Roberts Restaurant - Andreas Tietjen - E-Book

Roberts Restaurant E-Book

Andreas Tietjen

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Beschreibung

Das Restaurant des deutschen Auswanderers Robert Fendrich wird in der thailändischen Kleinstadt Sisaket zum Anlaufpunkt der in der Umgebung ansässigen Ausländer. Durch die thailändischen Gesetze zur Untätigkeit gezwungen und mit kaum überwindbaren sprachlichen und kulturellen Verständigungsproblemen konfrontiert, bilden sie in der Fremde eine fragile Schicksalsgemeinschaft. Die unterschiedlichen Geschichten dieser »Expats« zeigen dem Leser die Integrationsprobleme von Auswanderern, die ihren Alltag in einem vermeintlichen Paradies fristen. Die Spanne der Erlebnisse reicht vom langsamen Abstieg des Schweizer Bahnpensionärs Walter in den Alkoholismus, über die Ausflüge des melancholischen Mopedfans Ruud, bis zur lustig-absurden Odyssee des Japaners Kiyoshi. Dem Leser wird humorvoll und spannend ein Blick hinter die Fassaden eines faszinierenden Landes gewährt, von welchem die meisten Urlauber nur die schönen Strände kennen lernen.

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Inhaltsverzeichnis

Abschied vom Arbeitsleben

Zurück Daheim

Hochzeit, Zweisamkeit und Heimweh

Ein Koch auf Reisen

Kentucky Fried Chicken

Loi Krathong

Touristen

Farang undThailänder

Annette Schenck

Ruud

Der Japaner

Annette kehrt zurück

Bangkok

Letztes Kapitel

Anmerkungen

Landkarte von Thailand (Action Map

)

Abschiedvom Arbeitsleben

Walter war schon seit ein paar Jahren Witwer, und nun hatte er seinen letzten Arbeitstage als Beamter der Schweizerischen Bundesbahn vor sich. Nach vielen, vielen Jahren der Einförmigkeit und der langsamen Bewegungen, mischte sich in die Vorfreude auf seinen Ruhestand ein kaum merklicher Drang nach Aktivität und Abwechselung. Ja vielleicht war es sogar ein Hauch von Abenteuerlust. Diese Vorfreude, die hauptsächlich darin begründet lag, dass er seinen seit vielen Jahren gehassten Arbeitskollegen bald nicht mehr umständlich aus dem Weg gehen müsse, wurde von Tag zu Tag stärker. Als der große Moment seiner Verabschiedung kam, lag auf seinem Antlitz das Mona-Lisa-Lächeln eines Wissenden, der seine Salbung großzügig über sich ergehen ließ, um den Anwesenden nicht die Freude zu verderben. Und anstatt die bei solchen Anlässen übliche und von allen Kollegen erwartete Dankesrede, mit den allseits bekannten Floskeln und Komplimenten, in den Abschiedsapplaus einzublenden, kam ein kurzes Danke aus seinem Mund. Ein kurzes, kaum vernehmbares ›Danke‹, sonst nichts!

Die goldene Uhr, das Abschiedsgeschenk der Abteilungsleitung, in der einen Hand, das einfallslose Präsent der Abteilungs-Kollegen, nämlich die Anfängerpackung einer elektrischen Modelleisenbahn unter dem anderen Arm, so stand er da. Er lächelte noch einmal in die Runde und verschwand. Er ließ seine verdutzten Kollegen mit ihren Sektgläsern und Schnittchen im Großraumbüro stehen und fuhr mit dem Bus auf direktem Weg zu seiner Zweizimmerwohnung, die sich im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses befand. Sein Koffer stand bereits gepackt vor der Garderobe. Er duschte ausgiebig, schlüpfte in die vorsorglich bereitgelegte Kleidung, überlegte noch, ob er die goldene Uhr anlegen sollte oder besser doch seine uralte, zuverlässige Eisenbahner Uhr. Die Goldene sollte es sein – er hatte ja beschlossen, sich ab sofort alles zu gönnen! Routinemäßig, aber gewissenhaft, schloss er den Gashahn, knipste alle Sicherungen aus, bis auf die eine, die den mit wenigen, nicht angebrochenen, Lebensmitteln gefüllten Kühlschrank versorgte. Er überprüfte noch einmal, ob alle Fenster sowie die Schubladen der Möbel geschlossen waren. Ein letzter kritischer Blick in die Runde, und ein selbstzufriedener Walter verließ seine Wohnung und fuhr mit dem Bus direkt zum Flughafen Zürich-Kloten.

Wie ging es doch vornehm zu bei den Fliegern! Jeder Passagier wurde eingecheckt und sein Gepäck wurde einzeln gewogen, durchleuchtet, mit einem langen Aufkleber versehen und von einem jungen Mann auf ein Förderband gehievt, um dann in einem Tunnellabyrinth zu verschwinden. Im Flugzeug bekam jeder Fluggast ein Päckchen überreicht, in dem sich diverse Toilettenartikel, Erfrischungstücher, eine Schlafbrille, ja sogar Stoffpantoffeln befanden. Es gab einen Begrüßungsdrink wie in einem noblen Hotel, Decken und Kopfkissen. Walter musterte alles detailgenau, er roch sogar an der Mini-Zahnpastatube. Sein Sitznachbar wiederum musterte Walter, allerdings mit einem etwas verächtlichen Gesichtsausdruck.

»Wohin fliegen Sie?«, fragte ihn Walter, noch immer von einer gewissen Aufgeregtheit befangen.

Der etwa vierzigjährige, etwas untersetzte Mann neben ihm, der schon vor dem Abheben der Maschine nur noch T-Shirt und Jogginghose anhatte, antwortete:

»Eigentlich nach Kuba, aber wenn ich unterwegs ein schönes Plätzchen entdecke, steige ich schon vorher aus!«

»Nach Kuba?!«

Walter wurde nervös und suchte nach seiner Bordkarte.

»Wir fliegen doch nach Bangkok!«

»Ach wirklich?«, spottete der Nachbar, dann signalisierte er durch das Aufsetzen seiner Schlafbrille, dass er an einer weiteren Konversation nicht mehr interessiert war.

Ein letztes Mal klappte er diese jedoch noch hoch, nämlich als Walter tatsächlich die Stewardess fragte, ob sie wirklich nach Bangkok flögen und nicht nach Kuba. Von diesem Moment an empfand Walter die Fliegerei nicht mehr als vornehm und Passagiere, wie auch Besatzung, als arrogante Schnösel, die mit der Tradition und dem gediegenen Komfort der Schweizerischen Bundesbahn nicht im Entferntesten mithalten konnten.

*

Bangkok war sehr, sehr heiß! Walter kam gar nicht mit dem Abtupfen seiner schweißnassen Stirn hinterher. Er war einfach schnurstracks an der Menge rufender und gestikulierender Taxifahrer vorbeigegangen, um draußen im Freien etwas frische Luft zu schnappen. Aber draußen war es erst recht heiß, und die Luft war alles andere als frisch. Also kehrte Walter mit dem Koffer in der Hand um und ging ziellos zu der wartenden Menge zurück. Als er dann eine Weile irritiert umhergeblickt hatte, kam eine freundliche, winzig kleine Thailänderin mit einem Schild in der Hand auf ihn zu und fragte:

»Are you mistää Simmeler?«

»Zimmerer«, antwortete Walter, »das muss Zimmerer heißen!«

Die Frau sah ihn verständnislos an.

»Ja, äh, Jess! Zimmerer«, versuchte es Walter erneut und beinahe hätte er der Frau seinen Koffer zum Tragen in die Hand gedrückt, konnte den Reflex jedoch gerade noch unterbinden.

Die Frau geleitete Walter aus dem Flughafengebäude heraus zu einem wartenden Toyota Kleinbus, der die ganze Zeit über mit laufendem Motor dastand, damit die Klimaanlage durch die weit geöffnete Schiebetür, die Stadt etwas herunterkühlen konnte. Als weitere fünf Männer zugestiegen waren, kletterte die junge Frau auf den Beifahrersitz und der Fahrer fuhr los. Die Thailänderin drehte sich zu den Fahrgästen um und hielt eine kurze Ansprache, von der Walter kein Wort begriff. Walter konnte kein Englisch verstehen, geschweige denn sprechen. Also wandte er seinen Blick von der hübschen Begleiterin ab und betrachtete die Gegend, durch die sie fuhren. Was er da zu sehen bekam, verlangte ihm doch eine gewisse Ehrfurcht ab. Er hatte in dem kleinen Reisebüro in Zürich, wo er seine Reise gebucht hatte, wunderschöne Bilder von traumhaften, einsamen Stränden und paradiesischen Hotel- und Bungalowanlagen gesehen. Aber dies hier war wie Amerika. Schlimmer als Amerika! Ein Hochhäuser-Meer, soweit das Auge blicken konnte und Autos, die in mehreren Etagen übereinander fuhren. Ihm wurde fast schwindelig, als der Fahrer mit einem atemberaubenden Tempo durch den dichten Verkehr raste. Etwas besser wurde es erst, als sie die Großstadt verlassen hatten und es auf der Hochstraße, die sie hier Tollway nannten, etwas ruhiger wurde.

Nun endlich übermannte Walter die Müdigkeit und er schlief ein. Als der Kleinbus schließlich ruckend zum Stehen kam, wachte er erschrocken auf. Sie befanden sich nun vor dem Eingangsportal eines riesigen Gebäudes, aus dem eilig ein paar Hotelpagen angerannt kamen, um die Neuankömmlinge und deren Gepäck in Empfang zu nehmen. Auch hier hatte Walter ein völlig anderes Bild vor Augen gehabt. Nun ja, auch nächtliche Dunkelheit war im Reisekatalog nicht abgebildet worden, deren Existenz konnte Walter jedoch widerspruchslos hinnehmen.

Walter gewöhnte sich schnell an den Komfort, aber auch an die Unzulänglichkeiten des Hotels. Schließlich hatte er ja Urlaub. Es war die erste Urlaubsreise seit seiner Hochzeit! Er hatte sein ganzes Leben lang auf seinen Ruhestand hin gespart. Er war das erste Mitglied seiner gesamten Familie, das überhaupt so etwas wie einen Ruhestand genießen konnte! Dieser Umstand war ihm sehr bewusst, und diese Tatsache sollte seine weiteren Aktivitäten bestimmen.

Der erste Tag in Pattaya begann für Walter mit einem ausgiebigen Frühstück. Das Hotel wurde von einem Schweizer geleitet, und so fanden sich auf der Speisekarte allerlei schweizer Spezialitäten, zu denen natürlich auch ein klassisches Birchermüesli gehörte.

Etwas enttäuschend war für Walter dann allerdings der Strand. Um dorthin zu gelangen, musste er zwei Häuserblocks und zwei verkehrsreiche Straßen hinter sich bringen. Der Strand war nur ein dünner, verschmutzter Streifen, der zudem von allen möglichen Typen bevölkert war, die nun wirklich nicht zu der Gesellschaftsschicht gehörten, der sich Walter zugehörig, oder mit der er sich zumindest verbunden fühlte. Es ging laut und unkultiviert zu. Der Wind blies viel zu stark, als dass man sich hätte auf einem der Miet-Liegestühle erholen können. Die Sonne brannte viel zu heiß und es kamen andauernd Händler an den Rastplatz, die ihm alle möglichen unnützen Dinge zum Kauf anboten. Nach zwei quälenden Stunden gab Walter auf. Er kleidete sich genervt an, packte seine Strandtasche und ging zurück ins Hotel, um sich den Schmutz und den Schweiß vom Leibe zu duschen.

Danach beschloss er, einen Spaziergang durch die Stadt zu machen, um einen Eindruck von seinem Feriendomizil zu bekommen. Nach wenigen hundert Metern kam er an eine erste Bar, die bereits um diese Mittagszeit geöffnet, und die bereits so früh am Tag ganz ordentlich besucht war. Durst hatte er eigentlich schon, aber die Männer, die am Tresen der zur Straße hin offenen Bar saßen und junge, halb nackte Thailänderinnen betatschten, schreckte ihn doch zu sehr ab.

Es folgte eine zweite Bar, in der jedoch noch alle Stühle an die Seite gerückt waren, und um die herum eine Putzfrau den scheckigen Fußboden wischte. Die dritte Bar, nur weitere zehn Meter entfernt, war hingegen bereits geöffnet. Hier saßen nur zwei Europäer, die sich angeregt miteinander unterhielten. Nun ja, und das Barmädel forderte ihn so nett und unaufdringlich auf, sich an die Bar zu setzen, dass er nach kurzem Zögern seine Schüchternheit überwand. Mit hochrotem Kopf, wegen seiner Aufgeregtheit, bestellte sich Walter ein Bier. Und jetzt, wo er schon einmal so dasaß, musste er feststellen, dass es doch ganz angenehm war, hier im Schatten zu sitzen, der Musik zu lauschen und sich von dem freundlichen, hübschen Mädel bedienen zu lassen. Es passierte auch weiter nichts. Nicht, dass er von halb nackten, jugendlichen Frauen bedrängt oder genötigt wurde, wie er es verschiedentlich über thailändische Urlaubsorte gehört und gelesen hatte. Nein, er saß einfach so da, wurde gelegentlich von der jungen Frau am Tresen angelächelt, welche ansonsten damit beschäftigt war, Gläser zu putzen, den Kühlschrank aufzufüllen und die Unordnung der vergangenen Nacht zu beseitigen. Doch, Walter fühlte sich zum ersten Mal so, wie er sich seinen ersten Urlaub im Ruhestand vorgestellt hatte. Er verbrachte geschlagene drei Stunden in der Bar. Er trank fünf Flaschen thailändisches Bier, das im Übrigen gar nicht so schlecht schmeckte. Dass er langsam etwas beschwipst wurde, merkte er nicht. Dafür fiel ihm die Konversation mit den nach und nach eintreffenden Barmädels zunehmend leichter. Man brauchte gar keine Englischkenntnisse zu besitzen, um sich verständlich zu machen!

Hätte sich nicht langsam ein stärker werdendes Hungergefühl bemerkbar gemacht und hätte er nicht allmählich ein schlechtes Gewissen bekommen, dass er gleich am ersten Tag seines Urlaubs und dazu noch am hellen Tag, in einer Bar versackte, dann wäre er bestimmt einfach dort hocken geblieben. Aber so gab er sich einen Ruck, bestellte die Rechnung und war erstaunt, wie preiswert seine Zecherei war.

Mit einem freundlichen:

»See you later, Walter!«, entließ man ihn in die sengende Nachmittagssonne. Diese versetzte seinem Gleichgewichtssinn erst einmal einen gehörigen Schlag. Mit Mühe erreichte er das Schnitzelstübchen, welches sich einen Block weiter auf der gleichen Straßenseite befand. Ohne groß zu überlegen, ging Walter dort hinein und atmete die kühle Klimaanlagenluft tief ein.

Erfreut stellte er fest, dass die Speisekarte, die ihm eine unfreundliche, ältere Frau kommentarlos auf den Tisch gelegt hatte, unter anderem auch auf Deutsch verfasst war. Ebenso erleichtert war er, dass ausschließlich Speisen angeboten wurden, die er allesamt von zu Hause kannte. Und noch erleichterter darüber, dass sein Schweineschnitzel mit Pommes frites auch genau so schmeckte wie in der Schweiz.

Die drei besoffenen, grölenden und pöbelnden Engländer an der gegenüberliegenden Seite des Restaurants störten ihn erstaunlich wenig. Ebenso die vier Deutschen, die in Unterhemden und Adidas-Shorts am Nachbartisch saßen und über das Essen und alles andere nörgelten. Aber nörgeln Deutsche nicht so wieso ständig?

Die Essensportion war riesig und Walter erholte sich von seinem Schwips. Er bezahlte und beschloss ins Hotel zurückzugehen, um sich ein wenig auszuruhen und dann frisch geduscht den Abend zu beginnen.

Als er das Restaurant verließ, war die Dämmerung schon hereingebrochen und so beleuchtet sah die ganze Straße wie eine riesige Kirmes aus. Auch waren um diese Zeit bereits unzählige Menschen unterwegs. Die Bars waren gut besucht und aus jedem dieser Etablissements heraus wurde er mit lautem Hallo begrüßt. Bald blieb es nicht mehr beim Begrüßen. Die Mädels kamen heraus auf die Straße gelaufen, packten ihn am Arm und versuchten ihn mit Schmeicheleien, Komplimenten und sanftem Nachdruck in ihre Etablissements zu bewegen. Durst hätte er wohl schon gehabt, doch so lustig das alles auch erschien, Walter war noch nicht gelöst genug, um sich einfach so mitreißen zulassen.

So passierte er Bar um Bar und ließ sich nicht erweichen, bis er an seine Bar kam. Hier wurde er wie ein alter Freund begrüßt und hier war er ja irgendwie auch schon Stammgast nach seinen fünf Flaschen Bier am frühen Nachmittag. Fröhlich ließ er sich an seinen Stammplatz führen und bestellte sogleich eines dieser leckeren Singha-Biere für sich und zwei Lady-Drinks für die beiden Mädchen, die ihn so lieb eingefangen hatten.

Ach was war das für ein netter, lustiger Abend! Walter fühlte sich wie ein Teenager! Eigentlich lachten sie alle drei fast die ganze Zeit über nur. Walter konnte wirklich kein Englisch. Aber weiß der Teufel wie, sie konnten sich verständigen. Es war wirklich lustig undamüsant!

Walter vertrug nicht besonders viel Alkohol. Nicht, dass er dann ausfallend oder unangenehm wurde. Er wurde nach ein paar Bierchen nur einfach müde und schlief dann, oft schon im Sitzen ein. Heute jedoch war das ganz anders. Je mehr er trank, desto lustiger wurde er! Und nicht nur das! Ihm fielen immer mehr von den englischen Vokabeln ein, die er im Laufe seines Lebens aufgeschnappt und achtlos von einem Ohr zum anderen weiter gereicht hatte. Und die beiden süßen Mädchen kümmerten sich liebevoll um ihn. Später ging eine von ihnen weg, um sich zu einem Bekannten, wahrscheinlich sogar einem guten Freund, an den Tisch zu setzen. Aber die andere, sie hieß Thip, kümmerte sich dafür umso hingebungsvoller um ihn. Ja sie wollte ihn sogar ins Hotel begleiten. Aber das wurde Walter dann doch zu viel! Obwohl: Lust hätte er schon gehabt!

Es war weit nach Mitternacht, als Walter völlig betrunken den Heimweg antrat. Er hatte eine ordentliche Zeche gemacht, aber der Abend war es wert gewesen. Thip war zum Schluss etwas zickig geworden, sein üppiges Trinkgeld hatte sie jedoch wieder versöhnlich gestimmt und ihr ein betörendes Lächeln auf ihr jugendliches Antlitz zurückgezaubert.

Die nächsten Tage verliefen dann im Großen und Ganzen immer im gleichen Rhythmus. Nach einem ausgedehnten Frühstück, mit Lektüre einer deutschsprachigen Zeitung, ging es dann entweder direkt zum Strand oder es standen Ausflüge auf dem Programm. Danach folgte ein europäisches Mittagessen, hin und wieder durfte es später auch einmal ein einheimisches Gericht sein, vorausgesetzt, dass das Essen nicht scharf war. Im Anschluss daran schlenderte Walter an seiner Bar vorbei, um zu schauen, wer um diese Zeit wohl schon dasaß.

Hierbei gab es dann zwei mögliche Varianten. Bei Variante eins sagte er den Mädels nur flüchtig Hallo, trank vielleicht ein Bierchen, und schlenderte dann vorläufig weiter. Variante zwei bedeutete, dass Walter einen oder eine Bekannte in der Bar traf, auch ein Bierchen trank, sich dann aber festquatschte und den langen Rest des Tages dort verbrachte. In Abhängigkeit dieser beiden Möglichkeiten ergab sich dann der weitere Tagesablauf. Wenn Walter vorläufig weiter geschlendert war, dann sah er sich die anderen Bars, die um diese Zeit schon geöffnet waren, an, um zu sehen, ob er vielleicht dort ein bekanntes Gesicht antreffen würde. War dies der Fall, so quatschte er sich dort fest. Er versäumte es aber niemals, den Abend in seiner Red Lips Bar zu beenden. Und das hatte einen ganz besonderen Grund:

Als Walter am zweiten oder dritten Abend dort wieder einmal von zwei bezaubernden Damen umsorgt worden war und erneut den verlockenden Angeboten dieser Amazonen widerstand, tauchte plötzlich die unnahbare Grazie Nok in der Bar auf. Sie begrüßte ihre Freundinnen mit nur einem Hauch eines Lächelns und ging dann mit einer ernsten, fast leidenden Miene hinter den Tresen. Diese Erscheinung traf Walter mitten in das Epizentrum seines aufgewühlten Herzen. Er konnte den ganzen Abend lang kein Auge von ihr abwenden. Ein schmerzendes Brennen im Brustkorb und eine zugeschnürte Kehle warnten ihn vor einer herannahenden Katastrophe.

Weder sein charmantes, weltmännisches Verhalten, seine Großzügigkeit ihr und ihren offenbar neidischen Kolleginnen gegenüber, noch direktes Werben oder die Versuche neckisch oder geistreich zu sein, wurden von ihr mit Beachtung honoriert.

Je mehr sich dieser arme Kerl mit Alkohol zuschüttete, desto mehr wandte sie sich von ihm ab, bis sie zu fortgeschrittener Stunde mit einem Niederländer oder Skandinavier – so genau konnte es Walter nicht mehr erkennen – an einen der Tische im hinteren Teil der Bar verschwand.

An diesem Abend betrank sich Walter bis zur Ohnmacht. Er wurde von dem Chef der Red Lips Bar und dessen Freundin, der diese wiederum gehörte, in ein Pick-up-Taxi verfrachtet und zu seinem Hotel gefahren. Von hier aus trugen ihn zwei Hotel-Boys in sein Bett und überließen ihn sich selbst.

Am nächsten Tag erfuhr sein Tagesablauf eine Änderung: Das Frühstück fiel komplett aus und das Mittagsessen wurde auf sechzehn Uhr in das Café gegenüber der Red Lips Bar verlegt und auf eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen verkürzt.

Ein flüchtiger Blick über die Straße ließ ihn schlagartig hellwach werden. Seine Nok saß auf einem Barhocker direkt an der Straße und nuckelte gelangweilt – oder etwa wehmütig? – an einem Strohhalm, der in einem halb gefüllten Glas steckte. Und es kam noch heftiger: Als sie ihn erblickte, lächelte sie! Sie, die schönste und unschuldigste Frau Thailands lächelte ihn, Walter den Pensionär und Thailandneuling, an!

Walter pfefferte ein paar hundert Baht auf den Tisch, machte der Bedienung ein flüchtiges Zeichen und rannte hinüber zur Red Lips Bar. Die letzten zwei, drei Schritte verlangsamte er geschickt und setzte sich mit einem internationalen:

»Grüazi, Nok!«, auf den freien Hocker an ihrer Seite.

Nok antwortete mit einem gehauchten:

»Youbuy me a drink?«

Ihr Blick machte dabei eine Dreihundertsechziggrad-Schleife und landete direkt in seinen Augen. Da war es wieder, dieses Gefühl vom Vorabend!

»Drink? Ja sicher! Schua!« Walter konnte sein Glück nicht fassen.

Aufgeregt bestellte er sich ein Bier und der Angebeteten einen Ladydrink, ein meist völlig überteuertes Fruchtsaftgetränk, welches nur für das Personal erworben werden konnte.

Doch sie protestierte:

»No! No Ladydrink! Buy me Sang Som Cola!«

»Sicher, Sang Som Cola!«

Walter hatte verschiedentlich Gäste dieses Getränk bestellen hören, wusste allerdings selbst nicht, was das war. Aber seiner Nok würde er alles kaufen!

Das folgende Gespräch lief etwa so ab, dass Walter seine Nock anglotzte und gelegentlich ein paar ihrer Worte wiederholte, ohne sie richtig begriffen zu haben. Das Einzige, was er stets genau verstand, war, wenn sie wieder etwas zu trinken haben wollte. Da passte er ganz genau auf! Er selbst bestellte sich dann auch ein neues Bier und so wurden sie beide langsam und wortarm immer betrunkener. Diesmal achtete Walter allerdings gewissenhaft darauf, dass er das Bewusstsein und somit die Kontrolle über seine Sauf-Freundin behielt. Diesmal war er es, der das Taxi für die nur wenige hundert Meter weite Strecke bis zum Hotel heranwinkte, und diesmal saß seine Nok mit im Taxi! Wie eine Trophäe nahm er sie mit in sein Zimmer, wo sie sich noch an der Mini-Bar schadlos hielten und irgendwann ungeduscht und völlig bekleidet einschliefen.

Aber immerhin! Sie war mit ihm gekommen! Sie hatten zusammen in seinem Bett geschlafen, wenn auch nicht so, wie es die anderen Touristen in Pattaya zu tun pflegen. Und sie waren fast gleichzeitig nebeneinander aufgewacht, wobei das eigentlich der am wenigsten schöne Teil dieser Liebesnacht war. Nok fing sofort an zu schimpfen und zu nörgeln. Walter wusste gar nicht, was genau sie von ihm wollte. Dann ging sie an den Kühlschrank, nahm sich die letzte Flasche Trinkwasser heraus und leerte sie in einem Zug. Anschließend verschwand sie im Bad, wo er sie noch gelegentlich fluchen hören konnte.

Walter saß wie ein begossener Pudel auf der Bettkante und wusste nicht, was er tun sollte. Jetzt bloß keine Fehler machen, dachte er immerfort.

Die Tür sprang auf und Nok kam geschminkt und aufgeputzt heraus.

»You give me money!«, forderte sie und ging mit vorgehaltener Hand auf Walter zu.

»Moment!«, antwortete er verstört und kramte nach seinem Portemonnaie in seiner Hose. »Moment, please!«, verbesserte er.

Dann sah er sie fragend an.

»1500 Baht«, klagte Nok energisch ein.

Das war ganz schön viel Geld, und wofür überhaupt, überlegte Walter. Als Nok sein Zögern bemerkte, veränderte sie ihren Gesichtsausdruck ein wenig und fügte hinzu:

»Go doctor«, und mit einer Handbewegung zu ihrem Bauch: »Sick stomac, must go doctor!«

Ach so, dachte Walter erleichtert. Die Angebetete ist krank und hat kein Geld für den Arzt! Na das war etwas ganz anderes! Da war es doch geradezu Ehrensache, dass er mit etwas schnödem Mammon aushalf!

Walter konnte es später kaum erwarten, Nok wiederzusehen, musste jedoch bis zwanzig Uhr auf sie warten. Sie wurde von einem jungen Thailänder mit einem Motorrad herchauffiert, der dann aber sofort wieder davonfuhr. Nok schlenderte an den Gästen vorbei und verschwand hinterm Tresen ohne Walter eines Blickes zu würdigen. Ihr Verhalten konnte er überhaupt nicht verstehen. Gleichzeitig hatte er eine lähmende Angst, dass er sie wieder verlieren könnte.

Walter fühlte sich wie damals im Alter von gerade einmal achtzehn Jahren, als er nach vielem vergeblichen Werben um die Gunst verschiedener Nachbarstöchter, von der vierzehn Monate jüngeren Gunhild erhört worden war. Sie verbrachten eineinhalb süße Jahre als Paar und wurden schließlich intim bis zur zärtlichen Berührung ihrer Lippen. Es war die große Liebe in Walters Leben, doch leider heiratete Gunhild schließlich einen Metzger aus der Nachbarschaft. Der Vater hatte es so gewollt und es passte auch besser, denn sie als Einzelkind, sollte einmal den Metzgereibetrieb des Vaters übernehmen. Damals wie heute wurde Walter von Eifersuchtsgedanken gequält. Gedanken, die jene Stunden betrafen, in denen sie sich nicht sehen konnten.

In der Red Lips Bar machte man sich lustig über den liebestollen Schweizer Pensionär und er verlor immer mehr an Gesicht. Aber Walter war dieser Nok einfach verfallen. Er erlebte, wie man so schön sagt, seinen zweiten Frühling. Und im Frühling steigen nicht nur die Säfte, sondern es schießt auch alles mögliche Grünzeug ins Kraut und bei den jungen Böcken wachsen die Hörner.

Walter nötigte Nok zu allen erdenklichen Liebesbekundungen. Nach Feierabend, wenn es die anderen Gäste und das übrige Personal nicht mitbekommen konnten, erhielt er ein wenig Zuwendung von ihr. Bis sie sich ihm dann endlich auch körperlich hingab, vergingen fast drei Wochen, was er ihr moralisch sehr hoch anrechnete. Sein Urlaub war da allerdings schon so gut wie vorüber.

Sie wohnte nun nicht mehr bei ihrem Bruder, mit dem sie sich so fürchterlich verkracht hatte, dass es das Tagesgespräch in ganz Pattaya war. Nein, sie zog mit ihren paar Habseligkeiten und ohne Vorwarnung bei ihm ein. Da er das Hotelzimmer selbstverständlich vor seiner Abreise räumen musste, willigte er darin ein, ihr übergangsweise die Miete für ein kleines Appartement zu bezahlen.

Als Walter dann mit Sack und Pack am Flughafen Don Muang stand, machte ihm Nok, die extra seinetwegen mit ihm nach Bangkok gereist war, eine rührende Abschiedsszene. Im Grunde genommen war es die erste richtige Gefühlsregung, die er überhaupt an diesem exotischen Miststück erkennen konnte. Aber genau das war der Tropfen, der den Stein zum Überlaufen ... naja, so ähnlich halt! Dem armen Walter kullerten beim Besteigen des Flugzeugs Tränen die Wangen herunter. In seinen Dreitagebart murmelte er die Abschiedsworte:

»Ich komme wieder Nok!«, aber es war nur die Flugbegleiterin, die seine Worte vernahm und die ihn irritiert ansah.

Zurück Daheim

Zurück in Zürich schloss sich Walter für mehrere Tage in sein Appartement ein. Er wollte und konnte jetzt mit niemandem über sein großes Abenteuer Thailand sprechen. Er musste selber erst einmal all die vielen Eindrücke verarbeiten und die Trennung von seiner geliebten Nok verschmerzen. Was war nur mit ihm geschehen in diesem fremdartigen Land?

Walter hatte nicht viele Freunde, aber die, die er hatte, machten sich ernsthafte Sorgen um diesen kauzigen Menschen. Sie hatten ja keine Ahnung, dass dieser biedere, eher langweilige Bahnbeamte im Ruhestand, das umwälzendste Erlebnis seines bisherigen Lebens hatte.

Nach und nach holte ihn der Alltagstrott wieder ein, oder besser gesagt, der ungewohnte neue Alltag eines frisch-gebackenen Pensionärs. Nun wäre Walter kein Beamter der Schweizerischen Bundesbahn gewesen, wenn er nicht schon genaue Pläne für seinen Ruhestand geschmiedet hätte. Ihn hatte, als passionierter Angler, schon seit Jahren das Fehlen eines gemütlichen, kleinen Angelbedarfs-Geschäftes gestört. Nicht, dass es keine Fachgeschäfte gegeben hätte, in denen man alles Nötige für diese Leidenschaft erwerben konnte. Das aber waren herzlose Shops, in denen man Industrieware entweder zu supergünstigen, oder aber zu übertrieben hohen Preisen kaufen konnte. Woran es gänzlich fehlte, war der Rat eines erfahrenen Anglers, der für jede Situation das ultimativ richtige Wort parat hatte. Einer, der alle Situationen eines Petrijüngers schon mindestens hundertmal selber erlebt hatte, oder zumindest von dem reichhaltigen Erfahrungsschatz anderer Angler schöpfen konnte. Nun, dieser Mann wollte Walter gerne für alle engagierten Angler in Zürich und Umgebung sein, und dafür hatte er schon vor einigen Monaten einen Mietvertrag für ein schönes Lädchen, nicht allzu weit vom Geschäftszentrum der Stadt entfernt, unterschrieben. Die gesamte Einrichtung, sowie der erste Warenbestand waren auch schon bestellt und bezahlt. Sein um vier Jahre älterer Schwager Erich, der ebenfalls seit ein paar Jahren Witwer und seit fünf Monaten gleichfalls Rentner war, wollte sich um die Buchhaltung und um den ganzen geschäftlichen Kram kümmern. Er war zu fünfzig Prozent Teilhaber an dem Kaufladen.

Sie beide fieberten dem Tag der Eröffnung entgegen, und als es dann endlich so weit war und Walter im Sonntagsstaat vor dem Spiegel stand, klingelte das Telefon.

»Hello Tirak, it´s me ... Nok!«, quäkte es aus dem Hörer. Walter musste sich setzen. Sein Herz fing an zu rasen und im ersten Moment konnte er keinen Ton herausbringen. Dann erzählte ihm Nok eine herzerweichende Geschichte von Liebe, Krankheit und Tod. Zuerst kamen die I miss you too much!-Schwüre, die Walter schon gleich einmal fix und fertig machten. Dann folgten dramatische Schilderungen ihres Familienschicksals. Die Oma war gestorben und hatte mit ihrem rücksichtslosen Ableben hohe Beerdigungskosten verursacht. So unerwartet in die Armut gestürzt, sollte die Familie dann die Krankenhausbehandlung von Noks Mutter bezahlen. Die Ärmste litt unter einer mysteriösen Krankheit, die leider niemand kannte und die nur im teuersten Krankenhaus der Welt in Buriram behandelt werden konnte. An dieser Stelle hätte Walter beinahe angefangen zu weinen, wäre er nicht durch einen Spendenaufruf Noks aufgeschreckt worden. Nicht, dass er kein Verständnis für diese ausweglose Situation hatte. Allein die Summe, um die er gebeten wurde, übertraf ein wenig seine momentanen Möglichkeiten. Da die Telefonverbindung sehr schlecht war und die Verständigung sowieso, versprach Walter am nächsten Tag zurückzurufen. Schon die Zeit, die sie brauchte, um ihre Telefonnummer richtig und verständlich anzusagen, hatte Nok wahrscheinlich ein Vermögen an Telefongebühren gekostet.

Während der gesamten Eröffnung des neuen Geschäftes stand Walter stark unter dem Einfluss dieses Telefonats. Er konnte Nok einfach nicht aus seinen Gedanken verdrängen. Sollte es dem armen Ding im fernen Thailand wirklich so schlecht gehen? Er musste sich eingestehen, dass er tatsächlich kaum etwas über sie wusste. Sie war lange nicht so unbekümmert, frech und vergnügt wie die anderen Mädels in Pattaya, aber dass sie von so großen Sorgen geplagt war, das hatte er nicht erwartet.

Erich war ziemlich enttäuscht darüber, dass sich Walter während der ganzen Eröffnungsfeier so wortkarg und verschlossen verhalten hatte. Schließlich war es Walters Aufgabe in dieser Partnerschaft, sich um die Kundschaft zu kümmern. Und so verlief die ganze Veranstaltung in gedrückter Stimmung und Erich machte sich ernsthaft Sorgen, ob seine Entscheidung, in dieses Geschäft zu investieren, wirklich die Richtige war.

Die nächsten Tage jedoch ließen ihn wieder etwas optimistischer in die Zukunft blicken. Es kamen unerwartet viele Kunden, die auch erstaunlich viel Geld ausgaben und Walter fand langsam zu seiner alten Form zurück. Was kein Außenstehender ahnen konnte, war, dass in Walter ein Denkprozess in Gang gesetzt worden war, der die weitere Zukunft maßgeblich beeinflussen sollte.

Walter hatte wirklich versucht, Nok unter der angegebenen Telefonnummer zu erreichen. Am anderen Ende der Leitung meldeten sich aber abwechselnd Frauen und Männer, die allesamt ausschließlich Thai sprachen. Walter wurde immer unruhiger und er zermarterte sich den Kopf, wie er mehr über Noks Wohlergehen in Erfahrung bringen konnte. Sie selber ließ nie wieder von sich hören. Nach weiteren zwei Monaten saß Walter bereits im Flugzeug und flog nach Bangkok. Da es indessen Spätsommer geworden war und sich die Angelsaison dem Ende neigte, war er durchaus für drei Wochen im Laden entbehrlich.

Er war wieder im selben Hotel in Pattaya abgestiegen, in dem er vor einem halben Jahr gewohnt hatte. Sein erster Gang nach seiner Ankunft führte ihn direkt zur Red Lips Bar, wo man ihn wie einen alten Freund empfing. Doch niemand konnte ihm Auskünfte über Nok geben. Mal hatte man sie seit über einem halben Jahr nicht mehr gesehen, dann wieder sollte sie in einer anderen Bar arbeiten. Ein anderes Gerücht besagte gar, dass sie mit einem Engländer verheiratet war, was dem armen Walter die Kehle zuschnürte. Besonders freundlich sprach jedoch eigentlich niemand über sie und große Sorge ihretwegen machte sich auch kein Mensch in Pattaya. Nur Walter war verzweifelt und konnte diesen Mangel an Hilfsbereitschaft in keiner weise verstehen. Nun gab es in der Red Lips Bar einen Menschen, der Walters Sorge ein wenig nachvollziehen konnte. Er hieß Horst und er kam aus Deutschland, genauer gesagt aus Münster in Westfalen. Horst war ein sogenannter Expat, ein Expatriarcher, jemand, der Thailand zu seiner Heimat gemacht hatte, was die Thailänder in der Regel etwas anders zu sehen pflegen. Aber Horst kannte sich aus mit den Barmädels und er machte keinen Hehl daraus, dass er keine große Meinung von ihnen hatte. Das jedoch hatte ihn vor geraumer Zeit nicht daran gehindert, eines dieser Barmädels zu heiraten. Horst war ein guter Unterhalter und darüber hinaus ein Mensch, der eine Menge Alkohol vertrug. Und Walter wiederum war einsam, in großer Sorge um seine große Liebe und bereit, die Wirkung von Sang Som auf Körper und Geist zu erproben. Das führte zunächst dazu, dass er sich eine große Menge Blödsinn anhörte, bis er schließlich selber eine große Menge Blödsinn von sich gab. Schließlich fiel er mitten im Satz einfach vom Barhocker und warbewusstlos.

Zur Besinnung kam er am Mittag des darauf folgenden Tages in seinem Hotelzimmer. Zu seiner großen Verwunderung und seinem unfassbaren Glück klopfte Nok an seine Tür, die wohl irgendwie von seiner Suche nach ihr erfahren hatte. Sie hatte sich kaum verändert, war vielleicht ein wenig molliger geworden, aber dafür aufreizend gekleidet und geschminkt. Sie überschüttete Walter mit Liebesbekundungen und liebgemeinten Vorwürfen. Sie hatte solch große Angst gehabt, nie wieder von ihm zu hören. Und zu aller Überraschung sprach sie sogar ein paar Worte auf Deutsch. Walter war überwältigt!

Auf Walters besorgte Fragen nach dem Befinden der werten Frau Mutter bekam er nur die flüchtige Antwort, dass sie sich auf dem Wege der Besserung befände. Über die Finanzierung der Behandlung wollte sie gar nicht sprechen. Vielmehr war sie sehr bemüht um ihren geliebten Rückkehrer Walter. Sie umgarnte ihn und schmeichelte ihm, wie er es noch nie erlebt hatte – schon gar nicht von Nok!

So verbrachten sie viele schöne, harmonische Tage, in denen Nok mit sanftem, liebevollem Druck zeigte, wo es lang ging. Sie machten Ausflüge, gingen abends schick essen und Nok hatte noch nicht einmal etwas dagegen, dass Walter gerne später noch ein paar Bierchen oder Sang-Som in der Red Lips Bar zu sich nahm. Dort hatte Walter indessen einige nette Europäer kennengelernt, mit denen er angenehm plauderte und sich über dieses wunderbare Land mit seinen bezaubernden Menschen informieren ließ. Diese Bekannten hatten alle das große Glück, dass die Barmädels, mit denen sie zusammen waren, völlig anders waren als die Schlampen oder Schwutten der anderen Bars. Und zu diesen Glücklichen zählte sich unser Walter nun auch.

Nok ging sogar so weit mit ihrer Toleranz, dass sie es immer häufiger zuließ, dass sich Walter ganz alleine in der Red Lips Bar