RoboLOVE #1 - Operation: Iron Heart - Martina André - E-Book

RoboLOVE #1 - Operation: Iron Heart E-Book

Martina André

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Beschreibung

Chicago 2056. Marci, eine junge Haushaltshilfe, ist völlig verzweifelt. Ihr Ehemann ist spurlos verschwunden und sie weiß nicht, wie sie sich und ihre beiden Jungs in den Slums durchbringen soll. Jack, ein zwei Meter großer Kampfroboter, hat vom Krieg die Nase voll und desertiert zu den Rebellen. Auf den ersten Blick haben er und Marci wenig gemeinsam. Aber beide verbindet ein skrupelloser Feind mit einem tödlichen Geheimnis. Um sich selbst und die Menschheit vor dem Untergang zu retten, müssen sie Seite an Seite eine gefährliche Mission erfüllen. Spannung, Action, große Gefühle und eine gute Prise Humor. Operation Iron Heart ist der erste Teil der neuen RoboLOVE Trilogie-

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Martina André

RoboLOVE #1 - Operation: Iron Heart

Saga

RoboLOVE #1 - Operation: Iron HeartCopyright © 2019, 2019 Martina André und SAGA EgmontAll rights reservedISBN: 9788726236262

1. Ebook-Auflage, 2019

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

Personen, Namen und Ereignisse in diesem Roman sind frei erfunden und entspringen der Fantasie des Autors und bilden nicht die Wirklichkeit ab. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt. Ereignisse in der Story, zumal in Verbindung mit tatsächlich vorhandenen Orten und Organisationen haben keinen Bezug zu wahren Begebenheiten.

It matters not who you love, where you love, why you love, when you love or how you love, it matters only that you love

(John Lennon)

Prolog

Killingfields

Alashan-Gobi-Wüste, April 2056

Wahre Liebe

Wie aus dem Nichts donnerte ein Geschwader automatisch gesteuerter Drohnen der Panamerikanischen Allianz über die Alashan-Gobi-Wüste und tauchte das Hochplateau augenblicklich in eine riesige Wolke aus feinem Sand.

Verdammt, dachte Jack verbittert, wenn diese Idioten nur eine Stunde früher aufgetaucht wären, hätten sie das Blatt noch wenden können. Stattdessen machten sie die Katstrophe perfekt, indem sie den Dreck der Umgebung in die Wunden der Verletzten schleuderten.

Die vorrückenden Truppen der Panasiatischen Front hatten die Hochebene in nur wenigen Augenblicken in ein Schlachtfeld verwandelt, das diese Bezeichnung mehr als verdiente. Überall lagen Trümmer von zerstörten Panzern und Luftabwehrgeschützen. Dazwischen verteilten sich die sterblichen Überreste gefallener Kämpfer, für die jegliche Rettung zu spät kam. Jack schärfte seine Sinne, um den gelben Nebel zu durchdringen, in dem einige menschliche Hybridkämpfer seiner Einheit umherirrten, als hätte man sie in ein unsichtbares Labyrinth gesperrt. Obwohl man ihre menschlichen Körper mit jeder Menge Robo-Technik manipuliert hatte, waren sie weitaus verletzungsanfälliger als Jack, der als reiner Kampfroboter einige Vorteile besaß, mit denen ein Hybridkämpfer nicht aufwarten konnte. Unter anderem hatte man ihm eine hochempfindliche visuelle Elektronik ins Gehirn implantiert. Sie funktionierte in Extremsituationen zuverlässiger als ein aufgesetztes System und sorgte nun dafür, dass er sich trotz des künstlich erzeugten Sandsturms einen halbwegs guten Überblick über die  fünfhundert Meter hohen Dünen verschaffen konnte.

So wie es aussah, hatte er dieses Debakel als einer der wenigen seiner Einheit heil überlebt. Was er mehr dem Zufall zu verdanken hatte, als seinen militärischen Fähigkeiten, über die er zweifellos verfügte. Bei diesem Angriff jedoch hatte niemand von ihnen eine faire Chance gehabt, ganz gleich ob er ein Kampfroboter oder ein Hybridkämpfer war.

Jack stellte sich nicht zum ersten Mal die Frage, welche Schwachköpfe im Oberkommando eigentlich das Sagen hatten. Schlimm genug, dass sie jetzt schon Menschen für den Kampf rekrutierten und das auch noch gegen deren Willen. Zu allem Überfluss hatten sie offensichtlich auf menschlichen Instinkt zurückgeschaltet, anstatt sich künstlicher Intelligenz zu bedienen. Um die ganze Angelegenheit für das ahnungslose Publikum da draußen noch spannender zu machen, setzte man zudem vermehrt auf Luftangriffe, anstatt auf die sonst üblichen Bodenkämpfe. Die Drohnenangriffe lieferten in jedem Fall spektakulärere Bilder, aber ergaben überhaupt keinen Sinn, weil sie in der vorgegebenen Strategie eigentlich Mann gegen Mann kämpfen sollten.

Hastig checkte er seine inneren und äußeren Sensoren, die ihm verlässlich mitteilten, ob es bei seinem zwei Meter großen Körper und der darauf verteilten 120 Kilogramm Muskelmasse irgendwelche Ausfälle gab.  Optisch und auch organisch war er kaum von einem Menschen zu unterscheiden, wenn man von seiner nahezu perfekten Physis einmal absah, die kaum ein Mensch vorweisen konnte. Aber als Robot hatte er zudem den Vorteil, dass man beinahe jedes Körperteil durch ein biotechnologisch gewachsenes Ersatzteil ersetzen konnte. Sogar die Schaltzentrale in seinem Kopf war ersetzbar.

Der hochkomplexe Quantenprozessor, der genauso aufgebaut war wie ein funktionsfähiges, menschliches Gehirn meldete ihm eine leichte Verbrennung oberhalb seiner rechten Wade. Dort hatte ihn der überhitzte Splitter einer Flächengranate getroffen und das hitzebeständige Material seines Kampanzuges war entgegen seiner Bestimmung an dieser Stelle geschmolzen.

Nichts, dem er eine besondere Beachtung schenkenmusste, dachte Jack und machte sich auf, nach Verletzten zu suchen, die es schlimmer getroffen hatte, als ihn und denen er vielleicht noch helfen konnte, bevor es zu spät war. Während er durch die Trümmerberge marschierte, hörte er überall das Stöhnen seiner menschlichen Kameraden. Ein Phänomen, das bei Robotern nicht vorgesehen war. Sie litten still, wie er aus eigener Erfahrung wusste. Manche von den Menschen weinten sogar, obwohl man sie schon vor dem Einsatz mit schmerzstillenden Drogen vollgepumpt hatte, die eigentlich jede menschliche Regung unterdrückten.

Jack suchte zwischen all den am Boden liegenden menschlichen Körpern nach einem ganz bestimmten Mann, dem er schon einmal das Leben gerettet hatte, und der ihn seitdem als seinen Freund bezeichnete. Er war es gewesen, der ihm einen menschlichen Namen gegeben hatte. Denn eigentlich hatte Jack keinen richtigen Namen. Obwohl man bei der Konstruktion von Kriegsrobotern Wert auf ein individuelles menschliches Aussehen legte, damit die Zuschauer sich mit ihnen identifizierten, trugen sie nur eine Serienbezeichnung, die man mit einem speziellen Laser sichtbar machen konnte. Auch die Hybridkämpfer trugen an gleicher Stelle eine solche Nummer, unter der man ihre physischen Daten registriert hatte. Weil Jack nicht wusste, wo er anfangen sollte zu suchen, aktivierte er seinen integrierten Scanner, mit dem er den QR-Code eines jeden Kämpfers auch unter der Uniform einlesen konnte. Er hatte eine ungefähre Vorstellung, wo sich der Mann, den er suchte, vor dem Angriff befunden hatte. Schließlich gehörte er zu seiner Einheit und beim Morgenappell hatte er ihn noch gesehen und ihm eine gesunde Rückkehr gewünscht. Später war er ihm unterhalb der großen Düne begegnet, wo sich die meisten seiner Leute, wenn auch vergeblich, in Sicherheit gebracht hatten.

Als er ihn endlich am Boden liegend fand, verspürte er im ersten Moment so etwas wie Erleichterung. Doch der zweite Blick brachte sogleich die Ernüchterung.

Der Kampfanzug seines menschlichen Kameraden war bis auf die Schulterpartien zerfetzt. Zu allem Übel fehlte ihm nicht nur der linke Arm - ein Makel, den man durchaus noch hätte beheben können. Aber von der Hüfte abwärts hatte ihm der Laser einer feindlichen Drohne beide Beine gekappt. Einziger Vorteil: Das Fleisch war sauber verschmort und blutete nicht. Aber abgesehen davon würde niemand auf die Idee kommen, einem Hybridkämpfer die Beine zu ersetzen. Das Oberkommando würde den Mann als Totalschaden abschreiben und ihn entsorgen, ganz gleich, ob er noch eine Überlebenschance hatte oder nicht.

Jack, den dieser Umstand mehr als bedrückte, nahm ihm den Helm ab und scannte seine Vitalfunktionen. Er lebte noch, war aber ohnmächtig, was Jack als gnädige Fügung empfand. Mit Bedacht nahm er eine Injektion aus seiner Sanitätstasche, die für weitaus weniger drastische Fälle gedacht war und jagte den Inhalt in die schwach pulsierende Halsschlagader des Mannes. Das Medikament wirkte sofort gegen die Schmerzen und stabilisierte den Kreislauf. So hoffte er jedenfalls. Gleichzeitig verlangsamte es den Herzschlag. »Halt durch, Soldat«, murmelte Jack mehr zu sich selbst.

Im gleichen Moment vernahm er hinter sich ein zischendes Geräusch. In etwa fünfzig Meter Entfernung war ein Sanitätsgleiter gelandet. Die beiden an Bord befindlichen Robots trugen keine Kleidung und hatten auch keine Gesichter, sondern lediglich Sensoren, mit denen sie die Umgebung scannten. Von Jack und seinen Kameraden wurden sie als Aasgeier bezeichnet, weil sie in der Regel nicht kamen, um zu helfen, sondern um einzusammeln, was fürs Ersatzteillager übriggeblieben war.  Sofort, nachdem sie den Gleiter verlassen hatten, begannen sie mit ihrer unappetitlichen Arbeit. Indem sie die Gliedmaßen der zerstörten Robots in einen Auffangkorb warfen und die verbliebenen Überreste an Ort und Stelle mit einem Laser verdampften, damit nichts davon in die Hände des Feindes geriet. Mit gefallenen Hybridkämpfern verfuhren sie nicht viel besser. Alle, die noch halbwegs laufen konnten, wurden ungeachtet ihrer Verletzungen zusammengetrieben und aufgefordert, auf einen größeren Sanitätsgleiter zu warten. Alle, die zu schwer verletzt waren, um sich noch fortbewegen zu können, wurden an Ort und Stelle eliminiert.

Ein Schicksal, das Jack seinem Schützling ersparen wollte. Deshalb hob er ihn vom Boden auf, und brachte ihn zunächst hinter einem zerstörten Panzer vor den beiden Robots in Sicherheit.

Den noch offenstehenden Gleiter im Blick, musste er nicht lange überlegen, was er als Nächstes tat. In einem unbeobachteten Moment brachte er den Schwerverletzten an Bord des Gleiters und schnallte ihn auf der dafür vorgesehenen Liege fest.

Jack sah das Ganze als willkommene Gelegenheit, die sich so bald nicht wieder ergeben würde. Zügig schwang er sich auf den Pilotensitz des Gleiters und verriegelte die Türen von innen. Dann loggte er sich in die Steuerungseinheit des Bordcomputers ein und bevor jemand seine Flucht bemerkte, war er bereits senkrecht in der Luft. Per Gedankenbefehl gab er die erforderlichen Zielkoordinaten ein. Fünftausend Meilen nach Osten. Dort lebte – wenn er einem bereits desertierten Bruder glauben konnte, der heimlich zu ihm Kontakt aufgenommen hatte – die einzige Person, die willens und in der Lage war, ihm und seinem schwer verletzten Kameraden zu helfen.

Kaum, dass sie die Wüste hinter sich gelassen hatten, wurden sie, wie fast schon erwartet, von chinesischen Grenzpatrouillen entdeckt. Jack aktivierte die an Bord befindlichen Laserabwehrkanonen und berechnete einen raffinierten Zickzack Kurs, der sie vor gezielten Treffern bewahrte.

Erst nachdem sie die unsichtbare Grenzmauer aus magnetischen Wellen mittels eines geheimen Codes überwunden hatten,  schaltete er die automatische Steuerung ein und widmete sich wieder seinem schwer verletzten Patienten.

Zunächst legte er ihm eine dauerhafte Infusion an, gegen die Schmerzen. Danach schloss er dessen Blutkreislauf mit wenigen Handgriffen an seinen eigenen an. Roboterblut hatte die gleichen Eigenschaften wie menschliches Plasma und würde – so hoffte er – den Kreislauf des Mannes weiter stabilisieren und die Sauerstoffversorgung garantieren.

Unvermittelt schlug sein Gegenüber die Augen auf. »Wo sind wir?«, fragte er schwach.

»Auf dem Weg nach Hause«, antwortete Jack und versuchte sich an einem zuversichtlichen Lächeln. »Ich habe einen Sanitätsgleiter gekapert und bringe dich zu jemandem, der uns helfen kann, dich wieder hinzubekommen. Du musst nur ruhig liegen bleiben und tun, was ich dir sage.«

»Hör zu, Jack!«, krächzte sein Gegenüber mit kaum verständlicher Stimme. »Ich weiß, dass ich es nicht schaffen werde. Ganz gleich, was du mit mir veranstaltest. Aber bevor es mit mir zu Ende geht, musst du mir etwas versprechen!«

Jack nickte beklommen. Die meisten Hybridkämpfer, denen er in diesem Krieg begegnet war, hatten ein verlässliches Gespür für ihr eigenes Ende gehabt.

»Wenn ich tot bin, musst du meine Familie finden«, stieß der andere mühsam hervor. »Du musst meiner Frau sagen, was hier vor sich geht. Du musst verhindern, dass diese Scheißkerle aus ihr und meinen Kindern das gleiche machen, was sie aus mir gemacht haben. Und du musst ihr sagen, dass ich sie liebe und dass ich immer bei ihr und den Kindern sein werde, ganz gleich, was noch passiert. Du weißt, wo sie wohnt, Jack und du weißt, wie sie aussieht. Erinnerst du dich noch, als du das erste Mal mein Leben gerettet hast? Du hast gesagt, du hättest sie in meinen Gedanken gesehen, als du dich mit meinem überhitzten Hirn verbunden hast, um es zu kühlen.«

»Ja«, murmelte Jack mehr zu sich selbst. Dieses Erlebnis war einzigartig gewesen und hatte ihn vollkommen verändert. Doch das behielt er lieber für sich. Seitdem er diese Frau gesehen hatte, wie sie ihren Mann küsste und liebte, war in Jacks Leben nichts wie vorher. Möglicherweise hatte ihr Anblick dazu beigetragen, sein Bewusstsein vollends erwachen zu lassen. Ein Zustand von dem niemand erfahren durfte, ansonsten hätte man ihn als Robot sofort abgezogen und umprogrammiert.

»Jack? Du musst es mir versprechen, hörst du?«

»Ich verspreche es«, schwor Jack feierlich, auch wenn es ihn umbringen würde, dieser Frau tatsächlich gegenüberzustehen. »Aber willst du es ihr nicht lieber selbst sagen? Ich kann es aufzeichnen mit meinem Recorder und ihr vorführen, sobald ich sie gefunden habe.«

»Danke, Mann«, flüsterte sein Gegenüber mit brüchiger Stimme und schloss für einen Moment die Augen.  Als er sie wieder öffnete, starrte er mit festem Blick in Jacks Iriskamera. Eine intelligente Linse, die jeder Kampfroboter im rechten Auge trug und die ihn nicht nur permanent mit wichtigen Informationen aus seiner direkten Umgebung versorgte, sondern auch zur Aufzeichnung gedacht war.

Jack konzentrierte sich auf das Gesicht seines Freundes. Während der mit wenigen Worten eine letzte Botschaft an seine Familie verfasste, empfand Jack eine diffuse Angst, wegen dem, was nun folgen sollte und diese Angst war für einen Kampfroboter alle andere als normal.

Wenn er es schaffte, sein Ziel zu erreichen, würde er alles haben, was einen Menschen von einem Robot unterschied. Er würde leben, er würde lieben und er würde hoffen. All das, was er sich sehnlichst gewünscht hatte, seit er einen Blick in das Gedächtnis dieses Mannes geworfen hatte.

Aber was, wenn das alles nur eine schöne Illusion war, die sich niemals erfüllte?

Am liebsten hätte er sein Versprechen zurückgezogen. Stattdessen ergriff er wortlos die Hand des Sterbenden. »Du kannst dich auf mich verlassen, Mann«, sagte er fest.

»Ich weiß«, flüsterte der andere mit halb geschlossenen Lidern und zog schmerzlich die Mundwinkel hoch. »Und dafür werde ich dir auf ewig dankbar sein. Ich hätte nie gedacht, dass ich meine Familie ausgerechnet einer verdammten Blechbüchse anvertraue. Aber du, Jack, bist der einzige, der dafür in Frage kommt. Also enttäusch mich nicht.« Erschöpft schloss er die Lider. Kurz darauf war ein langgezogenes Summen zu hören. Auf der Vitalanzeige über dem Kopf des Verletzten war nur noch eine Nulllinie zu sehen.

Jack spürte, wie sich sein biotechnologisch hochentwickeltes Herz beim Anblick des Toten verkrampfte und sich seine Augen langsam aber stetig mit Wasser füllten. Er weinte. Auch etwas, das vollkommen neu für ihn war und an das er sich erst noch gewöhnen musste.

Kapitel 1 – Wills Vermächtnis

Chicago, Oktober 2056

Marci wischte den dreihundert Jahre alten venezianischen Spiegel als ob Rochelle ihr einen Bonus dafür zahlen würde. Dabei bemerkte ihre Chefin normalerweise nicht einmal, ob sie das Prunkstück ihrer luxuriös ausgestatteten Empfangshalle von Staub und Streifen befreite.

Marcella Martinez Finnegan, wie Marci mit vollem Namen hieß, war für Rochelle MacIntyre nichts weiter als ein unsichtbarer Hausgeist, der zuverlässig und möglichst unauffällig tagtäglich die stummen Zeugen ihres unfassbaren Reichtums polierte. Jedes einzelne Stück davon hatte mehr gekostet, als Marci in ihrem ganzen Leben verdienen würde.

Obwohl Will den Job von Beginn an als Sklaventreiberei bezeichnet hatte, war Marci froh, überhaupt einen Arbeit ergattert zu haben. Das Geld hatte schon vor Wills Verschwinden hinten und vorne nicht zum Leben gereicht. Aber seit er gegangen war, wusste Marci erst recht nicht, wie sie sich und ihre beiden Jungs durchbringen sollte.

Dabei zahlte ihr die exzentrische Milliardärin nicht mal den Mindestlohn, obwohl sie es sich ohne weiteres hätte leisten können.

Nach ihrer Scheidung von Montgomery »Monty« MacIntyre vor wenigen Jahren hatte Rochelle von ihrem Ex-Mann diese millionenschwere Villa als Abfindung erhalten. Dazu hatte er ihr seine Anteile an »Copter Robot Unlimited«, kurz CRU, überlassen. Ein Unternehmen, das Ersatzteile für Roboter jeglicher Art herstellte und damit Rochelles luxuriöses Auskommen sicherte.

Ihr Ex war zudem alleiniger Herrscher über ein industrielles Imperium, das in erster Linie für die Produktion von hochwertigen Kampfrobotern bekannt war. Sie sahen mit Absicht so aus wie menschliche Superhelden und wurden öffentlichkeitswirksam auf den sogenannten Killingfields weltweit im Krieg gegen feindliche Staaten eingesetzt. Die Schlachten wurden zur Unterhaltung der Massen regelmäßig auf allen Kanälen übertragen und hätten etwas von einem Super Bowl beim Football, wenn der Ablauf nicht so grausam gewesen wäre. Schon allein deshalb interessierte sich Marci nicht für die Übertragungen. Aber sie wusste, dass Monty MacIntyre, dessen Konzern ständig neue Robots für den Krieg produzierte, um die zerstörten Kämpfer zu ersetzen, dadurch zu ungeheurem Reichtum gekommen war. Außerdem stellten seine Fabriken weniger komplexe Robots her, die als Polizisten und Feuerwehrleute eingesetzt wurden.

Eine dieser Blechbüchsen, wie Will die Robots zu nennen pflegte, hatte ihn seine gut dotierte Stelle als Cop bei der Chicago Police gekostet. Der Hauptgrund, warum es ihm nach seiner Entlassung nicht gepasst hatte, dass Marci ausgerechnet bei Rochelle MacIntyre das Hausmädchen spielte.

»Ich will nicht glauben, dass du dich von diesen Blutsaugern für einen Hungerlohn ausnutzen lässt, obwohl sie uns diese ganze Scheiße eingebrockt haben«, hatte er sich ereifert, nachdem Marci den Zuschlag erhalten hatte.

»Wenn man mit zwei kleinen Kindern in den Slums von Chicago zurechtkommen muss, und nur wenig Unterstützung erhält, bleibt einem gar keine andere Wahl, als jeden Strohhalm zu ergreifen«, hatte sie ihm entgegengehalten und ihn damit nur noch mehr frustriert.

Wobei Marci selbst verwundert gewesen war, warum Rochelle eine menschliche Reinigungskraft bevorzugte. Wo sie doch über genug Beziehungen verfügte, um sich einen perfekten Haushaltsroboter anfertigen zu lassen, der ihre Aufgaben klaglos übernehmen würde.

»Robots sind teurer in der Anschaffung und müssen häufiger zur Reparatur als ein Mensch«, hatte Rochelle gegenüber ihren reichen Freundinnen argumentiert, die regelmäßig zum Tee erschienen und Marci beim Servieren begafften wie ein exotisches Hündchen, das auf Zuruf apportierte und das man sich rein zum Vergnügen hielt.

»Wenn ein Mensch nicht mehr funktioniert, kann ich ihn problemlos austauschen«, hatte Rochelle den Frauen in Gegenwart von Marci emotionslos erklärt und damit seltsamerweise ihr eigenes Business in Frage gestellt. Wobei sie Recht hatte, wenn sie hinzufügte, dass es genug menschliche Arbeitssklaven gab, die für ein paar Credits bereitwillig ihre eigene Seele verkauften.

Und nicht nur deshalb musste Marci höllisch aufpassen, um ihren Job nicht zu verlieren. Etwas umzustoßen oder fallen zu lassen hätte unweigerlich ihren Rauswurf bedeutet. Auch krank zu werden kam nicht in Frage, ganz gleich wie schlecht es ihr ging. Wobei ihr ein Blick in den Spiegel vollkommen reichte, um sich selbst den Grad ihrer Erschöpfung zu bescheinigen. Genaugenommen fühlte sie sich wie eine Hundertjährige. Dabei war sie erst Achtundzwanzig und damit in der Blüte ihrer Jugend, wie ihre mexikanische Großmutter immer geschwärmt hatte. Die hatte bis zu ihrem Tod mit Dreiundneunzig mit vollem Elan an einer vollautomatischen Kasse gestanden und Kunden beim Einscannen der Ware geholfen.

Marci würde so alt nicht werden. Sie aß nicht vernünftig, sie schlief nicht genug und sie weinte zu viel. Die dunklen Schatten um ihre Augen waren inzwischen nicht mehr zu übersehen.

»Du siehst aus wie ein Pandabär«, hatte Klein-Willie ihr erst vor ein paar Tagen bescheinigt und das auch noch lustig gefunden.

Seit sie und die Kinder ohne Will klarkommen mussten, hatte sie keine ruhige Minute mehr und war regelrecht abgemagert. Sie selbst sparte am Essen, damit die Kinder nicht hungern mussten. Die zerschlissene Jeans und der fadenscheinige, blaue Kittel hingen an ihr herunter, wie an einem Kleiderständer. Nur ihre verhältnismäßig großen Brüste trotzten noch hartnäckig dem Schicksal. Aber auch sie waren nicht mehr so fest und aufrechtstehend wie vor den Schwangerschaften. Was ihr eigentlich hätte egal sein können. Es würde ohnehin keinen Mann für sie geben, der ihr Will ersetzen konnte.

In ihrer Not hatte sie sogar schon darüber nachgedacht ihren Körper zu verkaufen, damit sie den Kindern auf dem Schwarzmarkt Obst und Gemüse kaufen konnte. Louise, ihre alte Nachbarin, die sich in diesem Geschäft bestens auskannte, weil sie in ihrer Jugend ein Escort-Girl gewesen war, hatte ihr jedoch dringend davon abgeraten.

»Mit den perfekt geformten, weiblichen Robots, die bis zu hundert Mal am Tag für ein paar Credits die Beine breit machen, kannst du sowieso nicht mithalten. Und für die menschlichen Frauen bleiben nur Freaks, die bei ihren sadistischen Spielchen echtes Blut sehen und vor allen Dingen riechen wollen. Das ist nicht nur schmerzhaft, sondern auch viel zu gefährlich.«

Nein, dachte Marci und raffte resigniert ihre langen, dunklen Locken mit einem Gummi zu einem Zopf zusammen. Ihr musste irgendwas anderes einfallen. So ging es jedenfalls nicht weiter.

Erst vor ein paar Wochen hatte die Regierung weitere Hilfen für Lebensmittel gekürzt. Dafür waren schon zum dritten Mal in diesem Jahr die Militärausgaben gestiegen. Was laut Will automatisch zur Folge hatte, dass für die Unterstützung der Armen in den Slums nichts mehr übrig blieb.

»Seit sich die Supermächte dazu entschieden haben, ihre Kriege mit teuren Robots auf den Killingfields auszutragen«, hatte er ihr nüchtern erklärt, »gibt es in diesem Land nur einen Gewinner. Und der heißt Monty MacIntyre! Dieser Typ verdient ein Schweinegeld mit seinem Blechbüchsenschrott und bei uns hungern die Kinder! Seit die Panasiatische Front die letzte große Schlacht unter chinesischer Führung gegen uns gewonnen hat, muss die Regierung nicht nur neue Schulden für die Siegprämie aufnehmen. Auch für MacIntyres Robo-Fighter dürfen sie mal wieder tief in die Tasche greifen. Er hat garantiert schon Nachschub auf Lager, um schnellstmöglich für die Revanche liefern zu können. Und du darfst dreimal raten, bei wem sich die Regierung das Geld dafür leiht. Richtig, auch bei MacIntyre. Wenn es so weiter geht«, orakelte er mit finsterem Blick, »wird es in absehbarer Zeit zu einem Bürgerkrieg kommen. Dann werden wir die Herrscher mit ihrer verdammten Blechbüchsenarmee zum Mond jagen. Dafür würde ich glatt auf die Bibel schwören!«

Marci mochte es nicht, wenn Will so redete. »Solche Sprüche sind gefährlich. Louise hat mir erst gestern erzählt, dass bis zu dreißig Jahre Gefängnis drohen, wenn man bei Protesten gegen die Regierung erwischt wird. Falls man als Terrorist geschnappt und verurteilt wird, kann man wegen Hochverrat sogar zum Tode verurteilt werden.«

»Louise!«, hatte Will gestöhnt und die Augen verdreht. »Was weiß diese alte Krähe denn über Gesetze. Außerdem geht es sie nichts an, was ich über wen denke. Sag bloß, du erzählst ihr von unseren Gesprächen?«

»Nein«, hatte Marci ohne mit der Wimper zu zucken gelogen. Dabei war die alte Frau in Wahrheit für Marci so etwas wie ein Mutterersatz, der sie beinahe alles anvertraute. »Aber wo sie recht hat, hat sie recht!«,

»Vergiss den Quatsch und lass dich lieber ein bisschen von mir verwöhnen.« Will hatte sie – wie üblich - mit seinen treuen, blauen Augen schnell auf andere Gedanken gebracht. »Ich werde mich von allem fernhalten und tue nichts, was unsere Familie in Gefahr bringen könnte«, hatte er ihr zugeflüstert und sie zärtlich geküsst. Es war das letzte Mal gewesen, dass sie miteinander geschlafen hatten.

Zwei Tage später war er verschwunden. Einfach so, als hätte man ihn aus dem Leben gehackt. Er war am Morgen wie immer auf Jobsuche gegangen und am Abend nicht zur üblichen Zeit zurückgekehrt. Erst hatte Marci sich damit beruhigt, dass er vielleicht in einen Pub gegangen war, der auf dem Weg zu ihrer Wohnung lag. Obwohl sie sich das eigentlich nicht leisten konnten. Aber sie hatte Verständnis dafür, wenn er seine Enttäuschung mit einem Glas Bier hinunterspülte. Als er am nächsten Morgen noch immer nicht neben ihr im Bett lag, hatte Marci sich mehr als nur Sorgen gemacht. Sie hatte Angst. Das Gefühl, ihm könnte etwas zugestoßen sein, hatte sich wie eine eiskalte Faust um ihr Herz gelegt. Zunächst befürchtete sie, die Staatspolizei könnte Will verhaftet haben. Vielleicht war er, wie von Louise befürchtet, in eine Razzia geraten und hinterher eingesperrt worden, und konnte sich deshalb nicht bei ihr melden. Den Gedanken, dass er dabei getötet worden sein könnte, hatte sie erst gar nicht an sich herangelassen. Aber sämtliche Nachfragen bei Krankenhäusern und Polizei verliefen ins Leere.

Nach drei bangen Tagen und Nächten erhielt sie unerwartet eine Intercom-Nachricht auf ihrem altersschwachen Tablet. Will hatte eine holografische Information für sie hinterlassen. Nachdem es ihr endlich gelungen war, das dafür notwenige Portal zu öffnen, traute sie ihren Augen nicht. Sein attraktives Konterfei mit den dunkelblonden Haaren und den meerblauen Augen ließen keinen Zweifel, dass es sich tatsächlich um ihren vermissten Ehemann handelte. Er lächelte sie an, als ob nichts gewesen wäre. »Hi Marci«, begann er mit einer seltsam blecherner Stimme, die sie zunächst auf die schlechte Übertragungsrate schob. »Es fällt mir nicht leicht, dir all das zu erklären, aber nach reiflicher Überlegung habe ich beschlossen, neu anzufangen und dich und die Jungs von mir zu erlösen. Ich bin sicher, ihr werdet ohne mich besser klarkommen und vielleicht findest du ja bald einen neuen Mann, der zuverlässiger für euch sorgen kann, als ich es je konnte.«

Von mir erlösen? Ungläubig hatte Marci auf ihr Tablet geglotzt und sich ängstlich gefragt, was er damit meinte. Vielleicht wollte er sich umbringen? Was so gar nicht zu seiner katholischen Erziehung gepasst hätte. Vielleicht war er auf Drogen? Seine Stimme hatte sonderbar teilnahmslos geklungen. Ganz so, als ob er selbst zu einem Robot mutiert wäre. Am Ende blickte er ihr ohne einen Anflug von schlechtem Gewissen direkt in die Augen, während er sich mit den Worten von ihr verabschiedete: »Du schaffst das schon, du warst immer stärker als ich«.

Marci hatte sich vergeblich gefragt, was, verdammt nochmal, in ihn gefahren war. Möglicherweise hatte er eine andere Frau kennengelernt und war mit ihr durchgebrannt? Louise hatte so etwas angedeutet. Was ihr in jedem Fall lieber gewesen wäre, als alles andere. Aber ihre innere Stimme, auf die sie sich gewöhnlich verlassen konnte, argumentierte entschlossen dagegen. Will war kein Mann, der sich aus einer Laune heraus mit anderen Frauen einließ. Aber vielleicht hatte er eine bei seinen rebellischen Treffen kennenglernt? Eine, die seine Überzeugungen teilte. Fakt war, dass sie sich in letzter Zeit öfters wegen seiner politischen Spinnereien gestritten hatten. Und das, obwohl sie normalerweise über alles in Ruhe redeten. Bereits in ihrer Jungend waren sie so etwas wie Seelenverwandte gewesen. Wobei Politik in ihren Gesprächen so gut wie nie eine Rolle gespielt hatte.

Marci stammte wie Will aus einfachen Verhältnissen, in denen man sich wenig bis gar nicht um das Weltgeschehen kümmerte. Marcis Urgroßeltern waren als mexikanische Tagelöhner ins Land gekommen, die schon stolz darauf gewesen waren, ihren Kindern ausreichende Mahlzeiten auf den Tisch bringen zu können. Wills Vorfahren hatten als irische Leiharbeiter ohne Krankenversicherung zusammen mit ihren Familien in heruntergekommenen Wohnmobilen gehaust. Und genau betrachtet, lief es drei Generationen später auch nicht viel besser. Aber all das war doch kein Grund einfach davonzulaufen. Geschweige denn, Frau und Kinder im Stich zu lassen. Natürlich war Will nach seiner Entlassung nicht mehr der gleiche dynamische Kerl gewesen, den Marci schon seit Ewigkeiten gekannt hatte. Seine sprichwörtlich gute Laune und sein Optimismus hatten sich über Nacht in Luft aufgelöst. Aber in seinen sanften Augen hatte noch immer die Liebe geleuchtet, die er ihr und den beiden Jungs entgegenbrachte.

»Ich kann das nicht verstehen«, jammerte Marci mit Tränen in den Augen, nachdem sie Louise die ganze Geschichte erzählt hatte. »Er hat doch so an den Jungs gehangen. Was ist, wenn er sich tatsächlich das Leben genommen hat? Ich meine, er war verzweifelt genug, weil er nicht mehr für uns sorgen konnte.« Sie stockte, um sich die Nase zu putzen. »Vielleicht hab ich was übersehen? Vielleicht hätte ich mehr auf ihn eingehen sollen?«

»Das glaub ich nicht, Schätzchen«, hatte Louise ihr versichert. »Dann hätte er bestimmt einen Abschiedsbrief hinterlassen. Nein, nein. So leid es mir für dich und die Kinder tut. Ich denke, er hat was anderes gefunden. Eine, die ihm das Leben versüßt und keine Ansprüche stellt. Männer sind so. Wenn es schwierig wird, rennen sie lieber weg, als Federn zu lassen. Du bist nicht die einzige Frau, der sowas passiert«, fügte sie bedauernd hinzu und nahm Marci mitfühlend in den Arm. »Mich hat ohnehin gewundert, dass dein Will nicht schon früher abgehauen ist.«

Marci wollte nicht glauben, dass Will sie und die Kinder einfach aufgegeben hatte. »Und was soll ich nun tun?«

»Dir bleiben nur zwei Möglichkeiten, Süße: Entweder du kapitulierst und lässt die Jungs genauso im Stich, wie Will es getan hat. Oder du reißt dich zusammen und machst weiter, und gibst ihnen damit wenigstens ein bisschen Hoffnung auf eine bessere Zukunft.«

Während Marci noch über die Worte der alten Frau nachdachte, war sie nicht sicher, ob sie die Kraft hatte, weiter zu kämpfen. Aber wegen der beiden Jungs stellte sich diese Frage nicht.

Plötzlich läutete es am Haupteingang der Villa und Marci wurde so abrupt aus ihren Gedanken gerissen, dass sie heftig zusammenfuhr. Erschrocken blickte sie auf und sah auf dem großen Wandbildschirm in der Eingangshalle einen Hünen mit stahlblauen Augen, dessen militärischer Kurzhaarschnitt einen eigenartigen, silberblauen Schimmer hatte. Der Mann war noch jung, vielleicht so alt wie sie selbst. Er war geradezu riesig und seine breiten Schultern und die unübersehbaren Brustmuskeln sprengten beinahe seinen schwarzen Overall. Er trug das Logo einer bekannten Auslieferungsfirma, die eigentlich nur einfach konstruierte Robots beschäftigte. Dieser Typ hingegen sah aus wie Superman. Bis auf die merkwürdigen Haare wirkte er wie ein Mensch, obwohl sie sich kaum vorstellen konnte, dass die Firma Menschen beschäftigte. Allem Anschein nach wollte er ein größeres Paket anliefern.

Aber warum machte sie sich überhaupt Gedanken darüber. Wie üblich hatte der Mann auf dem Weg zur Villa bereits die vollautomatische Kontrollzone durchqueren müssen, in der er sich legitimieren musste und die Security ihn mitsamt seinem Fahrzeug und dem Inhalt garantiert durchleuchtet hatte.

Als Marci die Eingangstür zum Empfang öffnete, was normalerweise ebenso automatisch geschah, aber von Rochelle nicht so gewünscht war, schob der silberhaarige Hüne eine mehr als zwei Meter hohe Stahlkiste auf Rollen herein und ließ sich den Empfang mit ihrem Fingerabdruck auf einem winzigen Tablet quittieren.

»Darf ich erfahren, was die Sendung enthält?«, fragte sie den verwegen aussehenden Kerl, der sie eine Spur zu lange betrachtete.

Der Bote, anscheinend wenig interessiert, ihr eine Antwort zu geben, zuckte mit seinen breiten Schultern, und steckte das Tablet beiläufig in die Brusttasche seines schwarzen Overalls.

»Gemäß den Lieferangaben ist es ein Robot. Frag am besten Mrs MacIntyre«, riet er ihr wenig hilfreich. »Sie hat das Ding bei »CRU« bestellt. Soweit ich die Daten checken kann, ist alles komplett. Die Lieferung ist damit abgeschlossen und es besteht kein Grund, eine Einweisung in den Gebrauch der Maschine vorzunehmen, weil die Empfängerin bereits informiert ist.«

Ohne Abschied drehte er sich um und verschwand in einem dunklen selbstfahrenden Van, der ihn mitsamt seiner Fracht hierher chauffiert hatte.

Marci hatte ohnehin nicht vorgehabt, sich in die Handhabung irgendwelcher Robots einweisen zu lassen. Im Geheimen fürchtete sie, dass sie in ihren Vermutungen richtig gelegen hatte und ihre Chefin sich nun von ihrer eigenen Firma eine vollautomatische Reinigungskraft hatte konstruieren lassen. Womöglich noch einen Robot, der Marci täuschend ähnlich sah, damit Rochelle sich nicht an ein neues Gesicht gewöhnen musste, wie sie gerne betonte.

Im Augenblick stand Marci das Ding nur im Weg, und wenn sie den Marmorboden in der Halle bis zum Mittag poliert haben wollte, würde sie Überstunden machen müssen, wenn nicht bald jemand kam und den ungeliebten Robot aus seiner Verpackung befreite. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie selbst Hand anlegen sollte. Nicht nur um den Störenfried zu beseitigen, auch weil es ihr keine Ruhe ließ, ob sie mit ihren Befürchtungen richtig lag.

»Verdammt«, fluchte sie leise, als sie sah, dass die Kiste, die gut vierzig Zentimeter größer war als sie selbst und um einiges breiter, nur durch einen Iris-Scan des neuen Besitzers geöffnet werden konnte. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis Rochelle sich aus ihrem Bett bequemte, und zum Frühstück herunterkam.

Während sie sich daran machte, die restlichen Marmorbüsten von Rochelles ebenso vermögenden Vorfahren mit einem archaischen Federfeudel zu bearbeiten, hörte sie in der oberen Etage ein Geräusch und kurz darauf einen wahren Begeisterungsschrei, der sie von neuem zusammenfahren ließ.

Ein Blick zur Brüstung des breiten, geschwungenen Treppenaufgangs, der wie fast alles in diesem Haus ganz aus weißem Marmor bestand und Marci wie der direkte Weg ins Paradies erschien, bestätigte den Auftritt der Hausherrin am oberen Ende der Balustrade. Offensichtlich konnte Rochelle ihren Enthusiasmus über die ansonsten nichtssagende Stahlkiste kaum zurückhalten. Mit schnellen Schritten rauschte die spindeldürre, fast achtzigjährige Blondine in einem weißen, durchscheinenden Seidenmantel auf silbernen Highheels die Treppe hinab. Dass sie dabei halbnackt war, schien sie ebenso wenig zu stören, wie ihre zerzauste Mähne, die eindeutig ihre Sicht behinderte und sie beinahe im Blindflug ins Erdgeschoss stolpern ließ.

Nach unzähligen Operationen besaß Marcis Arbeitgeberin noch immer Gesicht und Figur einer Zwanzigjährigen, dazu einen mehr als unecht aussehenden Busen, den sie sich erst letzte Woche auf Größe F hatte aufpumpen lassen, obwohl das schon lange nicht mehr gefragt war. Nun lugten ihre ballonartigen Brüste obszön aus dem offenen, knöchellangen Mantel hervor, der mit einer silbernen Federboa eingefasst war, und vermittelten dabei den Eindruck, als ob sie jeden Moment explodieren wollten. Was ihre Besitzerin nicht im Geringsten zu stören schien. Wenigstens war Rochelle so vernünftig gewesen, sich noch rasch einen Slip überzuziehen. Was aber auch nicht immer der Fall war, da sie es als ein Privileg ihrer Freiheit empfand, im eigenen Haus splitternackt herumlaufen zu können.

Inzwischen war sie vor dem Objekt ihrer Begierde angelangt und strahlte es mit glänzenden Augen an, als ob es der Weihnachtsbaum am Rockefeller-Center in New York wäre.

»Weißt du, was das ist«, rief sie vollkommen außer sich vor Entzücken und drehte sich zu Marci herum, die es verwunderte, wie ein Mensch, der bereits alles besaß, sich noch so sehr freuen konnte.

»Nein«, antwortete Marci schlicht und stellte für einen Moment das Staubwedeln ein. »Aber Sie werden es mir sicher gleich verraten.«

Anstatt zu antworten trat Rochelle an die Kiste heran, um eines ihrer mehrfach gestrafften Lider, mitsamt der dahinter befindlichen, hellblauen Iris vor einem schmalen Scanfeld in die richtige Position zu bewegen. Ein kurzes Aufleuchten aus dem Innern des Felds versicherte ihr, dass der gescannte Entschlüsselungscode erfolgreich gewesen war.

Ein summendes Geräusch ließ sie einen Schritt zurücktreten. Die Kiste faltete sich in mehreren Abschnitten anschaulich auf und entblößte im wahrsten Sinne des Wortes ihr ungeahntes Innenleben. Der Anblick eines vollkommen nackten Mannes verschlug nicht nur Rochelle die Sprache. Auch Marci klappte der Mund auf. Der beängstigend muskulöse Kerl war gut und gerne zwei Meter groß. Was sie daran erkennen konnte, dass sie ihm gerade mal bis zur Brust reichte. Er besaß ein überaus attraktives Gesicht mit einem energischen Kinn und einer geraden Nase. Sein kurzgeschorenes Haar war dunkel und sein Dreitagebart schimmerte in einem rötlichen Braun. Die exakt geschnittenen Brauen und dichten Wimpern waren dagegen von nussbrauner Farbe. Eine Kombination, die alles in allem erschreckend natürlich wirkte und Marci mit der Frage beschäftigte, ob es sich bei diesem Mann tatsächlich um einen Robot handelte.

Aber Menschen wurden normalerweise nicht in Kisten transportiert, es sei denn sie waren tot. Und dieses Exemplar sah ziemlich lebendig aus. Seine Lider waren geschlossen und somit blieb die spannende Frage, welche Augenfarbe sich dahinter verbarg.

»Oh«, machte Rochelle nur und leckte sich hastig über die Lippen. »Dr. Tanaka hat wirklich ganze Arbeit geleistet. Der Kerl sieht fantastisch aus. Gestern noch ein Kampfrobot auf den Killingfields, heute schon als Mann für gewisse Stunden in meinem Schlafzimmer. Ist das nicht scharf?«, frohlockte sie.

Marci zweifelte einen Moment, ob es sich bei diesem Mann tatsächlich um einen Kriegsroboter handeln konnte, selbst wenn man das bei seinen Körpermaßen hätte vermuten können. Abgesehen davon, dass diese Art von Maschinen dem Kriegswaffenkontrollgesetz unterstanden, wie sie von Will erfahren hatte, und in privaten Haushalten verboten waren, vermochte sie sich kaum vorzustellen, dass ihre Chefin ein solches Risiko einging. Rochelle jedoch erklärte ihr, dass ihr Chefingenieur einen ausrangierten Kriegsroboter als Basis verwendet hatte, um diesen fantastisch aussehenden Kerl für sie zu konstruieren. Und sie musste es schließlich wissen, hatte sie doch die Produktion dieses Prototypen selbst angeschoben, wie sie Marci nicht ohne Stolz berichtete.

Mit einer bloßen Berührung seiner Schläfen erweckte Rochelle den vergleichsweise riesigen Robot zum Leben, woraufhin er tatsächlich die Augen aufschlug. Sie leuchteten grün. Jadegrün, um genau zu sein, wie der Bergsee auf dem Bildschirmschoner von Marcis uraltem Intercomtablet. Der unnachahmliche Glanz in den dunklen Pupillen des Robots ließ ihn beinahe noch lebendiger erscheinen als einen Menschen. Marci war so überwältigt von seinem Anblick, dass sie sich gar nicht von ihm zu lösen vermochte.

Mit einer etwas ungelenken Bewegung trat der Robot aus seinem stählernen Gefängnis heraus. Was Marci beinahe enttäuschte, hatte sie sich seine ersten Schritte doch irgendwie fließender vorgestellt. Doch dann lockerte er seine beeindruckende Muskulatur und nahm mit einer weiteren, knappen Bewegung Haltung an, als ober er tatsächlich ein Soldat wäre, der sich zum Dienst meldet.

»Ist er nicht unglaublich schön?«, schwärmte Rochelle und war schon dabei, die imposante Brustmuskulatur des Mannes und sein perfekt definiertes Sixpack mit ihren rastlosen Fingern zu erkunden.

Nein, ist er nicht, hätte Marci am liebsten erwidert, obwohl sie sich seiner erotischen Ausstrahlung nicht entziehen konnte. Aber genauer betrachtet wirkte der Kerl eher beängstigend auf sie. Sein markantes Gesicht und der starre Blick seiner Augen signalisierten aller Perfektion zum Trotz skrupellose Entschlossenheit. Wenigstens sein weicher Mund wirkte entspannt, was für Marci den dominanten Gesamteindruck ein wenig relativierte. Noch nie in ihrem Leben hatte sie einen solchen Robot gesehen. Er unterschied sich in fast nichts von einem echten Mann. Wenn man von seinen außergewöhnlichen Muskelbergen einmal absah, die um einiges imposanter wirkten, als die der meisten menschlichen Kerle. Die Vorstellung, was dieser Robot mit einem Menschen anstellen konnte, wenn sein Besitzer die Kontrolle verlor, ließ sie frösteln. Sie erschrak regelrecht, als er plötzlich mehrmals blinzelte, wahrscheinlich um seine Augäpfel erneut mit künstlicher Tränenflüssigkeit zu benetzen.

Zu Marcis Erstaunen ließ er keinerlei Emotionen erkennen, als Rochelles rastlose Hände weiter über seine unbehaarte Brust nach unten wanderten. Vorbei an den schmalen Hüften, bis hin zu seinem muskulösen Gesäß und den strammen Oberschenkeln, wo sie einen Moment lang verweilte und nach einem Augenblick des Zögerns über sein stattliches Glied streichelte, das sich trotz seiner erstaunlichen Größe in einem entspannten Zustand befand. Anschließend berührte sie federleicht die dazu gehörigen Hoden, bei denen die Konstrukteure anscheinend beabsichtigt – wie bei dem Rest –  auf jegliche Schambehaarung verzichtet hatten. Während Rochelle sich über ihre neue Errungenschaft restlos begeisterte, wirkte der Robot vollkommen unbeeindruckt.

»Hat er auch einen Namen?«, fragte Marci unbedarft, die sich nicht vorstellen konnte, wie man einen solchen Kerl ansprechen sollte.

»Das ist Rob 007», stellte Rochelle ihn mit einem albernen Kichern vor. »Aber ich denke, ich werde ihn Robby nennen.« Wieder kicherte sie und setzte eine betont unschuldige Miene auf, was Marci beinahe belustigt hätte, wenn der kühle Gesichtsausdruck des Robots ihr nicht so unberechenbar erschienen wäre. Ihn schien es nicht zu interessieren, wie sie ihn nannte, noch zeigte er seinerseits auch nur einen Funken Sympathie für seine neue Besitzerin.

»Denken Sie wirklich, Robby ist der passende Name für einen solchen Koloss?«, fragte Marci mit einem nicht zu überhörenden Zweifel in der Stimme.

»Das ist ja das Schöne«, frohlockte Rochelle und gab Mr. Perfect einen abschließenden Klapps auf den knackigen Po. »Ich kann zu ihm sagen was ich will und ich kann mit ihm anstellen, was mir beliebt. Welcher Mann würde das zulassen?«

»Ich weiß nicht…«, antwortete Marci zögernd, während sie ein letztes Mal die unberechenbaren Züge des Robots nach einem Zeichen des Widerspruchs erforschte.

»Hast du eine Ahnung warum dieses Prachtstück in meiner Empfangshalle steht?« Rochelle sah sie herausfordernd an.

Marci musste sich erst sammeln, bevor sie zu einer Antwort fähig war.

»Ich kann’s mir zumindest denken«, antwortete sie immer noch ungläubig, »wenn Sie ihn als Mann für gewisse Stunden bezeichnen.«

Auch wenn der Typ für Marcis Geschmack nichts an sich hatte, was ihr Will ersetzen würde, konnte sie Rochelle gut verstehen. So wie er dastand, war er unglaublich sexy und sie war bestimmt nicht die einzige Frau, die sich von seiner maskulinen Erscheinung mehr als angezogen fühlte.

»Er ist ein Sexroboter«, klärte Rochelle sie mit einer geradezu diebischen Freude auf, die so gar nicht zu ihrer üblichen Souveränität passte, mit der sie alles und jedes durchdachte. »Die neuste Innovation von »Copter Robot Unlimited«.  Ein ausgemusterter Kriegsroboter, komplett überholt und ausgestattet mit dem neusten emotionalen Programm«, erläuterte sie Marci und wechselte übergangslos in ihren üblichen Geschäftsmodus.  »Ich habe Tanaka ein paar Entwürfe vorgelegt und er hat mir diesen fantastischen Kerl erschaffen. Gemeinsam haben wir die Idee verwirklicht, ausgemusterte Kriegsroboter in unseren Labors zu überholen und sie in sogenannte Escort Begleiter umzuprogrammieren. Fast vollkommene männliche Geschöpfe, die einer Frau jeden Wunsch von den Augen ablesen und sie gleichzeitig im Alltag beschützen. Um diesen langgehegten Traum zu verwirklichen benötigte Tanaka einen Schlüsselcode, den ich von Monty sozusagen als Trostpreis zur Abfindung erhalten habe. Er meinte damals, damit nichts anfangen zu können, weil seine Kriegsroboter keine Emotionen benötigen, um ihren Überlebensinstinkt zu aktivieren. Dr. Tanaka hingegen kann mit der für Monty nutzlosen Erweiterung jene emotionalen Hirnareale in einem Kriegsroboter aktivieren, die bei der originären Produktion unterdrückt werden, wie Empathie, Fürsorge und sexuelle Erregung. Wenn erst all diese unbefriedigten, gelangweilten Businessfrauen, einen solchen Kerl im Bett haben wollen, haben wir es geschafft. Dieser Typ ist garantiert mehr wert als jeder Kriegsrobot und wie Tanaka sagte, ersetzt er nebenbei den Bodyguard, putzt, kocht und organsiert den Garten. Ich bin sicher, das wird ein Bombengeschäft. In einem Jahr werde ich mehr Credits machen, als Monty es mit seinen Blechsoldaten je könnte. Zumal seine Geschäfte ohnehin nicht mehr so gut laufen wie früher, weil der Regierung das Geld ausgeht.«

Während Marci innerlich vor Schreck erstarrte, weil sich ihre schlimmsten Befürchtungen mit einem putzenden Robo Lover zu bewahrheiten schienen,  grinste Rochelle ihr übermütig ins Gesicht.

»Ich habe Dr. Tanaka versprochen, das erste Exemplar gleich selbst zu testen und ihm noch am selben Tag einen Bericht zu schicken«, fügte Rochelle unnötigerweise hinzu. »Falls mich jemand sucht, sag ihm, ich bin bis zum Lunch nicht zu erreichen. Mal sehen, ob Rob 007 hält, was CRU seinen Kunden verspricht. Wenn ich mit ihm fertig bin und du noch da sein solltest, stelle ich dir gerne mein Schlafzimmer zur Verfügung. Dein Mann ist doch schon eine ganze Weile weg und ich bin sicher, auch du wirst deinen Spaß mit dem gut bestückten Robot haben. Je mehr Erfahrungswerte ich CRU liefern kann, umso besser. Das ist ja das Schöne an diesen Maschinen«, plapperte sie amüsiert weiter, »sie machen keinen Unterschied, in wen sie ihre leistungsfähigen Schwänze stecken. Sie können immer, überall und mit jeder und jedem. Das behauptet Dr. Tanaka zumindest nach den ersten Testläufen, wobei er bestimmt meinen gewaltigen Appetit auf einen solchen Kerl nach fast einem Jahr Abstinenz nicht berücksichtigt hat.« Mit einem süffisanten Lächeln gab sie dem Robot ein Zeichen, dass er ihr folgen solle.  »Du entschuldigst mich«, sagte sie zu Marci, der es bei dem Gedanken, ihren Job womöglich schon bald an diesen »Mister Alleskönner« zu verlieren, eiskalt den Rücken hinunterlief.

Mit dem zufriedenen Grinsen einer Katze, der man ein feines Fischfilet vor die Nase setzt, machte sich Rochelle schließlich auf den Weg in ihr Schlafzimmer. Der Robot setzte sich ohne Widerstand in Bewegung, um ihr zu folgen. Aber Marci hätte ihren Hintern darauf verwetten mögen, dass er ihr im Vorbeigehen geradezu verschwörerisch zugezwinkert hatte. Entsprechend ungläubig starrte sie den beiden hinterher. Sie erwachte erst wieder aus ihrer Trance, als sich im Obergeschoss die Tür von Rochelles Schlafzimmer mit einem leisen Summen öffnete und gleich danach wieder schloss, nachdem die beiden dahinter verschwunden waren.