Romantische Bibliothek - Folge 46 - Karin Weber - E-Book

Romantische Bibliothek - Folge 46 E-Book

Karin Weber

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Beschreibung

Traurig schaut Ditte aus dem Fenster des Bahnabteils auf die vorbeiziehende Landschaft. Immer und immer wieder hört sie die warnenden Worte ihrer Mutter: "Lass die Finger von diesem Mann! Er wird dich nur unglücklich machen!"

Schweren Herzens muss sich Ditte nun eingestehen, dass ihre Mutter recht hatte. Für Roder Lindop, den Erben der Lindop-Werke, war sie nichts weiter als eine nette Episode! Niemals hat er wirklich daran gedacht, sie zu seiner Frau zu machen, denn er ist bereits einem anderen Mädchen aus gutem Hause versprochen.

Ditte weiß, dass sie nun tapfer sein muss. Vorsichtig streicht sie mit der Hand über ihren noch flachen Bauch. Doch schon in wenigen Wochen wird ihr jeder ansehen, dass sie auf die falschen Versprechungen eines Mannes hereingefallen ist ...

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Seitenzahl: 176

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Inhalt

Cover

Impressum

Bei dir war ich immer allein

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/Daria_Cherry

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4114-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Bei dir war ich immer allein

Zu Herzen gehender Erfolgsroman um den Schicksalsweg einer tapferen Frau

Von Ina Ritter

Traurig schaut Ditte aus dem Fenster des Bahnabteils auf die vorbeiziehende Landschaft. Immer und immer wieder hört sie die warnenden Worte ihrer Mutter: „Lass die Finger von diesem Mann! Er wird dich nur unglücklich machen!“

Schweren Herzens muss sich Ditte nun eingestehen, dass ihre Mutter recht hatte. Für Roder Lindop, den Erben der Lindop-Werke, war sie nichts weiter als eine nette Episode! Niemals hat er wirklich daran gedacht, sie zu seiner Frau zu machen, denn er ist bereits einem anderen Mädchen aus gutem Hause versprochen.

Ditte weiß, dass sie nun tapfer sein muss. Vorsichtig streicht sie mit der Hand über ihren noch flachen Bauch. Doch schon in wenigen Wochen wird ihr jeder ansehen, dass sie auf die falschen Versprechungen eines Mannes hereingefallen ist …

„So, du hast also auch schon daran gedacht, dass ich keinen Erben habe?“ Ein fast finsterer Zug lag auf Wilhelm Lindops Gesicht, als er seine Schwester ansah. „Also gut, weshalb soll ich um die Sache herumgehen wie die Katze um den heißen Brei? Du bist meine einzige Verwandte. Und wenn ich auch keine Veranlassung habe, dich übermäßig zu lieben – ich kenne dich ja schließlich gar nicht – so bist du doch immerhin meine Schwester. Ich habe die Absicht, einen deiner Söhne zu adoptieren, ihm eine hervorragende Ausbildung zu geben und ihn zu meinem Nachfolger zu machen.“

Emma stand wie erstarrt. Ihre Gedanken überschlugen sich. Gestern war ganz plötzlich ihr Bruder Wilhelm aufgetaucht. Er hatte etwas von Amerika erzählt, wo er sich ein beträchtliches Vermögen erarbeitet hatte.

Vor drei Jahren war er nach Deutschland zurückgekommen und hatte ein riesiges Werk gegründet. Von Millionen hatte Wilhelm gesprochen. Wenn Emma daran dachte, dass einer ihrer Söhne einmal diese Millionen erben sollte, schlug ihr das Herz bis zum Halse. Sie wusste sehr genau, was Armut war, sie wusste, was es hieß, jeden Pfennig dreimal umzudrehen, ehe man ihn ausgab.

„Du bist sprachlos“, stellte Wilhelm Lindop fest. „Kann ich auch verstehen. Mein Angebot ist mehr als das große Los. Ich biete deinem Sohn eine Machtstellung in der Wirtschaft, wie er sie so schnell nicht wieder angeboten bekommt. Und natürlich auch ein entsprechendes Vermögen. Was kann dein Mann Karl euren Kindern schon bieten! Er ist ja nur ein Waldarbeiter mit ein paar Mark in der Woche. Wie soll er da fünf Kinder durchbringen? Du solltest froh sein, dass einem deiner Söhne diese Chance geboten wird. Ich weiß noch nicht, wen ich als Nachfolger bestimmen werde. Die Jungen gefallen mir in ihrer Art beide gut.“

„Dann nimm sie doch beide“, schlug Frau Emma spontan vor.

Wilhelm schüttelte den Kopf.

„Das kommt nicht infrage. Es würde stets Streit zwischen ihnen geben. Ich bin der Meinung, an die Spitze eines Unternehmens, wie ich es aufgebaut habe, gehört nur ein Mann.“

„Und der andere, den du nicht haben willst?“, fragte die Mutter.

„Ich werde für ihn sorgen, selbstverständlich. Er kann eine Schule besuchen. Wenn er das Zeug dazu hat, auch studieren. Aber ansonsten muss er natürlich auf eigenen Füßen stehen. Mir ist auch nichts geschenkt worden. Auch die Mädchen werden einen vernünftigen Beruf lernen. Ich habe ja schließlich Geld genug.“

Emma ließ sich schwer auf den nächsten Stuhl sinken und stützte den Kopf auf die Hände. Sie starrte vor sich hin. Glücklich sah sie plötzlich gar nicht mehr aus.

„Du willst uns einen Jungen direkt fortnehmen?“, fragte sie gepresst.

„Ja. Er wird mein Sohn sein. Mit euch verbindet ihn dann nichts mehr, nicht einmal sein Name Hellmering. Er muss selbstverständlich Lindop heißen.“

„Das wird Karl aber nicht wollen“, brachte Emma hervor. „Du weißt ja nicht, wie er an den beiden hängt. Und wenn er nun einen hergeben soll …“

Wilhelm wischte ihren Einwand mit einer Handbewegung aus der Welt.

„So dumm ist kein Mensch, mein Angebot abzulehnen“, erwiderte er selbstsicher. „Vom persönlichen Eindruck her gefällt mir Roder besser. Er hat so etwas Gerades, Aufrichtiges an sich. Und mit zwölf Jahren ist er durchaus noch formbar. Er scheint das Zeug zu einem Industriechef zu haben.“

„Roder soll fort?“, murmelte Emma und schüttelte unwillkürlich den Kopf.

„Vielleicht nehme ich auch Gerhard“, erinnerte ihr Bruder.

„Und Gerhard soll fort. Ich weiß nicht, Wilhelm, aber an den Gedanken kann ich mich einfach nicht gewöhnen. Unser Junge soll einen anderen Namen tragen und … und gar nichts mehr mit uns zu tun haben?“

Fast mitleidig schaute Wilhelm Lindop sie an. Wie töricht war sie doch diese einfache, schlichte Frau! Sie hing an ihren Kindern mit einer wahren Affenliebe. Aber eine Handvoll Geld würde Emma schon überzeugen, darum machte er sich keine Sorgen.

Viel schwieriger war die Entscheidung, den richtigen Nachfolger zu wählen. Einer sollte es nur sein, und wenn er sich nun für den Falschen entschied …?

„Ich muss erst mit Karl darüber reden, Wilhelm“, erwiderte Emma leise. „Ich weiß nicht, was er dazu sagen wird. Das ist ja fast so, als wenn der Junge tot wäre. Nein, das ist noch schlimmer. Er lebt bei dir, und allmählich wird er uns vergessen. Und sie fühlen sich beide doch wohl bei uns.“

„Ich gehe noch ein bisschen spazieren.“ Wilhelm Lindop erhob sich und nickte seiner Schwester zu. Für Gefühlsausbrüche besaß er kein Verständnis.

***

„Ich möchte Roder mitnehmen“, erklärte Lindop ohne Umschweife Karl Hellmering zwei Stunden später. „Emma wird schon mit dir gesprochen haben, vermute ich.“

„Hat sie“, bestätigte Karl.

„Ich denke, wir fahren dann heute Nachmittag. Mitgeben müsst ihr ihm nichts, ich kaufe ihm alles neu. Die Papiere hast du ja sicherlich zur Hand …“

Karl Hellmering starrte grübelnd vor sich hin.

„Ich bringe es einfach nicht übers Herz“, gestand er. „Eins von unseren Kindern fortzugeben … das tut man einfach nicht.“

„Ich habe keine eigenen Kinder, und ich verlange einen Nachfolger. Sei gewiss, dass ich mich nicht von heute auf morgen für einen deiner Söhne entschieden habe. Ich habe mich vorher gründlich informiert. Die Auskünfte über sie waren bestens. Ich möchte Roder haben.“

Karl rieb sich mit der unverletzten Hand das Kinn.

„Ich glaube nicht, dass er mitkommen wird“, meinte er zögernd. „Wir sind hier doch schließlich seine Familie. Er fühlt sich wohl bei uns.“

„Er wird euch bald vergessen haben, Karl, macht euch doch nichts vor. Natürlich ist es anfangs nicht leicht für ihn, aber schließlich ist das ganze Leben nicht leicht. Du lebst hier im Wald und weißt nicht, was in der Welt vor sich geht. Du solltest einmal meine Werke sehen, diese riesigen Anlagen, die vielen Schornsteine, die Menschen, denen ich Arbeit und Brot gebe … das ist das Leben. Man ist nur etwas, wenn man Macht hat. Und Macht hat, wer reich ist. Roder scheint geeignet, meine Nachfolge anzutreten. Für euch werde ich selbstverständlich sorgen. Ich gebe dir …“ Wilhelm Lindop zögerte noch einmal, überlegte und warf einen nachdenklichen Blick auf das Gesicht von Karl. „Ich gebe dir etwas Geld“, fuhr er dann unbestimmt fort. „Über die Höhe der Summe werden wir uns sicherlich einig werden.“

„Ich verkaufe meine Kinder nicht“, grollte Karl. „Wofür hältst du mich eigentlich? Wenn ich dir Roder mitgebe, dann nur, weil ich glaube, dass es für den Jungen am besten ist. Ich, sein Vater, bin nur ein einfacher Arbeiter …“

„Dafür bin ich umso mehr“, fiel Wilhelm Lindop ihm kalt ins Wort. „Ich wünsche sowieso nicht, dass Roder noch mit euch in Verbindung steht, wenn er bei mir ist. Ich bin für einen klaren, glatten, sauberen Schnitt.“

Karl lächelte verächtlich.

„Man merkt, dass du niemals eigene Kinder gehabt hast“, bemerkte er. „Du kannst sie nicht einfach hier herausreißen und umpflanzen.“

„Er ist jung genug, um sich seinen neuen Verhältnissen anzupassen. Er ist ja schließlich erst zwölf.“ Wilhelm Lindop zuckte ungeduldig die Achseln. „Mach doch gefälligst nicht solch ein Theater. Wie viel willst du haben? Zwanzigtausend?“

„Kein Geld. Ich könnte kein Geld annehmen. Wir müssen mit Roder sprechen, ob er will. Aber nein, er ist noch viel zu klein, um zu begreifen, was auf dem Spiel steht.“

„Er muss sowieso nicht gefragt werden. Die Entscheidung liegt bei dir. Ja oder nein?“

Karl Hellmerings Gesicht war gequält. Er senkte tief den Kopf. Seine breiten Schultern wirkten gebeugt, wie er so neben dem hageren Wilhelm Lindop dahinging. Hinter der breiten gefurchten Stirn arbeiteten schwerfällig seine Gedanken.

„Wenn Onkel Wilhelm einen von euch mithaben will, dann geht es uns allen gut“, schwärmte Emma unterdessen in der Küche. „Hoffentlich überlegt er es sich nicht noch einmal.“

„Also, ich würde sofort mit ihm gehen“, stieß Gerhard hervor. „Wo ist er? Ich frag ihn, ob er mich haben will.“

„Das lass bleiben. Er wird euch schon sagen, wen er lieber möchte“, hielt die Mutter ihren eifrigen Jungen zurück.

„Und dass ihr euch heute beim Mittagessen manierlich aufführt.“

„Klar, darauf kannst du dich verlassen. Der soll doch nicht denken, dass wir uns nicht benehmen können“, versicherte Gerhard und warf sich in die Brust.

Der ein Jahr ältere Roder sprach kein Wort.

„Sie kommen“, trompete Monika in dem Moment und lief in die Küche.

Alle schauten gespannt auf die Tür. Wilhelm Lindop sah sich einem Kreuzfeuer von Blicken ausgesetzt, als er eintrat. Er schaute die beiden Jungen an und wusste plötzlich, dass er die richtige Wahl getroffen hatte, als er sich für Roder entschied.

„Willst du mit mir kommen?“, fragte er den Jungen.

„Ich?“

Eine atemlose Stille herrschte plötzlich in der Küche. Vielleicht wusste nur Vater Karl, was jetzt im Herzen seines Ältesten vor sich ging. Er trat hinter ihn und legte ihm seine Hand auf die Schulter.

„Du brauchst nicht, wenn du nicht willst“, sagte er. „Wir können auch ohne euren Onkel Wilhelm existieren.“

Roder schluckte. Sein Blick glitt über die Gesichter seiner kleinen Schwestern. Die Küche war klein, und das Essen war immer knapp. Er als einziger der Kinder hatte bemerkt, dass sein Vater nicht mehr so viel aß wie früher. Er allein wusste warum.

„Ja“, antwortete er leise. „Wenn Onkel Wilhelm für euch sorgt.“

***

„Aber wer wird denn für den Jungen sorgen?“, fragte Frau Emma plötzlich. „Ich meine, es muss doch jemand da sein, der seine Wäsche in Ordnung hält und ihn morgens pünktlich zur Schule schickt …?“

„Ich stelle jemanden ein. Wenn man gut bezahlt, findet man Frauen genug, die sich um Kinder kümmern.“ Er blickte ungeduldig auf seine Armbanduhr und trommelte mit den Fingerspitzen auf das weiße Tischtuch. „Gib mir jetzt die Papiere des Jungen“, forderte er schließlich. „Einer meiner Anwälte wird sich dann mit dir in Verbindung setzen und alles regeln. Solch eine Adoption benötigt viel Zeit.“

„Muss es denn so schnell sein?“ Emma schluchzte. „Und wann … besucht ihr uns denn einmal wieder?“

Aus feuchten Augen schaute sie auf ihren Ältesten, der mit gesenktem Kopf auf der anderen Seite des Tisches saß.

„Das geht nicht“, verkündete Lindop. „Versteh doch endlich, dass er dann nicht mehr zu euch gehört. Roder ist dann mein Sohn.“

Der Junge hob kurz den Kopf und warf ihm einen sehr nachdenklichen Blick zu. Nur einen Moment, dann schaute er hastig wieder zur Seite. Sein Herz war schwer, aber er zeigte nicht, wie ihm zumute war.

Sein Onkel hatte ja versprochen, für seine Familie zu sorgen. Und er wusste, so jung er auch noch war, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als seine Zufriedenheit für die Eltern und Geschwister zu opfern.

„Also gut. Dann wollen wir euch nicht länger aufhalten.“

Vater Karl erhob sich langsam und ging ins Schlafzimmer. Im Wäscheschrank stand die Kassette mit allen wichtigen Papieren. Seine Finger waren schwer, als er den Deckel öffnete und Roders Geburtsurkunde heraussuchte.

Er erinnerte sich noch genau, als wäre es erst gestern gewesen, wie er Emma damals im Krankenhaus besucht hatte. Roder war solch ein verschrumpeltes Etwas gewesen, aber Emma war sehr stolz auf ihren Sohn. Karl hatte nicht gewagt, das winzige Kerlchen zu berühren. Wie grob und plump erschienen ihm seine Finger neben dem Säugling.

Und wie schnell war Roder gewachsen. Die Zeit schien nur so davongeflogen zu sein. Er sah ihn auf unsicheren Beinen durch das Haus laufen, und dann nahm er ihn schon an die Hand und brachte ihn in die Schule. Es war noch gar nicht so lange her, so kam es ihm jedenfalls vor.

Und nun sollte er ihn fortgeben und niemals wiedersehen. Damit er ein reicher und mächtiger Mann wurde, damit er Gelegenheit hatte, seine Fähigkeiten zu entwickeln und anzuwenden. Wie schwer wog die Geburtsurkunde in seiner Hand. Aber dann nahm er sich zusammen. Die Entscheidung war gefallen, und es schien die richtige zu sein.

Eine halbe Stunde später kletterte Roder in das Auto seines Onkels. Er hatte sich von den Eltern verabschiedet, den Schwestern zum letzten Mal die Hand gedrückt, und er schaute starr nach vorn. Er hatte Angst, dass er die Tür aufreißen und hinauslaufen würde, wenn er das Blockhaus noch einmal anschaute.

Sein Onkel schrieb einen Scheck aus und legte ihn Karl Hellmering auf den Tisch. Frau Emma weinte vor sich hin, ohne das kostbare Papier zu nehmen. Auch Karl ergriff es nicht.

Jemand zupfte Lindop am Ärmel. Gerhard stand neben ihm, sehr blass, die Augen unnatürlich groß im Gesicht.

„Onkel Wilhelm, nimm lieber mich mit“, presste er hervor. „Der Roder, der kommt nicht gern mit dir, aber ich würde mich freuen. Ich will auch alles tun, was du sagst. Roder hat in der Schule gestern geschummelt. Er hatte ein Buch unter der Bank und hat alles abgeschrieben. Er schummelt oft. Deshalb hat er auch die besseren Zensuren. In Wirklichkeit weiß ich viel mehr, Ich schummele nur nicht.“

„Halt den Mund!“, fuhr Karl Hellmering ihn heftig an. „Schäm dich, so schlecht von deinem eigenen Bruder zu sprechen. Raus mit dir!“

„Wenn ich mit Onkel Wilhelm geh, dann hast du mir gar nichts mehr zu sagen“, trotzte Gerhard wütend. „Bitte, nimm mich doch mit.“

„Nein!“ Lindop drückte ihn zur Seite. Immer klarer wurde ihm, wie richtig seine Entscheidung gewesen war. Roder hatte Charakter, mochte er anfangs vielleicht auch schwieriger sein als Gerhard. „Also dann.“

Er hob die Hand und winkte seiner Schwester zu. Karl Hellmering nickte er herablassend zu. Dann ging er, ein ungeheuer reicher Mann, dem ein großes Werk gehörte.

Und jetzt gehörte ihm auch ein Mensch, ein Junge, den er nach seinem Bild formen konnte. Er hatte ihn geprüft und für gut befunden, es war ein ganz sauberes, glattes Geschäft gewesen.

„Wein nicht mehr, Emma“, bat Karl mit unsicherer Stimme seine Frau. Er zog sie vom Küchenstuhl hoch und nahm sie in den Arm. „Wir haben ja immer noch die anderen. Und Roder wird es gut haben, vergiss das nicht.“

Karl steckte den Scheck verschämt ein. Es war ihm, als dürfe er ihn nicht annehmen, aber es ging ja um seine Kinder, um eine schönere Zukunft für sie.

Emma seufzte auf tiefstem Herzensgrunde. Karl konnte es nicht mitanhören, er murmelte etwas und ging hinaus.

Stunde um Stunde ging Karl Hellmering durch den Wald. Er hatte Angst, seine Blockhütte wieder zu betreten. Am Rand der Lichtung blieb er stehen und schaute sie an. Wie hübsch glänzten die Fenster in der Sonne, wie nett sah es aus, wenn der Rauch sich aus dem Schornstein kräuselte und vom leichten Wind davongeweht wurde.

Es war ein Bild des Friedens. Nur er, Karl Hellmering, kam sich ausgestoßen vor. Er hatte seinen Sohn verkauft.

***

Wilhelm Lindop wusste nicht, was er mit dem Jungen sprechen sollte.

„Freust du dich, dass es dir jetzt besser geht?“, rang er sich schließlich ab.

„Es ist mir zu Hause immer gut gegangen“, antwortete Roder schlicht.

„Du wirst Augen machen, wenn du mein Haus siehst“, prahlte Lindop. „Das ist etwas anderes als der Schuppen, in dem dein Vater wohnt. Du bekommst ein Zimmer für dich allein, mit einem Arbeitszimmer und einem Bad. Wenn du etwas willst, brauchst du es nur Johann sagen. Johann ist der Diener.“

Roder erwiderte nichts. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er das Blockhaus nie wiedersehen würde. Nie wieder …

Die ersten Ausläufer der Großstadt tauchten auf. Roder beugte sich vor, als er die vielen Häuser sah. Er kannte nur das kleine Städtchen, in dem sie manchmal eingekauft hatten. Es lag zwanzig Kilometer von dem Blockhaus entfernt, und es war immer eine aufregende Fahrt gewesen.

Der Verkehr überwältigte ihn geradezu. So viele Menschen gab es, so viele Autos, so viele Geschäfte. Roder kroch förmlich ein wenig zusammen. Er fürchtete sich vor seiner Zukunft. Er fühlte sich sehr allein.

„So, noch ein paar Minuten, dann sind wir angelangt.“ Wilhelm Lindops Stimme klang frisch und voller Energie. Er gehörte zu den Männern, die keine Müdigkeit kennen, auch wenn sie vierundzwanzig Stunden hintereinander gearbeitet haben. „Das ist mein Haus.“

Er war in eine Einfahrt eingebogen und wies mit einer Kopfbewegung nach vorn. Er konnte schon stolz sein auf seinen Besitz.

Roder war stumm vor Staunen.

„Was meinst du, was das kostet, alles zu unterhalten“, bemerkte Lindop. „Ein Vermögen stecke ich jedes Jahr hinein. Aber es lohnt sich. Kein anderer kann sich solch ein Haus erlauben. Die haben alle ihre modischen Bungalows. Aber hier lebt die Tradition weiter.“

„Das Haus ist sehr schön“, gestand Roder leise.

Unwillkürlich hielt er sich eng an der Seite seines Onkels, als sie die breite Freitreppe hinaufgingen, die rechts und links von Skulpturen flankiert war. Sie traten in die Halle, einem Raum von riesigen Ausmaßen. Eine Treppe führte nach oben und zog sich durch mehrere Stockwerke.

„Hatten Sie eine gute Fahrt, Herr Konsul?“, fragte ein weißhaariger Diener in dezenter Livree.

Er verneigte sich tief vor Lindop.

„Es ging so. Das ist übrigens … mein Sohn. Er heißt Roder. Ich wünsche, dass Sie und alle im Hause ihm behilflich sind, sich hier bei mir einzuleben. Ich möchte keine Klagen hören, verstanden.“

„Sehr wohl, Herr Konsul.“ Wieder verneigte sich Johann tief. „Wünschen Herr Konsul etwas zu essen?“

„Ja. Was möchtest du haben, Roder?“ Wilhelm legte seine Hand leicht auf den Kopf des Jungen. „Brauchst es nur zu sagen, wir haben Vorräte genug.“

„Irgendetwas, es ist mir ziemlich gleichgültig.“

Der Kleine war zu eingeschüchtert, um sich jetzt in seiner Haut wohlzufühlen, und der Appetit war ihm sowieso vergangen.

Hier sollte er leben, wenn sein Onkel in seinem Büro war? Das Haus war so riesig, dass man sich darin verlaufen konnte. Und dann die fremden Menschen, solch ein vornehmer Diener und die Mädchen, die durch die Halle gingen und neugierig zu ihnen hinüberstarrten …

„Bringen Sie uns Huhn“, befahl Lindop. „Und bis es fertig ist, zeige ich dir deine Zimmer. Sie werden dir gefallen. Wenn nicht, dann musst du es nur zu sagen, wir haben Räume genug.“

Roders Schlafzimmer war größer als die ganze Blockhütte seines Vaters, die sieben Menschen Platz geboten hatte.

„Nun, wie gefällt dir dein Zimmer?“

„Es ist sehr schön. Und … hier soll ich tatsächlich schlafen?“ Roder strich scheu mit der Hand über die schneeweiße Bettdecke. „Ganz allein?“

„Natürlich. Früher habt ihr wohl zu mehreren in einem Bett geschlafen, was? Vergiss es, Roder. Du bist jetzt der junge Herr, und wehe den anderen, wenn sie dich nicht mit der gebührenden Achtung behandeln. Und das ist deine Studierstube. Den Schreibtisch habe ich extra für dich gekauft. Hier wirst du für die Schule arbeiten. Es ist besser, du machst dein Abitur, obwohl man es auch ohne Schulzeugnisse zu etwas bringen kann.“

Schon am nächsten Tag ging Roder zum ersten Mal in seine neue Schule. Es hatte Lindop keine Schwierigkeiten gemacht, ihn unterzubringen. Im Gegenteil, man rechnete es sich zur Ehre an, den plötzlich aufgetauchten Sohn des Großindustriellen unterrichten zu dürfen.

Roder enttäuschte die Erwartungen nicht, die sein Onkel in ihn gesetzt hatte. Sein Geist, der immer nach Wissen gedürstet hatte, fand hier seine volle Befriedigung.

Lindop war stolz auf seine Wahl. Für ihn war sein Neffe so etwas Ähnliches wie für einen Hundefreund ein besonders wertvolles Tier, das die höchsten Preise errungen hatte. Er ließ Roder von Kopf bis Fuß neu einkleiden, selbstverständlich fuhr der Junge mit dem Auto in die Schule und wurde nach Unterrichtsschluss wieder abgeholt.

Das Lachen hatte Roder verlernt, Lindop gegenüber war er sehr höflich, aber kein herzliches Wort schlich sich in ihre Unterhaltung ein.

„So, ab heute nennst du mich Vater“, bestimmte Wilhelm Lindop eines Tages. Er legte einen Schein vor Roder auf den Tisch und schlug zufrieden mit der Faust darauf. „Die Adoption ist jetzt durch. Von heute an heißt du Roder Lindop. Du trägst einen angesehenen Namen, ich erwarte, dass du dich seiner würdig erweist.“

Der Junge senkte den Kopf. Seine Augen waren ein bisschen feucht geworden, aber er wollte sie nicht trocken wischen, solange sein Onkel da war.

„Freust du dich?“, wollte der Konsul wissen.

„Ja, Onk … Vater“, verbesserte sich Roder hastig.

Es klang nicht sehr überzeugend.

Lindop hatte wenig Zeit. Er verließ seinen Sohn auch an diesem Tage sofort nach dem Mittagessen und fuhr in sein Büro zurück.