Robin - ein Kind zwischen zwei Müttern - Myra Myrenburg - E-Book

Robin - ein Kind zwischen zwei Müttern E-Book

Myra Myrenburg

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. Sie saß im Warteraum des Flughafens, in ein knöchellanges Kleid gehüllt, die bauschigen Ärmel hochgesteift, einen Ellenbogen auf die pralle Segeltuchtasche gestützt: Miranda Moss, Kunststudentin aus München, die soeben eine Woche in Rom verbracht hatte. Ein Abstecher nach Florenz war leider nicht zustandegekommen, weil die römischen Sehenswürdigkeiten zu zahlreich und zu überwältigend gewesen waren. Natürlich wäre sie gern länger geblieben, am liebsten monatelang, egal, in welcher primitiven Unterkunft, aber daran war nicht zu denken. In München erwartete sie ihr üblicher Sommerjob im Trachten-Moden-Center, wo sie die Kleiderständer in der Fußgängerzone überwachte und beim ersten Regentropfen in den Verkaufsraum rollte. Der Job war nicht gerade lukrativ, aber er war auch nicht anstrengend. Vor allem: Er war ihr sicher. Man kannte sie dort, stellte sie im Dezember fürs Weihnachtsgeschäft wieder ein und ließ sie sonst in Ruhe, fragte nicht, wie lange sie noch zu studieren gedenke, was sie danach vorhabe und wovon sie überhaupt lebe. Fragen dieser Art schätzte Miranda nicht. Der Warteraum füllte sich allmählich. Die Mittagsmaschine nach München wurde aufgerufen. Im Hintergrund verabschiedete sich seit einer Ewigkeit ein Paar, das sich offensichtlich nicht voneinander trennen konnte. Er, im dezenten grauen Einreiher Marke Manager, das übliche Aktenköfferchen in der Hand, sie im gepflegten Freizeitlook, lindgrünes Plisseekleid mit passendem breiten Band im lackschwarzen Haar. Beim zweiten Aufruf der Maschine riß sich der Mann endlich los, hetzte mit langen Schritten durch die Sperre und reihte sich vor der Bordkarten-Ausgabe ein. Miranda, die schon abgefertigt war, ging bereits zum Flugzeug, als er an ihr vorbei sprintete und die Treppe

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Seitenzahl: 93

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Mami – 1794 –Robin - ein Kind zwischen zwei Müttern

Robin, ein Kind zwischen zwei Müttern

Myra Myrenburg

Sie saß im Warteraum des Flughafens, in ein knöchellanges Kleid gehüllt, die bauschigen Ärmel hochgesteift, einen Ellenbogen auf die pralle Segeltuchtasche gestützt: Miranda Moss, Kunststudentin aus München, die soeben eine Woche in Rom verbracht hatte.

Ein Abstecher nach Florenz war leider nicht zustandegekommen, weil die römischen Sehenswürdigkeiten zu zahlreich und zu überwältigend gewesen waren. Natürlich wäre sie gern länger geblieben, am liebsten monatelang, egal, in welcher primitiven Unterkunft, aber daran war nicht zu denken.

In München erwartete sie ihr üblicher Sommerjob im Trachten-Moden-Center, wo sie die Kleiderständer in der Fußgängerzone überwachte und beim ersten Regentropfen in den Verkaufsraum rollte. Der Job war nicht gerade lukrativ, aber er war auch nicht anstrengend. Vor allem: Er war ihr sicher.

Man kannte sie dort, stellte sie im Dezember fürs Weihnachtsgeschäft wieder ein und ließ sie sonst in Ruhe, fragte nicht, wie lange sie noch zu studieren gedenke, was sie danach vorhabe und wovon sie überhaupt lebe. Fragen dieser Art schätzte Miranda nicht.

Der Warteraum füllte sich allmählich.

Die Mittagsmaschine nach München wurde aufgerufen. Im Hintergrund verabschiedete sich seit einer Ewigkeit ein Paar, das sich offensichtlich nicht voneinander trennen konnte. Er, im dezenten grauen Einreiher Marke Manager, das übliche Aktenköfferchen in der Hand, sie im gepflegten Freizeitlook, lindgrünes Plisseekleid mit passendem breiten Band im lackschwarzen Haar.

Beim zweiten Aufruf der Maschine riß sich der Mann endlich los, hetzte mit langen Schritten durch die Sperre und reihte sich vor der Bordkarten-Ausgabe ein. Miranda, die schon abgefertigt war, ging bereits zum Flugzeug, als er an ihr vorbei sprintete und die Treppe nahm, die zur ersten Klasse führte.

Sie starrte ihm nach und tastete sich Schritt für Schritt die Metallstufen hinauf.

Sie kannte den Mann.

Das war Marcel Brabant aus Ellersried am Oberrhein. Diplom-Geologe, Experte für Agrarwirtschaft. Leitendes Mitglied der Gewässerschutz-Kommission. Oder nicht?

Doch, Miranda war sich ziemlich sicher, es sei denn, er hatte einen Zwillingsbruder. Was nicht ganz auszuschließen war, denn Marcel Brabant, der Mann, den sie kannte, hatte seinerseits Zwillinge. Zwei kleine Mädchen.

Bernadette und Valerie, sowie einen zweijährigen Sohn namens Robin, der allerdings kein leibliches Kind war, sondern ein adoptiertes.

»Mein Kind«, dachte Mirinda.

Sie schob sich durch den Mittelgang der Maschine und sank auf ihren Platz.

Sie schob die Segeltuchtasche unter den Sitz, die selbe, in der sie Robin zur Vermittlungsstelle gebracht hatte.

Natürlich hatte man ihr den Namen der adoptionswilligen Eltern nicht verraten wollen. Unter keinen Umständen. Aber dann war die Dame kurz abberufen worden von ihrem Schreibtisch, und Mirinda hatte die Karteikarte gelesen, sich Namen und Adresse eingeprägt und nie mehr vergessen. Marcel und Angela Brabant, Lärchenweg 7, Ellersried.

Eine Woche später war sie hingefahren und hatte sich das Haus von außen angesehen.

Zwar hatte sie ihre Verzichtserklärung bereits unterschrieben, aber noch war die Adoption nicht abgeschlossen, noch lange nicht.

Dann hatte sie Angela Brabant angerufen und sich mit ihr getroffen, eine liebenswerte Frau, mit sanften braunen Augen und warmer Stimme.

Sehr mütterlich, sehr geduldig, die sofort verstand, daß Miranda für ihren Sohn unbedingt das Beste wollte: eine intakte Familie, in deren Schoß er sicher und geborgen aufwachsen konnte.

Einen Vater, der ihn ins Leben geleitete, wenn es soweit war, eine Mutter, die zu Hause blieb und nichts weiter tat als sich um ihre Lieben zu kümmern, ein paar Geschwister zur Gesellschaft – und das alles auf einer soliden, finanziellen Grundlage, damit auch die Zukunft abgesichert war.

Ja, Angela Brabant verstand diesen Wunsch durchaus, und sie gehörte zu den wenigen, die ihn erfüllen konnten. Sie erklärte sich auch ohne weiteres einverstanden, daß Miranda zu Besuch kam, obwohl dergleichen nicht vorgesehen war.

Marcel Brabant erhob denn auch Einwände, zumal das Adoptionsverfahren noch lief, aber letzten Endes gab er nach, und am ersten Weihnachtsabend, den Robin in seiner neuen Familie verbrachte, durfte auch Miranda teilnehmen.

Bei dieser Gelegenheit hatte sie das große, behagliche Haus der Brabants kennengelernt, eingerichtet mit schönen alten Möbeln, das Kinderschlafzimmer mit den drei Himmelbetten, das Spielzimmer mit Puppenwagen und Schaukelpferd, die gepflegte Gastlichkeit am langen, festlich gedeckten Tisch im Erdgeschoß, wo eine Krippe unter der hohen Weihnachtstanne stand und ein Feuer im Kamin prasselte.

Robin, ein halbes Jahr alt, war von Arm zu Arm gereicht worden, die beiden kleinen Mädchen hatten ihn zum Spaß in ihrer alten Wiege geschaukelt, eine Großmutter hatte ihm die Kerzen am Baum gezeigt, ein Großvater die Schneeflocken draußen vor dem Fenster.

Die Brabants waren wohlhabend, seit Generationen in Ellersried ansässig, angesehen und beliebt.

Sie hatten sich ein Haus voll Kinder gewünscht und waren enttäuscht gewesen, als Angela nach der schweren Geburt der Zwillinge keine eigenen mehr bekommen sollte. Mit dem kleinen Robin war das Glück wieder eingekehrt, wie Angela es ausdrückte. Die Schatten hatten sich verflüchtigt.

Zutiefst beruhigt und zufrieden war Miranda nach München zurückgefahren, um sich im folgenden Jahr regelmäßig zu melden und zu Robins erstem Geburtstag wieder einzufinden. Er hatte ein paar Kinderkrankheiten hinter sich, war enorm gewachsen und lief wie ein Wiesel. Zwischen seinen hellhaarigen Schwesterchen, die ihn liebevoll die Gartentreppen hinunterführten, sah er immer noch exotisch aus mit seinen rabenschwarzen Löckchen und den dunklen Kulleraugen, aber er trug die gleichen hellblauen Spielhöschen wie die Mädchen mit den gleichen bestickten Trägern, so daß sie alle drei irgendwie zusammenzupassen schienen. Er war ein fröhliches Kind, arglos und unbefangen, das keine Widrigkeiten kannte.

Miranda fühlte einen kleinen Stich im Herzen, als er sich rasch wieder von ihr abwandte, um in Angelas Arme zu laufen, nachdem sie ihn begrüßt hatte, und sich sorglos den Zwillingen anschloß, als sie sich nach ein paar Stunden dann wieder verabschiedete.

Aber der Stich ging nicht tief und ließ gleich wieder nach.

Alles war gut, so wie es war.

Robin hatte eine Familie, die ihn liebte, ein Elternhaus, eine Heimat.

Mehr, als ich ihm jemals bieten könnte, dachte Miranda, die gerade ihr Zimmer in einer Wohngemeinschaft am Münchner Stadtrand verloren hatte und vorübergehend nach Norditalien zog, um sich mit Mosaiken zu beschäftigen.

Deshalb sah sie Robin im zweiten Jahr nur einmal kurz, und da sie nach ihrer Rückkehr bei Kolleginnen aus dem Trachten-Center unterkommen mußte und keine feste Adresse hatte, konnte sie keinen Kontakt mit den Brabants aufnehmen.

Zumindest sagte sie sich das, aber es war natürlich eine Ausrede. In Wahrheit hatte sie in diesem letzten turbulenten Jahr nur selten an Robin gedacht und wenn überhaupt, dann nur flüchtig.

Sie wußte ihn gut aufgehoben, für die kleinen Probleme des Alltags war sie nicht zuständig, und vor großen Sorgen schien die Familie Brabant gefeit zu sein.

Unter großen Sorgen hatte Miranda bis jetzt nur finanzielle Engpässe verstanden. Andere kannte sie nicht, und sie hatte gelernt, damit umzugehen, soweit es ihre eigene Person und ihre eigene Existenz betraf.

Allerdings war sie damit auch hinreichend beschäftigt. Um andere konnte sie sich beim besten Willen nicht kümmern. Deshalb hatte sie Robin ja nicht behalten, obwohl sie es gern getan hätte.

Miranda beschloß, in München die Augen offenzuhalten und sich nach dem Mann umzusehen, der sich in Rom so zärtlich von einer schwarzhaarigen Schönheit verabschiedet hatte. Selbst wenn es Marcel Brabant gewesen war, bedeutete es vielleicht nicht viel. Heutzutage waren Umarmungen ja bei jeder harmlosen Gelegenheit üblich, obwohl man sich nichts vormachen durfte. Die beiden hatten sich wie ein Liebespaar benommen.

Wenn es so war, dann bahnte sich bei den Brabants eine Krise an, mit der niemand gerechnet hatte.

Und dann?

Dann stand Robins Glück auf dem Spiel, und seine Lebens-chancen verringerten sich rapide.

Ausnahmsweise würde Miranda sich mit den privaten Angelegenheiten anderer Leute befassen müssen.

Hoffentlich wird es nicht nötig sein, dachte sie, während das Flugzeug über die Alpen flog. Im Sommer hatte sie noch weniger Zeit als sonst. Morgen war der erste Juli, und um punkt acht Uhr wurde sie im Trachten-Center erwartet.

*

Der Tag war ungeheuer anstrengend gewesen.

Acht kleine Gäste und die eigenen drei Kinder hatten Haus und Garten bevölkert, dazu kam der Logierbesuch – Marcels Eltern – wie immer um diese Zeit, da sich die Geburtstage aneinander reihten wie Perlen an der Schnur.

Der Anfang machte Robin am vierundzwanzigsten Juni, gefolgt von Angela am siebenundzwanzigsten und den Zwillingen am dreißigsten.

Im Einverständnis mit ihren Töchtern hatte Angela alle drei Geburtstagsfeiern auf einen Tag gelegt, nämlich den dreißigsten Juni.

Es war ein rauschendes Fest gewesen bei prächtigem Wetter, keines der Kinder war zu kurz gekommen, die Oma hatte die Kaffeetafel überwacht und der Opa den denkwürdigen Tag auf einen Videofilm festgehalten.

Bernadette und Valerie waren sechs Jahre alt geworden, im August würden sie zur Schule gehen. Robin, der die Aufregung genoß, ohne sie zu verstehen, hatte den ganzen Nachmittag in einem Freudentaumel verbracht und war gegen acht Uhr abends auf Angelas Arm eingeschlafen. Sie trug ihn hinauf und legte ihn sanft in sein Bettchen, ausnahmsweise ungewaschen und ohne Nachtgebet.

Sie strich ihm die verschwitzten dunklen Löckchen aus der Stirn, bettete seinen Teddybär neben ihn und deckte ihn zu.

Ob er sich später an seinen zweiten Geburtstag erinnern würde?

Das menschliche Gedächtnis war wie ein Brunnen, unauslotbar in seiner Tiefe.

Angela zweifelte keinen Augenblick daran, daß die Erlebnisse in den ersten Lebensjahren von besonderer Bedeutung waren, selbst dann, wenn man sie später bewußt nicht mehr abrufen konnte.

Mit ihren Töchtern hatte sie immer ein gewisses Gedächtnis-training betrieben, indem sie auf dies und jenes zu sprechen kam, das sich dann und dann ereignet hatte.

Mit Robin würde sie es genauso halten. Er sollte sich später auf möglichst viele Eindrücke besinnen können.

Eine glückliche Kindheit, davon war Angela überzeugt, bot die beste Grundlage für ein stabiles Leben.

Die Zwillinge saßen noch mit ihren Großeltern beim Abendessen, als Angela leise die Tür hinter sich schloß und Marcel draußen aus dem Wagen stieg.

»Du hast unser Fest versäumt«, bemerkte Valerie anklagend.

»Wirklich, Papa, wenigstens heute hättest du mal früher nach Hause kommen können«, schloß sich Bernadette an.

»Keine Sorge«, fiel der Opa beschwichtigend ein, »euer Vater kann sich nachher das Video ansehen! Ich habe alles gefilmt.«

»Nun setz dich erst mal«, befahl die Oma, »sonst wird der Zwiebelkuchen kalt.«

»Laßt euch nicht stören«, bat Marcel, sein Aktenköfferchen abstellend, »ich habe sowieso keinen Hunger.«

»Keinen Hunger?« wiederholte seine Mutter ungläubig.

»Nein –«

»Du warst den ganzen Tag unterwegs und hast keinen Hunger?«

»Ich esse gelegentlich, wenn ich unterwegs bin«, gab Marcel gereizt zurück, »ich warte nicht, bis ich zu Hause bin, nur um etwas zu mir zu nehmen!«

»Nur keine Aufregung«, rief Angela aus der Küche, »mach dich frisch, Lieber, und trink deinen Aperitif! Wir andern essen inzwischen, denn die Kinder hatten einen aufregenden Tag und sollten vor neun schlafen gehen.«

Marcel ging in die Küche, wo seine Frau noch rasch die Spülmaschine füllte.

»Ich war in Rom«, murmelte er verdrossen, »gestern hin, heute zurück. Meinst du vielleicht, das ist kein Streß?«

»Sicher, sicher, ich mache dir ja keinen Vorwurf.«

»Schon allein die Verhandlungen mit den italienischen Behörden, ein Kapitel für sich, sage ich dir! Und kein Dolmetscher weit und breit.«

»Du sprichst doch aber recht gut.«

»Nicht gut genug. Nicht fließend genug! Ich muß jedes Wort genau verstehen, denn einen Hörfehler kann ich mir nicht leisten! Wo steht der Aperitif?«

»Wo er immer steht, im Wandschrank. Hier ist ein Glas, Marcel, ich kann dich nicht bedienen, ich habe alle Hände voll zu tun. Robin schläft schon.«