Roboter in der Bildung - Fady Alnajjar - E-Book

Roboter in der Bildung E-Book

Fady Alnajjar

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Beschreibung

Der Bildungsbereich verändert sich durch die Einführung digitaler Technologien. Roboter sind die Brücke zwischen der digitalen und der physischen Welt und daher ein wesentliches Thema in und für die Bildung. Dies hat einen direkten Einfluss darauf, wie und was wir den Lernenden beibringen. Dieses Buch bietet eine Einführung in die Verwendung und den Einsatz von Robotern in der Bildung: - Grundlagen der Robotik und unterstützende Technologien für ihre Bereitstellung - Untersuchung verschiedener Anwendungsszenarien - Beziehungen von Schülern und Lehrern gegenüber Robotern - Ethische Auswirkungen der Einführung von Robotern auf das Bildungswesen - Relevante Forschungsmethoden für die Erweiterung unseres Wissens über Roboter in der Bildung Das Buch hilft Forschern geeignete Soft- und Hardware zu entwickeln. Lehrer und Trainer erfahren, wie sie Roboter in ihrer Arbeit mit Schülern und Studenten einsetzen können. Es bietet eine Einführung in die einschlägigen Lehr- und Lerntheorien im Zusammenhang mit dem veränderten Lernen sowie praktische Ratschläge zum Einsatz von Robotern als Teil eines Lehrplans.

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Seitenzahl: 341

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Fady AlnajjarPaul BaxterMassimiliano L. CappuccioFriederike EysselOmar MubinNatalia Reich-StiebertChristoph BartneckTony BelpaemeCinzia Di DioJürgen HandkeMohammad Obaid

Roboter in der Bildung

Wie Robotik das Lernen im digitalen Zeitalter bereichern kann

Autoren:

Dr. Fady Alnajjar, United Arab Emirates University, al-Ain (VAEU)Prof. Dr. Christoph Bartneck, University of Canterbury, Christchurch (Neuseeland)Dr. Paul Baxter, University of Lincoln, Lincoln (Großbritannien)Tony Belpaeme, Universiteit Gent, Gent (Belgien), und University of Plymouth, Plymouth (Großbritannien)Massimiliano Cappuccio, University of New South Wales, Sydney (Australien)Cinzia Di Dio, Università Cattolica del Sacro Cuore, Mailand (Italien)Friederike Eyssel, Universität BielefeldJürgen Handke, Universität MarburgDr. Omar Mubin, School of Computing, Engineering and Mathematics, Western Sydney University, Kingswood (Australien)Dr. Mohammad Obaid, Chalmers University of Technology, Göteburg (Schweden)Dr. Natalia Reich-Stiebert, FernUniversität in Hagen

Alle in diesem Buch enthaltenen Informationen wurden nach bestem Wissen zusammengestellt und mit Sorgfalt geprüft und getestet. Dennoch sind Fehler nicht ganz auszuschließen. Aus diesem Grund sind die im vorliegenden Buch enthaltenen Informationen mit keiner Verpflichtung oder Garantie irgendeiner Art verbunden. Autor(en, Herausgeber) und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und werden keine daraus folgende oder sonstige Haftung übernehmen, die auf irgendeine Weise aus der Benutzung dieser Informationen – oder Teilen davon – entsteht.Ebenso wenig übernehmen Autor(en, Herausgeber) und Verlag die Gewähr dafür, dass die beschriebenen Verfahren usw. frei von Schutzrechten Dritter sind. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdruckes und der Vervielfältigung des Buches, oder Teilen daraus, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) – auch nicht für Zwecke der Unterrichtsgestaltung – reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© 2021 Carl Hanser Verlag MünchenInternet: www.hanser-fachbuch.deLektorat: Dipl.-Ing. Natalia Silakova-HerzbergHerstellung: Anne KurthCovergestaltung: Max KostopoulosCoverkonzept: Marc Müller-Bremer, www.rebranding.de, München

Print-ISBN        978-3-446-46695-1E-Book-ISBN   978-3-446-46802-3E-Pub-ISBN     978-3-446-47014-9

Inhalt

Titelei

Impressum

Inhalt

Danksagung

1 Einführung

1.1 Lehrtechnologien: Die digitale Wende in der Bildung

1.2 Definition von und Einführung zu Bildungsrobotern

1.3 Wissenschaft versus Fiktion

1.4 Gliederung des Buches

2 Theorien des Lernens

2.1 Lerntheorien

2.1.1 Behaviorismus

2.1.2 Kognitivismus

2.1.3 Konstruktivismus

2.2 Soziales Lernen

2.3 Tutoring

2.4 Kollaboratives und kooperatives Lernen

2.5 Projektbasiertes Lernen

2.6 Bildungstheorie und Roboter in der Bildung

3 Der interaktive Verstand

3.1 Kognitive Grundlagen des menschlichen Lernens

3.1.1 Aufmerksamkeit

3.1.2 Gedächtnis

3.1.3 Exekutive Funktionen

3.2 Sozial-kognitive Grundlagen von Interaktionen

3.2.1 Empathie

3.2.2 Nachahmung

3.2.3 Theorie des Geistes (Theory of Mind, ToM)

3.2.4 Anthropomorphismus

3.2.5 Nonverbale Kommunikation

3.3 Demografische Daten

3.3.1 Biologisches und soziales Geschlecht (Sex und Gender)

3.3.2 Alter

3.3.3 Ethnizität

3.4 Sind sie wirklich „wie ich“?

4 Was macht einen Roboter aus?

4.1 Der Roboter

4.1.1 Robotertypen und ihre Steuerung

4.1.2 Grundlegende Roboter-Hardware

4.2 Eingabe-Technologien

4.2.1 Die Spracherkennung

4.2.2 Computer Vision

4.2.3 Näherungssensoren

4.2.4 Berührungssensoren

4.2.5 Physiologische Sensoren

4.3 Ausgabe-Technologien

4.3.1 Motor-Bewegungen und Mobilität

4.3.2 Haptisches Feedback

4.3.3 Audio

4.3.4 Augen

4.4 Verarbeitungssoftware

4.4.1 Entwicklungs-Tools

4.4.2 Roboter-Software-Middleware

4.4.3 Sprachverarbeitung

4.4.4 Einschränkungen

4.4.5 Lokalisierung und Kartierung

4.4.6 Künstliche Intelligenz

5 Roboter als Werkzeug

5.1 Warum werden Roboter im Unterricht eingesetzt?

5.2 Informatisches Denken (Computational Thinking)

5.3 Hardware

5.3.1 Einsatzbereite Roboter (Ready-to-Run)

5.3.2 Roboter-Baukästen

5.3.3 TurtleBot

5.3.4 Benutzerdefinierte Hardware

5.4 Software

5.4.1 Programmierung

5.4.2 Simulationsumgebungen

5.5 Roboter-Wettbewerbe

5.6 Herausforderungen

5.6.1 Mangelndes Vertrauen der Lehrkräfte

5.6.2 Roboter im Lehrplan

5.6.3 Wirksamkeit von Robotern in der Bildung

5.7 Ausblick

6 Roboter als soziale Agenten

6.1 Was macht einen sozialen Roboter aus?

6.2 Rollen von sozialen Robotern in der Bildung

6.2.1 Der Roboter als Tutor

6.2.2 Der Roboter als Peer

6.2.3 Der Roboter als Novize

6.2.4 Der Roboter als Assistent im Klassenzimmer

6.2.5 Der Roboter als Prüfer

6.2.6 Der Roboter als Mediator

6.2.7 Der Roboter als Lernberater

6.2.8 Der Roboter als Telepräsenz-Tool

6.3 Ausblick

7 Anforderungen an den Einsatz von Robotern

7.1 Auswahl eines Roboters

7.2 Finanzielle Fragen

7.2.1 Wartung

7.2.2 Versicherung

7.3 Die Infrastruktur

7.3.1 Eine Entwicklungs- und Testumgebung

7.3.2 Transport

7.3.3 Vorbereitung für den Gebrauch im Klassenzimmer

7.3.4 Internetzugang

7.4 Entwicklung/Programmierung

7.4.1 Das Entwicklerteam

7.4.2 Die sozialen Medien

7.4.3 Installation

7.4.4 Das Entwicklungsumfeld

7.5 Ausblick

8 Anwendungen

8.1 Lernen

8.1.1 Wissen

8.1.2 Fertigkeiten

8.1.3 Komplexe Themen

8.1.4 Rehabilitation und Entwicklung sozialer Fähigkeiten

8.1.5 Verhaltensänderung

8.1.6 Roboterunterstütztes Sprachenlernen

8.1.7 Hochschulbildung

8.2 Bewertung

8.2.1 Prüfinstanz

8.2.2 Feedback

8.3 Ausblick

9 Einstellungen gegenüber Robotern

9.1 Technologieakzeptanz

9.2 Messung der Einstellung gegenüber Robotern

9.3 Einstellung zu Bildungsrobotern

10 Ethik

10.1 Was ist Ethik?

10.2 Ethik für Roboter

10.3 Ethische Bedenken im Klassenzimmer

10.4 Ausblick

11 Forschungsmethoden in der Bildungsrobotik

11.1 Kurz- und Langzeit-Untersuchungen

11.2 Forschungsprozess

11.2.1 Literaturübersicht

11.2.2 Definition der Forschungsfragen und Hypothesen

11.2.3 Definition der Methode

11.2.4 Analyse

11.2.5 Schreiben und Publizieren

Literaturverzeichnis

Danksagung

Dieses Buch ist das Ergebnis einer einwöchigen intensiven Schreibklausur, die – gefördert vom AI & Robotics Lab der Universität der Vereinigten Arabischen Emirate (UAEU) – im Januar und Februar 2020 in Al Ain, Emirat Abu Dhabi, stattfand.

Alle Koautoren haben aktiv an dieser Klausurtagung teilgenommen sowie an der Gestaltung, dem Entwurf und der Überarbeitung der Struktur und der ursprünglichen Inhalte mitgewirkt, aus denen dieses Buch besteht. Sie wurden von Frau Faith Bosworth (Booksprints.net) bei der Implementierung des Book-Sprint-Workflow-Formats unterstützt.

Die Klausurtagung war mit dem 5. Joint UAE-Symposium über Social Robotics (JSSR2020) verbunden, an dem die Koautoren unmittelbar nach Abschluss der Schreibklausur als Referenten teilnahmen. Die Klausur und das Symposium wurden durch einen großzügigen Beitrag des College of Humanities and Social Sciences und des College of Information Technology der Universität der VAE ermöglicht. Die JSSR ist Teil der Aktivitäten, die die UAEU jährlich im Rahmen des Innovationsmonats unter der Schirmherrschaft ihres Kanzlers, S. E. Dr. Saeed Ahmed Ghobash, durchführen, dem wir für die Unterstützung unserer Initiative dankbar sind.

Die Autoren dieses Buches möchten auch Dr. Ghaleb Ali Alhadrami, Dr. Hassan Naboodah, Dr. Taieb Znati, Dr. Meera Alkaabi und Dr. Munkhjargal Gochoo für die Unterstützung der Organisation dieser Initiative danken. Unser besonderer Dank gilt Dr. Munkhjargal Gochoo und Dr. Fiona Baker für ihre hilfreichen Anregungen und Einsichten während der Anfangsphase der Klausur.

1Einführung

„If we teach today’s students as we taught yesterday’s, we rob them of tomorrow.“

– John Dewey: Democracy and Education. New York, Macmillan, 1944.

Was wird in diesem Kapitel behandelt:

       die sich wandelnde Natur der Bildung,

       eine kurze Geschichte der Bildungsroboter,

       echte Roboter versus fiktive Roboter,

       Ausblick auf die folgenden Themen.

Ein modernes Lernszenario: Sarah besucht einen Informatikkurs und arbeitet heute mit Ozobot. Mit ihm (siehe Bild 5.5) fängt sie Pokémon und lernt dabei spielerisch grundlegende Kodierungskonzepte kennen. Ozobot ist ein kleiner programmierbarer Roboter, entwickelt, um den Unterricht von Mathematik und Naturwissenschaften bis hin zur Kunst praxisnah zu unterstützen. Zur gleichen Zeit nimmt Ben an einem Spanischkurs teil. Er interagiert mit Pepper, einem Roboter, der einem Menschen mit Armen und einem Gesicht, das als freundlich und niedlich empfunden werden soll, recht ähnlich sieht (Bild 1.3). Sie sprechen über das Leben von Straßenkindern in Lateinamerika. Pepper spricht langsam und ohne Akzent und wiederholt geduldig, wenn Ben ihn nicht verstanden hat. Er kann Lehren und Lernen in verschiedenen Disziplinen unterstützen. Er spricht 27 Sprachen und ist in der Lage, menschliche Emotionen zu erkennen und sozial zu interagieren.

Der Einsatz von Bildungstechnologien zur Unterstützung des Lernens und Lehrens hat sich von computergestützten Präsentationen und Online-Lernumgebungen hin zu den neuesten Lehrtechnologien, nämlich zum Einsatz von Bildungsrobotern wie Ozobot oder Pepper entwickelt. Schulen und Universitäten auf der ganzen Welt haben bereits damit begonnen, den Einsatz von Robotern im Klassenzimmer zu testen. Rasche technologische Innovationen, die unter dem Stichwort „Digitalisierung“ zusammengefasst werden, sind ein Grund für diese Entwicklung. Vor dem Hintergrund der digitalen Transformation spielt der kompetente Einsatz digitaler Medien im aktuellen Bildungsdiskurs eine immer wichtigere Rolle. Immer häufiger treten die sogenannten „Kompetenzen des 21. Jahrhunderts“ (die sog. 21st Century Skills) in den Vordergrund und umfassen u. a. Informations-, Medien- und Technologiekompetenz, Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit sowie Lern- und Innovationsfähigkeit. Eine Aufgabe von Unterricht ist daher, neue Kenntnisse und Kompetenzen zu vermitteln und neue Formen des Austauschs in einer zunehmend vernetzten Welt zu lehren. Die Robotik ist eine treibende Kraft in diesem technologischen Wandel und ihre Bedeutung in unserem zukünftigen Alltag wird stetig zunehmen. Aus diesem Grund muss den Studierenden die Möglichkeit gegeben werden, sich diesem Thema zu nähern und sich Wissen darüber anzueignen, um auf heutige und zukünftige Lebens- und Arbeitsumgebungen vorbereitet zu sein. Was noch wichtiger ist: Die Forschung zeigt uns, dass das Lernen mit Robotern für Schüler1 aller Altersgruppen interessant ist. Es fördert ihre Neugier gegenüber Themen, von denen die Betreffenden nie gedacht hätten, dass sie sie interessieren würden. Der Einsatz von Bildungsrobotern kann dazu beitragen, eine Lernumgebung zu schaffen, die Schüler durch die Neuartigkeit des Interaktionsmediums an den Inhalt fesselt.

In diesem Buch skizzieren wir zunächst verschiedene Lernparadigmen, die der Bildungsrobotik zugrunde liegen und betrachten dann das Potenzial von Robotern in der Bildung und die Rollen, die sie bei der Wissensvermittlung spielen können. Darüber hinaus werden wir technische Anforderungen und Anwendungspotenziale sowie mögliche damit verbundene Herausforderungen diskutieren. Schließlich werden wir untersuchen, wie die visuellen, sozialen und verhaltensbezogenen Signale eines Roboters das Lernen beeinflussen und welche Forschungsmethoden geeignet sind, um Mensch-Roboter-Interaktionen im Bildungsbereich zu untersuchen.

1.1Lehrtechnologien: Die digitale Wende in der Bildung

„Bildung“ ist im 21. Jahrhundert im Wandel. Die Rolle von Robotern in der zukünftigen Bildung kann daher nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss im Zusammenhang mit den digitalen Veränderungen verstanden werden, die derzeit zu beobachten sind. Die zentrale Idee dieses neuen Ansatzes zum Lehren und Lernen besteht darin, dass die Wissensvermittlung und der Wissenserwerb heute weitgehend durch digitale Technologien erfolgen kann. Digitale Technologien erlauben es Lehrkräften, Lernen zu personalisieren und dem Lernenden die Verantwortung für seinen persönlichen Lernprozess zu übertragen.

Ein Trend in der digitalen Transformation der Bildung, der ein immenses Wachstum erlebt, ist das Online-Lernen. Statt einer textbasierten, statischen Lernerfahrung in einem Klassenzimmer oder einem Hörsaal arbeiten die Lernenden mit einem Online-Lernprogramm an Lernelementen, die in Produktionsstudios, Workshops oder außerhalb der Lernumgebung für sie zusammengestellt wurden. Diese Inhalte werden in der Regel über das Internet mithilfe von Lernmanagementsystemen (LMS) vermittelt. Einer der größten Vorteile dabei ist, dass die Studierenden ihre eigene Lernintensität und die Geschwindigkeit, mit der sie in ihrem Lernprozess voranschreiten, selbst bestimmen können. Kurse, die in solchen anpassbaren Formaten angeboten werden, können sehr viele Teilnehmer erreichen, da eine große Anzahl von Lernenden die digitalisierten Inhalte in sogenannten Massive-Open-Online-Kursen (MOOCs) abrufen kann.

Viele Bildungseinrichtungen betrachten MOOCs als Schlüssel zum Lehren und Lernen in einer modernen Welt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass dieses Format unter extrem niedrigen Erfolgsquoten leidet, die oft unter 5 % liegen. Khalil und Ebner (2014) erwähnen, dass Zeitmangel, mangelnde Motivation der Lernenden, das Gefühl der Isolation und ein Mangel an Interaktivität die zentralen Probleme in solchen Online-Lehr- und Lernszenarien sind. Die versprochene Größenordnung, in der ein Tutor Tausende von Studierende und Nichtakademiker kostenlos unterrichtet, ist nicht erreicht worden (Neubök et al., 2015). Die hohen Produktionskosten von professionellen Online-Kursen führten dazu, dass erhebliche Einschreibgebühren erhoben werden müssen (Hollands, 2014). Diese Probleme bestehen auch in geschlossenen Online-Kursen, die von etablierten Universitäten angeboten werden, um beispielsweise Mikrozertifikate zu erwerben (Handke und Franke, 2013). Daher werden Online-Kurse wahrscheinlich nicht die Lösung für die Probleme des traditionellen Lehrens und Lernens sein.

Wir brauchen eine zusätzliche Komponente, in der das digital erworbene Wissen vertieft und eingeübt wird. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten für den Präsenzunterricht, der dann kompetenzorientiert und nicht primär auf den Wissenstransfer ausgerichtet sein kann. Deshalb wird ein zweiphasiges Lehr- und Lernszenario vorgeschlagen: Online-Inhaltsvermittlung und selbstgesteuerter Inhaltserwerb, jedoch mit angeleiteter Wissensvertiefung. Dieses Szenario, das lange Zeit mit dem Begriff „umgekehrter“ oder „invertierter Unterricht“ (Lage et al., 2000; Baker, 2000) assoziiert wurde, ermöglicht den Lernenden nicht nur ihren eigenen Lernstil und ihren eigenen Zeitrahmen beizubehalten, sondern auch einen hohen Grad an Individualisierung in der Online-Phase. Mehr noch, sie stützt sich auf eine anschließende Präsenzunterrichtphase, in der das neu erworbene Wissen vertieft und eingeübt wird.

Eine große Verbesserung der Online-Bildung, die sowohl im Präsenzunterricht als auch online genutzt werden kann, kam mit dem Aufkommen virtueller und erweiterter Realitäten (VR, Virtual Reality und AR, Augmented Reality), die es den Lernenden ermöglichen, eine immersive Lernerfahrung zu machen. Virtuelle Realität ist eine computergenerierte Simulation von Umgebungen, in denen Benutzer dreidimensional und realistisch interagieren können und in denen sie sich durch elektronische Geräte wie Helme oder mit Sensoren ausgestattete Kleidung präsent fühlen können (Biocca, 1992; Steuer, 1992; Zhou und Deng, 2009). Aktuelle bekannte VR-Systeme sind z. B. die CAVE, ein begehbarer Würfel, auf dessen Wände Bilder projiziert werden, sodass sich für den Anwender im Inneren des Würfels mit einer 3D-Brille der virtuelle Eindruck einer realen Szene ergibt (CAVE, Cruz-Neira et al., 1992). Andere Systeme setzen auf mit LCD-Bildschirmen ausgestattete sogenannte Head-Mounted Displays (HDM, Santos et al., 2009), auf dem Kopf tragbare Ausgabegeräte. Augmented Reality kombiniert Objekte und Elemente aus dem wirklichen Leben mit VR-Komponenten (Azuma, 1997). Im Vergleich zu VR koexistieren bei AR virtuelle Elemente in realen Umgebungen und ermöglichen so die Verschmelzung von Lernelementen im virtuellen Raum und in der realen Welt (Bower et al., 2014). Mobile mit GPS ausgestattete Geräte erhöhen die Mobilität und Interaktion der Lernenden untereinander und ermöglichen es, die reale Welt authentisch ergänzt durch virtuelle Elemente wie Bilder, Texte oder Videos zu erleben. AR-Lehrbücher sind ein Beispiel für solche Anwendungen in der Bildung. Vorlesungsaufzeichnungen werden durch Visualisierungen, 3D-Modelle oder Simulationen ergänzt, die eine neue interaktive Art des Lernens schaffen.

Ein großer Vorteil von Virtual- und Augmented-Reality-Anwendungen in der Bildung ist, dass sie realitätsnahe Erfahrungen auf immersive Weise ermöglichen. Neuere Arbeiten zeigen, dass der Einsatz von VR- und AR-Systemen in der Bildung einen positiven Einfluss auf die Lernergebnisse haben kann, wie z. B. erhöhte Motivation und Interesse oder höhere Leistung und Kreativität (Makransky und Lilleholt, 2018; Alhalabi, 2016; Bower et al., 2014; Wu et al., 2013). Pädagogische Fragen und Herausforderungen ergeben sich jedoch aus der Implementierung sowohl von Online-Lernen als auch von VR- und AR-Anwendungen in der Bildung. Innovative Unterrichtsansätze in Ergänzung zu herkömmlichen lehrerzentrierten, umsetzungsorientierten Methoden sind erforderlich.

Eine Lehrkraft leistet heutzutage nicht mehr nur Wissensvermittlung, sondern Assistenz im Bildungsprozess: „Vom Weisen auf der Bühne zum Begleiter“ (King, 1993). Diese neue Rolle ist eine Herausforderung. Sie umfasst die Beantwortung von Fragen, die Betreuung von Projektarbeiten im Unterricht, Gruppenarbeit mit den Lernenden und die Steuerung von Technologien wie Audience-Response-Systemen (ARS) oder Lern-Apps. Das sind Aktivitäten, die inhaltsspezifische, mediale und technologische Kompetenzen erfordern. Eine einzelne Lehrkraft ist oft nicht in der Lage, alle diese Rollen ausreichend zu übernehmen, insbesondere in Klassen mit mehr als 25 Lernenden (Handke, 2020). Aber auch in kleineren Klassen kann der ständige Wechsel zwischen Inhalt und Technologie den Lehrer von der Zusammenarbeit mit den Lernenden ablenken. Infolgedessen benötigen wir mehr Assistenten, die diese Aufgaben übernehmen, idealerweise einen für jeden Studenten. Dies käme dem antiken Ideal nahe, dass Sokrates durch die Straßen Athens wandert, während er sich mit einem Studenten unterhält.

Heute gibt es jedoch eine neue Option. Eine Lehrtechnologie, die die Bildung in nicht allzu ferner Zukunft prägen wird, ist der Einsatz von Robotern für das Lehren und Lernen. Wir glauben, dass Roboter ein besonders großes Potenzial haben, die Zukunft der Bildung zu gestalten und Schüler zum Lernerfolg zu führen. Einschlägige Lernerfahrungen mit Bildungsrobotern (seien es Roboter als Werkzeuge oder als soziale Akteure), wie z. B. beim Programmieren oder einfach durch die Zusammenarbeit mit ihnen, können die Kreativität anregen, das Problemlösen trainieren und diejenigen selbstregulierenden Lernfähigkeiten fördern, die Lernende benötigen, um im heutigen und zukünftigen Arbeitsleben erfolgreich zu sein. Bildungsroboter als soziale Akteure können zumindest in gewissem Umfang einige der Aufgaben von menschlichen Lehrkräften übernehmen und diesen dadurch neue Freiräume für individuelle Beratung und Betreuung ermöglichen. Ein Einsatz von Robotern, der den Menschen nicht ersetzt, sondern unterstützt, ist ein wesentlicher Bestandteil der digitalen Wende. Während die Rolle des Lehrers und die des Roboters die Lernerfahrung verändern wird, machen Roboter den Lehrer nicht überflüssig. Die Programmierung der Roboter, die Erstellung von Inhalten und die Wartung werden sogar zu vielen neuen Arbeitsplätzen führen.

Man könnte an dieser Stelle argumentieren, dass virtuelle „Lehrkräfte“, die auf Bildschirmen oder mobilen Anwendungen basieren, diese Aufgabe ebenfalls erfüllen könnten und keine teure Hardware benötigen würden. In diesem Buch werden wir jedoch argumentieren, dass die einzigartige physische Verkörperung und die interaktiven Fähigkeiten von sozialen Robotern der Schlüssel zur Bildung einer sozialen und doch einfühlsamen Bindung zwischen den Lernenden und den Robotern ist und, dass diese Bindung die Lernerfahrung verbessert. Mechanische Roboter sind dagegen vielleicht nicht in der Lage, sich mit einem Menschen zu unterhalten, aber durch ihren Formfaktor oder ihre manipulative modulare Struktur bieten sie eine Plattform, um etwas über Technik und Wissenschaften zu lernen. Daher enthält dieses Buch Kapitel über beide Arten von Robotern: als soziale Akteure und als Werkzeuge.

Was ist mit der Vergangenheit? Gab es Beispiele von Robotern, die menschliche Lehrer in der Bildung vor der Digitalisierung begleitet haben? Gibt es darüber hinaus Beispiele für den Einsatz von Robotern in Lehr- und Lernumgebungen, die über die beschriebenen hinausgehen? Die folgenden Passagen geben zunächst einen allgemeinen Überblick und befassen sich dann mit dem Potenzial von Robotern im Vergleich von Wissenschaft und Fiktion und dem, was zur imaginären und realen Welt gehört.

1.2Definition von und Einführung zu Bildungsrobotern

Unter „Bildungsroboter“ werden alle Roboter verstanden, die im Bildungskontext eingesetzt werden können. Je nach ihrem Interaktionsstil mit Menschen lassen sie sich in Roboter einteilen, die als Werkzeuge oder als soziale Akteure eingesetzt werden können. Als Werkzeuge werden sie entweder eingesetzt, um Lernende über Roboter an sich zu unterrichten oder, um durch ihre Programmierung technisches Wissen zu vermitteln (Eguchi, 2012). Zu dieser Kategorie gehören Roboter wie die LEGO Mindstorms oder der Aibo-Roboter (Sony).

In ihrer Rolle als soziale Akteure werden Roboter als Lernbegleiter betrachtet (Miller und Nourbakhsh, 2016). Durch soziale Interaktionen bieten sie Unterstützung und Hilfe. Sie können in einem fächerübergreifenden Kontext eingesetzt werden. Zu dieser Gruppe gehören humanoide Roboter wie der Pepper-Roboter (SoftBank Robotics) oder Telepräsenzroboter wie der Beam-Roboter (Suitable Technologies). Wie wir in späteren Kapiteln sehen werden, handelt es sich bei dieser Unterteilung eher um ein Kontinuum als um eine binäre Unterscheidung.

Bildungsroboter gibt es schon seit vielen Jahren. Da Roboter zuerst in Fabriken eingeführt wurden, fokussierte sich der Unterricht im Rahmen von Mechatronik-Lehrplänen auf den Bau und die Programmierung von Industrieroboterarmen. Die Komplexität dieser Maschinen (wie z. B. der KUKA-Roboterarm) machte sie für nicht ingenieurwissenschaftliche Studierende mehr oder minder unzugänglich.

Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) begann bereits 1987 mit der Arbeit an einer Ausbildungsroboterplattform unter dem Titel „Logo Brick“, die mittlerweile zu ihrem „Red Brick“ weiterentwickelt wurde. The LEGO Group (TLG) interessierte sich für diese Entwicklung und begann 1996 mit dem MIT zusammenzuarbeiten, woraus 1998 der erste programmierbare LEGO-Baustein namens „Robotics Invention System“ (RIS) entstand (Martin et al., 2000). Er wurde als LEGO Mindstorms vermarktet. Das ursprüngliche Design wurde mit den Mindstorms NXT und EV3 verbessert (Bild 1.1).

LEGO Mindstorms ist heute das wohl am weitesten verbreitete Robotik-Lehrmedium (Kubilinskiene et al., 2017). Allerdings haben mehrere neue Plattformen, die auf fortschrittlichen Mikrocontrollern basieren, LEGO Mindstorms aus technologischer Sicht übertroffen. Zwei solcher Geräte sind der Raspberry Pi (Bild 1.2) und der Arduino. Diese Geräte sind dazu gedacht, Robotik und Programmierung zu lehren. Sie können zwar auch für die Lehre anderer Themen verwendet werden, ihr Schwerpunkt liegt jedoch nach wie vor in der Informatik und im Ingenieurwesen. Wir werden diese Systeme in Kapitel 5 ausführlicher vorstellen.

Bild 1.1LEGO Mindstorms-Roboter (von links nach rechts: RCX, NXT, EV3)

Bild 1.2Raspberry Pi (© Michael Henzler)

Im Jahr 2008 entwickelte Aldebaran Robotics (jetzt SoftBank Robotics) einen vollständig integrierten humanoiden Roboter mit dem Namen „NAO“. Dabei handelte es sich nicht mehr um einen Satz von Bausteinen, Sensoren oder Aktoren, die zusammengebaut werden mussten, sondern um einen voll funktionsfähigen, einsatzbereiten Roboter. Er wurde schnell zu einer beliebten Forschungsplattform (fast ein De-facto-Standard) und in vielen Studien über den Einsatz von Robotern in der Bildung verwendet. Während NAO auch für den Unterricht über Robotik eingesetzt werden kann, wurde er für viele andere Lehrbereiche verwendet, wie z. B. für den Zweitspracherwerb (Kennedy et al., 2016). Nachdem SoftBank Robotics die Firma Aldebaran Robotics gekauft hatte, wurde der Roboter „Pepper“ entwickelt und 2014 auf den Markt gebracht (Bild 1.3). Pepper erschließt durch seine Fähigkeit zur Emotionserkennung, eine Tablet-Integration und die Eignung für Multi-User-Tracking und Interaktion auch den Bildungsbereich.

Bild 1.3Roboter Pepper (© SoftBank Robotics)

Andere Arten von Bildungsrobotern sind zoomorphe Roboter, d. h. Roboter, die wie Tiere geformt sind, z. B. Hunde und Katzen. Sony brachte 1999 den Roboter Aibo auf den Markt. Obwohl der Aibo ursprünglich nicht für den Bildungsbereich konzipiert war, stellte Sony Werkzeuge zur Programmierung des Roboters zur Verfügung, mit denen Forscher maßgeschneiderte Programme erstellen konnten, sodass er in Lehrplänen verwendet werden konnte (Yamamoto et al., 2006). Die ersten Versionen des Aibo wurden zwischen 1999 und 2006 produziert. Im Jahr 2018 brachte das Unternehmen eine völlig neue Version des Roboters auf den Markt (Bild 1.4).

Alle bisher beschriebenen Roboter können entweder autonom operieren, d. h. einmal programmiert, agieren sie ohne weitere Rücksprache mit dem Programmierer, oder durch die Wizard-of-Oz-Methode (WoZ-Methode), d. h. der Roboter agiert autonom, wird aber tatsächlich von einem nicht in Erscheinung tretenden Menschen (dem sogenannten Wizard) bedient und gesteuert. Ein weiterer Ansatz für den Einsatz von Robotern in der Bildung sind Telepräsenzroboter. Hier steuert ein Lehrer einen lokalen Roboter, der mit den Lernenden interagiert, aus der Ferne. Die Geminoid-Roboterserien (Bild 1.5) von Hiroshi Ishiguro sind Beispiele für Telepräsenzroboter mit hoher Menschenähnlichkeit (Nishio et al., 2007). Weniger menschenähnlich geformte Telepräsenzroboter sind z. B. die von Suitable Technologies entwickelten Beam-Roboter. Es ist möglich, dass ein und derselbe Lehrer mehrere ferngesteuerte Roboter bedienen kann und dadurch Fernunterricht ermöglicht.

Bild 1.4Roboter Aibo (© Sony Corporation)

Bild 1.5Geminoid-HI-4-Roboter von Hiroshi Ishiguro an der Universität von Osaka entwickelt (© Hiroshi Ishiguro)

Die heute für den Bildungsbereich verfügbaren Roboter sind leistungsfähiger geworden und weisen natürlichere Formen der Interaktion auf. Wir werden den Aufbau von Robotern, ihre Funktionen und die zugrunde liegende Technologie in Kapitel 4 ausführlicher diskutieren.

1.3Wissenschaft versus Fiktion

Im Bereich der Robotik ist es sehr schwierig zu unterscheiden, was wissenschaftliche Fakten sind und was reine Fiktion bleibt. Die breitere gesellschaftliche Öffentlichkeit ist oftmals nicht nur schlecht über den Stand der Technik in der Robotik informiert, sondern wird zudem durch die mediale und fiktionale Darstellung von Robotern in die Irre geführt (Sandoval et al., 2014; Mubin et al., 2016).

Seit langem schon haben Science-Fiction-Autoren Roboter als Begleiter, als Kumpel, als Mitarbeiter, als Lebenspartner oder als Diener, meist als Butler, als Kindermädchen oder als Leibwächter dargestellt. Sehr oft wird in der Science-Fiction, wenn Robotern eine erzieherische Funktion zugewiesen wurde, diese Funktion unter der Rolle des Pflegers subsumiert: Denken Sie an den Netflix-Film „I am Mother“ (Sputore, 2019) und Grace in „Umbrella Academy“ (Way and Ba, 2008), oder an den berühmten Roboter M3 B9 in der Serie „Lost in Space“, der als Begleiter und Leibwächter des jüngsten Mitglieds der „Robinson-Familie“ fungierte. Wenn Roboter in der Science-Fiction als Lehrkraft dargestellt werden, liegt das vielleicht daran, dass diese Aktivitäten oft Teil des Erziehungs- oder Schutzverhaltens sind, das ihnen einprogrammiert wurde. Die Science-Fiction gibt aber auch inspirierende Darstellungen von Robotern als Lehrer und Erzieher. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit möchten wir zwei fiktionale Darstellungen von Robotern in der Lehrerrolle ins Gedächtnis rufen und aufzeigen, dass beide Formen der Darstellung mitunter wenig schmeichelhaft portraitieren, was passieren kann, wenn Erziehung Robotern anvertraut wird.

Die erste ist „The Fun They Had“, ein Klassiker der SciFi-Literatur von 1951. In dieser denkwürdigen Kurzgeschichte von Isaac Asimov, die im Jahr 2155 spielt, geht es um ein Mädchen das, nachdem ihr Nachbar zufällig ein altes Schulbuch auf dem Dachboden gefunden hatte, entdeckt, dass Kinder früher in Gruppen mit menschlichen Lehrkräften lernten, bevor diese vollständig durch Roboter ersetzt wurden. Zu der Zeit, in der die Geschichte spielt, lernen die Kinder einzeln zu Hause unter der Aufsicht eines Roboterlehrers. Obwohl das Mädchen der Idee, von einem erwachsenen Menschen unterrichtet zu werden, zunächst skeptisch gegenübersteht, träumt sie am Ende der Geschichte davon, in einer Schule der Vergangenheit in Gesellschaft anderer Lernender und einer menschlichen Lehrkraft zu lernen. In dieser Geschichte wird der Begriff der Robotik in der Bildung mit einer Mischung aus Skepsis und einem Gefühl der Nostalgie für traditionelle Bildung aufgenommen. Liest man jedoch Asimovs Geschichte im Jahr 2021, mag man zu einer anderen Interpretation kommen: Angesichts der gut dokumentierten Vorteile des Einsatzes von Robotern im Klassenzimmer, um das Engagement der Kinder zu erhöhen und das Lernen in der Gruppe zu erleichtern, kann man sich der Ironie nicht erwehren, dass der heutige Roboter eine der vielversprechendsten Lösungen für die in Asimovs Geschichte beschriebene Isolation zu bieten scheint.

Eine weitere populäre Darstellung der Robotik in der Bildung bietet Mark Lesters (1990) dystopischer Film „Class of 1999“. Der Film zeigt eine Schule in einer gewalttätigen Nachbarschaft, die von Schüler-Unruhen und jungen Kriminellen heimgesucht wird. Um der Schule zu helfen, ihre Schüler unter Kontrolle zu bekommen, werden Lehrer heimlich durch neue Modelle humanoider Roboter ersetzt, die sehr bald eine fragwürdige Neigung zu repressiven Methoden bei der Disziplinierung der widerspenstigen Jugendlichen zeigen. Auch dieses dystopische Szenario scheint heute, wo die Interaktion zwischen Robotern und Kindern realer geworden ist und mit der wir vertrauter geworden sind, ziemlich ironisch zu sein. Während an der Idee, dass Roboter zu Werkzeugen der Überwachung2 und Abschreckung werden können und, dass sie im Prinzip eingesetzt werden können, um undiszipliniertes oder falsches Verhalten im Klassenzimmer zu verhindern, definitiv etwas Wahres sein mag, steht das freundliche und harmlose Aussehen der heutigen Roboter in starkem Kontrast zu dem schrecklichen autoritären Aussehen, das im Film dargestellt wird.

Die Science-Fiction-Darstellungen von Robotern haben sich in der Realität nicht immer als richtig vorausgesagt erwiesen. Doch wir müssen feststellen, dass auch die wissenschaftliche Sicht verwirrend sein kann. Auf der einen Seite werden uns Videos der realen akrobatischen Fähigkeiten der Atlas-Roboter der Firma Boston Dynamics präsentiert, während gleichzeitig Videos eines computergenerierten Atlas-Roboters im Umlauf sind, die vom Original visuell nicht zu unterscheiden sind (Bartneck und Keijsers, 2020). Darüber hinaus sind wir mit Pseudo-Robotern wie Titan konfrontiert, der über erstaunliche Fähigkeiten zu verfügen scheint. Titan ist jedoch nur ein Mensch in einem Anzug. Diese Ungewissheit hängt nicht nur von der Täuschungskraft ab, die hyperrealistische Computergrafiken und hochentwickelte Videos heutzutage erreicht haben, sondern auch von der potenziellen Ungenauigkeit, die mit der Definition von Robotern und ihren Fähigkeiten verbunden ist. Die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung lässt viele von uns im Unklaren darüber, was derzeit möglich ist und was nicht.

Erwünschte Fähigkeiten wie hochentwickelte Sprachverarbeitung, komplexe Objekterkennung und ausgeprägte adaptive Manipulation der Umgebung sind noch nicht erreicht worden. Robotiker debattieren, ob und wann sie diese je erreichen werden. Auf der anderen Seite haben wir in den letzten zehn Jahren durch die schnelle Entwicklung des maschinellen Lernens und Big Data enorme Fortschritte bei der Fähigkeit von Computern erlebt, Muster zu erkennen, Flugbahnen vorherzusagen und implizite Regelmäßigkeiten aus riesigen unorganisierten Datensätzen zu extrahieren, was unter anderem sehr leistungsfähige Modelle der natürlichen Sprache (z. B. GPT-3) hervorbrachte. Dieser schnelle Fortschritt hat die Hoffnung genährt, Handlungseinheiten erschaffen zu können, die zumindest in gut abgegrenzten Aktivitätsbereichen intelligent operieren könnten. Frustrierend ist aber nach wie vor, dass wir nicht in der Lage sind, allgemeine Intelligenz zu reproduzieren und ein KI-System von einem Bereich der praktischen Anwendung in einen anderen zu übertragen. Unsere gegenwärtige Wahrnehmung von Robotern ist durch eine kaum auflösbare Spannung zwischen erfüllten und frustrierten Erwartungen gekennzeichnet, sodass die Hoffnung auf technologischen Fortschritt manchmal durch den Zynismus ersetzt wird, der sich aus der scheinbar ewigen Wiederholung derselben Fehler ergibt: So werden beispielsweise jedes Jahr ehrgeizige Forschungsprogramme mangels konkreter positiver Ergebnisse eingestellt (Ackerman, 2018), während andere – noch teurere – Projekte in der Hoffnung gefördert werden, die nächste große Idee in der KI zu finden.

Es muss jedoch auch darauf hingewiesen werden, dass die Schwierigkeit, Fakten von Fiktion zu unterscheiden, dem Begriff des Roboters selbst inhärent zu sein scheint, dessen Wesen auf halbem Wege zwischen Realität und Wahrnehmung der Benutzer liegt. Die Identität humanoider Roboter erschöpft sich nie in ihrer physischen Präsenz, da sie immer auch eine Darstellung der menschlichen Möglichkeiten beinhaltet. Deshalb spiegelt das Design von sozialen Robotern nicht nur unsere immanente Verfassung und unsere materiellen Bedürfnisse wider, sondern auch unsere Wünsche, Ängste, Zukunftswünsche und Werte. In diesem Sinne sind Roboter immer nicht nur technologische Artefakte, sondern bis zu einem gewissen Grad auch Geschöpfe der Phantasie und Hoffnung. Dies impliziert, dass der konzeptuelle Beitrag, den Fiktion und künstlerische Darstellung zur Robotik leisten, niemals unterschätzt oder als bloße Täuschung abgetan werden sollte, auch wenn er Gefahr läuft, ungenau und möglicherweise irreführend zu sein. Es stimmt, dass die Science-Fiction oft die Grenzen zwischen realistischen und fantastischen Erwartungen verschwimmen lassen kann, aber sie spielt auch eine wichtige, produktive Rolle. Unzählige Male hat die Science-Fiction den Robotikern geholfen, die Vision zu entwickeln, die sie brauchten, um innovative Technologien zu konzipieren. Sie hat ihre Bemühungen inspiriert, anspruchsvollere soziale Roboter zu entwerfen. Darüber hinaus kann die Science-Fiction innovativen Pädagogen helfen, die breite Öffentlichkeit auf eine Zukunft vorzubereiten, in der eine erfolgreiche Mensch-Roboter-Interaktion als die Norm angesehen werden wird: Fantastische Erzählungen können Erwachsenen, nicht weniger als Kindern, helfen, sich mit der Idee vertraut zu machen, selbstbewusst mit Robotern zu arbeiten und von ihnen zu lernen, und so eine Kultur der Inklusion und Akzeptanz schaffen, die sowohl Lehrer als auch Schüler darauf vorbereitet, „künstliche“ Begleiter und Assistenten zu akzeptieren.

1.4Gliederung des Buches

Unser Buch soll aufzeigen, wie Roboter in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen zum Einsatz kommen können. Obwohl dieses Buch zahlreiche theoretische Konzepte vorstellt, verfolgt es selbst einen pragmatischen Ansatz. Unser Ziel ist es, ein hilfreiches Set an Orientierung gebenden Begriffen, Beispielen und Lesarten zu geben, sowie methodische Hinweise und konkrete Vorschläge für eine effektive Anwendung autonomer Technologien in Klassenzimmern zu liefern, um die Arbeit gegenwärtiger und zukünftiger Lehrpersonen zu erleichtern, zu unterstützen und zu ergänzen.

In Kapitel 2 stellen wir die wichtigsten Lern- und Bildungstheorien vor, sowie die pädagogischen Settings, die sie am besten veranschaulichen, und – schließlich – wie Roboter in sie passen. In Kapitel 3 werden wir die Grundlagen der menschlichen Kognition betrachten und die Mechanismen und Prozesse vorstellen, die für das Lernen und zur Optimierung von Lehrmethoden, einschließlich solcher, die Roboter einbeziehen, dienlich sind. In Kapitel 4 werden wir uns mit der eigentlichen Definition von Robotern befassen. Dort werden wir einen Überblick über die technologischen Systeme geben, die die Robotik unterstützen.

Kapitel 5 und Kapitel 6 zielen auf die Einführung von Robotern in den Unterricht ab. Hier stellen wir die zwei verschiedenen Rollen dar, die Roboter in einer Lernumgebung einnehmen können: Kapitel 5 befasst sich mit Robotern als Werkzeug, die den Lernprozess erleichtern und erweitern; Kapitel 6 befasst sich mit Robotern als soziale Akteure, die dem Lernprozess in humanoiden Rollen wie Lehrassistenten oder Mentoren dienen. Die Einführung von Robotern im Bildungsbereich stellt bestimmte Anforderungen an den Erwerb von Technologien, die Ausbildung von Personal und die Vorbereitung von Lehrplänen. Kapitel 7 fasst diese Anforderungen zusammen. Kapitel 8 umfasst eine systematische Überprüfung der Anwendungen der Robotik in der Bildung, einschließlich einer großen Anzahl von Fallstudien und beschreibender Analysen in Bezug auf verschiedene Themen und Fähigkeiten. Die Wirksamkeit von Robotern in der Bildung hängt stark von der Wahrnehmung der Benutzer und der Einstellung der Lehrer gegenüber Robotern ab. Darauf gehen wir in Kapitel 9 ein.

Kapitel 10 befasst sich mit den ethischen Bedenken, die mit der Einführung von Robotern im Bildungswesen einhergehen. Das Kapitel bietet einen theoretischen Hintergrund zum Verständnis der moralischen Dilemmata, die mit dem Einsatz von Robotern im schulischen Umfeld verbunden sind. Schließlich werden in Kapitel 11 die spezifischen Forschungsmethoden erörtert, die zur Untersuchung der Mensch-Roboter-Interaktion (Human Robot Interaction, HRI) in der Bildungslandschaft und der Wirksamkeit der durch Roboter vermittelten Lernpraktiken angewandt werden müssen.

1 Alle generischen Formen schließen alle Geschlechter mit ein. Auf die wortinterne Großschreibung, den Genderstern oder den Unterstrich wurde aufgrund der Empfehlungen des Rechtschreibrates von 2018 und der Gesellschaft für Deutsche Sprache von 2019 verzichtet.

2 Die „Hello Barbie“-Puppe von Mattel war mit einem Mikrofon ausgestattet und kommunizierte über das Internet mit den Servern von Mattel. Mattel hörte zu jeder Zeit mit, was im Kinderzimmer vor sich ging. Während dies ihnen wahrscheinlich großartige Einblicke in das Marketing verschaffte, löste es bei den Eltern, die um ihre Privatsphäre besorgt waren, einen erheblichen Aufschrei aus.

2Theorien des Lernens

„Tell me and I will forget, show me and I may remember; involve me and I will understand.“

– Xun Kuang in Xunzi

Was wird in diesem Kapitel behandelt:

       ein Überblick über einflussreiche Theorien in der formalen Bildung,

       wie Bildungstheorien und Robotik in Lernumgebungen aufeinandertreffen,

       Modelle des Lernens.

Dieses Kapitel soll einen allgemeinen theoretischen Hintergrund der Robotik in der Bildung vermitteln. Es sollen einige grundlegende Begriffe der Lerntheorie und Pädagogik vorgestellt werden. Diese Begriffe sind notwendig, um die Beziehung zwischen den Bildungswissenschaften und der Mensch-Roboter-Interaktion zu verstehen.

Im ersten Teil des Kapitels fassen wir die drei Haupttheorien des Lernens zusammen, die im 20. Jahrhundert entwickelt wurden: Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus. Der zweite Teil des Kapitels beschreibt die gebräuchlichsten im Schulkontext verwendeten Lernsettings: das Lehrsetting, das Tutorsetting, das kollaborative Lernsetting und das projektbasierte Lernsetting. Erläutert wird deren implizite Verbindung zu den drei Lerntheorien. Im dritten und letzten Teil dieses Kapitels gehen wir kurz auf die Rolle ein, die Roboter in jedem dieser Lernkontexte spielen können. Abschließend stellen wir einige Überlegungen zum Bildungswert von Robotern im Lichte der drei Lerntheorien vor.

2.1Lerntheorien

Die Lernpraxis in der Grundschule wird in hohem Maße von pädagogischen Paradigmen beeinflusst. Sie stützt sich ausdrücklich auf Theorien der frühen Bildung. In den heutigen frühkindlichen Lehrzusammenhängen greifen Pädagogen gerne auf die Arbeiten von Vygotsky (1962) und Rogoff (1998) zurück, die die Bedeutung der Entwicklung von Kindern in einem sozialen Umfeld betonen. Diesen zufolge lernen Kleinkinder durch Interaktionen und Zusammenarbeit – etwas, das heute selbstverständlich scheint.

Ein weiterer einflussreicher Psychologe ist Jean Piaget. Er arbeitete zu Beginn des 20. Jahrhunderts und entwickelte eine Reihe von Lerntheorien, indem er vor allem die Entwicklung seiner eigenen Kinder beobachtete. Nach Piagets theoretischem Stufenansatz wird Wissen nicht vermittelt, sondern durch Interaktion mit der physischen Welt aufgebaut. Kinder beginnen die Entdeckung der Welt durch Manipulation, ein grundlegender Schritt nach Piaget (1927, 1928), der die Bildung und Entwicklung von enaktivem Wissen, d. h. von verkörpertem, in Wahrnehmung und Handlung verwurzeltem Wissen, ermöglicht. Für einen Pädagogen ist es unerlässlich, die kognitiven Stadien eines Kindes zu erkennen, um entsprechende Interventionen anbieten zu können.

Bei vielen Themen waren sich Piaget und Vygotsky nie ganz einig. Sie waren sich jedoch darin einig, wie wichtig es ist, dass Menschen ihr Wissen durch die Interaktion mit der physischen Welt erwerben.

2.1.1Behaviorismus

Der Anfang des 20. Jahrhunderts aufkommende Behaviorismus ist ein Ansatz in der Psychologie, der methodisch vorschlägt, sich nur auf die beobachtbaren Aspekte von Verhalten zu konzentrieren. Dieser Ansatz lehnt die Introspektion, also den „Blick nach innen“, ab, spielt somit die Rolle der inneren (psychischen) Zustände herunter und lehnt sie im Extremfall ab.

In Bezug auf Bildung versteht der Behaviorismus Lernen als Erwerb neuer Verhaltensmuster auf Grundlage von Umweltbedingungen. Der Erwerb von Wissen bedeutet im Wesentlichen die Beherrschung eines großen Repertoires differenzierter Verhaltensweisen als Reaktion auf detaillierte Umweltreize. Ein Lehrer würde behavioristisches Lernen fördern, indem er die richtigen Hinweise für eine gewünschte Reaktion identifiziert und Übungssituationen arrangiert, in denen Reize mit Zielen gepaart werden. Er sollte sicherstellen, dass die kontextuellen Bedingungen so eingestellt sind, dass die Lernenden die gewünschte Reaktion in Gegenwart der Zielreize zeigen (Ertmer und Newby, 1993).

Wie Watson interessierte sich B. F. Skinner nicht für mentale Prozesse, die sich der direkten Beobachtung entziehen, sondern für beobachtbares Verhalten, das Gesetzen folgt, vorhersagbar und kontrollierbar ist (Delprato und Midgley, 1992; Skinner, 1965). Skinner konzeptualisierte Verhalten als Disposition zu handeln, die durch Verstärkung und Bestrafung kontrolliert wird, Begriffe, die als operante Konditionierung bekannt sind. Ein Beispiel für die Auswirkungen des Skinner'schen Ansatzes zur Messung und Analyse von Verhalten auf die Bildung ist jedoch der „Präzisionsunterricht“. Dies gilt als eine erfolgreiche schülerzentrierte Methode zur Messung des Lernens in verschiedenen Bereichen (z. B. Lesen (Carl Hughes et al., 2007)). Allerdings hat die Tatsache, dass Skinner den Menschen in einer eher deterministischen, mechanistischen Weise betrachtet, zur Kritik an seinen Ideen beigetragen.

2.1.2Kognitivismus

Als Antwort auf die harsche Kritik am behavioristischen Lernansatz bietet der Kognitivismus eine alternative Sichtweise. Der Kognitivismus wiederum erachtet mentale Prozesse als zentral für den Wissenserwerb. Diese Idee geht auf die Gestaltpsychologie zurück (Kohler et al., 1973), derzufolge dich der Verstand durch die Interaktion mit der Außenwelt konstituiert, sodass das, was wir wahrnehmen, durch innere mentale Faktoren beeinflusst wird. Gemäß diesem Ansatz ist Lernen das Resultat der Interaktion interner Prozesse, einschließlich der eigenen Bedürfnisse, Motivation und Erwartungen, und dem Kontext, in dem das Lernen stattfindet.

Die kognitive Herangehensweise an das Lernen legt somit den Schwerpunkt auf die Förderung der psychischen Prozesse, wie zum Beispiel die Motivation des Lernenden, zur Verbesserung der Kodierung, Speicherung, Organisation und Abruf von Informationen (Ertmer und Newby, 2013). Die Mittel zur Wissensvermittlung umfassen eine Reihe von Strategien, die von Beispielen, über Demonstrationen bis hin zu Erklärungen reichen. Der Lernende kann aktiv an der Wissensaneignung arbeiten und dabei verschiedenste Strategien anwenden.

Trotz ihrer breiten Anwendung in der pädagogischen Praxis, werden sowohl der Kognitivismus als auch der Behaviorismus oft dafür verantwortlich gemacht, dass das Lernen auf einen mechanistischen, monodirektionalen Prozess reduziert wird. Ein Prozess, der letztlich durch die zu verarbeitenden Informationen und – im Falle des Kognitivismus durch ihre kognitive Verarbeitung – determiniert wird, die unbewusst durch den Lernenden erfolgt.

2.1.3Konstruktivismus

Der Konstruktivismus unterscheidet sich von den vorhergehenden Sichtweisen, weil er Lernen als einen bidirektionalen Prozess versteht, der Verhandlungen und eine aktive Rolle des Lernenden einschließt, eines Akteurs, der notwendigerweise in eine bewusste Interaktion mit den Input-Quellen, auf die er sich stützt, eingebunden ist.

Es gibt zwei Traditionen des Konstruktivismus. Die erste wurde primär von Vygotsky (1962, 1978) geprägt und wird Sozialkonstruktivismus genannt. Hier wird die soziale und kollaborative Dimension des Lernens in den Vordergrund gerückt und die Gruppe, weniger das Individuum steht im Fokus. Die zweite, von Jean Piaget vertretene Tradition wird durch kognitive Entwicklungsstufen charakterisiert. Hier werden die individuelle Dimension des Lernens und die Tatsache betont, dass neue Erfahrungen von den Individuen erarbeitet werden, während diese aufeinander folgende Stufen der kognitiven Entwicklung durchlaufen. Dieser zweite Strang wird auch mit dem kognitiven Ansatz in Verbindung gebracht, da er dessen Grundlage bildet – weshalb Piaget oft das Verdienst zugeschrieben wird, sowohl den kognitiven als auch den konstruktivistischen Ansatz inspiriert zu haben.

Die konstruktivistische Herangehensweise an die Bildung basiert in erster Linie auf der Piaget‘schen Sichtweise des Lernens (Piaget, 1929). In diesem Zusammenhang werden die beiden grundlegenden Mechanismen der Akkommodation und Assimilation im Lernprozess explizit genutzt. Assimilation findet statt, wenn der Lernende neue Informationen in seine bestehende Wissensstruktur integriert. So kann z. B. ein Kind, das in der Mathematik Subtraktion lernt, dies mit seinem vorhandenen Wissen über Addition in Beziehung setzen. Akkommodation hingegen bedingt, dass existierendes Wissen in Bezug auf neue Informationen adaptiert und verändert werden kann. Sie bezieht sich auf die Erweiterung der Wissensstruktur, um ein neues Denkmittel oder eine neue Denkmethode zu integrieren: Als solche ist sie aus der Perspektive des Lernenden typischerweise schwieriger. Ein Beispiel könnte ein Lernender sein, der zum ersten Mal Computerprogrammierung lernt (unter Verwendung von Kontrollstruktur, Rekursion usw.), zuvor jedoch nur Prosa geschrieben hat. Assimilation würde verwendet werden, wenn derselbe Student eine andere Programmiersprache erlernen würde: Er wäre in der Lage, seine Kenntnisse einiger der gängigen Programmierprinzipien anzuwenden, auch wenn die Syntax unterschiedlich ist. Es ist daher von Vorteil, wenn die Lehrkraft diesen Prozess versteht, da sie besser in der Lage wäre, die relative Leichtigkeit oder Schwierigkeit des Lernenden bei der Anwendung dieser jeweiligen Mechanismen nachzuvollziehen.