelUngültig verliebt

Das Paar, das es nicht geben darf

Alles beginnt an Karnevalssonntag 2007. Während die Höhner singen, rufen sich Elke Rogosky und Peter Otten die Koordinaten ihres bisherigen Lebens zu. Elke Rogosky arbeitet bei einem großen Versicherungsverband. Peter Otten ist Theologe. Nein, das habe sie überhaupt nicht verschreckt. Sie schüttelt den Kopf. »Ich habe gedacht: Das ist bestimmt ein tiefgründiger Mensch. Es hat ehrlich gesagt auch einen Teil meines Interesses ausgemacht.« Sie lächelt.

Elke Rogosky und Peter Otten erzählen ihre Geschichte in ihrer Wohnküche. Ein Mehrparteienhaus mitten in Köln, vierter Stock, hohe Stufen, einen Aufzug gibt es nicht, der Trinkwassersprudler steht auf der Küchenanrichte. Das Paar sitzt eng beieinander auf der Küchenbank, eine rostrot gestrichene Wand im Rücken. Vor ihnen steht ein massiver Holztisch, der sagt: Wir bekommen gern und viel Besuch. Über der Tür hängt ein schlichtes Holzkreuz. Elke Rogosky trägt eine weiße Bluse, ein Armband ist silber, eins mintgrün. Sie achtet auf ihr Äußeres, auf ihre Mimik kaum, man sieht ihr an, was sie denkt. Sie redet aus dem Herzen und braucht viel Platz dabei. Peter Otten bekommt gelegentlich einen Schlag ab, er kennt das. Er steckt die Hände in die Beuteltasche seines dunkelblauen Kapuzenpullovers und lehnt sich zurück. Ab und an kneift er ein Auge zu und legt den Kopf schief. Seine blauen Augen mustern. Es gibt Pasta. »Peter kocht immer, wenn Besuch kommt«, erklärt Elke Rogosky. Noch nie habe jemand die gemeinsame Wohnung hungrig verlassen. Sie sagt das mit Stolz, und sie sagt: »Unsere Wohnung.« Dabei gehört sie der Kirche, und Elke Rogosky dürfte hier genau genommen gar nicht sein. Zumindest nicht wohnen.

Peter habe ihr an ihrem Kennenlernabend erzählt, so erinnert sie sich, dass ihm eigentlich gar nicht nach Ausgehen zumute sei. Dass er gerade gemeinsam mit seinem Bruder die kranke Mutter pflege, dass Karneval sich falsch anfühle. Schnell reden die beiden über die wirklich wichtigen Dinge. Auch über das, was ihr Leben in den nächsten Jahren sehr kompliziert machen sollte. »Ich habe tatsächlich schon am ersten Abend erwähnt, dass ich geschieden bin«, sagt Elke Rogosky. Sie habe gewusst, was das für jemanden bedeute, der Katholik sei und zudem einen Arbeitsvertrag bei der katholischen Kirche unterschrieben habe. »Ich habe gesagt: Du weißt, ich bin eine geschiedene Frau, und vielleicht sollten wir das lieber lassen. Aber das war natürlich auch Koketterie, denn wenn man sich kennenlernt und verliebt, dann freut man sich, wenn der andere sagt: ›Das ist mir alles egal.‹« »Nein«, widerspricht Peter Otten, »du hast gesagt: ›Ich bin ungläubig und geschieden, lass lieber die Finger von mir.‹« Er schmunzelt. Ihm sei natürlich bewusst gewesen, dass es nicht einfach werden würde. »Aber ich wollte sie wiedersehen, das war ein richtiges Bedürfnis, ganz drängend.«

Als sie an jenem Abend spät in der U-Bahn verschwindet, weiß Peter Otten zumindest ihren Namen. Er findet ihre Arbeitsadresse im Internet und schreibt ihr einen Brief, eine CD mit seinen Lieblingsliedern ist mit im Umschlag. Sie gehen aus, am Rhein spazieren. So einfach ist es manchmal. Und auch nicht, denn geht es nach Peter Ottens Arbeitgeber, dürfen Elke Rogosky und er ihre Liebe nicht leben, geschweige denn heiraten. Was zivilrechtlich die legitime Wiederheirat von Geschiedenen ist, betrachtet die katholische Kirche als Ehebruch. Bis vor 100 Jahren noch eine zu ahndende Straftat, bis heute das »Verharren« in einer, so heißt es im aktuellen Kirchenrecht, »offenkundigen schweren Sünde« und damit auch ein Verstoß gegen das besondere kirchliche Arbeitsrecht.

»Manchmal haben wir abends nach der Arbeit drei, vier Stunden telefoniert«, erzählt Elke Rogosky von ihren ersten Monaten. »Peter hat viel davon erzählt, wie er seine Mutter pflegt, was alles dazugehört.« Da habe sie angefangen, sich richtig in ihn zu verlieben. Peter Otten guckt zur Seite, Elke Rogosky schaut ihn direkt an. »Da hatte ich das Gefühl, ich lerne dich gerade richtig gut kennen und wertschätzen. Selbst wenn wir kein Paar geworden wären, wäre ich, glaube ich, zeitlebens gern mit dir befreundet gewesen.« Sie sagt das ganz ernst, Peter Otten lacht laut. »Das ist mir damals dauernd passiert, dass Frauen ganz dick mit mir befreundet sein wollten.« Elke Rogosky lacht mit: »Da hast du diesmal Glück gehabt.«

Der Moment, in dem Elke Rogosky klar wird, dass sie ein Paar sind, ist, als sie ihren Namen in der Todesanzeige von Peter Ottens Mutter liest. »Dort stand: ›Peter und Elke‹, gedruckt. Er hat mich einfach reingeschrieben.« Es ist Mai 2007, drei Monate sind seit Karneval vergangen, drei besondere Monate, in denen die beiden andere Dinge im Kopf haben als Peter Ottens Arbeitgeber. »Ich muss ehrlich sagen, ich habe das erst mal ganz weit weggeschoben. Ich wollte das alles auch einfach genießen«, sagt Peter Otten. »Ich hatte damals eine schwere Zeit und habe ganz egoistisch gedacht: Das hast du dir, das haben wir uns jetzt einfach verdient, dieses Glück.«

Elke Rogosky hat damals eine kleine Wohnung in Bornheim, außerhalb von Köln. Da Peter Otten hier niemanden kennt, sind sie meistens dort. Die Wohnung ist nicht für zwei gemacht, trotzdem verbringen sie an diesem Ort viel Zeit miteinander. »Es gab kein Gespräch darüber, aber aus dem einen Hemd wurden drei und dann fünf und schließlich sieben, und danach kam ein Laptop dazu, und am Ende bist du einfach nicht mehr weggegangen.« Elke Rogosky lächelt, wird jedoch gleich wieder ernst. Aber zusammenziehen, das habe Peter immer gesagt, das gehe nicht. Deshalb habe er seine wichtigsten Sachen immer im Kofferraum durch die Gegend gefahren.

Peter Otten erklärt: »Spätestens in dem Moment, wo man mit einer geschiedenen Frau zusammenwohnt, nimmt die Kirche an, dass man auch in einer Sexualgemeinschaft lebt, und damit bricht man das Eheband des anderen. Das heißt, die Kirche geht dann davon aus, dass man ein Ehebrecher ist. Muss zwingend davon ausgehen.«

Jeder Katholik, der in so einer Situation lebt, darf streng genommen nicht mehr zur Kommunion im Gottesdienst gehen. In keinem Fall aber darf die- oder derjenige für die Kirche arbeiten, zumindest nicht in einer Vorbildfunktion. Etwa als Religionslehrer, Leiterin einer katholischen Kindertagesstätte, Chefarzt im katholischen Krankenhaus oder eben Pastoralreferent im Erzbistum Köln, so sieht es das katholische Arbeitsrecht vor. Dies ist der Moment, wo für die 700000 Angestellten der katholischen Kirche die reine Lehre auf die Lebenswirklichkeit trifft. Peter Otten muss sich, wie viele andere, entscheiden: Lebt er seine Liebe, droht die Kündigung. Will er seinen Job behalten, bleiben nur Trennung, ein Leben in Heimlichkeit oder ein Eheverfahren.

Peter Otten und Elke Rogosky entscheiden sich zunächst für die Heimlichkeit, für das Leben am Rande des gerade noch Tolerierten. Er erzählt seinen Vorgesetzten nichts von seinem neuen Glück. »Es war von Anfang an eine sehr, sehr bedrückende Situation«, berichtet Peter Otten. »Wenn ich sie irgendwohin mitbringe, wird gefragt, also mache ich das nicht. Ich könnte mir natürlich eine Legende ausdenken. Ich könnte sagen, wir sind nur so befreundet … Ob mein Dienstvorgesetzter dann etwas gegen mich unternimmt oder nicht, dafür kann ich ein Gefühl haben, aber ihn offen darauf ansprechen kann ich nicht.«

»Am Anfang«, erzählt Elke Rogosky, »fand ich das nicht so problematisch, denn vor unseren Familien und vor unseren Freunden haben wir es nicht verheimlicht. Das hätte ich nicht hinbekommen.« Aber in den Monaten darauf sei es zunehmend schwieriger für sie geworden, wenn sie gefragt wurden, warum sie in dieser seltsamen Wohnsituation ausharrten. »Das war ein Rumgeeiere.«

Dass ein Eheverfahren die Lösung sein könnte, weiß Peter Otten noch aus dem Theologiestudium. Vorsichtig erzählt er Elke Rogosky davon. Neun Monate nach dem ersten Abend in der Karnevalskneipe erkundigt sie sich beim Kölner Kirchengericht, was ein solcher Prozess genau bedeute. »Die waren sehr nett, und ich habe auch schnell einen Termin bekommen. Ich bin da völlig arglos hingegangen …« »Was mir noch wichtig ist«, Peter Otten unterbricht sie schnell. »Ich wollte Elke in keiner Weise zwingen. Ich habe keinen Druck gemacht. Ich wusste, dass es diese Verfahren gibt, aber ich wusste nicht, was genau dahintersteckt.« Er hält kurz inne. »Ich hatte schon ein blödes Gefühl, als sie von ihrem ersten Beratungsgespräch zurückkam.«

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2. Kapitel»Manche sind nicht einverstanden mit dem, was wir machen«

Ein erster Anruf beim Kirchengericht

Jeder, der sich oder seine Kinder katholisch taufen lässt, bekennt sich auf diese Weise nicht nur zum katholischen Glauben, sondern betritt auch einen neuen Rechtsraum. Für alle Katholiken weltweit gilt ein besonderes Gesetz: das kanonische Recht.

Von Anbeginn versteht sich die katholische Kirche nicht nur als Glaubens-, sondern auch als Rechtsgemeinschaft. Schon Jesus Christus hat diese benannt und bestimmt, es gibt eine Reihe kirchlicher Gesetze, die direkt auf göttliche Anordnung zurückgeführt werden. Die katholische Kirche sieht sich als dem Staat gegenüber gleichwertige, souveräne und autonome Rechtsgemeinschaft mit eigenen Regeln und erhebt den Anspruch auf eine eigene Rechtsprechung. Sie verhandelt bis heute vor ihren eigenen Gerichten kirchliche Straf- und Streitsachen – und eben Eheprozesse.

Die evangelischen Kirchen haben sich mit der Reformation von dieser römisch-katholischen Besonderheit gelöst und seitdem eine eigene Rechtsordnung, die in ihrer Bedeutung für die Gemeinschaft nicht mit der der katholische Kirche vergleichbar ist. Die Protestanten kennen das Eherecht nicht, ein eigenes Strafrecht auch nicht, sie haben hingegen eine eigene Verwaltungs- und Disziplinargerichtsbarkeit. Für etwa 1,3 Millionen kirchliche Arbeitnehmer gilt in Deutschland zudem das besondere kirchliche Arbeitsrecht beider christlichen Kirchen.

Möglich ist all dies durch das im Grundgesetz verankerte Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, das die eigenständige Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten garantiert. Besonders nach den negativen Erfahrungen im Dritten Reich ging man sowohl von staatlicher Seite als auch innerhalb der Kirchen davon aus, dass es für die Religionsfreiheit und die Trennung von Staat und Kirche notwendig ist, unter anderem eine eigene, unabhängige Rechtsordnung zu besitzen. Was das betrifft, dürfen sich die Religionsgemeinschaften sehr umfangreich und ohne staatliche Überprüfung selbst organisieren. Die Kirchen haben das Recht, zu richten und eigene Gesetze zu erlassen, allerdings – innerhalb der Schranken der für alle geltenden staatlichen Gesetze.

So gibt es heute ein lebendiges kirchliches Gerichtswesen in Deutschland. Die 22 katholischen Kirchengerichte beschäftigen Hunderte feste und freie Mitarbeiter, allesamt finanziert aus der Kirchensteuer. Sie werden je nach Diözese Offizialat oder Konsistorium genannt. Den Hauptteil der dort verhandelten Verfahren machen die sogenannten Ehenichtigkeitsprozesse aus.

Die Verfahren selbst sind im kirchlichen Gesetzbuch geregelt, dem Codex Iuris Canonici, dem Codex des kanonischen Rechts, einem schmalen Werk, nicht mehr als drei, vier Zentimeter dick. Die Kirchengesetze wurden erstmals im Mittelalter zusammengestellt. Aus diesen Sammlungen entwickelten sich schließlich die kirchlichen Gesetzbücher. Der erste Codex wurde 1917 erlassen, die heute geltende Fassung ist im Jahr 1983 in Kraft gesetzt worden. Ein Schwerpunkt katholischer Gesetzgebung ist das Eherecht, das für alle Kirchengerichte der Welt gilt.

Bis zur Zeit der Aufklärung gab es im christlichen Europa überhaupt kein weltliches, sondern allein das kirchliche Eherecht. Geheiratet wurde ausschließlich am Altar. Doch 1875 wurde die kirchliche Eheschließung in Deutschland für rechtlich unerheblich erklärt und allein die Zivilehe für rechtlich bindend bestimmt, sie sollte allen Menschen Glaubensfreiheit ermöglichen. Seitdem ist das kirchliche Eherecht für die Allgemeinheit unwirksam. Die katholische Kirche akzeptiert das bis heute nicht. Für sie ist der kirchliche Ehevertrag immer noch der Zeitpunkt der eigentlichen Eheschließung, eine Ehe ist erst mit der kirchlichen Trauung gültig. Die zivile Trauung hat innerkirchlich keinerlei Bedeutung. Streng genommen sprechen sich Kirche und Staat gegenseitig die Gültigkeit ihrer Eheschließungen ab.

Vor diesem Hintergrund erhebt die katholische Kirche bis heute den Anspruch, zu bestimmen, was eine Ehe genau ist und unter welchen Umständen sie als gültig geschlossen gilt. Keinesfalls soll das Missverständnis entstehen, so heißt es direkt zu Beginn der päpstlichen Instruktion Dignitas Connubii von 2005, die den Mitarbeitern der Kirchengerichte eine Hilfestellung bei der Anwendung des Eherechts geben soll, »dass Ehe und Familie (…) etwas Privates sind, was ein jeder nach seinem eigenen Gutdünken gestalten könnte«.

Nach katholischem Kirchenrecht kann eine einmal gültig geschlossene und geschlechtlich vollzogene Ehe unter Getauften durch keine menschliche Macht jemals wieder aufgelöst werden. Die katholische Kirche erkennt die weltliche Scheidung nicht an. Nach ihrem Verständnis kann eine solche Ehe nicht getrennt werden, es sei denn – und hier kommen die Kirchengerichte in Spiel –, sie war überhaupt niemals gültig. Die Überprüfung der Gültigkeit einer Eheschließung ist die einzige Möglichkeit, der einzige Kniff, wenn man so will, eine katholische Ehe zu beenden, indem sie schlicht als nie gewesen umdefiniert wird. Dazu müssen in einem aufwendigen Prozess die Umstände untersucht werden, unter denen die Eheschließung stattgefunden hat, auch wenn diese vielleicht schon Jahrzehnte zurückliegt.

 

Theorie trifft auf Praxis, sobald Betroffene, wie Elke Rogosky, zum ersten Mal die Nummer des für sie zuständigen, meist ortsnahen Kirchengerichts wählen. Wie läuft ein erstes Beratungsgespräch am Kirchengericht ab? Ein Anruf bei einem Offizialat irgendwo in Deutschland soll darüber Aufschluss geben. Der Herr von der Beratungsnummer, ein Kirchenrechtler, möchte gern behilflich sein, aber seinen Namen öffentlich nennen? Nein, das möchte er lieber nicht.

Es sei im Grunde ganz leicht, sagt er. Als Erstes müsse der Kläger, der gegen die Gültigkeit seiner Ehe klagt, einen Klageantrag schreiben. Nein, nicht kompliziert. Zwei Seiten. Da schicke er immer gern ein Musterexemplar. Man müsse dann angeben, weshalb man meine, dass die Ehe nicht gültig zustande gekommen sei. Damit kein Missverständnis aufkomme: Es gehe nicht um die Auflösung einer Ehe, sondern allein um die Feststellung, dass sie nie gültig geschlossen wurde. Und dann sagt er einen Satz, der aufhorchen lässt: »Für Probleme, die in der Ehe entstehen, hat die Kirche keine Umgangsform.« Für die katholische Kirche seien nur die Umstände vor und bei der Eheschließung relevant. Da gebe es ein Dutzend Gründe. Ein Beispiel? Ausschluss von Nachkommenschaft! Wenn man keine Kinder gewollt habe. Oder: wenn man nie fähig gewesen sei, treu zu leben. Er empfehle ein persönliches Gespräch im Offizialat. Auch wegen der Beweisangebote, für die man ja selbst zuständig sei. Die Zeugen, die man beibringe, seien von entscheidender Bedeutung. Es gebe Zeugen, die zur Sache, und Zeugen, die zur eigenen Glaubwürdigkeit aussagen könnten. Im Idealfall habe man weitere Beweise. Alles, was es schriftlich gebe, sei gut. Man solle sich keine Sorgen machen. Alle Mitarbeiter des Gerichts wüssten, wie schwierig es sei, die katholische Lehre zu akzeptieren. »Manche sind nicht einverstanden mit dem, was wir machen. Aber wir sind alle nur dafür da, mit den Mitteln zu helfen, die das System bietet. Sicher gibt es Grenzen, aber man kann schon einiges machen. Am Ende wollen wir ja einen kirchlichen Neuanfang erreichen. Gemeinsam.«

Als Elke Rogosky das erste Mal beim Kölner Kirchengericht anruft, hat sie folgendes Anliegen: Sie will ihre Beziehung zu Peter Otten, Mitarbeiter der katholischen Kirche, »legalisieren«, indem sie ihre frühere Ehe für ungültig erklären lässt. Bizarr dabei: Elke Rogosky war niemals katholisch verheiratet. Sie wurde 1989 im Ruhrgebiet in einer evangelischen Kirche evangelisch getraut. Allerdings war ihr Exmann katholisch, die katholische Kirche hat dieser Verbindung offiziell zugestimmt, einen Dispens ausgestellt. Und so muss auch Elke Rogosky vors katholische Kirchengericht. Wird ihre erste Ehe dort für nichtig erklärt, dann können sie und Peter Otten legal und kirchlich heiraten. Nur so entspricht sein Privatleben den Anforderungen, die das Arbeitsrecht der katholischen Kirche an ihn stellt, nur ein erfolgreiches Ehenichtigkeitsverfahren kann seine Lebenssituation so klären, dass er innerhalb der Kirche weiterbeschäftigt werden kann. Er darf keine uneheliche Beziehung führen, muss gültig verheiratet sein. Genau deshalb will Elke Rogosky dieses Verfahren führen.

»Ich bin schon ausgestiegen, als man mir damals sagte: ›Sie brauchen Zeugen.‹« Zeugen, die Dinge bestätigen könnten, die vor zwanzig, dreißig Jahren stattgefunden haben. »Da ist mir die ganze Dimension klar geworden, da habe ich begriffen, was so ein Verfahren überhaupt bedeutet.« Es habe ihr Angst gemacht, sagt Elke Rogosky. Sie habe Freunde und Familie nicht in einen Gerichtsprozess hineinziehen wollen. Denn das sei es ja. »Das alles wird wie ein Verfahren gehandhabt, wie ein anachronistisches Rechtsverfahren. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, als würde ich in ein Paralleluniversum einsteigen. Schon die Wortwahl ist so skurril: ›Zeugeneinvernahme‹, ›Beweisaufnahme‹ – und das in der Kirche!«

Sie sei aber doch zu dem persönlichen Beratungsgespräch ins Bistum gefahren. Eine freundliche Dame habe ihr sehr geduldig zugehört und ihre Lebensgeschichte protokolliert. »Ich musste an diesem ersten Termin schon viel erzählen«, berichtet Elke Rogosky. In dem Gespräch sei schnell ersichtlich geworden, was in ihrem Fall ein möglicher Klagegrund gegen die Gültigkeit ihrer Ehe sein könnte. »Ich habe erwähnt, dass ich mir mit 22 Jahren, zum Zeitpunkt meiner Eheschließung, aus beruflichen Gründen keine Kinder vorstellen konnte. Dass ich künstlich verhütet habe.« Ja, das könnte etwas sein, habe die Dame gesagt. Elke Rogosky schaut ernst. »Das müsse ich, das müssten andere dann belegen, dass ich 1989 in dieser Überzeugung die Ehe geschlossen habe. Schon während des Termins habe ich mich die ganze Zeit gefragt: Wer um Himmels willen kann das denn bezeugen außer meinem Exmann? Mit wem spricht man überhaupt über so etwas?«

Die Dame habe ihr deutlich gemacht, dass es sinnlos sei, in den Verfahren etwas zu konstruieren oder zu lügen. »Sie seien alle erfahrene Vernehmungsrichter und würden das merken, hat sie gesagt. Und das erschien mir auch plausibel. Das würde ich eh von keinem Zeugen verlangen beziehungsweise keinem Zeugen zumuten. Dann habe ich überlegt: Mein Vater ist tot, meine Mutter dement. Zu meiner Freundin von damals habe ich keinen Kontakt mehr. Und meinen Exmann will ich damit nicht belämmern.« Peter Otten fasst zusammen: »Du warst schon enttäuscht.« »Für mich waren die Hürden zu hoch«, fährt Elke Rogosky fort. »Die Klage selbst zu begründen, wäre kein Problem gewesen, aber ich wusste nicht: Wie soll ich es beweisen? Und dann habe ich es verworfen, weil ich auch noch eine andere Hoffnung hatte: dass Peter den Kirchendienst verlässt.«

Peter Otten denkt lange nach, bevor er etwas dazu sagt. »Ich habe das nicht gemacht, aus ganz vielen Gründen. Zum einen: Ich war damals bei der KJG, dem Jugendverband der katholischen Kirche, und ich bewundere jeden, der sich in meiner Situation selbstständig macht, die Kirche verlässt, als Trainer oder Supervisor oder Journalist arbeitet. Da gehört wahnsinnig viel Mut dazu, aber ich hatte einfach Sorge, mit diesem Schritt meine gesamte Existenz aufs Spiel zu setzen.« Auch einige seiner engsten Freunde hätten nicht verstanden, dass er nicht gekündigt habe, aber er habe sich einfach nicht getraut, und natürlich hänge er auch an dem Beruf. »Das erste Jahr war mittelmäßig, aber dann kamen acht Jahre mit Franz Meurer, und das war einfach Wahnsinn.«

Franz Meurer ist einer der wenigen Pfarrer in Deutschland, von dessen Gemeindearbeit bundesweit zu hören ist. In den Kölner Stadtteilen Höhenberg und Vingst, wo fast jeder Vierte arbeitslos ist, organisiert er zum Beispiel alljährlich erfolgreich Ferienfreizeiten für über 500 Kinder. Auf einem Freigelände steht dann eine Zeltstadt: das HöVi-Land. Mit Gruppenzelten für die Kinder, dem Traktor der Vingster Karnevalsgesellschaft samt Anhänger als Transportmittel, mit einer Küche, in der drei Mahlzeiten pro Tag für über 600 Personen zubereitet werden können, mit einem Café, einer Bühne, einem Spiel- und einem Ausstellungszelt, unzähligen Workshops und mit dem »HöVi-Dom«, einer rückbaubaren Zeltkirche, dem Zentrum der Ferienmetropole. Unter dem Motto »Ökumene ist doppelt so gut und halb so teuer« hat der Pfarrer auch die evangelische Gemeinde mit im Boot. Wenn nicht hier, wo sonst? heißt das Buch, in dem er und Peter Otten ihr Verständnis von Kirche beschrieben haben. Mal motiviert Franz Meurer seine Gemeindemitglieder, die Umgebung mit tausend selbst bepflanzten Blumenbeeten zu verschönern, dann wieder sammelt er in der Sonntagsmesse Geld für den Bau der Kölner Großmoschee. Oder er zieht los und entfernt im Viertel Wahlplakate von Rechtsextremen. Zweimal musste er deshalb schon vor Gericht erscheinen.

Peter Otten lächelt. »Das ist eine Dimension von Seelsorge, die ich vorher nicht für möglich gehalten habe. Dass man nicht nur redet, sondern handelt: Jugendlichen ein Praktikum besorgt, Förderschüler gemeinsam mit Arzttöchtern einen Workshop leiten lässt, also alles, wo die Gesellschaft sagt: Das funktioniert doch nicht! Das funktionierte da auf einmal.« Jeder Tag sei anders gewesen, jedes Jahr hätten sich mehr Kinder angemeldet. »Aus ganz Deutschland kommen Leute, um sich unsere Projekte anzugucken, die Gottesdienste sind voll. Die Leute sagen nicht: ›Das ist der Idiot von der Kirche‹, sondern man wird auf Augenhöhe wahrgenommen. Das ist Arbeit mit so viel Freude, Befriedigung, Selbstbestimmung, Wertschätzung und auch Erfolg.« Er wollte das alles nicht aufgeben. »Peter ist auch mit der Kirche verheiratet«, sagt Elke Rogosky leise.

Vier ganze Jahre dauert die Zeit des Abwägens, in der das Paar viele Tage in Elke Rogoskys Zweizimmerwohnung verbringt. »Mir wurde immer klarer«, erzählt Elke Rogosky, »es ist eine ausweglose Situation. Peter hat seine Wurzeln in der Kirche und wird seine Existenz da nicht aufgeben. Wir würden nie offiziell in einer Wohnung zusammenleben können. Selbst wenn wir es versucht hätten, wir hätten immer damit rechnen müssen, dass uns jemand denunziert. Zumindest ist die Angst im Hintergrund da, und mit diesem Gefühl lebt es sich nicht so toll.«

Und so kommt er eines Tages doch, der Punkt, an dem Elke Rogosky sich entscheidet, es mit einem Eheprozess vor dem Kirchengericht zu versuchen.

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3. Kapitel»Wir führen sehr intensive Gespräche«

Eine Kirchenrichterin erzählt

Dass es in Deutschland Kirchengerichte gibt, ist kein Geheimnis. Längst drucken die Offizialate Flyer, Broschüren, beschäftigen Onlineagenturen, die die Internetseiten pflegen. In jedem Bistum gibt es die Möglichkeit zur kostenlosen Beratung. Wer danach sucht, findet Informationen. Aber um die Prozesse ist es still. Selten liest man darüber, kaum ein Kläger erzählt davon. Das ist kein Zufall. Alle Beteiligten sind zur Geheimhaltung verpflichtet, die Mitarbeiter unterliegen einer Schweigepflicht. Niemand soll über die Verfahren sprechen.

Kirchenjuristisch dient dies erst einmal nur dazu, dass die Prozessbeteiligten sich im laufenden Verfahren nicht gegenseitig beeinflussen. Außerdem gilt die Geheimhaltung dem Schutz der Privat- und Intimsphäre, denn schließlich werden in den Prozessen sehr persönliche Dinge aus dem Beziehungsleben thematisiert. Vertrauensschutz und Diskretion – so weit, so verständlich. Allerdings fragt man sich, warum die Beteiligten auch über den Prozess hinaus angehalten werden, die Details ihres Verfahrens für sich zu behalten.

In einem Ratgeber des Bistums Münster heißt es dazu: »In der Regel werden die Parteien selber daran interessiert sein, dass ihre Privatsphäre gewahrt bleibt, und auch selber auf die Zeugen einwirken, Verschwiegenheit im Freundes- und Verwandtenkreis zu wahren (…)« Man könne allerdings mitunter schwer verhindern, dass die Nachbarschaft oder Verwandtschaft von dem Verfahren erfahre. »Das Offizialat selber und seine Mitarbeiter werden die Verfahren nicht an die Öffentlichkeit bringen.« Warum schon die Information problematisch zu sein scheint, dass überhaupt ein Verfahren geführt wird, wird nicht erläutert.

Klar ist damit zunächst nur eins: Die Verfahren behandeln genau das Thema, das die katholische Kirche auch in Deutschland zurzeit schwer auf die Probe stellt. Es geht um die katholische Vorstellung von Liebe, Sex und Partnerschaft. Um den Umgang mit wieder verheirateten Geschiedenen. Und damit um eine Frage, die in den vergangenen Jahren wie zum Symbol für die Reformbereitschaft der katholischen Kirche geworden ist.

 

Kirchenrichterin Cäcilia Giebermann zieht vorsichtig die Spitze ihres rosafarbenen Blusenkragens unter dem schwarzen Jacket hervor. Sie hat ihre dunkelbraunen Haare zu einem festen Knoten gebunden, die beiden obersten Knöpfe ihrer auf Kante gebügelten Bluse trägt sie offen, die Perlenkette fällt kaum auf. Sie sitzt aufrecht an einem Tisch im Vernehmungsraum, dort, wo sie sonst den Klägern zuhört. Kaffee gebe es immer, sagt sie. Frische Blumen auch. Cäcilia Giebermann schaut sich an ihrem Arbeitsplatz um: ein Tisch, drei Stühle, ein Computer fürs Protokoll, ein Kreuz mit Palmzweig, das Kirchengesetz im Regal, nicht dicker als ein Gesangbuch. Ihre Handkanten liegen gerade auf dem Resopaltisch auf, als säße sie bei einem vornehmen Essen. Sie ist keine Frau ausladender Gesten, aber sie lächelt viel, die dunkeln Augen strahlen. Angst muss hier niemand haben, das sendet sie aus. Sie will erklären und berichten, was es heißt, Kirchenrichterin am größten deutschen Kirchengericht zu sein.

Das Kölner Kirchengericht liegt unweit des Doms, etwas zurückgelegen zwischen der Industrie- und Handelskammer und dem Diözesanarchiv, im selben Haus wie das Priesterseminar. Der kirchliche Nachwuchs geht hier im großzügigen Park spazieren. Die hohe Mauer lässt keine Blicke von außen zu, roter Backstein, eher Finanzamt denn Gericht. Auch kein holzvertäfelter Saal mit Richterbank: Das Kirchengericht ist ein langer Flur, am Ende ein Bücherregal, ein Kopierer, in den abgehenden, schmalen Büros überprüfen 22 hauptberufliche und 26 ehrenamtliche und nebenberufliche Mitarbeiter im Wechseldienst katholische Ehen auf ihre Gültigkeit. Allein am Kölner Kirchengericht arbeiten neben Cäcilia Giebermann sieben hauptberufliche und 21 nebenamtliche Kirchenrichter. Hinzu kommen weitere Vernehmungsrichter, die für die Beweisaufnahme zuständig sind. Sie befragen die Zeugen, nicht nur vor Gericht, sondern gegebenenfalls auch bei den Betroffenen zu Hause. Von 14000 Prozessen liegen bereits die Akten im Archiv.

Richterin Cäcilia Giebermann hat sich auf dieses Treffen vorbereitet, besser: Sie wurde auf dieses Treffen vorbereitet. Acht Monate hat es von der ersten Bitte um ein Interview mit einem Verantwortlichen des Kölner Kirchengerichts, das auch gefilmt werden soll, bis zu diesem Termin gedauert. Nun ist es so weit. Allerdings gibt es eine Einschränkung: Zehn Minuten maximal soll das Gespräch dauern. Der Einwand, dass man so nicht in die Tiefe gehen könne, prallt ab, man will kein Risiko eingehen, so scheint es. Dafür spricht auch die Tatsache, dass Cäcilia Giebermann bei dem Gespräch nicht allein ist, eine Pressereferentin des Bistums bleibt die ganze Zeit an ihrer Seite. Bereit, auf die Uhr zu achten und bei kritischen Fragen zu unterbrechen. Inhaltlich bitte auch nicht nach allem fragen: Cäcilia Giebermann wird auf keinen konkreten Fall eingehen. Keine Klarnamen von Paaren, nur allgemeine Fragen bitte.

Cäcilia Giebermann ist keine Frau, die sich aus der Ruhe bringen lässt. Sie spricht sehr bedacht, wählt ihre Worte sorgfältig. Ihre Betonungen lassen alles, was sie sagt, wie eine sonntägliche Lesung klingen. Wie kommt man zu diesem Beruf? Sie stamme aus einer katholischen Familie, schon ihr Großonkel sei Pfarrer gewesen, er solle demnächst seliggesprochen werden, das Verfahren laufe noch.

Eigentlich ist Cäcilia Giebermann Ärztin. Doch zusätzlich studierte die gläubige Katholikin und Mutter von fünf Kindern Kirchenrecht. »In beiden Berufen geht es um den Menschen. Als Ärztin habe ich gelernt, den Menschen zuzuhören, mich einzufühlen. Mir hilft die Verbindung aus meinen beiden Fächern hier sehr.« Seit fast 20 Jahren arbeitet sie am Kirchengericht in Köln, inzwischen hauptberuflich. Es gibt genug zu tun.