Roboterliebe -  - E-Book

Roboterliebe E-Book

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Beschreibung

23 ungewöhnliche Geschichten Roboterliebe ist eine neue Sammlung von SF- Kurzgeschichten und erweckt die Lust am Lesen. Lassen Sie sich entführen in eine Welt voller Herzklopfen der Liebe, fesselnde Abenteuer an exotischen Orten, fernen Plätzen ... Können Roboter eifersüchtig sein? Wen können sie lieben? Ihresgleichen? Menschen? Aliens? Greifen Sie zu und lernen sie die Gefühlswelt von Robotern und Maschinen kennen. Die Zukunft ist aufregend !

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HerausgeberErik Schreiber

Roboterliebe

ebook 006 RoboterliebeErste Auflage 01.12.2013

© Saphir im StahlVerlag Erik SchreiberAn der Laut 1464404 Bickenbachwww.saphir-im-stahl.de

Titelbild: crossvalley smithLektorat: Ester Haffner

ISBN: 978-3-943948-19-6

HerausgeberErik Schreiber

Roboterliebe

Vorwort

Liebe Leser,

es freut mich sehr, dass ich als Herausgeber erneut eine weitere Kurzgeschichtensammlung vorstellen kann. Als Sammler und großer Freund von Kurzgeschichten erstaunt es mich manchmal doch, mit welchen Ideen sie als Autoren zu mir kommen. Ich lese alle Ihre Manuskripte und nach einer Vorauswahl gebe ich die Geschichten an eine Jury, die sich immer wieder unterschiedlich zusammensetzt, weiter, die letztlich darüber entscheidet, welche Geschichten genommen werden und welche nicht. Die Jury hat mich schließlich auch überrascht, denn das vorliegende Buch hat gut 100 Seiten zuviel. Auf meinen Hinweis, kaufmännisch ist das nicht geplant gewesen kam es zu folgender Aussage der Jury. Ich zitiere:

Wer Kurzgeschichten schlecht schreibt oder gut geschriebene Kurzgeschichten den Lesern unterschlägt, der wird dem Besuch von 500 Lesungen und dem Lesen von ebensovielen Manuskripten bestraft.

Bevor ich mich dieser Strafe aussetze habe ich mich entschlossen, ROBOTERLIEBE vollständig herauszugeben und das Buch nicht aufzuteilen. Dreiundzwanzig Autorinnen und Autoren widmeten sich dem Thema mit unterschiedlichen Ansätzen und Ergebnissen.

Werfen sie nicht nur einen Blick auf die Geschichten, sondern tauchen sie ein in die unterschiedlichen Autoren-Welten. Phantastische Roboter werden mit Gefühlen konfrontiert, Lebewesen mit Robotern und irgendwo ist immer die Liebe oder ein sehr ähnliches Gefühl mit im Spiel. Mann, Frau, wer weiß schon, was ein Roboter ist, oder er glaubt, zu sein, steht im Mittelpunkt. Lassen sie sich überraschen.

Inhaltsverzeichnis

Erik Schreiber

Vorwort

Dirk Alt

Interspeziäre Bindungen

Marco Ansing

Die Holo-Schatzkarte

Robert Beringar

Bis dass der Tod Euch scheidet

Kirsten Brox

Zeitenwende

Nina Dörmann

Eine außerirdische Liebe

Michael Edelbrock

Bis die Sterne verblassen

Gregor Eder

Malux ex machina

Dennis Frey

Der Tanz

Erhart Rico Gehrke

Am Set

Andreas Giewald

Das Experiment

Judith Holle

Das Haus der Ewigkeit

Johannes Hülstrung

Nicht ganz so grün

Bettina Ickelsheimer-Förster

Wir leben!

P. E. Jörns

Bed of Roses

Thomas Jordan

Ereignisse auf Cygnus 82

Karl-Otto Kaminski

Wann ist jetzt?

Valentina Kramer

Zisch

Stephan Obermayr

Ein Rest von Liebe

Daniel Pollhammer

Im Angesicht von Phobos und Deimos

Alessandra Reß

Schutzengel

Claudia Romes

Die Inueweega

Wolfgang Schroeder

Der verflixte Wandschrank

Arndt Waßmann

Ein Herz aus Stahl

Biographien

Dirk Alt

Interspeziäre Bindungen

Mit einem Satz tauchte die Contrabbandiere aus dem Hyperraum auf. Vom Cockpit aus beobachtete Schiffskapitän Jeff Single, wie sich der Strahlenkranz der vorübereilenden Gestirne entzerrte und einer Kette freischwebender Gesteinsmassen Platz machte, die sich in unheilvoller Weise auf den Frachter zuzuwälzen schienen, bis sein Flug – gerade noch rechtzeitig – zu einem Halt kam. Captain Single knirschte mit den Zähnen: Es gab gute Gründe dafür, dass den Koordinaten eine eilige und daher etwas ungenaue Berechnung zugrunde lag, denn immerhin hatte die Contrabbandiere vor dem Eintritt in den Hyperraum unter dem Feuer dreier zum Entern bereiter Feindschiffe gelegen. Aber Single schätzte keine Schlampereien, erst recht nicht, wenn sie ihn den Profit oder das Leben zu kosten drohten. Bevor er aber seinem Ärger Luft machen durfte, war es ratsam, die Sensoren zu aktivieren und nach unliebsamen Überraschungen Ausschau zu halten. Eine Prüfung ihrer Position und des Quadranten ergab keinen Anlass zur Besorgnis: Noch hatten sie diesen von Gott und dem Leben verlassenen Sektor für sich allein.

Single stemmte sich aus dem Pilotensitz, verließ das Cockpit und folgte dem Korridor in Richtung Mannschaftsraum, wo er die beiden anderen Besatzungsmitglieder vermutete. Er täuschte sich nicht: Schiffsköchin Aromala Cayenne, die erst seit ihrem Zwischenstopp auf Desertus XII an Bord war, lag in den Fetzen ihrer Uniform am Boden und streckte alle viere von sich, sodass die rosa Tupfen ihrer Burstwarzen und ihr wie ein Kamm aufgerichteter Busch in Richtung der Decke wiesen. Als Single eintrat, erwachte sie zum Leben, bedeckte sich hektisch und begann zu heulen: „Captain Single, er hat es schon wieder getan!“ Sie richtete einen anklagenden Finger auf die Ecke des Raumes, in der Hun’Gor, Singles langjähriger Gefährte und erster Maat, seelenruhig saß und sich putzte. Single stemmte die Fäuste in die Hüften und begann zu schimpfen: „Sag mal, wir landen wegen deiner schlampigen Rechnerei beinahe mitten in einem Asteroiden, und du hast nichts Besseres zu tun, als unser Schmuckstück von der Kombüse zu vernaschen? Ist das eigentlich die Unterstützung, die ich nötig habe, wenn ich uns mit heiler Haut vor diesen asselanischen Halsabschneidern retten will?“

Im Gegensatz zu Captain und Köchin war Hun’Gor kein Mensch, sondern ein vierarmiger Monkoloid vom Planeten Darwynn V: Er überragte seinen Herrn um zwei Kopfeslängen und seine vier Arme waren ständig damit beschäftigt, seinen hünenhaften Körper zu stützen, sein seidiges, rostbraunes Fell zu kratzen oder zwischen seinen fangartigen Zähnen zu stochern. Im Kampf Mann gegen Mann, wenn er die Arme ausbreitete und sein Gebiss bleckte, erinnerte er an eine Mischung aus Affenmenschen und monströser Spinne – sein schauriger Anblick hatte bereits mehr als einem Gegner das Leben gerettet, der sich statt zum Angriff zur Flucht entschieden hatte. Hun’Gor, von Single liebevoll Hunni genannt, stieß ein langgezogenes Röhren in einer Sprache aus, die jenseits seines Heimatplaneten nur von wenigen aufrecht gehenden Lebewesen verstanden wurde.

„Sorgfältig gerechnet!“, schnappte Single. „Hättest du noch etwas sorgfältiger gerechnet, wären wir jetzt Sternenstaub, mein Freund!“

Mit einem Ausdruck von Ratlosigkeit senkte Hun’Gor seinen gewaltigen Schädel und gab ein paar kleinlaute Grunzer von sich.

„Nein, du kannst dein Fell behalten“, winkte Single ab, dessen Ärger wie üblich ebenso schnell verrauchte, wie er sich entzündete. „Aber jetzt komm. Die Zeit läuft, und wir haben noch ein bisschen was zu erledigen, bevor die Kartellbrüder hier eintreffen. Wir müssen eine Schadenanalyse vornehmen und schauen, was wir auf die Schnelle reparieren können. Die Sonde, die uns die Asselanen angehängt haben, müssen wir in Betrieb nehmen, damit sie uns orten und folgen können. Das muss zeitlich haargenau abgestimmt sein! Wir haben nichts davon, wenn sie fünf Minuten zu früh oder fünf Minuten zu spät hier aufkreuzen. Verstanden?“

Hun’Gor röhrte zur Bestätigung aus voller Kehle.

„Prima. – Und Sie, Küchenfee“, wandte sich Single an Aromala, die das Kunststück vollbracht hatte, sich mit den Fetzen ihrer Kleidung halbwegs zu verhüllen, „Sie machen sich nützlich und sorgen dafür, dass wir in Kürze etwas zu beißen bekommen. Wenn mein Magen leer ist, verlässt mich mein strategisches Geschick, und das wäre schlecht, da wir es nachher brauchen könnten, um hier heil rauszukommen. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?“

Eben noch in Tränen aufgelöst, überzog sich Aromalas Gesicht jetzt mit einem zornigen Rot.

„Und wie soll ich das bitte anstellen?“, wollte sie wissen. „Statt mit Lebensmitteln sind Ihre Vorratskammern bis zur Decke mit getrockneten Würmern gefüllt – die werden Sie ja wohl kaum essen wollen ...?“

„Nein. Die wollen wir verkaufen“, gab Single zurück.

„Warum haben Sie das Zeug dann nicht in Ihren Laderäumen untergebracht?“

„Weil die auf unserem letzten Flug einen Volltreffer abbekommen haben ... Wir hatten noch keine Zeit, das Leck abzudichten.“

„Dann verraten Sie mir, wo ich Lebensmittel für Ihr Mittagessen herbekommen soll“, verlangte Aromala.

Single sah sich suchend um: „Irgendwo muss hier doch was rumliegen. Kommen Sie, ich hab jetzt keine Zeit dafür. Sie sind doch ein schlaues Mädchen, Sie machen das schon.“ Er versetzte ihr einen Klaps auf ihren halbentblößten, vom Bodenkontakt merklich abgekühlten Po, der nachbebte wie ein gänsehäutiger Wackelpudding. Gefolgt von Hun’Gor war Single schon halb aus der Tür, als er ihr über die Schulter noch einmal zuzwinkerte: „Ach ja, und ziehen Sie sich was Vernünftiges an. Wir erwarten Gäste.“

Das Schiff hatte die Verfolgung im Großen und Ganzen mit verhältnismäßig geringen Schäden überstanden. Einen empfindlichen Treffer hatte die Energieversorgung erlitten, die den Antrieb, die Waffensysteme und die Schutzvorrichtung des Frachters speiste, sodass hier der dringendste Handlungsbedarf gegeben war. Während Single in eine mit zum Teil verschmorter Kabellage gefüllte Röhre hinabstieg und Hun’Gor ihm von oben das Werkzeug zureichte, besprachen sie noch einmal ihren Plan: „In circa einer Stunde werden die Kartellbrüder eintreffen, um ihre Lieferung entgegenzunehmen“, schätzte Single. „Sobald sie im Anflug sind, müssen wir ein Signal an die Asselanen absetzen. Wenn wir Pech haben, wittern sie eine Falle. Aber wahrscheinlicher ist, dass sie immer noch so sauer auf uns sind, weil wir sie um die Rechnung geprellt haben, dass sie schleunigst den Lichtsprung hierher machen. Die Übertragung des Signals dauert nach meinen Berechnungen etwa zehn Minuten. Wenn alles nach Plan läuft, ist die Transaktion bei ihrem Eintreffen in vollem Gange. Was passiert dann?“

Hun’Gor warf den Kopf in den Nacken und röhrte, woraufhin Single die Augen verdrehte: „Hunni, ich wollte nicht wissen, was schlimmstenfalls passieren könnte. Sei doch nicht immer so ein verfluchter Pessimist!“ Der erste Maat knurrte und kratzte sich mit einer seiner zahlreichen Pranken im Nacken. „Ja“, stimmte Single ihm zu, „ein mulmiges Gefühl habe ich dieses Mal auch ...“

Kurze Zeit später, als Hun’Gor mit dem Werkzeug in die Untiefen der Verteilerröhren abgetaucht war, kehrte Single ins Cockpit zurück, wo er ihre Position und die Einsatzbereitschaft ihrer Waffen und Schutzschilde überprüfte. Träge rollte der Asteroidenstrom vor seinen Augen vorbei. Der rote Zwerg in der Nachbarschaft übergoss die vernarbten Oberflächen der Gesteinsbrocken mit dem dunstig-blutigen Schein einer Morgendämmerung und weckte die Hoffnung auf eine erlösende Helligkeit, die man hier vergeblich erwarten würde. Es war genau der richtige Ort für ein Rendezvous intergalaktischer Schmuggler, dachte Single. Wie viele zerschellte Schiffe und wie viele aus ihren Kabinen in den Tod geschleuderte Körper die Asteroiden mit sich führten, war eine rein philosophische Frage, deren wahrheitsgetreue Beantwortung für ihn irrelevant war. Ihn beschäftigte nur die zur Gewissheit gefestigte Ahnung, dass sich vor Ablauf der nächsten zwei Stunden weitere Schiffswracks unter das Treibgut mischen würden.

„Captain Single? Ich bringe Ihnen etwas zu essen.“ Aromala Cayenne betrat das Cockpit. Sie hatte Singles Ratschlag beherzigt und steckte nun in einem hautengen, blauen Overall.

„Großartig! Ich bin am Verhungern!“ Er nahm aus ihrer Hand einen Teller entgegen, auf dem sich zu seiner Enttäuschung nur einige Scheiben mit unterschiedlicher Geschmackspaste bestrichenen Schiffszwiebacks befanden. „Was denn! Mehr ist nicht da?“

Aromala warf ihm durch den Schleier ihrer halbgesenkten Wimpern einen zuckersüßen Blick zu und errötete leicht: „Das kommt darauf an, worauf Sie Appetit haben.“

Single verschluckte sich an einem Stück Zwieback. „Haben Sie dem haarigen Tollpatsch auch eine Portion gebracht?“

Sie zog die Mundwinkel nach unten. „Sie wissen, was der haarige Tollpatsch macht, wenn Sie nicht in der Nähe sind.“

Single nahm Hun’Gor sofort in Schutz. „Hunni ist nun mal ein Monkoloid. Sie dürfen an ihn nicht Maßstäbe anlegen wie an einen Menschen. Sein Verhalten wird noch stark durch Instinkte geleitet. Die Monkoloiden kommunizieren fast nur, indem sie sich die Schädel einschlagen oder das Fell abziehen. Hunni hat einen erstaunlichen zivilisatorischen Prozess hinter sich“, belehrte Single sie und fügte nicht ohne Stolz hinzu: „Ich bin das einzige zweiarmige Lebewesen, das er respektiert.“

„Wenn Sie ein netter Mann wären, würden Sie mich vor ihm beschützen“, schmollte Aromala.

„Ich bin ein netter Mann“, protestierte Single. „Sie verstehen das bloß nicht. Zwischen Hunni und mir besteht etwas, was nach der Verhaltensforschung nur sehr selten auftritt: Über die Jahre hat sich eine interspeziäre Bindung entwickelt. Da alle Lebewesen instinktiv das Fremde ablehnen, ist das wirklich etwas Besonderes, verstehen Sie? Sie können sich als Frau vielleicht nicht vorstellen, wie das ist, Rücken an Rücken gegen eine feindliche Übermacht anzukämpfen oder von dem anderen im letzten Moment durch eine Luke gezogen zu werden, hinter der dann alles ins All geblasen wird. Sie wissen nicht, wie es sich anfühlt, wenn das Schicksal des anderen einem genauso wichtig wird wie das eigene ... Die Freundschaft dieses vierarmigen Kerls bedeutet mir jedenfalls mehr, als alles andere zwischen den Sternen, und Sie können mir glauben, dass ich nichts tun werde, was sein Vertrauen enttäuschen könnte. Und wenn er ein Auge auf Sie geworfen hat, werde ich Sie ihm bestimmt nicht wegnehmen!“

Aromalas Gesicht war immer länger geworden. Sie machte einen letzten Versuch, indem sie den Reißverschluss ihres Overalls herunterzog, ihre rechte Brust wie eine riesige, weiße Träne herausquellen ließ und klagte: „Aber schauen Sie, was er mit mir gemacht hat!“ Single, dem die Situation zunehmend unangenehm wurde, da er seit ihrem letzten Landgang keine Brüste mehr vor der Nase gehabt hatte, betrachtete das Exemplar fast widerwillig und stellte fest, dass es einige kleinere Druckstellen in Form von Saugspuren aufwies. Nur mit Mühe konnte er den Drang unterdrücken, die Inspektion mit den Händen fortzusetzen, und rutschte daher unruhig auf seinem Pilotensessel herum. „Ach, kommen Sie, das zeigt doch bloß, dass er Sie mag. Der kann auch ganz anders, wissen Sie? Und solange Sie von ihm nicht schwanger werden, machen Sie doch einfach die Augen zu und lassen ihm seinen Spaß ...“

„Schwanger?“ Aromala erbleichte. „Das ist doch biologisch unmöglich ... oder?“

„Unmöglich, sagen Sie?“ Single lachte: „Wissen Sie, wir haben auf unseren Reisen so viel verrücktes Zeug gesehen – zum Beispiel ...“

In diesem Moment meldete sich ein Sensor auf dem Steuerpult mit einem Warnton zu Wort, der Single sofort verstummen und auf seinem Pilotensessel herumfahren ließ. „Wir bekommen Gesellschaft“, stellte er fest. „Sagen Sie Hunni, er soll jetzt das Signal absetzen und dann sofort herkommen. Gehen Sie schon.“

Es waren zwei leichte Schwärmer der S-Klasse, die sich längs der Asteroidenstraße enttarnt hatten und der Contrabbandiere mit gedrosseltem Tempo näherten: verhältnismäßig kleine, jedoch äußerst kampfstarke und wendige Schiffe, die dank ihrer Schnelligkeit auch Gegnern mit größerer Feuerkraft gewachsen waren.

„Krr-brr“, knurrte Hun’Gor, als er sich zu Single ins Cockpit gesellte.

„Nein, das werden wir nicht tun“, widersprach Single. „Jedenfalls noch nicht. Hast du die Sonde funken lassen? Und wieder abgestellt? – Gut. – Nein, die Schutzschilde bleiben deaktiviert, sage ich.“

Ein Summen der Konsole machte ihn darauf aufmerksam, dass die Kartellbrüder Kontakt suchten. Auf Knopfdruck erschien der Kommandant eines der Schwärmer auf dem Bildschirm: ein alter, nicht unbedingt liebgewonnener Bekannter, Lauch Squirm, seines Zeichens Drogenkurier, Waffenhändler und einer der meistgesuchten Oktorianer der Galaxis. Sein Schädel sah in etwa aus wie eine saure Gurke mit Krokodilsaugen, deren unteres Ende in ein Bündel sich beinahe hypnotisch spreizender Tentakel verzweigte.

„Jeff, mein Freund, so vertrauensselig?“, blubberte Lauch Squirm. „Oder hast du deine Schutzschilde vergessen?“

„Lauch, alter Knabe“, begrüßte Single ihn wenig erfreut. „Ich hatte eine Meinungsverschiedenheit mit den Asselanen, von denen ich die Ware beschafft habe. Sie haben leider unseren Generator erwischt, sodass die Energie gerade noch für den Sprung hierher gereicht hat. Jetzt müssen die Systeme erst mal aufladen, und bis dahin haben wir keine Schilde, keine Verteidigung und sind nur begrenzt manövrierfähig.“

„Wann lernst du endlich, deine Partner nicht immer übers Ohr zu hauen“, rügte ihn Lauch Squirm. „Bist du wenigstens sicher, dass die Asselanen dir nicht hierher folgen?“

„Falls die wüssten, wo wir sind, hätten die uns schon längst das Licht ausgeblasen“, erklärte Single überzeugt. „Im Moment können wir weder flüchten noch uns verteidigen.“

„Hm“, überlegte Squirm. „Und was würdest du tun, wenn wir dein Schiff entern und uns die Ladung einfach nehmen würden?“

„Ich würde uns alle in die Luft sprengen“, antwortete Single freundlich.

„Verstehe“, sagte Lauch. „Ich komme an Bord.“ Und damit trennte er die Verbindung.

Single lächelte zufrieden: „Das lief doch wie geschmiert.“ Er wandte sich an seinen ersten Maat: „Hunni, pass auf. Du gehst los und bereitest alles vor, damit er seine Lieferung überprüfen kann. Ich werde die Krake an der Luftschleuse in Empfang nehmen.“ Hun’Gor nickte, grunzte und wies auf die Transportkapsel, die sich von einem der Schwärmer gelöst hatte und in ihre Richtung geschwebt kam. „Wenn er unsere Fünfzigtausend nicht dabeihat, stopfe ich ihn sofort wieder da rein und schieße ihn zurück auf sein Schiff“, verkündete Single grimmig. „Behalte ihn gut im Auge. Dem Kerl kann man keinen Zentimeter weit trauen.“ Kapitän und Maat klopften einander auf die Schultern, bevor ihre Wege sich trennten. An der Luftschleuse angekommen, wartete Single, bis die Kapsel angedockt hatte, entriegelte dann die Luke und ließ Lauch Squirm ein, der mit dem rechten seiner dürr herabhängenden Arme ein Metallköfferchen trug.

„Ich sehe, du hast an unsere Bezahlung gedacht“, meinte Single beglückt.

„Andernfalls würdest du mich wohl kaum an Bord lassen“, erwiderte Squirm in eisigem Tonfall.

Gekränkt verzog Single das Gesicht. „Du unterschätzt meine Gastfreundschaft.“ Er zeigte auf den Koffer: „Fünfzigtausend?“

„Fünfzigtausend“, bestätigte Squirm. „Gehen wir.“

Während Single seinen Gast durch das Schiff führte, herrschte hartnäckiges Schweigen zwischen ihnen. Auf halbem Weg drangen ihnen Geräusche entgegen, die nichts Gutes ahnen ließen, und als sie die Kombüse betraten, sahen sie Hun’Gor, der Aromala Cayenne mit seinen vier Armen von hinten umschlungen und vor sich in gebückter Haltung auf den Tisch gezwungen hatte. Ihr Overall hatte sich um ihre Knöchel geschlungen und vereitelte jeden Fluchtversuch. Während der Monkoloid die Bedauernswerte bearbeitete, tanzten ihre Brüste über die Tischplatte, als wollten sie darauf den Rhythmus trommeln.

Single stemmte die Fäuste in die Hüften und stieß ein ärgerliches Räuspern aus, woraufhin Hun’Gor sofort reagierte und die Schiffsköchin fallen ließ wie einen Sack. „Kann man dich nicht mal eine Minute aus den Augen lassen!“, schimpfte Single. „Lauch, ich muss mich für meinen ersten Maat entschuldigen ...“

Der Oktorianer war in der Tür stehengeblieben und fixierte die über zwei Meter messende Gestalt des Monkoloiden, die nur aus Fell, Zähnen, Armen und seinem hin und her pendelnden Genital zu bestehen schien. „Das ist das Widerlichste, was ich seit längerem zu Gesicht bekommen habe“, stellte er fest.

Single lachte angestrengt: „Dann schau dir erst mal an, was wir dir mitgebracht haben.“

Während Aromala ihren Overall zusammenraffte und an Hun’Gor vorbei aus dem Raum huschte, geleitete Single seinen Gast zu einer beleuchteten Arbeitsplatte, auf der zwei geöffnete Metallbehälter mit Proben ihrer Fracht bereitlagen. Squirm würdigte sie jedoch keines Blickes. „Wo ist der Rest?“ wollte er wissen. Single öffnete daraufhin die Tür der angrenzenden Vorratskammer, in der sich die Metallbehälter bis an die Decke stapelten. Squirm suchte sich einen aus, den Hun’Gor auf Singles Fingerschnippen hin mit einiger Mühe aus dem Stapel herauszog und Squirm überreichte. Dieser entnahm dem Behälter einen getrockneten Schlickling und wog ihn fachmännisch in der Handfläche. Schlicklinge waren harmlose Zeitgenossen: dicke, bewegungsmüde Würmer, die in den ausgedehnten Wattregionen ihres Heimatplaneten lagerten und darauf warteten, geerntet und sachkundig dehydriert zu werden. Sobald ihnen alle Flüssigkeit entzogen war, ließen sie sich rauchen und entfalteten dabei so massive Rauschwirkungen, dass ihr Konsum in sämtlichen zivilisierten Sonnensystemen strengstens untersagt war. Es hieß, die gesamte humanoide Urbevölkerung ihres Planeten habe sich durch das Rauchen von Schlicklingen selbst ausgerottet.

Lauch Squirm steckte sich den Schlickling in eine hinter seinen Tentakeln verborgene Mundöffnung, zog seinen Strahler aus dem Holster und entflammte das Ende des Schlicklings mit einem winzigen Aufblitzen an der Mündung. Ein dünner, blauer Rauchfaden kräuselte sich der Decke entgegen.

Single beobachtete ihn skeptisch. „Lauch, bist du dir sicher, dass du das tun solltest? Das Zeug soll paranoide Schübe verursachen“, gab er zu bedenken.

„Lass das nur meine Sorge sein.“ Squirm schien einen tiefen Zug zu inhalieren und stieß ihn dann aus, wobei sich seine vibrierenden Tentakel nach allen Seiten vom Schädel abspreizten. „Nicht – schlecht“, blubberte er mit merkwürdig veränderter Stimme.

Single stieß Hun’Gor derweil unauffällig in die Seite und raunte ihm zu: „Wo bleiben die bloß ...?“ Der Monkoloid zuckte sorgenvoll die Schultern, als sie Squirms misstrauische Stimme vernahmen: „Was flüstert ihr da?“

„Nichts, gar nichts“, wehrte Single ab. „Wenn du mit der Lieferung zufrieden bist, dann würde ich jetzt gerne einen Blick in dein Köfferchen werfen.“

Squirm schaute ihn durchdringend aus seinen Krokodilsaugen an, deren Pupillen sich angsteinflößend geweitet hatten. Dann reichte er Single den Koffer: „Keine Tricks. Wenn mir etwas zustoßen sollte, werden meine Jungs dich und dein Schiff pulverisieren, ist dir das klar?“

„Entspann dich, Lauch, wir sind doch alle Profis“, besänftigte ihn Single und nahm den Koffer entgegen. Im Inneren befanden sich die verabredeten Fünfzigtausend. Single unterzog sie einer eingehenden Prüfung, dann nickte er befriedigt und zwinkerte seinem ersten Maat zu.

„Was gibst du ihm für Zeichen?“, fragte Squirm scharf, dessen Blick nervös zwischen Mensch und Monkoloid hin- und herwanderte.

Single starrte den Oktorianer an. „Ich habe ihm nur signalisiert, dass alles in Ordnung ist“

Squirm wirkte nicht überzeugt. „Ihr habt doch geflüstert“, sagte er herausfordernd.

Single lächelte liebenswürdig und wechselte unauffällig den Koffer in die andere Hand, um die Rechte freizuhaben, sollte es zu einem Strahlergefecht kommen. „Vielleicht solltest du dieses Ding jetzt wirklich ausmachen“, schlug er Squirm vor.

Der Oktorianer nahm jedoch einen weiteren Zug und fixierte dann Hun’Gor, der unschuldig einige Meter entfernt stand: „Ich merke genau, dass du versuchst, dich an mich anzuschleichen.“

„Ich denke, wir sollten anfangen, die Kisten in deine Kapsel zu schaffen, bevor deine Besatzung unruhig wird“, schaltete sich Single ein, der im Stillen überlegte, ob es möglicherweise ratsamer war, Squirm gleich hier über den Haufen zu schießen.

Er konnte den Gedanken nicht zu Ende führen, da in diesem Moment der Alarm losging und das Schiff eine Schreckenssekunde später durch einen Treffer erschüttert wurde, der Mensch, Monkoloid und Oktorianer übereinanderstürzen ließ. „Los, kommt mit! Zum Cockpit!“, rief Single, kämpfte sich auf die Beine und sprintete über den schwankenden Boden davon. Hun’Gor und Squirm folgten ihm, Hun’Gor aus voller Kehle röhrend, während Squirm mit seinem Gleichgewicht kämpfte und immer wieder protestierte: „Das kann nicht sein! Das ist Sabotage! Ich habe keinen Feuerbefehl gegeben ...“

Das hatte er auch nicht. Es waren die Asselanen, die soeben aus dem Hyperraum aufgetaucht waren und beim ersten Sichtkontakt das Feuer auf die Contrabbandiere eröffnet hatten. Vom Cockpit aus konnte Single ihre drei Schiffe ausmachen, sogenannte Nomaden: klobige, schwer gepanzerte Frachter, die sich ihnen auf direktem Kurs näherten. Eine weitere Lasergarbe streifte die Contrabbandiere: die Erschütterung war stark genug, um Single gegen die Kabinenwand zu schleudern, während Asteroiden und Sterne vor den Cockpitfenstern zu tanzen schienen. Gleich würden die Asselanen nah genug sein, um sie zielgenau beschießen zu können. Single war sich darüber im Klaren, dass ohne Schutzschilde zwei bis drei Volltreffer genügen würden, um das Schiff in seine Bestandteile zu zerlegen.

„Es sind die Asselanen“, rief er Squirm zu, der sich eben zu ihm und Hun‘Gor ins Cockpit zwängte, „sie haben uns gefunden und wollen sich an uns schadlos halten.“

„Schutzschilde! Zurückschießen!“ verlangte Squirm.

„Lauch, ich hab dir doch gesagt, dass meine Verteidigungssysteme ausgefallen sind. Verstehst du mich? Wenn deine Jungs nicht sofort eingreifen, sind wir verloren.“

„Krr-brr! Krr-brr!“ bestätigte Hun’Gor.

Squirm gestikulierte heftig. „Öffne einen Kanal! Öffne einen Kanal!“

Doch es stellte sich als unnötig heraus, den Kartellbrüdern Befehle zu erteilen. Die Besatzungen, die wussten, dass sich ihr Geld, ihre Lieferung und ihr Boss an Bord der Contrabbandiere befanden, schalteten sich in diesem Moment in das Gefecht ein, indem sie die Nomaden seitlich im Sturzflug attackierten und zum Abdrehen zwangen. Die Ausnutzung des Überraschungsmomentes hatte dazu geführt, dass einer der Nomaden einen verheerenden Treffer am Heck erhalten hatte und nun eine grellbunte Lichtspur hinter sich herzog.

Vom Cockpit der Contrabbandiere beobachteten Single, Squirm, Hun’Gor und nun auch Aromala den Kampf, der sich unweit ihrer Position abspielte.

„Es verspricht, spannend zu werden“, kommentierte Single, und in der Tat: zwar waren die Schiffe der Asselanen denen der Kartellbrüder zahlenmäßig sowie von Feuerkraft und Panzerung überlegen – aber sie waren schwerfällig und nicht in der Lage, den rasanten Flugmanövern der Schwärmer zu folgen, sodass es den Kartellbrüdern möglich wurde, immer wieder Treffer in die Schwachstellen ihrer Gegner zu landen. Es dauerte nicht lange, bis der bereits angeschlagene Nomade in Schieflage geriet und dann in zeitlupenartiger Sturzbahn in die Asteroidenstraße taumelte, wo er zwischen den Felsbrocken zerrieben wurde. Als sich sein Schicksal vollendet hatte, war der zweite Nomade bereits manövrierunfähig geschossen; die Schwärmer gaben ihm durch gezieltes Feuer in die Schubaggregate den Rest, sodass sein dahintreibender Metallleib in einem spektakulären Feuerwerk zerstob, bei dessen Anblick Squirm begeistert in die Hände klatschte. Einen Moment später erwischte es einen der beiden Schwärmer: Ein Streifschuss warf ihn aus der Flugbahn und schleuderte ihn mitten in die Asteroidenstraße, deren Untiefen durch seine Explosion sekundenlang erhellt wurden.

„Armes Schwein“, meinte Single mitfühlend. Der verbleibende Nomade schien es in sich zu haben. Da er sein Feuer jetzt auf ein Ziel konzentrieren konnte, gelang es ihm, den zweiten Schwärmer abzudrängen und in die Tiefe des Raumes, zumindest außerhalb ihrer Sichtweite, zu vertreiben. Hun‘Gor röhrte alarmiert, als der Nomade ein Wendemanöver durchführte und sich nun wieder im Anflug auf die Contrabbandiere befand.

„Ich mache nie wieder ein Geschäft mit dir, Jeff, nie wieder!“, zeterte Squirm derweil. „Ich will auf mein Schiff zurück, hörst du? Ich will ...“ Obwohl noch zu weit entfernt, eröffnete der Nomade das Feuer auf sie; sie sahen die grünen und gelben Funken in ihre Richtung stieben und spürten die Erschütterungen, deren Heftigkeit zunahm, während sich das Feindschiff näherte. Squirm hatte das Gleichgewicht verloren und war gestürzt.

„Mutter!“, schrie er und umklammerte panisch das haarige Bein des Monkoloiden. Dann verfiel er in die Sprache seines Heimatplaneten, die klang, als versuchte ein Ferkel unter Wasser zu reden.

Die Hände auf dem Schaltpult, fasste Single den sich nähernden Nomaden ins Auge. Er ließ ihn herankommen, wartete einen Moment – und noch einen – und dann warf sich auf einmal der Schwärmer in halsbrecherischem Sturzflug in den Angriffskurs des Nomaden und deckte ihn mit Störfeuer ein.

„Lauch, deine Jungs haben wirklich Mut“, meinte Single anerkennend. Die Asselanen begingen nun einen Fehler, indem sie den Angriff auf die Contrabbandiere abbrachen und die Verfolgung des Schwärmers aufnahmen. Der Kurs führte jedoch direkt in die Asteroidenstraße. Der Schwärmer war schnell und wendig genug, sich in den Rücken des Nomaden zu manövrieren und dessen Antrieb mit Feuer zu belegen, sodass dieser prompt Funken zu speien begann. Und dann sackte auch dieser Gegner geschlagen in die Tiefe, um dort von den geduldigen Gesteinsmassen zermalmt zu werden.

Squirm stand inzwischen wieder, wenn auch etwas zittrig, auf seinen Beinen und schien begriffen zu haben, dass sie den Angriff lebendig überstanden hatten.

„Jeff, jetzt schuldest du mir ein Schiff“, blubberte er bedrohlich. Single zuckte die Schultern.

„Im Grunde, Lauch, schulde ich dir sogar zwei Schiffe“, meinte er unbewegt und gab aus den Bordwaffen der Contrabbandiere drei wohlgezielte Schüsse auf den siegreichen Schwärmer ab, der unvorbereitet getroffen wurde. Das Licht an Bord erstarb, der Antrieb ebenfalls; der Schwärmer begann, leblos zu treiben. Single lehnte sich zufrieden zurück.

Squirms Reptilienaugen schienen aus seinem Gurkenschädel quellen zu wollen; seine Tentakel schlugen aus. „Du Verbrecher, du hast uns reingelegt! Du warst die ganze Zeit feuerbereit!“

„Du musst meine Genialität anerkennen“, feixte Single, „ich habe jetzt das Geld und die Ware, und ich muss mich in Zukunft weder mit den Asselanen herumschlagen noch mit dir.“

„Du Schuft, du Scheusal“, tobte Squirm, „wo ist mein Strahler? Ihr habt mich entwaffnet! Ich dreh dir den Hals um, Jeff, mit meinen bloßen Händen werde ich ...“ Bevor er etwas anstellen konnte, drängte ihn Hun’Gor aus dem Cockpit und nahm ihn in den Schwitzkasten, woraufhin seine Angriffslust erstarb. Single folgte ihnen und kratzte sich nachdenklich am Kinn: „Sag mal, Hunni, ich hab ihm seine Waffe nicht abgenommen. Hast du sie?“ Der Monkoloid grübelte einen Moment und schüttelte dann sein riesiges Haupt.

„Sieh mal einer an“, grinste Single, der Squirms Strahler inzwischen in den Händen Aromala Cayennes entdeckt hatte. „Püppchen, Sie werden uns noch richtig nützlich“, meinte er, als er die Kanone entgegennahm. Aromala seufzte und schüttelte den Kopf: „Wenn ich bedenke, dass ich hier als Köchin angeheuert habe ...“

Hun’Gor, der den wie leblos herabhängenden Oktorianer gepackt hielt, röhrte fragend. „Er wollte auf sein Schiff zurück“, erinnerte sich Single, „also steck ihn in seine Kapsel und schick ihn auf die Reise.“ Der Monkoloid nickte, faltete Squirm in der Mitte und schleppte ihn, der exotische Verwünschungen blubberte, in Richtung der Luftschleuse davon.

Aromala machte ein bekümmertes Gesicht. „Ist das nicht sehr grausam?“, wandte sie ein. Single streckte sich. „Besser er als wir.“ Dann betrachtete er Aromala, und ihm fiel zum ersten Mal auf, dass sie nicht nur einen reizvollen Körper, sondern auch ein hübsches Gesicht hatte, ein schmales, von rabenschwarzem Haar umrahmtes Mädchengesicht mit Stupsnase, wachen Augen, einem schüchternen Lächeln und makellos weißen Zähnen. „Sie waren wirklich geistesgegenwärtig“, lobte er sie unbeholfen, worauf sie errötete und den Blick auf ihre Füße senkte. Single fand ihre Zurückhaltung rührend; in den Bordellen der Raumflughäfen existierte so etwas gar nicht.

Sie wandten die Köpfe, als durch die Fenster des Cockpits die Kapsel des unglücklichen Lauch Squirm sichtbar wurde. „Da geht er hin“, seufzte Single einen Moment, bevor die Kapsel von der Asteroidenstraße geschluckt wurde.

Dann geschah etwas Unerwartetes: Von dem leblos im Raum treibenden Schwärmer wurde eine Salve auf die Contrabbandiere abgefeuert. Single und Aromala hatten das Gefühl, als machte das Schiff unter ihren Füßen einen Satz. Single wusste, wie sich ein Volltreffer anfühlte, und kein Zweifel: das war einer gewesen.

„Dieser elende Hund!“, schäumte er, stürzte zum Steuerpult hinüber und gab mehrere Schüsse auf den Schwärmer ab, der beim ersten Treffer zerbarst.

Einen Moment später kam Hun’Gor ins Cockpit gestürmt und röhrte in Sirenenlautstärke.

„Ich weiß es nicht!“, brüllte Single zurück. „Entweder haben sie sich totgestellt oder ihre Energieversorgung war nur zeitweise unterbrochen ... Warum sind unsere verfluchten Schutzschilde deaktiviert gewesen?!“ Hun’Gor machte erstaunte, große Augen und begann dann in scharfen Tönen zu bellen.

„Was soll ich gesagt haben? Hunni, der Schalter ist auf deiner Seite! Du hättest doch verdammt noch mal mitdenken können!“ Mensch und Monkoloid stierten einander wutentbrannt in die Augen, wozu Single auf den Zehenspitzen stehen und Hun’Gor den Rücken krümmen musste. Dann erschlafften Hun’Gors Arme, und aus der Tiefe seiner Kehle drangen einige jammervolle Laute. Single seufzte tief: „Ich habs dir schon mal gesagt, Hunni: Was soll ich mit deinem Fell anfangen?“ Er klopfte seinem Maat aufmunternd auf die Schulter und nickte mit dem Kopf in Richtung der Verteilerröhren: „Los, komm. Schadenanalyse.“

Das Ergebnis ihrer Untersuchung war unerfreulich, denn auch dieser Treffer hatte ihrer Energieversorgung gegolten. Zwar waren die lebenserhaltenden Systeme intakt geblieben und wurden weiterhin durch die Notaggregate gespeist, doch war die Leistung der Energiegeneratoren beinahe vollkommen zum Erliegen gekommen; die Schüsse aus den Bordwaffen hatten letzte Reserven verbraucht. In stundenlanger, schweißtreibender Arbeit, während derer ihre einzige Unterhaltung in dem Ächzen und Knurren ihrer Mägen bestand, gelang es ihnen, die Verbindungsstellen auszutauschen und die Generatoren auf beinahe voller Kraft wieder hochzufahren. Aber die Regeneration benötigte Zeit: Eilig erstellte Single eine Berechnung, wann ihre Energieversorgung einen Lichtsprung in die Nähe eines sicheren – oder überhaupt eines – Weltraumhafens erlauben würde, und kam zu dem Schluss, dass im günstigsten Fall mit einer Wartezeit von achtzig Stunden zu rechnen war. Das war misslich, da sie zwar ausreichend Trinkwasser, jedoch keine Nahrungsmittel an Bord hatten, um diesen Zeitraum zu überbrücken. Das Absetzen eines Notsignals kam nicht infrage. Bei ihrer jetzigen Entfernung von der Zivilisation benötigte ein solches Signal mehr Energie, als sie aufwenden durften, und würde mit größter Wahrscheinlichkeit lediglich Aasgeier anlocken. Die günstigste Variante bestand noch darin, von einem Raumkreuzer aufgespürt zu werden, was das Ende ihrer Schmugglerlaufbahn und jahrelange Zwangsarbeit zur Folge hätte. Außer Aromala sprach sich daher niemand für diese Option aus.

Nachdem sie ohne einen rettenden Fund die Kombüse auf den Kopf gestellt hatten, setzten sie sich vor das normalerweise durch ein Schott abgedeckte Panoramafenster, warfen suchende Blicke hinaus und knabberten andächtig den letzten verbliebenen Schiffszwieback. Das fiebrig purpurne Licht, das der rote Zwerg absonderte, ließ die trägen Schatten des Asteroidenstroms über ihre erschöpften Gesichter kriechen. Jeff Single beschlich ein Gefühl, als wohnte er seinem letzten Sonnenuntergang bei, und als er sich sagte, dass dies emotionaler Unsinn war und sich überhaupt keine Sonne in ihrer Nähe befand, die hätte untergehen können, stellte er fest, dass er seinen Zwieback verspeist hatte, und betrachtete betreten seine leeren Hände.

„Sind Sie ganz sicher, dass man diese Würmer nicht irgendwie genießbar machen kann“, meldete sich Aromala verzweifelt zu Wort. „Davon haben wir ja mehr als genug.“

Single schüttelte trübsinnig den Kopf: „Die enthalten so viele Giftstoffe, dass Sie vermutlich nicht mal einen ganzen schaffen, bevor Sie tot umfallen.“

Hun’Gor stieß eine Reihe glucksend-klagender Laute aus, auf die Single mit einem Anflug von Arger antwortete: „Fang nicht so an. Wir waren uns immer einig, dass Rettungskapseln uns zu viel Platz und Geschwindigkeit kosten würden.“

Der Monkoloid zuckte die Schultern, schnaufte melancholisch und ließ sich von Single, der geistesabwesend eine Hand hinüberstreckte, im Nacken kraulen: „Ich weiß, alter Freund, wir sitzen in der Tinte. Wir müssen jetzt jede Möglichkeit in Betracht ziehen.“

Aromala hieb plötzlich mit der Faust auf den Tisch: „Warum mussten Sie auch Ihren Bekannten, diesen Drogenhändler, über Bord werfen! Von dem hätten wir mehrere Tage leben können!“

Single und Hun’Gor starrten sie an.

„Ich hätte Suppe aus ihm kochen können“, erklärte Aromala mit weit aufgerissenen Augen. „Ich hätte die Tentakeln marinieren und braten können. Ich hätte ihm Filets von den Rippen schneiden können ...“

Hun’Gor nickte angetan und fuhr sich mit der Zunge über seine wulstigen Lippen, bevor er sich mit einem fragenden Gutturallaut an Single wandte. Der nickte ernst: „Ja, Hunni, das sehe ich genauso. Einer für alle ... auch wenn es bitter ist.“ Hun’Gor rollte leidend mit den Augen. „Ich weiß, ich weiß“, beruhigte ihn Single, „du kannst nichts dafür.“ Dann straffte und räusperte er sich und warf Aromala einen abschätzenden Blick zu: „Sie haben uns da auf einen interessanten Lösungsweg aufmerksam gemacht, Teuerste. Da der alte Lauch leider nicht mehr zur Verfügung steht, komme ich zu dem Schluss, dass wir in unserer derzeitigen Lage für eine Köchin an Bord keine aktive Verwendung mehr haben.“

Aromala sah ihn verständnislos an: „Was wollen Sie damit sagen?“

Single rückte seinen Stuhl ein Stück vom Tisch ab, zog langsam seinen Strahler aus dem Holster und legte ihn auf der Tischplatte ab, ohne ihn loszulassen. „Es tut mir wirklich, wirklich leid“, meinte er mit einem beschämten Lächeln.

Aromala war kalkweiß geworden und von ihrem Platz aufgestanden. „Das kann nicht Ihr Ernst sein –“

„Leider“, seufzte Single, „ändern Diskussionen nichts an den Tatsachen. Wir haben einen Monkoloiden an Bord. Wenn der zwei Tage Hunger leidet, nagt der alles an, was sich bewegt. Verstehen Sie? Ich möchte Ihnen das gerne ersparen. Es wird ganz schnell gehen, Sie werden kaum was merken“, versprach er. Hun’Gor stand nun ebenfalls auf und trat vom Tisch zurück, um sich aus der Schusslinie zu bringen.

Aromala Cayenne begann zu schluchzen. „Aber Captain Single – ich hatte gedacht, Sie – mögen mich“, brachte sie mit bebendem Stimmchen hervor, während Tränen ihre Wangen herunterrollten. Es war ein herzerweichender Anblick.

Single erhob sich, den Strahler in der Rechten: „Ach, kommen Sie, Schwester, Sie sehen doch, dass wir zu dritt keine Chance haben. Und ja, Sie haben recht: Ich mag Sie auch! Aber Sie erinnern sich, was ich Ihnen über Hunni und mich gesagt habe“, er wies mit dem Strahler erst in die Richtung des Monkoloiden, dann auf sich, „ich habe Ihnen von unserer besonderen Bindung erzählt. Wir stehen füreinander ein, wissen Sie? Und wenn wir jemanden opfern müssen, um selbst zu überleben, dann nehmen wir das in Kauf. Das war schon immer so.“

Der Lauf des Strahlers wanderte unentschlossen zwischen ihrem Kopf und ihrem Oberkörper auf und ab. „Könnten Sie mir den Gefallen tun und mir den Rücken zudrehen?“, bat Single und unterstrich die Aufforderung mit einer winkenden Handbewegung. Im gleichen Moment umschlangen ihn drei kräftige, haarige Arme von hinten und ein vierter Arm entwand ihm mühelos seinen Strahler.

„Hunni“, röchelte er, „warum tust du das?“ Aber er kannte die Antwort, und diese Erkenntnis war die schmerzlichste. Das letzte, was er sah, bevor ihm Hun’Gor das Genick brach, war Aromala Cayennes unglücklich zerfurchtes Gesicht, und an seinem Ohr hörte er den Monkoloiden grollen: „Krr-brr ...“

Marco Ansing

Die Holo-Schatzkarte

Hunderte von Besuchern drängten sich über den Markt. Es schien, als wären sie aus der gesamten Galaxie zusammengekommen. Da waren die krallenbewehrten Lenmaran, die fledermausohrigen Etanesen und die blauhäutigen Achmiden. Sogar eine Jerin'Gai-Fürstin mit Gefolge glaubte Belinda zu erkennen. Und zwischen all den Ständen mit Nahrungsmitteln, technischen Geräten, Schmuck und unnützem Tand flitzten die rattenartigen Olgini umher und boten ihre Dienste an: Taschen schleppen, Botengänge und zwielichtige Geschäfte. Sie waren sich für nichts zu schade. Belinda sog die Luft ein. Sie liebte den Markt und seine unbekannten Gerüche. Ihr gegenüber wurden zuckersüße Küchlein gebacken, dort brannte eine Gaslampe und dahinter pries ein Tahuter terranische Seife an. Über allen summten leise die Lichter der Raumstation. Die Kofi Annan war ein Wunderwerk der Technik am Rande des Konföderationsraums: eine Diplomaten- und Handelsstation. Heute überwog Letzteres. Alles konnte man bekommen: von Computereinzelteilen über Schiffstriebwerke, hin zu Zierbäumchen.

„Ich will unbedingt noch zu den Musikinstrumenten!“, rief Jill. Belinda verdrehte die Augen. Ausgerechnet Musikinstrumente. Aber Jill, oder besser Jill-Ja'than Dun'rak, brauchte etwas Neues für ihre Sammlung. Sie war eine Benduri. Ihre Haut war rot und hatte hier und dort grüne Einsprengseln. Die wenigen borstigen Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden, der senkrecht vom Kopf abstand. Ihr Gesicht lief spitz zu, die Ohren waren schmal und verliefen zum kurzen Hals hin.

„Ist gut, aber vorher schauen wir bei den Schrotthändlern vorbei.“ Belinda benötigte im Grunde nichts, aber im Gewühl aus Schrauben, Kabeln und Datenpads fand man immer wieder wundervolle Geräte und kleinere Schätze. Nichts war spannender, als ihre Neuanschaffungen auseinander zu bauen und zu untersuchen. Im Gegensatz zu ihren Klassenkameraden interessierte sie sich kaum für Anti-Grav-Ball oder die neuesten Abenteuer von Gidion Stark. Vielmehr galt ihre Leidenschaft der Technik: je geheimnisvoller, umso besser. Mit ihren 14 Jahren konnte sie schon problemlos Mutters Putzroboter zerlegen und wieder zusammenbauen. Ihre Eltern waren nicht begeistert, aber wissenschaftliche Neugier galt im 27. Jahrhundert als lobenswert und so schwiegen sie. Dabei hätte Belinda den Status des Sonderlings gar nicht nötig. Ihre feuerroten Haare und die vielen Sommersprossen hatten schon so manchem Jungen den Kopf verdreht. Aber statt eines kecken Rocks trug sie lieber den alten Blaumann aus ihrem Dock-Praktikum.

„Schau, Belinda, da findest du sicher etwas.“ Jill deutete auf einen Tisch, der sich unter den Einzelteilen bog. Belinda erkannte sofort einen Droidenkern der Firma Mitsazu. Eigentlich schon völlig vergriffen. Gerade wollte sie sich nach dem Händler umsehen, als sie grob zur Seite geschubst wurde. Sie schlug hart auf den Boden auf.

„Hey!“

Doch der bärtige Mann reagierte gar nicht. Stattdessen warf er den Tisch des Schrotthändlers um und stürmte weiter.

„Haltet Dieb!“, quietschte der Olgini, dem der Stand wohl gehörte. Doch es war schon zu spät. Selbst wenn irgendjemand losgerannt wäre, der Mann war bereits zwischen den Körpern unzähliger Marktbesucher verschwunden.

„Oje, kann ich Ihnen helfen?“ Jill war an den Händler herangetreten und reichte ihm die Hand.

„Tuljik untröstlich! Alles umgeworfen. Hat gestohlen! Speicherkern. Wertvollen Speicherkern!“, quiekte der Olgini.

Belinda gesellte sich dazu und begann wortlos die Teile aufzuklauben und auf den Tisch zu stapeln. Es hätte nichts gebracht, Jill davon abzuhalten, dem Händler zu helfen. So war sie einfach, es gehörte fast zur Eigenart ihrer Spezies. Die Benduri waren friedlich, kunstfertig und etwas feige. Nur zu gern hatten sie sich der Konföderation angeschlossen. Nun wurden sie von einer schlagkräftigen Flotte beschützt und hielten sich ansonsten aus der Politik heraus.

Etwas Gutes hatte es ja, aufzuräumen: So konnte Belinda in aller Ruhe jedes Schrottteil betrachten. Und tatsächlich fand sie nach kurzer Zeit etwas Interessantes: einen Datenkristall. Ob er noch funktionierte? Was mochte sich wohl darauf befinden?

„Tuljik danken für Hilfe von kleine Mensch und Gelbling.“

Jill rümpfte unzufrieden die Nase, sagte aber nichts. Belinda wandte sich an den Händler und legte ihr freundlichstes Lächeln auf.

„Das haben wir doch gerne gemacht. Vielleicht helfen Sie uns ja auch. Was kostet denn dieser kaputte Datenkristall?“

Der Olgini kratzte sich an seiner spitzen Schnauze, schloss nachdenklich die Augen und murmelte:

„Sonderpreis: drei Astros. Ist Kristall von berühmte Kapitän Warren!“

Belinda machte große Augen. Natürlich konnte der Außerirdische lügen, aber das Risiko war sie bereit einzugehen und streckte ihm das Geld hin. Dann wandten sie sich ab und Belinda starrte begeistert auf ihren Schatz.

„Wer ist Kapitän Warren?“, fragte Jill interessiert.

„Du kennst den größten Piraten aller Zeiten nicht?“ Belinda beäugte ihre beste Freundin ungläubig. Die zuckte nur mit den Schultern.

„Er hat vor 25 Jahren Raumschiffe und Kolonien in den Grenzgebieten geplündert. Viele sagen, dass er unermessliche Reichtümer angehäuft habe.“

„Klingt irgendwie nach einem Märchen.“

„Ach was ...“

Damit war das Thema beendet und Jill schleifte Belinda von einem Musikinstrumentenstand zum nächsten. Immer wieder zupfte die Benduri an Geräten, die Belinda sehr an Leitungsverteiler erinnerten. Doch Jill entlockte den Instrumenten wunderbare Töne. Dies mochte daran liegen, dass sie mit ihren sechs Fingern problemlos alle Saiten berühren konnte. Erst am späten Nachmittag fand sie etwas. Zufrieden machten sich die beiden auf den Heimweg.

Mit einem lauten Schrei entlud sich Belindas aufgestaute Wut. Jill zuckte zusammen. Sie spähte vorsichtig über den Rand der Gebrauchsanweisung des Cynaglyn. Jill kannte die Ausbrüche ihrer besten Freundin. Erst war sie begeistert von einem neuen Fund, dann widersetzte sich das Ding und sie bekam schlechte Laune, schließlich rief sie „Heureka“ und alles war in Butter. Es war immer dasselbe. Jill seufzte und legte die Gebrauchsanweisung zur Seite, fummelte an den Saiten des Musikinstrumentes herum und beäugte dann wieder die Anweisungen. Nicht ganz so einfach, wie sie gedacht hatte.

„Verdammter Dreck! Das kann doch alles nicht sein!“, keifte Belinda.

„Ich habe den Datenkristall angeschlossen und sogar die richtige Voltzahl gefunden, aber das Ding reagiert nicht.“

„Vielleicht ist nichts drauf?“, versuchte es Jill beschwichtigend, bereute ihren Einwurf aber sofort, als sie Belindas wütendes Gesicht sah:

„Nichts drauf? Auf diesem winzigen Kristall sind mindestens sechs Petabyte!“

Jill seufzte und wandte sich ab. Mit Belinda konnte man in diesem Zustand nicht reden. Sie schlug sanft eine Saite an. Ein zärtlicher Ton glitt durch den Raum, schien sich wie Wasser an den Wänden zu brechen und spülte wieder zurück.

„Er leuchtet! Jill, er leuchtet! Mach das nochmal!“, rief Belinda verzückt.

Die Benduri blickte verwirrt auf. Tatsächlich, der Datenkristall glomm in zartem Grün. Jill zupfte erneut an dem Instrument und versuchte es mit einer Tonleiter. Der Raum wurde augenblicklich von schwermütigen Tönen erfüllt. Der Datenkristall war nun smaragdgrün geworden und pulsierte leicht.

„Ein Code! Genial! Ein musikalisches Passwort!“ Belinda war überglücklich und grinste Jill verwegen an.

„Los, spiel weiter. Wir knacken das verdammte Ding!“

Jill nickte erregt. Auch sie hatte das Forscherfieber gepackt. Sie näherte sich Belindas Apparatur. In einem grob zusammengeschraubten Trafo stand der leuchtende Datenkristall. Sie begann zu spielen: Harmonien, Disharmonien, bekannte Stücke und Improvisationen. Und der Kristall reagierte. Belinda saß daneben und machte sich Notizen, stellte Fragen und bekam rote Flecken auf den Wangen vor Begeisterung.

Nach zwei Stunden kam es:

„Heureka!“ Belinda sprang auf und hielt Jill ihr Gekrakel unter die Nase.

„Spiel das, los!“

Die Benduri nickte nur und zupfte die Saiten an. Der Kristall reagierte, verfärbte sich von Mattgrün zu Dunkelrot, dann schoss ein blauer Strahl hervor und ein Hologramm materialisierte sich vor den Freundinnen.

Jill legte das Cynaglyn zur Seite.

„Was ist das?“

Belinda studierte kurz das Bild.

„Kofi Annan. Das ist der Rohbau der Raumstation. Schau mal, dort ist ein roter Punkt. Das ist irgendwo im Gamma-Drei-Sektor.“

„Bei den Dockanlagen, oder was noch die Dockanlagen werden sollten“, murmelte die Benduri.

„Jill! Da hat er seinen Schatz versteckt.“ Belindas Stimme überschlug sich.

„Aber, wir können nicht einfach da hin. Das ist ein Sicherheitsbereich und ...“

„Papperlapapp! Ich kenne ein paar Wartungsschächte und ich wette, mein Praktikantenpasswort ist immer noch nicht ausgetauscht worden.“

„Aber ...“

„Nichts aber, hol dir eine Taschenlampe und wir gehen los: Schatzsuche!“

Jill ließ die Schultern hängen. Wenn Belinda sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte man sie nicht davon abbringen.

Es war nicht schwer, bis zum Gamma-Sektor durchzukommen. Hier unten gab es nur Dockanlagen, Lagerräume und Armut. Die Heimat der ärmsten Bewohner der Station. Daneben blühte die Kriminalität. Eine ziemlich unangenehme Gegend. Vorsichtig schoben sie sich an dem nächsten Häuserblock vorbei. Die Straßenbeleuchtung flackerte. In der Dunkelheit konnte Belinda Gestalten hocken sehen: irgendwelche Obdachlosen. Die Luft roch abgestanden. Womöglich arbeiteten die Klimasysteme nicht einwandfrei. Für Techniker stand der Gamma-Sektor ganz unten auf der Prioritätenliste. Unsicher ging Belinda weiter und schob sich ihre Mütze tiefer ins Gesicht.

„Wir sollten wieder umdrehen“, zischte Jill. Belinda schüttelte nur mit dem Kopf. Nicht weit war ein Wartungsschacht, der sie direkt zu den Dockanlagen führen würde. Irgendwo hinter ihnen waren Schritte zu hören. Jill rümpfte die Nase und blickte Belinda flehentlich an. Doch die blieb stur. Sie wollte den Schatz finden. Was war es wohl, was Kapitän Warren hier versteckt hatte? Der Schatz war womöglich nie bemerkt und in das Skelett der Station eingebaut worden. Belinda hatte neben gewöhnlichem Werkzeug auch einen Schweißbrenner mitgenommen. Vorsichtig eilten sie einen dunklen Weg zwischen den Häuserblöcken entlang.

„Belinda!“, flüsterte Jill.

„Da ist wer hinter uns. Ich habe einen Schatten gesehen.“

„So ein Quatsch. Bei uns ist doch nichts zu holen“, zischte Belinda unsicher.

„Mädchenhändler vielleicht“, schoss es aus Jill hervor.

Belinda lief ein Schauer über den Rücken. Zwar herrschte auf der Kofi Annan Konföderationsrecht und Sklaverei war streng verboten, aber wer von hier verschleppt wurde, war schnell in den Grenzgebieten. Ein Bereich, der keiner Sternenmacht gehörte. Von dort zurückzukehren, war so gut wie ausgeschlossen. Belinda wandte sich um und ergriff Jills Schulter.

„Mach dir keinen Kopf, wir sind gleich da.“

Jill schien dies nicht zu beruhigen, denn sofort blickte sie nach hinten.

„Da ist jemand, echt jetzt.“

Belinda sagte nichts. Auch ihr war mulmig zumute. Still schlichen sie weiter. Sie kamen an mehreren gähnenden Hauseingängen vorbei. Drinnen konnte man Personen hören, die sich unterhielten. Dann endlich erreichten sie die Klappe zum Wartungsschacht. Sie war über und über mit Graffitis beschmiert, das Schloss hingegen unbeschädigt. Belinda betrachtete ihr Datenpad. Ja, sie waren richtig.

„Mach schnell, ich habe einen Kopf gesehen.“ Jill presste sich an Belindas Rücken.

„Ist ja gut“ Das Mädchen fuhr mit der Hand über den Luken-Sensor und ein kurzes Geräusch erklang. Ihre ID wurde akzeptiert. Innerlich schmunzelte sie über die Nachlässigkeit des Wartungsteams. Sie öffnete die Klappe und ein dunkler Gang kam zum Vorschein. Man musste auf allen vieren hindurchkriechen.

„Schnell!“, stieß Jill hervor und drückte ihre Freundin hinein. Das Datenpad fiel klappernd zu Boden.

„Der Kerl kommt!“

Belinda blickte automatisch zurück. Tatsächlich: ein bärtiger Mann stürmte in ihre Richtung. Blitzschnell ließ sie sich in den Gang fallen und riss Jill mit sich.

„Die Tür!“, kreischte Jill.

„Mein Datenpad!“

„Vergiss das Ding!“, Jills Augen waren schreckgeweitet.

Belinda sprang vor und riss am Griff. Doch jemand zog von der anderen Seite.

„Jill! Hilf mir!“

Gemeinsam zerrten sie, panisch vor Angst an der Luke. Dann klappte sie zu. Sie ließen sich erschöpft sinken.

„Wer war das?“ Jills Stimme war unnatürlich hoch.

„Ich glaube, ich habe ihn schon mal gesehen. Beim Stand des Schrotthändlers. Er hat ihn umgestoßen.“

„Umgestoßen? Warum verfolgt er uns jetzt?“

Belinda überlegte kurz.

„Der Olgini hat gesagt, dass ihm etwas gestohlen wurde ...“

„Ein Speicherkern.“

„Ob er auch nach der Schatzkarte gesucht hat? Man kann sowohl in einem Speicherkern als auch in einem Datenkristall Informationen sichern.“

„Du meinst ...“

Belinda antwortete nicht, sondern krabbelte voran. Der bärtige Mann wollte scheinbar auch an den Schatz, sonst würde er sie kaum verfolgen. Ein Grund mehr sich zu beeilen.

Jill hasste enge Gänge. Nun tasteten sich die beiden bereits seit einer Stunde durch den Wartungsschacht. Die Luft war stickig und der Geruch von Metall und Plastik hing in der Luft. Nur ihre Taschenlampen fuhren nervös über die Wände, die vollgestopft waren mit Leitungen, Rohren, Verteilerkästen und Schaltafeln. Jill hatte langsam die Nase voll. Gewiss würde der bärtige Mann ihnen bald folgen. Irgendwie kam er schon an der Klappe vorbei. Belinda hatte, seit sie losgekrabbelt waren, kein Wort mehr gesagt. Ab und zu hatte sie ihren verbissen Ausdruck auf dem Gesicht gesehen. Jill kannte das: Sie hing jetzt drin und konnte nur hoffen, dass das alles ein gutes Ende fand. Plötzlich blieb Belinda stehen und Jill prallte gegen ihren Hintern.

„Autsch“, murrte sie.

„Pst! Wir sind genau über der Dockanlage.“

„Und jetzt?“, zischte Jill.

Belinda fummelte in ihren Taschen herum, legte etwas auf den Boden und eine Melodie erklang. Augenblicklich flammte die Karte von Kapitän Warren auf.

„Nicht ganz einfach. Heute gibt es hier, da und dort Zwischenwände.“ Belinda deutete auf die Projektion.

Jill seufzte. Sollten sie sich etwa durch die Stahlplatten schweißen?

„Wir müssen noch ein Stück weiter, dann runter zu einem Lager. Dort muss es sein.“

„Eine Ahnung, was das für ein Schatz ist?“, fragte Jill etwas ungeduldig.

Belinda zuckte mit den Schultern.

„Etwas aus seinen Raubzügen. Schmuck, vielleicht aber auch wertvolle Karten oder Technologie.“

Das letzte Wort hatte sie mit fiebriger Begeisterung gehaucht. Dann öffnete sie eine Seitenklappe und begann eine Leiter hinabzuklettern. Jill folgte. Unsicher tastete sie nach ihrem Videophone. Im Falle eines Falles konnte sie immer noch daheim anrufen, oder gleich bei der Stationssicherheit. Das beruhigte sie ein wenig.

Unten angekommen, sahen sie sich um. Das Lager war voller Kisten mit verschiedenen Firmensymbolen.

„Komm“, flüsterte Belinda und ging voran. Jill blieb dicht hinter ihr. Es war stockfinster und ihre Taschenlampen schnitten tiefe Lichtschneisen in den Raum. Jeder Container bot ein perfektes Versteck. Jill wartete nur darauf, dass urplötzlich jemand aus dem Schatten sprang. Es klapperte in der Finsternis. Ihr Herz klopfte schneller. Da war doch etwas.

„Ratten“, zischte Belinda, aber es klang nicht sehr überzeugt. Jill horchte weiter, aber es blieb ruhig. Richtig erleichtert war sie nicht. Dann blieb Belinda stehen und deutete auf einen Deckenträger.

„Da drin muss es sein.“

Jill nickte und schaute sich um, während Belinda das Metall abklopfte.

„Ich hab's! Ich hab's!“ Belinda deutete begeistert auf eine Verdickung im Metall.

„Mit dem Schweißbrenner komme ich problemlos ran!“

Jill musste lächeln.

„Hände hoch!“

Die Benduri erstarrte vor Entsetzen. Aus dem Schatten trat der bärtige Mann. In einer Hand hielt er eine Strahlenpistole, in der anderen Belindas Datenpad.

„Kein Wort. Darüber, los. Da guckt ihr, hm? Mit dem Pad konnte ich euch problemlos finden. Stand ja alles drin. So, her mit dem Schweißbrenner.“

Jill betete, dass Belinda gehorchte. Der Kerl sah nicht so aus, als würde er spaßen. Zu ihrer Erleichterung schwieg ihre beste Freundin und folgte der Aufforderung.

„So, und nun wollen wir doch mal sehen, was der alte Warren versteckt hat.“

Mit diesen Worten trat er an die Säule und begann zu arbeiten. Immer wieder blickte er zu den Mädchen und wedelte mit dem Strahler. Plötzlich schoss eine blaue Flamme aus der Säule, der Mann schrie, warf sich zu Boden. Ein Alarm begann zu heulen und die Löschanlage versprühte Schaum.

„Jill, die Waffe.“

Die Benduri reagierte völlig automatisch und griff nach der Strahlenpistole.

„Unverantwortlich! Ihr hättet tot sein können!“ Langsam verließ die rote Farbe das Gesicht des Sicherheitschefs. Belinda und Jill saßen zusammengesunken auf der Wache. Vor der Tür warteten bereits ihre Eltern. Im Grunde stimmte Belinda dem Sicherheitschef ja zu. Zum Glück war alles gutgegangen: Nachdem Jill die Waffe geschnappt hatte, riefen sie den Sicherheitsdienst an. Der führte den bärtigen Mann ab.

„Es ist mir völlig egal, dass ihr dabei eine Gefahr von der Station abgewandt habt!“

Belinda musste grinsen. Sie war stolz. Im Deckträger war Waffenmunition gelagert worden: hochexplosiv. Sie hatte sofort auf den Schweißbrenner reagiert. Ohne die Neugier der Mädchen wäre es früher oder später zu einer viel verheerenderen Explosion gekommen, die die Station zerrissen hätte.

„Ihr könnt jetzt gehen!“

Belinda nahm Jill am Arm und zwinkerte. Jill nickte kurz zurück. Von Schatzsuchern zu Helden, gar nicht so übel. Aber nun galt es, die Standpauke ihrer Eltern zu überstehen.

Robert Beringar