Romantasy - Isabella Mey - E-Book

Romantasy E-Book

Isabella Mey

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Beschreibung

... als ich seine Lippen sanft auf meinen spüre, schreit ein Wickelkäuzchen ganz in der Nähe. Das erschreckt mich dermaßen, dass ich Jaron reflexartig eine Kopfnuss verpasse.
Der Schreck und die Aufregung haben wohl automatisch die Jägerin in mir aktiviert.

»Au!«, ruft er vorwurfsvoll, lässt von mir ab und weicht taumelnd zurück.

Romy, was ist nur in dich gefahren?!, ärgere ich mich über mich selbst.

»Oh, tut mir leid. Das wollte ich nicht, ich bin nur so erschrocken, als das Käuzchen …«
»Ah, ja, schon gut. Es hat mich auch erschreckt«, keucht der Prinz und hält sich die Stirn.

Hoffentlich gibt das keine Beule.

Romantasy
... ist ein Inselkönigreich auf dem Planeten Fabolon. Hier gehören Fabelwesen zum Alltag und Frauen werden zu geschickten Kämpfern ausgebildet.
Seit Romys Geburt fiebert ganz Romantasy ihrerer Vermählung mit dem Prinzen Jaron entgegen, denn laut der Prophezeiung kann nur durch diese Hochzeit großes Unheil abgewendet werden.

Das klingt wie ein Märchen?

Vielleicht hätte es eines werden können, wenn das Nebeltor die zukünftige Prinzessin direkt vor den Traualtar befördert hätte, statt ins Klassenzimmer einer Frankfurter Gesamtschule.
Aber es kommt noch schlimmer, denn auch Romys Gefühlswelt wird heftig durcheinanderwirbelt.

Ein abgeschlossenes Einzelbuch für Jugendliche, jung gebliebene Erwachsene und alle, die sich gerne in fantastische Welten hineinträumen.

In der gleichen Welt: Fabolon
Band I – FarbelFarben
Band II – Goldenes Glück
Band III – StaubNebelNacht
Band IV – RostRoter Rubin
Band V – SchneeFlockenBlüten
Band VI – BlauVioletter Engel


Sternentanz
Band I - Flüstern der Nacht
Band II - Ruf der Schatten
Band III erscheint voraussichtlich im April 2024

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Inhaltsverzeichnis

Arena

Molochten

Pummelhähnchen mit Katuffeln

Saugfroschkuss

Nacht der Schatten

Regenbogenteppich

Blaugrüne Bescherung

Jenseits des Fassbaren

Familie Mai

Sprachmagie

Flüssiges Eis und Fledermäuse

Puppenspiel

Regenbogen

Im Blitzlicht

Eine Falle und ein Lichtblick

Bleistiftportrait

Ätzender Speichel

Ewige Nacht

Fatuum

Einheit der Mächte

Schwarzer Sumpf

Kristall des Lichts

Himmelbett und Feuerwerk

Danksagung

Ode an meine Testleser

Glossar

Die Welt um Fabolon

Impressum

ROMANTASY

Isabella Mey

Wer die Angst vor dem Nichts überwindet, kann alles erreichen.

Arena

1212 Majan 2 Romantasy, Anwesen des Jagdfürsten

»Oh, sind die süß!«, quiekt Mirabelle begeistert. Dabei deutet sie auf zwei muskelbepackte Krieger, die in der Arena gerade vergeblich versuchen, ein Fegodon zu bändigen.

Ich werfe meiner Freundin einen verständnislosen Blick zu, kann absolut nicht erkennen, was an denen süß sein soll. Der nackte Oberkörper der Kämpfer gibt einen guten Blick auf die leicht gebräunte Haut frei. Von der Hüfte abwärts stecken die Jäger, wie die Krieger des Jagdfürsten auch genannt werden, in halblangen Hosen, die mit Kurzmessern bestückt sind.

»Süß? Meinst du das im Ernst? Was genau findest du an zwei Kriegern süß?«

Mirabelle kichert belustigt in ihre vorgehaltene Hand, was ich mit aufkeimender Sorge beobachte, denn wir dürfen uns nicht verraten. Ich mag die fröhliche Art meiner besten Freundin sehr, doch gerade kommt sie mir denkbar ungelegen. Schließlich habe ich Arenaverbot und es könnte furchtbaren Ärger geben, wenn uns die beiden Krieger in unserem Baumversteck entdecken würden. Aufgrund der dunklen Bedrohung bin ich so kurz vor meiner Hochzeit dazu verdammt, viel zu oft und viel zu lange in meinem Zimmer dahinzuvegetieren, was sich beinahe schon wie pure Folter anfühlt. Ich brauche Raum, Bewegung und Abenteuer wie die Luft zum Atmen.

»Mensch Romy, ich-ich meine doch nicht die Krieger …«

Nach Mirabelles verzerrter Mimik zu urteilen, ist sie kurz davor, laut loszuprusten. Mir dagegen wird mulmig zumute. Am liebsten würde ich ihr vorsorglich den Mund zuhalten. Stattdessen lege ich eine bedrohliche Miene auf und presse zischend den Finger auf die Lippen, was meine Freundin mit einem schuldbewussten Nicken beantwortet. Sie atmet das aufkeimende Gelächter hechelnd fort, dann deutet sie in Richtung des heruntergelassenen Gitters des Raubtierzugangs und wispert durch die zusammengepressten Zähne:

»Schau mal dort! Siehst du die jungen Fegodons?«

»Ach so, die meinst du«, flüstere ich und muss nun doch grinsen wegen des Missverständnisses.

Aus der Entfernung sind sie zwar nur recht undeutlich zu erkennen, aber da ich schon oft Jungtiere gesehen habe, weiß ich, dass es kaum etwas Putzigeres gibt, als Fegodon-Nachwuchs.

»Schau doch mal, das ist sooo goldig, wie sie mit ihren Patschefüßen umhertapsen. Ach, und die schwarzen Kugelaugen …«, quiekt Mirabelle verzückt. »Und erst die Stummelflügelchen! Wie sie damit gerade mal kleine Flughüpfer fertigbringen …«

»Schschsch, nicht so laut!«, muss ich sie schon wieder ermahnen. »Bestimmt wollen sie zu ihrer Mami.«

Aber auch ich finde die Kleinen goldig. Als ich noch ein junges Mädchen war, habe ich mal ein Fegodonbaby geklaut und mit auf mein Zimmer genommen, weil ich es so süß fand, dass ich es den ganzen Tag lang knuddeln und kraulen wollte. Mittlerweile habe ich aber schon so viele von ihnen aufwachsen sehen, dass die Begeisterung ein wenig nachgelassen hat.

»Meinst du, wir können uns nachher hinschleichen? Ich würde so gerne mal sehen, wie sie mit dem Rüsselchen eine Kerzenflamme einsaugen.«

»Ja, vielleicht können wir es nachher versuchen. Aber erst, wenn die Jäger weg sind«, antworte ich.

»Ich kann gar nicht verstehen, wieso manche meinen, Fegodons würden den Drachen ähnlichsehen«, sagt Mirabelle nach einer Weile.

»Ach, die Leute schauen einfach nicht richtig hin. Bloß weil sie einen langen geschuppten Schwanz mit Stachelkugel am Ende und drachenähnliche Flügel haben, übersehen sie, dass Fegodons ja nicht mal Reptilien sind und auch keine Eier legen.«

In Wahrheit ist der Körper, bis auf den Schwanz und die vier Krallenfüße, von einem stoppeligen, silbrig glänzenden Fell bedeckt, das die Farellastrahlen1 bricht und je nach Einfallswinkel in allen Regenbogenfarben schillert. Außerdem gebären sie ihre Jungen lebend. Der auffälligste Unterschied besteht aber darin, dass Fegodons kein Feuer spucken, sondern es mit ihrem Trichterrüssel absaugen. Für die Fütterung werden deshalb jeden Morgen und Abend kleine Lagerfeuer angezündet.

Ich liebe diese Tiere. Auf ihrem Rücken kann man durch die Lüfte rauschen und sich unendlich frei fühlen und hat man erst einmal ihr Vertrauen gewonnen, werden sie zu treuen Freunden. Riana war mein erstes und letztes Fegodon. Sie ist gestorben, als ich neun Jahre alt war. Nach ihr wollte ich kein eigenes mehr haben, denn ich hatte sie so sehr ins Herz geschlossen, dass ich nach ihrem Tod noch wochenlang unter Heulanfällen litt. Seither nehme ich mir einfach irgendein Flugtier aus dem Stall, wenn ich eines benötige. Die meisten auf dem Anwesen gehören meinem Vater und ich mag sie alle. Eine tiefe Liebe wie zu Riana lasse ich aber erst gar nicht wieder aufkommen.

Wie man sich denken kann, sind Fegodons äußerst nützliche Tiere, nicht nur für den Transport, sondern auch zur Brandbekämpfung. Aus diesem Grund, aber auch für den Schutz vor gefährlichen Fabelwesen, muss in jedem Dorf mit mehr als zehn Häusern mindestens ein Fegodon samt Jäger Stellung beziehen. Die Bezeichnung Jäger ist eigentlich irreführend, weil es bei ihrer Aufgabe vor allem um den Schutz der Bevölkerung geht, dabei werden aber manchmal auch Tiere erlegt, die dann meist auf den Tellern der Leute landen, die mit Hunger zu kämpfen haben. Die Fegodons sind nicht nur für die Brandbekämpfung wichtig, sie unterstützen die Jäger im Kampf, dienen aber vor allem dem Flugtransport. Zu kämpfen gibt es auf dem Planeten Fabolon jedenfalls immer genug.

Man sollte meinen, Drachen und Fegodons müssten sich wunderbar ergänzen, von Seiten der Fegodons gäbe es da wahrscheinlich keinerlei Vorbehalte, doch Drachen können es überhaupt nicht ausstehen, wenn ihr zerstörerisches Feuer einfach weggefuttert wird. Während in Romantasy sehr viele Fegodons domestiziert wurden, leben die Drachen mehrheitlich auf Fabenia.

Ich erinnere mich daran, dass das Fegodonweibchen, welches die Krieger in der Arena nun zu bändigen versuchen, sehr früh trächtig wurde. Da Weibchen nicht vor dem ersten Wurf zugeritten werden dürfen, weil sich das sonst schlecht auf ihre Fruchtbarkeit auswirken würde, können die Tiere erst relativ spät an einen Sattel gewöhnt werden. Und dementsprechend widerspenstig wehrt sich das Weibchen nun gegen die ungewohnte Last auf dem Rücken.

»Pfff, ich finde, die Krieger packen die Sache vollkommen falsch an«, sage ich kopfschüttelnd.

»Na ja, soweit ich weiß, sind sie noch nicht lange im Lager. Da haben sie wahrscheinlich nicht viel Erfahrung mit dem Zureiten gesammelt«, antwortet Mirabelle. »Dafür machen sie was her …«

Sie beißt sich auf die Unterlippe. Ich würde sie auch nicht gerade als hässlich bezeichnen, doch das könnte man eigentlich von keinem der Jäger behaupten. Beide haben dunkelblondes Haar, die Augenfarbe kann ich von hier aus nicht erkennen, aber ich glaube mich zu erinnern, dass sie den gleichen Braunton hatten.

»Findest du? Weißt du denn, wie sie heißen?«

»Aroleg und Rento, glaube ich.«

Auch wenn mein Vater der oberste Befehlshaber des Ausbildungslagers ist, kenne ich natürlich nicht alle hundert Jäger, von denen fünfzig weiblich sind. Das liegt vor allem daran, dass nur etwa die Hälfte von ihnen fest angestellt sind. Die andere Hälfte wird nach der Ausbildung irgendwo in Romantasy stationiert, daher findet ein kontinuierlicher Wechsel statt.

»Die sehen sich so ähnlich, meinst du, es könnten Brüder sein?«, überlege ich.

»Gut möglich, Genaueres weiß ich aber auch nicht«, antwortet Mirabelle. »Aroleg würde ich gerne mal …«

Was meine Freundin mir noch so alles mitteilt, bekomme ich nicht mehr mit, denn meine Gedanken beginnen abzuschweifen.

Mir wird schwer ums Herz, wenn ich nur daran denke, dass ich schon übermorgen das Anwesen verlassen muss und stattdessen in einem großen Schloss wohnen werde. Mein gesamtes Leben habe ich hier verbracht. Schon mit fünf Jahren bin ich das erste Mal ganz allein auf Riana geritten, meinem Fegodon, das mir Papa zum Geburtstag geschenkt hat. Unwillkürlich muss ich auch an meine erste Begegnung mit Mirabelle denken. Sie war vierzehn, als sie mit der Ausbildung begonnen hat und wie wir beide so sind, haben wir uns nachts heimlich rausgeschlichen, um vom Narjanbaum die reif gewordenen Früchte zu plündern, bevor der Koch der Fresshöhle uns die Leckereien wegschnappt. Wir haben uns beide ziemlich erschrocken, als die andere plötzlich im Gebüsch auftauchte. Nachdem wir uns über unsere verwerflichen Absichten ausgetauscht hatten, haben wir uns darauf geeinigt, gemeinsam Mundraub zu begehen. Dieses Erlebnis war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft und einer Serie bis heute unaufgeklärter Fälle von grobem Unfug auf dem Anwesen meines Vaters.

Mirabelle hat aufgehört zu reden, aber es war wohl nichts, worauf sie eine Antwort erwartet hat, denn sie schenkt mir keinerlei Aufmerksamkeit, sondern blickt gebannt zum Kampfplatz. Auch ich wende mich wieder dem Geschehen zu. Die Füße des Fegodons stecken in den engen Maschen eines im Untergrund fixierten Netzes, welches das Tier am Davonfliegen hindert. Das muss wohl so sein, sonst hätten die Jäger keine Chance, jemals aufzusteigen. Nachdem gut zureden nichts gebracht hat, zieht einer von ihnen jetzt mal links und mal rechts an den Zügeln, um das Fegodon abzulenken, während der andere vergeblich versucht, auf den Rücken zu gelangen. Als das nichts bringt, lassen sie das Tier erst einmal in Ruhe, um sich zu beratschlagen. Für einen Wimpernschlag schließt das Fegodon sichtlich erschöpft die Augen. Aroleg bemerkt es und will sich diese Gelegenheit offenbar nicht entgehen lassen. Er hievt sich mit Schwung auf einen Bock – einer der dicken Holzpfähle, die in der Arena zu verschiedenen Zwecken in den Boden gerammt wurden. In diesem Fall dient er als Aufstiegshilfe. Von hier aus setzt er zum Sprung auf den Rücken des Tieres an, doch da schlägt das Fegodon die Lider schon wieder auf und neigt sich noch im selben Moment zur Seite, gerade so weit es die Taue zulassen, sodass der Kämpfer neben ihm im Netz landet. Damit gibt sich das Tier jedoch nicht zufrieden. Fast gleichzeitig reißt es den Kopf zurück. Rento, der die Zügel um seine Handgelenke geschlungen hat, wird dabei von den Füßen gehoben und vom Fegodon seitwärts geschleudert, gegen seinen Kumpel, der gerade dabei ist, sich aufzurappeln. Die beiden purzeln jammernd übereinander.

Das geschieht so unerwartet und sieht dermaßen lustig aus, dass sowohl Mirabelle als auch ich förmlich explodieren vor Lachen. Dummerweise haben das die beiden Krieger gehört, denn als sie sich nun aufrappeln, schauen sie sich suchend um.

Vermoxt2! Das hat mir gerade noch gefehlt!

Von den fünf Arenabäumen haben wir uns zwar den am dichtesten belaubten ausgesucht, aber Aroleg stößt Rento mit dem Ellenbogen in die Seite und deutet genau in unsere Richtung. Rento nickt und dann steuern die beiden direkt auf uns zu.

»Oh, nein! Vermoxt«, jammere ich.

»Sollen wir weiter hochklettern?«, schlägt Mirabelle vor.

»Ach Quatsch! Dass die uns entdeckt haben, ist schon peinlich genug, da verkrieche ich mich nicht auch noch. Wir steigen lieber runter.«

Wenn schon kein Weg an der Sache vorbeiführt, dann will ich mich ihr wenigstens elegant stellen. So hangele ich mich zur untersten Astgabel, vollführe einen gekonnten Salto über den Ast hinweg und lasse mich fallen, um im Sand zu landen. Ich muss mich dann jedoch vorwärts abrollen, da der Sprung aus fast drei Metern Höhe nicht ohne ist. Mirabelle wählt den langsameren Weg, indem sie am Stamm herunterklettert.

Die Krieger setzen bereits zu einem breiten Grinsen an, als sie mich erkennen. Aber noch ehe sie sich über mich lustig machen können, gehe ich zum Angriff über.

»Wir beobachten schon eine ganze Weile eure erfolglosen Versuche. Vielleicht solltet ihr erst einmal mit den Babys da drüben üben. Damit bekommt ihr auch mal die Chance, einen Fegodon-Rücken von oben zu sehen.«

»Ganz schön vorlaut für jemand, der heute eigentlich gar nicht hier sein dürfte«, erwidert Rento.

Ach Mist! Woher weiß er das denn schon wieder?

Rento gehört eindeutig zu den Rotgeborenen, was der leicht feurige Schein seiner Augen verrät. Die haben alle ein kraftvolles, warmes bis hitziges Gemüt, so gesehen hält er sich noch einigermaßen zurück. Mirabelle stellt sich neben mich, aber ich muss mich jetzt auf meine Widersacher konzentrieren, um doch noch irgendwie ungeschoren aus der Angelegenheit rauszukommen.

»Wie kommst du denn auf die Idee? Ich bin ein freier Mensch und kann gehen, wohin ich will.«

»Ach ja? Da müssen wir wohl was gründlich falsch verstanden haben, als dein Vater im Lager verbreitet hat, dass wir seine Tochter in den zwei Wochen vor ihrer Hochzeit aus der Arena fernhalten müssen«, erwidert Rento und ich kann die Schadenfreude in seinen Augen förmlich funkeln sehen.

»Damit sie wenigstens zu ihrer Vermählung mal ohne Schrammen und Striemen erscheint«, scherzt Aroleg mit einem neckischen Augenaufschlag in Mirabelles Richtung, was ihr ein Kichern entlockt.

Verräterin!

Ich stoße sie in die Seite und strafe sie mit mahnendem Blick. Aber so ist das nun mal mit den Orangegeborenen: Im Grunde kann Mirabelle nichts dafür, denn wenn man unter dieser Farbe das Licht Fabolons erblickt, hat man ein ziemlich lebhaftes und vergnügtes Temperament. Meistens wirkt das ansteckend auf alle anderen, nur mir vergeht gerade die gute Laune bei den Aussichten auf die drohenden Konsequenzen.

Leider kann es durchaus der Wahrheit entsprechen, dass mein Vater den Kriegern von dem Verbot erzählt hat, ganz sicher aber mit anderen Worten. Wobei die Jäger den tatsächlichen Grund leider richtig erraten haben. Denn ich habe zwei Hauptinteressen, die scheinbar total gegensätzlich sind: Jakeiten3 und Lesen. Mit einigem Abstand kommt dann irgendwann Prinz Jaron und ganz am Ende stehen die schönen Kleider – nicht, weil sie mir nicht gefallen, sondern weil sie einfach viel zu unpraktisch sind fürs Jakeiten, also Kämpfen, Klettern, Fegodonritt, Geschicklichkeits- und Ausdauertraining. Wenn es nach meiner Mutter ginge, würde sie meine Vorlieben in umgekehrter Reihenfolge ansiedeln, aber bei mir ist das nun mal so. Man kann sich aber auch schwerlich dieser Verlockung entziehen, wenn überall um einen herum geklettert, geflogen und gekämpft wird. Na ja, meiner Schwester Marika gelingt das ziemlich gut, was ich allerdings so gar nicht verstehen kann.

Da fällt mir spontan eine Retoure auf Arolegs Anspielung zu mir als ramponierte Braut ein:

»Hm, eigentlich hast du ja recht: Das könnte heute wirklich gefährlich werden in der Arena. Ich glaube, wir haben bereits vom Zusehen Striemen und Schrammen am ganzen Körper bekommen.«

Meine Freundin kichert, dieses Mal wenigstens für die richtige Seite.

»Eine ziemlich lockere Zunge hast du auf jeden Fall. Pass nur auf, dass du dich nicht daran verschluckst!«, warnt Rento mit flammendem Blick. »Oder glaubst du etwa, du könntest es besser?«

»Natürlich! Es ist doch keine Kunst, ein Fegodon zuzureiten«, gebe ich an und bereue meine Worte sofort.

Warum habe ich mich nur von den beiden anstacheln lassen?

Am liebsten hätte ich alles wieder zurückgenommen, nicht weil es nicht stimmt, sondern weil mir jetzt wohl nichts anderes übrigbleibt, als es den beiden zu beweisen. Ein Seitenblick zu Mirabelle zeigt mir, dass ihr das Lachen gründlich vergangen ist. Natürlich weiß auch sie, was es für mich bedeutet, wenn das herauskommt: Zimmerarrest bis zur Hochzeit wäre da noch die geringste Strafe. Dass ich seit meinem siebzehnten Geburtstag eigentlich schon erwachsen bin, scheint dabei niemanden zu interessieren. Leider hat man in Romantasy nur eingeschränkte Rechte, solange man bei seinen Eltern wohnt – ein Umstand, den ich dringend zu ändern gedenke, sobald ich Königin bin.

Zu meinem Ärger bemerken die beiden Krieger mein Zögern.

»Na dann los! Zeig uns doch mal, was du draufhast, Tochter des Jagdfürsten! Oder hast du etwa Angst?«, stichelt Rento weiter.

Jetzt sitze ich gehörig im Sumpfloch und suche verzweifelt nach einem Ausweg. Dabei lasse ich mir den inneren Kampf natürlich nicht anmerken. Ohne eine Miene zu verziehen, marschiere ich selbstsicher auf das Fegodon zu.

»Äh, Romy …warte mal!«, ruft mir Mirabelle hinterher. Ich wende mich um und sehe ihr an, wie sie verzweifelt nach einer brillanten Idee sucht, um mich zu retten. »Ich glaube, deine Mutter hat dich gerade zum Essen gerufen«, sagt sie leider in einem so kläglichen Tonfall, dass ich mich nur lächerlich machen würde, wenn ich auf ihren missglückten Hilfeversuch einginge.

»Das muss warten«, entgegne ich bestimmt und wende mich wieder dem Reittier zu.

Es mustert mich bereits achtsam, als ich mich seinem Kopf nähere.

Also, da muss ich jetzt wohl durch.

Im Grunde ist es keine große Sache, ich mache das nicht zum ersten Mal und eigentlich kann nicht viel passieren. Immerhin haben es die beiden schon geschafft, den Sattel zu befestigen. Ich senke leicht den Kopf, als ich einen Meter vor dem Tier zum Stehen komme. Die Kommunikation funktioniert unter anderem über Gestik und natürlich muss man erst das Vertrauen des Fegodons gewinnen, bevor man aufsitzen kann, alles andere ist einfach nur dumm.

Es mustert mich aufmerksam und nickt kaum merklich, was ich als Aufforderung verstehe, mich langsam zu nähern. In kleinen Schritten gehe ich vorwärts, bis das Tier leicht zurückzuckt. Solange es den Kopf oben hat, kann ich mich nicht weiter nähern, ohne das gewonnene Vertrauen sofort wieder zu verlieren. Durch diesen Austausch der Gesten spielt man sich nach und nach aufeinander ein.

»Na, wird das heute noch was?«, ruft Rento spöttisch.

Ich ärgere mich über die Störung, ignoriere ihn aber, um das gerade erst aufgebaute Band zum Tier nicht wieder zu verlieren. Während ich langsam nicke, schließe ich dabei immer wieder die Lider. Das Fegodon imitiert meine Geste. Ein gutes Zeichen. Nun strecke ich die Hand aus und berühre das silbrige Stoppelfell an seinem Hals. Nachdem sich das Tier von mir streicheln lässt, kann ich nun zum zweiten Teil übergehen. Ich klettere langsam auf den Holzpflock. Das versetzt das Fegodon jedoch sofort in Unruhe. Gerade hatte es den Bauch noch zwischen seinen Füßen liegen, nun springt es auf und flattert mit den mächtigen Flügeln, reißt mich dabei beinahe vom Bock.

Die Krieger lachen hämisch.

»So weit waren wir auch schon!«, ruft Rento.

Aber davon lasse ich mich nicht entmutigen, schließlich wohne ich nicht erst seit gestern auf dem Anwesen des Jagdfürsten und habe so etwas schon oft erlebt. Ich bleibe einfach auf dem Holzpflock sitzen und warte ab, bis sich das Fegodon wieder beruhigt. Dann beginne ich erneut mit der Kopfgestenkommunikation. Zunächst zuckt das Tier kritisch zurück, doch nach dem fünften Mal Warten, Augenschließen und langsam Nicken gibt es mir schließlich sein Einverständnis. Man muss nur demütig und gleichzeitig hartnäckig bleiben in seinen Bitten. Das größte Problem ist nun, aufs Fegodon hinaufzukommen, denn selbst mit seinem Einverständnis wird es sich wehren, sobald man draufklettert. An einen langsamen Aufstieg ist deshalb nicht zu denken. Daher bringe ich es so schnell wie möglich hinter mich, befördere meine Füße mit einem gekonnten Satz erst auf die Spitze des Pflocks und springe von hier aus in den Sattel, um mich sofort mit allen mir zur Verfügung stehenden Kräften am Knauf festzuhalten. Das ist auch notwendig, denn kaum spürt das Tier mein Gewicht, flattert es wild mit den Flügeln und vollführt Sprünge in alle Richtungen, die nur durch die dicken Taue gebremst werden.

Ich höre, wie die Fegodonjungen hinterm Gitter aufgebracht quäken. Während ich auf dem Rücken hin- und hergeschleudert werde, rede ich beruhigend mit dem Tier. Es dauert eine ganze Weile, bis es sich endlich entspannt und ich aufatmen kann. Lange habe ich jedoch keine Freude daran, denn plötzlich kommt Rento auf mich zugerannt.

»Applaus für die Fürstentochter!«, ruft er hämisch.

Dann zieht er grinsend den Hebel, der mit den Tauen des Netzes verbunden ist. Diese verlieren augenblicklich an Spannung und lösen sich dadurch von den Füßen des Fegodons.

Oh, nein!

Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, auch noch Flugstunden mit meinem Reittier zu absolvieren. Doch diese Gelegenheit lässt sich das Fegodon natürlich nicht entgehen. Es schlägt kraftvoll mit den Flügeln und wir heben ab. Meine silberblonden, langen Haare flattern mir um die Ohren, während ich auf meinem Reittier einen großen Kreis über die Arena ziehe. Weiter geht es über die Tribüne hinweg. Von hier aus habe ich einen guten Blick über die gesamte Arena, in der es weit mehr zu sehen gibt als Sand: Wasserbecken, Pflockstraße, Raubtierkäfig, Sandberg, fünf Bäume und drei Menschen, die zu mir aufschauen. Ich beobachte, wie mir Mirabelle aufgeregt zuwinkt, wohingegen die beiden Krieger still dastehen und ihre Augen gegen die Farellastrahlen beschatten.

Wie ich dem Fegodon beibringen soll, auf meine Zügelbewegungen zu reagieren, ohne ihm dafür leckeres Fackelfeuer als Belohnung anzubieten, ist mir schleierhaft. Ich kann nur darauf warten, dass das Weibchen irgendwann Sehnsucht nach seinen Kindern verspürt. Schlimmstenfalls muss ich bis zur Fütterung mit dem Abendlagerfeuer warten, um wieder absteigen zu können.

Doch erst einmal zieht es das Weibchen weiter Richtung Fluss, der an die felsigen Hänge des mächtigen Skeika-Gebirges grenzt. Zum Glück fliegt das Tier hier eine Schleife, wahrscheinlich verspürt es keine gesteigerte Lust auf Berge. Dafür segeln wir nun über unser Gutshaus hinweg. Ich sehe den sechseckigen Innenhof mit dem Schwimmbecken im Zentrum – niemand ist im Wasser. Dafür hat mich aber der Wachmann entdeckt, der in einem der beiden Türme, die an den Ecken unseres Gutshauses herausragen, gerade seinen Kontrollgang durchführt. Ich winke ihm zu, als wäre alles in Ordnung, in der vagen Hoffnung, dass er nicht sofort zu meinem Vater rennt, um Meldung zu machen.

Das Fegodon segelt tiefer herab, fliegt über den Weg zwischen Gutshaus und Pummelhuhngehege, bis übers Aquädukt, wo es auf dem Rand des Wassersammelbeckens aufsetzt, das für den Wasserdruck in luftiger Höhe auf steinernen Säulen lagert. Von hier aus habe ich einen hervorragenden Blick auf den Gemüsegarten und die Futterhöhle – so nennen wir den Speisesaal der Jäger. Mein Flugtier steckt seinen langen Trichterrüssel ins Wasser und nimmt einen gierigen Schluck. Gerade, als ich ansetze, mich mit einem waghalsigen Sprung ins Becken zu retten, hebt es mit einem kräftigen Flügelschlag schon wieder ab und ich ringe mit dem Gleichgewicht. Wir segeln an einem Seitenarm des Aquäduktes entlang, über die Häuser der Ausbilderinnen hinweg, vorbei am Quartier der weiblichen Jägerinnen, über den zentralen Platz und dann zum Bereich der Männer hinüber, über die Scheune, den Stall und wieder zurück zur Arena, wo mein Reittier endlich langsam in die Tiefe gleitet. Bevor ich mich jedoch darüber freuen kann, erspähe ich etwas, das mir das Herz stocken lässt: Drei bewaffnete Molochten marschieren auf das Tor der Arena zu – die gefährlichsten Fabelwesen, die in Romantasy je gesehen wurden.

Molochten

Auch wenn Molochten nur schwer zu besiegen sind, dürften sie kaum eine Chance haben, wenn sie es mit über hundert kampferfahrenen Jägern aufnehmen wollen. Dass sich diese Schattenwesen am helllichten Tag auf das Anwesen des Jagdfürsten wagen, gleicht deshalb einem Selbstmordkommando. Da muss mehr dahinterstecken und in dieser angespannten Zeit vor meiner Hochzeit flößt mir das gehörig Respekt ein.

Die Fegodonmama landet vor dem Gitter, hinter dem ihre Kinder freudig hüpfen und aufgeregt mit den Flügelchen schlagen.

Ich springe ab und renne Mirabelle und den dämlich grinsenden Kriegern entgegen.

»Molochten! Drei Stück! Sie laufen gerade am Stall vorbei und sind auf dem Weg hierher!«, rufe ich.

»Ja, klar! Wer’s glaubt«, entgegnet Rento hämisch.

Eine Welle der Wut schwappt über mich hinweg. Der Sand stäubt unter meinen Schnürschuhen. Fast habe ich die kleine Gruppe erreicht.

»Mit so etwas … scherzt man … nicht! An die Waffen!«, brülle ich, soweit es mein Keuchen zulässt, sprinte an den Kriegern vorbei, zu dem Raum, in dem die Übungswaffen gelagert werden – sicher nicht die erste Wahl, aber besser als nichts.

Ich reiße die Tür auf und picke mir Wurfmesser heraus, die ich eilig in die dafür vorgesehenen Schlaufen stecke. Danach bewaffne ich mich mit einem Speer und einem Schwert. Zum Glück habe ich trotz des Arenaverbots das Turnierkleid angezogen. Na gut, mit den langen Kleidern hätte ich auch kaum auf den Baum klettern können. Mirabelle, die meine Warnung sofort ernst genommen hat, ist mir gefolgt und stattet sich nun ebenfalls mit Waffen aus. Die Krieger, die sich zunächst nur zögerlich in Bewegung gesetzt haben, legen das letzte Stück nun doch im Sprint zurück, was weniger an meiner Überzeugungskraft liegen mag, sondern eher daran, dass die drei riesenhaften Monster jetzt schnüffelnd durchs Tor in die Arena treten. Ein eisiger Schauer kriecht meinen Nacken hinunter, als sie mich mit ihren dunklen Augen fixieren. Die Molochten überragen einen durchschnittlichen Mann fast um das Doppelte und im Grunde bräuchten sie auch keine Waffen, denn beinahe alles an ihnen ist spitz – von der Nase über das Stachelfell, die Krallen, die Zähne und das einzelne Horn, welches dolchförmig aus der Stirn herausragt. Natürlich gehören sie zu den Fabelwesen mit schwarzer Magie, welche allesamt gefährlich, machthungrig und böse sind. Passend dazu sind sie komplett schwarz, allerdings mit einem leicht silbrigen Schimmer, was wahrscheinlich vom hellen Licht der Mittagsfarella ausgelöst wird. Das mögen sie normalerweise gar nicht, ein weiteres Rätsel, warum sie sich dem aussetzen. Vielleicht gerade deshalb, weil niemand zu dieser Tageszeit mit ihnen rechnet.

Immerhin stehen wir vier nun nebeneinander, mit gezückten Speeren, und warten, bis sich die Wesen in Reichweite befinden.

»Vielleicht bringen sie eine Botschaft?«, überlegt Mirabelle.

»Was glaubst du denn, wozu haben die ihre Speere mitgebracht? Molochten bringen keine Botschaften, sie kommen um zu töten«, erwidert Aroleg bitter.

»Schon, aber hast du eine bessere Erklärung, warum sie sich um die Mittagszeit ausgerechnet in das Ausbildungslager des Jagdfürsten wagen?«, unterstütze ich meine Freundin in ihrer Theorie, während ich die Molochten achtsam fixiere. Links von mir haben sich die Krieger aufgestellt, Mirabelle steht mit wurfbereitem Speer zu meiner Rechten.

Meine Freundin gehört zu den besten Werferinnen ihres Jahrgangs, daher mache ich mir keine Sorgen, ob sie treffen wird, eher darüber, ob die Speerspitzen das Stachelfell überhaupt durchdringen werden.

Nachdem die Molochten auf dem Weg bis in die Arena noch gerannt sind, nähern sie sich nun in gemächlichem Tempo, während sie uns taxieren.

»Zielt auf die Augen!«, weise ich an.

»Jawohl, Hoheit!«, spottet Rento.

Der Scherz geht jedoch daneben, weil er viel zu angespannt klingt.

Plötzlich hebt der mittlere Molocht eine Pranke, in der sich zur Abwechslung mal kein Speer befindet. Etwas Weißes flattert heraus, direkt auf uns zu. Ich erkenne einen Findeflieger, die übliche Weise, um Post auf dem Planeten Fabolon zu verschicken. Der aus magischem Papier geformte, weiße Vogel flattert auf uns zu und landet direkt vor mir im Sand.

»Post für dich von deinen lieben Freunden«, feixt Rento.

Doch es schwingt eine klägliche Note darin. Vielleicht will er sich mit seinem missglückten Spott nur selbst Mut machen. Aber das interessiert mich jetzt alles nicht. Ich muss wissen, was es mit diesem Brief auf sich hat. Ich bücke mich danach, ohne die Molochten aus den Augen zu lassen und nehme ihn mit der freien Hand hoch. Leider muss ich jetzt den Speer ablegen, damit ich den hohlen Bauch des Findefliegers aufklappen kann, um an den Inhalt zu gelangen. Ich fische eine Schriftrolle aus schwarzem Papier heraus.

»Öffne sie lieber nicht!«, warnt Mirabelle.

Auch die beiden Krieger schielen beunruhigt zu mir herüber. In meinem Bauch brechen gerade Vulkane aus, vor Aufregung.

Was soll ich tun?

Wahrscheinlich ist es ziemlich dumm, das Ding aufzurollen. Wer weiß, was da zum Vorschein kommt, aber andererseits kann ich es unmöglich aushalten, nicht zu wissen, was da drinsteht. Ich wiege das schwarze Pergament abwechselnd in meinen Händen, während mich die Molochten intensiv beobachten. Mit welcher Miene ist nicht zu erkennen in diesen immer düsteren Gesichtern.

»Jetzt mach schon auf, damit wir es endlich hinter uns haben«, schnaubt Rento ungeduldig.

Da es unvermeidlich sowieso darauf hinauslaufen wird, weil ich vor lauter Neugier gar nicht anders kann, ziehe ich die Schleife des seidig schwarzen Bandes auf und entrolle das Schriftstück. Eine schwarz schimmernde Schrift leuchtet darauf. Keine Ahnung wie es möglich ist, dass schwarze Tinte leuchten kann und auf schwar­zem Papier sichtbar wird. Man sollte meinen, das ginge überhaupt nicht und doch heben sich die Buchstaben vom Untergrund ab –wahrscheinlich durch diese intensiv dunkle Magie. Ich bin so aufgeregt, dass ich meine Hand zwingen muss, nicht zu zittern, als ich die Zeilen überfliege:

An Romy Romajan von Tigmontes

Besiegele mit dem Abdruck deiner linken Hand im rückseitigen Sternenfeld, dass du den einzigen Sohn des Königs von Romantasy niemals heiraten wirst!

Andernfalls werden sämtliche Molochten aus ihren Löchern kriechen, um ganz Fabolon zu unterwerfen.

Ich kann ja einiges ertragen, aber das ist im Moment zu viel für mich. Mein ganzer Körper bebt und das Pochen meines Herzens ist noch bis in die Zehenspitzen zu spüren.

Hier und jetzt soll ich nicht nur über mein eigenes Schicksal, sondern über das des ganzen Planeten entscheiden? Und was, wenn es die falsche Entscheidung ist?

Außerdem will ich Prinz Jaron heiraten. Schon seit wir kleine Kinder waren, haben unsere Eltern alles dafür getan, dass wir uns mögen und ineinander verlieben und ich muss zugeben, sie haben gute Arbeit geleistet. Prinz Jaron ist ein toller Kerl und ich liebe ihn wirklich. Natürlich hatte alles den Zweck, dass sich die Prophezeiung erfüllt, das war mir schon klar, aber wenn man sich dazu auch noch liebt, gibt es doch nichts dagegen einzuwenden, beides miteinander zu verbinden.

Alle schauen mich ungeduldig an.

»Was steht denn drin?«, will Mirabelle wissen.

»Ich soll Jaron nicht heiraten, sonst unterwerfen sie ganz Fabolon«, antworte ich zerknirscht.

»… die Prophezeiung … sie wollen verhindern, dass sie sich erfüllt …«, haucht meine Freundin.

»Lass den Prinzen doch sausen. Aroleg wäre sicher eine gute Partie, stimmtʼs Bruder?«, scherzt Rento.

Der kann es echt nicht lassen!

»Ich würd sie schon nehmen …«, antwortet der andere Krieger mit dem hörbaren Versuch, sein Unbehagen zu unterdrücken.

»Du kapierst echt rein gar nichts!«, schnaube ich.

»So einfach ist das nicht …«, erklärt Mirabelle. »Weißt du nicht, dass …«

Ein ungeduldiges Knurren der Molochten lässt uns zusammenschrecken. Langes Warten liegt ihnen wohl nicht besonders. Aber im Grunde habe ich mich schon entschieden. Wenn böse Mächte etwas von mir wollen, kann es nur die falsche Entscheidung sein, sich dem zu beugen. Mit meiner Unterschrift hätten sie ein noch leichteres Spiel, den Planeten Fabolon samt Romantasy zu unterwerfen, was sie sicher ohnehin planen, ganz gleich, wie meine Entscheidung ausfällt. Ich habe es noch nicht einmal ausgesprochen, aber in dem Moment, wo ich innerlich die klare Entscheidung getroffen habe, den Brief nicht mit meinem Handabdruck zu besiegeln, löst er sich mit einem Puff-Geräusch in schwarzen Rauch auf.

Beinahe im selben Moment zischen drei Speere durch die Luft, alle drei direkt auf mich zu. Ich hechte nach vorne, quer vor Mirabelle, muss aber feststellen, dass die Geschosse noch im Flug ihre Richtung ändern. Die Zeit scheint beinahe den Atem anzuhalten. Alles geht nun so schnell, dass ich kaum verstehe, was geschieht. Ich sehe die Speerspitzen, wie sie auf mein Herz zurasen, während ich über den sandigen Grund durch die Luft segle, die Beine nach oben werfe und meinen Oberkörper nach unten beuge, um einen Salto zu schlagen, der mich wieder auf die Füße bringen soll. Gleichzeitig nehme ich aus den Augenwinkeln wahr, wie Mirabelle ihren Speer über dem Kopf schwingt, um ihn mit einem Drall den todbringenden Speeren entgegenzuschleudern. Das lenkt die Geschosse ausreichend von mir ab. Lediglich eine der Metallspitzen ritzt meine linke Wange, dann purzeln die Speere in den Sand. Gleichzeitig lande ich in der Hocke und sehe mich sofort wachsam um.

Die beiden Jäger haben ihre Speere noch immer nicht abgefeuert. Besser so, denn aus dieser Entfernung wären die Molochten noch zu schwer zu treffen. Nach dem missglückten Speerwurf greifen sie erst richtig an und eilen auf uns zu. Sie nähern sich schnell, aber im Verhältnis zur Länge ihrer Beine relativ langsam. Ich hechte wieder auf meinen ursprünglichen Platz, um meinen Speer aufzuheben. Die Waffen der Molochten will ich lieber nicht verwenden. Bestimmt wohnt in ihnen eine unberechenbare dunkle Magie, die sich womöglich gegen mich richtet. Zu viert können wir unsere Gegner nicht besiegen, das wird mir klarer, je näher die dunklen Wesen kommen. Sowohl an Körperkraft, magischen Fähigkeiten, die sich bei Menschen sowieso in sehr engen Grenzen halten, als auch in der Panzerung, sind wir ihnen weit unterlegen. Unser einziger Vorteil besteht in unserer Wendigkeit.

Einer von uns sollte Hilfe holen, zu dritt hätten wir allerdings noch weniger Überlebenschancen.

»Alles abfeuern und dann Flucht!«, zische ich durch die Zähne.

Dieses Mal widerspricht Rento nicht. Mirabelle, Aroleg, Rento und ich zielen auf die Augen der Molochten. Mirabelle trifft das linke Auge des rechten, Aroleg und ich das rechte Auge des Molocht in der Mitte. Die anderen Speere prallen am Stachelfell ab, während die getroffenen Wesen aufheulen. Dafür schleudern sie nun dunkle Blitze auf uns. Da ergreifen unsere Beine ganz von alleine die Flucht. Wir rennen im Zickzack an der Mauer zur Tribüne entlang, während um uns herum der Sand an den Einschlagstellen der Blitze aufstäubt.

Plötzlich steigen berittene Fegodons in den Himmel und mehrere Krieger rennen durch das Tor in die Arena. Mit dem typischen Jack-Jagdruf rennen sie uns entgegen. Von hinten strömen immer mehr und mehr nach.

Puh, endlich Hilfe!

Als sie an uns vorbei stürmen, wage ich einen Blick zurück. Gegen diese Überzahl an Kriegern werden es die Molochten schwerhaben. Sie schleudern ihre Blitze, aber offenbar wurden die Krieger vor dem Angriff mit einem Schutzzauber ausgestattet, da das dun­kle Feuer an ihnen abprallt. Sowohl Mirabelle als auch ich halten inne und beobachten das Geschehen. Durch die Verstärkung bin ich versucht, mich ebenfalls ins Kampfgetümmel zu werfen, doch da packt mich plötzlich jemand unsanft am Arm und ich schaue in die feurig schimmernden Augen meines Vaters – genau wie Rento ist er ein Rotgeborener1.

»Was treibst du hier, Romy? Soweit ich mich erinnern kann, hatten deine Mutter und ich ein Arenaverbot für dich ausgesprochen.«

»Ähm, ich wollte nur mal die Molochten …«

Eines der besagten Monster brüllt, nachdem mehrere Kämpferinnen mit den Speeren auf seine Augen zielen und mindestens einer trifft.

»Durek, bring sie auf ihr Zimmer! Alles andere regeln wir später!«, weist mein Vater seinen besten Freund an – die beiden hängen fast immer zusammen wie Zwillinge, oder wie Mirabelle und ich.

»Mach ich! Komm mit, Mädchen!«, sagt das blond gelockte Muskelpaket, das nach meinem rechten Arm greift, nachdem mein Vater den linken losgelassen hat.

Aber ich weiche rechtzeitig zurück, bevor er mich zu packen bekommt.

»Fass mich nicht an, ich brauche keinen Kindersitter!«, schimpfe ich und marschiere mit erhobenem Haupt voraus, weiteren herbeiströmenden Kriegern entgegen, während hinter mir der Kampf tobt.

Sowohl Mirabelle als auch Rento und Aroleg sind im Getümmel verschwunden, wie ich bei einem kurzen Blick zurück feststellen muss. Es steht nun etwa hundert zu drei, da dürfte die Schlacht bald entschieden sein.

Auch wenn Durek darauf verzichtet hat, mich festzuhalten, geht er sicherheitshalber neben mir her, als wir durch das Tor aus der Arena treten und am Kletterparcours auf der rechten Seite vorbei gehen. Wehmütig lasse ich meinen Blick über die Seile, Sprossen und weit verästelten Bäume gleiten, an denen ich bestimmt die Hälfte meiner Lebenszeit herumgeturnt bin, zumindest wenn man die Schlafenszeiten nicht mit einrechnet. Neben dem Parcours steht unser Wohnhaus, das beinahe einer Festung gleicht. Es hat die Form eines Sechsecks mit je einem Turm, der am südlichen und am nördlichen Ende herausragt. Wie so ziemlich alle Häuser Romantasys sind die Wände mit einem dichten Geflecht der Haushaarviole überzogen. Diese blätterlose Pflanze mit den haardünnen, grünen, faserigen Stängeln schützt Gebäude vor Witterung und Verfall. Außerdem verströmen die winzigen lila Blüten einen Duft, der Kratzmücken und Saugfrösche abstößt – beides Blutsauger, die niemand ungebeten im Haus haben will.

Wir treten durchs Eingangstor in den Säulengang, welcher den sechseckigen Innenhof mit dem sechseckigen Schwimmbecken im Zentrum umgibt. Das trifft zumindest für die eine Hälfte des Sechsecks zu, denn der Säulengang wird auf der anderen Seite durch klar abgegrenzte Räume abgelöst. Hier befinden sich Wohnbereich, Küche und Speisekammer. Wir durchqueren den Wohnraum, gehen an dem massiven Esstisch vorbei, der für gut fünfzehn Personen Platz bietet – meine Eltern haben gerne Besuch und viele Gäste um sich herum. Am Ende befindet sich eine Treppe, die ich hinabsteigen will.

»Zu deinem Zimmer geht es nach oben, soviel ich weiß«, widerspricht Durek meiner Richtungswahl.

»Wenn ich schon in meinem Zimmer versauern soll, brauche ich wenigstens ein anständiges Buch zum Lesen«, entgegne ich trotzig und blitze den Mann mit den leuchtend blauen Augen böse an. Dann wende ich mich wieder der Kellertreppe zu. Dort unten wartet nämlich ein riesiges Labyrinth auf mich, dessen Wände mit unzähligen vollgestopften Bücherregalen gepflastert sind. Unbeeindruckt packt mich Durek nun so plötzlich am Arm, dass ich nicht rechtzeitig ausweichen kann, und zieht mich herum.

»Zuerst gehst du auf dein Zimmer, später kannst du mit deinen Eltern aushandeln, ob du Lesen darfst.«

Um aus diesem Griff wieder zu entkommen, bräuchte man ein Brenneisen, daher versuche ich es erst gar nicht. Meine Wut kann das jedoch nicht mindern.

»Sag mal, in zwei Tagen soll ich den Prinzen heiraten und ihr behandelt mich hier alle wie ein Baby!«, protestiere ich zornig. »Seid ihr eigentlich noch ganz klar im Kopf?« Meine Wut gilt natürlich nicht nur Durek, dem Verbündeten und Freund meines Vaters, sondern vor allem meinen Eltern. Wobei ich hinzufügen sollte, dass mein Vater solche Sachen normalerweise ziemlich locker sieht. Er lässt mich sonst alles machen, wozu ich Lust habe, in den letzten Monaten hat sich das jedoch geändert. Wahrscheinlich bin ich auch deshalb so wütend, weil ich es nicht gewohnt bin, in meinen Freiheiten eingeschränkt zu werden.

»Romy! Du weißt doch ganz genau, was von dieser Hochzeit abhängt. Es sind nur noch zwei Tage. Da wirst du es doch mal schaffen, ein braves Mädchen zu sein, oder wenigstens so zu tun, als ob du eines wärst«, antwortet Durek.

So tun, als wäre ich ein braves Mädchen, hört sich lustig an, was meine verräterischen Mundwinkel zu einem Grinsen nötigt. Er lässt mich wieder los und sieht mir eindringlich in die Augen. Wahrscheinlich hofft er, dass mich das bestechende Funkeln darin von alleine zur Einsicht bringt.

»Na gut, dann langweile ich mich bis zur Hochzeit eben in meinem Zimmer zu Tode. Davon habt ihr dann auch nichts«, maule ich und stapfe die Stufen hinauf – gefolgt von Durek – er misstraut mir zurecht. »Oder kannst du mir vielleicht irgendein spannendes Buch aus dem Keller holen?«

»Vielleicht so etwas wie ›Die Rechte und Pflichten einer Königin‹ oder ›Benimmregeln bei Hofe‹?«, fragt er mit einer deutlichen Spur von Spott in der Stimme.

»Du wagst es doch nicht etwa, dich über die angehende Königin lustig zu machen!?!«, frage ich scherzhaft drohend. »Aber ob du’s glaubst oder nicht, diese beiden Bücher habe ich schon durchgelesen. Schrecklich öde, wenn du mich fragst. Die Königin hat ja überhaupt keine wichtigen Entscheidungen zu treffen, die Aufgaben der Männer finde ich da schon viel interessanter.«

»Auf was für verrückte Ideen du wieder kommst, Romy. Männer sind nun mal die weiseren und schlaueren, das hat die Natur so eingerichtet und jedem seine Rolle zugewiesen. Damit musst du dich nun mal abfinden.«

»Mache ich aber nicht. Ich bin mir sicher, dass Frauen ganz genauso schlau sind im Kopf.«

»Dann sieh dir den Rat der Weisen an, dort sitzen nur Männer und das nicht ohne Grund. Du solltest nicht versuchen, etwas zu sein, was du nicht bist.«

Inzwischen haben wir mein Zimmer im ersten Stock, gleich neben der Treppe, zwar schon längst erreicht und Durek hält die Tür für mich auf, aber diese Diskussion erregt so sehr meinen Zorn, dass ich mich noch nicht von ihm verabschieden kann.

»Nur ein Mann würde so einen Schwachsinn verbreiten. Frauen sind genauso schlau …«

»Ja klar …«, macht er, als sei ich ein kleines Kind, dessen Meinung man nicht ernst zu nehmen braucht.

Vor Wut könnte ich ihm an die Gurgel springen, aber da das wohl kaum das geeignete Argument wäre, um seine Meinung zu ändern, gebe ich frustriert auf, lasse mich entnervt in meinen Sessel fallen und sehe Durek grimmig zu, wie er die Tür schließt. Voller Entsetzen muss ich obendrein mitanhören, wie er den Schlüssel im Schloss rumdreht.

Vermoxt!

Damit stirbt auch die letzte Hoffnung, mich heimlich in den Keller schleichen zu können, um ein Buch zu holen. Die Frauenbildung in Romantasy ist in meinen Augen eine absolute Katastrophe, das muss ich als Königin unbedingt ändern, und wenn ich Jaron damit tagtäglich in den Ohren liege. Mädchen bekommen nur das Nötigste beigebracht. Nach vier Jahren Schule ist definitiv Schluss. Immerhin lernen wir, uns zu verteidigen, denn bei den vielen gefährlichen Wesen muss man wissen, womit man es zu tun hat und wie man sich wehren kann. Deshalb steht das schulische Kampftraining sowohl bei Männern als auch bei Frauen hoch im Kurs. Keine Ahnung, wieso man aber denkt, die Männer könnten besser Pläne schmieden, Strategien entwerfen oder sie wären weiser und intelligenter. Ich frage mich auch, wie man auf die Idee kommt, es wäre geschlechtsabhängig, ob höheres Wissen Platz im Kopf hat oder nicht. Schließlich bin ich der klare Gegenbeweis und ich konnte auch bei anderen Menschen keinerlei geschlechtsspezifische Unterschiede feststellen, außer dass man den Männern einfach mehr beibrachte. Aber da wir in unserem Keller eine Bibliothek haben, auf die sogar der König eifersüchtig ist, konnte ich meine Wissenslücken mit der Zeit auf eigene Faust schließen und nicht nur das: Ich habe genau 2032 Bücher gelesen, die meisten davon heimlich, weil man es nicht gerne sieht, wenn Frauen sich mit Dingen beschäftigen, die nicht ihrer Rolle entsprechen. Vielleicht war es aber gerade das, was mich so angestachelt hat. Heute kenne ich mich besser mit der Geschichte Fabolons und seinen Wesen aus als jeder andere hier. Und da gibt es einige, denen das überhaupt nicht passt. Meiner Ansicht nach haben die Männer einfach nur Angst, eine Frau könnte ihren Selbstwert durch schlaue Antworten erschüttern.

Durch die Bogenfenster fallen helle Lichtstrahlen ins Zimmer auf meine Schnürschuhe. Ich ziehe an den Lederriemen und streife die Schuhe von den Füßen. Dann betaste ich die Wunde, die der Speer der Molochten in meine Wange geritzt hat. Sie ist nicht tief, aber in zwei Tagen wird sie sicher noch nicht verheilt sein und zumindest eine kleine Kruste hinterlassen – wenn alles gut geht, denn es waren Speere dunkler Magie, wer weiß, welche Wirkung sie später noch entfalten. Solche Verletzungen sollten mit dem Arenaverbot ja verhindert werden, aber daran will ich jetzt überhaupt nicht denken. Ich gehe zu meinem Bett, über das ein feinmaschiges Netzt zum Schutz gegen allerlei Getier gespannt wurde, und knie nieder, um ein Buch darunter hervorzuholen. Ich habe es schon durchgelesen, deshalb bietet es mir nur begrenzte Abwechslung, aber besser als nichts. Und die Fantasy-Geschichte hat mir gefallen. Das Buch ist in der antiken Schrift geschrieben, die man in der Schule nur den besonders intelligenten Männern beibringt, die eine Karriere im Rat der zwölf Weisen anstreben.

Irgendwann habe ich jedoch ein Lehrbuch der antiken Schrift an gut versteckter Stelle in der Bibliothek aufgestöbert und sie mir auf diese Weise selbst beigebracht. Seither lese ich bevorzugt Bücher in dieser Schrift. Die meisten von ihnen habe ich in einer Truhe gefunden, hinter einem Regal, in einem Hohlraum der Mauer, im allerhintersten, dunkelsten Winkel des Labyrinths. Sowohl dem Zufall als auch meiner übermäßigen Neugier ist es zu verdanken, dass ich sie überhaupt finden konnte. Wenn jemand außer Mirabelle wüsste, dass ich die antike Schrift beherrsche, keine Ahnung was passieren würde, aber auf jeden Fall wäre der Aufschrei enorm.

Manchmal frage ich mich, ob es sich vielleicht sogar um eine gänzlich andere Sprache handelt. Es heißt ja schließlich, dass alle Menschen, die auf Fabolon geboren werden, die Magie des Farellalichts in sich aufnehmen. Zu der Grundfähigkeit dieser Magie gehört das Beherrschen sämtlicher Sprachen. Ob an dieser Legende etwas dran ist, kann ich nicht beurteilen. Wenn es stimmt und es mehrere Sprachen gibt, würde ich es nicht merken, da sich für mich alles gleich anhört. Um das zu überprüfen, müsste ich die Magie abstellen können, was aber nicht möglich ist. Man kann sich sogar mit Fabelwesen unterhalten, wenn sie nur annähernd menschenähnlich sind, bei Tieren funktioniert es aber nicht, soviel ich weiß.

Die Fantasiewelt, von der in den antiken Büchern erzählt wird, fasziniert mich, auch wenn die Inhalte sehr unterschiedlich sind. Das erste Buch, durch das ich mich noch ziemlich kämpfen musste, weil ich das Lesen der Schrift noch nicht richtig beherrscht habe, war ›Der Räuber Hotzenplotz‹ von Otfried Preußler, danach kam ›Faust‹ von Johann Wolfgang Goethe und dann viele Liebesromane und Krimis. Vor allem aber finde ich es witzig, dass sich Menschen sogar Schul- und Kochbücher sowie Landkarten für eine nicht existierende Welt ausgedacht haben. Mein aktuelles Buch heißt ›Ich bin dann mal weg‹ von Hape Kerkeling. Auch wenn ich vieles vom Inhalt nicht recht verstehe, sind diese Ausflüge in die fremden Fantasiewelten doch immer wieder ein Erlebnis. Und so tauche ich noch einmal von vorne ein in Hapes Pilgerreise nach Santiago de Compostela.

Erklärung zu Monaten und Farben siehe im Glossar.↩

Pummelhähnchen mit Katuffeln

Als es dämmrig wird, gehe ich zum Glaskasten und füttere meinen Leuchtlurm Maiti mit frischem Heu. Dann reibe ich ein paar Mal über seine Ringelschuppen und schon strahlt an diesen Stellen ein weißes Licht von ihm ab. Das Leuchten der Lurme ist wesentlich heller und angenehmer als das von Fackeln oder Kerzen, außerdem lassen sich die Tiere wie ein Schal um den Hals legen, sodass man die Hände frei hat, wenn man nachts die dunklen Flure entlanggeht. In allen Räumen, die man nicht nur zum Durchqueren verwendet, befinden sich Glaskästen, in denen man seinen Leuchtlurm hineinlegen kann.

Ans Weiterlesen ist leider nicht zu denken, denn plötzlich höre ich das Geräusch eines Schlüssels in meiner Tür. Blitzschnell greife ich nach dem Buch und schleudere es unter mein Bett – das Arme, hoffentlich sind jetzt keine Seiten zerknickt.

Rasch richte ich mich auf, als jemand anklopft. Irgendwie empfinde ich es als schräg, mich ungefragt einzusperren, um dann höflich anzuklopfen.

»Herein, wenn’s kein Molocht ist!«, rufe ich.

Pipiana, unser braun gelocktes Hausmädchen, öffnet und lächelt mich schüchtern an. Wie die meisten Gelbgeborenen hat sie ein sonniges Gemüt und der Ansteckung ihrer guten Laune kann man sich nur schwer entziehen. Sie trägt ihren Leuchtlurm um Hals und Hüfte geschlungen. Allerdings müsste er wieder gerieben werden, weil sein Licht schon recht schwach leuchtet.

»Der Herr bittet zu Tisch«, richtet sie mir aus.

»Soso, mein Herr Vater bittet …«, brumme ich, doch da ich weder die Gelegenheit auf Freiheit noch auf ein warmes Essen verpassen will, gehe ich gemeinsam mit Pipiana nach unten. Besonders wohl ist mir nicht, denn natürlich weiß ich, dass ich mit einer Strafe rechnen muss, aber da ich dieser sowieso nicht entgehen kann, will ich die Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen.

Als wir den Wohnraum betreten, sitzen meine Eltern gemeinsam mit Durek und meiner Schwester Marika bereits am Tisch. Außer ihr habe ich noch drei weitere Schwestern, doch die sind bereits verheiratet und leben bei ihren Ehemännern. Ich selbst bin die jüngste von allen und die wildeste, wie Mama oft beklagt. Marika ist vier Jahre älter als ich, konnte aber noch keinen Mann für sich begeistern. Ich schätze, das liegt gar nicht so sehr an ihrer fülligen Figur, sondern eher an der üblen Laune, die sie eben wegen dieser fülligen Figur häufig verbreitet, und das obwohl sie als Gelbgeborene eigentlich ein sonniges Gemüt haben müsste. Aber wie man an meiner Schwester sieht, kann sich die Sache auch ins Gegenteil verkehren.

Die beiden Männer tragen kurze, schwarze Oberteile, die den muskulösen Bizepsen ausreichend Freiheit gewähren. Links neben meinem Vater Terbito sitzt Durek, rechts daneben, in steifer Haltung, meine Mutter Jonita. Ihr schlanker Körper steckt in einem hellblauen, langen Kleid. Das zu einem straffen Knoten geflochtene und mit Flechtbändern geschmückte Haar lässt sie recht streng aussehen. Von ihr habe ich wohl die strahlend blauen Augen und das blonde Haar geerbt, wobei meines wesentlich heller ist – ob das daran liegt, dass ich eine Weißgeborene bin oder daran, dass ich mich ziemlich oft draußen aufhalte und es von der Farella ausgebleicht wurde, weiß ich nicht.

Ich ziehe meinen Leuchtlurm vom Hals und überreiche ihn Pipiana, damit sie ihn in einem der Glaskästen unterbringen kann, die die Mauer säumen.

»Na, kommst du auch endlich?«, begrüßt mich Marika missmutig. »Dann können wir ja anfangen.«

Kaum berührt mein Hinterteil die Sitzfläche des schweren Maredenholzstuhles, greift Marika nach ihrem Holzlöffel und beginnt, die Suppe gierig in sich hineinzuschaufeln, als hätte sie die letzten Tage nicht zu essen bekommen. Meine Mutter sitzt mit geradem Rücken da und mustert meine Schwester missbilligend, bevor dieser Blick in meine Richtung wandert. Dabei zieht sich ihre blasse Stirn gleich zu mehreren Falten zusammen und der Mund öffnet sich schreckgeweitet.

»Romy! Was ist mit deiner Wange geschehen? Haben wir dir nicht strikt verboten, in der Arena zu jakeiten?«, schimpft sie.

»Das mit dem Kampf war ja nicht geplant. Wenn ich gewusst hätte, dass mich drei Molochten bedrohen würden, wäre ich brav in meinem Zimmer geblieben«, erwidere ich.

»Verdrehe nicht die Tatsachen! Du weißt genau, dass du Arenaverbot hattest. Wie sieht das denn jetzt aus? Eine Prinzessin mit Schramme auf der Wange.«

»Ach, jetzt reg dich nicht auf, Liebling! Da sieht halt jeder, dass sie die Tochter des Jagdfürsten ist. Eine echte Tigmontes eben«, entgegnet mein Vater voller Stolz.

Ich schenke ihm ein dankbares Lächeln. Endlich redet er wieder normal.

»Im Gegensatz zu mir, willst du wohl sagen«, grollt Marika eifersüchtig.

O je! Hoffentlich artet das nicht in einer Heulszene aus.

Als wäre ich nicht beteiligt an der Sache, konzentriere ich mich auf das Essen meiner inzwischen lauwarmen Gemüsesuppe.

»Aber nein! Du bist doch mein Schmetterling, Marikalein«, versucht mein Vater, sie zu besänftigen, wobei dieser Vergleich meiner Meinung nach eigentlich nur satirisch gemeint sein kann.

Marika wirkt zwar nicht zufriedengestellt, doch immerhin verstummt sie. Stattdessen betäubt sie ihre Unzufriedenheit mit den bunten Naschkugeln, die auf einem Tablett in der Tischmitte kunstvoll drapiert wurden. Meine Mutter beäugt stirnrunzelnd, wie sie sich eine nach der anderen in den Mund schiebt, denn eigentlich wäre nun der Hauptgang an der Reihe, sie verkneift sich aber einen Kommentar.

Keine meiner älteren Schwestern ist eine sonderlich begeisterte Kämpferin und bei vier Töchtern, die eher meiner Mutter Jonita nacheifern mit schönen Kleidern und dem Traum von einer eigenen Familie, freut sich mein Vater ganz besonders über die wilde Natur seiner Jüngsten. Da aber auch ihm natürlich daran gelegen ist, dass die Prophezeiung erfüllt wird, hat er sich in den letzten Monaten von meiner Mutter überzeugen lassen, dass ich unbedingt ruhiger werden muss, und vor allem soll ich meine Hochzeit ohne Schrammen und Verletzungen feiern. Das ist ihr enorm wichtig, wahrscheinlich für das Hochzeitsbild, das sie sich danach zu den drei anderen ihrer schon verheirateten Töchter an die Wand des Schlafzimmers hängen möchte. Bestimmt würden sich die Kunstmaler trotz ihres fotografischen Gedächtnisses bestechen lassen, diese Details einfach zu ignorieren. Zugegeben sind sie bei diesen Themen ein wenig eigen, aber ich finde diese Probleme geradezu lächerlich. Manchmal hege ich den Verdacht, dass sich einzelne Mitglieder meiner Familie in die Problematik von Kleinigkeiten hineinsteigern, um sich von den Ängsten echter Bedrohungen abzulenken.

Eine Weile löffeln wir schweigend unsere Suppe. Als wir alle damit fertig sind, läutet Papa die Glocke. Unsere Köchin kommt mit ihrem Leuchtlurm um den Hals aus der Küche und räumt die Teller ab. Dann schiebt ihre Gehilfin Servia einen Wagen mit dem Hauptgang herein: Um das gebratene Pummelhuhn reihen sich geröstete Katuffeln – ein ziemlich gewöhnliches Mahl, aber trotzdem mein Lieblingsessen. Servia schneidet große Stücke aus dem knusprig saftigen Fleisch und verteilt es zusammen mit einem Katuffelhaufen auf den Tellern, die sie vor uns abstellt. Wir machen uns alle hungrig über das Essen her und sprechen über belangloses Zeug.

Bisher hat sich Durek nicht am Tischgespräch beteiligt, doch schließlich wirft er ein Thema auf, das ich bei all dem Wirrwarr schon verdrängt hatte:

»Die Frage ist, weshalb sich die drei Molochten ausgerechnet hierher verirrt haben. Waren sie lebensmüde oder einfach nur dumm? Es muss ihnen doch klar gewesen sein, dass sie unserer Überzahl nicht gewachsen sind.«

Ich kenne zwar den Grund, doch ich ringe noch mit mir, ob ich ihn auch verraten soll.

Wäre das klug? Würde es eine allgemeine Panik auslösen?

»Vielleicht war es nur eine Vorhut und sie wollten unseren Schutzwall und unsere Kampfkraft austesten«, mutmaßt mein Vater. »Wir müssen unbedingt die Wachmannschaft verstärken. Außerdem habe ich einen Trupp losgeschickt, um das Leck in der magischen Schutzmauer ausfindig zu machen.«

»Eigentlich hätten sie nie so weit bis zu uns vordringen dürfen, schon gar nicht, ohne entdeckt zu werden«, entgegnet Durek grimmig. »Ein Findeflieger kam vorhin von Fabenia. Die Dunkelheit hat dort bereits die Küste erreicht und wir wissen nicht, wie wir sie aufhalten sollen. Die einzige Hoffnung, die ich sehe, ist dass wir endlich diese Hochzeit hinter uns bringen.«

Diese Neuigkeit schockiert mich doch einigermaßen. Fabenia ist der größte Kontinent auf Fabolon. Dort leben auch die meisten Fabelwesen. Es gibt außerdem eine Zone, die von dunklen, undurchdringlichen Wolken bedeckt wird. Hier fühlen sich die Wesen schwarzer Magie besonders wohl. Ursprünglich ist dieser Bereich nur auf Akron, die Insel der Monster beschränkt, er hat sich aber in den letzten Jahrzehnten und vor allem in den vergangenen Jahren immer rascher ausgebreitet. Dass er jetzt sogar schon bis an Fabenias Küsten reicht, bedeutet, dass die Wolkendecke ungefähr den halben Planeten umspannt. Vielleicht hat es ja etwas mit den Molochten zu tun, die nicht nur auf Romantasy immer zahlreicher werden. Wahrscheinlich ist es schon wichtig, deshalb entscheide ich mich nun doch, meine Informationen zum Thema beizutragen.

»Ähm, wegen der Molochten, ich hab …«

»Romy, du solltest wirklich langsam gelernt haben, dass man sich als Frau nicht in die Planungsgespräche der Männer einmischt«, ermahnt mich meine Mutter. »Wie oft haben wir dir das schon gepredigt? In unserer Familie verzeiht man es dir vielleicht noch, aber als Königin würdest du dich nur lächerlich machen.«

Das ist wirklich zu viel für mich. Zornig fahre ich hoch.

»Mama! Du hast überhaupt keine Ahnung! Wenn ich erst Königin bin, werde ich so einiges ändern, da kannst du sicher sein. Die Molochten wollten übrigens …«

»Es reicht!«, unterbricht mich Jonita beinahe panisch, als hätte ich damit die geplante Traumhochzeit zum Platzen gebracht – scheinbar der einzige Sinn ihres Lebens als Ehefrau des Jagdfürsten. »Geh in dein Zimmer und denke gründlich über dein ungehöriges Verhalten nach!«

»Dabei werde ich ganz sicher zu keinem anderen Ergebnis kommen, als in meinen letzten siebzehn Lebensjahren«, erwidere ich bissig.

Mir ist der Appetit gründlich vergangen, daher hole ich Maiti aus dem Glaskasten und marschiere eingeschnappt davon. Doch eine Sache muss ich noch loswerden. So halte ich am Treppenabsatz inne, wende mich um und sage:

»Die Molochten haben mir eine Nachricht überbracht, aber was drinstand, interessiert hier ja sowieso niemanden.«

Dann stapfe ich siegessicher die Stufen hinauf.

»Halt! Warte! Was für eine Nachricht?«, ruft mein Vater.

Er springt auf und läuft mir nach, da ich einfach weitergehe, als hätte ich nichts gehört.

»Romy, komm zurück! Deine Mutter macht sich doch nur Sorgen, dass etwas mit dieser Hochzeit schiefgehen könnte. Nimm es ihr nicht übel. Du weißt doch selbst, wie viel davon für das ganze Land abhängt.« Ich bin beinahe schon oben, als er mich mit mächtigen Schritten einholt und mit flehenden Blicken weichkocht.

»Jaja«, antworte ich genervt, weil ich diesen Satz schon so oft gehört habe, dass es sich anfühlt, als würde er sich mit jeder Wiederholung tiefer in meinen Schädel einmeißeln.

»Komm runter und dann erzählst du uns genau, was passiert ist«, bittet mein Vater und legt seine Pranke auf meine Schulter. Dann kommt er ganz nahe an mein Ohr und flüstert: »Du weißt doch, ich war immer sehr stolz auf alles, was du kannst. Wenn es nach mir ginge, … aber egal, jetzt komm!«

Auch wenn er sich dann doch nicht getraut hat, es auszusprechen, weiß ich genau, dass er mir liebend gerne sämtliche Rechte einräumen würde, die die erwachsenen Männer genießen. Bestimmt sieht er in mir den Jungen, den er gerne gehabt hätte – wahrscheinlich wurden es deshalb so viele Kinder. Aber nachdem er einsehen musste, dass er nur Mädchen zustande bringt, hat er sich mit der Tochter abgefunden, die genauso ist, wie er sich den Sohn gewünscht hat.

Terbito und ich gehen die Treppe hinunter. Als wir den Wohnraum betreten, sehen weder meine Mutter noch Marika zu uns auf. Beide konzentrieren sich intensiv darauf, das Pummelhuhnfleisch fachgerecht zu zerkleinern.

Auch mein Hunger ist wieder zurück, so kommt Maiti erneut in den Glaskasten, ich setze mich auf meinen Platz und nehme erst ein paar Bissen von den Röstkatuffeln, bevor ich meinem Vater und seinem Freund die ganze Geschichte erzähle.

»Es war richtig, sich nicht auf einen Handel einzulassen. Das hast du gut gemacht, Romy«, lobt mich mein Vater, nachdem ich geendet habe. »Mit dunklen Mächten lässt man sich nicht ein.«

»Natürlich kennen auch die Molochten die Prophezeiung und wen wundertʼs, dass sie mit allen Mitteln deren Erfüllung verhindern wollen «, pflichtet Durek bei. »Wir müssen uns auf alles gefasst machen und uns auf einen Großangriff vorbereiten. Da sich die meisten von ihnen versteckt halten, wissen wir nicht einmal, mit welcher Anzahl wir rechnen müssen.«

»Ja, ich weiß, die Biester haben sich in den Höhlen unterm Fatuum verkrochen. Auch im Skeika-Gebirge gibt es unzählige Schlupfwinkel und weitläufige Höhlensysteme. Es scheint mir unmöglich, sie dort unten aufzuspüren«, seufzt mein Vater.

»Wie ist das denn, die Fabelwesen auf Fabolon können doch nie ganz verschwinden, aber was geschieht mit den Molochten, nachdem sich ihre Körper auflösen?«, will ich wissen.

»Man kann sie nie ganz beseitigen, aber in ihren Urzustand zurückversetzen. Dazu muss man aber wissen, wie das geht und das ist meistens das größte Problem«, antwortet Terbito.

»Du meinst, so wie bei dem weißen Hasen? Ich habe gehört, auf Fabenia hatten sie im vorletzten Jahr eine furchtbare Plage mit ihm. Er frisst sich rund und schafft dann einen Doppelgänger. Danach vergräbt sich der Urhase, während sein Doppelgänger weiterfuttert und sich wiederum verdoppelt, sobald er sich rundgefressen hat. Alle Hasen sind eigentlich nur eine Kopie des Urhasen, dem sie ihre Energie zuführen. Es nutzt auch nichts, einen von ihnen zu töten, denn dann entsteht er an anderer Stelle einfach wieder neu. Es war am Ende so schlimm, dass die Hasen fast das ganze Land kahlgefressen haben und erst als die Leute wie verrückt überall die Erde durchwühlt und dabei den weißen Urhasen erwischt haben, verschwanden alle Doppelgänger. Ist es bei den Molochten denn genauso?«, frage ich.

»Nicht genauso, aber wir vermuten, dass es ähnlich abläuft. Es sind außerdem Schattenwesen von der Gestalt der Molochten gesichtet worden. Möglicherweise stehen diese mit den festen Formen in Zusammenhang, das können wir aber nicht mit Gewissheit sagen. Überhaupt wissen wir leider viel zu wenig über sie«, bedauert mein Vater.

»Terbito, ich finde das reicht! Romy sollte sich lieber mit ihrer bevorstehenden Hochzeit beschäftigen als mit Monstern«, unterbricht meine Mutter, die den Hauptgang inzwischen restlos vom Teller gekratzt hat und sich nun genau wie ihre Tochter Marika eine Hand voll Naschkugeln genehmigt.

»Wenn das Mädchen von den Molochten schon bedroht wird, muss sie doch wenigstens wissen, womit sie es zu tun hat«, widerspricht mein Vater. »Aus diesem Grund lehrt man in der Schule Jungen genauso wie Mädchen das Jakeiten und die Fabelfarbenkunde.«

»Ja, aber den Mädchen nur vier Jahre lang«, beschwere ich mich.

»Wenn es nach mir ginge, …«, beginnt mein Vater.

»Sag jetzt nicht, dass die Mädchen dann auch ganze zehn Jahre lang unterrichtet werden müssten«, beschwert sich Marika miss­mutig.

»Dir hätte es sicher nicht geschadet, mein Schmet …«

Meine Schwester fährt wütend hoch. Tränen quellen aus ihren Augen.

»Schmauche1! Willst du etwa damit sagen, durchs Jakeiten hätte ich mehr Bewegung gehabt und weniger Zeit, mir Süßes hineinzustopfen?«

Da ist immerhin was Wahres dran, denke ich insgeheim. Aber ich bin ja nicht lebensmüde, diese Meinung laut zu äußern.

»Also, ich muss doch sehr bitten. Bei Tisch haben diese widerwärtigen Kraftausdrücke nichts verloren«, rügt meine Mutter, deren Aufmerksamkeit einzig und allein bei den Manieren liegt, alles andere scheint sie herausgefiltert zu haben.

»Marikalein …«, versucht es mein Vater auf die sanfte Tour, doch meine Schwester kommt gerade erst richtig in Fahrt.

» …so wie Romy, deine Lieblingstochter, die den ganzen Tag im Kletterparcours rumturnt? Ich bin aber nicht so wie sie und ich will auch nie so werden und den blöden Prinzen will ich schon gar nicht heiraten!«

Klar! Wer’s glaubt!

Wie ich sie einschätze, wäre meiner Schwester so ziemlich jeder recht, der sich überhaupt für sie interessiert und der Prinz steht auf ihrer Rangliste mindestens im oberen Hundertstel.

»Marika, bitte! Ich muss mich doch sehr wundern, wo du deine Manieren gelassen hast«, schimpft meine Mutter.