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Der Bildungsbereich verändert sich durch die Einführung digitaler Technologien. Roboter sind die Brücke zwischen der digitalen und der physischen Welt und daher ein wesentliches Thema in und für die Bildung. Dies hat einen direkten Einfluss darauf, wie und was wir den Lernenden beibringen. Dieses Buch bietet eine Einführung in die Verwendung und den Einsatz von Robotern in der Bildung: - Grundlagen der Robotik und unterstützende Technologien für ihre Bereitstellung - Untersuchung verschiedener Anwendungsszenarien - Beziehungen von Schülern und Lehrern gegenüber Robotern - Ethische Auswirkungen der Einführung von Robotern auf das Bildungswesen - Relevante Forschungsmethoden für die Erweiterung unseres Wissens über Roboter in der Bildung Das Buch hilft Forschern geeignete Soft- und Hardware zu entwickeln. Lehrer und Trainer erfahren, wie sie Roboter in ihrer Arbeit mit Schülern und Studenten einsetzen können. Es bietet eine Einführung in die einschlägigen Lehr- und Lerntheorien im Zusammenhang mit dem veränderten Lernen sowie praktische Ratschläge zum Einsatz von Robotern als Teil eines Lehrplans.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Fady AlnajjarPaul BaxterMassimiliano L. CappuccioFriederike EysselOmar MubinNatalia Reich-StiebertChristoph BartneckTony BelpaemeCinzia Di DioJürgen HandkeMohammad Obaid
Roboter in der Bildung
Wie Robotik das Lernen im digitalen Zeitalter bereichern kann
Autoren:
Dr. Fady Alnajjar, United Arab Emirates University, al-Ain (VAEU)Prof. Dr. Christoph Bartneck, University of Canterbury, Christchurch (Neuseeland)Dr. Paul Baxter, University of Lincoln, Lincoln (Großbritannien)Tony Belpaeme, Universiteit Gent, Gent (Belgien), und University of Plymouth, Plymouth (Großbritannien)Massimiliano Cappuccio, University of New South Wales, Sydney (Australien)Cinzia Di Dio, Università Cattolica del Sacro Cuore, Mailand (Italien)Friederike Eyssel, Universität BielefeldJürgen Handke, Universität MarburgDr. Omar Mubin, School of Computing, Engineering and Mathematics, Western Sydney University, Kingswood (Australien)Dr. Mohammad Obaid, Chalmers University of Technology, Göteburg (Schweden)Dr. Natalia Reich-Stiebert, FernUniversität in Hagen
Alle in diesem Buch enthaltenen Informationen wurden nach bestem Wissen zusammengestellt und mit Sorgfalt geprüft und getestet. Dennoch sind Fehler nicht ganz auszuschließen. Aus diesem Grund sind die im vorliegenden Buch enthaltenen Informationen mit keiner Verpflichtung oder Garantie irgendeiner Art verbunden. Autor(en, Herausgeber) und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und werden keine daraus folgende oder sonstige Haftung übernehmen, die auf irgendeine Weise aus der Benutzung dieser Informationen – oder Teilen davon – entsteht.Ebenso wenig übernehmen Autor(en, Herausgeber) und Verlag die Gewähr dafür, dass die beschriebenen Verfahren usw. frei von Schutzrechten Dritter sind. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
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© 2021 Carl Hanser Verlag MünchenInternet: www.hanser-fachbuch.deLektorat: Dipl.-Ing. Natalia Silakova-HerzbergHerstellung: Anne KurthCovergestaltung: Max KostopoulosCoverkonzept: Marc Müller-Bremer, www.rebranding.de, München
Print-ISBN 978-3-446-46695-1E-Book-ISBN 978-3-446-46802-3E-Pub-ISBN 978-3-446-47014-9
Titelei
Impressum
Inhalt
Danksagung
1 Einführung
1.1 Lehrtechnologien: Die digitale Wende in der Bildung
1.2 Definition von und Einführung zu Bildungsrobotern
1.3 Wissenschaft versus Fiktion
1.4 Gliederung des Buches
2 Theorien des Lernens
2.1 Lerntheorien
2.1.1 Behaviorismus
2.1.2 Kognitivismus
2.1.3 Konstruktivismus
2.2 Soziales Lernen
2.3 Tutoring
2.4 Kollaboratives und kooperatives Lernen
2.5 Projektbasiertes Lernen
2.6 Bildungstheorie und Roboter in der Bildung
3 Der interaktive Verstand
3.1 Kognitive Grundlagen des menschlichen Lernens
3.1.1 Aufmerksamkeit
3.1.2 Gedächtnis
3.1.3 Exekutive Funktionen
3.2 Sozial-kognitive Grundlagen von Interaktionen
3.2.1 Empathie
3.2.2 Nachahmung
3.2.3 Theorie des Geistes (Theory of Mind, ToM)
3.2.4 Anthropomorphismus
3.2.5 Nonverbale Kommunikation
3.3 Demografische Daten
3.3.1 Biologisches und soziales Geschlecht (Sex und Gender)
3.3.2 Alter
3.3.3 Ethnizität
3.4 Sind sie wirklich „wie ich“?
4 Was macht einen Roboter aus?
4.1 Der Roboter
4.1.1 Robotertypen und ihre Steuerung
4.1.2 Grundlegende Roboter-Hardware
4.2 Eingabe-Technologien
4.2.1 Die Spracherkennung
4.2.2 Computer Vision
4.2.3 Näherungssensoren
4.2.4 Berührungssensoren
4.2.5 Physiologische Sensoren
4.3 Ausgabe-Technologien
4.3.1 Motor-Bewegungen und Mobilität
4.3.2 Haptisches Feedback
4.3.3 Audio
4.3.4 Augen
4.4 Verarbeitungssoftware
4.4.1 Entwicklungs-Tools
4.4.2 Roboter-Software-Middleware
4.4.3 Sprachverarbeitung
4.4.4 Einschränkungen
4.4.5 Lokalisierung und Kartierung
4.4.6 Künstliche Intelligenz
5 Roboter als Werkzeug
5.1 Warum werden Roboter im Unterricht eingesetzt?
5.2 Informatisches Denken (Computational Thinking)
5.3 Hardware
5.3.1 Einsatzbereite Roboter (Ready-to-Run)
5.3.2 Roboter-Baukästen
5.3.3 TurtleBot
5.3.4 Benutzerdefinierte Hardware
5.4 Software
5.4.1 Programmierung
5.4.2 Simulationsumgebungen
5.5 Roboter-Wettbewerbe
5.6 Herausforderungen
5.6.1 Mangelndes Vertrauen der Lehrkräfte
5.6.2 Roboter im Lehrplan
5.6.3 Wirksamkeit von Robotern in der Bildung
5.7 Ausblick
6 Roboter als soziale Agenten
6.1 Was macht einen sozialen Roboter aus?
6.2 Rollen von sozialen Robotern in der Bildung
6.2.1 Der Roboter als Tutor
6.2.2 Der Roboter als Peer
6.2.3 Der Roboter als Novize
6.2.4 Der Roboter als Assistent im Klassenzimmer
6.2.5 Der Roboter als Prüfer
6.2.6 Der Roboter als Mediator
6.2.7 Der Roboter als Lernberater
6.2.8 Der Roboter als Telepräsenz-Tool
6.3 Ausblick
7 Anforderungen an den Einsatz von Robotern
7.1 Auswahl eines Roboters
7.2 Finanzielle Fragen
7.2.1 Wartung
7.2.2 Versicherung
7.3 Die Infrastruktur
7.3.1 Eine Entwicklungs- und Testumgebung
7.3.2 Transport
7.3.3 Vorbereitung für den Gebrauch im Klassenzimmer
7.3.4 Internetzugang
7.4 Entwicklung/Programmierung
7.4.1 Das Entwicklerteam
7.4.2 Die sozialen Medien
7.4.3 Installation
7.4.4 Das Entwicklungsumfeld
7.5 Ausblick
8 Anwendungen
8.1 Lernen
8.1.1 Wissen
8.1.2 Fertigkeiten
8.1.3 Komplexe Themen
8.1.4 Rehabilitation und Entwicklung sozialer Fähigkeiten
8.1.5 Verhaltensänderung
8.1.6 Roboterunterstütztes Sprachenlernen
8.1.7 Hochschulbildung
8.2 Bewertung
8.2.1 Prüfinstanz
8.2.2 Feedback
8.3 Ausblick
9 Einstellungen gegenüber Robotern
9.1 Technologieakzeptanz
9.2 Messung der Einstellung gegenüber Robotern
9.3 Einstellung zu Bildungsrobotern
10 Ethik
10.1 Was ist Ethik?
10.2 Ethik für Roboter
10.3 Ethische Bedenken im Klassenzimmer
10.4 Ausblick
11 Forschungsmethoden in der Bildungsrobotik
11.1 Kurz- und Langzeit-Untersuchungen
11.2 Forschungsprozess
11.2.1 Literaturübersicht
11.2.2 Definition der Forschungsfragen und Hypothesen
11.2.3 Definition der Methode
11.2.4 Analyse
11.2.5 Schreiben und Publizieren
Literaturverzeichnis
Dieses Buch ist das Ergebnis einer einwöchigen intensiven Schreibklausur, die – gefördert vom AI & Robotics Lab der Universität der Vereinigten Arabischen Emirate (UAEU) – im Januar und Februar 2020 in Al Ain, Emirat Abu Dhabi, stattfand.
Alle Koautoren haben aktiv an dieser Klausurtagung teilgenommen sowie an der Gestaltung, dem Entwurf und der Überarbeitung der Struktur und der ursprünglichen Inhalte mitgewirkt, aus denen dieses Buch besteht. Sie wurden von Frau Faith Bosworth (Booksprints.net) bei der Implementierung des Book-Sprint-Workflow-Formats unterstützt.
Die Klausurtagung war mit dem 5. Joint UAE-Symposium über Social Robotics (JSSR2020) verbunden, an dem die Koautoren unmittelbar nach Abschluss der Schreibklausur als Referenten teilnahmen. Die Klausur und das Symposium wurden durch einen großzügigen Beitrag des College of Humanities and Social Sciences und des College of Information Technology der Universität der VAE ermöglicht. Die JSSR ist Teil der Aktivitäten, die die UAEU jährlich im Rahmen des Innovationsmonats unter der Schirmherrschaft ihres Kanzlers, S. E. Dr. Saeed Ahmed Ghobash, durchführen, dem wir für die Unterstützung unserer Initiative dankbar sind.
Die Autoren dieses Buches möchten auch Dr. Ghaleb Ali Alhadrami, Dr. Hassan Naboodah, Dr. Taieb Znati, Dr. Meera Alkaabi und Dr. Munkhjargal Gochoo für die Unterstützung der Organisation dieser Initiative danken. Unser besonderer Dank gilt Dr. Munkhjargal Gochoo und Dr. Fiona Baker für ihre hilfreichen Anregungen und Einsichten während der Anfangsphase der Klausur.
„If we teach today’s students as we taught yesterday’s, we rob them of tomorrow.“
– John Dewey: Democracy and Education. New York, Macmillan, 1944.
Was wird in diesem Kapitel behandelt:
die sich wandelnde Natur der Bildung,
eine kurze Geschichte der Bildungsroboter,
echte Roboter versus fiktive Roboter,
Ausblick auf die folgenden Themen.
Ein modernes Lernszenario: Sarah besucht einen Informatikkurs und arbeitet heute mit Ozobot. Mit ihm (siehe Bild 5.5) fängt sie Pokémon und lernt dabei spielerisch grundlegende Kodierungskonzepte kennen. Ozobot ist ein kleiner programmierbarer Roboter, entwickelt, um den Unterricht von Mathematik und Naturwissenschaften bis hin zur Kunst praxisnah zu unterstützen. Zur gleichen Zeit nimmt Ben an einem Spanischkurs teil. Er interagiert mit Pepper, einem Roboter, der einem Menschen mit Armen und einem Gesicht, das als freundlich und niedlich empfunden werden soll, recht ähnlich sieht (Bild 1.3). Sie sprechen über das Leben von Straßenkindern in Lateinamerika. Pepper spricht langsam und ohne Akzent und wiederholt geduldig, wenn Ben ihn nicht verstanden hat. Er kann Lehren und Lernen in verschiedenen Disziplinen unterstützen. Er spricht 27 Sprachen und ist in der Lage, menschliche Emotionen zu erkennen und sozial zu interagieren.
Der Einsatz von Bildungstechnologien zur Unterstützung des Lernens und Lehrens hat sich von computergestützten Präsentationen und Online-Lernumgebungen hin zu den neuesten Lehrtechnologien, nämlich zum Einsatz von Bildungsrobotern wie Ozobot oder Pepper entwickelt. Schulen und Universitäten auf der ganzen Welt haben bereits damit begonnen, den Einsatz von Robotern im Klassenzimmer zu testen. Rasche technologische Innovationen, die unter dem Stichwort „Digitalisierung“ zusammengefasst werden, sind ein Grund für diese Entwicklung. Vor dem Hintergrund der digitalen Transformation spielt der kompetente Einsatz digitaler Medien im aktuellen Bildungsdiskurs eine immer wichtigere Rolle. Immer häufiger treten die sogenannten „Kompetenzen des 21. Jahrhunderts“ (die sog. 21st Century Skills) in den Vordergrund und umfassen u. a. Informations-, Medien- und Technologiekompetenz, Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit sowie Lern- und Innovationsfähigkeit. Eine Aufgabe von Unterricht ist daher, neue Kenntnisse und Kompetenzen zu vermitteln und neue Formen des Austauschs in einer zunehmend vernetzten Welt zu lehren. Die Robotik ist eine treibende Kraft in diesem technologischen Wandel und ihre Bedeutung in unserem zukünftigen Alltag wird stetig zunehmen. Aus diesem Grund muss den Studierenden die Möglichkeit gegeben werden, sich diesem Thema zu nähern und sich Wissen darüber anzueignen, um auf heutige und zukünftige Lebens- und Arbeitsumgebungen vorbereitet zu sein. Was noch wichtiger ist: Die Forschung zeigt uns, dass das Lernen mit Robotern für Schüler1 aller Altersgruppen interessant ist. Es fördert ihre Neugier gegenüber Themen, von denen die Betreffenden nie gedacht hätten, dass sie sie interessieren würden. Der Einsatz von Bildungsrobotern kann dazu beitragen, eine Lernumgebung zu schaffen, die Schüler durch die Neuartigkeit des Interaktionsmediums an den Inhalt fesselt.
In diesem Buch skizzieren wir zunächst verschiedene Lernparadigmen, die der Bildungsrobotik zugrunde liegen und betrachten dann das Potenzial von Robotern in der Bildung und die Rollen, die sie bei der Wissensvermittlung spielen können. Darüber hinaus werden wir technische Anforderungen und Anwendungspotenziale sowie mögliche damit verbundene Herausforderungen diskutieren. Schließlich werden wir untersuchen, wie die visuellen, sozialen und verhaltensbezogenen Signale eines Roboters das Lernen beeinflussen und welche Forschungsmethoden geeignet sind, um Mensch-Roboter-Interaktionen im Bildungsbereich zu untersuchen.
1.1Lehrtechnologien: Die digitale Wende in der Bildung„Bildung“ ist im 21. Jahrhundert im Wandel. Die Rolle von Robotern in der zukünftigen Bildung kann daher nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss im Zusammenhang mit den digitalen Veränderungen verstanden werden, die derzeit zu beobachten sind. Die zentrale Idee dieses neuen Ansatzes zum Lehren und Lernen besteht darin, dass die Wissensvermittlung und der Wissenserwerb heute weitgehend durch digitale Technologien erfolgen kann. Digitale Technologien erlauben es Lehrkräften, Lernen zu personalisieren und dem Lernenden die Verantwortung für seinen persönlichen Lernprozess zu übertragen.
Ein Trend in der digitalen Transformation der Bildung, der ein immenses Wachstum erlebt, ist das Online-Lernen. Statt einer textbasierten, statischen Lernerfahrung in einem Klassenzimmer oder einem Hörsaal arbeiten die Lernenden mit einem Online-Lernprogramm an Lernelementen, die in Produktionsstudios, Workshops oder außerhalb der Lernumgebung für sie zusammengestellt wurden. Diese Inhalte werden in der Regel über das Internet mithilfe von Lernmanagementsystemen (LMS) vermittelt. Einer der größten Vorteile dabei ist, dass die Studierenden ihre eigene Lernintensität und die Geschwindigkeit, mit der sie in ihrem Lernprozess voranschreiten, selbst bestimmen können. Kurse, die in solchen anpassbaren Formaten angeboten werden, können sehr viele Teilnehmer erreichen, da eine große Anzahl von Lernenden die digitalisierten Inhalte in sogenannten Massive-Open-Online-Kursen (MOOCs) abrufen kann.
Viele Bildungseinrichtungen betrachten MOOCs als Schlüssel zum Lehren und Lernen in einer modernen Welt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass dieses Format unter extrem niedrigen Erfolgsquoten leidet, die oft unter 5 % liegen. Khalil und Ebner (2014) erwähnen, dass Zeitmangel, mangelnde Motivation der Lernenden, das Gefühl der Isolation und ein Mangel an Interaktivität die zentralen Probleme in solchen Online-Lehr- und Lernszenarien sind. Die versprochene Größenordnung, in der ein Tutor Tausende von Studierende und Nichtakademiker kostenlos unterrichtet, ist nicht erreicht worden (Neubök et al., 2015). Die hohen Produktionskosten von professionellen Online-Kursen führten dazu, dass erhebliche Einschreibgebühren erhoben werden müssen (Hollands, 2014). Diese Probleme bestehen auch in geschlossenen Online-Kursen, die von etablierten Universitäten angeboten werden, um beispielsweise Mikrozertifikate zu erwerben (Handke und Franke, 2013). Daher werden Online-Kurse wahrscheinlich nicht die Lösung für die Probleme des traditionellen Lehrens und Lernens sein.
Wir brauchen eine zusätzliche Komponente, in der das digital erworbene Wissen vertieft und eingeübt wird. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten für den Präsenzunterricht, der dann kompetenzorientiert und nicht primär auf den Wissenstransfer ausgerichtet sein kann. Deshalb wird ein zweiphasiges Lehr- und Lernszenario vorgeschlagen: Online-Inhaltsvermittlung und selbstgesteuerter Inhaltserwerb, jedoch mit angeleiteter Wissensvertiefung. Dieses Szenario, das lange Zeit mit dem Begriff „umgekehrter“ oder „invertierter Unterricht“ (Lage et al., 2000; Baker, 2000) assoziiert wurde, ermöglicht den Lernenden nicht nur ihren eigenen Lernstil und ihren eigenen Zeitrahmen beizubehalten, sondern auch einen hohen Grad an Individualisierung in der Online-Phase. Mehr noch, sie stützt sich auf eine anschließende Präsenzunterrichtphase, in der das neu erworbene Wissen vertieft und eingeübt wird.
Eine große Verbesserung der Online-Bildung, die sowohl im Präsenzunterricht als auch online genutzt werden kann, kam mit dem Aufkommen virtueller und erweiterter Realitäten (VR, Virtual Reality und AR, Augmented Reality), die es den Lernenden ermöglichen, eine immersive Lernerfahrung zu machen. Virtuelle Realität ist eine computergenerierte Simulation von Umgebungen, in denen Benutzer dreidimensional und realistisch interagieren können und in denen sie sich durch elektronische Geräte wie Helme oder mit Sensoren ausgestattete Kleidung präsent fühlen können (Biocca, 1992; Steuer, 1992; Zhou und Deng, 2009). Aktuelle bekannte VR-Systeme sind z. B. die CAVE, ein begehbarer Würfel, auf dessen Wände Bilder projiziert werden, sodass sich für den Anwender im Inneren des Würfels mit einer 3D-Brille der virtuelle Eindruck einer realen Szene ergibt (CAVE, Cruz-Neira et al., 1992). Andere Systeme setzen auf mit LCD-Bildschirmen ausgestattete sogenannte Head-Mounted Displays (HDM, Santos et al., 2009), auf dem Kopf tragbare Ausgabegeräte. Augmented Reality kombiniert Objekte und Elemente aus dem wirklichen Leben mit VR-Komponenten (Azuma, 1997). Im Vergleich zu VR koexistieren bei AR virtuelle Elemente in realen Umgebungen und ermöglichen so die Verschmelzung von Lernelementen im virtuellen Raum und in der realen Welt (Bower et al., 2014). Mobile mit GPS ausgestattete Geräte erhöhen die Mobilität und Interaktion der Lernenden untereinander und ermöglichen es, die reale Welt authentisch ergänzt durch virtuelle Elemente wie Bilder, Texte oder Videos zu erleben. AR-Lehrbücher sind ein Beispiel für solche Anwendungen in der Bildung. Vorlesungsaufzeichnungen werden durch Visualisierungen, 3D-Modelle oder Simulationen ergänzt, die eine neue interaktive Art des Lernens schaffen.
Ein großer Vorteil von Virtual- und Augmented-Reality-Anwendungen in der Bildung ist, dass sie realitätsnahe Erfahrungen auf immersive Weise ermöglichen. Neuere Arbeiten zeigen, dass der Einsatz von VR- und AR-Systemen in der Bildung einen positiven Einfluss auf die Lernergebnisse haben kann, wie z. B. erhöhte Motivation und Interesse oder höhere Leistung und Kreativität (Makransky und Lilleholt, 2018; Alhalabi, 2016; Bower et al., 2014; Wu et al., 2013). Pädagogische Fragen und Herausforderungen ergeben sich jedoch aus der Implementierung sowohl von Online-Lernen als auch von VR- und AR-Anwendungen in der Bildung. Innovative Unterrichtsansätze in Ergänzung zu herkömmlichen lehrerzentrierten, umsetzungsorientierten Methoden sind erforderlich.
Eine Lehrkraft leistet heutzutage nicht mehr nur Wissensvermittlung, sondern Assistenz im Bildungsprozess: „Vom Weisen auf der Bühne zum Begleiter“ (King, 1993). Diese neue Rolle ist eine Herausforderung. Sie umfasst die Beantwortung von Fragen, die Betreuung von Projektarbeiten im Unterricht, Gruppenarbeit mit den Lernenden und die Steuerung von Technologien wie Audience-Response-Systemen (ARS) oder Lern-Apps. Das sind Aktivitäten, die inhaltsspezifische, mediale und technologische Kompetenzen erfordern. Eine einzelne Lehrkraft ist oft nicht in der Lage, alle diese Rollen ausreichend zu übernehmen, insbesondere in Klassen mit mehr als 25 Lernenden (Handke, 2020). Aber auch in kleineren Klassen kann der ständige Wechsel zwischen Inhalt und Technologie den Lehrer von der Zusammenarbeit mit den Lernenden ablenken. Infolgedessen benötigen wir mehr Assistenten, die diese Aufgaben übernehmen, idealerweise einen für jeden Studenten. Dies käme dem antiken Ideal nahe, dass Sokrates durch die Straßen Athens wandert, während er sich mit einem Studenten unterhält.
Heute gibt es jedoch eine neue Option. Eine Lehrtechnologie, die die Bildung in nicht allzu ferner Zukunft prägen wird, ist der Einsatz von Robotern für das Lehren und Lernen. Wir glauben, dass Roboter ein besonders großes Potenzial haben, die Zukunft der Bildung zu gestalten und Schüler zum Lernerfolg zu führen. Einschlägige Lernerfahrungen mit Bildungsrobotern (seien es Roboter als Werkzeuge oder als soziale Akteure), wie z. B. beim Programmieren oder einfach durch die Zusammenarbeit mit ihnen, können die Kreativität anregen, das Problemlösen trainieren und diejenigen selbstregulierenden Lernfähigkeiten fördern, die Lernende benötigen, um im heutigen und zukünftigen Arbeitsleben erfolgreich zu sein. Bildungsroboter als soziale Akteure können zumindest in gewissem Umfang einige der Aufgaben von menschlichen Lehrkräften übernehmen und diesen dadurch neue Freiräume für individuelle Beratung und Betreuung ermöglichen. Ein Einsatz von Robotern, der den Menschen nicht ersetzt, sondern unterstützt, ist ein wesentlicher Bestandteil der digitalen Wende. Während die Rolle des Lehrers und die des Roboters die Lernerfahrung verändern wird, machen Roboter den Lehrer nicht überflüssig. Die Programmierung der Roboter, die Erstellung von Inhalten und die Wartung werden sogar zu vielen neuen Arbeitsplätzen führen.
Man könnte an dieser Stelle argumentieren, dass virtuelle „Lehrkräfte“, die auf Bildschirmen oder mobilen Anwendungen basieren, diese Aufgabe ebenfalls erfüllen könnten und keine teure Hardware benötigen würden. In diesem Buch werden wir jedoch argumentieren, dass die einzigartige physische Verkörperung und die interaktiven Fähigkeiten von sozialen Robotern der Schlüssel zur Bildung einer sozialen und doch einfühlsamen Bindung zwischen den Lernenden und den Robotern ist und, dass diese Bindung die Lernerfahrung verbessert. Mechanische Roboter sind dagegen vielleicht nicht in der Lage, sich mit einem Menschen zu unterhalten, aber durch ihren Formfaktor oder ihre manipulative modulare Struktur bieten sie eine Plattform, um etwas über Technik und Wissenschaften zu lernen. Daher enthält dieses Buch Kapitel über beide Arten von Robotern: als soziale Akteure und als Werkzeuge.
Was ist mit der Vergangenheit? Gab es Beispiele von Robotern, die menschliche Lehrer in der Bildung vor der Digitalisierung begleitet haben? Gibt es darüber hinaus Beispiele für den Einsatz von Robotern in Lehr- und Lernumgebungen, die über die beschriebenen hinausgehen? Die folgenden Passagen geben zunächst einen allgemeinen Überblick und befassen sich dann mit dem Potenzial von Robotern im Vergleich von Wissenschaft und Fiktion und dem, was zur imaginären und realen Welt gehört.
1.2Definition von und Einführung zu BildungsroboternUnter „Bildungsroboter“ werden alle Roboter verstanden, die im Bildungskontext eingesetzt werden können. Je nach ihrem Interaktionsstil mit Menschen lassen sie sich in Roboter einteilen, die als Werkzeuge oder als soziale Akteure eingesetzt werden können. Als Werkzeuge werden sie entweder eingesetzt, um Lernende über Roboter an sich zu unterrichten oder, um durch ihre Programmierung technisches Wissen zu vermitteln (Eguchi, 2012). Zu dieser Kategorie gehören Roboter wie die LEGO Mindstorms oder der Aibo-Roboter (Sony).
In ihrer Rolle als soziale Akteure werden Roboter als Lernbegleiter betrachtet (Miller und Nourbakhsh, 2016). Durch soziale Interaktionen bieten sie Unterstützung und Hilfe. Sie können in einem fächerübergreifenden Kontext eingesetzt werden. Zu dieser Gruppe gehören humanoide Roboter wie der Pepper-Roboter (SoftBank Robotics) oder Telepräsenzroboter wie der Beam-Roboter (Suitable Technologies). Wie wir in späteren Kapiteln sehen werden, handelt es sich bei dieser Unterteilung eher um ein Kontinuum als um eine binäre Unterscheidung.
Bildungsroboter gibt es schon seit vielen Jahren. Da Roboter zuerst in Fabriken eingeführt wurden, fokussierte sich der Unterricht im Rahmen von Mechatronik-Lehrplänen auf den Bau und die Programmierung von Industrieroboterarmen. Die Komplexität dieser Maschinen (wie z. B. der KUKA-Roboterarm) machte sie für nicht ingenieurwissenschaftliche Studierende mehr oder minder unzugänglich.
Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) begann bereits 1987 mit der Arbeit an einer Ausbildungsroboterplattform unter dem Titel „Logo Brick“, die mittlerweile zu ihrem „Red Brick“ weiterentwickelt wurde. The LEGO Group (TLG) interessierte sich für diese Entwicklung und begann 1996 mit dem MIT zusammenzuarbeiten, woraus 1998 der erste programmierbare LEGO-Baustein namens „Robotics Invention System“ (RIS) entstand (Martin et al., 2000). Er wurde als LEGO Mindstorms vermarktet. Das ursprüngliche Design wurde mit den Mindstorms NXT und EV3 verbessert (Bild 1.1).
LEGO Mindstorms ist heute das wohl am weitesten verbreitete Robotik-Lehrmedium (Kubilinskiene et al., 2017). Allerdings haben mehrere neue Plattformen, die auf fortschrittlichen Mikrocontrollern basieren, LEGO Mindstorms aus technologischer Sicht übertroffen. Zwei solcher Geräte sind der Raspberry Pi (Bild 1.2) und der Arduino. Diese Geräte sind dazu gedacht, Robotik und Programmierung zu lehren. Sie können zwar auch für die Lehre anderer Themen verwendet werden, ihr Schwerpunkt liegt jedoch nach wie vor in der Informatik und im Ingenieurwesen. Wir werden diese Systeme in Kapitel 5 ausführlicher vorstellen.
Bild 1.1LEGO Mindstorms-Roboter (von links nach rechts: RCX, NXT, EV3)
Bild 1.2Raspberry Pi (© Michael Henzler)
Im Jahr 2008 entwickelte Aldebaran Robotics (jetzt SoftBank Robotics) einen vollständig integrierten humanoiden Roboter mit dem Namen „NAO“. Dabei handelte es sich nicht mehr um einen Satz von Bausteinen, Sensoren oder Aktoren, die zusammengebaut werden mussten, sondern um einen voll funktionsfähigen, einsatzbereiten Roboter. Er wurde schnell zu einer beliebten Forschungsplattform (fast ein De-facto-Standard) und in vielen Studien über den Einsatz von Robotern in der Bildung verwendet. Während NAO auch für den Unterricht über Robotik eingesetzt werden kann, wurde er für viele andere Lehrbereiche verwendet, wie z. B. für den Zweitspracherwerb (Kennedy et al., 2016). Nachdem SoftBank Robotics die Firma Aldebaran Robotics gekauft hatte, wurde der Roboter „Pepper“ entwickelt und 2014 auf den Markt gebracht (Bild 1.3). Pepper erschließt durch seine Fähigkeit zur Emotionserkennung, eine Tablet-Integration und die Eignung für Multi-User-Tracking und Interaktion auch den Bildungsbereich.
Bild 1.3Roboter Pepper (© SoftBank Robotics)
Andere Arten von Bildungsrobotern sind zoomorphe Roboter, d. h. Roboter, die wie Tiere geformt sind, z. B. Hunde und Katzen. Sony brachte 1999 den Roboter Aibo auf den Markt. Obwohl der Aibo ursprünglich nicht für den Bildungsbereich konzipiert war, stellte Sony Werkzeuge zur Programmierung des Roboters zur Verfügung, mit denen Forscher maßgeschneiderte Programme erstellen konnten, sodass er in Lehrplänen verwendet werden konnte (Yamamoto et al., 2006). Die ersten Versionen des Aibo wurden zwischen 1999 und 2006 produziert. Im Jahr 2018 brachte das Unternehmen eine völlig neue Version des Roboters auf den Markt (Bild 1.4).
Alle bisher beschriebenen Roboter können entweder autonom operieren, d. h. einmal programmiert, agieren sie ohne weitere Rücksprache mit dem Programmierer, oder durch die Wizard-of-Oz-Methode (WoZ-Methode), d. h. der Roboter agiert autonom, wird aber tatsächlich von einem nicht in Erscheinung tretenden Menschen (dem sogenannten Wizard) bedient und gesteuert. Ein weiterer Ansatz für den Einsatz von Robotern in der Bildung sind Telepräsenzroboter. Hier steuert ein Lehrer einen lokalen Roboter, der mit den Lernenden interagiert, aus der Ferne. Die Geminoid-Roboterserien (Bild 1.5) von Hiroshi Ishiguro sind Beispiele für Telepräsenzroboter mit hoher Menschenähnlichkeit (Nishio et al., 2007). Weniger menschenähnlich geformte Telepräsenzroboter sind z. B. die von Suitable Technologies entwickelten Beam-Roboter. Es ist möglich, dass ein und derselbe Lehrer mehrere ferngesteuerte Roboter bedienen kann und dadurch Fernunterricht ermöglicht.
Bild 1.4Roboter Aibo (© Sony Corporation)
Bild 1.5Geminoid-HI-4-Roboter von Hiroshi Ishiguro an der Universität von Osaka entwickelt (© Hiroshi Ishiguro)
Die heute für den Bildungsbereich verfügbaren Roboter sind leistungsfähiger geworden und weisen natürlichere Formen der Interaktion auf. Wir werden den Aufbau von Robotern, ihre Funktionen und die zugrunde liegende Technologie in Kapitel 4 ausführlicher diskutieren.
1.3Wissenschaft versus FiktionIm Bereich der Robotik ist es sehr schwierig zu unterscheiden, was wissenschaftliche Fakten sind und was reine Fiktion bleibt. Die breitere gesellschaftliche Öffentlichkeit ist oftmals nicht nur schlecht über den Stand der Technik in der Robotik informiert, sondern wird zudem durch die mediale und fiktionale Darstellung von Robotern in die Irre geführt (Sandoval et al., 2014; Mubin et al., 2016).
Seit langem schon haben Science-Fiction-Autoren Roboter als Begleiter, als Kumpel, als Mitarbeiter, als Lebenspartner oder als Diener, meist als Butler, als Kindermädchen oder als Leibwächter dargestellt. Sehr oft wird in der Science-Fiction, wenn Robotern eine erzieherische Funktion zugewiesen wurde, diese Funktion unter der Rolle des Pflegers subsumiert: Denken Sie an den Netflix-Film „I am Mother“ (Sputore, 2019) und Grace in „Umbrella Academy“ (Way and Ba, 2008), oder an den berühmten Roboter M3 B9 in der Serie „Lost in Space“, der als Begleiter und Leibwächter des jüngsten Mitglieds der „Robinson-Familie“ fungierte. Wenn Roboter in der Science-Fiction als Lehrkraft dargestellt werden, liegt das vielleicht daran, dass diese Aktivitäten oft Teil des Erziehungs- oder Schutzverhaltens sind, das ihnen einprogrammiert wurde. Die Science-Fiction gibt aber auch inspirierende Darstellungen von Robotern als Lehrer und Erzieher. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit möchten wir zwei fiktionale Darstellungen von Robotern in der Lehrerrolle ins Gedächtnis rufen und aufzeigen, dass beide Formen der Darstellung mitunter wenig schmeichelhaft portraitieren, was passieren kann, wenn Erziehung Robotern anvertraut wird.
Die erste ist „The Fun They Had“, ein Klassiker der SciFi-Literatur von 1951. In dieser denkwürdigen Kurzgeschichte von Isaac Asimov, die im Jahr 2155 spielt, geht es um ein Mädchen das, nachdem ihr Nachbar zufällig ein altes Schulbuch auf dem Dachboden gefunden hatte, entdeckt, dass Kinder früher in Gruppen mit menschlichen Lehrkräften lernten, bevor diese vollständig durch Roboter ersetzt wurden. Zu der Zeit, in der die Geschichte spielt, lernen die Kinder einzeln zu Hause unter der Aufsicht eines Roboterlehrers. Obwohl das Mädchen der Idee, von einem erwachsenen Menschen unterrichtet zu werden, zunächst skeptisch gegenübersteht, träumt sie am Ende der Geschichte davon, in einer Schule der Vergangenheit in Gesellschaft anderer Lernender und einer menschlichen Lehrkraft zu lernen. In dieser Geschichte wird der Begriff der Robotik in der Bildung mit einer Mischung aus Skepsis und einem Gefühl der Nostalgie für traditionelle Bildung aufgenommen. Liest man jedoch Asimovs Geschichte im Jahr 2021, mag man zu einer anderen Interpretation kommen: Angesichts der gut dokumentierten Vorteile des Einsatzes von Robotern im Klassenzimmer, um das Engagement der Kinder zu erhöhen und das Lernen in der Gruppe zu erleichtern, kann man sich der Ironie nicht erwehren, dass der heutige Roboter eine der vielversprechendsten Lösungen für die in Asimovs Geschichte beschriebene Isolation zu bieten scheint.
Eine weitere populäre Darstellung der Robotik in der Bildung bietet Mark Lesters (1990) dystopischer Film „Class of 1999“. Der Film zeigt eine Schule in einer gewalttätigen Nachbarschaft, die von Schüler-Unruhen und jungen Kriminellen heimgesucht wird. Um der Schule zu helfen, ihre Schüler unter Kontrolle zu bekommen, werden Lehrer heimlich durch neue Modelle humanoider Roboter ersetzt, die sehr bald eine fragwürdige Neigung zu repressiven Methoden bei der Disziplinierung der widerspenstigen Jugendlichen zeigen. Auch dieses dystopische Szenario scheint heute, wo die Interaktion zwischen Robotern und Kindern realer geworden ist und mit der wir vertrauter geworden sind, ziemlich ironisch zu sein. Während an der Idee, dass Roboter zu Werkzeugen der Überwachung2 und Abschreckung werden können und, dass sie im Prinzip eingesetzt werden können, um undiszipliniertes oder falsches Verhalten im Klassenzimmer zu verhindern, definitiv etwas Wahres sein mag, steht das freundliche und harmlose Aussehen der heutigen Roboter in starkem Kontrast zu dem schrecklichen autoritären Aussehen, das im Film dargestellt wird.
Die Science-Fiction-Darstellungen von Robotern haben sich in der Realität nicht immer als richtig vorausgesagt erwiesen. Doch wir müssen feststellen, dass auch die wissenschaftliche Sicht verwirrend sein kann. Auf der einen Seite werden uns Videos der realen akrobatischen Fähigkeiten der Atlas-Roboter der Firma Boston Dynamics präsentiert, während gleichzeitig Videos eines computergenerierten Atlas-Roboters im Umlauf sind, die vom Original visuell nicht zu unterscheiden sind (Bartneck und Keijsers, 2020). Darüber hinaus sind wir mit Pseudo-Robotern wie Titan konfrontiert, der über erstaunliche Fähigkeiten zu verfügen scheint. Titan ist jedoch nur ein Mensch in einem Anzug. Diese Ungewissheit hängt nicht nur von der Täuschungskraft ab, die hyperrealistische Computergrafiken und hochentwickelte Videos heutzutage erreicht haben, sondern auch von der potenziellen Ungenauigkeit, die mit der Definition von Robotern und ihren Fähigkeiten verbunden ist. Die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung lässt viele von uns im Unklaren darüber, was derzeit möglich ist und was nicht.
Erwünschte Fähigkeiten wie hochentwickelte Sprachverarbeitung, komplexe Objekterkennung und ausgeprägte adaptive Manipulation der Umgebung sind noch nicht erreicht worden. Robotiker debattieren, ob und wann sie diese je erreichen werden. Auf der anderen Seite haben wir in den letzten zehn Jahren durch die schnelle Entwicklung des maschinellen Lernens und Big Data enorme Fortschritte bei der Fähigkeit von Computern erlebt, Muster zu erkennen, Flugbahnen vorherzusagen und implizite Regelmäßigkeiten aus riesigen unorganisierten Datensätzen zu extrahieren, was unter anderem sehr leistungsfähige Modelle der natürlichen Sprache (z. B. GPT-3) hervorbrachte. Dieser schnelle Fortschritt hat die Hoffnung genährt, Handlungseinheiten erschaffen zu können, die zumindest in gut abgegrenzten Aktivitätsbereichen intelligent operieren könnten. Frustrierend ist aber nach wie vor, dass wir nicht in der Lage sind, allgemeine Intelligenz zu reproduzieren und ein KI-System von einem Bereich der praktischen Anwendung in einen anderen zu übertragen. Unsere gegenwärtige Wahrnehmung von Robotern ist durch eine kaum auflösbare Spannung zwischen erfüllten und frustrierten Erwartungen gekennzeichnet, sodass die Hoffnung auf technologischen Fortschritt manchmal durch den Zynismus ersetzt wird, der sich aus der scheinbar ewigen Wiederholung derselben Fehler ergibt: So werden beispielsweise jedes Jahr ehrgeizige Forschungsprogramme mangels konkreter positiver Ergebnisse eingestellt (Ackerman, 2018), während andere – noch teurere – Projekte in der Hoffnung gefördert werden, die nächste große Idee in der KI zu finden.