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SAMTBLAUE NÄCHTE IN SIENA von ALLY EVANS
Eine Romanze mit einem sexy Italiener ist das Letzte, was Amber braucht! Während ihrer Auszeit in der Toskana will sie ihre Zukunft planen - nicht sich verlieben. Doch Riccardo zieht sie magisch an. Aber ist er wirklich nur der einfache Stallbursche, als der er sich ausgibt?
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DER KUSS DES STOLZEN ARGENTINIERS von SUSAN STEPHENS
Auf einer abgelegenen Insel vor Argentinien soll Maxie eine Traumhochzeit organisieren. Sofort knistert es heiß zwischen ihr und dem Polospieler Diego Acosta. Aber der attraktive Bruder des Bräutigams scheint gar nicht begeistert zu sein, dass sie seine Ruhe stört …
AM STRAND DER SEHNSUCHT MIT DIR von SOPHIE PEMBROKE
In letzter Sekunde flieht Zoey vor ihrem ungeliebten Bräutigam zu ihrem guten Freund Ash auf seine Privatinsel. Endlich ist sie wieder frei! Doch als ein Sturm heraufzieht und sie Schutz in Ashs Armen sucht, fühlt sie plötzlich zärtliche Sehnsucht. Mit ungeahnten Folgen …
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Seitenzahl: 681
Veröffentlichungsjahr: 2020
Ally Evans, Jessica Hart, Susan Stephens, Sophie Pembroke
ROMANA EXTRA BAND 93
IMPRESSUM
ROMANA EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA EXTRABand 93 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
© 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg für Ally Evans: „Samtblaue Nächte in Siena“ Originaltitel: Originaltitel erschienen bei: Originalverlag in der Reihe: Originalreihe Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Übersetzer1
© 2010 by Jessica Hart Originaltitel: „Oh-So-Sensible Secretary“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Dorothea Ghasemi
© 2019 by Sophie Pembroke Originaltitel: „Carrying Her Millionaire’s Baby“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Anne Herzog
© 2012 by Susan Stephens Originaltitel: „The Argentinian’s Solace“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Anike Pahl Deutsche Erstausgabe 2013 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 360 Erste Neuauflage by HarperCollins Germany, Hamburg; in der Reihe ROMANA EXTRA, Band 9 – 2020
Abbildungen: Joshua Resnick / Shutterstock, Preto_perola/ Getty Images, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 04/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733747954
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY
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Kann ein Kuss ein Fehler sein? Nach schweren Enttäuschungen hat Riccardo der Liebe abgeschworen! Trotzdem kann er der schönen Engländerin Amber nicht widerstehen, als sie ihm wiederholt begegnet …
Nur um Summers Ex eifersüchtig zu machen, spielt Phin ihren neuen Freund. Denn während sie sich nach Sicherheit sehnt, scheut er feste Bindungen. Aber warum begehrt er sie dann heimlich immer mehr?
Maxie ist unglaublich! Die schöne Hochzeitsplanerin krempelt Diegos Familienanwesen um, fährt seine Harley … und verwirrt seine Gefühle. Besser, sie geht bald – oder bleibt für immer!
Als Ash mit seiner guten Freundin Zoey auf einer ein-samen Insel strandet, kommen sie sich unerwartet nah und verbringen eine Liebesnacht. Ein einmaliger Ausrutscher? Zumindest Zoey besteht darauf …
„Sag mal, Amber, bist du von allen guten Geistern verlassen? Du kannst doch nicht einfach so abhauen!“ Die Stimme aus dem eingeschalteten Lautsprecher brachte fast die Plastikhalterung zum Vibrieren, in der Ambers Handy steckte. „Das kannst du echt nicht bringen!“
Und ob ich das kann, dachte Amber. Ruckartig schaltete sie noch einen Gang höher. Das Getriebe des Mietwagens knirschte, und das Auto machte einen Satz nach vorn.
„Amber, hörst du mich? Was hast du dir dabei gedacht?“ Die Stimme ihrer Schwester Cathy klang durch den Lautsprecher eigenartig verzerrt.
Wahrscheinlich lag es am schlechten Empfang. Sie fuhr nun schon seit einiger Zeit durch eine fast menschenleere Gegend; gut möglich, dass das Telefonnetz hier nicht ausreichend ausgebaut war. Bis zum Horizont gab es nichts zu sehen als sanft gewellte Hügel, auf denen ab und zu eines der einfachen toskanischen Steinhäuser mit ihren typischen roten Ziegeldächern lag.
„Amber! Jetzt sag doch mal was! Ich will wissen, was du dir dabei gedacht hast!“ Inzwischen hatte Cathys Stimme eine unerträgliche Tonlage erreicht.
Amber verdrehte die Augen. „Reg dich ab, Cathy!“, rief sie ins Handy. „Ich musste einfach mal raus.“
Am anderen Ende der Leitung entstand eine Pause. Dann hörte Amber ein ungläubiges Lachen. „Das ist nicht dein Ernst! Du machst Urlaub? Jetzt? In der Hauptsaison?“
„Wenn du es unbedingt so ausdrücken willst. Ich würde es eher eine Auszeit nennen.“
Auf einem Hügel in der Ferne tauchte ein größerer Landsitz auf. Ein schmaler, zypressengesäumter Pfad wand sich durch die sonnengelben Felder zum Anwesen hoch. Die Farbpalette wurde hier vor allem von trockenen Erdfarben beherrscht, während im ländlichen Suffolk, wo Amber zu Hause war, ein saftig frisches Grün den Ton angab.
Cathy hatte sich inzwischen offenbar gefangen. „Wo bist du überhaupt?“, fragte sie etwas ruhiger, konnte es aber nicht lassen, ihrer Schwester doch noch einen Stich zu versetzen. „Hast du eine Ahnung, wie Dad getobt hat, als er deine Nachricht gelesen hat? Wer soll denn jetzt die Geschäfte führen, wo du einfach alles stehen und liegen gelassen hast?“
Das war mal wieder typisch für Cathy. Dabei wusste Amber, dass Cathy nur zu gern selbst die Geschäftsleitung von Milford Meadows übernommen hätte. Aber sie war zwei Jahre jünger als Amber, weswegen ihr Vater lieber seine ältere Tochter auf die Übernahme der heimischen Pferdezucht vorbereitete.
„Ich bin in Italien. Genauer gesagt in der Toskana, auf dem Weg nach Siena. Chiara Costantini hat mir dort ein Hotelzimmer reserviert“, erklärte Amber und machte sich auf einen neuerlichen Gefühlsausbruch gefasst. Aber erstaunlicherweise blieb es am anderen Ende der Leitung jetzt ruhig.
Chiara Costantini war eine entfernte italienische Großcousine. Vor knapp einhundert Jahren hatte eine Sizilianerin in den Milford-Clan eingeheiratet, Ambers Urgroßmutter. Allerdings war aus welchen Gründen auch immer nie ein tieferer Kontakt zur italienischen Verwandtschaft entstanden.
„Chiara Costantini?“, kam es erstaunt aus der Leitung. „Wie hast du die denn aufgespürt?“
Es schien Amber, als klängen in Cathys Frage Neugier, Neid und eine große Portion Frust mit. Offenbar fürchtete sie, irgendetwas Interessantes zu verpassen. Das war verständlich, denn um die Costantinis rankten sich auf Milford Meadows allerlei Gerüchte.
„Es gibt das Internet, Cathy. Schon mal davon gehört?“ Ganz so zynisch hatte Amber gar nicht klingen wollen, aber manchmal war Cathys vorgetäuschte Unbedarftheit unerträglich. Schließlich war sie mit ihren fünfundzwanzig Jahren kein Kind mehr.
Tatsächlich hatte es Amber keine große Anstrengung gekostet, die sizilianische Großcousine ausfindig zu machen. Es gab genug Webseiten, auf denen man Familienlinien bis in frühere Jahrhunderte zurückverfolgen konnte. Demnach war Chiara wirklich ein Abkömmling der Costantinis aus Sizilien, lebte aber schon seit einiger Zeit in Siena. Was sie veranlasst hatte, ihrer Heimat im italienischen Süden den Rücken zu kehren, wusste Amber nicht. Auf jeden Fall arbeitete sie in Siena als Managerin eines kleinen Hotels und war dadurch in der Lage gewesen, Amber mitten in der Hauptsaison noch ein Zimmer in der von Urlaubern völlig überrannten mittelalterlichen Stadt zu organisieren.
Es war Ambers erste Reise in das Land ihrer Vorfahren. Den ganzen europäischen Süden kannte sie nur aus Büchern und Hochglanzbroschüren; ihre Geschäftsreisen hatten sie bisher lediglich nach Holland, Deutschland und in Frankreichs Norden geführt.
Dabei übte das mediterrane Italien, vor allem die malerische Toskana, seit jeher einen starken Zauber auf sie aus. Deshalb hatte sie sich, als sie ihre kleine Flucht plante, schließlich für dieses Land entschieden und die bis dahin unbekannte Großcousine kontaktiert. Die hatte ihr einen Direktflug nach Florenz sowie einen Mietwagen für die anschließende Weiterfahrt nach Siena organisiert.
Auf diese Weise, so hoffte Amber, würde sie sich für eine Weile vom Stress erholen können, den die Geschäftsübernahme von Milford Meadows mit sich brachte. Ihr Vater hatte das Zeitfenster für den Übergang nach ihrem Gefühl viel zu knapp bemessen und dadurch ein vages, nicht recht fassbares Unbehagen bei Amber ausgelöst, das letztlich zu dem Entschluss führte, Milford Meadows vorübergehend den Rücken zu kehren. Mit der Reise wollte sie Zeit zum Nachdenken gewinnen, um herauszufinden, was ihre eigentlichen Wünsche waren – auch wenn Cathy ihr die frischgewonnene Freiheit jetzt mit ihren vorwurfsvollen Fragen schon wieder zu ruinieren drohte.
Amber fühlte, wie langsam Wut in ihr aufstieg. „Hör zu, Cathy“, sagte sie, „ich melde mich später nochmal. Jetzt muss ich mich erst mal auf die Straße konzentrieren. Hier ist ziemlich was los.“
Sie hatte keine Lust, sich weitere Vorwürfe und Anschuldigungen anzuhören. Daher beendete sie das Gespräch, ohne Cathys Antwort abzuwarten, und schaute wieder auf die Straße, wo die Verkehrsdichte in den letzten zwanzig Minuten tatsächlich zugenommen hatte. Siena konnte nicht mehr weit sein.
Es dauerte dann aber doch noch einige Zeit, bis sie ihren Mietwagen endlich vor dem Hotel parken konnte. Der ungewohnte Rechtsverkehr hatte sie auf den letzten Metern noch einmal ziemlich herausgefordert. In italienischen Städten herrschten offenbar völlig andere Verkehrsregeln als zu Hause im ländlichen Suffolk. Mehrfach war sie ziemlich rücksichtslos geschnitten worden, außerdem schienen Verkehrszeichen, sofern überhaupt vorhanden, hier lediglich eine Art gutgemeinter Vorschlag zu sein.
Doch das prachtvolle Bauwerk, vor dem sie jetzt stand, ließ sie die etwas mühsame Anreise sofort vergessen. Beeindruckt betrachtete Amber die ockerfarbene Fassade des Palazzo. Über riesigen, symmetrisch angeordneten Fenstern prangten klassizistische Dreiecke. In der Lobby, die sie kurz darauf betrat, war der Boden mit Marmor ausgelegt, und die mattschimmernde Patina des Rezeptionstresens verriet eine jahrzehntelange hingebungsvolle Pflege des alten Holzes. An den Wänden hingen große, goldgerahmte Wandgemälde, auf denen einfache italienische Alltagsszenen festgehalten waren. Im Hintergrund lenkte ein gewundenes Geländer aus Messing den Blick hinauf ins nächste Stockwerk.
Chiara, die Amber aus Termingründen nicht persönlich empfangen konnte, hatte freundlicherweise einen kurzen Willkommensgruß an der Rezeption hinterlegt. Dank der guten Englischkenntnisse des Portiers klappte die Anmeldung problemlos, während sich ein Hotelpage um Ambers Gepäck kümmerte.
In ihrem Zimmer waren die gewaltigen Fensterflügel bereits geöffnet. Von der Straße brandete ein undefinierbares Gewirr von Stimmen und Alltagsgeräuschen herauf.
Am liebsten hätte sich Amber sofort ins Abenteuer gestürzt. Allerdings steckte ihr die Anreise ziemlich in den Knochen. Eine kurze Pause würde ihr sicher guttun. Also suchte sie sich frische Wäsche aus einem ihrer Koffer und duschte erst einmal ausgiebig. Um das Gepäck würde sie sich später kümmern; am Abend war noch Zeit genug, alle Sachen ordentlich im Schrank zu verstauen und es sich insgesamt ein bisschen gemütlicher zu machen.
Zurück auf der Straße empfing Amber die sprudelnde Lebendigkeit eines mediterranen Werktags. Geschäftige Rufe hallten durch die Gassen, Waren wurden transportiert, wendige Kellner flitzten zwischen den kleinen, förmlich an die Hauswände geklebten Tischchen der Cafés hin und her. Sowohl die Touristen, von denen Heerscharen durch die engen Gassen zogen, als auch die Einheimischen fächelten sich immer wieder Luft zu, denn obwohl die Sonne in den Häuserschluchten den Boden gar nicht berührte, dampfte die Hitze aus allen Ecken.
Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, ausgerechnet im August nach Italien zu reisen? Aber die Dinge auf Milford Meadows hatten sich nun einmal so entwickelt. Später im Jahr hätte Amber wohl keine Möglichkeit mehr gehabt, den Gang der Ereignisse noch irgendwie zu beeinflussen.
Gedankenverloren ließ sie sich eine Zeitlang vom Strom der Touristen mittreiben. Dann gab die Gasse mit einem Mal den Blick auf einen großen Platz frei. Dessen ungewöhnliche Form wurde durch die auffällige Pflasterung in Form eines großen Fächers unterstrichen. Die Piazza del Campo – das hitzeflirrende, summende Herz der Altstadt, wie Amber nach einem Blick auf den Stadtplan feststellte.
Aus unerfindlichen Gründen waren mehrere junge Männer damit beschäftigt, rund um den Platz einen breiten Ring aus Sand aufzuschütten. Sie arbeiteten mit nackten Oberkörpern. Amber schaute ihnen eine Weile zu. Sie hatte die bronzefarbene Haut ihrer sizilianischen Urgroßmutter geerbt und vertrug Sonne sehr gut, anders als Cathy, die sich mit ihrer aristokratischen Blässe vor allzu intensiver UV-Strahlung schützen musste. Richtig lange hielt Amber es in der flirrenden Hitze allerdings trotzdem nicht aus.
Erst Kaffee oder erst Kultur? Nach kurzem Zögern entschloss sie sich, zunächst das kleine Museum im gegenüberliegenden Palazzo Pubblico zu besuchen. Anschließend, wenn die Sonne etwas tiefer stand und die kleinen Cafés am Rande des muschelförmigen Platzes wieder im Schatten lagen, würde sie sich zur Feier ihrer Ankunft ein Glas Prosecco gönnen.
Wie sich herausstellte, war die Temperatur im Museum weniger erfrischend, als sie es sich erhofft hatte. Immerhin drang der Lärm der auf der Piazza flanierenden Touristen nur sehr gedämpft durch die bleiverglasten Fenster. Abgesehen vom Gemurmel und den schlurfenden Schritten einiger anderer Besucher war es hier angenehm ruhig.
Die farbenfrohen Fresken faszinierten Amber. Früher hatte sie hin und wieder selbst gemalt. Leider war auf Milford Meadows immer weniger Zeit dafür geblieben, dabei hätte sie sich gern intensiver mit den unterschiedlichen Wirkungen von Farben und Licht beschäftigt. Inzwischen war Aquarellmalerei ihr bevorzugtes Gebiet. Sie hoffte, dieser Leidenschaft hier in Italien endlich wieder ein bisschen ausgiebiger nachgehen zu können.
Bald war sie völlig in ihre Gedanken versunken und ging langsam von Bild zu Bild, wobei sie ab und zu ein paar Schritte zurücktrat, um das Werk besser auf sich wirken zu lassen. Vor allem die Bildkomposition interessierte sie. Offensichtlich waren die Fresken zu einer Zeit entstanden, als man die Perspektive in der Malerei noch nicht entdeckt hatte. Einige Gemälde erinnerten Amber in ihrer spielerischen Leichtigkeit fast an die Zeichnungen von Kindern, die in ihren Kunstwerken die realen Größenverhältnisse ebenfalls oft unbeachtet ließen.
Plötzlich stolperte sie rückwärts über eine kleine Unebenheit im Boden, verlor den Halt und wurde im letzten Moment von zwei starken Armen aufgefangen.
Als Erstes stieg ihr ein herbes, männliches Parfüm in die Nase. Vorsichtig drehte Amber den Kopf. Der dunkle Schatten eines Dreitagebartes auf sonnengebräunter Haut geriet in ihr Blickfeld. Durch den leichten Stoff ihres Kleides hindurch konnte sie die Muskeln der breiten Brust spüren, die ihren Sturz abgefangen hatte, während sie gleichzeitig die erregende Wärme fremder Hände auf ihren nackten Armen fühlte.
Unvermittelt durchfuhr sie eine heiße Welle des Verlangens. Sie machte sich schnell wieder los und drehte sich um.
Vor ihr stand ein hochgewachsener Mann Mitte dreißig. Seine dunklen Augen funkelten amüsiert, aber das markante Kinn und die kräftigen Konturen seines Gesichts verliehen ihm trotz des entwaffnenden Lächelns jenen Hauch von Unnahbarkeit, der Männer seines Typs so unwiderstehlich machte. Die schwarzen Haare fielen ihm leicht in die Stirn und kringelten sich über den Ohren. Himmel! Wusste der Kerl eigentlich, wie gut er aussah?
Amber setzte zu einer Entschuldigung an, begriff aber im selben Augenblick, dass der Mann ihre Worte wahrscheinlich nicht verstehen würde. Wie entschuldigte man sich eigentlich auf Italienisch? Da war sie ins Land ihrer Vorfahren gereist, ohne ein einziges Wort Italienisch gelernt zu haben. Nicht einmal ein paar Standardsätze konnte sie von sich geben.
Noch immer hatte der Fremde dieses leichte Lächeln im Gesicht, während sein Blick jetzt ziemlich unverfroren über Ambers Körper wanderte. Sie fühlte, wie ihr eine heiße Röte in die Wangen stieg. Bei ihren Augen hielt sein interessierter Blick einen Moment lang inne.
Es kam Amber so vor, als ob im Gesicht des Mannes kurz ein irritierter Ausdruck aufflackerte, aber der Eindruck war zu flüchtig, als dass sie es mit Bestimmtheit hätte sagen können. Gebannt starrte sie ihn an, während sie das Blut in ihren Adern pulsieren spürte. Unter seinem intensiven Blick fühlte sie sich nackt – und der Fremde tat absolut nichts, um sie von diesem Gefühl zu erlösen. Im Gegenteil. In unverfrorener Provokation glitt sein Blick jetzt noch einmal zurück zu ihren Kurven.
Amber konnte sich nicht erinnern, wann jemand sie das letzte Mal so angeschaut hatte. Das Verrückte war, dass es ihr gefiel.
Deshalb nahm sie den älteren Herrn neben ihm auch erst wahr, als der mit einem ärgerlichen Hüsteln auf sich aufmerksam machte. Missmut, Groll und eine gewisse Lebensüberdrüssigkeit schienen sein Gesicht gezeichnet zu haben.
Unverzüglich wandte sich der Fremde ihm zu, bot ihm seinen Arm und führte ihn mit einem Nicken in Ambers Richtung hinüber in den nächsten Raum.
Während der gesamten Aktion war kein einziges Wort gefallen. Wie seine Stimme wohl geklungen hätte? Rauchig? Dunkel? Geheimnisvoll? Sicherlich passte sie perfekt zu seiner unverschämt attraktiven Erscheinung. Noch immer meinte Amber, den festen Griff der muskulösen Arme um ihre Taille zu spüren. Und nun? Die Fresken jedenfalls hatten ihre Anziehungskraft verloren.
Einen Augenblick später trat sie hinaus ins Freie. Sie musste dringend ihre Gedanken ordnen. Eine seltsame Erregung hatte sie erfasst und machte es ihr schwer, sich zu konzentrieren. Dabei war sie doch extra nach Italien geflüchtet, um Klarheit zu gewinnen. Ihren Verstand mit zusätzlichen Gefühlen zu verwirren, war das Letzte, was sie brauchte.
Wer war diese Frau? Wenn Riccardo nicht den ganzen Tag in Begleitung seines Vaters zugebracht hätte, wüsste er das jetzt, denn im Flirten war er wirklich gut. Aber so hatte er die Gelegenheit an sich vorbeiziehen lassen müssen.
Gedankenverloren starrte er aus dem großen Rundbogenfenster im Salon der Villa ins Weite. Von hier aus hatte man den schönsten Blick über das Land. Bis zum Horizont erstreckten sich die schnurgeraden Reihen der Weinstöcke und lenkten das Auge unmerklich in die Ferne, wo sich im aufsteigenden Abenddunst die hohen Türme von San Gimignano abzeichneten.
Riccardo konnte sich kein schöneres Zuhause vorstellen als il piccolo paradiso dei Conti, das kleine Paradies der Familie Conti, wie der Landsitz von den Einheimischen genannt wurde. Dabei stand der Name in umgekehrtem Verhältnis zur tatsächlichen Größe des Landgutes, denn die Contis waren die mit Abstand erfolgreichsten und vermögendsten Winzer der Region.
Sie besaßen mehrere tausend Hektar Land und hatten sich, wie fast alle hier, auf den Weinbau spezialisiert. Im Unterschied zu den meisten produzierten sie allerdings nicht nur einen, sondern gleich zwei Weine von herausragender Qualität: den tiefroten Chianti sowie einen bernsteinfarbenen Vernaccia, der mit zunehmender Reife zu goldenen Reflexen tendierte.
Riccardo selbst war auf il paradiso geboren und aufgewachsen. Dank seiner Mutter hatte er eine sorgenfreie Kindheit verlebt. Nur die Jahre, die er auf Drängen seines Vaters in einem Internat hatte verbringen müssen, konnten seine Erinnerungen gelegentlich etwas trüben. Wäre sein Leben anschließend so harmonisch weiterverlaufen, würde er sich jetzt als Alleinerbe und rechte Hand seines Vaters langsam auf die Übernahme des Geschäfts vorbereiten.
Doch leider hatten die Ereignisse vor fünfzehn Jahren einen anderen Verlauf genommen, und Riccardo war seit damals de facto für sämtliche Geschäftsvorgänge verantwortlich, ohne aber im juristischen Sinne dazu befugt zu sein. Bei jedem Geschäftsabschluss musste er nach wie vor die Einwilligung seines Vaters einholen. Inzwischen war er vierunddreißig und immer noch nicht verheiratet. Oder besser gesagt, nicht mehr. Obwohl ihm die Frauen in Scharen nachliefen – vor allem, wenn sie erfuhren, aus welcher Familie er stammte. Riccardo hatte es sich deshalb zur Regel gemacht, keinen Flirt mehr mit einer Frau aus Siena oder der Region zu beginnen.
Die hübsche Museumsbesucherin war aber offenbar keine Italienerin gewesen, denn sie hatte kein Wort zu ihm gesagt. Allerdings könnte sie mit ihrem gebräunten Teint und den dunklen Haaren durchaus als Südländerin durchgehen. Allein das leuchtende Blau ihrer Augen passte nicht ganz ins Bild.
Das Seltsame war, dass sie ihn entfernt an jemanden erinnerte, obwohl er nicht wusste, an wen. Da aber zeitgleich mit der Erinnerung sehr unangenehme Emotionen wach geworden waren, mochte er der Sache nicht weiter nachgehen. Irgendetwas in ihm wollte anscheinend nicht, dass sich mit ihrem attraktiven Bild ungute Empfindungen verbanden, auch wenn ihm nicht klar war, woher diese Gefühle eigentlich kamen. Und warum es so wichtig war, dass ausgerechnet ihr Bild auf keinen Fall Schaden nehmen durfte. Es musste mit seiner Vergangenheit zusammenhängen.
Seufzend trat Riccardo vom Fenster zurück und ging hinüber ins Herrenzimmer. Dort saß sein Vater auf dem Sofa, das unvermeidliche Whiskyglas in der Hand. Seit jenem verhängnisvollen Tag vor fünfzehn Jahren trank er, nicht viel, aber doch genug, um jegliche Gefühlsregung in sich zu ersticken. Vittorio Conti war ein gebrochener Mann – und allen Bediensteten auf dem Landsitz war es verboten, das Wort paradiso auch nur in den Mund zu nehmen.
Seit damals begleitete Riccardo seinen Vater einmal im Jahr nach Siena ins Museo del Palazzo Pubblico. Dort saß Vittorio Conti jedes Mal für Stunden unbeweglich auf einer Bank – und Riccardo saß stumm neben ihm. Längst hatte er den Eindruck, dass es seinem Vater gar nicht mehr um die Erinnerung ging. Es fühlte sich vielmehr so an, als wollte Vittorio ihn bestrafen: für das Unglück, das sie damals getroffen hatte, für die seither fehlende Lebendigkeit auf dem Landgut, für die immer noch ausstehenden Enkelkinder – ja, für die ganze Ungerechtigkeit und Unbarmherzigkeit des Lebens überhaupt.
Als Amber am nächsten Morgen erwachte, fiel Sonnenlicht durch die Jalousien direkt auf die leichte Bettdecke und malte helle Muster auf den Satin. Sie streckte sich genüsslich und schaute dabei zum Fenster hin. Sie hatte es gestern spätabends noch schließen müssen, denn das Nachtleben in einer mediterranen Touristenstadt hörte sich ziemlich anders an als das, was sie von zu Hause in England gewohnt war.
Doch auch, nachdem sie die großen Fensterläden verriegelt hatte, war sie nur schwer zur Ruhe gekommen. Die Umstände ihrer Reise, die Flucht und das Telefonat mit Cathy wirkten immer noch in ihr nach. Anscheinend hatte sie auch wirr geträumt. Seltsame, erregende Bilder waren durch ihren Kopf gegeistert und hatten sich mit der Realität vermischt. Selbst jetzt konnte Amber nicht richtig unterscheiden, was Trugbild und was Wirklichkeit gewesen war. Und zu all dem hatten sich immer wieder Erinnerungen an den unbekannten Italiener eingeschlichen.
Entschlossen schlug sie die Decke zurück, um ins Bad zu gehen. Dort schaute ihr im Spiegel ein hübsches, aber im Moment ziemlich ratloses Gesicht entgegen. Sowohl den bronzefarbenen Teint als auch die dunklen Locken hatte sie von ihrer sizilianischen Urgroßmutter geerbt, auch deren ursprünglich lebenslustiges Temperament war an sie weitergegeben worden. Ihre blauen Augen standen in einem reizvollen Kontrast zu ihrem dunklen Teint.
Cathy hingegen war Engländerin durch und durch, mit blonden Haaren, wasserhellen Augen und einer feinen blassen Haut, die nicht allzu viel Sonne vertrug. Auch Cathys Temperament entsprach eher dem, was man wohl als typisch britisch bezeichnete. Niemals wäre es ihr eingefallen, allein zu verreisen, um ihre Gedanken wieder ins Lot zu bringen. Für sie lagen die meisten Dinge klar auf der Hand.
Nach einer langen Dusche entschied sich Amber für ein luftiges Sommerkleid und einen breitkrempigen Hut. Passend zur Farbe des Hutbandes wählte sie Lippenstift und Nagellack. Die ungewohnten Handgriffe versetzten sie erneut in Urlaubsstimmung. Zu Hause auf Milford Meadows schminkte sie sich selten; meist nur, wenn sie Geschäftspartner erwartete.
Müde, aber dennoch gut gelaunt ging sie hinunter in die Lobby, um den Zimmerschlüssel abzugeben. Obwohl das Frühstück in der Buchung eingeschlossen war, wollte sie sich heute lieber in irgendeiner Cafeteria ein süßes Gebäckstück und einen Cappuccino bestellen. Sie hatte gestern Abend noch von Signore Bernardi, dem Portier, erfahren, dass dies die übliche Weise war, wie man hier in Italien seinen Tag begann. Die meisten Italiener frühstückten nicht zu Hause, sondern drängten sich morgens lieber in einer der unzähligen kleinen Trattorias um den Verkaufstresen. Da Amber vorhatte, völlig in das mediterrane Lebensgefühl einzutauchen, wollte sie sich von Anfang an so nah wie möglich am italienischen Alltag orientieren.
Chiara hatte erneut nur einen Gruß hinterlassen, Signore Bernardi reichte ihr den Zettel hinüber. Am Abend würde sie aber endlich Zeit finden, ihre britische Verwandte zu begrüßen.
Amber war es recht. Dann fing das Abenteuer jetzt also an. Heute würde sie, lediglich mit ihrem Farbkasten bewaffnet, durch die Stadt bummeln, vielleicht einige erste Skizzen machen und dabei schauen, wie sie später die Lichtreflexe setzen wollte.
Das Geheimnis der Aquarellmalerei war das Spiel mit dem Licht. Da Aquarellfarben transparent waren, konnte man sie nicht unbegrenzt übereinander auftragen, sondern musste dort, wo später Helligkeit sein sollte, den Platz aussparen. Dadurch stellte diese Art des Farbauftrags alles auf den Kopf, was man sonst vom Malen kannte, denn genaugenommen war es Gestalten durch Weglassen. Am Ende würden die Bilder gerade dort am meisten leuchten, wo nichts war.
Am Ende hatte man gerade dort die spannendsten Begegnungen, wo man sie nicht erwartete. Erneut musste Amber an den Fremden im Museum denken, und schon wieder jagte ihr dabei ein kleiner Schauder über den Rücken. Sofort zwang sie ihre Gedanken in eine andere Richtung. Sie hatte sich vorgenommen, sich ab jetzt nur noch mit der Klärung ihrer persönlichen Angelegenheiten zu beschäftigen. Das Malen würde ihr dabei helfen, denn es verlangte, dass die gesamte Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt gerichtet war.
Bereits gestern auf der Hinfahrt waren ihr die vielen Erdfarben aufgefallen, die die Landschaft dominierten. Auch in der Stadt herrschten Ocker-, Umbra- und Terracottatöne vor. Terracotta hieß so viel wie „gebrannte Erde“, und tatsächlich zeigten die Fassaden der Häuser eine Färbung, die an sonnengebrannte Ziegel erinnerte. Zudem war die gesamte Kulisse von einem wolkenlosen azurblauen Himmel überzogen. Das strahlende Blau passte gut zum Stadtbild, auch zu den dunkelgrünen trockenen Zypressen. Zu Hause in Suffolk leuchtete das Grün zwar frischer, aber dafür war der Himmel dort meist schiefer- oder gewittergrau.
Unversehens wanderten ihre Gedanken zurück nach Milford Meadows.
Der Aufbruch war ihr nicht annähernd so leichtgefallen, wie Cathy offenbar glaubte. Amber wusste, dass sie ihren Vater damit vor den Kopf gestoßen hatte – und nicht nur ihn. Auch Alfie dürfte ihre Motivation für die Reise nicht verstehen. Für ihn war die Sache klar: Sie würden heirateten und mit ihrer Verbindung dafür sorgen, dass ihre jeweiligen Gestüte zukünftig gemeinsam noch erfolgreicher betrieben werden konnten.
Schon seit mehreren Generationen züchteten beide Familien englische Vollblüter. Vor allem die Milfords hatten mit der Zeit eine kleine, aber wohlbeachtete Zuchtlinie hervorgebracht, deren Pferde aufgrund ihrer zuverlässigen Leistung von britischen Rennstallbesitzern und Trainern sehr geschätzt wurden. Steinreich waren sie zwar nicht damit geworden, aber zumindest einige ihrer Pferde hatten es schon bis nach Ascot geschafft, auf die berühmteste britische Rennbahn.
Das war dem Nachbarunternehmen Clark Range allerdings auch gelungen. Dessen ausgedehnter Landsitz war inzwischen bedrohlich nahe an Milford Meadows herangerückt. Außerdem schickte sich in letzter Zeit ein dritter Mitbewerber an, sowohl Milford Meadows als auch Clark Range den Rang abzulaufen. Die Ehe von Amber und Alfie sollte dieser Gefahr vorbeugen und aus den früheren Konkurrenten Partner machen.
Beide Familien sahen keinen Grund, die Hochzeitspläne infrage zu stellen. Amber und Alfie kannten sich bereits aus dem Sandkasten, sie waren zusammen zur Schule gegangen und seit vielen Jahren ein Paar. Sowohl ihre Pubertät als auch den ersten Kuss und später den ersten Sex hatten sie miteinander erlebt. Sie kamen aus gleichen Verhältnissen und hatten dieselben Vorstellungen von ihrer Zukunft, die fest mit der Pferdezucht verbunden war. Es gab also nichts, was einer Ehe im Wege gestanden hätte.
Irgendwie kam ihr Siena heute voller vor als gestern. Es gelang Amber nicht, einen ruhigen Platz für die ersten Skizzen zu finden. Je näher sie dem Altstadtzentrum kam, umso dichter wurde das Gedränge. Als sie die Piazza del Campo erreichte, stand sie unvermittelt vor einem Gitter.
Anscheinend war wirklich die ganze Stadt auf den Beinen, denn der große muschelförmige Platz war bis auf den letzten Meter gefüllt. Sowohl vor als auch hinter der Absperrung, die die frisch aufgeschüttete Sandbahn abschirmte, drängten sich Touristen und Einheimische.
Amber, die keine Ahnung hatte, was los war, schob sich immer näher an den Palazzo Pubblico heran. Sie wollte wissen, was es mit der Sandbahn auf sich hatte, die sie an eine Rennstrecke erinnerte. Nur dass hier kein Gras wuchs und die Kurven, entsprechend der Form des Platzes, viel enger angelegt waren.
Als sie sich dem Eingang zum Museum näherte, sah sie, dass dort tatsächlich Pferde standen. Es waren schöne Tiere, Halbblüter, so viel konnte sie erkennen. Mehrere Männer umringten die Tiere, begutachteten sie und tauschten sich miteinander aus.
Da erkannte Amber plötzlich den attraktiven Fremden von gestern wieder. Er stand vor einem Grauschimmel und hielt ihn fest, während ein Jockey neben dem Pferd in die Knie gegangen war, um die Sehnen zu prüfen. Offensichtlich war alles in Ordnung, denn er richtete sich zufrieden wieder auf.
Demnach war der Fremde ein einfacher Pferdeknecht? Amber konnte es nicht fassen. Gestern im Museum hatte er einen völlig anderen Eindruck auf sie gemacht, und nun stellte sich heraus, dass er lediglich ein Stallbursche war?
Andererseits erleichterte das die Kontaktaufnahme. Obwohl es keinen vernünftigen Grund dafür gab, fühlte Amber plötzlich das Bedürfnis, ihn zumindest zu grüßen. Vielleicht erinnerte er sich ja ebenfalls an ihre Begegnung.
Pass auf, flüsterte eine leise innere Stimme. Du machst einen Riesenfehler, wenn du jetzt einen weiteren Kontakt riskierst. Diesmal wirst du nicht so leicht von ihm loskommen! Doch ihr Körper schien nicht die Absicht zu haben, auf die Warnung ihres Kopfes zu hören. Mit einem Mal fühlte Amber sich geradezu magisch zu dem gutaussehenden Italiener hingezogen.
Riccardo hielt den nervösen Grauschimmel kurz, während der Jockey das Pferd in Augenschein nahm. Der Hengst war erst drei Jahre alt, zeigte aber schon hervorragende Anlagen. Ganz sicher würde er sich für den Palio di Siena, Italiens bekanntestes Pferderennen, qualifizieren.
Neben dem Weinanbau züchteten die Contis Pferde. Allerdings war das eher sein persönliches Hobby. Die Haupteinnahmequelle der Familie war und blieb der Weinexport, vor allem der ihres bernsteinfarbenen Vernaccias, der in die ganze Welt geliefert wurde. Riccardo war stolz auf seine Zucht, denn er hatte sie ohne jede Hilfe aufgebaut. Sein Vater hatte sich weder mit Geld noch mit fachmännischem Rat daran beteiligt. Allerdings war das Ganze sehr zeitaufwändig. Im Grunde lohnte es sich nicht, wenn man nicht sehr gute Pferde im Stall hatte. Doch dafür hätte Riccardo jemanden gebraucht, der sich hauptamtlich um die Zucht kümmerte. Jemanden, der genug Sachverstand dafür besaß.
Natürlich hatte Riccardo eine Zeitlang gehofft, dass sein Vater seine Bemühungen zumindest mit ein paar anerkennenden Worten honorieren würde. Aber Vittorio Conti hatte sich all die Jahre niemals zu der Tätigkeit seines Sohnes geäußert. Inzwischen war Riccardos Hoffnung in Resignation umgeschlagen. Wie es aussah, würde er zeitlebens ohne die Unterstützung seines Vaters auskommen müssen. Das war bitter, aber offensichtlich nicht zu ändern.
In knapp einer Stunde würde hier einer der vier Vorentscheide stattfinden, bei denen aus insgesamt sechzig Pferden zehn ausgewählt wurden, die am Hauptrennen teilnehmen durften. Normalerweise war Riccardo vor diesen Proberennen die Ruhe selbst. Heute allerdings war er nicht recht bei der Sache. In seinem Kopf geisterte immer noch die Begegnung vom Vortag herum. Beinahe konnte er die schlanke Taille der fremden Engländerin unter seinen Händen spüren, so lebhaft war die Erinnerung.
Der sanfte Zusammenprall gestern hatte ziemlich eindeutige Empfindungen in ihm ausgelöst. Zum Glück hatte er die junge Frau schnell wieder von sich weggeschoben, sonst wäre ihr seine körperliche Reaktion sicher aufgefallen. Seither versuchte er, den magischen Moment im Geiste wiederaufleben zu lassen.
Sollte sie ihn nun ansprechen oder nicht? Unentschlossen stand Amber neben der Absperrung. Dann siegte ihre Abenteuerlust, und sie trat einen Schritt aus der Menge heraus.
Im selben Moment entdeckte Riccardo sie. Träumte er, oder war sie das tatsächlich? Während sie zögernd auf ihn zukam, stieg Freude über das unverhoffte Wiedersehen in ihm auf – ein Gefühl, das er so schon lange nicht mehr empfunden hatte.
Wer war diese Frau? Warum schlug sie ihn dermaßen in ihren Bann? Sicherlich hatte ein Teil der Anziehung, die sie auf ihn ausübte, mit ihrer erotischen Ausstrahlung zu tun, aber da war definitiv noch etwas anderes.
„Hallo“, sagte sie, als sie vor ihm stand. Ihre Augen leuchteten in einem tiefen Dunkelblau.
„Hallo“, erwiderte Riccardo den Gruß. „Schön, Sie wiederzusehen. Wie geht es Ihnen? Sind Sie heute standfester als gestern?“ Er lachte und zeigte dabei blendend weiße Zähne, während sich um seine Augen winzige Lachfältchen bildeten.
Himmel, wie gut er aussieht, dachte Amber, die spürte, wie ihr sorgfältig gefasster Vorsatz in alle Richtungen zerstob.
„Ich denke schon“, antwortete sie.
Er nickte und klopfte dem Grauschimmel auf den Hals.
„Ein schönes Halbblut haben Sie da“, bemerkte Amber.
Riccardo schaute überrascht auf. „Verstehen Sie was von Pferden?“
„Ein bisschen schon.“ Amber trat einen Schritt näher an den Grauschimmel heran und nahm ihn genauer in Augenschein. „Es ist ein Hengst, ungefähr drei Jahre alt. Sind Sie sein Pfleger?“
Einen Moment lang war Riccardo sprachlos. Sie hielt ihn für einen Stallburschen? Fiel ihr denn gar nicht auf, dass er dafür viel zu teuer gekleidet war und überdies ein passables Englisch sprach?
Sie selbst trug ein Kleid, das ihr Dekolleté sehr vorteilhaft zur Geltung brachte. Ihre vollen Brüste wölbten sich ihm entgegen, und Riccardo hatte Mühe, nicht allzu auffällig hinzusehen, denn er ahnte, dass er seine körperlichen Reaktionen sonst nicht mehr hätte kontrollieren können. Schon jetzt spürte er, wie ihm das Feuer erneut in die Lenden schoss.
Am besten ließ er ihre Frage unbeantwortet. Es war vernünftiger, wenn sie ihn weiterhin für einen einfachen Pferdepfleger hielt. Dann würde ihr Interesse an dem Gespräch genauso schnell verfliegen, wie es gekommen war, und sie würde sich wieder von ihm abwenden. Der Gedanke schmerzte ihn stärker als erwartet, aber es war die klügste Lösung. Das Letzte, was er jetzt brauchte, war eine Frau, die ihm den Kopf verdrehte.
Sein plötzliches Schweigen irritierte Amber. „Findet hier jetzt ein Rennen statt?“, fragte sie schließlich, um die unangenehm lange Pause zu überbrücken.
Ihre Lippen waren fein geschwungen, die Haut ihrer Wangen schimmerte sanft, und die dunklen Haare umrahmten ihr Gesicht wie das einer Madonna auf den Gemälden der alten Meister. Riccardo wusste nicht, wohin er schauen sollte. Der Italiener in ihm hätte gern mit ihr geflirtet, aber als Sohn von Vittorio Conti wusste er, dass diese Begegnung das Potential hatte, ihn in heftige Schwierigkeiten zu bringen. Es war besser, wenn er sich beherrschte. Auch wenn es ihm schwerfiel.
„Ja. Ein Vorentscheid“, erwiderte er förmlich und hoffte, dass sie sich mit der Antwort zufriedengab. „Er bestimmt, welche Pferde im Hauptrennen laufen werden.“
„Ach ja?“ Sie sah sich kurz nach den anderen Pferden um. „Warum nimmt man denn keine Vollblüter? Die sind schneller und wendiger.“
„Aber auch nervöser und leichter verletzbar“, erwiderte Riccardo verblüfft. Sie schien wirklich Pferdeverstand zu besitzen, denn sie hatte recht, zumindest, wenn man von einem Wettkampf auf normaler Grasbahn ausging. Aber dies hier war der Palio di Siena, den manche Pferdekenner als das härteste Rennen der Welt bezeichneten. „Die Verletzungsgefahr ist höher als bei gewöhnlichen Rennen, weil die Kurven so eng sind“, erklärte er und fühlte, wie bei dem Wort „Kurven“ erneut eine heiße Welle in ihm aufstieg. Doch statt sich abzuwenden, hörte er sich sagen: „Wenn Sie möchten, erzähle ich Ihnen mehr davon. Haben Sie Zeit für einen Kaffee?“
Was passierte hier gerade? Amber fühlte, wie eine ungeheure Aufregung von ihr Besitz ergriff. Das Gefühl war von einem erotischen Kribbeln begleitet, das sie nicht einzuordnen vermochte.
Sie hatte den Fremden vorhin nur grüßen wollen, zumindest redete sie sich das ein. Und jetzt saß sie mit ihm unterm Sonnenschirm in einem der vielen kleinen Cafés, die die Piazza säumten. Es war bis auf den letzten Platz besetzt, ringsum summte und brodelte es. Man wartete auf den Start des ersten Rennens. Das konnte allerdings noch etwas dauern.
„Kennen Sie das Pferd gut, um das Sie sich vorhin gekümmert haben?“, fragte Amber.
Riccardo nickte, und um seinen Mund spielte ein leichtes Lächeln. „Ja, ziemlich gut. Sie hatten übrigens recht, der Hengst ist drei Jahre alt. Er hat sehr gute Anlagen. Dieses Jahr wird er das erste Mal beim Palio an den Start gehen.“
„Das wissen Sie jetzt schon?“ Amber sah Riccardo fragend an. Im Allgemeinen interessierte sie sich brennend für Pferde, aber im Moment konnte sie sich kaum auf das Gespräch konzentrieren. Sein blendendes Aussehen nahm ihre gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch. Sie hatte Mühe, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr er sie faszinierte. „Woher wissen Sie, dass er mit dabei sein wird? Das ist doch noch gar nicht entschieden“, wiederholte sie ihre Frage etwas forscher, als es hatte klingen sollen.
Wieder lächelte Riccardo. „Ich weiß es einfach. Er heißt nicht umsonst il principale. Übrigens, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt.“ Über den Tisch hinweg reichte er ihr die Hand. „Riccardo.“
Riccardo, und wie weiter? Amber fühlte, wie sich bei der Berührung seiner Hand die Härchen auf ihrem Unterarm aufstellten. Weshalb übte der Mann so eine Anziehungskraft auf sie aus? Lag es daran, dass sie mit dem Pferdesport ein gemeinsames Interesse hatten? Aber wieso hatte er ihr nur seinen Vornamen genannt?
Eigentlich hätte es ihr egal sein sollen. Nach diesem Gespräch würde sie ihre Sachen schnappen und sich weit weg vom Altstadtzentrum einen ruhigen Platz zum Malen suchen – vor allem weit weg von ihm.
„Amber“, stellte sie sich ebenfalls nur mit ihrem Vornamen vor.
Riccardo nickte und musterte sie unauffällig. Die Art, wie sie den Kopf hielt, erinnerte ihn an jemanden. Aber an wen?
„Erzählen Sie mir etwas von sich“, bat er, um sich abzulenken.
„Ach, da gibt es nicht viel zu erzählen“, erwiderte Amber. „Ich komme aus England. Aus Suffolk, genauer gesagt.“
„Suffolk? Hm.“ Sein Gesicht verriet nicht, was er dachte.
Hat er den Namen überhaupt schon mal gehört, fragte sich Amber und fühlte eine wachsende Verwirrung in sich aufsteigen. Obwohl sie alles versuchte, um sich von der Attraktivität des Mannes nicht vereinnahmen zu lassen, fühlte sie, wie ihr Blick immer wieder von seinem Körper angezogen wurde. Unter dem Poloshirt zeichneten sich kräftige Schultern ab. Der Anblick löste den Wunsch in ihr aus, sich sofort wieder in seine Arme fallen zu lassen.
Stopp! Sie war so gut wie verheiratet; zu Hause wartete ihr Verlobter. Was würde Alfie sagen, wenn er von ihren verbotenen Fantasien erfuhr? Verlegen fuhr sie sich über die heißen Wangen.
Riccardo beobachtete sie interessiert. Sicherlich war sie als Touristin hergekommen, eventuell sogar direkt für den Palio, denn sie verstand etwas von Pferden, das hatte sie gerade bewiesen. Aber hätte sie dann nicht mit den anderen Zuschauern an der Absperrung gestanden, um den Ausgang des Vorentscheids mitzukriegen, anstatt hier mit ihm zu sitzen?
Offensichtlich war der Start vor dem Palazzo immer noch nicht erfolgt, denn die Menge verhielt sich weiterhin relativ ruhig.
„Übrigens hätte ich Sie gestern beinahe für eine Italienerin gehalten“, sagte er. „Nur dass Sie sich auf Englisch entschuldigen wollten, hat nicht gepasst.“
Dass er sich ebenfalls an ihre Begegnung erinnerte, hatte er vorhin schon angedeutet. Aber hatte er auch das erotische Knistern gespürt, das dabei zwischen ihnen aufgeflammt war? Wenn Amber seinen Blick richtig interpretierte, lag darin Interesse, gleichzeitig aber auch strikte Kontrolle.
„Deshalb waren Sie gestern also kurzfristig irritiert“, stellte sie fest. „Sie dachten, ich sei aus Italien?“
Riccardo zögerte. Sie war offensichtlich eine gute Beobachterin, aber mit ihrer Deutung seiner Irritation lag sie trotzdem falsch.
„Nicht deshalb“, antwortete er schließlich. „Sie erinnern mich an jemanden.“
Diesmal löste seine Antwort kein Prickeln auf Ambers Haut aus, sondern ein kurzes und schmerzhaftes Ziehen in ihrer Herzgegend. „An wen denn? An eine vergangene Liebe?“ Sie registrierte, wie sich sein Blick verdunkelte. „Oh, ich verstehe“, sagte sie schnell. „An eine derzeitige.“ Wie hatte sie glauben können, dass dieser Mann ungebunden war!
Sie versteht es nicht, dachte Riccardo, aber woher sollte sie es auch wissen? Zumal er das Gefühl, das eben durch seine Brust gefahren war, selbst nicht richtig verstand. Auf jeden Fall hatte es nichts mit Elena zu tun, seiner Ex-Frau, die sich nach nur zweieinhalbjähriger Ehe von ihm getrennt hatte.
Mit der Heirat hatte er seinem Vater eigentlich beweisen wollen, dass er gewillt war, sich auch außerhalb der geschäftlichen Belange um den Fortbestand von il paradiso zu kümmern. Aber Elena hatte das Leben auf dem Landsitz der Contis nicht gefallen. Als Tochter eines mailändischen Tuchfabrikanten an permanente Zerstreuung gewöhnt, war ihr bereits kurz nach der Hochzeit aufgegangen, dass die Ehe mit einem toskanischen Winzer wohl doch nicht das Richtige für sie war.
Offensichtlich hatte ihr wirkliches Interesse auch nie ihm, sondern dem Reichtum und dem Renommee seiner Familie gegolten. Bei der Trennung hatte sie allerdings Vernachlässigung als Grund angegeben. Tatsächlich hatte er oft viel zu viel gearbeitet und seiner jungen Frau zu wenig Zeit gewidmet. Die Gründe hierfür lagen ebenfalls in seiner Vergangenheit und waren zu schmerzhaft, um ausgerechnet jetzt daran zu rühren. Auf jeden Fall würde er sein Herz nie wieder an eine Frau verlieren, egal, wie interessant, erotisch und spannend er sie fand.
Über Riccardos Gesicht glitt ein Schatten. „Lassen wir das“, sagte er. „Es spielt keine Rolle.“
Eine Fanfare erklang. Mit einem Mal verbreitete sich Unruhe unter den Zuschauern auf dem Platz, auch einige Gäste in den Straßencafés erhoben sich von ihren Sitzen. An den Absperrungen setzte Gedränge ein.
Riccardo war ebenfalls aufgestanden, aber anders als die Zuschauer schaute er nicht in Richtung Rennbahn, sondern hatte sich Amber zugewandt.
„Ich muss zurück“, erklärte er, während er eilig einen Geldschein aus der Hosentasche kramte. „Das war das Signal. In wenigen Augenblicken beginnt das Rennen, und das möchte ich nicht versäumen.“ Er legte den Geldschein auf den Tisch und klemmte ihn unter seiner Kaffeetasse fest. „Das dürfte für uns beide reichen. Hat mich gefreut. Grüßen Sie Suffolk, wenn Sie wieder in England sind.“
Keine Frage nach ihrer Telefonnummer oder ihrem Hotel. Amber musste zugeben, dass sie enttäuscht war. Aber was hatte sie auch erwartet?
Langsam ging sie zurück zum Hotel. Es begann schon zu dämmern. Nach dem Ende des Rennens hatte sich die Menschenmenge schnell zerstreut. Einige Gruppen, wahrscheinlich Einheimische, hatten spontan gefeiert, aber Amber hatte keine Lust verspürt, dem ausgelassenen Treiben auf der Piazza beizuwohnen, und sich stattdessen auf die Suche nach einem Motiv gemacht. Seltsamerweise war sie nicht fündig geworden. Dabei bot Siena eine Unmenge von malerischen Ausblicken, sie hätte sich nur an einer Ecke niederzulassen und ihren Skizzenblock hervorzuziehen brauchen.
Inzwischen beherrschte ein kräftiges Kornblumenblau den Himmel. Es bildete einen wunderbaren Kontrast zu den sand- und rostfarbenen Fassaden, die sich unter dem Einfluss der länger werdenden Schatten langsam ins Purpurne und Blauviolette verfärbten. Über der ganzen Stadt lagen eine Leichtigkeit und Unbeschwertheit, die Amber von Suffolk her nicht kannte. Dort senkte sich der Abend eher nüchtern herab und tauchte Wiesen und Weiden in ein schweres Dunkelblau. Hier hingegen schlich sich mit sinkender Sonne ein zartes, luftiges Lila in die Atmosphäre.
Die romantische Stimmung weckte in Amber ein Gefühl, das sie nicht einordnen konnte. Es musste mit ihrem italienischen Erbe zusammenhängen. Zu Hause hatte sie dieses leise, sehnsuchtsvolle Ziehen nie verspürt.
Im Hotel wartete Chiara auf sie.
„Ciao! Du musst Amber sein. Ist es okay, wenn wir uns duzen?“ Chiara küsste sie zur Begrüßung auf beide Wangen.
„Natürlich.“ Amber nickte erfreut. „Schön, dass wir uns endlich kennenlernen.“
„Ja, das finde ich auch!“ Chiara strahlte. Sie war eine unglaublich attraktive Frau, schlank und elegant, mit glänzendem, schwarzem Haar, das ihr in weichen Locken über die Schultern fiel. Ihre fast schwarzen Augen und der bronzefarbene Teint passten perfekt zum kobaltblauen Gucci-Businesskostüm. Amber staunte. Verdiente man als Hotelmanagerin so viel? Auch Chiaras Schmuck wirkte ausgesprochen edel.
„Hattest du eine gute Anreise?“, fragte die junge Italienerin. „Entschuldige, dass ich mich gestern nicht um dich kümmern konnte. Im Moment ist einfach zu viel los.“
„Ach, das ist völlig in Ordnung. Dank deiner perfekten Organisation hatte ich keine Probleme bei der Anreise, weder mit dem Flug noch mit der Mietwagenfirma. Und die Fahrt von Florenz nach Siena war total schön. Eure Landschaft ist wirklich toll, ganz anders als bei uns zu Hause. Ich bin absolut begeistert.“
„Das freut mich.“ Chiara wies auf einen Tisch in der Lobby. „Wollen wir uns nicht setzen? Zur Feier des Tages würde ich dich gern zu einem Glas Champagner einladen. Man lernt ja nicht jeden Tag neue Verwandte kennen.“
Amber lachte. „Das stimmt.“ Zusammen gingen sie zur Sitzgruppe, die mit rotem Samt bezogen war. Chiara winkte einem Hotelpagen, bestellte zwei Gläser Champagner und wandte sich dann wieder Amber zu.
„Du musst mir alles von euch erzählen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie aufgeregt ich war, als ich deine E-Mail gelesen habe. Ihr züchtet also Pferde?“
„Ja, englische Vollblüter.“
Chiara zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Mit Pferderassen kenne ich mich leider nicht so aus.“
„Das sind britische Rennpferde, die mit arabischen Rassen gekreuzt wurden. Heutzutage gelten sie als die schnellsten Pferde der Welt. Allerdings scheinen sie für eure Rennen hier nicht geeignet zu sein.“
„Das kann gut sein. Der Palio di Siena ist etwas ganz Besonderes. Du siehst ja, was in der Stadt gerade los ist.“
Amber nickte. „Ja, es ist unglaublich. Es ist überhaupt alles so anders als bei uns, die Geräusche, das Licht, die Farben. Ich kann mir gut vorstellen, dass es eine ziemliche Umstellung bedeutet, wenn man aus Italien nach England kommt. Das muss für meine Urgroßmutter ein echter Schock gewesen sein.“
„Das glaube ich gern. Wie ist es Donatella damals eigentlich ergangen? In unserer Familie war leider jedes Gespräch über sie tabu.“
„Warum denn das?“, fragte Amber überrascht.
„Hast du eine Ahnung, was es für eine sizilianische Familie bedeutet, wenn die minderjährige Tochter bei Nacht und Nebel mit ihrem Liebhaber durchbrennt? In Sizilien herrschen auf dem Land teilweise immer noch ziemlich rigorose Ehrvorstellungen. Und damals war es noch schlimmer. Wenn man sich da unverheiratet mit einem Mann eingelassen hat, noch dazu mit einem Ausländer, war einem die Rückkehr für immer verbaut. Wobei für manche Sizilianer auch heutzutage noch alles, was nördlicher als Neapel liegt, zum Ausland zählt!“ Chiara lachte bitter auf. „Aber was soll’s! Manchmal muss man sich trotzdem aus solchen Verhältnissen befreien, auch wenn es die Familie nicht versteht.“
Amber hatte den Eindruck, als spräche Chiara nicht nur von ihrer Urgroßmutter, aber das konnte täuschen. Jedenfalls ergab nun alles Sinn. Donatella Costantini war damals also überstürzt davongelaufen.
„Zumindest ging es ihr bei uns gut“, sagte sie. „Mein Urgroßvater soll sie buchstäblich auf Händen getragen haben. Und er hat ihr wohl auch viel durchgehen lassen. Jedenfalls wird sie in der Familie als ziemlich heißblütig beschrieben.“
Chiara lachte. „Ja, das wird uns Sizilianerinnen allgemein nachgesagt. Leider wissen das nicht alle Männer zu schätzen.“ Erneut hatte Amber den Eindruck, als trage Chiara irgendeine Enttäuschung mit sich herum.
Der Hotelpage brachte den Champagner. Chiara hob ihr Glas. „Auf uns und dass wir uns endlich kennenlernen. Ich freue mich, dass du hier bist.“
„Ich freue mich auch, Chiara. Und vielen Dank noch einmal, dass du alles so gut für mich organisiert hast.“
Sie stießen miteinander an, nahmen jeder einen Schluck des prickelnden Getränks und stellten die Gläser wieder auf dem Tisch ab.
„Wie war dein erster Tag?“, fragte Chiara.
„Ach, ganz interessant. Eigentlich ist es ja schon der zweite. Ich bin ein bisschen durch die Stadt gebummelt und habe beim Vorentscheid zugeschaut. Warum betreibt man hier eigentlich so einen Aufwand damit?“
„Der Palio ist eine Tradition aus dem Mittelalter, als die verschiedenen Stadtteile von Siena noch miteinander verfeindet waren, weil sie für unterschiedliche Herren in den Krieg gezogen sind. Pallium heißt Wappen oder Standarte auf Italienisch, daher der Name Palio. Bei den Vorentscheiden werden die teilnehmenden Pferde ermittelt und dann den Bezirken zugelost. Siena hat insgesamt siebzehn Stadtteile, die sogenannten Contraden, die immer noch gegeneinander wetteifern, heutzutage natürlich nur zum Spaß. Zehn Contraden nehmen jeweils am Palio teil, natürlich nicht jedes Mal die gleichen.“
„Verstehe. Und die Jockeys kommen aus den entsprechenden Bezirken?“
„Nein, die Jockeys werden speziell angemietet, sie gehören nie der Contrada an, für die sie starten. Deshalb ist oft ziemlich viel Trickserei im Spiel.“
„Inwiefern?“
„Naja, man trifft zum Beispiel Absprachen oder versucht, die Jockeys zu bestechen. Es kursieren eine Menge Anekdoten, dass früher sogar Jockeys entführt oder gute Pferde betäubt wurden. Das gehörte alles zur Tradition. Auch heute ist beim Palio immer noch so ziemlich alles erlaubt, die Jockeys dürfen einander behindern oder die Pferde der anderen scheu machen.“
„Verrückt.“ Amber musste an Riccardo denken, der nach dem Vorentscheid sofort wieder zum Platz geeilt war, vermutlich, um sicherzustellen, dass dem Pferd in der Zwischenzeit nichts passierte. „Ich habe heute übrigens einen Mann kennengelernt“, rutschte es ihr heraus.
Chiara lachte. „Erst einen Tag in Italien, und schon Männerbekanntschaften? Du gehst ja ganz schön ran!“
„Nicht, wie du denkst. Ich bin verlobt und werde demnächst heiraten.“
„Wirklich? Gratuliere.“ Chiara erhob ihr Glas erneut. „Erzähl mal.“
„Ach, da gibt es nicht viel zu erzählen. Alfie ist der älteste Sohn vom Pferdezüchter nebenan. Durch unsere Heirat werden die Weidegründe zusammenfallen, sodass beide Familien wirtschaftliche Vorteile haben.“
„Verstehe. Also ist es nicht die große Liebe.“
„Wie kommst du denn darauf?“
„Na, jede andere Frau hätte jetzt erst mal ihren Verlobten beschrieben, anstatt die wirtschaftliche Situation zu erklären.“
Amber wurde rot. Alfie hatte bei ihrer Beschreibung eben tatsächlich keine Rolle gespielt. Wie oft hatte sie in den vergangenen vierundzwanzig Stunden eigentlich an ihn gedacht? Und wie oft an Riccardo?
Sein Lächeln, die dunklen Augen, sein muskulöser, kräftiger Körper, die selbstbewusste Art, wie er sie zum Kaffee eingeladen hatte – jede einzelne Erinnerung ließ erneut einen angenehmen Schauder durch ihren Körper laufen. Hatte sie bei Alfie je etwas Ähnliches gespürt? Ganz am Anfang vielleicht. Aber das war lange her.
Chiara hatte Amber aufmerksam beobachtet. „Gut, dann erzähl mir lieber von dem geheimnisvollen Unbekannten.“ Sie zwinkerte ihr zu. „Du hast ihn also beim Rennen getroffen?“
„Schon vorher. Er stand auf der Piazza und hielt einen Grauschimmel fest. Ich hatte ihn am Vortag schon mal gesehen und wollte ihn diesmal nur grüßen. Über das Pferd sind wir dann ins Gespräch gekommen, und da hat er mich zum Kaffee eingeladen.“
„Oha. Und weiter?“
„Nichts weiter. Er war einfach nur nett.“
„Nett?“, wiederholte Chiara und lachte.
„Chiara, ich bin verlobt! Natürlich nur nett! Außerdem werde ich ihn bestimmt nicht wiedersehen. Jedenfalls haben wir keine Telefonnummern getauscht, falls du das wissen wolltest.“
„Das lässt sich ja nachholen. Weißt du, ob sein Pferd unter den Ersten war?“
„Nein, keine Ahnung. Wieso?“
„Weil er dann zum Palio auch wieder da ist. Allerdings dürfte das Gedränge an dem Tag so groß sein, dass es wirklich ein unglaublicher Zufall wäre, wenn ihr euch da wieder über den Weg laufen würdet. Es sei denn, du legst es darauf an. Am ehesten könntest du ihn wahrscheinlich bei der Segnung der Pferde finden, die vorher immer in einer Kirche stattfindet. Allerdings müsste man dazu wissen, für welche Contrada es startet.“
„Wahrscheinlich“, sagte Amber zerstreut. Ihr ging gerade auf, dass der Palio tatsächlich eine Möglichkeit war, Riccardo – ganz zufällig natürlich – noch einmal wiederzusehen. Aber wollte sie das wirklich? Es würde nur noch mehr Unordnung in ihre Gefühle bringen, genau das Gegenteil von dem, wofür sie hergekommen war.
„Weißt du denn, wie er heißt?“, riss Chiara sie aus ihren Gedanken.
„Riccardo.“
„Riccardo?“ Chiaras Kopf schnellte hoch. „Und weiter?“
„Keine Ahnung, er hat mir nur seinen Vornamen genannt. Offensichtlich wollte er nicht, dass ich auch seinen Nachnamen erfahre. Vielleicht war es ihm peinlich, weil er nur ein Stallbursche ist.“
„Quatsch, beim Palio gibt es keine Stallburschen, die Pferde sind viel zu wertvoll, die Besitzer kümmern sich immer selbst um die Tiere. Oder ausgewählte Leute von der entsprechenden Contrada. Aber die stand ja vor dem Entscheid noch gar nicht fest.“
Amber griff überrascht nach ihrem Glas. „Du meinst, er war der Besitzer des Pferdes?“ Das war ein völlig neuer Gedanke. Aber wenn sie es recht bedachte, hatten Riccardos Kleidung und sein Verhalten wirklich nicht den Eindruck gemacht, als sei er ein einfacher Pferdeknecht. „Hast du zufällig eine Ahnung, wer er ist, Chiara? Du kennst dich doch bestimmt sehr gut in Siena aus.“
Chiara hatte mit einem Mal einen harten Zug um den Mund. „Nein! Und ich kann dir nur raten, die Hände von den Männern hier zu lassen. Italienische Frauen können sehr eifersüchtig werden, wenn ihre Männer von Touristinnen angemacht werden. Und ziemlich heftig reagieren.“
„Ich habe ja gar nicht vor, ihn anzumachen, ganz im Gegenteil“, versicherte ihr Amber. „Wie ich schon sagte, heirate ich demnächst.“
„Na, dann ist ja alles gut.“ Chiara strich ihren kurzen Rock glatt und stand auf. „Ich muss dann auch mal wieder. Mit deinem Zimmer war alles in Ordnung?“
„Ja“, sagte Amber, erstaunt über die Wendung, die das Gespräch genommen hatte.
„Schön.“ Chiara griff nach ihrem Glas und leerte es in einem Zug. „Falls du doch noch was brauchen solltest, melde dich einfach beim Portier.“
„Das mache ich“, versprach Amber. „Aber eigentlich wollte ich noch viel mehr über dich und meine sizilianische Verwandtschaft erfahren. Sehen wir uns morgen wieder?“
„Wie gesagt, im Moment ist hier ziemlich viel los. Ich schau mal in meinem Kalender nach und wenn ich ein bisschen Zeit übrighabe, hinterlasse ich dir eine Nachricht beim Portier.“ Chiara stellte das Glas auf den Tisch zurück und verabschiedete sich.
Mittlerweile war es vollständig dunkel geworden. Amber beschloss, auf ihrem Zimmer noch eine kleine Skizze von der vollbesetzten Piazza aus dem Kopf zu machen und dann ins Bett zu gehen. Ab morgen würde sie sich endgültig nur noch der Malerei widmen.
Grimmig schaute Vittorio Conti zu Riccardo hinüber, der abwartend in der Tür stehengeblieben war. Im Halbschatten konnte er seinen Sohn kaum erkennen. Das Schlafzimmer, ein holzgetäfeltes Gemach mit schweren Brokatvorhängen, kostbaren alten Möbeln und einem ausladenden Bett aus dunklem Mahagoni, war durch das schwache Licht einer einzelnen Kerze in eine düstere, drückende Atmosphäre getaucht.
„Du hast nach mir gerufen, Vater?“
„Bring mir neuen Whisky!“
Riccardo atmete tief durch und ging in den Salon, um eine volle Flasche zu holen. Es war sinnlos, seinem Vater zu widersprechen. Und schon gar nicht durfte er ihn daran erinnern, dass er wieder viel zu viel trank. Seit ihrem Ausflug hatte Vittorio Conti das Schlafzimmer nicht mehr verlassen. Das war nach den Museumsbesuchen jedes Mal so. Einige Tage ging es ihm danach immer besonders schlecht, er blieb im Bett und sprach verstärkt dem Alkohol zu.
Riccardo trat zu seinem Vater ans Bett, in der Hand die unvermeidliche Whiskyflasche. Er stellte sie auf dem Nachttisch ab, wobei sich die Blicke der beiden Männer trafen. Vittorio schnaufte. „Gieß ein“, forderte er unwillig und wandte den Kopf ab.
Leise plätscherte der Whisky ins Glas. Dann verließ Riccardo stumm das Zimmer und ging die Treppe hinab in den großen Saal, wo auf dem Tisch ein weiteres Glas Whisky stand. Riccardo hatte es sich auf dem Weg zum Schlafzimmer seines Vaters selbst eingegossen. Normalerweise trank er nicht, schon gar keinen Whisky, weil er dadurch zu stark an die Tragödie vor fünfzehn Jahren erinnert wurde. Außerdem zerstörte hochprozentiger Alkohol das feine Geschmacksvermögen, über das ein Weinanbauer und – exporteur der Spitzenklasse verfügen musste. Aber an Tagen wie diesem konnte er nicht anders.
Riccardo nahm das Glas und stellte sich ans Fenster. Es war Abend geworden. Über die Weinberge spannte sich ein tiefschwarzer Himmel mit unzähligen funkelnden Sternen. Die nächtliche Atmosphäre war sanft und voller Verheißungen. Riccardo zwang sich dazu, die friedvolle Stimmung zu ignorieren, denn sie hätte ihn zu sehr an seine Mutter erinnert, die mit ihrem liebevollen Wesen das Leben auf il paradiso tatsächlich zum Paradies für ihn gemacht hatte.
Sein Vater hatte ja keine Ahnung, wie schwer auch Riccardo das Unglück zu schaffen machte. Er hatte damals nicht nur seine Mutter verloren, sondern zugleich seinen Vater, denn der behandelte ihn seither wie Luft. Das, was ein Sohn am meisten brauchte, Zuneigung und Anerkennung, verwehrte Vittorio ihm jeden Tag aufs Neue. Riccardo konnte tun und lassen, was er wollte, sein Vater schien nichts davon zur Kenntnis zu nehmen, weder die mustergültige Weiterführung des Weinhandels noch die wirtschaftliche Instandhaltung von il paradiso oder den Aufbau der Pferdezucht. Was, zum Teufel, warf er ihm eigentlich vor?
Doch es war müßig, sich darüber wieder und wieder den Kopf zu zerbrechen. Wie jeden Tag schickte Riccardo einen stillen Gruß gen Himmel, dann trank er den Whisky aus und wandte sich vom Fenster ab. Im Gegensatz zu seinem Vater konnte er sich nicht tagelang ins Bett legen. Die Weinberge mussten bewirtschaftet werden, der Handel ging weiter, zusätzlich verlangte der Palio seine Aufmerksamkeit.
Zum Glück war Il Principale heute für das Hauptrennen qualifiziert worden. Er würde für die Contrada dell’ Aquila starten, den Stadtteil der Adler. Traditionell waren die Adler mit den Panthern verfeindet, also musste man auf diese in den nächsten Tagen ein besonderes Auge haben. Vielleicht war das ein Grund, vor dem Hauptrennen noch einmal nach Siena zu fahren?
Unwillkürlich wanderten Riccardos Gedanken zurück in das kleine Café. Diese Engländerin, Amber … Warum hatte er sich eigentlich nicht danach erkundigt, in welchem Hotel sie wohnte? Wenn er tief in sich hineinfühlte, musste er zugeben, dass er sie gern noch einmal gesehen hätte, bevor sie nach Suffolk zurückkehrte.
Das Skizzieren aus dem Gedächtnis war schwerer als gedacht. Amber bekam die Proportionen nicht hin. Sie war müde, der Stift in ihrer Hand zitterte. Außerdem konnte sie sich nicht genau an die Fassaden der Häuser erinnern, die den muschelförmigen Platz säumten. Stattdessen hatte ihr Gehirn alles, was mit dem kleinen Café am Rande der Piazza zu tun hatte, fotografisch abgespeichert – vor allem den Mann, der ihr gegenübergesessen hatte.
Das Handy klingelte. Eine verrückte halbe Sekunde lang hoffte Amber, dass es Riccardo wäre, der sich bei ihr meldete. Aber wie hätte das gehen sollen? Sie hatten ihre Handynummern nicht ausgetauscht, außerdem war Riccardo nicht daran interessiert, ihre Bekanntschaft zu vertiefen. Grüßen Sie Suffolk, wenn Sie wieder in England sind, hatte er zum Abschied gesagt und ihr damit durch die Blume zu verstehen gegeben, dass ihre heutige Begegnung definitiv die letzte gewesen war.
Und das ist auch gut so, dachte Amber trotzig. Sie griff nach dem Handy und nahm das Gespräch entgegen.
„Amber? Na endlich!“ Cathys hohe Stimme überschlug sich beinahe. „Ich versuche schon den ganzen Tag, dich zu erreichen. Wo hast du denn gesteckt? Warum gehst du nicht an dein Handy? Ist alles in Ordnung?“
Das waren gleich mehrere Fragen, die alle einen versteckten Vorwurf enthielten. Amber seufzte.
„Ich war in der Stadt, Cathy. Und zwar ohne Handy. Es ist mein Urlaub, schon vergessen?“
„Urlaub?“ Cathy schnaubte verächtlich. „Na, wenn du es unbedingt so nennen willst! Dad ist übrigens immer noch sauer. Außerdem macht er sich Sorgen, weil du überhaupt nichts von dir hören lässt.“
Amber holte tief Luft. Sie hatte sich gerade gefragt, wie viele Sekunden noch verstreichen würden, bis Cathy ihren Vater erwähnte.
„Ich hätte mich schon noch gemeldet“, erklärte sie. „Ist bei euch alles in Ordnung? Kommt ihr klar?“
„Ohne dich, meinst du?“ In Cathys Worten klang deutlich ein spöttischer Unterton mit. „Allerdings! Es ist ja nicht so, dass ich gar nichts von Buchhaltung verstehe. Und juristische Verträge kann ich auch lesen, da bist du nicht die Einzige.“
„Das glaub ich dir gern, Cathy.“ Amber bemühte sich, ihre Schwester nicht noch mehr zu reizen. „Übrigens habe ich Chiara heute getroffen“, versuchte sie, das Thema zu wechseln.
„Ach?“ Wie erhofft sprang Cathy sofort auf den Köder an. „Und? Was ist nun mit den Costantinis? Warum wurde bei uns immer so ein Geheimnis um sie gemacht? Hast du was rausgefunden?“
„Ja. Stell dir vor, Donatella ist damals einfach mit Uropa durchgebrannt!“
„Echt? So richtig durchgebrannt, bei Nacht und Nebel?“
„Genau so! Chiara hat mir erzählt, dass das für eine sizilianische Familie die größte Schande überhaupt ist. Deshalb konnte Donatella auch nie wieder nach Sizilien zurück. Ihre Familie hat sie danach totgeschwiegen.“
„Das ist ja ein Ding!“ Vor Überraschung verschlug es Cathy ein paar Sekunden lang die Sprache. „Vielleicht sollten wir nichts davon erfahren, weil Dad Angst hatte, dass wir sonst auch einfach abhauen würden, wenn uns mal was nicht passt“, mutmaßte sie dann. „Zumindest in deinem Fall lag er damit ja auch nicht ganz falsch.“
„Mit dem Unterschied“, fiel Amber ihr ins Wort, „dass ich nicht durchgebrannt bin, schon gar nicht mit einem Mann! Wie geht es Alfie eigentlich? Ich bin gar nicht dazu gekommen, mich noch einmal bei ihm zu melden.“ Während sie das sagte, fühlte sie, wie sie rot wurde.
„Da du ihn gerade erwähnst“, sagte Cathy nach kurzem Zögern, „wir waren gestern zusammen im Reiterclub. Du bist ja nicht da …“
Amber stutzte. Ein plötzlicher Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Konnte es sein, dass Cathy etwas für Alfie empfand? Die Art, wie sie den Satz eben nicht beendet hatte, war verräterisch. Aber Amber schüttelte den Gedanken sofort wieder ab. Er war zu absurd.
„Das geht schon in Ordnung, Cathy“, sagte sie. „Ich glaube, ich muss jetzt auch mal langsam ins Bett. Der Tag war ziemlich anstrengend. Lass uns die nächsten Tage nochmal miteinander telefonieren.“ Nachdem sie Cathy noch Grüße an die Eltern und an Alfie aufgetragen hatte, beendete sie das Gespräch. Sie ging ins Bad, schminkte sich ab und stieg in die Dusche.
Während das warme Wasser über ihren Körper floss, glaubte sie zu spüren, wie sich zwei muskulöse Arme um ihre Taille legten. Starke Hände strichen zart über ihre Hüften, tasteten sich zu ihren Brüsten vor, dann presste sich ein fordernder Mund auf ihre Lippen. Und nichts davon hatte mit Alfie zu tun.